The Unwanted Marriage - Catharina Maura - E-Book

The Unwanted Marriage E-Book

Catharina Maura

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Beschreibung

Er will sie um jeden Preis beschützen - Vor allem vor sich selbst

Seit dem Kindesalter ist Dion Windsor bewusst, wen er eines Tages heiraten wird: die wunderschöne Konzertpianistin Faye Matthews. Doch Faye ist die letzte Frau, die Dion in seiner Nähe haben will, und schon seit Jahren versucht er, der Ehe mit ihr zu entkommen. Aber als er Faye eines Abends mit einem anderen Mann sieht, weiß Dion instinktiv, dass die Zeit des Davonlaufens vorbei ist. Er wird Faye heiraten und eine echte Beziehung mit ihr eingehen. Faye kann schließlich nicht ahnen, dass Dion sich nicht aus Mangel an Zuneigung vor der Zukunft mit ihr drückt, sondern um sie vor seinem dunklen Geheimnis zu beschützen...

»Wer’s dramatisch liebt, mit ordentlich Spice und vielen Emotionen bekommt hier eine dicke Empfehlung von mir!« CONSI_ANDHERBOOKS

Band 3 der THE-WINDSORS-Reihe von TIKTOK-Romance-Superstar und USA-TODAY-Bestseller-Autorin Catharina Maura

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Seitenzahl: 603

Veröffentlichungsjahr: 2025

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INHALT

Titel

Zu diesem Buch

Leser:innenhinweis

Widmung

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Epilog

Die Autorin

Die Romane von Catharina Maura bei LYX

Impressum

Catharina Maura

The Unwanted Marriage

DION & FAYE

Roman

Ins Deutsche übertragen von Ralf Schmitz

ZU DIESEM BUCH

Schon ihr Leben lang wird Faye Matthews nur auf eine einzige Sache vorbereitet: die perfekte Ehefrau für Dion Windsor zu werden. Doch dieser scheint kein Interesse an seiner zukünftigen Frau zu haben und hält bereits seit Jahren nur den allernötigsten Kontakt zu ihr. Frustriert von dem ständigen Druck und Dions Ablehnung beschließt Faye, ihre letzten Wochen in Freiheit zu nutzen – und wenigstens einmal die Erfahrung zu machen, jemanden zu daten, den sie selbst ausgewählt hat. Doch als Dion sie mit ihrem neuen Freund sieht, kann er seine Eifersucht kaum zügeln und ihm wird klar, dass die Zeit des Davonlaufens endgültig vorbei ist. Zu lange hat er versucht, Faye vor sich selbst und seinen Taten zu schützen, zu groß war die Angst, dass sie unter seinem aufbrausenden Temperament zerbrechen würde. Nun, wo das Datum bestimmt wurde und die Hochzeit immer näher rückt, bleibt ihm kein Ausweg mehr. Aber umso mehr Zeit die beiden miteinander verbringen, desto dringender möchte Dion hinter ihre perfekte Fassade schauen und die echte Faye kennenlernen. Vor allem, da ihre Seele ebenso viele Narben zu tragen scheint wie seine eigene …

Liebe Leser:innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte.

Deshalb findet ihr hier eine Triggerwarnung.

Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!

Wir wünschen uns für euch alle

das bestmögliche Leseerlebnis.

Euer LYX-Verlag

Dieses Buch ist allen gewidmet, die ihr Leben verpassen, weil sie immer nur das Richtige tun wollen. Trefft so lange eure eigenen schweren, aber unumgänglichen Entscheidungen, bis jeder Tag eure schönsten Träume übertrifft.

1

Dion

Ich hatte es gewusst, als meine Großmutter meine Geschwister und mich zur Versammlung in unser formelles Wohnzimmer bat. Zwar wollte ich es mir nicht eingestehen, doch mir war klar, dass meine Zeit gekommen war.

Grandma lässt den Blick durchs Zimmer schweifen und mustert meine vier Brüder und meine kleine Schwester, während ich sie beobachte. Als ich ihre perfekt frisierten schulterlangen Haare und ihr blaues Kostüm betrachte, erkenne ich die schiere kompromisslose Unbarmherzigkeit in ihrem Auftreten. Heute zeigt ihre Miene keinerlei Freundlichkeit.

