The Girl of her Dreams - Jennifer Dugan - E-Book

The Girl of her Dreams E-Book

Jennifer Dugan

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Beschreibung

Auf der Hochzeit der Schwester ihres besten Freundes James trifft Lizzie auf dem Damen-WC eine in Tränen aufgelöste, aber sehr sexy Unbekannte. Lizzie versucht, die Frau aufzuheitern, und stellt im Nachhinein zu ihrem Entsetzen fest, dass die Unbekannte die Braut Cara war und Lizzie ihr die Hochzeit ausgeredet hat.
Lizzie schweigt über ihre Rolle bei der abgesagten Hochzeit, sodass sie notgedrungen zustimmt, als James sie bittet, Cara abzulenken. Langsam, aber sicher verlieben Cara und Lizzie sich ineinander. Doch über allem schwebt die Gefahr, dass James oder seinen strengen Eltern die Wahrheit erfahren und Lizzie das Mädchen ihrer Träume verliert.

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Seitenzahl: 456

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Inhalt

Cover

Über das Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Epilog

Dank

Über das Buch

Auf der Hochzeit der Schwester ihres besten Freundes James trifft Lizzie auf dem Damen-WC eine in Tränen aufgelöste, aber sehr sexy Unbekannte. Lizzie versucht, die Frau aufzuheitern, und stellt im Nachhinein zu ihrem Entsetzen fest, dass die Unbekannte die Braut Cara war und Lizzie ihr die Hochzeit ausgeredet hat. Lizzie schweigt über ihre Rolle bei der abgesagten Hochzeit, sodass sie notgedrungen zustimmt, als James sie bittet, Cara abzulenken. Langsam, aber sicher verlieben Cara und Lizzie sich ineinander. Doch über allem schwebt die Gefahr, dass James oder seine strengen Eltern die Wahrheit erfahren und Lizzie das Mädchen ihrer Träume verliert.

Über die Autorin

Jennifer Dugan ist Autorin und Romantikerin, die genau die Geschichten schreibt, die sie sich selbst als Leserin wünscht. Sie lebt in den USA im Bundesstaat New York zusammen mit ihrer Familie, ihrem Hund, einem neuen Kätzchen und ihrer bösen, aber doch geliebten Katze, die ohne jeden Zweifel plant, die Weltherrschaft zu übernehmen.

Jennifer Dugan

The Girl of her Dreams

ROMAN

Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Antonia Zauner

Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Deutsche Erstausgabe

Für die Originalausgabe:Copyright © 2023 by Jennifer DuganTitel der englischen Originalausgabe: »Love at First Set«Originally published by Avon, HarperCollins 2023Published by arrangement with Pippin Properties, Inc. through Rights People, London

Für die deutschsprachige Ausgabe:Copyright © 2024 byBastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6–20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Textredaktion: Nora SchmittUmschlaggestaltung: Manuela Städele-MonverdeUmschlagmotiv: Cover design: © Amy Halperin Coverillustration: © Monika RoeeBook-Erstellung: two-up, Düsseldorf

ISBN 978-3-7517-5594-8

luebbe.delesejury.de

An alle anderen Katastrophen auf zwei Beinen, die noch nach ihrem Happy End suchen …Das hier ist für euch.

Kapitel 1

Ich habe gerade Mrs. Patel für ihre Silber-Sneakers-Wasser-Aerobics-Stunde eingecheckt und mich wieder fröhlich meiner Zeichnung gewidmet, als mein bester Freund James sich mir von hinten nähert. Er stützt das Kinn auf meine Schulter, und sein wuscheliges blondes Haar fällt ihm direkt über die eisblauen Augen, während er den Großteil seines über eins achtzig großen Personal-Trainer-Körpers auf den alten, verblichenen schwarzen Bürostuhl stützt, in dem ich gerade sitze. Das Möbelstück quietscht und ächzt protestierend. Ich versuche ihn mit dem Ellenbogen wegzuschubsen.

»Nein, nicht da.« Er schnappt sich den Bleistift aus meiner Hand und streicht schnell das Wort »Cardio-Geräte« durch, ehe er sie in dem riesigen Viereck, das ich skizziert habe, dichter bei den Fenstern platziert. »Tu sie da hin, dann können sie wenigstens die Leute auf dem Parkplatz beobachten, während sie ihren ganzen Fortschritt wieder zunichtemachen.«

Darf ich vorstellen: James Manderlay, Chef-Personal-Trainer im The Fitness Place. Achtundzwanzig, entschiedener Cardio-Gegner – wie man unschwer an dem »Cardi-no«-Tanktop, das er gerade trägt, erkennen kann –, erschreckend attraktiv laut der Hälfte unserer Gäste (wie wir die Menschen nennen, die sich hier in ihren Trainingsklamotten abrackern) und Besitzer einer wohldefinierten Bauchmuskulatur, exakt eines Grübchens und eines Bankkontos voller Geld, das er seinen Eltern und ihren zweifelhaften Geschäftspraktiken zu verdanken hat.

Er ist schon mein Freund, seit ich vor fünf Jahren in diese gottverlassene Stadt gezogen bin. Ich war gerade neunzehn, sehnte mich aber bereits nach einem Neuanfang. Also bin ich direkt in das Fitnessstudio seiner Eltern marschiert, um nach einem Job zu fragen, und fand ihn hinter dem Tresen auf dem Boden vor. Als ich ihn fragte, ob er okay ist, erzählte er mir, er sei gerade verlassen worden und warte nun darauf, dass das Universum ihn verschlingen möge. Ich stupste sein Bein an und bat ihn um ein Bewerbungsformular. (Ich habe keine Zeit für Gefühlsduselei, nicht wenn ein Monatslohn auf dem Spiel steht.) James hat gelacht und sich lange genug zusammengerissen, um eines hervorzukramen.

Er meinte, er wisse meine raue Form der Liebe zu schätzen.

Ich fragte ihn gar nicht erst, ob es auch andere Formen gab.

Eigentlich brauchte The Fitness Place keine neue Mitarbeiterin, aber James überredete seine Eltern, mich einzustellen, und ich legte mich mächtig ins Zeug, um sicherzustellen, dass sie es garantiert nicht bereuten. Es dauerte ein Jahr, bis ich mich von einer Springerin – was bedeutete, dass ich alles machte, vom Bestücken der Umkleiden mit Handtüchern über das Hin- und Herschleppen von Heizlüftern an regnerischen oder schneereichen Tagen bis zum Abtrennen von Schlössern an verklemmten Schließfächern – zu einer Studiomitarbeiterin hocharbeitete. Als solche saß ich vor allem im Trainingsbereich herum und half Leuten, die nicht wussten, wie man die Geräte nutzte (was ganz schön unangenehm werden kann, weil es eine erstaunlich hohe Anzahl an Menschen gibt, die glauben, ein Gerät richtig zu benutzen, davon aber MEILENWEIT entfernt sind).

Kann ich bitte wieder Kaugummis aus Schlössern pulen, danke auch?

Trotzdem, es war mein Job, dafür zu sorgen, dass niemand in den sozialen Medien viral ging, weil er versuchte, die Beingeräte zur Stärkung seiner Nackenmuskulatur zu verwenden, oder vom Laufband fiel, weil er den Geschwindigkeitsregler mit dem für die Steigung verwechselte und es mal eben auf Lichtgeschwindigkeit stellte.

Zu diesem Zeitpunkt war die Fitnessstudio-Kette so richtig durchgestartet – fünf Niederlassungen und kein Ende in Sicht –, und als vor einigen Jahren die Empfangsleiterin ging, um einen der neuen Läden zu führen, bekam ich ihre Stelle. Die Bezahlung ist akzeptabel – was viele Menschen vielleicht anders sehen würden, aber es ist das höchste Gehalt, das ich je hatte – und hat den netten Bonus einer Gratismitgliedschaft statt der lausigen 15 Prozent, die sie den anderen Mitarbeitern gewähren.

Der Titel »Leiterin« eignet sich allerdings bestenfalls, um damit anzugeben, wirkliche Befehlsgewalt habe ich damit nicht. Meine Pflichten bestehen darin, hinter dem Empfangstresen zu sitzen, mit einem riesigen grünen Scanner die winzigen Mitgliedskarten der Leute einzulesen und etwa fünfzig Mal am Tag ans Telefon zu gehen und Kunden zum Personal Training mit »Traumprinz James« anzumelden, wie die meisten unserer älteren Gäste ihn nennen.

