The Temporary Wife - Catharina Maura - E-Book

The Temporary Wife E-Book

Catharina Maura

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Beschreibung

So viel mehr als eine rein geschäftliche Beziehung ...

Um die Ehepläne seiner Großmutter zu durchkreuzen, heiratet Luca Windsor kurzerhand heimlich seine Sekretärin Valentina. Die Regeln sind einfach: verlieben verboten, die Ehe auf der Arbeit geheim halten und jede Nacht im selben Bett schlafen! Doch was als ein unkomplizierter Deal beginnt, entwickelt sich schon bald zu einem echten Problem. Denn je mehr Zeit sie miteinander verbringen, desto klarer wird Luca, dass das Einzige, was er wirklich will, das ist, was er nicht haben kann: Valentina.

»Catharina Maura hat sich mit der WINDSOR-Reihe auf die Liste meiner Lieblingsautor:innen geschrieben. Besonders Valentinas und Lucas Geschichte war genau die richtige Mischung aus funny, emotional und spicy.« MISS.NERDSTAGRAM

Band 2 der THE-WINDSORS-Reihe von TIKTOK-Romance-Superstar und USA-TODAY-Bestseller-Autorin Catharina Maura

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Seitenzahl: 550

Veröffentlichungsjahr: 2025

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INHALT

Titel

Über das Buch

Leser:innenhinweis

Widmung

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Epilog

Die Autorin

Die Romane von Catharina Maura bei LYX

Impressum

Catharina Maura

The Temporary Wife

Roman

Ins Deutsche übertragen von Antje Görnig

ÜBER DAS BUCH

Schon seit acht Jahren arbeitet Valentina Diaz als Chefsekretärin im Unternehmen von Luca Windsor. Und fast genauso lange können die beiden sich nicht ausstehen. Aber als Valentinas Großmutter schwer erkrankt, steht Luca ihr sofort bei und bietet an, diese medizinisch bestens versorgen zu lassen. Alles, was Valentina dafür tun muss, ist, ihn zu heiraten und ihn so vor den Eheplänen seiner eigenen Großmutter zu schützen. Unendlich erleichtert über das Angebot muss Valentina keine Sekunde überlegen und willigt ein. Die Regeln sind schließlich einfach: verlieben verboten, die Ehe auf der Arbeit geheim halten und jede Nacht im selben Bett schlafen! Doch was als ein unkomplizierter Deal beginnt, entpuppt sich schon bald als echtes Problem. Denn je mehr Zeit sie miteinander verbringen, desto klarer wird Luca, dass das Einzige, was er wirklich will, das ist, was er nicht haben kann: Valentina.

Liebe Leser:innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte.

Deshalb findet ihr hier eine Triggerwarnung.

Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!

Wir wünschen uns für euch alle

das bestmögliche Leseerlebnis.

Euer LYX-Verlag

Dieses Buch ist für diejenigen von uns, die sich bemühen, die Muster zu brechen, in denen wir gefangen sind. Nur weil man es nicht anders kennt, ist es nicht unbedingt richtig.

1

Luca

Trotz der kühlen Temperatur in meinem Büro bildet sich eine Schweißperle auf der Stirn des Mannes, der mir gegenübersitzt. Ich sollte ihn von seinem Elend erlösen, doch ich stiere ihn weiter an.

»Ich … Die Firma … Wir sind sehr dankbar für Ihre fortlaufenden Investitionen«, stammelt er.

Das sollte er auch. Schließlich haben meine Familie und alle unsere Kunden Milliarden auf der ganzen Welt investiert und einen beträchtlichen Teil davon in sein Unternehmen.

»Ich habe nicht gesagt, dass ich weiter in Sie investiere.« Mein Ton ist unwirsch, obwohl ich mich um Freundlichkeit bemühe.

Er beginnt, mit dem Fuß auf den Boden zu klopfen, und ich sehe, wie die Schweißperle an seiner Schläfe hinunterläuft, während sein Atem schneller geht.

»S-Sind Sie mit unserer Leistung nicht zufrieden? Unser Aktienkurs ist dieses Jahr um zwanzig Prozent gestiegen.«

In diesem Moment kommt meine Chefassistentin Valentina herein. Ihr Timing ist wie immer perfekt. Ich habe mein Büro mehrmals untersuchen lassen, um mich zu vergewissern, dass sie hier kein Abhörgerät versteckt hat. Mein Sicherheitsteam hat sogar dreimal überprüft, dass sie auch nicht über die Telefonanlage mithören kann. Ich weiß nicht, wie sie es macht, aber sie ist jedes Mal da, noch bevor ich sie hereinrufe.

Ich sehe zu ihr auf und registriere den stoischen Ausdruck in ihrem hübschen Gesicht. Hinter ihrem Rücken wird sie von allen Eiskönigin genannt, was durchaus verständlich ist, denn ihrer offensichtlichen Schönheit zum Trotz ist sie gefühlskalt. Ich habe erlebt, wie sie den Untergang mehrerer namhafter Betriebe eingefädelt hat, und das ohne jedes Mitgefühl. Sie ist genauso emotionslos wie ich, und ich würde es nicht anders haben wollen.

Valentina legt Jackson Smithson eine Mappe vor und stellt sich höflich lächelnd neben meinen Schreibtisch. Ich habe dieses Lächeln stets gehasst. Im Grunde ist nichts daran auszusetzen, und es sieht auch nicht künstlich aus, aber es geht mir dennoch gegen den Strich.

Sie schaut mir kurz in die Augen, ehe sie mir ebenfalls einen Stoß Papiere hinlegt. Als mir die rosa Haftnotiz auffällt, mit der er versehen ist, verziehe ich das Gesicht. »F&E« steht darauf geschrieben, sonst nichts, doch da es von ihr kommt, genügt es mir.

Ich sehe sie leicht gereizt an. Sie weiß, dass ich Rosa nicht ausstehen kann, und ich bin sicher, dass ihr gesamtes Büromaterial rosa ist, weil sie mich damit ärgern will. Zweifellos ist es ihre Art, es mir heimzuzahlen, wie ich sie in den letzten Jahren schikaniert habe.

Valentina ist mir von dem Moment an auf die Nerven gegangen, als meine Großmutter sie vor acht Jahren zu meiner persönlichen Assistentin gemacht hat. Ich habe alles Menschenmögliche getan, um sie loszuwerden, doch sie ist mir immer einen Schritt voraus. Wir führen einen endlosen Krieg, und was ich auch tue, stecke ich eine Niederlage nach der anderen ein.

Ich deute mit einem Nicken auf das vor mir liegende Dokument. »Ihr Aktienkurs ist zwar um zwanzig Prozent gestiegen, aber der Gewinn Ihrer Firma ist eingebrochen. Können Sie mir das erklären?«

Jackson holt tief Luft, fast als ob er sich für das anstehende Wortgefecht wappnen würde. Echt niedlich. »Der Grund dafür sind unsere großen Investitionen im Bereich Forschung und Entwicklung dieses Jahr. Wir entwickeln einige Produkte, die die Finanzindustrie revolutionieren werden.«

Ich lächele ihn an. »Die gesamte Industrie? Tatsächlich?« Etwas Besseres ist ihm nicht eingefallen? Wenn schon sonst nichts, hätte er ein neues Anlageinstrument nennen sollen, das außerhalb meines Fachgebiets liegt.

Er nickt eifrig, doch aus seinem Blick, mit dem er mich zu beschwichtigen versucht, spricht Verzweiflung. Zu meiner Verärgerung schaut mich Valentina abermals lächelnd an, als sie Jackson einen weiteren Papierbogen hinlegt. Mir leuchtet einfach nicht ein, warum eine derart kalte Frau mit so wunderschönen warmen braunen Augen gesegnet ist.

»Die Zahlen für Forschung und Entwicklung in Ihrem Geschäftsbericht sind niedriger als im vergangenen Jahr«, sagt sie mit trügerisch sanfter Stimme. »Das kann ich mir nicht erklären«, fügt sie zögernd hinzu.

Er wendet sich ihr vertrauensvoll zu, als könnte sie ihn retten, weil er nicht weiß, dass sie ihn fertigmachen wird. Der Arme.

»Oh, das liegt daran, dass diese Zahlen nicht im Jahresbericht erfasst sind«, sagt er mit vor Panik geweiteten Augen. »Sie erscheinen erst in unserem nächsten Quartalsbericht.«

Valentina sieht ihn mit großen Augen an, und ich muss mir ein Lächeln verkneifen. »Aber … wenn das so ist, wieso sind dann die bevorstehenden Investitionen in Forschung und Entwicklung nicht in den Gewinnrücklagen in diesem Bericht erfasst? Wie finanzieren Sie Ihre Forschung?«, hakt sie nach.