Ich richte mich auf, als sie sich räuspert, und mein Mut sinkt, als sie ihre kalten grünen Augen auf mich richtet. Noch ehe sie den Mund öffnet, weiß ich, was sie sagen wird, was das Gewicht ihrer Worte jedoch nicht im Geringsten mindert.

»Dion, dein Hochzeitstermin steht jetzt fest«, verkündet sie in einem Tonfall, auf den ich mich nur unter Mühen einstellen kann. »Die Trauung wird in sechs Monaten stattfinden.«

Die Spannung im Raum ist mit Händen zu greifen, Niedergeschlagenheit liegt in der Luft. »Verstehe«, sage ich leise, denn ich bin nicht in der Lage, mit fester Stimme zu antworten. Die Maske der Gleichgültigkeit, die ich normalerweise trage, ist von mir abgefallen, aber weil ich meine Geschwister nicht unnötig belasten will, senke ich bloß den Blick.

Arrangierte Ehen sind bei den Windsors Tradition, daher wusste ich seit Jahren, dass dieser Tag irgendwann kommen würde. Ich bin der Einzige unter meinen Geschwistern, der bereits seit Jahren verlobt ist, der Einzige, der schon mehr als zehn Jahre wusste, wen er irgendwann heiraten würde. Was es indes niemals leichter gemacht hat. Nein – wenn überhaupt, hat es sich stets wie ein langsamer Aufstieg zum Schafott angefühlt, wo mein Schicksal dann endgültig besiegelt würde.

Als meine Großmutter die genauere Planung der Hochzeit, was die zeitliche Abfolge betrifft, ausführt, fällt es mir schwer, mich auf ihre Worte zu konzentrieren. Alles, woran ich denken kann, ist meine Verlobte Faye.

Meine Gedanken an sie gehen immer mit Gewissensbissen einher, und auch heute ist es nicht anders. Ich bereue alles, was ich ihr bereits genommen habe, und alles, was ich zukünftig noch zerstören werde. Sie hätte ihr ganzes Leben noch vor sich haben sollen, stattdessen werde ich ruinieren, was noch von ihr übrig ist.

»Dion?«, zerreißt meine Großmutter den Nebelschleier. Als ich aufblicke, bemerke ich die Stille, in die sich der Raum gehüllt hat. »Muss ich dich an unsere Vereinbarung erinnern? Es wird Zeit, Faye nicht länger zu meiden.«

Ich beiße die Zähne zusammen und nicke knapp. Faye und ich sind seit unserer Kindheit miteinander verlobt, was man mir allerdings erst mitgeteilt hat, als ich sechzehn war. Sobald es mir möglich war, setzte ich mich auf ein Internat ab, um anschließend in Übersee zu studieren. Mich entsetzte die Vorstellung, ein zehn Jahre jüngeres Mädchen zu heiraten, doch schon damals steckte in Wahrheit noch mehr dahinter. Nämlich der Umstand, dass es um sie ging.

Also lief ich weiter davon und kümmerte mich nach dem Studium lieber um den weltweiten Ausbau unserer Unternehmen, damit ich ihr nicht häufiger als ein paarmal im Jahr über den Weg laufen musste. Die Arbeit im Ausland verschaffte mir etwas mehr Zeit, aber offenbar nicht genug.

Es wird niemals reichen.

Meine Großmutter fährt zu sprechen fort, doch ich stehe das keinen Augenblick länger durch. Ehe mir aufgeht, was ich tue, bin ich zur Tür hinaus und habe die Hälfte unseres Anwesens hinter mir gelassen. Ich habe die frische Luft und den kalt wehenden Wind bitter nötig – alles, nur um nicht an Faye denken zu müssen.