Es ist vielleicht kein sehr glamouröser Job, aber ich liebe ihn. Der Geruch der Matten, das Klackern der Gewichte, das Gefühl, wenn man ein erfolgreiches Training absolviert oder anderen bei ihrem geholfen hat. Es gibt nichts Besseres. Absolut nichts. Es ist der eine Ort auf der Welt, an dem ich tatsächlich etwas verändern kann, für mich und für andere. Im Moment muss ich das innerhalb der Gegebenheiten des Fitness Place machen, aber wenn alles so läuft, wie ich es mir vorstelle, werde ich eines Tages mein eigenes Studio eröffnen und meine eigenen Programme entwickeln. Wie toll man so einen Laden machen könnte, wenn man ihn von Grund auf mit der Vision entwerfen würde, ihn für alle einladend und zugänglich zu machen.

Tatsächlich verbringe ich beinahe jeden freien Moment damit, mein hypothetisches zukünftiges Fitnessstudio zu entwerfen, womit ich auch gerade beschäftigt war, bevor James kam und mir seine Cardio-Ansichten aufdrängte. Ich weiß, dass die Wahrscheinlichkeit, dass jemand wie ich tatsächlich irgendwann ein eigenes Studio eröffnen kann, irgendwo auf einer Skala von »nie im Leben« bis »ich lache mich tot« liegt, aber trotzdem. Seit ich alt genug bin, um zu wissen, was ein Fitnessstudio ist, wollte ich nie etwas anderes machen.

»Hey, ich muss dich mal was fragen.« James zieht mir die Zeichnung aus der Hand und kritzelt »Lizzies Super-Studio« darüber, ehe er ein Strichmännchen in die Mitte malt und es sorgfältig um zwei riesige Bizepse ergänzt. Neben einem kleinen Pfeil steht »James«.

»Warte mal, warum bist du das Zentrum meines Studios?«, schnaube ich belustigt und ziehe ihm den Stift aus der Hand.

»Das verletzt mich«, sagt er. Er lässt sich nach hinten auf den Boden fallen und tut so, als wäre er erstochen worden. »Ich habe dir einen Job besorgt, und du würdest dich nicht revanchieren? Schätze, dann bleibe ich einfach hier liegen und STERBE.«

Scheinbar sind wir jetzt wieder exakt da, wo wir angefangen haben.

Er liegt immer noch ausgestreckt hinter mir – und weigert sich, mir zu sagen, was er wirklich will, sollte ich ihm nicht eine Führungsposition in meinem Fantasiestudio zusichern –, als Henry Meyers an den Tresen tritt, den Bart so säuberlich gestutzt und gewachst, dass kaum mehr etwas davon übrig ist. Er visiert mich mit einem angestrengten, jedoch höflichen Lächeln an, das sagt, dass jeder, der nicht sechsstellig verdient, eigentlich unter seiner Würde ist. Er lässt seine diversen Schlüsselkarten auf den Tresen fallen, obwohl ich bereits den Scanner in der Hand habe, und wartet. Also gut. Ich wühle, bis ich seine Studiokarte gefunden habe und hebe den Scanner, während sein BMW-Schlüsselanhänger mich im grellen Studiolicht beinahe blendet.

»Oh, Jamie!«, ruft er, und sein Lächeln wird breit und ehrlich, als er meinen Idioten von einem besten Freund sieht, der hinter mir immer noch toter Mann spielt. »Ich habe dich da hinten gar nicht gesehen.«

»Henry«, ruft James und springt in einer geschmeidigen Bewegung auf. Er zeigt Henry die chemisch gebleichten Zähne, und bilde ich mir das nur ein, oder spannt er seine Muskeln an? Ich muss mich beherrschen, um nicht mit den Augen zu rollen, während ich dem Mann vor mir seine Schlüsselkarten zurückgebe.

»Sie können rein!«, sage ich munter, aber sie beachten mich beide gar nicht.

Henry beugt sich nach vorne über den Tresen und positioniert seine Arme so, dass die Muskeln unter seinem zu engen Nike-Pro-Shirt zu maximaler Größe anwachsen. Ich lasse den Blick zwischen ihnen hin und her wandern und fühle mich plötzlich wie in einer Episode von National Geographic: Die Balzrituale der Schönen und Reichen.

Ich muss kichern, als James sein Gefieder plustert, was in diesem Fall bedeutet, dass er sich gerade weit genug streckt, dass sein »Cardi-no«-Shirt hochrutscht und den unteren Teil seines Sixpacks freilegt – vielleicht ist es auch ein Eightpack oder was weiß ich, möglicherweise ist es mittlerweile ein Twelvepack. Ich habe irgendwann im dritten Jahr unserer Freundschaft aufgehört, bei seinem Muskelaufbau auf dem neuesten Stand zu bleiben. Etwa um die Zeit herum zwang seine Mom ihn auch, ein offizielles Zertifikat zu erwerben, statt ständig nur hier herumzuhängen, und danach begann er, gelangweilte Hausfrauen und –männer zu unterrichten. Es war eher so etwas wie der letzte verzweifelte Versuch seiner Eltern, ihn respektabel erscheinen zu lassen, als das echte Bestreben, ihn in seinen Interessen zu unterstützen. Und obwohl er exakt das getan hat, was sie wollten, sind sie immer noch enttäuscht von ihm.

Seine Eltern, vor allem seine Mom, Stella, schüchtern mich an ihren guten Tagen ein. Und normalerweise sehe ich sie nicht an ihren guten Tagen. Denn an guten Tagen halten sich die Firmenbesitzer nicht in ihrem am wenigsten frequentierten Studio auf. Wenn wir uns sehen, dann meistens, weil es ein riesiges Problem gibt – etwa das eine Mal, als die Abflüsse in den Duschen überliefen oder als ein ganzer Bus voller Rentner aus dem Pflegeheim einen Hautausschlag von unserem zu stark gechlorten Wasser bekam.

Irgendwie haben sie es geschafft, für beides mich verantwortlich zu machen. Interessanterweise scheinen Klempnerarbeiten und die korrekte Dosierung von Pool-Chemikalien in den Aufgabenbereich einer Empfangsleiterin zu fallen.

Egal, wie oft ich James versichere, dass seine Mutter mich hasst, er findet immer noch, dass ich da »zu viel reininterpretiere«.

Tue ich nicht. Ganz sicher nicht. Genauso wie ich nicht zu viel in die Art hineininterpretiere, wie Stella ständig ein »nur ein« vor »Personal Trainer« setzt, wenn sie James ihren »wohlsituierten« Freunden vorstellt.

Aber James bekommt genug Aufmerksamkeit von seinen ihn anhimmelnden Kunden. Es ist nicht nötig, dass ich jeden neuen Muskel und jede hervortretende Ader an seinem Körper zur Kenntnis nehme. Sollen die Kunden das Schwärmen übernehmen. Ich bin dann für die spätnächtlichen Pizza-und-Bier-Orgien da, wenn einer von ihnen James unweigerlich das Herz bricht, weil er, na ja, verheiratet ist.

»Was für ein toller Ring, Henry, ist der neu?«, frage ich und heuchle Begeisterung über das Schmuckstück in Platin und Gold an seinem Finger. Er ist nicht neu, das weiß ich, und James verpasst meinem Stuhl einen Tritt, stellt das Balzen jedoch ein.

»Alter Hut«, sagt Henry und zieht die Hand zurück. Auf Wiedersehen, Brustmuskel-Dekolletee, hallo, Rückbesinnung auf den heiligen Bund der Ehe.

»Und, wie geht es der Senatorin so?«

Henry Meyers ist mit Juliana Christiansen verheiratet, einer Staatssenatorin, die mindestens zwanzig Jahre älter als er ist. Das weiß ich, weil sie mit James’ Mutter Stella befreundet ist. Und Stella liebt es, diese Freundschaft in beinahe jeder Unterhaltung zu erwähnen. »Neulich beim Brunch meinte die Senatorin …« und so weiter und so fort. Henry und die (Staats-)Senatorin haben eine Gratismitgliedschaft in unserem Club. James’ Mom denkt, es bringe ihr irgendwie Prestige, wenn die Frau unsere Geräte vollschwitzt – die sie übrigens nie abwischt, nachdem sie sie benutzt hat.

