Some Girls do - Jennifer Dugan - E-Book
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Some Girls do E-Book

Jennifer Dugan

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Beschreibung

Können sie den Weg gemeinsam gehen? Morgan, eine Elite-Leichtathletin, muss in ihrem letzten Schuljahr die Schule wechseln, nachdem sich herausstellt, dass es gegen den Verhaltenskodex ihrer katholischen Privatschule verstößt, lesbisch zu sein. Ruby liebt nichts mehr, als an ihrem babyblauen 1970er Ford Torino herumzubasteln, aber an den meisten Wochenenden muss sie die Träume ihrer Mutter, einer ehemaligen Schönheitskönigin, verwirklichen und an lokalen Wettbewerben teilnehmen. Morgan und Ruby fühlen sich zueinander hingezogen, und wenn sie zusammen sind, beginnt Ruby sogar, sich eine Zukunft vorzustellen, die sie nie für möglich gehalten hätte. Doch während Morgan – offenherzig, stolz und entschlossen, einen Neuanfang zu wagen – ihre aufkeimende Beziehung nicht geheim halten will, hat Ruby noch nie jemandem von ihren Gefühlen erzählt, die sie so lange verleugnet hat. Ein unvergesslicher, schmerzhaft ehrlicher queerer Liebesroman darüber, was passiert, wenn man seine erste Liebe findet, während man doch noch dabei ist, herauszufinden, wer man selbst eigentlich ist.

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Beliebtheit



Sammlungen



Für alle,deren Leben schon mal von der Liebe auf den Kopf gestellt wurde

Inhalt

1 Ruby

2 Morgan

3 Ruby

4 Morgan

5 Ruby

6 Morgan

7 Ruby

8 Morgen

9 Ruby

10 Morgan

11 Ruby

12 Morgen

13 Ruby

14 Morgen

15 Ruby

16 Morgan

17 Ruby

18 Morgan

19 Ruby

20 Morgan

21 Ruby

22 Morgan

23 Ruby

24 Morgan

25 Ruby

26 Morgan

27 Ruby

28 Morgan

29 Ruby

30 Morgan

31 Ruby

32 Morgan

33 Ruby

34 Morgan

35 Ruby

36 Morgan

37 Ruby

38 Morgan

39 Ruby

40 Morgan

41 Ruby

Danksagungen

1

Ruby

Diese Befreiungsnummer ist eine eigene Kunstform. Erst nehme ich Tylers Arm – der schwer auf meinem Bauch liegt – und schiebe meine Finger darunter. Ich hebe ihn leicht an und rutsche Zentimeter für Zentimeter zur rechten Seite des Betts. Wenn ich dann fast frei bin, schnappe ich mir eins seiner Kissen – das mein vom Grübeln heiß gelaufener Kopf angewärmt hat – und stopfe es unter seinen Arm. Wenn ich Glück habe, stöhnt er leise im Mondlicht, das in sein unordentliches Schlafzimmer fällt, umarmt das Kissen und schläft weiter. Wenn ich kein Glück habe, wacht er auf und fragt, wo ich hinwill. Bleib doch, Ruby. Bitte, Ruby. Ein bisschen Kuscheln wird dich nicht umbringen, Ruby. Dafür habe ich einfach keine Energie.

Während Tyler im Schlaf lächelt und meinen Kissenersatz ein bisschen fester umarmt, fällt ihm sein verwuscheltes braunes Haar ins Gesicht. Heute Nacht hatte ich Glück – in jeglicher Hinsicht. Ich schnappe mir meine Stiefel – Überbleibsel der zehn Millionen Schönheitswettbewerbe mit einem Westernmotto, durch die ich mich über die Jahre gelächelt habe – und schleiche barfuß zur Haustür. Ich muss aufpassen, dass das Fliegengitter nicht zuschlägt und seine Eltern weckt.

Der Bewegungsmelder schaltet das Licht ein, als ich in meine Stiefel schlüpfe und zu meinem Auto, meiner Seele, meinem Rettungsanker hechte: meinem babyblauen 1970er Ford Torino. Ja, er ist uralt, aber er ist das Einzige auf der Welt, was wirklich mir gehört. Ich habe ihn, verrostet und vergammelt, meiner Großtante Maeve für dreihundert Dollar abgekauft. Ich habe ihn mühsam wieder flottgemacht, mit Teilen, die ich auf Schrottplätzen oder Flohmärkten gefunden habe. Ich habe seine frühere Schönheit wiederhergestellt. Ich. Ich ganz allein.

Okay, vielleicht hatte ich ein bisschen Hilfe von Billy Jackson, dem am wenigsten zwielichtigen Mechaniker der Stadt, aber trotzdem.

Ich steige ein und schalte in den Leerlauf, löse die Handbremse und lasse das Auto die lange, abschüssige Auffahrt runter auf die Straße rollen, wo ich erst den Motor anlasse. Er erwacht zum Leben und der Klang ähnelt eher einem Brüllen als einem Schnurren. Ich widerstehe dem Drang, den Motor aufheulen zu lassen – Gott, ich liebe diesen Sound –, und fahre nach Hause. Unterwegs fühle ich mich entspannt und glücklich – diese Zufriedenheit, die man nur in diesem kurzen Moment der Freiheit zwischen Arbeit und Verpflichtungen empfinden kann.

Nicht dass Tyler eine Verpflichtung wäre – oder Arbeit. Er ist nett und wir haben viel Spaß zusammen. In einem anderen Universum wären wir wahrscheinlich ein Paar. Aber wir leben nun mal in diesem, und in diesem Universum liebe ich genau zwei Dinge: schlafen und mein Auto.

Tyler ist gut, um Stress abzubauen und gewisse Bedürfnisse zu stillen, wobei alle Beteiligten auf ihre Kosten kommen. Mehr nicht. Wir haben eine Vereinbarung: Freunde für gewisse Stunden. Keine Bindung. Wenn er mich morgen anrufen und mir sagen würde, dass er mit einem Mädchen ausgehen will, würde ich sagen: Nur zu, solange ich es nicht bin – und würde es auch so meinen. Ich hoffe, er würde dasselbe sagen. Was der Grund ist, warum ich um zwei Uhr morgens von ihm nach Hause fahre, nachdem ich zuvor eine Nachricht von ihm gekriegt habe, in der nur stand: Großes Spiel morgen, bist du da?

Schweig still, mein Herz.

Andererseits, vor ein paar Wochen habe ich ihm geschrieben: Misswahl morgen früh, kommst du mich ablenken? Und Minuten später kletterte er durch mein Fenster.

Seht ihr? Das ist kein festes Ding, nur ein Bedarfsding. Manche Leute dröhnen sich zu, Tyler und ich gönnen uns zwanzig Minuten einvernehmlichen, geschützten Sex – benutzt immer ein Kondom, Leute –, auf die ein peinliches Gespräch darüber folgt, dass es komisch für ihn ist, dass ich danach immer gleich wieder gehe. Deshalb schleiche ich mich raus, sobald er schläft: der perfekte Kompromiss, zumindest für mich.

Ich halte auf dem geschotterten Platz vor unserem Trailer. Er mag nicht nach viel aussehen, aber er ist unser Zuhause. Nur für mich und meine Mom. Na ja, manchmal wenigstens. In den besseren Zeiten.