Ich bin so in Gedanken versunken, dass mir nicht vollständig klar ist, wohin meine Füße mich getragen haben. Als ich vor einem vertrauten Gebäude stehen bleibe, zieht sich mein Herz schmerzhaft zusammen. Der scharfe Stich ist eine willkommene Ablenkung von der Betäubung, die mich seit meiner Flucht aus dem Wohnzimmer überfallen hat. Ich hatte nicht vor, hierherzukommen, doch offensichtlich kann ich meinen Schuldgefühlen heute Abend nicht entfliehen.

Behutsam streiche ich über das Versteck in der Mauer, dann drücke ich gegen einen der Ziegelsteine und lege einen einzelnen Schlüssel frei. Das Heim unserer Kindheit ist das einzige Gebäude auf unserem Grund und Boden, das wir nie mit der überall sonst installierten neuen Technik ausgestattet haben. Obwohl wir nie darüber gesprochen haben, sind meine Geschwister zu der stillen Übereinkunft gelangt, dieses Haus unangetastet zu lassen. Vielleicht weil wir einfach bewahren wollten, was uns von unseren Eltern geblieben ist, vielleicht aber auch, weil keiner von uns jetzt schon bereit ist, Abschied zu nehmen. Ich bin mir nicht sicher, ob wir das jemals sein werden.

Es ist mucksmäuschenstill im Haus, als ich eintrete, und auch wenn es hier noch genauso aussieht wie in meiner Erinnerung, fühlt es sich doch anders an. Dieses einst von Wärme erfüllte Heim wirkt verwaist, was mich heute so hart trifft wie vor zwanzig Jahren.

Irgendwie hat ein kleiner Teil von mir damit gerechnet, meine Mutter die Treppe herunterkommen zu sehen, um mich, mit einem liebenswerten Lächeln im Gesicht, zu Hause willkommen zu heißen. Zu wissen, dass ich sie niemals wiedersehen werde, schmerzt noch immer, und heute sogar mehr denn je.

Ich hole unsicher Luft, und meine Lungenflügel ziehen sich zusammen, als ich gegen den dumpfen Schmerz in meiner Brust anzukämpfen versuche. Ich würde alles darum geben, hier heute meinen Eltern zu begegnen, doch zu wissen, dass nichts, was ich jemals tun könnte, sie zurückbringen würde, zerrt an meiner zerfledderten Seele.

Vor der Hausbar meines Vaters bleibe ich stehen und gebe mich der Frage hin, wie es wohl wäre, jetzt ein Glas mit ihm zu trinken. Welchen Rat würde er mir heute Abend geben? Er hat Faye angebetet, als sie ein Kind war, und ich glaube nicht, dass sich daran etwas geändert hätte.

Mit zitternder Hand greife ich nach einer Flasche seines besten Whiskeys und führe sie an die Lippen. Der Schnaps wärmt mir die Kehle, ein Gefühl, das ich willkommen heiße, während ich weiter im Haus herumgehe, bis meine Füße vor dem Klavier meiner Mutter zum Stehen kommen. Mit ausgehöhltem Herzen bleibe ich wie angewurzelt stehen. Bis hin zu dem goldenen Familienwappen im Deckel und dem lackierten Rosenholz, das ich hatte aussuchen dürfen, war der Konzertflügel extra für sie gebaut worden. Ein der Königin, die sie war, angemessenes Prachtstück, und ich würde alles dafür geben, sie ein letztes Mal für mich spielen zu hören. Sogar mein Leben für ein allerletztes Lächeln.

Ich trinke weitere große Schlucke des väterlichen Whiskeys, und für einen kurzen Moment frage ich mich, was meine Mutter wohl denken würde, wenn sie mich so sehen könnte. Wäre sie enttäuscht, weil ich das Klavierspielen aufgegeben habe? Wieder wenden sich meine Gedanken Faye zu, und ich trete noch einen Schritt vor.

Meine Mutter hätte die Frau, zu der Faye geworden ist, geliebt, auch wenn sie es nur getan hätte, weil Faye, genau wie unsere beiden Mütter, Konzertpianistin geworden ist. Mit Sicherheit hätte Mom sie aufgefordert, hier mit ihr gemeinsam vierhändig zu spielen, und bestimmt wäre ihnen der Gesprächsstoff niemals ausgegangen. Mom hätte Faye erzählt, wie sie mir das Klavierspielen beigebracht und dass sie sich gewünscht hatte, ich würde in ihre Fußstapfen treten. Hätte ich das denn getan, wenn ich sie nicht verloren hätte?