»Oh, ihr geht es gut. Sie wissen schon, immer viel zu tun«, antwortet er, räuspert sich und steckt die Karten wieder in seine Sporttasche. »Nun, ich muss mich für die HIIT-Stunde fertig machen, aber es war schön, dich zu sehen, James.«

»Immer eine Freude«, flöte ich, obwohl er nichts davon gesagt hat, dass es auch schön sei, mich zu sehen. Ein finsterer Ausdruck jagt so schnell über Henrys Gesicht, dass ich fast schon glaube, es mir eingebildet zu haben, ehe er Richtung Umkleide von dannen stürmt.

»Was war das denn?«, fragt James mich stirnrunzelnd, als er weg ist.

»Was war was?«, frage ich und blinzle ganz schnell, um extrem unschuldig auszusehen.

»Du hast mir die Tour vermasselt!«

»Ich würde sagen, seine Ehefrau, die Senatorin, hat das lange vor mir getan«, schnaube ich belustigt.

»Hey, wenn ich dir deine unsinnigen Träumereien lasse«, sagt James und zeigt auf meine Zeichnung, »dann kannst du mir auch meine lassen.«

»Okay, nur dass meine nicht unsinnig sind.«

James beugt sich dicht an mein Ohr und flüstert: »Das sind sie schon, wenn du nicht endlich den Arsch hochkriegst, McCarthy.«

Okay, ich verstehe, was er meint, manchmal muss man eben etwas riskieren. Ob das nun bedeutet, mit dem verdammt heißen Gatten einer Senatorin zu flirten oder tatsächlich etwas zu unternehmen, um an seinen Traumjob zu kommen. Vielleicht hat er gar nicht mal so unrecht. In gewisser Weise ist es ein unsinniger Traum. Aber ich will es so sehr, dass ich es fast schmecken kann.

»Ich habe den Arsch oben«, sage ich, und er wirft lediglich einen Blick auf meinen gepolsterten Bürostuhl und hebt die Augenbraue. »Okay, vielleicht nicht gerade jetzt, aber ganz allgemein. Ich überlege, ob ich mich als Studioleitung für den neuen Club bewerbe.«

James scheint einen Moment darüber nachzudenken. »Du bist die Einzige, die tatsächlich hier arbeiten will«, sagt er. Wow. Sein Glaube an mich ist atemberaubend.

Das neue Studio ist fünfundvierzig Minuten weit weg von hier – das bedeutet Pendeln, ja, aber es nicht allzu schlimm, und mit dem zusätzlichen Gehalt könnte ich mir einen zuverlässigeren Wagen leisten. James’ Eltern haben es in den letzten sechs Monaten aufgebaut und beschäftigen sich jetzt endlich mit der Personalfrage.

Klar, das wäre nicht wirklich mein eigenes Studio, aber nah dran. Wenn ich dort als Studioleitung anfangen könnte, wäre ich der Chef. Alles bliebe mir überlassen. Ja, nun, alles, was mir nicht von Stella und George, den eigentlichen Eigentümern, vorgeschrieben wird, aber trotzdem. Sie können mich nicht ewig hier Schlüsselkarten scannen lassen. Zumindest hoffe ich das.

»Bewirbst du dich gleich heute?«, fragt er.

»Nein, aber … äh … bald.«

»Na klar …«

Ich werfe den Stift nach ihm und wende mich ab, um den nächsten Kunden einzuchecken. »Was wolltest du eigentlich?«, frage ich ihn. »Du meintest, du müsstest mich etwas fragen, weißt du noch, bevor du diesen Gefühlsausbruch hattest und mit einem verheirateten Mann geflirtet hast und …«

»Stimmt«, unterbricht er mich. »Ich brauche einen Gefallen. Einen riesigen. Ich …«

Ich drehe mich verwirrt zu ihm um, weil er aufgehört hat, zu sprechen, und sehe, dass er sein berüchtigtes selbstzufriedenes Grinsen, das mit den leicht zusammengekniffenen Augen, aufgesetzt hat.

»Was es auch ist, nein«, antworte ich.

»Du weißt doch gar nicht, was ich dich fragen will!«

»Ich weiß, dass nie etwas Gutes dabei rauskommt, wenn du dieses … Ding mit deinem Gesicht machst.« Ich wedle mit der Hand.

»Stimmt doch gar nicht.« James beugt sich vor, und jetzt grinst er, so breit er kann. »Tatsächlich ist mir gerade klar geworden, dass der Gefallen, um den ich dich bitten will, auch ein Gefallen für dich wäre.«

Ich runzle die Stirn. »Was du da sagst, ergibt keinen Sinn, das ist dir bewusst, ja?«

Er hebt einen Finger. »Was, wenn ich dir sagen würde, dass auf dich und mich eine Gelegenheit wartet, Zeit mit meinen Eltern zu verbringen und dich zur Top-Anwärterin für diesen Job zu machen, und zwar auf eine Weise, zu der ein jämmerlicher Lebenslauf nie in der Lage wäre.«

»Dann wäre ich extrem misstrauisch. Deine Eltern dulden ja kaum dich, geschweige denn mich. Du und ich zusammen sind praktisch das Sinnbild ihrer Enttäuschungen und ihres Bedauerns.«

»O ihr Kleingläubigen«, schnaubt er und tut so, als würde er gehen. »Na gut, wenn du es nicht wissen willst …«

»Sag es einfach«, seufze ich. Selbst wenn ich versuche, mich nicht auf seine Taktiken einzulassen, werde ich doch irgendwie reingezogen. Wenn ich jetzt direkt frage, weiß ich wenigstens, womit ich es zu tun habe.

James dreht meinen Stuhl so schnell, dass mir schwindelig wird. »Du erinnerst dich, dass meine Schwester nächstes Wochenende heiratet?«

»Wie könnte ich das vergessen? Stella lässt mich schon seit Wochen Gastgeschenke einpacken, weil sie mich ja ohnehin für die Stunden bezahlt.« Ich rolle mit den Augen.

»Okay, dann sind es zwei Fliegen mit einer Klappe«, meint James.

»Was?«

»Komm mit mir zu Caras Hochzeit. Darum wollte ich dich ohnehin bitten. Nur dass du jetzt nicht einfach nur mir helfen würdest, du könntest auch die Gelegenheit nutzen, meinen Eltern Honig ums Maul zu schmieren, damit sie deine Bewerbung nach ganz oben befördern, und als kleinen Bonus kannst du sogar noch die Früchte deiner Arbeit genießen.« Er lehnt sich mir verschwörerisch entgegen. »Diese jordanischen Mandeln essen sich nicht von allein, weißt du.«

»Nein, auf keinen Fall.« Wenn es etwas gibt, auf das ich weniger Lust habe, als James’ verwöhnte Schwester bei ihrer Barbie-Traumhochzeit herumstolzieren zu sehen, dann fällt es mir gerade definitiv nicht ein. Schlimm genug, dass meine Finger wund von alldem Tüll sind, sie kriegt nicht auch noch mein einziges freies Wochenende in diesem Monat.

»Komm schon, bitte, bitte, bitte.« James fällt flehend auf die Knie, als die nächste Kundin auf den Tresen zukommt. »Das würde uns beiden so sehr helfen!«

»Stehst du jetzt auf?«, presse ich durch zusammengebissene Zähne.

»Lizzy, bitte, ich …«

»Musst du nicht einen Kurs unterrichten, James?«, fragt Roger, als er mit seinem Schlüsselband zu uns kommt. Er ist der Geschäftsführer dieses Studios, das die Nummer 105 trägt (weil Stella darauf bestanden hat, das erste 101 zu nennen, als hätte sie davor schon 100 eröffnet). Und während ich es gewohnt bin, dass Leute mich anschreien, ist Roger hier der Einzige, der das auch bei James wagt – außer mir natürlich.

»Erst in zehn Minuten, Boss«, antwortet James und steht gespielt stramm. Roger runzelt die Stirn.

»Mir gefällt es nicht, dich hier am Tresen zu sehen, wo du Lizzie ablenkst. Was, wenn sich jemand beschwert?«

Bei seiner Mutter?, will ich sagen, lasse es aber dann doch. Die Chance steht so ziemlich bei null.

»Ich würde nie Probleme machen, Roger«, sagt James und richtet sich auf. »Und Lizzie, denk darüber nach, ja?« Er will gerade gehen. Doch dann dreht er sich noch einmal um, presst die Hände zusammen und formt mit den Lippen das Wort »Bitte«.

Mist, er wird niemals aufgeben.

Kapitel 2

Es ist mein freier Tag.