Doch das Licht in der Küche ist an, im Wohnzimmer flackert der Fernseher und meine Laune schießt sofort in den Keller. Mom putzt nachts Büros und ihr Auto steht nicht da, was heißt, dass die »besseren Zeiten« gerade vom Tisch sind. Buchstäblich nichts zieht mich mehr herunter, als ihren Freund Chuck Rathbone ertragen zu müssen.

Chuck und meine Mom führen seit Jahren eine On-off-Beziehung – und leider ist sie in letzter Zeit eher »on« als »off«. »Es wird was Ernstes«, hat sie neulich zu einer Freundin gesagt. Weshalb er im Haus ein und aus gehen kann. Was auch einschließt, dass er unser Essen futtern und unseren Strom verbrauchen kann, obwohl wir uns das nicht leisten können.

Ich versteh schon, warum Chuck meiner Mom nachjagt – selbst harte Arbeit und Pechsträhnen konnten ihrer Schönheit nichts anhaben. Sie ist eine Schönheitskönigin und hatte sich Hoffnungen auf den Titel »Miss Teen USA« gemacht, bis vor achtzehn Jahren dieser zweite Strich auf ihrem Schwangerschaftstest auftauchte. (Sorry, Mom.)

Aber ich versteh wirklich nicht, warum meine Mom ihn immer wieder zurücknimmt. Chuck ist, ganz objektiv betrachtet, das Allerletzte.

Ich würde bei meiner besten Freundin Everly schlafen, wenn ich nicht sicher wäre, dass Chuck mein Auto gehört hat – der Motor ist nicht gerade unauffällig. Normalerweise mag ich das ja, nur wenn ich jetzt wegfahre, wird er es definitiv Mom erzählen. Und ich kann echt drauf verzichten, dass sie mir Schuldgefühle einredet. Auf einer Skala von »Braucht einen Ölwechsel« bis »Der Motor streikt« rangiert zum Freund meiner Mom frech zu sein irgendwo bei »durchgebrannte Zylinderkopfdichtung« – kein Totalschaden, aber wie meistens, wenn es um meine Mutter geht, eine teure und schwierige Reparatur.

Ich schalte den Motor aus und lausche, wie er in der Frühlingsluft tickend abkühlt. Die Vorhänge im Wohnzimmer bewegen sich – bestimmt Chuck, der rumstolpert, um rauszufinden, was ich mache und warum ich nicht reinkomme. Ich greife mir die Tasche mit Bühnen-Make-up, das ich für Mom abholen sollte, vom Rücksitz und steige aus.

Die Tür quietscht, als ich sie aufreiße. Dabei ignoriere ich die Verkleidung, die sich daneben ablöst. Dann steige ich über einen besonders verdächtigen Fleck auf dem Teppich. Fünf kläffende Jack-Russell-Terrier kommen den Flur runtergewetzt. Der andere ganze Stolz meiner Mutter. Bitte Gott, sag mir, dass sie nicht in meinem Zimmer waren. Sie sind kaum stubenrein – und mit »kaum« meine ich gar nicht.

»Bring diese Köter zum Schweigen!«, ruft Chuck aus der Küche, während er den Kühlschrank aufmacht, als würden sie auch nur ansatzweise auf mich hören. Als würden sie auf irgendjemanden hören. Mom mag es, wenn sie ein bisschen wild sind. Sie meint, das wäre natürlicher. Mir wäre es lieber, wenn sich ihre »Wildheit« auf die Zimmer mit Vinylboden beschränken würde.

Ich hocke mich hin und streichle so schnell, wie ich kann, so viele von ihnen, wie ich kann, während mich die anderen anstupsen. Winzige Pfoten graben sich in meine Seiten und Beine, um meine Aufmerksamkeit zu erregen. »Sch, sch, sch«, mache ich, um sie zu beruhigen – soweit man fünf Terrier mit zu wenig Auslauf – denn sie kommen nur selten raus – beruhigen kann.

»Verdammte Köter«, grummelt Chuck und geht mit zwei Dosen Bier zum Sessel vor dem dröhnenden Fernseher. Fox News. Wie immer. Er lässt sich in den Sessel fallen, wobei Bier auf sein ausgewaschenes schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift TRAMPEL NICHT AUF MIR RUM tropft. Er sieht aus, als hätte er sich seit Tagen nicht rasiert. Graue Stellen durchziehen seine braunen Bartstoppeln. »Du kommst spät.«

»Ja, sorry. Ich hab mit einer Freundin gelernt«, sage ich und stehe auf, sobald die Hunde finden, dass es interessanter ist, aneinander zu schnüffeln, als mich anzurempeln. Ich frage mich, ob sie Tylers Katze riechen können.

Chuck zieht die Augenbrauen hoch und seine letzten spärlichen Haarsträhnen wippen um seinen Kopf. »Deine Mom mag auf den Quatsch reinfallen, aber ich weiß, was Mädchen wie du nachts treiben – und es hat nichts mit Lernen zu tun.«

»Was weißt du schon von Lernen?«, erwidere ich. Dass er recht hat, widert mich an, doch die Genugtuung will ich ihm nicht gönnen.

»Ich weiß, dass man von Mathehausaufgaben keine Knutschflecke kriegt.« Er lacht und richtet den Blick wieder auf die sprechende Gestalt im Fernseher.

Verdammt, Tyler, keine Knutschflecke heißt keine Knutschflecke. Während meine Wangen rot anlaufen, fasse ich mir an den Hals.

»Hey, schon okay, ich sag’s deiner Ma nicht.«

Ich sehe ihn an und warte auf den Haken.

»Komm her, Süße«, sagt Chuck, doch ich bleibe, wo ich bin, bereit für einen schnellen Rückzug. Er beugt sich mit verschwörerischer Miene vor. »Also, was hast du wirklich gemacht?«

»Wann kommt Mom nach Hause?« Mit einem zu breiten Lächeln wechsle ich das Thema.

Er verzieht leicht das Gesicht. »Weiß nicht. Sie meinte, diese Woche ist nicht viel los. Sie haben noch einen Kunden verloren.«

»Also bald?«, frage ich und er wendet sich wieder dem Fernseher zu. »Ich geh ins Bett. Nacht.«

»Sicher, dass du keins willst?«, fragt er und deutet auf die Bierdose neben seiner auf dem Tisch. Dachte er echt, ich würde mich mit ihm betrinken und die ganze Nacht den Lügen dieser konservativen Arschgeigen im Kabelfernsehen zuhören? Nein, danke.

»Ich hab morgen Schule.«

»Seit wann interessiert dich das?« Im Fernseher hinter mir plappert der Moderator weiter vor sich hin. Ich starre die Wand an und atme tief durch.

Ich werde nicht anbeißen.

»Dieser Scheiß zersetzt dein Gehirn, Chuck«, sage ich, schnappe mir die Fernbedienung und schalte den Fernseher aus.

Ich werde mich in meinem eigenen Zuhause nicht einschüchtern lassen. Ich werde mir keinen Mist von einem Schwachkopf gefallen lassen, der in einem Sessel sitzt, den ich Mom vor Jahren mit meinem Gewinn beim »Little Miss Sun Bonnet«-Wettbewerb gekauft habe. Ich habe keine Angst vor den Chuck Rathbones dieser Welt.

»Verpiss dich.« Er lacht, schlürft sein Bier und macht den Fernseher wieder an.

Ich husche in mein Zimmer, schließe die Tür hinter mir ab und bete zu jedem Gott, der zuhört: Bitte lass meine Zukunft nicht auch so aussehen.