Ich setze mich auf den Klavierhocker meiner Mutter, die Notenblätter unberührt vor mir: La Campanella. Ihr Lieblingsstück. Sie konnte es sogar spielen, ohne die Noten mitzulesen – diese waren nur für mich da. Es ist das letzte Stück, das sie mich lehren wollte, und eines der wenigen, die zu meistern ich nie den Mumm hatte. Nicht so richtig.

Schweren Herzens fahre ich mit den Fingerspitzen leicht über die Tasten. »Ich vermisse dich«, flüstere ich und sehne mich verzweifelt nach einer Antwort. Als sie ausbleibt, hebe ich aufs Neue die Flasche meines Vaters an die Lippen und nehme einen tiefen Zug. Die Verzweiflung diktiert meine Handlungen, als ich die Flasche neben meinen Füßen abstelle und zu spielen beginne. Die Melodie kommt nur langsam in Gang. Als mein Blick über die Noten gleitet, erinnere ich mich einen Moment lang, warum ich das Klavierspielen so geliebt habe, damals, als der Klang eines Pianos mir noch nicht das Herz zerrissen hat, als das Klavierspielen uns noch verbunden hat – mich und meine Mutter. Das Musikstück klingt entstellt, verdorben, weil das Klavier dringend gestimmt werden müsste, doch irgendwie passt es so viel besser zu meiner Laune als die sonst so leichte und erhebende Stimmung von Liszts berühmter Komposition. Nun klingt sie so zerrissen wie ich selbst, meine Mutter würde sich unter den falsch angeschlagenen Tönen winden. Sie wäre vor der Zerstörung ihres Lieblingsstücks durch meine Hände, vor dem meiner Nachlässigkeit geschuldetem Klang ihres Flügels zurückgeschreckt, aber dann hätte sie ein ermutigendes Lächeln aufgesetzt, weil das eben ihre Art war. Sie bedeutete für mich Wärme, Liebe und die Sonne meines Lebens. Seit dem Tag, an dem ich meine Eltern verloren habe, liegt meine Welt in tiefen Schatten, und ich denke nicht, dass ich jemals wieder ins Licht treten werde.

Die Melodie wird dunkler und schroffer. Zwar ist die Akustik in diesem Raum noch so perfekt wie immer, trägt jedoch nichts zur Beruhigung meines gequälten Herzens bei. Als die letzte Note verhallt, atme ich bebend aus und lege die Stirn gegen die Notenblätter.

»Ich hätte nicht erwartet, dich jemals wieder spielen zu hören.«

Ich straffe mich, drehe mich um und sehe meine Schwester in der Tür stehen, die so heimgesucht schaut wie ich vermutlich selbst auch. Woher wusste sie, wo sie mich finden würde?

Ich schüttele den Gedanken ab und lächele säuerlich. Natürlich wusste sie es; schließlich sind Sierra und ich aus demselben Holz geschnitzt. Sie strahlt so hell. Wie unsere Mutter es immer getan hat, aber hinter ihrem Lächeln verbirgt sich eine Tiefe, die kaum jemand auszuloten vermag. Sie ist die Aufmerksamste und die Fürsorglichste von uns allen, empfindet Höhen wie Tiefen am intensivsten und fühlt mit all unseren Geschwistern. Der Abend heute mag hart für mich sein, doch meinen Schmerz mitzuerleben wird sie mehr mitnehmen als mich selbst. Mir ist bewusst, dass ich den großen Bruder für sie mimen müsste, den sie verdient, aber das kann ich nicht. Jedenfalls nicht heute Abend.

Nun kommt sie zu mir und geht mit einem unsicheren Lächeln auf den Lippen neben dem Klavierhocker in die Knie. Ich strecke einen Arm nach ihr aus, woraufhin sie mich innig umarmt. Seufzend drücke ich mein Kinn gegen ihren Scheitel und erwidere ihre Umarmung.