Eigentlich sollte ich ihn damit verbringen, an meiner Bewerbung zu arbeiten, stattdessen habe ich schon beim Aufwachen drei Textnachrichten von James, in denen er mich anbettelt, mit ihm zu der Hochzeit zu gehen, und noch schlimmer, ein weiteres Dutzend Nachrichten von meiner Mutter. Sie beschwert sich, dass ihr das Kabelfernsehen abgestellt wurde und die Stromrechnung überfällig ist, was sie beides nun zu meinem Problem macht, das ich für sie lösen muss. Die Probleme meiner Mom haben generell die Angewohnheit, schnell zu meinen zu werden, und ich habe schon vor langer Zeit gelernt, dass es einfacher ist, sich gleich darum zu kümmern, als zu hoffen, dass sie einfach von selbst verschwinden oder, Gott bewahre, sie es selbst tut.

Das wird sie nicht. Ist nicht ihr Stil.

Mom und ich waren arm, und ich meine so richtig arm, als ich aufwuchs. Wir lebten in einer halb verlassenen Stadt, in der es nicht viel gab außer einem leeren koreanischen Supermarkt, einem Burger King und einem heruntergekommenen Fitnessstudio, das mit einer monatlichen Mitgliedsgebühr von 9,99 Dollar prahlte. Mom freundete sich mit der Managerin an, die gerne ein Auge zudrückte, wenn meine Mutter mich den ganzen Tag in der Kinderbetreuung ließ, statt der erlaubten einen Stunde.

Während andere Kinder das Alphabet lernten, lernte ich, wie man Sportmatten desinfiziert. Wir unterscheiden uns grundlegend.

Und zu Hause war es nicht besser. Das Leben meiner Mutter war einfach eine lange Reihe von Abhängigkeit, Zwangsräumungen und Lebensentscheidungen, die nicht schlechter hätten sein können, hätte sie es bewusst versucht. Und schließlich war ich immer diejenige, die die Scherben wieder einsammeln musste – ob das nun bedeutete, von der Hälfte meines Gehalts ihre Rechnungen zu bezahlen oder meine Kindheit damit zu verbringen, meine Mom vom Boden diverser Bars aufzusammeln.

Wenn man eine Mutter wie Pattie hat, begreift man recht schnell, dass man sich einzig auf sich selbst verlassen kann – und leider ist man selbst auch die Einzige, auf die sie sich verlassen kann.

Dieses Verständnis von Verantwortung wird Teil deiner DNS und deines Wesens, selbst wenn du es nicht willst. Selbst mein »Neustart« mit neunzehn führte mich nur zwanzig Minuten den Highway hinunter. Ich konnte meine Mom nicht wirklich verlassen – obwohl alles in mir geschrien hatte, ich sollte es –, aber wenigstens hatte ich etwas Raum zum Atmen.

Deshalb bleibe ich noch eine Weile in meiner Wohnung, statt direkt zu ihr zu fahren. Ich mache sogar kurz im Studio halt und schiebe eine schnelle Trainings-Session ein, um mein Rückgrat zu stärken, als würde jedes Heben der Gewichte mich innerlich und äußerlich stärker machen. Ein Tag, an dem man seine persönliche Bestleistung übertrifft oder es zumindest versucht, kann schließlich kein gänzlich schlechter Tag sein, oder?

Zweimal kommt mir jemand in die Quere, als ich nahe dem Haus meiner Mutter parallel einparken will, aber ich weiß nicht einmal, ob es mir etwas ausmacht. Ich fahre einfach nur ziellos um den Block und warte, dass jemand seinen Parkplatz freigibt. Kein Problem.

Aber dann, als ich endlich eine Lücke gefunden habe, meldet sich mein Handy.

KOMMST DU NUN, ODER WAS?

Mist. Alles in Großbuchstaben. Sie verfolgt mich vermutlich auf »Find my Friends«.

Als ich ihr ein neues Handy besorgt habe – über meinen Vertrag natürlich –, setzte der Mann im Laden es ganz »hilfsbereit« für uns auf. Ich glaube, er dachte, er würde mir einen Gefallen tun, weil ich jetzt ganz einfach meine Mutter im Blick behalten kann. Ich brachte es nicht über mich, ihm zu sagen, dass sie jünger ist, als sie aussieht – ein Leben voller Alkohol und der Himmel weiß was sonst noch hat diese Wirkung –, oder dass, wenn überhaupt, ich diejenige war, die im Blick behalten werden würde.

LIZZIE

Danke auch, Apple-Store-Typ!

»Hey, Ma!«, rufe ich fröhlich beim Eintreten. »Riecht gut hier.«

Tut es nicht. Es riecht nach abgestandenem Zigarettenrauch und verbranntem Essen, aber sie hat die Kerze mit Keksduft angezündet, die ich ihr letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt habe, also beschließe ich, so zu tun als ob.

»Charmant«, presst sie an der Zigarette vorbei, die zwischen ihren Lippen hängt. »Hast dir genug Zeit gelassen.«

»Hab keinen Parkplatz gefunden.«

»Ach deshalb warst du im Fitnessstudio?«, lallt sie.

Wundervoll! Sie ist schon vor Mittag betrunken. Heute ist mein Glückstag. Ich frage mich, ob es zu seltsam wäre, wenn ich mir einfach ihre Rechnung schnappen und mich aus dem Staub machen würde, so was wie ein umgekehrter Einbruch – wir klauen nichts, sondern verhelfen Ihnen zu über 257 Kabelkanälen! –, beschließe dann aber, es sein zu lassen.

»Ich musste erst mein Gehalt abholen«, lüge ich, weil es keinen Sinn hat, mit ihr in diesem Zustand zu diskutieren.

Meine Ausrede scheint sie zu besänftigen, und sie lässt sich wieder in ihren übergroßen Sessel fallen. »Ich vermisse meine Serien«, sagt sie und zeigt auf den schwarzen Bildschirm des Fernsehers. »HDMI2« blinkt dort träge in der Ecke und wartet auf ein Signal, das niemals kommen wird.

Nun, bis ich die Rechnung begleiche.

»Was ist los, Mom? Ich habe dir doch erst vor einigen Wochen Geld gegeben?«

Sie beugt sich vor. »Ich frage dich auch nicht, wie du dein Geld ausgibst. Und jetzt zieh die Jacke aus, bleib etwas.«

Ich gehorche und verzichte darauf, anzumerken, dass ihr Geld praktisch mein Geld ist und ich deshalb vielleicht, nur vielleicht, doch ein Recht habe zu fragen.

Aber es ist die Diskussion nicht wert.

Das Verhältnis zwischen mir und meiner Mutter ist … kompliziert. An guten Tagen ist sie sogar recht amüsante Gesellschaft. Zumindest kann ich erkennen, wo ich meinen Sarkasmus herhabe. Aber an den schlechten – und sie hatte seit Jahren keine guten mehr – kann sie mich allein mit einem vernichtenden Blick bis ins Mark treffen. Man weiß nie, welche Version von ihr einen erwartet, bis es zu spät ist.

Deshalb bin ich damals gegangen, selbst wenn ich nicht weit gekommen bin.

»Was macht die Arbeit?«, fragt sie, und ein Teil von mir weiß, dass sie sich nur erkundigt, um sicherzustellen, dass ich auch genug arbeite, um weiterhin einen Teil meines Gehalts ihr geben zu können. Aber ich gebe mich – zumindest ein wenig – der Illusion hin, dass sie fragt, weil sie sich für mich interessiert.

Ich bin gerade dabei, ihr von dem neuen, aufregenden Trainingsprogramm zu erzählen, an dem ich mit James arbeite, als sie aufsteht und beginnt, zwischen den Papieren auf ihrem Küchentisch zu kramen. Sie wählt ein paar aus und wirft sie in meinen Schoß.

Ach ja, die Rechnungen.

»Ich habe angerufen, und wenn du noch vor fünf bezahlst, schalten sie meinen Fernseher heute Abend wieder frei«, sagt Mom mit einem Ausdruck, bei dem ich mich frage, ob sie denkt, dass sie mir einen Gefallen tut. »Du kannst es im Supermarkt bezahlen. Ich hab gefragt.«

Natürlich hat sie das.

Ich seufze und öffne die erste Rechnung. Das ist ihr Kabelanbieter, und sie ist drei Monate im Verzug. Dann der Strom. Die Zahl tut weh. Ich kann es begleichen, aber danach bin ich praktisch pleite.