Ich wende mich Valentina zu und nicke nachdenklich. »Warum wohl?«, murmele ich. »Hast du vielleicht eine Idee, Valentina?«

Sie nickt. »Ich bin keine Expertin, aber ich befürchte, es ist gar kein Geld vorhanden, das in Forschung und Entwicklung investiert werden kann, wenn wir nicht in die Firma investieren. Der überhöhte Aktienkurs ist dem Genie vom CEO geschuldet, der in dem offensichtlichen Versuch der Marktmanipulation haarsträubende Social-Media-Statements abgibt, an denen nichts dran ist. Wenn das Unternehmen seine unhaltbaren Theorien nicht umsetzen kann, wird es auf jeden Fall eine Marktkorrektur geben.«

Sie ist ein Biest im Körper der sexysten Frau, die ich je gesehen habe. Ich lehne mich in meinem Sessel zurück und genieße die Show. Zwar kann ich Valentina nicht ausstehen, doch sie ist nicht ohne Grund meine rechte Hand.

»M-Mein Sohn ist ein Visionär«, sagt Jackson. »Einer von wenigen. Er will die Branche revolutionieren, ist ein Genie. Zugegeben, seine Behauptungen mögen befremdlich erscheinen, aber Sie werden es nicht bereuen, wenn Sie in ihn investieren.«

Ich fixiere ihn und seufze. »Ihr Sohn ist nicht an Gewinn interessiert, Jackson. Er ist ein Weltverbesserer. Das ist zwar löblich, aber dabei werde ich ihn nicht unterstützen. Ich bin kein verdammter Wohltätigkeitsverein!«

Nun treibt es Jackson erst richtig den Schweiß auf die Stirn, und einen Moment lang überkommt mich so etwas wie Mitleid. Zum Glück nur ganz kurz.

»Ich gebe Ihnen die Möglichkeit, uns alles zu erklären, und Sie spinnen ein einziges Lügengespinst«, sage ich. »Er muss als CEO zurücktreten, und Sie müssen jemanden einsetzen, der Ihre Firma wieder profitabel macht. Sie haben drei Tage Zeit, eine Entscheidung zu treffen, bevor ich meine gesamten Investitionen zurückziehe.«

Er wird kreidebleich. »Luca, wenn Sie das tun, dann … gehen wir bankrott.«

Ich verschränke die Arme vor der Brust und nicke bedächtig. »Dann sollten Sie sich ganz genau überlegen, was Sie mit Ihrem Vermächtnis machen.«

Als ich aufstehe, erhebt auch er sich widerstrebend und sieht mich flehentlich an.

»Drei Tage«, wiederhole ich und bringe ihn hinaus.

Sichtlich gepeinigt zieht er mit einem resignierten Nicken von dannen.

Die Tür fällt hinter ihm ins Schloss, und Valentina sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Vor anderen verhält sie sich immer professionell, aber wenn wir unter uns sind, macht sie mich zum Gespött. Ich weiß nicht, wieso ich das eigentlich zulasse.

»Drei Tage?«, sagt sie. »Du bist ein Unmensch. Er wird sich drei ganze Tage lang damit abquälen, dabei hättest du einfach eine Krisensitzung des Vorstands einberufen können, um den Kerl selbst zu ersetzen. Du bist schließlich der größte Anteilseigner. Aber nein, du lässt ihn hier antanzen und machst ihn nieder.«

Ich werfe ihr ein Lächeln zu. »Ich war nicht derjenige, der ihm blöd gekommen ist. Außerdem hat er die Firma aufgebaut. Er muss entscheiden, ob er sie von seinem Sohn kaputtmachen lassen will. Drei Tage reichen aus, um einen anderen Investor zu finden. Wenn er wirklich an die Vision seines Sohns glaubt, wird er genau das tun.«

Ihre Mundwinkel gehen nach oben, und sie sammelt kopfschüttelnd die Papiere auf meinem Schreibtisch zusammen. Mittlerweile kenne ich sie seit acht Jahren, durchschaue sie aber immer noch nicht.

Ich reiße den Blick von ihr los und sehe auf die alte Taschenuhr meines Vaters. »Meine Großmutter erwartet uns beide zu unserem wöchentlichen Familienessen. Du weißt, dass sie es nicht mag, wenn man sie warten lässt. Wir fahren zusammen hin, danach machen wir dann alles fertig, was liegen geblieben ist.«

Valentina nickt widerspruchslos. Seit Jahren ist sie genau wie ich sechzehn Stunden am Tag im Büro. Anfangs habe ich sie nur so lange arbeiten lassen, damit sie kündigt, doch inzwischen ist es zur Routine geworden.

Sie folgt mir schweigend zu meinem Wagen. Seit ihrer Einstellung habe ich versucht, die Beziehung zwischen ihr und meiner Großmutter zu ergründen, aber es ist mir nicht gelungen. Nicht einmal Silas Sinclair, unser genialer Sicherheitschef, konnte etwas herausfinden. Ich habe keine Ahnung, warum meine Großmutter vor acht Jahren eine junge Studienabbrecherin zu meiner Assistentin gemacht hat und warum Valentina stets zu Familienfeiern eingeladen wird. Valentina Diaz hat etwas an sich, das mir partout nicht gefällt, und es sind nicht nur die Mysterien, die sie umgeben.

2

Luca

»Greif ruhig zu, Val!«, ruft meine Großmutter über den Lärm an unserem voll besetzten Tisch hinweg. Sie lässt ihr ebenso viel Liebe zukommen wie mir und meinen fünf Geschwistern. Als sie mir einen strengen Blick zuwirft, beiße ich die Zähne zusammen und lege meiner Assistentin widerstrebend noch einen Löffel glasierte Karotten auf den Teller.

Ich komme nicht dahinter, warum Grandma so viel von Valentina hält. Bei unseren allwöchentlichen Abendessen ist unsere Familie unter sich. Bis auf zwei Ausnahmen: Raven, die beste Freundin meiner Schwester, und Valentina.

Ich könnte es ja noch verstehen, wenn wir Valentina nach einiger Zeit ab und zu mal eingeladen hätten – doch so ist es nicht. Seit Anbeginn unserer Zusammenarbeit ist sie einmal im Monat dabei. Sie behauptet beharrlich, nicht zu wissen, wieso meine Großmutter sie so gut behandelt, aber das halte ich für Unsinn.

Ich habe versucht, herauszufinden, ob meine Großmutter sie bezahlt, damit sie ihr über alles Bericht erstattet, was ich mache, doch ich habe keine schriftlichen Beweise dafür gefunden. Die gibt es wahrscheinlich auch nicht, denn einen solchen Fehler würde Grandma niemals begehen.

Als Valentina sie anlächelt, betrachte ich sie nachdenklich. Warum verhält sie sich mir gegenüber nicht auch so? Es ist nicht bloß das aufrichtige Lachen, das ihren roten Lippen entspringt – es sind auch die lockeren Gespräche, die sie mit meinen Brüdern führt, und die Insider-Witze, die sie mit meiner Schwester Sierra austauscht.

Valentina, Sierra und Raven kichern über etwas, wovon ich keine Ahnung habe, und ich wende den Blick ab und konzentriere mich auf mein Essen.

Valentina versteht sich prächtig mit allen – nur mit mir nicht, dem Mann, der ihr ein sagenhaftes Gehalt bezahlt. Ich weiß nicht, welche Seite von ihr echt ist. Im Umgang mit meiner Familie ist sie so verdammt nett, dass ich fast darauf hereinfalle. Wenn die anderen sie mal im Büro erleben würden, dann wäre der schöne Schein im Nu dahin.

Ich nippe an meinem Wein und schaue zu meinem älteren Bruder Ares hinüber. In dem ganzen Trubel sind wir die Einzigen, die sich in Schweigen hüllen. Ich folge seinem Blick und stelle fest, dass er Raven anstarrt. Sie lacht über etwas, das Valentina gesagt hat, und er scheint die Augen nicht von ihr lassen zu können.

Ich schaue wieder weg und bemühe mich, mir meine Besorgnis nicht anmerken zu lassen. Raven ist nicht nur die beste Freundin unserer Schwester, sondern auch die jüngere Schwester von Hannah, Ares’ Verlobten. Er sollte sie keinesfalls so ansehen.

Ich schüttele den Kopf und leere mein Weinglas. Eine arrangierte Ehe steht uns Geschwistern allen bevor, aber ich werde meine zumindest eingehen, ohne Gefühle für eine Frau zu haben, die ich nicht bekommen kann.

»Du bist so still«, sagt Valentina nach dem Essen, als wir durch das Haupthaus gehen, in dem meine Großmutter wohnt, um zu meinem Apartment zu gelangen. »Ist alles in Ordnung? Gibt es etwas Dringendes, woran wir arbeiten müssen?«

Ich sehe überrascht zu ihr auf und schüttele den Kopf. »Denkst du immer nur an die Arbeit?«

Sie wirft mir dieses Lächeln zu, das ich nicht ausstehen kann. »Du nicht?«

Meine Mundwinkel gehen nach oben. »Touché.«

Valentina hält den Daumen auf den Scanner an meiner Eingangstür, die sich daraufhin öffnet. Mit einem leisen Seufzer streift sie ihre High Heels ab, lässt sie an der Tür stehen und geht barfuß in mein Wohnzimmer.

Ohne die hohen Absätze sieht sie so verdammt klein aus. Es wäre ein Leichtes, sie hochzuheben und gegen die Wand zu drücken. Ob ihre Lippen wohl nach dem Gift schmecken, das sie mit ihren Worten versprüht? Valentina ist zwar unglaublich schön, aber im Bett ist sie bestimmt ebenso kalt und unangenehm. Wenn ich versuchen würde, sie zu vögeln, bekäme ich zweifellos Frostbeulen. Ich erschaudere und ärgere mich über mich selbst, weil ich überhaupt daran denke.