»Ich glaube, ich kann das nicht«, bekenne ich. Meine Stimme ist kaum lauter als ein Flüstern. Sie ist die Einzige, die von meinen Schuldgefühlen und meiner Scham weiß, von den Sünden, die schwer auf meiner Seele liegen.

»Es war nicht deine Schuld, Dion«, lügt sie.

»Ich kann ihr das nicht antun. Ihr nicht.«

Sierra zieht sich zurück, um mich ansehen zu können. Ihre Miene ist wachsam. »Aber du musst, und wenn es Vergebung ist, was du suchst, wie könntest du sie leichter finden, als wenn du Faye glücklich machst? Und vielleicht findest du, wenn du das tust, auch selbst das Glück, das dir zusteht. Weil es nämlich so ist, Dion; es steht dir zu, glücklich zu sein.«

Ich schaue meiner Schwester in die Augen und erkenne, dass sie es ernst meint. Aber wie kann sie derart fest daran glauben und so überzeugt davon sein? Wie kann sie hier sitzen, ohne mir die Schuld an allem zu geben, was ich ihr und uns allen genommen habe?

Würde sie auch noch so denken, wenn sie wüsste, welche Grausamkeit ich verberge? Ich sorge mich, dass mein Gift schließlich auch Faye in Mitleidenschaft ziehen wird. Mit mir zusammen zu sein wird sie beschmutzen und korrumpieren – und ein kranker, boshafter Teil von mir will es gar nicht anders. Was würde Sierra sagen, wenn ich zugebe, dass ich nicht nur wegen meines schlechten Gewissens vor meiner Verlobten geflohen bin?

2

Faye

Mit völlig geradem Rücken führe ich die Gabel zum Mund, doch das leichte Zittern meiner Hand verrät den Schrecken, der sich tief in meinem Magen eingenistet hat. Um mich zu beruhigen, packe ich das Metall fester und kaue auf meinem faden pochierten Ei herum.

Wir alle warten – darauf, dass Vater uns wegen irgendetwas anfährt. Wird es wegen des Essens sein? Vielleicht wird er aber auch finden, wir wären zu laut. Was es auch sein mag, irgendetwas wird er bestimmt austeilen. Normalerweise ist er um diese Zeit bereits auf dem Weg zur Arbeit; dass er noch am Tisch sitzt, ist für keinen von uns ein gutes Zeichen.

Meine Stiefmutter Abigail macht das gleiche Gesicht wie ich vermutlich selbst. Es zeigt aus Furcht entstandene falsche Freundlichkeit. Da wir beide auf die harte Tour gelernt haben, dass alles andere unser Familienoberhaupt an die Decke gehen lässt, verhalten wir uns geradezu unheimlich ruhig.

Ich kontrolliere meine Atmung und konzentriere mich darauf, mein Essen zu kauen. Schließlich will ich nicht, dass mich mein Vater dabei ertappt, wie ich auch nur einen Bissen vergeude, auch wenn ich mich noch so gern übergeben würde.

Meine Angst nimmt weiter zu, als meine beiden jüngeren Halbschwestern Linda und Chloe auf ihren Plätzen zu zappeln beginnen. Ich beobachte, wie der Ärger meines Vaters mit jeder Sekunde anschwillt. Bitte, lieber Gott, flehe ich stumm, lass nicht zu, dass sie wegen ihrer Unruhe bestraft werden.

Ich bin froh und zugleich besorgt darüber, dass meine Halbschwestern nicht lernen mussten, ihr Benehmen meinem Vater anzupassen. Das bedeutet, für die beiden besteht noch Hoffnung, dass ihr Wille noch nicht ganz gebrochen wurde – aber es heißt auch, dass seine Handlungen sie härter treffen als mich. Denn ich habe mich inzwischen daran gewöhnt, kann aber nur hoffen, dass sie sich niemals damit arrangieren müssen. Nicht mehr lange, nur noch wenige Monate, dann wird sich alles endlich zum Besseren wenden.