»Mom«, sage ich, aber sie winkt ab. Sie geht zurück in die Küche und holt ein Sandwich aus dem Kühlschrank. Erdnussbutter und Marshmallow-Creme, in Dreiecke geschnitten und ohne Kruste. »Dachte, du hast vielleicht Hunger.«

Ist es manipulativ? Ja.

Macht es mich trotzdem glücklich, dass sie es für mich gemacht hat? Auch ja.

Ich stopfe die Rechnungen in meine Tasche und das Sandwich in meinen Mund. Es fühlt sich an wie in den alten Zeiten, guten Zeiten, wenn man nicht zu genau hinsieht.

Bis sie diese glückliche Stille durchbricht, indem sie mir anbietet, mir die Adresse des nächsten Supermarkts zu geben. Scheinbar hat sie direkt nach dem Telefonat mit dem Kabelanbieter einen Pin auf Apple Maps gesetzt.

»Ich versuche nur, dir zu helfen«, sagt sie.

Ja. Klar.

Aber wenigstens gibt mir das eine Gelegenheit, mich zu verabschieden.

»Dann mache ich mich mal besser auf den Weg«, sage ich und drücke ihr einen schnellen Kuss auf die Wange, ehe ich meinen Teller zur Spüle trage. »Je früher ich dort bin, desto eher hast du wieder Fernsehen.«

Sie strahlt, und ich weiß, dass ich genau das Richtige gesagt habe. Schnell schlüpfe ich wieder in meine Jacke und verschwinde, bevor sie ihre Meinung ändert.

Kurz und schmerzlos.

Nun, kurz und ziemlich schmerzhaft für mein Konto, aber trotzdem. Ich habe es relativ unbeschadet wieder rausgeschafft, und als ich die Treppe vor ihrem Haus hinuntereile und auf den Bürgersteig trete, durchflutet mich Erleichterung. Doch so schnell wie die Erleichterung da war, ist sie auch schon wieder weg und hinterlässt eine schmerzhafte Einsamkeit, die mich in solchen Situationen immer zu überkommen scheint.

Als ich noch jünger war, habe ich zugelassen, dass ich mich darin suhlte, mich von all den Was-wäre-Wenns überwältigen ließ. Was, wenn meine Mom sich um mich kümmern würde? Was, wenn sie einen Entzug machen würde? Was, wenn sie keine solche verdammte Narzisstin wäre?

Aber es hat keinen Sinn. Ich kenne die Antworten auf diese Fragen in- und auswendig. Sie tut es nicht, sie wird es nicht tun, das wird sie immer sein.

Als ich gerade ins Auto steige, erreicht mich eine weitere Nachricht von James – eine kurze Erinnerung daran, dass heute Abend unser Bachelor-Abend ist und er rüberkommt, sobald er mit seinem letzten Kunden fertig ist. Und gleich darauf natürlich noch eine Nachricht, in der er mich anfleht, seine Begleitung zu sein.

Sosehr er nerven kann, in gewisser Weise ist er die einzige Familie, die ich je hatte. Und der Besuch bei meiner Mutter war nur eine weitere Bestätigung. James hat mir zu einem Job und zu einem Freund verholfen, als ich nichts davon hatte, und ließ mich auf seiner Couch übernachten, bis ich meinen ersten Gehaltsscheck erhielt, statt mich im Auto schlafen zu lassen. Selbst wenn ich ihm das niemals vergelten kann, will ich es wenigstens versuchen.

Kurz starre ich seine Nachricht an, dann wappne ich mich und antworte.

Okay, okay. Lass uns heute Abend über die Hochzeit reden.

Die Wand von Smiley-Emojis, mit der er antwortet, raubt mir fast das Augenlicht.

Kapitel 3

»Habe ich dir in letzter Zeit mal gesagt, wie toll du bist?«

James steht vor meiner Tür mit zwei Tüten, in denen sich der Geruch nach Essen von meinem Lieblings-Chinarestaurant, Golden Bird, befindet. Es ist unser wöchentliches Dienstagabendtreffen, bei dem wir uns den Bachelor ansehen. Ja, ich weiß, es läuft montags, aber ich kann es mir nicht leisten, meinen und Moms Kabelanschluss zu bezahlen, also muss ich die vierundzwanzig Stunden abwarten, bis ich es mit meinem miesen, mit Werbung verpesteten Hulu-Tarif ansehen kann. Man muss James zugutehalten, dass er sich nie beschwert.

»Dieser plötzliche Schwall an Zuneigung hat nicht zufälligerweise etwas damit zu tun, dass ich zugestimmt habe, mir deinen Vorschlag mit der Hochzeit durch den Kopf gehen zu lassen, oder?« Ich nehme ihm die Tüten ab und gehe lächelnd in die Küche. Obwohl wir uns jede Woche hier zum Essen treffen, bin ich normalerweise nicht diejenige, die bestimmt, was es gibt. Vor allem, weil meine Vorlieben ein wenig … oder sehr … unter dem angesiedelt sind, was Mr. »Mein Körper ist mein Tempel« hier bevorzugt. Wenn er versucht, mich mit Golden Bird zu bestechen, dann muss er wirklich verzweifelt sein.

Ich hebe eine Augenbraue, als er nur grinst, aber dann schiebt er sich an mir vorbei zu dem Schrank, in dem ich meine Teller aufbewahre – ein gebrauchtes Set mit abgesplitterten Stellen, das Mom mir für meine erste Wohnung geschenkt hat. Eigentlich wollte ich es irgendwann ersetzen, aber ich rede mir ein, dass ich es behalte, weil es mir wirklich gefällt und nicht, weil ich es nicht über mich bringe, mein weniges Geld für etwas auszugeben, das niemand außer mir – und einmal die Woche James – zu sehen bekommt.

»Ich habe dir Generals Tso’s Tofu bestellt!«, flötet er und schaufelt bereits Essen auf meinen Teller. Sorgfältig träufelt er ein wenig – aber nicht zu viel – Soße auf meinen Klebreis. In diesem Haus sagen wir nicht »Du liegst mir am Herzen«, wir sagen »Ich kenne all die merkwürdigen Arten, wie du dein Essen magst, und ich unterstütze dich voll und ganz«.

»Ist mir aufgefallen«, sage ich, als er mir den Teller mit der Begeisterung eines gerade aus einem Karton gepurzelten Labrador-Welpen in die Hände drückt.

Er schaufelt sich mit übertriebenen Gesten ein wenig auf seinen eigenen Teller, begleitet von einem »Mmmmh, riecht das gut!«, das nicht gespielter hätte klingen können. James hatte nie Skrupel, mir offen mitzuteilen, dass das hier kein chinesisches Essen ist. Dass er echtes chinesisches Essen hatte, als er nach dem College zwei Jahre die Welt bereiste. Dass das hier eine »fade Nachahmung« und »amerikanisiertes Fastfood« ist, das »scheiße schmeckt«.

Ich mag nicht mit dem Rucksack quer durch Europa und Teile Asiens getourt sein, aber ich weiß, was gutes Essen ist. Und Golden Bird ist die Spitzenklasse.

Ich weiß, ich weiß, für jemanden, der ein Fitnessstudio eröffnen will, esse ich ziemlichen Mist. Und das stimmt auch. Ich esse gerne billig und deftig, was in der Regel nicht gesund bedeutet. Aber wenn man so aufwächst wie ich, dann ist billig und deftig alles, was man kennt. Ich glaube nicht, dass ich vor meinem Auszug je Gemüse hatte, das nicht aus der Dose kam, und selbst dann war es immer tiefgekühlt, bis ich begann, Zeit mit James zu verbringen.

Ich habe fest vor, in meinem neuen Studio einen Ernährungsberater einzustellen. Vielleicht werde ich sogar seinen Rat suchen. Aber definitiv nicht an unserem Bachelor-Abend.

Ich folge James ins Wohnzimmer, und wir lassen uns auf die übergroße Couch fallen. Sie ist eigentlich viel zu riesig für mein Wohnzimmer, aber so schön und bequem, dass ich nicht ablehnen konnte, als James anbot, sie mir gratis zu überlassen. Der Mann kauft sich jedes Jahr ein neues Sofa. Er meint, sie würden ihn schnell langweilen. Ich frage mich, wie es ist, wenn man die Zeit und das Geld hat, von seiner Couch gelangweilt zu sein.

Ich schiebe mir ein riesiges Stück Tofu in den Mund und genieße es, während James die Sendung auf meinem Laptop aufruft und auf Play drückt. In mir meldet sich Neugier, warum er denkt, diese Hochzeitssache sei so eine gute Idee, aber ich weigere mich, den Geduldwettstreit zwischen uns zu verlieren.