»Interessant«, sagte sie mit Blick auf ihr Telefon, als sie sich auf die Couch setzt. Ich setze mich neben sie, und als ich ihr über die Schulter schaue, atme ich ihren unverkennbaren Lavendelduft ein. »Er hat seinen Sohn gebeten zurückzutreten. Das überrascht mich jetzt aber.«

Sie wendet sich mir zu, und wir sind uns so nah, dass sich unsere Nasen fast berühren. Als mein Blick auf ihre vollen Lippen fällt, überkommt mich ein ungewollter Anflug von Verlangen.

»Warum?«, frage ich im Flüsterton.

Sie rückt nicht von mir ab und ich nicht von ihr.

»Warum was?« Ihre Stimme zittert.

»Warum bist du überrascht?«

Sie stutzt und weicht zurück, und schon sitzt ihre undurchdringliche Maske wieder. Valentina Diaz, eine der wenigen mir bekannten Frauen, die mich noch nie wollten. Wahrscheinlich arbeiten wir deshalb schon so lange zusammen – weil zwischen uns nie etwas passiert ist. Ich habe es immer so haben wollen, aber heute nervt mich ihre Gleichgültigkeit irgendwie.

»Ich hätte nicht gedacht, dass er seinen Sohn bittet, von seinem Posten als CEO zurückzutreten, aber noch mehr überrascht es mich, dass du ihm überhaupt die Möglichkeit gegeben hast, seine Firma zu retten. In den vielen Jahren unserer Zusammenarbeit hast du noch nie jemandem eine zweite Chance gegeben. Du warst immer entschlossen und gnadenlos. Was war diesmal anders?« Sie mustert mich eindringlich.

Ich frage mich, ob ihr klar ist, dass sich kein anderer trauen würde, eine Erklärung von mir zu verlangen – und auch keiner außer ihr eine bekommen würde.

Ich zögere einen Moment, greife unwillkürlich nach meiner Taschenuhr und streiche über das eingravierte Windsor-Emblem. »Jackson war mit meinem Vater befreundet, und es war seine Entscheidung, in Jacksons Firma zu investieren.« Inzwischen fällt es mir nicht mehr so schwer wie früher, über meine Eltern zu sprechen, aber obwohl mehr als zwanzig Jahre vergangen sind, ist der Schmerz immer noch da. Ganz vergehen wird er wohl nie. Manche Wunden heilen einfach nicht.

Valentina senkt den Blick und verbirgt ihr Gesicht vor mir. »Verstehe«, sagte sie in ungerührtem Ton.

Ich hatte schon befürchtet, sie würde mich nach meinen Eltern fragen, doch ich hätte es besser wissen müssen. Valentina wird nie aufdringlich. Früher dachte ich, sie hätte Angst, ihren Job zu verlieren, aber mittlerweile habe ich den Verdacht, dass es ihr wirklich egal ist. Sie ist tatsächlich aus Eis.

»Das erklärt dann wohl, wieso du ihn nicht entlassen hast, obwohl die Gewinne der Firma seit fünf Jahren zurückgehen.« Sie sieht auf und lächelt plötzlich verschmitzt. »Vielleicht hast du irgendwo da drin doch ein Herz.«

Sie bohrt mir augenzwinkernd den Finger in die Brust. Und das Herz, das ich ihrer Meinung nach nicht habe, setzt einen Schlag aus. Ich weiß nicht, wann ich zuletzt so ein aufrichtiges Lächeln von ihr bekommen habe, und ich kann mich nicht daran erinnern, dass sie mich jemals so berührt hat.

Reflexartig packe ich sie am Handgelenk und drücke ihre Hand flach auf meine Brust. Valentinas Augen weiten sich etwas, ansonsten bleibt sie jedoch völlig ungerührt.

»Sag du es mir.« Merkt sie vielleicht, dass mein Herz etwas schneller schlägt, als es sollte?

»Nein«, sagte sie grinsend. »Ich muss mich korrigieren. Du bist so herzlos wie eh und je.«

Mit einem verstohlenen Grinsen lasse ich ihre Hand los.

Valentina greift lächelnd nach meinem Laptop, der auf dem Couchtisch liegt, und ich kann den Blick nicht von ihr losreißen. Ich glaube, ich habe sie noch nie so lächeln sehen, wenn wir unter uns sind. Alle meine Brüder hat sie bereits so angelächelt, aber mich nicht.

»Wir müssen die Restrukturierungspläne fertigstellen, und vergiss die letzte Anzuganprobe für die Hochzeit von Ares und Hannah nicht. Es ist schneller so weit, als du denkst.«

Ich lehne mich zurück und denke an all das, was wir in den nächsten Monaten zu tun haben. Wenn ich es schaffe, kann ich die Träume meines Vaters endlich verwirklichen. Wir sind schon nah dran.

Meine Geschwister und ich sind jeder für einen Bereich des Windsor-Multikonzerns verantwortlich. Gemeinsam sind wir für Finanzen, Medien und PR, Hotels, Kraftfahrzeuge und Technik, Immobilien und einige Beteiligungen im Ausland zuständig.

In all diesen Branchen haben die Windsors unter der Leitung meiner Großmutter in den vergangenen fünfzig Jahren Einzug gehalten. Wir sind ungeheuer erfolgreich, aber begonnen hat alles mit der Finanzindustrie. Bekannt gemacht haben uns hauptsächlich Windsor Finance und die Windsor Bank.

Das Unternehmen, das ich leite, unterstand früher meinem Vater. Zwar ist er nicht mehr da, um mitzubekommen, in welche Richtung ich seine Firma lenke, aber ich will ihn trotzdem stolz machen. Ich verfolge seine Vision, die er nicht mehr umsetzen konnte.

Valentina loggt sich in meinen Laptop ein, indem sie mit dem Zeigefinger über den Bildschirm wischt, und auf einmal wird mir bewusst, wie groß mein Vertrauen zu ihr im Lauf der Jahre geworden ist. Sie ist die Einzige, die von meinen Expansionsplänen weiß. Ich mag sie zwar nicht besonders, aber ohne sie wäre Windsor Finance nicht das, was es heute ist.

Wann hat sich alles verändert? Ich habe sie gehasst, als Grandma sie eingestellt und mich gezwungen hat, sie unter meine Fittiche zu nehmen. Da sie von meiner Großmutter persönlich auserkoren wurde, konnte ich sie nicht rauswerfen, obwohl ich nichts lieber als das getan hätte. Und ich habe es wirklich versucht. Ich habe alles Mögliche unternommen, um sie loszuwerden, doch es ist mir nicht gelungen. Wann habe ich meine Bemühungen eingestellt, sie zu verjagen?

»Du wirst mich zu Ares’ Hochzeit begleiten«, informiere ich sie. »Du weißt, was du zu tun hast. Halt mir die nervigen Wichtigtuer vom Hals und bring mich zu den Leuten, mit denen wir uns vernetzen müssen. Ich gebe dir die Gästeliste, und ich erwarte, dass du über jeden einzelnen Bescheid weißt. Es ist mehr als eine Hochzeit.«

Sie nickt und setzt ein verbindliches Lächeln auf. »Selbstverständlich. Ich werde da sein, und ich werde alles wissen, was es zu wissen gibt, bis hin zu den Namen sämtlicher Haustiere, Kinder und Geliebten.«

Ich nicke und lasse den Blick über ihren Körper schweifen, während ich mich zurücklehne. Wann ist die Frau, die ich wie die Pest gehasst habe, zu der geworden, der ich mehr vertraue als jedem anderen?

3

Valentina

»Der ist echt nicht mehr zu helfen!«, murmelt meine Mutter, die gebannt auf den Fernseher guckt. Sie ist hingerissen von der Szene, die sich vor unseren Augen abspielt, und verzieht vor Schmerz das Gesicht, als die Frau in der Telenovela, die wir uns gemeinsam anschauen, die Lippenstiftspuren am Hemd ihres Mannes abtut. »Wie kann man nur so blöd sein!«

In ihrer Stimme schwingt eine Bitterkeit mit, die so intensiv ist, dass ich sie geradezu schmecken kann. Sie hüllt mich ein und erdrückt mich, und meine Stimmung ist im Keller. Ich verkrampfe automatisch, und Furcht macht sich in mir breit, während ich mich auf die Worte gefasst mache, die nun folgen werden.

»Du kannst Männern nicht vertrauen«, sagt sie, vielleicht mehr zu sich als zu mir. »Letztendlich sind sie alle gleich. Sie betrügen dich, trampeln auf deinem Herz herum und lassen dich mit einem Scherbenhaufen sitzen, wenn sie die Nase voll haben.«

Ich starre sie an, bewundere ihren Biss, obwohl mich Verzweiflung überkommt. Ich würde niemals leugnen, wie viel sie durchgemacht hat, aber sie begreift nicht, welchen Schaden sie sich und ihrem Umfeld zufügt. »Das bin ich für dich, Mom? Eine Scherbe? Eine unliebsame Erinnerung an die Vergangenheit?« Die Worte, die ich tief in meinem Inneren vergraben habe, platzen unvermittelt aus mir heraus, bevor ich sie zurückhalten kann.