»Linda«, sagt Vater, und sie versteift sich. Einen Moment lang blitzt Furcht in den Augen meiner Halbschwester auf, doch sie beherrscht sich sofort wieder und setzt stattdessen das von uns allen perfekt eingeübte Lächeln auf. Bisher hat er den Mädchen noch kein Leid angetan. Doch wie viel länger werde ich sie noch beschützen können?

»Ja, Vater?«

»Wann gehst du aufs College?«

Ein sehnsüchtiger Stich fährt mir tief in die Brust, und ich hole nervös Luft. Ich habe unlängst meinen Abschluss gemacht, doch im Unterschied zu Linda war es mir nie gestattet, auf dem Campus zu wohnen. Natürlich neide ich ihr diese Erfahrung nicht, trotzdem wünscht sich ein kleiner Teil von mir, ich hätte sie selbst machen können.

»In drei Wochen«, antwortet sie leise mit zarter Stimme.

Linda hat mir so viele Wahlmöglichkeiten voraus, und ich frage mich, ob ihr überhaupt klar ist, was für ein Luxus das ist. Meine Halbschwester kann entscheiden, was sie studieren und mit wem sie Freundschaft schließen will. Sie wird sich dem Zugriff unseres Vaters entziehen und in eine Welt entkommen, in der sie selbst über ihre Zukunft bestimmen kann – was alles ist, was ich mir jemals für sie gewünscht habe.

Ich frage mich, wie es wohl wäre, so wie sie die eigenen Interessen entdecken zu können. Leider war ich gezwungen, Wirtschaft zu studieren und ausreichend Kenntnisse zu erwerben, um tiefsinnige Gespräche mit Dion führen zu können, interessiert habe ich mich dafür allerdings nie. Alles in meinem Leben war vorherbestimmt, darauf ausgerichtet, die perfekte Ehefrau für ihn zu werden.

Ich weiß nicht einmal, ob ich ohne ihn überhaupt Klavier spielen würde. Wäre ich gezwungen worden, es zu lernen, wenn man nicht von mir erwarten würde, ihn zu heiraten? Wäre meine Kindheit auch dann von rigorosen Übungsstunden und Wettbewerben erfüllt gewesen? Vielleicht – immerhin war meine Mutter, genau wie mein Großvater, eine berühmte Pianistin. Mein Vater war davon überzeugt, dass ich die Begabung meiner Mutter geerbt hatte, da zu seiner Verbitterung weder Linda noch Chloe über irgendein Talent verfügen, das er ausschlachten könnte.

»Gegen Ende des ersten Semesters wirst du dir für Fayes Hochzeit freinehmen müssen. Dann brauchen wir dich hier, und du wirst deine Schwester unterstützen.«

Mutlosigkeit weicht Verzweiflung, als ich den nächsten Bissen zum Mund führe und vorgebe, unbekümmert zu sein. Ich bin froh, dass keine meiner Halbschwestern in meine Fußstapfen treten muss, doch ich würde alles für einen einzigen Tag echter Freiheit geben – um mir mal nicht wie ein Opferlamm oder eine Zuchtstute vorzukommen. Als Chloe auf ihrem Stuhl herumrutscht, werfe ich ihr einen verstohlenen Blick zu. Zwei Jahre noch, dann wird auch sie diesem Ort entfliehen, den wir unser Zuhause zu nennen genötigt sind; ich indes werde ihn lediglich gegen einen anderen goldenen Käfig eintauschen.

Unwillkürlich schweifen meine Gedanken zu einer anderen Zukunft ab, in der ich die Freiheit hätte, selbst zu entscheiden, was ich anziehen, wohin ich gehen, was ich essen und was ich sagen will. Ich würde die ganze Welt bereisen, neue Abenteuer suchen, selbst wenn ich damit nur herausfinden wollen würde, was mir wirklich gefällt und wer ich eigentlich bin. Ich würde auf einem in irgendeinem Bahnhof zurückgelassenem Klavier spielen, einfach bloß, weil ich es will, und nicht, weil es von mir erwartet wird. Ich würde im Regen tanzen und mehr trinken, als mir guttut, und jeden Moment auskosten, in dem ich mich lebendig fühlen würde. Ich würde mit einem Mann Händchen halten, der sich für mich entschieden hat, weil er mich begehrt, und wir würden miteinander glücklich sein. Und wenn ich an diese Zukunft denke, sehe ich nicht Dions grüne Augen vor mir. Nein, in meinen tollkühnsten Träumen funkeln mich wunderschöne kaffeebraune Augen an, deren Farbe von der Tiefe seiner Hingabe künden.