»Heute Abend, in der bislang dramatischsten Staffel von …«, plärrt der Moderator.

»Also, die Hochzeit?«, platze ich heraus. »Ich dachte, du wolltest mit …«

»Leise, Queen Cassie spricht.«

Ich rolle mit den Augen. »Sie ist ganz offensichtlich nur wegen der Produzenten da! Sie ist nicht mal in der engeren Auswahl! Bevor ich mich auf diese Sache einlasse, habe ich noch einige Frag…«

»Leise!«, sagt er, dieses Mal lauter, den Blick auf den Bildschirm geheftet. Aber ich sehe, dass er mit dem Knie wippt – eines seiner Stresssignale. Ich mustere sein Gesicht einen Moment und beschließe dann, es einfach zu akzeptieren. Wenn er bereit ist, wird er mir schon sagen, worum es hier wirklich geht. Wahre Freunde warten.

Zwei Portionen Tofu und drei Werbepausen später dreht er sich schließlich zu mir und platzt heraus: »Okay, also im Prinzip wärst du mein Date.«

»Was?«, keuche ich, denn ja, als die einzigen beiden queeren Mitarbeiter des The Fitness Place fühlen wir uns definitiv voneinander angezogen, aber nur im platonischen Sinne. James ist schwul, und obwohl ich mich nicht auf ein Gender beschränke, stehe ich so ganz und gar nicht auf Muskelprotze wie ihn.

James rollt mit den Augen. »Nicht als Date-Date, nur als Begleitung, als Schutzschild gegen Familiendrama, als moralische Unterstützung. Es ist bloß … du kennst ja meine Mom.«

»Okay, du solltest wirklich daran arbeiten, wie du mir das präsentierst. Ich habe nicht das Gefühl, dass es wirklich diese ›wunderbare Gelegenheit, deinen Eltern Honig ums Maul zu schmieren‹ ist, als die du sie mir verkaufen willst. Was ist wirklich los?«

James reibt sich das Gesicht. »Verstehst du überhaupt, wie erniedrigend es für mich ist, dich darum bitten zu müssen?«

»Wow, danke auch«, antworte ich.

»So meinte ich das nicht. Es ist nur …« Er lässt den Kopf in den Nacken fallen. »Dan hat mich sitzengelassen. Schon wieder. Ich wollte es dir nicht erzählen, weil du gleich meintest, dass es einen guten Grund gibt, warum ein Ex ein Ex ist, aber ja. Und ich habe meiner Mom bereits angekündigt, dass ich jemanden mitbringe, deshalb …«

Ich seufze, ziehe ihn in eine Umarmung und widerstehe dem Drang, ihm ein »Ich hab’s dir ja gesagt« unter die Nase zu reiben. Diese Situation ist nicht unbedingt eine Seltenheit bei ihm, und ich denke, wir haben es beide kommen gesehen. James ist auf diese perfekte Weise attraktiv, die ihn von einer Beziehung zur anderen springen lässt, ohne es überhaupt zu wollen. Er schläft nicht wahllos mit jedem und ist auch definitiv nicht das, was man einen Fuckboy nennen würde, aber er flirtet oft unbewusst (oder wenn es um Senatorinnengatten Henry geht, auch bewusst). Was bedeutet, dass er die Hälfte der Zeit an Leute gerät, die in ihm nur jemanden für eine Nacht und eine weitere hübsche Kerbe in ihrem Bettpfosten sehen.

Leider verliebt James sich so oft, wie andere Leute ihre Unterwäsche wechseln. Nach fünf Minuten gibt er schon ihren zukünftigen Kindern Namen und debattiert die Vorzüge von Gänseblümchen vs. Chrysanthemen für die Blumenarrangements ihrer unweigerlich bevorstehenden Hipster-Scheunenhochzeit. Und dann bekommen seine Dates Panik und melden sich einfach nicht mehr. Wie es Dan jetzt scheinbar schon zum zweiten Mal getan hat.

Und während James den beinahe schon pathologischen Wunsch hat, sich zu binden, ist bei mir genau das Gegenteil der Fall. Zusammengenommen ergeben wir einen ziemlich ausgeglichenen Menschen. Jeder für uns sind wir wandelnde Katastrophen. Er ist der Bruder, den ich nie hatte und immer wollte.

Wir sind ein kurioses Paar. Zwei queere Menschen, die sich stramm auf die falsche Seite der 30 zubewegen und sich einmal die Woche treffen, um zuzusehen, wie Leute, die sowohl jünger (als wir beide) und attraktiver (als ich) sind, Rosen verteilen, für die einer von uns (er) alles tun würde und die den anderen (mich) zum Brechen bringen würden.

»Tut mir leid wegen Dan«, sage ich und wuschle ihm durchs Haar. »Aber andere Mütter haben auch schöne Söhne.«

»Wirklich, Lizzie? Haben sie das? Ich bin achtundzwanzig! Ich bin praktisch eine dieser verschrumpelten Leichen aus den Vampirserien, die ich mir wegen dir ansehen musste.«

Okay, vielleicht hat er doch keine Witze gemacht, als er meinte, dass er Albträume von den Vampire Diaries bekommt. Ich dachte, es wären die Monster, aber vielleicht war es auch die Angst, uralt zu sein, die sein Unterbewusstsein in Panik versetzt hat. Autsch.

»Du bist ja wohl nicht verschrumpelt«, schnaube ich. »Und selbst wenn du es wärst, würden wir dir einfach etwas Blut besorgen. Problem gelöst.«

»Haha, sehr witzig. Ernsthaft, Lizzie. Ich brauche dich!« Er zieht einen Schmollmund. »Es ist die Stunde meiner Not!!! Ich wurde verlassen!«

»Okay, bevor das hier noch ewig weitergeht, möchte ich einfach nur gerne noch einmal anmerken, dass die Ehe eine dämliche soziale Institution ist, die dazu dient, Frauen in die Falle zu locken und sie wie Gegenstände zu behandeln. Wenn ich dich also begleite, verrate ich meine moralischen Prinzipien.«

»Zur Kenntnis genommen«, sagt er. »Aber erinnere mich noch mal, welcher Teil deiner moralischen Prinzipien am Werk war, als du zwei verschiedenen Brautjungfern die Zunge in den Hals gesteckt hast, nachdem wir diese Hochzeitsfeier in Newport gecrasht hatten?«

»Queeres Chaos geht über moralische Prinzipen, vor allem wenn es ums Herummachen geht.«

James lacht. »Alles klar, die Moral des Herummachens also. Verstanden.«

»Außerdem ist es irgendwie seltsam, weil ich Cara bislang noch nicht einmal getroffen habe. Hat sie nicht die ganze Familie zurückgelassen und ist nach New York abgehauen, um Immobilienanwältin zu werden? Was war da überhaupt los?«

»Sie war einfach nur sehr beschäftigt!«

»Acht Jahre lang?«

»Scheint so!«, jammert er. »Ich bin allerdings einmal zu ihr geflogen!«

»Trotzdem bin ich ihr noch nie begegnet. Und jetzt willst du, dass ich mit zu ihrer Hochzeit komme.«

»Als mein freundschaftliches Date«, antwortet er.

»Okay, aber darf ich dich daran erinnern, dass deine Eltern, du weißt schon, meine Chefs sind?! Ich weiß, dass du das als Plus und nicht als Grund dagegen siehst, aber deine Mutter ist so gestresst wegen dieser Hochzeit, und sie will so dringend die Senatorin beeindrucken …«, antworte ich. »Du versuchst, das so hinzudrehen, als wäre es auch für mich eine gute Sache, aber glaubst du nicht, dass sie vielleicht noch schlechter auf mich zu sprechen sind, wenn ich dort aufkreuze?«

»Was, wenn ich dich bezahle?«, fragt er. »Nenn einen Preis, ernsthaft, ich bin verzweifelt.«

»Himmel, du kannst mich nicht bezahlen, damit ich mit dir zu dieser Hochzeit gehe. Was müsste ich für ein Mensch sein, um das zu akzeptieren?«

»Lizzie, bitte, ich flehe dich an. Zwing mich nicht, mich dem allein zu stellen. Meine Mom wird versuchen, mich mit allen zu verkuppeln, und Cara wird mich für einen Loser halten, mit ihrem perfekten Verlobten und der perfekten Hochzeit auf einem Weingut. Wusstest du, dass Max politische Ambitionen hat? Warum auch nicht, schließlich sind sie das perfekte erfolgreiche Paar!«, meint er abfällig. »Mom erzählt mir ständig, wie toll und klug sie sind, und dass sie die niedlichsten Babys haben werden. Fuck.«

»Ich weiß nicht mal, wer Max ist«, sage ich, aber er ignoriert mich.