Meine Mutter sieht mich mit blitzenden Augen an. »Du weißt, dass ich es nicht so gemeint habe. Wenn ich es so sehen würde, hätte ich nicht mein Leben lang drei Jobs gehabt, um dich aufzuziehen. Hätte ich nicht so hart gearbeitet, wäre ich jetzt nicht in diesem Zustand«, sagt sie und schaut auf ihre Beine hinunter.

Ihr gequälter Blick zerreißt mich innerlich, und ich bedauere sofort, was ich gesagt habe. Wenn es mich nicht gäbe, hätte sie nicht in der Fabrik gearbeitet und ihre Mobilität nicht verloren. Ihre Beine werden nie wieder sein, was sie mal waren, und sie kann nicht länger als eine Stunde stehen, ohne von furchtbaren Schmerzen geplagt zu werden. Sie sagt es zwar nicht ausdrücklich, aber ich weiß, dass sie mich dafür verantwortlich macht. Hätte ich nicht darauf bestanden, aufs College zu gehen, hätte sie diesen Job nicht angenommen.

Ich bekomme Schuldgefühle, doch gleichzeitig ergreift mich dieselbe Bitterkeit, die meine Mutter eben zum Ausdruck gebracht hat. Zugegeben, sie musste große Opfer für mich bringen, doch ich habe alles getan, was ich kann, um es ihr zu vergelten.

»Während dein Vater sein anderes Kind in purem Luxus aufgezogen hat, ließ er uns verhungern«, grollt sie, »und hatte dabei überhaupt keine Skrupel. Er hat mich nicht einmal unterstützt, als ich Mühe hatte, dir einen Wintermantel zu kaufen, oder als du deine Studiengebühren nicht bezahlen konntest.«

Schweren Herzens ringe ich mir ein Lächeln ab. Es ist immer das gleiche Lied. Sie hegt einen tiefen Hass gegen meinen Vater, und ich kann es ihr zwar nicht verdenken, doch ich wünschte, sie könnte das alles hinter sich lassen. Einundzwanzig Jahre sind vergangen, und der Hass, an den sie sich klammert, vergiftet sie und alles, was sie berührt. Der Hass hat ihr mehr genommen als mein Vater.

Ich seufze. »Aber jetzt musst du nicht mehr arbeiten, Mom«, sage ich, von Gewissensbissen getrieben. »Ich verdiene genug, um uns beide und Abuela bis an unser Lebensende zu versorgen.«

Luca zahlt mir ein völlig überzogenes Gehalt und hat mir obendrein noch ein Apartment in Büronähe und ein Auto samt Fahrer zur Verfügung gestellt. Er ist der Teufel in Person, aber er entschädigt mich großzügig für die unverschämt hohe Stundenzahl, die er mir abverlangt.

Mom nickt und lächelt mich an, diesmal aufrichtig. »Ich bin stolz auf dich«, sagt sie sanft. »Ich habe immer gewusst, dass du es weit bringen wirst. Schließlich hast du meine Intelligenz geerbt. Du hattest Möglichkeiten, von denen ich in deinem Alter nur träumen konnte.«

Ich schaue zur Seite und versuche, den Unmut zu verdrängen, der mich befällt. Wenn sie doch bloß ein einziges Mal meinen Erfolg anerkennen würde, ohne gleich wieder alles auf sich zu beziehen! Ich liebe meine Mutter sehr, aber als ich aufgewachsen bin, war sie nicht da. Entgegen ihrer Auffassung hat nicht sie mich großgezogen, sondern Abuela.

Wird sie mich jemals anschauen und sehen, wer ich wirklich bin? Manchmal kommt es mir vor, als ob ich für sie nur ein Spiegelbild ihrer selbst wäre. Jede Woche gebe ich mir die größte Mühe, einfach ein paar schöne Stunden mit ihr zu verbringen, aber jedes Mal reitet sie erneut auf der Vergangenheit herum, und es gelingt mir nicht, das Gespräch wieder in eine andere Richtung zu lenken. Ich bin es leid, mich anzustrengen, und vor allem habe ich allmählich die Gefühle satt, die mich jedes Mal überwältigen, wenn ich sie besuche.

Eigentlich möchte ihr meine Liebe zeigen und dafür vielleicht ein bisschen von ihrer bekommen, doch jede Woche fühle ich mich ausgelaugt und entmutigt. Wenn ich nach Hause komme, verfolgen mich jedes Mal ihre Mahnungen, dass ich niemandem vertrauen darf und dass das Glück, das ich vielleicht finde, bloß flüchtig ist.

Früher war ich davon überzeugt, dass sie falschliegt. Ich dachte, bei mir wird alles anders und so was wie ihr wird mir nie passieren. Ich dachte, ich finde die große Liebe und das Glück, das mir bis dahin versagt war, und auch einen Platz, an den ich gehöre.

Eine Weile habe ich sogar geglaubt, es wäre mir gelungen. Letzten Endes hat meine Mutter jedoch recht behalten. Auf Männer ist kein Verlass, und Versprechen sind lediglich schöne Worte, denen wir zu viel Bedeutung beimessen. Ehre existiert nur, solange sie zweckdienlich ist, und Liebe ist ein vorübergehendes Gefühl.

Meine Mutter zieht eine Grimasse, als sich die Frau in der Telenovela eingestehen muss, dass ihr Mann sie betrügt, und ich werfe angespannt einen Blick auf mein Handy. Noch mehr Warnungen von meiner Mutter kann ich heute nicht ertragen.

Ich räuspere mich. »Mom«, sage ich zögernd, »ich muss mich verabschieden. Ich muss noch mal ins Büro.«

Sie nickt augenblicklich. »Geh«, sagt sie. »Deine Arbeit ist wichtig. Das Einzige, worauf du dich wirklich verlassen kannst, sind deine Bildung und dein eigenes Einkommen, Valentina.«

Ich sehe sie einen Moment lang perplex an. Hätte sie sich nicht hinzuzählen müssen? Sollte ich mich nicht auch auf meine Mutter verlassen können? Mir war nicht wohl bei meiner Notlüge, nun lassen meine Gewissensbisse allerdings nach.

Ich gebe ihr einen Kuss auf die Wange, bevor ich zu der Tür des Hauses gehe, das sie sich mit meiner Großmutter teilt und in dem ich aufgewachsen bin. Ich sollte mich hier wohl und geborgen fühlen, aber eigentlich war es noch nie so.

»Val? Fährst du wieder?«

Abuela steht im Flur, eine Tasse Melonenwasser in der einen und eine Plastiktüte in der anderen Hand.

»Ich … ja … Ich muss leider los, wegen der Arbeit.«

Abuela lächelt mit wissendem Blick. »Mich konntest du noch nie anlügen, Val.« Sie hält mir die Tüte hin, in der sich diverse Plastikbehälter befinden. Abuela sammelt sie mit großer Leidenschaft, und man weiß nie, was sie darin verpackt. Vor dem Öffnen den Inhalt zu erraten, ist mein absolutes Lieblingsspiel geworden. »Für dich, Princesa. Ist noch warm. Teil es dir mit deinem attraktiven Chef. Lass ihm was übrig.«

Ich sehe sie mit großen Augen an. »Woher … woher wusstest du, dass ich ins Büro fahre?«

Mein Aufbruch war eine spontane Entscheidung gewesen, aber sie musste es geahnt haben, denn sie hätte es nicht geschafft, mir in so kurzer Zeit Essen einzupacken.

»Du vergräbst dich immer in der Arbeit, wenn du aufgebracht bist.« Sie gibt mir die Tüte und legt ihre Hand auf meine. »Deine Mutter hat das Herz am rechten Fleck, mi niña. Sie meint es gut. Sie will nicht, dass du so leiden musst wie sie, aber wie sie dich zu beschützen versucht, ist völlig falsch. Nimm es ihr nicht übel, ja?«

Sie weiß immer ganz genau, was sie sagen muss, um meine Enttäuschung zu lindern. »Ich hab dich lieb, Abuela.«

Sie nickt. »Ich dich noch mehr, Val. Jetzt und für immer.«

Ich umarme sie gerührt. Doch sie wirkt etwas gebrechlicher als früher, und das bereitet mir Sorgen. »Unmöglich«, entgegne ich. »Ich hab dich am meisten lieb.«

Ihr Lachen hilft gegen den Kummer, den meine Mutter mir bereitet hat. Und so steige ich lächelnd in mein Auto, nachdem mir meine Großmutter den Abend gerettet hat.

Ich überlege kurz, ob ich meinen Freundinnen Sierra und Raven schreiben soll, entscheide mich aber dagegen. Es ist albern, doch mein schlechtes Gewissen nagt an mir, weil ich meiner Mutter gesagt habe, ich müsse ins Büro. Und da ich mich damit herausgeredet habe, fühle ich mich verpflichtet, zumindest ein bisschen zu arbeiten.