2

Morgan

»Hast du alles?«

»Ja!«

»Hast du Geld fürs Mittagsessen?«

»Ja, hab ich.«

»Deinen Stundenplan? Es hieß, das Training geht meistens bis halb sechs.«

»Ja, und danach lauf oder jogg ich nach Hause.«

»Okay. Ich bin normalerweise bis halb sieben im Laden, mach dir also keine Sorgen, wenn du vor mir da bist.«

»Oh mein Gott, ich mach mir keine Sorgen. Ich kann schon alleine bleiben.«

»Ich will nur, dass du eine gute Zeit hast. Das hast du dir verdient nach …«

»Können wir bitte nicht darüber reden? Du weißt schon, Neuanfang und so?«

»Okay, was würde denn Mom sagen?«

»Ich weiß nicht. ›Hab dich lieb‹? ›Hab einen schönen Tag‹?«

Dylan lächelt, doch sein Blick ist ernst. »Hab dich lieb. Hab einen schönen Tag.«

»Meine Fresse, Dyl, a) an deiner Mom-Imitation musst du echt üben, und b) nimmst du diese ganze Vormundschaftssache ein bisschen zu ernst.«

»Ich will das nur nicht versauen«, sagt er. »Mom und Dad würden mich umbringen, wenn ich dich kaputtmachen oder verlieren würde oder was man sonst so mit Kindern macht.«

»Alter, ich bin siebzehn«, schnaube ich und binde mein langes braunes Haar zu einem Zopf zusammen.

Das Auto hinter uns hupt und jemand brüllt: »Die Aussteigezone ist zum Aussteigen da. Steig aus oder fahr weiter.«

»Ups«, meint Dylan mit einem Blick in den Rückspiegel.

»Nichts ist gruseliger als eine Vorstadtmutti, die ihren Latte noch nicht intus hat«, sage ich. »Aber keine Sorge. Ich schaff das schon. Und du musst los.« Ehe er mich aufhalten kann, umarme ich ihn schnell mit einem Arm und springe aus dem Auto.

Ich hab’s zwar gesagt, doch eigentlich habe ich keinen Schimmer, was ich hier eigentlich tue. Ein paar Leute gehen an mir vorbei und lachen mit ihren Freunden. Sie haben keine Ahnung, dass ich neu bin. Ich ziehe meinen Rucksack hoch – zumindest versuche ich es, bis ich bemerke, dass er gar nicht da ist. Mist.

»Dyl!«, rufe ich, aber natürlich kann er mich mit geschlossenen Fenstern auf der anderen Seite des Parkplatzes nicht hören. Also tue ich, was ich am besten kann: Ich renne, und zwar schnell. Ich stürme über den Parkplatz, schlängle mich zwischen den Reihen der geparkten Autos durch und hoffe, ihn abfangen zu können, während er sich langsam durch den Stau quält, der sich vor dem Eingang der Schule gebildet hat. Ich habe es fast geschafft, nur noch eine Reihe, als mich ein lautes Hupen und das Quietschen von Bremsen erstarren lassen.

Kaum dreißig Zentimeter von meiner Hüfte entfernt erspähe ich die Stoßstange eines glänzenden blauen Wagens. Im Ernst jetzt? Ich sehe gerade noch, wie Dylans Auto vom Parkplatz fährt und die Straße hinunter verschwindet.

»Verdammt!« Wäre diese dämliche Karre nicht gewesen, hätte ich es geschafft. Dann würde ich nicht mitten auf dem Parkplatz einer neuen Schule stehen, ohne Stundenplan, einen Block oder auch nur einen blöden Stift. »Spinnst du?« Ich wirble herum und stemme die Hände auf die Motorhaube. »Pass auf, wo du hinfährst!«

Ich will das Macho-Arschloch, das garantiert dieses alberne Muscle Car fährt, anfunkeln und … blicke in die strahlendsten blauen Augen, die mir je begegnet sind – und die sich sofort verengen und mein Starren erwidern.

»Du rennst hier doch wie ’ne Irre über den Parkplatz«, schießt sie zurück, springt aus dem Wagen und drängt mich zur Seite, um die Motorhaube zu begutachten. »Wenn du auch nur einen Kratzer in den Lack gemacht hast …«

»Du hättest mich umbringen können!«

»Und es wär deine Schuld gewesen«, kontert sie und richtet sich auf, sodass wir fast Nase an Nase stehen. »Wo wolltest du überhaupt hin? Die Schule ist in der anderen Richtung, falls du’s nicht gemerkt hast.«

Und, oh nein. Oh. Nein. Sie ist … superniedlich. Bevor ich es verhindern kann, erstellt mein Hirn eine Liste all der nutzlosen Dinge, über die ich gerade nicht nachdenken sollte. Zum Beispiel, wie ihre perfekt gebräunte Hand in meiner helleren, pfirsichfarbenen aussehen würde. Und ob sie unter ihrem engen grauen Hoodie und der aufreizend engen Jeans Bräunungsstreifen hat. Und, oh Gott, ich bin echt widerlich.

Es wäre so viel einfacher, weiter wütend zu sein, wenn sie wirklich irgend so ein Arschloch wäre, aber das hier ist ein echtes Problem. Eins, das einen kompletten Systemneustart erfordert, wenn ich aus dieser Situation rauskommen will, ohne mich total zu blamieren. Schritt eins: meinen Mund zumachen, der derzeit offen steht, als hätte ich gerade ein Wunder beobachtet. Schritt zwei: mich ganz schnell zusammenreißen.

Dem objektiven Teil meines Gehirns ist schon klar, dass sie technisch gesehen trotzdem ein Arsch ist. Aber der weniger objektive Teil will ihren Namen und ihre Nummer wissen und ob sie Single ist und was sie davon halten würde, mit einem leicht in Ungnade gefallenen Leichtathletikstar der weiblichen Art auszugehen.

»Hallo-ho! Ich hab dir ’ne Frage gestellt.« Sie winkt mit der Hand vor meinem Gesicht. Und ja, das hilft tatsächlich. Bitte sei weiter ein Arschloch, Automädchen.

»Ich hab meinen Rucksack im Auto vergessen«, antworte ich, sobald mein Hirn wieder hochgefahren ist. »Ich wollte ihn einholen, bevor er weg ist.«

»Warum hast du ihn nicht einfach angerufen?« Sie wirft einen nachdrücklichen Blick auf das Handy, das aus meiner Hosentasche ragt. Und ja, okay, gute Frage.

»Instinkt?«, sage ich. »Ich bin Läuferin. Ich laufe. Ganz einfach.«

»Tja, hier solltest du nicht laufen. Das ist ein Parkplatz. Zum Parken. Ganz einfach«, erwidert sie und imitiert meinen Tonfall.

»Es war ein Notfall.«

Das Mädchen schnaubt und steckt sich sein Haar – lange aschblonde Strähnen, die aussehen, als wären sie zu Tode gebleicht worden – zu einem unordentlichen Knoten hoch. »Du kannst froh sein, dass deine Fäuste keine Kratzer hinterlassen haben, als du auf mein Auto eingeschlagen …«

»Ich hab nicht auf dein Auto eingeschlagen. Ich hab nur ganz leicht meine Hände frustriert aufgestützt.«

»Is klar. Tja, die gute Nachricht ist, es wird dich nur eine Wagenwäsche kosten, um deine dreckigen Pfotenabdrücke von der Haube zu kriegen.« Sie lächelt mich fies an – was nicht dafür sorgen sollte, dass mein Magen Purzelbäume schlägt, was er aber definitiv tut. Und ernsthaft? Ernsthaft?! Kann ich mich nicht wenigstens einmal nicht in jemanden vergucken, der aussieht, als könnte er mich zum Frühstück verspeisen, ohne mit der Wimper zu zucken?