»Meine Eltern interessiert nur, dass seine Familie über Generationen hinweg stinkreich ist und wichtige politische Verbindungen hat.« Er stöhnt. »Lizzie, bitte zwing mich nicht, da allein hinzugehen und unter all diesen langweiligen Leuten sitzen zu müssen. Bitte, bitte, bitte, ich flehe dich auf Knien an.«

Das tut er nicht, aber als ich die Augenbrauen hebe, gleitet er langsam vom Sofa. Ich stoße ihn mit der Schulter an, und er setzt sich verlegen wieder auf die Couch.

»Kannst du nicht stattdessen Mina fragen? Wenn du so dringend eine Freundin mitnehmen willst, dann könntest du eine nehmen, die sie lieber mögen als mich.«

»Falls es dir nicht aufgefallen ist: Mina ist im achten Monat schwanger. Du bist meine einzige Hoffnung.«

»Komm schon«, sage ich, obwohl ich jetzt schon weiß, dass ich nachgeben werde, und er weiß es auch.

Ich richte den Blick wieder auf den Bildschirm, wo Queen Cassie gerade mit dem Finger nach der Brust einer anderen Frau sticht. James verpasst die ganzen guten Stellen. Ich verpasse die ganzen guten Stellen wegen James.

»Habe ich schon erwähnt, dass du am Tisch der Familie sitzen würdest?«

»Ich dachte, du wolltest mich überreden, nicht abschrecken?«

»Ich meine es ernst«, sagt er. »Du hättest praktisch den ganzen Abend Zeit, ihnen zu zeigen, wie toll du bist. Das wäre ein riesiger Vorteil für dich.«

»James, ich hab dich lieb, wirklich, doch ich garantiere dir, dass sie bei der Hochzeit ihrer Tochter nicht über meine Beförderung werden sprechen wollen. Aber netter Versuch.«

»Das nicht«, gibt James zu. »Ich sage ja auch nicht, dass du dich ihnen für den Job empfehlen sollst, während sie zum Altar schreitet, aber du hättest so viel Zeit mit ihnen. Sie könnten dich mal außerhalb des Studios kennenlernen. Und wenn sie dann deine Bewerbung sehen, denken sie sich ›Oh mein Gott, wir lieben Lizzie schon jetzt. Erinnerst du dich, wie toll sie bei Caras Hochzeit war? Sie ist die Richtige für den Job!‹«

Ich würde ihn für seine Zuversicht hassen, würde ich ihn nicht bereits dafür lieben.

»Verdammt noch mal«, seufze ich, weil es schön ist, jemanden zu haben, der an mich glaubt, aber ich werde ihm nicht die Genugtuung verschaffen, das zuzugeben.

Ein Lächeln breitet sich auf James’ Gesicht aus, als würde er mich völlig durchschauen. Er spießt mit meiner Gabel etwas Tofu auf, geht auf ein Knie und streckt ihn mir entgegen wie einen Ring.

»Lizzie McCarthy, willst du diese Rose, äh, diesen Tofu, haben und mein Beste-Freundin-Date bei Caras Hochzeit sein?«

Ich muss schnaubend lachen, ehe ich einen Bissen nehme und nachdenklich kaue. »Ich schätze, wenn du wirklich so verzweifelt bist …«

Er quiekt und stürzt sich auf mich, und auf dem Bildschirm wird Cassie von einer anderen Teilnehmerin in einen Pool gestoßen.

Kapitel 4

Caras Hochzeit findet auf einem luxuriösen Weingut in den Finger Lakes statt, einer der derzeit angesagtesten Regionen für Hochzeiten im Hinterland. Da die Anfahrt vier Stunden dauert, müssen wir zwei Nächte bleiben, eine für den Probedurchgang des Abendessens am Tag davor und eine für die Hochzeit selbst, was James natürlich freundlicherweise nicht erwähnt hat, bis er mir letzte Nacht beim Packen half.

Wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht, ob das etwas an meiner Entscheidung geändert hätte. Er war so nervös wegen dieser Sache, und mir gefällt nicht, wie er sich immer im Schatten seiner Schwester fühlt. Also nein, ich hätte ihn das niemals allein durchstehen lassen. Außerdem, ein Gratisurlaub in einer gar nicht mal so üblen Gegend, wo ich nicht zusehen muss, wie sich in meiner Wohnung die Wäscheberge türmen? Aber gerne doch.

James war sauer gewesen, weil seine Mutter ihm und Dan ein Doppelzimmer mit zwei Einzelbetten statt der noch freien King-Suite gebucht hatte. Es war nicht die Knausrigkeit, die ihn empörte, es war die Tatsache, dass sie annahm, sie würden ohnehin nicht miteinander schlafen wollen oder einfach die Betten zusammenschieben, wenn sie es ganz wild treiben wollten. Ich glaube, in diesem Moment, als wir beide unser Gepäck aus dem Kofferraum seines Audi e-tron hieven, sind wir beide dankbar dafür.

Stella erwartet uns bereits, als wir die Stufen der »Pension« hinaufsteigen, ein riesiges Herrenhaus-ähnliches Gebäude in der Mitte des Geländes, das vor allem für Hochzeiten und derartige Anlässe gedacht ist. (Allerdings werden die meisten Gäste außerhalb übernachten, in einer Reihe von Luxus-Airbnbs, die Stella persönlich handverlesen hat.) Hier gibt es lediglich ein gutes Dutzend Zimmer, jedes davon luxuriös und wunderschön: die Braut-Suite, die natürlich Cara bekommt, zwei King-Suites, von denen eine leer bleibt, und dann noch eine ganze Reihe von Einzel- und Doppelzimmern für diejenigen unter uns, die als so besonders erachtet werden, dass wir zum inneren Kreis gehören, aber nicht wichtig genug für das Level an Klasse und Bequemlichkeit, das die anderen genießen. Kein Wunder, dass James angefressen ist.

Auf Stellas Gesicht blitzt Erstaunen auf, als sie mich mit ihrem Sohn ankommen sieht. »Elizabeth«, sagt sie, obwohl ich es hasse, so angesprochen zu werden. Sie ergreift herzlich meine beiden Hände, während sie ihrem Sohn einen fragenden Blick zuwirft. »Was für eine schöne Überraschung. Ich wusste gar nicht, dass du dich uns heute anschließt.« Sie breitet meine Arme aus und mustert mich von oben bis unten, als würde sie meine Erscheinung wirklich in sich aufnehmen. »Gut siehst du aus!«

Ich trage meine Reisekleidung, die buchstäblich aus einem Paar Leggings und einem durchsichtigen Shirt über einem Tanktop besteht, aber ich weiß auch nicht. Ich schätze mal, alles sieht besser aus als die dummen dunkelblauen Poloshirts, die ich im Studio tragen muss. Vielleicht dachte Stella ja, dass ich keine anderen Klamotten besitze.

»Ja, Dan hatte leider keine Zeit, und ich wollte nicht allein kommen«, sagt James und erspart mir ein weiteres Verhör mit seiner Mutter, indem er sie in eine Umarmung zieht. Ich trete einen Schritt zurück und bin froh, ihrem Laser-Blick entkommen zu sein – und ihrem Du-gehörst-hier-nicht-her-Ausdruck –, selbst wenn es nur für einen Moment ist.

Sie umarmt ihn innig und lehnt sich dann zurück, um sein Kinn zu drücken. »Du wärst doch nicht allein gewesen! Deine Familie ist hier!« Dann vergräbt sie das Gesicht an seiner Schulter, als wollte sie dem letzten Punkt Nachdruck verleihen. James tut so, als würde er sich in den Kopf schießen, und ich unterdrücke ein Lachen.

Als würde Stella im alltäglichen Leben nicht schon genug übertreiben, als Mutter der Braut im Wedding-planner-Modus ist sie anscheinend zehnmal schlimmer.

»Und jetzt sollten wir euch einchecken«, sagt sie, ergreift unsere Handgelenke und schleift uns die wunderschöne Holztreppe hinauf – die so gebeizt ist, dass sie alt, aber gleichzeitig prunkvoll aussieht.