Seufzend stelle ich den Wagen vor dem Büro ab. Der Nachtpförtner begrüßt mich namentlich, und ich drohe vor Selbstmitleid zu zerfließen, als sich die Türen von Lucas Privataufzug schließen. Ich bin achtundzwanzig und habe kein Leben außerhalb der Arbeit. Selbst meine zwei engsten Freundinnen habe ich über meinen Chef kennengelernt. Es ist zum Heulen.

Die Etage ist wie ausgestorben, als ich mich an meinen Schreibtisch begebe. Ich sollte ausgehen und Freunde treffen, statt mich an einem Samstagabend im Büro herumzutreiben.

Als ich in Lucas Eckbüro Licht brennen sehe, stutze ich und bleibe verwirrt stehen. Ich weiß, dass heute nichts für ihn auf dem Plan steht. Was macht er dann hier?

4

Valentina

Luca sieht überrascht auf, als ich hereinkomme, und ein Stirnrunzeln verunziert sein hübsches Gesicht. Irritiert schaue ich an mir hinunter. Ich trage Jeans und T-Shirt und werde augenblicklich so verlegen, dass ich kein Wort herausbringe. Ich kann an einer Hand abzählen, wie oft er mich in Freizeitkleidung gesehen hat. Was meine Professionalität angeht, mache ich keine Kompromisse, und er ebenso wenig.

Ich erinnere mich noch an seine Anweisung zu Beginn unserer Zusammenarbeit. Er hatte mir zur Vorschrift gemacht, das Büro nur in einem Aufzug zu betreten, in dem ich an einer Vorstandssitzung teilnehmen kann, und ich habe mich bis heute daran gehalten.

»Valentina«, sagt er, wie immer in nüchternem Ton. Obwohl wir seit Jahren zusammenarbeiten, nennt er mich bei meinem vollen Namen. Für alle anderen bin ich Val. Er hat mir von Anfang an zu verstehen gegeben, dass er mich nicht mag und mich auf Abstand halten will. Vermutlich rührt sein Argwohn daher, dass seine Großmutter mich eingestellt hat. Er hat mich schon hundertmal nach dem Warum gefragt, doch ich kenne die Gründe dafür auch nicht.

»Luca.« Ich setze ein Lächeln auf und trete zögernd einen Schritt näher. Keine Ahnung, wann ich mich zuletzt in seiner Nähe unbehaglich gefühlt habe, aber jetzt ist mir irgendwie beklommen zumute. Ich habe keinen legitimen Grund, hier zu sein, und befürchte, dass er mir misstraut, obwohl ich ihm noch nie Anlass dazu gegeben habe. Doch an einem Samstagabend im Büro aufzutauchen, wo es – wie er besser weiß als jeder andere – nichts für mich zu tun gibt? Das ist zugegebenermaßen verdächtig.

»Was machst du hier?«, fragt er schließlich.

Ich schaue zur Seite, um mir eine Antwort zu überlegen, und entscheide mich für die halbe Wahrheit. Bei Luca ist Vorsicht geboten. Er sucht seit Jahren nach Ausreden, um mich hinauswerfen zu können, und ich darf diesen Job nicht verlieren. Bisher hat seine Großmutter sich immer schützend vor mich gestellt, aber eines Tages wird mich mein Glück verlassen. Und meine Familie wird am meisten darunter leiden. »Ich … Mein Abend war nicht so angenehm, und ich wusste nicht, wohin. Und dann bin ich, ohne nachzudenken, im Büro gelandet.«

Ich hätte mir ein bisschen Mitleid gewünscht, doch Luca nickt nur. »Ja, ich auch«, sagt er leise. Ich denke, er hätte mehr zu sagen oder würde mich mit Fragen löchern, aber er verfällt in Schweigen und schaut wieder auf seinen Monitor.

Eines der wenigen Dinge, die ich – abgesehen von seinem abartig guten Aussehen – an ihm schätze, ist wohl, dass er nicht in meinem Privatleben herumschnüffelt. Die Grenzen zwischen uns sind seit acht Jahren unverändert. Anfangs hat er mich verabscheut, und ich bin mir ziemlich sicher, dass er das auch heute noch tut, doch inzwischen respektiert er mich immerhin, und darauf kommt es letztlich an.

»Hast du schon Pläne fürs Abendessen?«, frage ich und halte die Tüte von meiner Großmutter hoch. Luca trägt wie üblich einen Dreiteiler, und ich weiß mit Sicherheit, dass er heute keine Geschäftstermine mehr hat. Also vielleicht ein Date?

Er verschränkt die Arme vor der Brust, lehnt sich zurück und sieht mich an. Luca hat etwas Faszinierendes an sich: Er gibt Frauen das Gefühl, dass er ihnen seine ganze Aufmerksamkeit schenkt, und ich bin trotz meiner Bestrebungen, ihm zu widerstehen, nicht immun dagegen. »Pläne? Habe ich jemals Pläne gehabt, von denen du keine Kenntnis hattest? Ich habe keine Dates zum Essen, das weißt du doch. Ist ja eh zwecklos.«

Ich blinzele verdutzt, aber es stimmt. Seit ich ihn kenne, hat er keine Freundin. Alle Windsor-Ehen sind arrangiert, und er wird irgendwann eine Frau heiraten müssen, die seine Großmutter ausgewählt hat. Wahrscheinlich eine reiche Erbin, die zur Expansion des Familienimperiums beitragen kann. Ich verstehe, warum sich jemand wie Luca deshalb nicht mit Dates abmüht. Für ihn ist es sicher reine Zeitverschwendung.

Ich stelle das Essen auf seinen Schreibtisch und packe es aus. Als ich die Margarinepackung von Abuela öffne, freue ich mich insgeheim. Luca sieht mich verblüfft an, als ich ihm einen in Folie gewickelten Taco gebe, und ich lächele höflich. Hat er etwa gedacht, er bekommt eine Hand voll Margarine von mir? »Das ist von meiner Großmutter. Ich esse nicht gern allein. Wärst du so nett?«

Er zögert einen Moment, dann nickt er. Es passiert nicht oft, dass wir Zeit zusammen verbringen, ohne arbeiten oder einer gesellschaftlichen Verpflichtung nachkommen zu müssen.

Während wir schweigend essen, studiere ich ihn. Mit seinem markanten Kinn, der geraden Nase und den vollen dunklen Haaren ist er unglaublich attraktiv. Sein gutes Aussehen macht seinen Mangel an Persönlichkeit allerdings nicht wett. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass er auch mal Zuneigung zeigen kann. Kann er überhaupt lachen, oder sind seine Gesichtsmuskeln verkümmert, weil sie nie bewegt werden?

Seufzend wende ich den Blick ab. Er ist wohl auch unsagbar intelligent, absolut loyal, und er liebt seine Familie über alles. Er hat eine schroffe Art und ist viel zu direkt, allerdings nicht grausam oder unfair.

Selbst als er mit aller Macht versucht hat, mich zu einer Kündigung zu treiben, hat er mir langfristig geholfen – die vielen Sprachen, die ich lernen musste, das Abendstudium, das ich absolvieren musste, und der MBA-Abschluss, den er von mir verlangt hat. Geschadet hat mir das alles nicht, obwohl ich ihn seinerzeit dafür gehasst habe. Ich sage es nur ungern, aber eines Tages wird er ein armes Mädchen sehr glücklich machen.

»Weißt du, wen du mal heiratest?« Die Frage rutscht mir einfach so heraus, und der Anflug von Verzweiflung, den ich dabei verspüre, überrascht mich. Normalerweise stelle ich Luca bloß persönliche Fragen, wenn ich die Informationen für meine Arbeit brauche, doch ich konnte es mir nicht verkneifen.

Er erstarrt einen Moment, dann schüttelt er den Kopf. »Keine Ahnung, aber da es für Ares bald ernst wird, bin ich wahrscheinlich als Nächster dran.«

Ich nicke und werde nachdenklich. »Meinst du, Raven macht es?«, frage ich. Vor einer Woche hat Ares’ Verlobte Hannah die Hochzeit abgesagt, und ihre jüngere Schwester Raven wurde gebeten, an ihre Stelle zu treten. Nur so können beide Familien die Bedingungen ihres Zusammenschlusses einhalten. Das fusionierte Unternehmen soll später den Kindern zufallen, die aus der Ehe hervorgehen. Und ohne eine Hochzeit zwischen den Windsors und den Du Ponts wird es keinen Merger geben.

Ich weiß besser als alle anderen, wie sehr Raven Ares liebt, aber ich weiß auch, wie schwer es für sie sein muss, den Mann zu heiraten, von dem sie glaubt, er sei in ihre Schwester verliebt.

»Ja«, sagt Luca entschieden. »Raven und Ares sind füreinander bestimmt. Das ist jedem klar, nur den beiden nicht. Letztendlich wird sich alles fügen.«

Ich sehe ihn an, und mich beschleicht irgendwie ein ungutes Gefühl. Wahrscheinlich ist er echt der Nächste. Sobald Ares verheiratet ist, wird sich ihre Großmutter Luca vornehmen. Wie wird es wohl sein, wenn Luca verheiratet ist? Was für eine Art von Frau wird es sein?

Ich frage mich, ob er mit ihr so liebevoll umgehen wird, wie er es sonst nur mit seinen Geschwistern und seiner Großmutter tut. Der Gedanke … gefällt mir nicht so recht, aber ich weiß nicht, warum.