»Ich werd nicht für die Autowäsche bezahlen, nur weil ich deine Karre berührt hab.«

Sie zuckt mit den Schultern und geht zurück zur offenen Fahrertür. »Einen Versuch war’s wert. Sie braucht sowieso ’ne Wäsche.«

Dieses Mal bleibt mir der Mund nicht vor Staunen offen stehen, sondern vor Fassungslosigkeit. »›Einen Versuch war’s wert‹? Bist du noch ganz …? Du hättest mich fast umgebracht! Du hättest mich fast umgebracht und versuchst dann, mir ’ne Autowäsche aus den Rippen zu leiern, die du eh gemacht hättest? Was bist du nur für ein Monster?«

»Eins, das nicht seinen Rucksack vergessen hat und zu spät zum Unterricht kommt«, entgegnet sie, steigt in ihr Auto und fährt rückwärts die Reihe geparkter Autos entlang.

»Arschloch!«, brülle ich und zeige ihr den Mittelfinger, aber sie rollt nur mit den Augen und lacht.

Ich bin klug genug zu warten, bis sie außer Sicht ist, ehe ich mir die Niederlage eingestehe und mein Handy hervorhole. Dylan geht nach dem ersten Klingeln dran und klingt total panisch. Nachdem ich ihm versichert habe, dass ich okay bin, die Welt nicht untergegangen ist und in den letzten fünf Minuten, seit er mich abgesetzt hat, nichts Schreckliches passiert ist – abgesehen davon, dass ich fast von der Königin der Miststücke überfahren worden wäre, was ich definitiv nicht erwähnen werde –, beruhigt er sich so weit, dass er mir versprechen kann, mir meinen Rucksack zu bringen.

In der Nähe des Sportplatzes finde ich eine Bank, von der ich einen guten Blick auf den Parkplatz habe, und warte. So viel zum Thema, extra früh da zu sein, um meine Klasse zu finden. Ein paar Mädels drehen ihre Runden auf der Tartanbahn. Mit Sicherheit sind sie im Schulteam und ich frage mich, ob sie trainieren oder Strafrunden laufen müssen. Meine alte Trainerin an der St. Mary’s hat das zu gerne gemacht. Früh da zu sein sei gut für die Seele, hat sie immer behauptet, obwohl mein Körper ihr da vehement widersprochen hat.

Ich erkenne eins der Mädels, als es vorbeiläuft: Allie Marcetti – wir sind ein paarmal gegeneinander angetreten und ich kenne sie gewissermaßen. Sie ist schnell, aber nicht so schnell wie ich, und definitiv nicht über eine so lange Strecke. Das ist niemand. Na ja, zumindest hier nicht. Außerdem habe ich gehört, dass sie in ihrer letzten Saison zur Kurzstrecke wechselt.

Sie fegen an mir vorbei und ihre einheitlichen Pferdeschwänze wehen hinter ihnen her. Ich wippe mit dem Bein und wünschte, ich könnte auch laufen. Ich kann es kaum erwarten, dass meine Füße mich endlich wieder über den Tartan tragen und ich mich verausgabe, bis meine Muskeln brennen und mein Magen krampft und … Ich schüttele den Gedanken ab und rufe mir in Erinnerung, dass ich technisch gesehen noch nicht im Team bin, nicht bis meine Freigabe da ist.

Wenn sie denn kommt. Doch nach meinen bisherigen Platzierungen hatte die Trainerin keine Probleme damit, mir in den letzten Monaten zu erlauben, mit ihnen zu trainieren. Ich habe sogar eine Absichtserklärung unterschrieben, dass ich für meine Wunschuni laufen will – auch wenn das momentan »auf Eis liegt«, bis »der Vorfall untersucht ist«.

Ich habe viel Zeit damit verbracht, mir einzureden, dass das okay ist und es nicht wehtut. Dass der Weg von der Starathletin zum Schulskandal eine völlig normale Entwicklung ist, auf die ich bestens vorbereitet war und die ich habe kommen sehen. Aber ja, ich wende mich ab, als die Mädels die Ziellinie überqueren, und versuche angestrengt, nicht darüber nachzudenken, dass ich das dort sein sollte, an meiner alten Schule, mit meinen alten Freunden.

Meine Mom sagt immer, es sei nur eine Frage der Zeit, bis ich vollständig rehabilitiert bin und die Sache mit dem College geklärt ist. Die Wahl zu haben, freiwillig zu gehen oder offiziell der alten Schule verwiesen zu werden – einer Schule, die meine Eltern gerade aus einer Million Gründen verklagen, unter anderem, aber nicht ausschließlich Diskriminierung und Schikane –, lässt es offenbar sehr viel unwahrscheinlicher erscheinen, dass meine neue Schule eine Elite-Athletin abwerben wollte. Ich hoffe nur, dass die Highschool-Athletikkommission das auch so sieht, wenn sie über meinen Fall entscheidet.

Die Trainerin hat niemanden abgeworben. Wir hatten nur beide Glück, dass mein Bruder in einem Bezirk mit einer Schule mit einem anständigen Laufprogramm in derselben Liga wohnt und dass an dieser Schule zufällig ein Platz für eine Langstreckenläuferin frei war. Wenn es nach mir ginge, würde ich immer noch mit meinem alten Team der St. Mary’s laufen, doch das tut es halt nicht.

Das passiert eben, wenn man sich mit einem Lehrer anlegt, der einem sagt, dass Lesbischsein gegen die Verhaltensregeln der dämlichen Privatschule verstoße … und der dann beschließt, einem deswegen das Leben zur Hölle zu machen.

Anfangs wollten meine Eltern mich zu Hause unterrichten. Wir waren so naiv zu glauben, wir müssten nur diesen einen Faktor aus meinem Leben entfernen und alles andere würde so bleiben, wie es war. Nur bekam die Lokalzeitung Wind von der Story und ich hatte plötzlich das Gefühl, dass alle mich beobachten. Vielleicht habe ich mir das nur eingebildet, aber dann hörten meine Freunde auf anzurufen und ihre Eltern hörten auf, meinen Eltern zu texten. Und schließlich musste ich einfach da weg.

Was soll’s?! Kein Selbstmitleid. Ein Neuanfang. Ein neues Ich. Lesbisch und stolz drauf. Ein Zeichen setzen. Was für ein Spaß! Diese Freigabe kommt besser vor den Landesmeisterschaften, sonst müssen sie mich schon an der Bank festketten, um mich von der Teilnahme abzuhalten. Bei Gott, ich werd nicht die letzte Saison meiner Highschool-Karriere verpassen.

Es läutet und alle eilen nach drinnen. Innerhalb von Sekunden verwandeln sich der Parkplatz und der Schulhof in eine Geisterstadt. Ich bleibe auf meinem Platz und warte auf Dylan – jetzt schon zu spät für meinen Neuanfang.