James nennt die Lobby anerkennend »farmhouse modern minimalist chic«, aber diese Wörter sagen mir in Kombination weniger, als sie es einzeln tun. Ich weiß nur, dass es hier verdammt viele Holzoberflächen und seltsame Winkel gibt, und dass jeder Stuhl in der Lobby aussieht, als wäre es schrecklich unbequem, darauf zu sitzen.

Stella führt uns zum Tresen, wo ein freundlicher Angestellter mit einem Männerdutt und einem Namensschild mit der Aufschrift Ramón auf uns wartet und bereits etwas in den Computer vor ihm eintippt.

»Ramón! Ramón!«, ruft Stella, als würde er uns nicht ohnehin schon ansehen. »Ramón, die nächsten Gäste sind da! Mein Sohn, er ist in dem Doppelzipper im ersten Stock.« Ich frage mich zum ersten Mal, wie lange sie wohl schon in dieser Lobby steht. Ob sie darin spukt wie in Das verräterische Herz und ob Ramón kurz davorsteht, zum Axtmörder zu werden …

»Freut mich, Sie kennenzulernen, Sir«, sagt Ramón, und der Augenkontakt mit James dauert gerade ein winziges bisschen zu lange an.

»James, bitte«, sagt er. »Und die Freude ist ganz meinerseits.« Und oh mein Gott. Wundervoll. Perfekt. Ich wusste, dass ich es irgendwie hinkriegen würde, dieses Wochenende das dritte Rad am Wagen zu sein, ich hätte nur nicht erwartet, dass es schon beim Einchecken losgeht.

»Ramón«, sagt Stella und trommelt mit den Fingern auf den Tresen.

Ich komme zunehmend zu dem Schluss, dass Cara die richtige Entscheidung getroffen hat, als sie beschloss, in die Stadt abzuhauen und keinen Blick zurückzuwerfen.

Was ich nicht verstehe, ist, warum sie für die Hochzeit zurückgekommen ist. Soweit ich es Stellas unaufhörlichem Geplapper im Studio entnehmen konnte, hat sie es ihrer Mutter überlassen, die ganze Show zu übernehmen. Wobei »überlassen« vielleicht ein zu starkes Wort ist, für das, was hier geschehen ist.

Ramón reißt sich lange genug von James los, um zwei Schlüsselkarten über einen Scanner zu ziehen.

»James und Dan, nehme ich an, zwei Nächte in unserem …«

»Nein, Dan ist mein Ex. Wir haben uns schon vor Ewigkeiten getrennt«, lügt James. »Das hier ist meine beste Freundin Lizzie. Meine platonische Seelenverwandte, an der ich keinerlei romantisches Interesse habe. Als gute Freundin hat sie sich bereit erklärt, mein plus one zu sein«, erklärt er, als müsste Ramón irgendetwas davon wissen. Neben mir schnaubt Stella leise bei der Vorstellung, dass ich in irgendeiner Beziehung zu ihrem Sohn stehen könnte, geschweige denn als beste Freundin und platonische Seelenverwandte – nicht dass James es bemerken würde. Alles okay. Gar kein Problem. Und hey, wenigstens wurde sie so von James’ anderem, viel größerem Geständnis abgelenkt, nämlich dass er und Dan sich schon wieder getrennt haben.

»Oh, ausgezeichnet«, strahlt Ramón und reicht uns unsere Schlüsselkarten. »Das erklärt die Einzelbetten.«

»Tut es«, lächelt James.

Ich nehme meine Karte mit einem Schulterzucken entgegen. »Nun, dann will ich euch beide mal nicht weiter stören«, sage ich und ziehe meinen Koffer hinter mir her. »Ich und mein platonischer Hintern schwingen sich jetzt in das rechte Bett, wo ich fernsehen werde, nur für den Fall, dass jemand noch vor dem Abendessen etwas von mir will.«

Stella zieht bei meiner Wortwahl die Stirn in Falten, aber ich kann nicht so tun, als wäre ich begeistert, dass James mich jetzt schon fallenlässt. Sie blickt zurück, wo Ramón und James sich über einen Tresen aus Marmorimitat mit Blicken vögeln, und ich frage mich, ob sie gerade mit sich hadert, welches das geringere Übel ist: ich oder irgendein Hotelangestellter.

Und mit einem Mal fühlt sich das alles an wie ein riesiger Fehler. Die Art riesiger Fehler, bei dem einem schwindelig und schlecht wird. Wie soll ich mich bei jemandem einschleimen, der meine schiere Anwesenheit verabscheut? Was mache ich überhaupt hier? Ich gehöre nicht auf Weingüter auf dem Land oder schicke Hochzeiten.

»Du interpretierst da zu viel rein«, murmele ich, obwohl es wie eine Lüge klingt. Es ist James’ Lüge – die, die er mir jedes Mal auftischt, wenn ich mich über seine Mutter beklage, die, die er mir jetzt auftischen würde, wenn ich ihm sagte, dass ich sie schnauben gehört habe. Sonst kann ich es nicht leiden, wenn er mich nicht ernst nimmt, aber in diesem Moment will ich dringend, dass er recht hat.

Ich beschleunige, und der Koffer knallt immer wieder gegen meine Hacken, weil er konstant im Teppich hängenbleibt. Wer bitte legt einen Flur mit einem Teppich aus? Nun, eine ganze Menge Leute, aber darum geht es hier nicht. Wenn man schon Teppich in seinem Hotelflur haben muss, dann sollte man sich für etwas Leichtes und Robustes entscheiden, nicht für diesen flauschigen Mist, in dem ich auf dem Weg zu meinem Zimmer praktisch schwimme.

Endlich, endlich erreiche ich meine Tür, wo ich mit einem letzten Ächzen den Koffer zu mir ziehe und die Karte an den Scanner drücke. Sie geht nicht auf.

Ich drücke noch einmal. Und statt eines grünen Lichts und eines Piepens antwortet mir ein rotes Licht und ein harsches Summen.

Ich versuche es schneller. Und noch schneller. Und langsamer.

Scannen, drehen, drücken. Scannen, drehen, drücken bis in alle Ewigkeit, während die Tür sich stur weigert, aufzugehen.

Ich drehe gleich durch. Ich drehe gleich so was von durch! Mit einem Tritt gegen die Tür lasse ich mich auf den Boden sinken. Ich bleibe einfach die nächsten zwei Tage hier sitzen, oder zumindest so lange, bis James mit einem funktionierenden Schlüssel kommt und mich rettet. Auf keinen Fall gehe ich zurück und störe ihn und Ramón, und ich gehe definitiv auch nicht zu Stella und bitte sie um Hilfe. Ich werde eine verdammt lange Dusche brauchen, bis ich den Klang ihres Schnaubens aus meinem Gehirn gewaschen habe. Wenn ich sie jetzt gleich wiedersehen muss, fange ich an, zu schreien.

Ich lasse den Kopf nach hinten gegen die Tür fallen und schließe die Augen. Bitte, bring mich einfach jemand um.

»Brauchst du Hilfe?« Beim Klang einer weiblichen Stimme zucke ich zusammen.

Ich reiße den Kopf hoch und blicke in das braunste Paar Augen, das ich je gesehen habe. Ich muss sofort an Kühe denken. Moment. So meine ich das nicht. Also, sie sieht nicht aus wie eine Kuh, nur ihre Augen sind groß und gefühlvoll und sanft wie die einer Kuh. Auf eine gute Art. Sexy Kuhaugen. Moment, das klingt seltsam.

Ich schlucke hart und versuche, mich zu konzentrieren.

Die Frau streicht sich ihr langes braunes Haar aus dem Gesicht und klemmt es hinter die niedlichsten Ohren der Welt. »Ähm«, sagt sie und leckt sich die perfekten rosafarbenen Lippen mit dem zierlichsten Amorbogen, den ich je gesehen habe. Sie hebt die Augenbrauen, die nach dem aktuellsten Trend gezupft sind, und ein kleines Lächeln huscht über ihr Gesicht. »Bist du okay?«

Scheiße. Scheiße, ich habe zu lange hingestarrt und mir systematisch jeden Teil ihres Gesichts eingeprägt, als hätte ich noch nie ein heißes Mädchen gesehen. Schönes, meine ich. Schönes Mädchen. Nein, Frau. Scheiße. Ich bin das Letzte. Wenigstens habe ich sie nicht »Chick« genannt? Fuck me. Los, Gehirn, fang wieder an zu funktionieren.