5

Luca

Die Atmosphäre ist angespannt, als meine Brüder und ich unsere Plätze am Ende des Gangs neben Ares einnehmen. Eine arrangierte Hochzeit an sich ist schon schwer genug, aber nicht zu wissen, wer heute diesen Gang hinunterkommen wird, muss wirklich nervenaufreibend sein. Ich hoffe für Ares, dass es Raven ist und nicht die Frau, die er ursprünglich heiraten sollte. Hannah mag keiner von uns.

Mit gemischten Gefühlen lasse ich den Blick über das herrliche Weingut schweifen, wo die Hochzeit stattfindet. Es ist ein prächtiges Fest, wie es den Namen Windsor und Du Pont gebührt, doch irgendwie fühlt es sich leer an. Es ist eine einzige Heuchelei, ein Zusammenschluss mit zwei Leben als Bürgschaft. So war es schon immer in meiner Familie, aber bisher war es für mich noch nicht so real.

Ares ist der Erste von uns, der heiratet, und wir werden alle der Reihe nach in seine Fußstapfen treten. Vermutlich bin ich der Nächste. Ginge es nach mir, würde ich ledig bleiben. Ich habe keine Lust, mich mit veralteten Verträgen zu binden, und ich kann auf jeden Fall darauf verzichten, dass mich jemand in meiner Privatsphäre stört. Etwas Schlimmeres kann ich mir gar nicht vorstellen.

Mich überkommt ein unerklärliches Verlustgefühl, und ich fahre mir durch die Haare. Meine Großmutter und alle ihre Geschwister hatten arrangierte Ehen, und meine Eltern ebenfalls. So bleibt die Familie einflussreich und unbesiegbar. Und weil es schon immer so war, wird keiner von uns von dem vorgezeichneten Weg abweichen, aber ich frage mich, wie es wohl für meine Eltern war. Die Gedanken an sie quälen mich nicht mehr, doch an Tagen wie heute fehlen sie mir. Wären sie heute hier, was hätten sie Ares und uns allen zu sagen?

»So ist es am besten«, sagt Lex.

Ich nicke zustimmend.

»Sie könnte es sich immer noch anders überlegen«, entgegnet Ares, und wir schütteln alle den Kopf. Ich hoffe sehr, dass Hannah ihre Meinung nicht ändert.

»Das wird sie nicht«, meint Zane, »und eines Tages wirst du ihr dafür danken.«

Dion atmet tief durch und wendet sich Ares zu. »Was immer auch heute geschieht, Ares, vergiss nie, dass du ein Windsor bist, keiner von uns hat sich seine Frau selbst ausgesucht. Diese Tradition hat uns seit Generationen gute Dienste erwiesen, also hab ein bisschen Vertrauen, okay?«

Ares sieht ihn böse an. »Ich werde dich daran erinnern, wenn du an der Reihe bist.«

Faye, die Verlobte von Dion, sitzt weiter hinten. Er ist mit Ausnahme von Ares der Einzige von uns, dessen Verlobung schon vor Jahren beschlossen wurde. Aber Dion und Faye reden kaum miteinander. Wahrscheinlich liegt es auch daran, dass er in London wohnt, doch ich frage mich, ob nicht mehr dahintersteckt.

Denkt er an unsere Eltern, wenn er sie sieht? Schließlich hat sie ihre Mutter bei dem Flugzeugabsturz verloren, bei dem auch unsere Eltern umgekommen sind. Es ist auch ohne solchen Ballast schwer genug, eine arrangierte Ehe zum Funktionieren zu bringen. Erneut raufe ich mir die Haare und schüttele den Kopf. Er kann sich nicht für immer vor ihr verstecken.

»Wäre es wirklich so schlimm, Raven zu heiraten?«, fragt Lex. »Wie wäre es, wenn ich deinen Platz einnehme?«

Ares ist der Ruhigste von uns und hat gelernt, keine Miene zu verziehen, wenn er sich im Namen der Familie den Medien stellt, aber Lexingtons Worte bringen ihn auf die Palme. Er wendet sich ihm mit wutverzerrtem Gesicht zu.

»Was?«, fragt Lex provozierend. »Kannst du den Gedanken, sie wäre mit einem anderen zusammen, nicht ertragen? Ich dachte, du wolltest sie nicht zur Frau nehmen?«

»Fick dich«, zischt Ares ihn zu meiner großen Belustigung an. Er begreift einfach nicht, dass Hannahs Absage das Beste ist, was ihm passieren kann.

Die Musik setzt ein, und Ares entspannt sich sichtlich, als er Raven mit ihrem Vater am anderen Ende des Gangs erblickt. Er lächelt und lässt sie nicht aus den Augen, und ich kann nur den Kopf schütteln. Verdammter Narr!

Meine Brüder und ich seufzen alle erleichtert, als Raven von ihrem Vater an Ares übergeben wird. Die zwei empfinden es vielleicht nicht so, aber das Schicksal hat in ihr Leben eingegriffen und sie hierhergeführt. Daran besteht für mich kein Zweifel. Ich habe schon immer gewusst, dass ihre Wege schlussendlich zusammenlaufen, ob es ihnen nun gefällt oder nicht. Ich freue mich, dass sie das in Form einer Ehe tun, denn meiner Vermutung nach hätte sie nicht einmal ein solches gesellschaftliches Konstrukt auseinander halten können.

Während der Zeremonie sehe ich die Reihen der Gäste durch und entdecke Valentina. Sie trägt ein wunderschönes figurbetontes rotes Kleid. Sogar von hier aus fesselt sie meinen Blick. Valentinas Schönheit ist ihre Waffe; eine, die ich gern in meinem Arsenal habe. Sie bietet mir perfekten Schutz, denn sie ist außerordentlich geübt darin, mir begehrliche Blicke vom Hals zu halten. Heute brauche ich sie mehr denn je. Schon die vielen VIPs, die mich mit Blicken verfolgen, widern mich an. Ich könnte so tun, als würde ich die Gerüchte und Spekulationen nicht hören, aber ich bekomme sie natürlich mit. Jeder will wissen, wer meine Verlobte wird, und es sind mindestens eine Handvoll Familien anwesend, die hoffen, dass ihre Tochter die Glückliche ist. Es ist ekelhaft, wie erpicht sie darauf sind, ihr eigen Fleisch und Blut zu verkaufen. Valentina dabei zuzusehen, wie sie mit ihnen umgeht, wird das Highlight meines Tages.

Es gab mal eine Zeit, in der ich dachte, ich hätte die Frau gefunden, die ich um jeden Preis heiraten will; eine Frau, die ich wie verrückt geliebt habe. Ich wünschte, ich hätte damals gewusst, was mir heute klar ist. Beziehungen sind immer auch Geschäfte, es gibt keine bedingungslose Liebe. Verdammt, ich glaube nicht mal, dass Liebe überhaupt existiert, und wenn doch, dann ist sie extrem unbeständig! Sie ist ein Gefühl, das ich nie wieder erleben möchte. So gesehen ist eine arrangierte Ehe im Grunde die Rettung.

Die Gäste jubeln, als Ares Raven küsst, und ich grinse in mich hinein. Wie er sie küsst, zeigt, wie sehr er sie will, und es ist ihm nicht einmal bewusst. So ein Genie!

Ich sehe dem Paar nach, als es Hand in Hand davongeht. Ares weiß nicht, was für ein Glück er hat – nicht nur, weil Raven eine der schönsten Frauen ist, die ich kenne. Liebe gehört zwar nicht zu meinen Plänen, aber Ares ist anders als ich. Er ist ein hoffnungsloser Romantiker, und er will eine echte Ehe, wie er sie mit Raven haben wird. Obwohl ich selbst nicht danach strebe, freue ich mich für meinen Bruder.

Denn selbst jetzt, wo ihrer beider Leben kopfsteht und die Zukunft ungewiss erscheint, kann ich es sehen: Zwischen ihnen ist etwas, das zwischen Ares und Hannah nie war.

6

Luca

»Ein Foto noch«, sagt Großmutter mit einem Lächeln im Gesicht. Raven und Ares machen einen erschöpften Eindruck, aber Grandma sieht überaus glücklich aus. Es ist fast, als wären sie ihr in die Falle gegangen. Auf gewisse Weise sind sie es wohl auch. Wäre sie nicht beharrlich geblieben, ständen sie heute nicht hier.

»Grandma«, sage ich gutmütig, lege den Arm um sie und ziehe sie grinsend an mich, »gönnen wir dem glücklichen Paar doch ein bisschen Ruhe. Du machst ja einen Arbeitstermin für meine liebe Schwägerin daraus. Sie muss ohnehin schon Tag für Tag modeln. Wollen wir uns nicht zu den Gästen gesellen?«

Sie schaut zuckersüß lächelnd zu mir auf und nickt. Wenn sie so guckt, vergisst man leicht, dass sie die Matriarchin der Familie ist; diejenige, die uns alle nach dem Verlust unserer Eltern großgezogen hat. Grandma regiert die Familie mit eiserner Faust, aber heute sieht sie aus wie jede andere Großmutter auf der Hochzeit ihres Enkels. Sie wirkt stolz und emotional, und ihre Augen sprühen vor Freude.