3

Ruby

Ich lache, als sie mir den Finger zeigt. Ernsthaft? Ich bin hier das Arschloch? Sie flitzt zwischen den geparkten Autos durch wie ein Eichhörnchen auf Speed. Wenn hier irgendwer einen Fehler gemacht hat, dann sie. Definitiv. Na und? Dann hab ich eben versucht, ihr eine Autowäsche aus den Rippen zu leiern. Die Kleine hat ihre Hände an mein Baby gelegt. Sie kann froh sein, dass ich sie ihr nicht abgehackt habe.

Ich wähle einen Parkplatz, auf dem sie mich wohl nicht mehr sehen kann, ich sie mit ihren wütenden braunen Augen aber schon. Da war dieser winzige Moment, als die Sonne sie im richtigen Winkel traf, in denen sie fast bernsteinfarben wirkten. Nicht dass ich irgendwie an ihr und ihren irgendwie bernsteinfarbenen, aber eher braunen Augen interessiert wäre. Höchstens ein bisschen neugierig. Die Schule ist klein und ich kenne die meisten von klein auf. Es kommt nicht oft vor, dass wir Neue haben, schon gar nicht so spät im Schuljahr – da muss eine Geschichte dahinterstecken.

Ein Klopfen gegen das Seitenfenster erregt meine Aufmerksamkeit. Als ich mich umdrehe, erblicke ich Everly – die Einzige außer mir, die mein Auto anfassen darf –, die mich schräg ansieht. Ich mache die Tür auf und sie tritt zurück und fährt sich durch ihre Dreads. Einer der Jungs aus dem Lacrosse-Team pfeift ihr nach, während er mit seinen Kumpels vorbeigeht. Er grinst sie an und rundet das Ganze mit einem »Ihr seht gut aus, Ladys« ab.

Everly schnalzt mit der Zunge. »Was ich von dir nicht behaupten kann, Marcus.«

Marcus geht rückwärts weiter und greift sich theatralisch ans Herz, wobei der Rest des Teams »Uh!« und »Autsch!« grölt.

Everly passiert so was oft. Ich meine, wenn man Harrington Falls Antwort auf Amandla Stenberg ist, lässt sich das kaum vermeiden, aber trotzdem. »Ihr seht gut aus, Ladys« ist mir allemal lieber als das, was ich zu hören kriege, wenn sie nicht dabei ist. Was will man schon erwarten, wenn so ziemlich alle denken, dass man eine tickende Sozialhilfe-Zeitbombe ist? Als wäre es nur eine Frage der Zeit, bis ich anfange, Kinder zu werfen und Leben zu zerstören oder so.

Ich rutsche mit dem Sitz vor und schiebe ein Paar High Heels, meine Steppschuhe und ein paar Taschen mit Klamotten aus dem Weg, um an meinen Rucksack zu kommen. »Du weißt, er steht auf dich.«

»Allerdings.« Sie lächelt.

»Aber?«

»Kein Aber. Er hat mich nicht auf ein Date eingeladen und ich werd ganz sicher nicht fragen.«

»Wow«, sage ich, während wir auf den Eingang zugehen. »Glückwunsch, du hast gerade die Frauenrechte um etwa zehn Milliarden Jahre zurückgeworfen. Wenn du ihn magst, solltest du dich an ihn ranmachen.«

»Sagt die, die springt, wann immer Tyler Portman ihr schreibt, weil er vögeln will.«

»Hey.« Ich hebe belehrend einen Finger. »Es ist nichts falsch daran, zu seiner Sexualität zu stehen. Ich texte ihm genauso oft wie er mir. Und wir sind uns einig. Keine Gefühlsduselei, keine Emotionen …«

»Der Junge mag dich.«

»Tut er nicht!«

»Der Knutschfleck an deinem Hals sagt was anderes.«

Ich verdecke ihn hastig mit der Hand. »Ich hab ihn abgedeckt!«

»Tja, nicht gut genug.« Sie lacht. »Aber ich muss Tyler lassen – ist schon beeindruckend, dass man ihn trotz all dem Selbstbräuner sieht.«

»Das war meine Mom«, sage ich, strecke die Arme aus und verziehe das Gesicht, als ich einen kleinen Streifen entdecke.

»Tja, sag deiner Mom, wenn sie aus dir Weißbrötchen eine Kardashian machen will, fotografier ich dich aus Prinzip nicht mehr, bis du wieder deine natürliche Hautfarbe hast.«

Ich schnaube. Ich weiß selbst nicht mehr, wie die aussah. Meine Haut, Nägel und Haare wurden gebräunt, lackiert und gebleicht, seit ich klein war. Manchmal – immer? – wünschte ich, ich könnte das alles einfach abziehen, um zu sehen, wer ich darunter bin.

»Denkst du, ich mach Witze?« Everly grinst. »Vielleicht lässt deine Mom dich in Ruhe, wenn sie für diese Instagram-Fotos bezahlen muss.«

Everly ist von Fotografie besessen und das zeigt sich in ihren Arbeiten. Sie ist fantastisch. Sie erstellt seit Jahren meine Porträtfotos und liefert Content für den Instagram-Account, den meine Mutter für mich verwaltet. Mom glaubt, dass ich auf die Art Modelaufträge oder so an Land ziehen kann, bisher hat es allerdings nur zu gruseligen Typen in meinen DMs geführt.

Aber vergesst gestellte Bilder und gesponsorte Beiträge. Everly ist die Königin der Schnappschüsse. Sie hat ihre Nikon immer um den Hals und knipst, wenn man es am wenigsten erwartet. Ihr gesamtes Kunstabschlussprojekt basiert auf der Idee, dass Schnappschüsse zeigen können, wer ein Mensch wirklich ist, wenn er sich nicht hinter seiner Maske versteckt.

Ich habe davon keine Ahnung. Ich nehme meine Maske nie ab.

Ich löse meinen Schlamperdutt und lasse mir meine Haare um die Schultern fallen, um meinen Hals so gut wie möglich zu verdecken. »Besser?«

Everly wirft einen Blick zu Tyler, der sich zu Marcus und dem Rest des Lacrosse-Teams gesellt hat. »Kommt ganz drauf an, wen du fragst.«

»Oh mein Gott, Everly. Ein Knutschfleck ist ein Zeichen für eine wilde Nacht, keine unvergängliche Liebesbekundung!«

»Mhm. Und wenn man sein ganzes ›Bitte verlass mich nicht, Ruby. Warum kannst du nicht über Nacht bleiben?‹ dazunimmt?« Sie legt in einer flehenden Geste die Hände aneinander.

»Das ist noch nie passiert.« Ich schubse sie, lache aber dabei.

»Oh, oh«, stöhnt sie.

»Was?« Ich sehe mich um, um rauszufinden, was sie so verschreckt hat, aber das einzig Ungewöhnliche, was ich entdecke, ist die Neue, die schmollend allein auf einer Bank sitzt.

»Ach, nichts. Nur dass dein Vaterkomplex durchkommt.«

»Fick dich«, sage ich, meine es aber nicht ernst. Wenn es einen Menschen auf diesem Planeten gibt, der mich auf meine Fehler aufmerksam machen darf und es auch regelmäßig tut, ist es Everly. »Das ist kein Vaterkomplex. Es ist ein ›Ich will mich nicht in der Highschool an einen dummen Jungen binden und wie meine Mom enden‹-Komplex.«

Everly öffnet den Mund, um etwas zu erwidern, aber ich kann sie nicht hören, weil in diesem Moment die Schulglocke klingelt, um uns daran zu erinnern, dass wir unseren Hintern reinbewegen sollten, bevor wir als abwesend eingetragen werden.

»Perfektes Timing«, meint Everly, als wir Marcus und die anderen Jungs eingeholt haben. Er schlingt seinen Arm um sie und flüstert ihr etwas ins Ohr, das sie zum Kichern bringt.

Tyler steht auf seiner anderen Seite und beobachtet sie. Er lässt sich zurückfallen und passt sich meinem Tempo an. Die meisten würden sagen, dass er ein echter Fang ist – eins fünfundachtzig, vom Lacrosse durchtrainiert, mit langen Haaren und einem Gesicht, das strahlt, wenn er lächelt.

Ich würde die Flucht ergreifen, um dem peinlichen Morgen-danach-Tanz aus dem Weg zu gehen … aber wir haben die erste Stunde zusammen.

»Du bist wieder abgehauen«, sagt er, als die anderen außer Hörweite sind.

»Ich hau immer ab.« Ich versteh immer noch nicht, warum ihn das so überrascht. »Und du hast Spuren hinterlassen«, füge ich hinzu und streiche mein Haar zurück, damit er es sieht. Mir entgeht nicht, wie er grinst, bevor er seine Züge wieder unter Kontrolle hat. »Hast du das mit Absicht gemacht?«, frage ich laut genug, dass Everly sich zu mir umdreht.

»Entspann dich. Das hat nichts zu bedeuten. Ich war nur ein bisschen übereifrig.«

»Mir wär lieber, du wärst mal mit dem Rest meines Körpers ein bisschen übereifrig.«

Tyler lehnt sich zu mir. »Würde das nicht gegen unsere Abmachung verstoßen?«

Ich schiebe ihn mit der Schulter weg. »Mach das einfach nicht noch mal, okay?«

»Es war ein Unfall, Ruby«, verteidigt er sich und sein Tonfall wird ernster. »Du wirst mir kein schlechtes Gewissen einreden, weil du vorbeigekommen bist, damit ich’s dir besorge, und ich genau das getan habe.«

»Mann, Tyler. Sei kein Arsch.«

»Ich bin hier nicht der Arsch.«

»Was soll das denn heißen?« Ich lasse meine Tasche auf meinen Tisch fallen. Und ja, okay, das ist wohl heute das Motto des Tages. Erst bin ich das Arschloch und jetzt auch noch der Arsch. Super.

»Du weißt genau, was ich meine«, erwidert er und geht zu seinem Platz.

Aber das tue ich nicht, wirklich nicht.

Es sei denn, er meint, dass ich abgehauen bin, was definitiv nicht stimmt.

Ich spähe aus dem Fenster und spüre, wie sich Kopfschmerzen zusammenbrauen. Draußen beobachte ich die Neue, die von der Bank aufsteht und zu einem klapprigen Honda Civic geht – grau mit Rostflecken auf der Stoßstange. Als sich der Fahrer hinüberlehnt, um ihr ihre Büchertasche zu reichen, erhasche ich einen Blick auf ihn. Definitiv nicht ihr Vater – viel zu jung –, aber so wie er ihr durchs Haar wuschelt, als sie die Tasche entgegennimmt, ist es auch nicht ihr Freund. Bei dieser Erkenntnis entspannt sich ein klitzekleiner Teil von mir. Ich versuche, nicht zu sehr darüber nachzudenken, was das zu bedeuten hat.

Ich suche in meinem Rucksack nach einem Bleistift, einfach nur um meinen Blick von dem Mädchen draußen loszureißen, und bin dankbar, als in der Tasche mein Handy vibriert. Ich ziehe es heraus und entdecke lauter Nachrichten von Mom, die mich daran erinnert, dass ich heute um halb sieben Stepptanzunterricht habe, ich meine guten Schuhe tragen, lächeln und darauf achten soll, den Scheck eine Woche vorzudatieren und … und … und … Es gibt immer neue Anweisungen. Mom sagt gern: »Das Einzige, was besser ist, als eine Schönheitskönigin zu sein, ist, die Mutter einer Schönheitskönigin zu sein.« Auch wenn ich das wirklich nur schwer zu glauben vermag.

Doch es gibt Dinge, die ich einfach nicht laut aussprechen kann: dass ihr Traum nicht mehr meiner ist, und das schon seit einer ganzen Weile, egal wie sehr ich mich zwinge. Dass ich wünschte, der vordatierte Scheck wäre für Rechnungen und Lebensmittel und nicht für Stepptanzstunden, die ich hasse, und Selbstbräuner, der niemandem weiterhilft. Dass ich schon so lange ein falsches Lächeln aufsetze, dass ich schon gar nicht mehr weiß, wie sich ein echtes anfühlt.

4

Morgan

Ich würde gern sagen, dass der Rest des Morgens besser war, dass alles reibungslos verlief, nachdem ich meine Büchertasche vergessen und fast überfahren worden wäre. Aber das war er nicht. Die Fluraufsicht nahm mich in die Mangel, weil ich zu spät war, und schickte mich dann ins Sekretariat, weil »neue Schüler nicht am Ende des Schuljahrs anfangen«. Was zwar theoretisch stimmt, bloß bin ich nun mal eine neue Schülerin und fange am Ende des Schuljahrs an.

Nachdem das geklärt war, ging ich zu meinem Spind, aber man hatte mir die falsche Zahlenkombination gegeben. Inzwischen war die Klassenstunde vorbei und die zweite Stunde hatte angefangen. Ich glaube, die Fluraufsicht hatte Mitleid mit mir, als sie mich zum Sekretariat zurückbegleitete, wo der Direktor fragte: »Hast du schon Sehnsucht nach uns?« Einen Tadel wegen Zuspätkommens und eine neue Kombi später war ich auf dem Weg zum Unterricht. Quasi.

Weil ich auch zur dritten Stunde schon zu spät dran war. Es war allerdings auch zu dumm von mir zu glauben, dass alle Räume mit 200er-Nummern im ersten Stock wären, doch wie sich herausstellte, ist Raum 215 im Erdgeschoss des Anbaus. Warum auch nicht?

Erstaunlicherweise schaffe ich es überpünktlich zur vierten Stunde, Politik – der letzten vor der Mittagspause. Die Lehrerin stellt sich als Mrs. Morrison vor, reicht mir ein Lehrbuch und sagt mir, ich soll mich irgendwo hinsetzen. Da erst bemerke ich, dass alle Tische im Halbkreis aufgestellt sind statt in Reihen wie in allen Klassenzimmern meiner alten Schule. Offensichtlich wird Ordnung hier nicht sehr groß geschrieben.

»Gibt es keine festen Sitzplätze?«, frage ich und blicke mich um, als die anderen Schüler reinkommen.

»Nein, Morgan, nicht in meiner Klasse. Du kannst dir einen Platz aussuchen.«

Ich sehe mich um und wähle einen Platz rechts hinten, von dem ich einen guten Blick auf die Lehrerin und alle anderen habe. Nicht dass ich eine andere Wahl hätte. So wie die Tische angeordnet sind, sind alle jederzeit gut sichtbar. Clever. Es ist nahezu unmöglich, zu träumen oder zu texten, ohne dass sie es merkt.