Ich frage mich, ob es auch so wäre, wenn Hannah Ares geheiratet hätte. Ich kann mich nicht erinnern, dass sie Hannah jemals so angelächelt hat.

Ich biete ihr den Arm, und sie hakt sich bei mir unter. »Gut«, sagt sie, »aber du schuldest mir einen Tanz.«

Schmunzelnd führe ich sie in den Empfangssaal. »Ein Tanz mit meiner Herzensdame? Ist mir eine Ehre.«

Sie sieht mich mit zusammengekniffenen Augen an, als ich sie an die Hand nehme. »Du bist ein Schmeichler, das hast du von deinem Vater.«

Ich halte erstaunt inne. Großmutter spricht selten über meine Eltern, und es überrascht mich, dass sie meinen Vater erwähnt. Als eine langsame Ballade erklingt, lässt sie sich strahlend von mir auf die Tanzfläche führen.

»Es ist schwer, an einem Tag wie heute nicht an James zu denken«, sagt sie mit einem Hauch von Wehmut. »Er wäre sehr stolz auf Ares, und er würde Raven mit offenen Armen empfangen. Kein Tag vergeht, ohne dass ich an eure Eltern denke. Ich hoffe, ich habe deine Geschwister und dich so erzogen, wie sie es getan hätten.«

Meine Großmutter ist ein Titan; eine nicht zu unterschätzende Kraft. Sie zeigt keine Schwächen, und eine ganze Weile dachte ich, sie hätte gar keine.

»Du hast das ganz hervorragend gemacht, Grandma«, versichere ich ihr. »Ich will mir gar nicht vorstellen, was ohne dich aus uns geworden wäre.«

Sie streicht mir zärtlich über die Wange. Ihre Finger fühlen sich dürrer an als früher, und sie scheint kleiner geworden zu sein. »Du weißt, dass ich das alles bloß für dich und deine Geschwister tue, nicht wahr?«

Etwas an ihrem Ton gibt mir zu denken, und ich nicke zögernd. »Natürlich.« Irgendwie kommen mir ihre Worte wie ein Omen vor, und ich kann das Unbehagen, das mich beschleicht, nicht abschütteln.

»Gut. Vergiss das nicht.«

Während ich meine Großmutter über die Tanzfläche wirbele, denke ich über ihre Worte nach. Sie ist eine Strategin, und man darf nichts, was sie sagt, für bare Münze nehmen.

Ein vertrautes Lachen reißt mich aus meinen Gedanken, und als ich aufschaue, muss ich feststellen, dass Valentina mit einem Mann tanzt, den ich nur allzu gut kenne. Er drückt sie an sich, und in ihren Augen ist ein Ausdruck, den ich noch nie gesehen habe, und das macht etwas mit mir. Man hört sie bloß selten so ungekünstelt lachen, und ich wüsste gern, was er zu ihr gesagt hat. Womit hat er sich dieses Lachen verdient?

Mich hat sie noch nie so angesehen und erst recht nicht angelacht. Hinter meinem Rücken hat sie vielleicht schon über mich gelacht, allerdings noch nie mit mir gemeinsam. Ich habe nicht geglaubt, dass sie noch schöner werden könnte, aber wenn sie so lächelt … Sie ist zweifelsohne die schönste Frau, die ich kenne. Und es geht mir gegen den Strich, dass sie diesem Scheißkerl eine Seite von sich zeigt, die sie vor mir verbirgt. Das verdient er nicht. Niemand verdient es, nicht einmal ich.

»Luca?«

Ich blinzele und widme meine Aufmerksamkeit wieder meiner Großmutter. »Hm? Was hast du gesagt, Grandma?«

Ihre Augen funkeln. »Ich sagte, sind Valentina und Joshua Rivera nicht ein hübsches Paar? Vielleicht sollte ich nicht nur deine Heirat arrangieren. Sie wird auch nicht jünger, und du überhäufst sie dermaßen mit Arbeit, dass sie keine Zeit für Dates hat. Es wäre schön, wenn sie einen Mann findet, der sie liebt und schätzt.«

»Was?!« Ich sehe sie total perplex an, dann kehrt mein Blick zu Valentina zurück. »Nein, auf keinen Fall.« Mein Ton ist barsch. So habe ich noch nie mit Grandma gesprochen, aber sie lächelt nur.

»Warum nicht?«, fragt sie. »Er ist attraktiv und wohlhabend, und sie sind in derselben Branche. Er wird sich gut um sie kümmern, und ich denke, er wird sie glücklich machen. Sie kann nicht ewig für dich arbeiten, Luca. Und außerdem – siehst du, wie er sie anschaut?«

Ich beobachte Valentina, registriere ihren entspannten Gesichtsausdruck und ihren flirtenden Augenaufschlag. Plötzlich habe ich eine Wut im Bauch, wie ich sie noch nie erlebt habe, und ich muss die Zähne zusammenbeißen, um sie zu unterdrücken.

»Sie würden hübsche Babys machen«, sagt Grandma vergnügt. »Meinst du nicht auch?«

Joshua lässt seine Hand etwas tiefer wandern, bis seine Fingerspitzen knapp über Valentinas Hintern liegen, und zieht sie eng an sich. Wider Erwarten rückt sie nicht von ihm ab, sondern sieht lächelnd zu ihm auf.

Meine Fantasie spinnt die Geschichte weiter. Vor meinem geistigen Auge tauchen Bilder auf: wie er sie küsst, wie sie leise stöhnt und sich auf die Zehenspitzen stellt, wie seine Hände ihren Körper erkunden, jede einzelne ihrer unwiderstehlichen Rundungen, und Begierde ihren Blick erfüllt. Jedes Bild quält mich mehr als das vorherige, bis ich es nicht mehr ertragen kann.

Ich löse mich grimmig von meiner Großmutter. »Entschuldige mich bitte, Grandma«, sage ich und kann meine Wut kaum im Zaum halten. »Mir ist gerade eingefallen, dass ich noch etwas mit Valentina besprechen muss.«

»Na schön, Luca.« Sie lächelt, als ich mich zum Gehen wende, als ob sie wissen würde, dass ich lüge, und es mir durchgehen lässt.

Valentina sieht mich, bevor ich bei ihr bin, und ihr schönes Lächeln schwindet augenblicklich. Warum ist sie mir gegenüber immer so reserviert, während sie mit Mistkerlen wie Joshua derart lachen kann?

Mit einer schnellen Bewegung entreiße ich sie Joshua und ziehe sie in meine Arme.

Sie schnappt erschrocken nach Luft, als sie gegen mich prallt. »Luca?«

»Was soll das, Windsor?«, sagt Joshua verärgert. Er sieht sie so voller Verlangen an, dass ich sie automatisch fester an mich drücke.

»Entschuldigung«, sage ich mit zusammengebissenen Zähnen. »Sie gehört mir.«

Valentina macht große Augen und wendet sich Joshua zu. »Er meint, dass ich für ihn arbeite«, erklärt sie, und ich streiche ihr schmunzelnd die Haare hinters Ohr.

»Er weiß, was ich gemeint habe«, sage ich und bitte sie zum Tanz. Sie legt die Arme um meinen Hals und kommt mir so nah, wie sie Joshua gerade war. Es ist viel zu intim. Er muss ihren ganzen Körper gespürt haben. Das Gefühl, wie sich ihre weichen Rundungen an meine Brust drücken, ist fast zu viel. Ich weiß ganz genau, was der Mistkerl gedacht hat, als er mit ihr getanzt hat. Es ist unmöglich, Valentina nicht zu begehren.

Sie runzelt die Stirn, während wir uns zu der Musik der Liveband bewegen. »Was war das denn?«, fragt sie.

»Warum?«, fahre ich sie an. »Bist du sauer, weil ich dich von Joshua weggeholt habe? Vor lauter Spaß hast du anscheinend vergessen, dass du zum Arbeiten hier bist. Für dich ist das hier keine Party.«

Sie funkelt mich böse an und tritt mir auf die Zehen, dann setzt sie eine entschuldigende Miene auf. »Hoppla«, sagte sie. »Bitte entschuldige.«

Sie verspottet mich wirklich bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Ich ziehe sie enger an mich und greife ihr in die Haare. Das Bild, wie sie vor mir kniet und meinen Schwanz zwischen ihre vollen Lippen nimmt und ich die Hand in ihrem Haar habe genau wie jetzt, schießt mir durch den Kopf. »Du bist echt kindisch«, sage ich zu ihr und halte sie besitzergreifend fest.

»Nicht mehr als du«, erwidert sie. »Du magst es nicht, wenn andere mit deinem Spielzeug spielen, hm?«

Grinsend beuge ich mich zu ihr vor. Selbst mit den High Heels, die sie heute trägt, ist sie gut einen Kopf kleiner als ich. »Valentina, wenn ich mit dir spielen würde, würdest du nie wieder einen anderen Mann ansehen. Ich würde dich dermaßen anfixen, dass du nur noch meine Hände an deinem Körper haben willst.«

Sie wendet errötend den Blick ab. »W-Was redest du da?«, stammelt sie.