Allie kommt rein und lächelt mich ermutigend an, während sie ein paar Schritte in den Raum geht. Sie wählt einen freien Platz neben jemandem, der vermutlich ihre Freundin ist, da sie sofort anfangen zu plaudern. Aber das ist schon okay. Oder das wird es sein, nach der Schule, wenn ich das Team kennenlerne, das hoffentlich aufgeschlossener sein wird als mein altes – alle haben mich wie eine heiße Kartoffel fallen lassen, nachdem ich mich geoutet hatte. Oder vielleicht war es auch, nachdem ich den Trainer einen misogynen Homophoben genannt hatte. Egal.

Ich ziehe den Kopf ein und blättere durch das Buch. Ich betrachte die Seiten und wünschte, ich wäre irgendwo anders, als jemand gegen meinen Stuhl tritt. Ich sehe auf und vor mir steht das Mädchen aus dem Auto. Ihr Haar ist jetzt offen und rahmt ihr Gesicht ein, das ich definitiv schon zu lange anstarre.

Sie räuspert sich. »Du sitzt auf meinem Platz«, sagt sie, nicht unbedingt unhöflich, eher äußerst bestimmt … um jede Diskussion im Keim zu ersticken.

»Ich dachte, es gibt keine festen Sitzplätze«, erwidere ich, obwohl jeder Instinkt mir rät, meine Sachen zu schnappen und die Flucht zu ergreifen. Aber ich habe es satt zurückzustecken. Das ist mein neues Ich.

Sie knirscht mit den Zähnen. »Inoffiziell schon.«

»Wie das?«

»Hör zu, ich weiß, du bist neu und so, aber das ist schon seit September mein Platz, also zieh Leine, sonst mach ich dich platt …«

»Du willst mich plattmachen? Schon wieder?« Ich lächle. »Schaffst du das auch ohne deine Schrottkarre?«

Ich schwöre, sie schnaubt vor Wut. Es wäre niedlich, wenn sie nicht so verdammt nervig wäre. Streicht das, sie ist trotzdem niedlich, nur versuche ich, das zu ignorieren. Es sei denn, wütend zu schnauben ist eine neue Art des Flirtens, dann nämlich …

»Du bist fast in mein Auto gerannt, nicht andersrum.«

»Gibt es ein Problem, meine Damen?«, fragt Mrs. Morrison, die sich mit hochgezogener Augenbraue von der Tafel umdreht.

Ich öffne den Mund, um zu sagen, dass es in der Tat ein Problem gibt, sogar ein sehr großes, das ganz und gar nichts damit zu tun hat, wie sehr ich mich zu dieser Person hingezogen fühle, die offensichtlich die Königin der Arschlöcher ist, doch eine Stimme auf der anderen Seite des Raums kommt mir zuvor.

»Morgan, richtig?«, sagt Allie und ich drehe mich zu ihr um. »Setz dich zu uns.« Sie tippt mit dem Stift auf den leeren Platz neben sich.

Ich werfe dem Mädchen, das sich vor mir aufgebaut hat, einen Blick zu. Ich will sie nicht gewinnen lassen. Allerdings wirkt sie inzwischen eher gelangweilt als wütend, also scheint es den Kampf nicht wert zu sein. Zumindest nicht heute. Ich schnappe mir meine Bücher und gleite vom Stuhl.

»Harter erster Tag?«, fragt Allie, als ich mich auf den Stuhl neben ihr fallen lasse. Sie hat ihre Laufklamotten gegen einen weich aussehenden Sweater eingetauscht und die Ärmel bis über die Hände gezogen. Ihre leuchtend roten Nägel blitzen heraus und bilden einen starken Kontrast zu ihrer weißen Haut.

»Kann man so sagen«, antworte ich, als Mrs. Morrison verkündet, dass sie die Arbeitsblätter im Lehrerzimmer vergessen hat und gleich zurück ist. Sie sagt, dass wir Seite 106 aufschlagen sollen, und verschwindet durch die Tür.

Allie deutet auf das Mädchen neben sich. »Also, das ist Lydia. Sie ist auch im Laufteam.«

»Hey. Die Trainerin ist schon ganz aus dem Häuschen, dass du hier bist«, sagt Lydia und wirft ihr schwarzes Haar zurück, das ihr in Wellen ums Gesicht fällt. Sie hat den Ausschnitt ihres übergroßen Sweatshirts abgeschnitten, sodass ihre Schulter entblößt ist und ihre hellbraune Haut offenbart. Die Lehrer an meiner alten Schule hätten einen Herzinfarkt bekommen.

»Ja? Was denken die anderen?« Nur weil die Trainerin »aus dem Häuschen« ist, heißt das nicht, dass es dem Team auch so geht. Ich bin ein ziemlich kontroverser Neuzugang.

Allie und Lydia tauschen einen Blick aus, der mir alles verrät. »So begeistert, ja?«

Lydia spielt mit einer Haarsträhne. »Die meisten finden es cool. Und um den Rest musst du dir keine Gedanken machen. Krieg du nur deine Freigabe und bring uns zu den Landesmeisterschaften, dann interessiert sich für alles andere kein Mensch mehr.«

Klar. Alles andere. Wie die ganze Lesbengeschichte und die ganze »Wechsel die Schule oder du fliegst«-Geschichte und die ganze »Ein Stipendium wurde zurückgezogen und das andere ›liegt auf Eis‹, weil ich damit an die Öffentlichkeit gegangen bin«-Geschichte. Aber hey, auf ein College, das mich nicht voll und ganz akzeptiert, wie ich bin, wollte ich ohnehin nicht gehen, stimmt’s? Zumindest rede ich mir das jeden Morgen beim Aufwachen ein.

»Sie wollen einfach nicht in die Sache verwickelt werden«, schaltet sich Allie ein. »Uns ist egal, dass du lesbisch bist.« Sie flüstert das Wort »lesbisch«, als wäre es ein schreckliches Geheimnis. Was es definitiv nicht ist.

»Cool, tja, mir ist es nicht egal«, sage ich, woraufhin sich zwischen uns ein betretenes Schweigen ausbreitet. Aber wahrscheinlich ist es besser, die Karten gleich auf den Tisch zu legen, als mich selbst zu verleugnen.

Allie wirkt schockiert. »Oh mein Gott, so war das nicht gemeint. Natürlich ist es dir nicht egal. Mir auch nicht! Es ist cool! Es …«

»Allie, halt die Klappe.« Lydia lächelt und beugt sich näher zu mir. »Also, da die Situation eh schon seltsam ist, sag ich’s einfach geradeheraus: a) Allie hat ein Talent dafür, in Fettnäpfchen zu treten, und b) ich bin pan, du bist also nicht die einzige Queere im Team. Mit ›Für alles andere interessiert sich keiner‹ meinte ich, dass du von deiner alten Schule geflogen bist. Keinen im Team interessiert, mit wem du, ich, Allie oder irgendwer sonst rummacht, solange es deine Leistungen nicht beeinflusst. Im Moment wollen alle nur ihre Wettkämpfe gewinnen und die letzten paar Monate überstehen. Und ich für meinen Teil find’s ziemlich cool, dass du dich deswegen mit deiner alten Schule angelegt hast. Was sie da bei dir abziehen wollten, war totaler Schwachsinn.«

Das Gewicht auf meiner Brust war mir gar nicht bewusst gewesen, bis es genau jetzt von mir abfällt. Zum ersten Mal an diesem Tag lächle ich, als die Lehrerin mit einem Stapel Blätter zurückkommt.

»Wer will was über die Zusatzartikel der Verfassung lernen?«, fragt sie in einem fröhlichen Singsang.

»Also, was ist mit der los?«, frage ich später am Nachmittag, nach der Lernzeit, als wir unterwegs zum Sportplatz sind, um uns aufzuwärmen.

Allie folgt meinem Blick zu dem Mädchen von heute Morgen, das umgeben von anderen Schülern auf der Tribüne sitzt. »Mit wem?«

Ich zucke mit den Schultern. »Weiß nicht. Die aus Politik, der ich angeblich den Platz weggenommen hab.«

»Ach, das ist Ruby Thompson. Ich würde dir raten, dich von ihr fernzuhalten.«

»Warum?«

»Weil sie Ärger bedeutet«, sagt Allie, und Lydia meint gleichzeitig: »Weil sie ein Wrack ist.«

Ich blicke noch mal zu Ruby. »Was soll das heißen?«

»Hm, wo soll ich anfangen?«, überlegt Allie. »Abgesehen von ihrer ganzen Aura von ›Ich bring dich um, wenn du mich schräg ansiehst‹? Mal sehen. Sie ist widerlich, muss ständig nachsitzen und hurt rum. Sie spricht mit kaum jemandem außer Everly Jones und ich schwör dir, sie hat Tyler irgendwie verhext. Er ist in sie verknallt oder so …«

»Moment, wer ist Tyler?«, frage ich.

Lydia schüttelt den Kopf. »Tyler Portman. Er ist im Lacrosse-Team und Allie ist seit der sechsten Klasse in ihn verschossen.«

Ich lege den Kopf schräg. »Ist das so ’ne Girls Club-Nummer? Ihr zwei mögt sie nicht wegen der Typen, mit denen sie ausgeht?«

»Nein«, antwortet Lydia. »Ignorier den Teil. Sie hat schon nichts als Ärger gemacht, bevor sie mit Tyler zusammen war, glaub mir.«

»Ernsthaft«, sagt Allie, ergreift meine Hand und zieht mich zur Laufbahn. »Halt dich von ihr fern. Und tu nichts mehr, um sie gegen dich aufzubringen.«

»Sie hat mich heute Morgen fast über den Haufen gefahren«, jammere ich. »Und dann habe ich vielleicht auf ihre Motorhaube geschlagen. Ich bin also ziemlich sicher, dass ich sie schon gegen mich aufgebracht habe.«

Lydia macht große Augen. »Du hast ihr Auto angefasst?«

»Sie hätte mich fast überfahren!«

»Ich an deiner Stelle hätte mich überfahren lassen«, sagt Lydia.

Allie nickt. »Das wär zumindest schneller gegangen.«

Bevor ich irgendwas antworten kann, pfeift die Trainerin.

Das Training beginnt.

5

Ruby

Ich erwische die Neue, wie sie mich anstarrt, während sie sich mit Lydia Ramírez und der verdammten Allie Marcetti warm macht. Bestimmt denken sie, sie würden sich unauffällig verhalten, was aber ganz und gar nicht der Fall ist. Ich frage mich, was sie ihr erzählen – wahrscheinlich so was wie: »Ruby ist Abschaum, halt dich von ihr fern.« Doch das ist okay. Ich bin es gewohnt, dass die Leute über mich reden. Ich wünschte nur, sie täten es nicht ganz so offensichtlich.

»Hey, Ruby«, sagt Marcus. Als er sich neben mir auf die Tribüne fallen lässt, versetzt er mir einen Klaps gegen die Schulter. Dann reibt er sich übers Gesicht und zieht sich die AirPods raus. »Meinst du, du könntest dir dieses Wochenende das Auto meiner Mom ansehen? Es macht so ein klapperndes Geräusch, das sie nervös macht.«

»Klar, kein Problem«, antworte ich, während die Mädels vom Schulteam unter uns ihre Runden um den Rasen drehen. »Nur kennst du ja den Deal.«

Marcus nickt ernst. »Sie hat schon alle Zutaten auf die Einkaufsliste gepackt.«

Ich grinse. Ich kenne Marcus Williams, seit wir Kinder waren. Er und seine Mom leben auf der anderen Seite des Trailerparks. Als ich klein war, hat seine Mom manchmal auf mich aufgepasst, wenn meine Mom Doppelschichten gearbeitet hat. Ich erinnere mich nicht an viel aus dieser Zeit – nur Misswahlen und Babysitter, die miteinander verschwimmen –, aber ich weiß noch, dass Mrs. Williams die besten Mac and Cheese macht, die ich je gegessen habe.

Einmal habe ich den Mut aufgebracht, sie zu fragen, ob sie Velveeta-Analogkäse verwendet, denn das waren definitiv nicht die billigen Fertignudeln mit dem Pulverkäse, die ich gewohnt war. Mit einem Preis von 3,99 Dollar schien Velveeta immer etwas Vornehmes, Unerreichbares zu sein. Mrs. Williams lachte allerdings nur und sagte: »Nein, Süße, das ist selbst gemacht.«

Ich glaube, das war das erste Mal, dass ich eine selbst gekochte Mahlzeit aß. Nicht dass meine Mom es nicht versucht hätte. Sie kann einen Tambourstab herumwirbeln wie eine Meisterin, lächeln wie ein Model und über Weltfrieden reden, aber ihre Misswahl-Ausbildung umfasste nicht wirklich Fähigkeiten wie: »Mit sechzehn ein Baby aufziehen, nachdem deine Mom dich rausgeschmissen und dein Freund dich verlassen hat«, oder: »Dein Baby und du: wie du nahrhafte, selbst gekochte Mahlzeiten für unter zwei Dollar zauberst, nachdem du schwarz eine Doppelschicht gearbeitet hast, obwohl du kaum alt genug zum Wählen bist.«

Selbst heute bekomme ich nur eine richtige Mahlzeit, wenn ich Mrs. Williams Auto reparieren muss. Sie und Marcus sagen, dass ich jederzeit zum Essen vorbeikommen kann, aber ich nehme nie an. Bei anderen Leuten einfach so zu essen fühlt sich nicht richtig an, gegen eine Dienstleistung dagegen schon.

Everly kommt zu uns, versetzt Marcus einen kameradschaftlichen Klaps und lässt sich neben mich fallen. Während sie ihre Kamera zückt und krampfhaft ihr Lächeln unterdrückt, starrt er sie mit großen Dackelaugen an. Sie eiern jetzt schon seit ein paar Monaten umeinander herum und ich lach mich zwar tot über sie, muss aber zugeben, dass sie perfekt zusammenpassen. Ein paar Sekunden später gesellen sich ein paar Freundinnen der Lacrosse-Spieler und andere Nachzügler zu uns.

Das Lacrosse-Team hat heute ein »Freundschaftsspiel« gegen eine andere Schule und normalerweise würde Marcus auf dem Feld stehen, doch er »hat sich noch nicht von seiner Gehirnerschütterung erholt«, also muss er auf der Bank bleiben. Technisch gesehen ist es ein Freundschaftsspiel, doch ich weiß, Tyler gibt trotzdem alles. Das täte er allerdings auch, wenn der Typ, der Marcus einen Ball an den Kopf gedonnert hat – wodurch sie ihren besten Verteidiger verloren haben –, nicht im gegnerischen Team wäre.