Der Song geht zu Ende, und ich nehme sie an die Hand. »Komm mit.« Ich führe sie zur Tür und auf den mit Kerzen beleuchteten Weg durch den Weingarten.

7

Valentina

Luca zieht mich von dem Weg, der die Räumlichkeiten für die Hochzeit und den Empfang miteinander verbindet. Er scheint verärgert zu sein, aber ich weiß nicht, warum. Weil ich mal einen Moment abgelenkt war? Er hat mich mitgenommen, damit ich ihn abschirme und Kontakte pflege, doch ich habe Wein getrunken und getanzt, obwohl mir klar ist, was er von unprofessionellem Verhalten hält.

Als meine Absätze im Rasen versinken und ich vor Schreck nach Luft ringe, schaut er über seine Schulter und lässt meine Hand los. »Gibt es ein Problem?«, fragt er. Seine Augen blitzen zwar zornig, doch seine Stimme ist sanft.

Bevor ich antworten kann, legt er einen Arm um meinen Rücken und den anderen unter meine Knie und hebt mich einfach hoch. »Luca«, sage ich verblüfft, »was machst du?«

Mein Kopf liegt an seiner Schulter, und meine Lippen berühren fast seinen Hals. Von Nahem ist sein Cologne noch berauschender als gewohnt.

Lucas kräftigen Körper zu spüren macht etwas mit mir. So habe ich mich schon gefühlt, als wir zusammen getanzt haben. Er geht mir wie kein anderer unter die Haut. Ich fühle mich beschützt, irritiert und nervös zugleich.

Je weiter wir uns entfernen, desto leiser wird die Musik, bis sie kaum noch zu hören ist. »Luca«, wispere ich, »wohin bringst du mich?«

Er trägt mich in einen mondbeschienenen Holzpavillon. »Den hier habe ich bei der Ankunft gesehen, und ich war neugierig, wie er bei Dunkelheit aussieht.«

Er setzt mich behutsam ab, und ich löse mich von ihm. Der Pavillon ist wunderschön, geradezu ein Traum. Er ist mit Lichterketten verziert, und über uns leuchten der Mond und die Sterne. »Was machen wir hier?«, frage ich mit klopfendem Herzen.

Luca nähert sich mir mit einem humorlosen Lächeln. Ich weiche unwillkürlich zurück, bis ich mit dem Rücken gegen einen Eckpfeiler stoße. Er stemmt die Arme links und rechts von mir dagegen, sodass ich ihm nicht entkommen kann. Wie er mich ansieht, bringt mein Herz zum Rasen, und ich wünsche mir mehr denn je, dass ich die Gedanken lesen könnte, die er unter Verschluss hält.

»Hast du den Verstand verloren?«, frage ich. »Habe ich dich endgültig durchdrehen lassen?«

Er lächelt, doch in seinem Blick spiegelt sich Einsamkeit. Als er mir sacht über die Stirn streicht, stockt mir der Atem, und ich lehne mich an den Pfeiler an, während ich ihm in die Augen schaue. Er sieht gefährlich gut aus, nachdem seine normalerweise undurchdringliche Maske Risse bekommen hat.

Er legt die Hand in meinen Nacken und greift mir ins Haar, wie er es auf der Tanzfläche getan hat. Ich halte die Luft an, als er sich an mich schmiegt.

»Ja, das kann man so sagen.« Er zieht meinen Kopf nach hinten und beugt sich über mich. »Du machst mich wirklich total verrückt«, flüstert er mir zu und legt seine Stirn an meine.

Es fehlt nicht viel, und unsere Lippen würden sich berühren. Ich möchte ihn küssen, obwohl ich es nicht tun sollte. Vielleicht liegt es am Wein. Oder am Mondlicht. Oder es ist ein bisschen von beidem. Ich weiß nur, dass ich das Einzige will, das ich nicht begehren darf. Ihn.

»Luca«, wispere ich beschwörend.

Er stöhnt und presst seinen Mund ungestüm auf meinen. Voller Verlangen öffne ich seufzend die Lippen. Ich will mehr. Alle Gedanken versiegen, als ich die Arme um seinen Hals schlinge.

»Verdammt!«, murmelt er und legt die Hände um meine Taille. »Du schmeckst so süß, wie ich es mir vorgestellt habe.« Er hebt mich hoch und drückt mich gegen den Pfeiler, während ich ihn mit den Beinen umklammere. Dabei klappt der Seitenschlitz meines Kleides auf. »Süß wie die Sünde.«

Seine Hände fliegen über meinen Körper. Wie er die Hüften bewegt, während wir uns küssen, turnt mich unglaublich an. Ich spüre, wie hart er ist, und die Art, wie er sich an mir reibt, ist geradezu sündhaft. Es ist zu viel und gleichzeitig nicht genug.

Als ich an seiner Fliege nestele, zieht er den Kopf etwas zurück, damit ich sie ihm abnehmen kann. »Valentina«, stöhnt er, dann küsst er mich noch einmal. Ich lasse die Fliege fallen und öffne mit fahrigen Fingern die Knöpfe an seinem Hemd, von denen sich prompt einige lösen.

»Mehr«, verlange ich, ohne meine Lippen von seinen zu lösen. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich mich zuletzt so von Verlangen habe hinreißen lassen, doch es fühlt sich vollkommen richtig an. Womöglich war es von Anfang an vorprogrammiert.

Endlich ist sein Hemd offen, und ich lasse meine Hände über seine Brust und seinen Bauch gleiten. Ich habe immer gewusst, dass er gut gebaut ist, aber Sehen ist nicht das Gleiche wie Anfassen. Er fühlt sich unglaublich gut an, und sein Stöhnen, als meine Fingerspitzen über seine Muskeln streifen, bringt mich zum Lächeln.

»Valentina«, sagt er in warnendem Ton und beißt mich in die Unterlippe.

Ich lege den Kopf in den Nacken, um mehr zu fordern, und er gibt es mir und küsst mich leidenschaftlich.

Dann schiebt er die Hand zwischen uns, und als er mit den Fingern über meinen Seidentanga streicht, stockt mir der Atem. »Feucht«, stöhnt er und beginnt, mich zu stimulieren. »Du bist verdammt feucht, Baby! Ich spüre es durch den Stoff.« Er zieht meinen Slip zur Seite, und ich seufze vor Wonne, als er mit dem Finger in mich eindringt.

»Luca«, stoße ich erregt hervor.

Er stöhnt und küsst mich noch ungestümer. »Ja«, knurrt er. »Genau so, Baby. Ich will hören, wie du meinen Namen sagst.«

Ich schmiege mich an ihn, und er hält mich mit einer Hand fest, während er mich mit der anderen streichelt.

Als er den Kopf zurückzieht, um mich anzusehen, steigt mir die Hitze ins Gesicht. Ich sehe bestimmt furchtbar aus. Meine Lippen fühlen sich geschwollen an, und meine Frisur ist sicherlich ruiniert, und trotzdem sieht er mich an, als wäre ich das Schönste, was er je gesehen hat. »Verdammt!«, zischt er, und seine Finger werden schneller, seine Berührungen energischer.

Ganz verlegen schaue ich weg, um mich seinem intensiven Blick zu entziehen, aber er lässt es nicht zu. »Sieh mich an«, befiehlt er.

Ich gehorche, und er lächelt zufrieden.

»Du willst doch für mich kommen, nicht wahr, Valentina?«

Ich nicke und beiße mir auf die Lippen.

»Dann sieh mich an, Baby.« Er fährt mit dem Daumen über meine Klitoris, und ich winsele leise. »So ist es brav«, flüstert er mir zu. »Wende die Augen nicht von mir ab, Valentina. Du gehörst mir, Baby. Dein Stöhnen, deine Lust, dein Körper. Das alles gehört mir. Mir allein.«

Er lächelt, als ich Mühe habe, an mich zu halten, und schüttelt den Kopf. »Komm schon, Baby. Ich bin hier und fange dich auf. Lass es einfach geschehen.«

Ich weiß nicht, wann mir ein Mann zuletzt so viel Lust bereitet hat. Dazu ist eine Menge Vertrauen nötig, und davon habe ich nicht mehr viel. »Bitte«, wispere ich.

Er wird rauer und mein Stöhnen lauter. Ich erkenne mich selbst kaum wieder, als er mich zum Orgasmus bringt. »Luca«, keuche ich, während sich meine Muskeln um seine Finger zusammenziehen und ungeahnte Lust meinen Körper durchströmt.

Er grinst, dann gibt er mir einen Kuss und wird sanfter. Er küsst mich so innig und bedächtig, dass mein Herz einen Schlag aussetzt. Ich lasse die Hände über seine Brust nach oben gleiten und lege die Arme um seinen Hals, um ihn an mich zu ziehen, weil ich mehr will, aber er rückt von mir ab, und sein Lächeln schwindet.

»Das nächste Mal kommst du zu mir, wenn du das brauchst.« Seine Miene versteinert sich. »Halt dich von Joshua fern. Er ist nichts für dich.«

Ich blinzele verwirrt, als er mich auf dem Boden absetzt und die Hände wieder links und rechts von mir an den Pfeiler legt. Ich sehe ihm in die Augen, und mein Herz hämmert in einem anderen Rhythmus als vorher. »Wovon … wovon redest du, Luca?«