Ich spüre Vaters Blick auf mir, kurz bevor seine Gabel auf den Tisch klappert. Der Klang von Metall auf Marmor ist ein Vorzeichen, das ich zu erkennen gelernt habe. »Faye«, beginnt er mit trügerisch ruhiger Stimme, »hast du in letzter Zeit mit Dion gesprochen? Wie ich höre, plant er, London zu verlassen und hierherzuziehen, sodass er in Zukunft häufiger hier sein wird.«

Beim Gedanken an meinen Verlobten verlässt mich der Mut. Seit Monaten habe ich nichts von ihm gehört, und mein Vater wird mich so oder so dafür verantwortlich machen. Unser Hochzeitstermin wurde vor einem Monat festgesetzt, aber wir haben nicht einmal miteinander darüber gesprochen. Dass er bald herziehen würde, hätte ich wissen müssen, trotzdem hatte ich irgendwie gedacht, noch etwas mehr Zeit zu haben.

»Ich habe ihn mehrmals kontaktiert, und er hat mir gesagt, er würde sich falls erforderlich mit mir in Verbindung setzen«, lüge ich mit vollkommen gelassener Stimme. In Wahrheit habe ich Dion vor Wochen ein einziges Mal angerufen und direkt auf seine Mailbox gesprochen. Seitdem habe ich nicht mehr probiert, ihn zu erreichen, aber das kann mein Vater unmöglich wissen.

Außer bei offiziellen Terminen der Windsors sehen wir uns nie und rufen einander auch nicht an. Daher bin ich überzeugt, dass ich einer der Gründe bin, warum er es vorgezogen hat, in einer Auslandsniederlassung der Windsors zu arbeiten. Er ist mir gegenüber immer die Höflichkeit und Zuvorkommenheit in Person, dennoch liegt auf der Hand, dass er mich eigentlich nicht heiraten will. Seine unübersehbare Gleichgültigkeit spricht Bände. Ich bezweifele allerdings, dass er jemals begreifen wird, wie dankbar ich dafür bin. Wenn ich Glück habe, behandelt er mich nach der Hochzeit genauso.

»Komm mal her«, sagt mein Vater mit leiser Stimme.

Mich überläuft ein kalter Schauer. Und mein Herz beginnt zu rasen, als mich Furcht überkommt. Ich schlucke, erhebe mich und bewege mich gemessenen Schritts. Natürlich bin ich nicht so dumm, ihm nicht zu gehorchen. Doch vor lauter Panik überschlagen sich meine Gedanken, als ich mit furchtsam hochgezogenen Schultern vor ihm stehen bleibe. Ohnmacht zerrt an mir, aber ich weigere mich, ihr nachzugeben.

Vater stößt seinen Stuhl vom Tisch zurück, das kratzende Geräusch auf dem Boden entlockt Chloe ein leises Wimmern. Ich werfe ihr einen kurzen Blick zu und bete, dass sie den Blick nicht von ihrem Teller hebt und den Mund hält. Das Letzte, was ich will, ist, dass sein Zorn von mir auf sie überspringt.

Als seine Hand sich um meine Kehle schließt und sein Griff sich langsam zusammenzieht, rühre ich mich nicht vom Fleck. Er drückt nie so fest zu, dass Spuren zurückbleiben würden, doch immer fest genug, um mir das Atmen zu erschweren. Da ich weiß, dass in Panik zu geraten es nur für alle noch schlimmer machen würde, versuche ich, ruhig zu bleiben. Seine Finger graben sich in meine Haut, und er drückt mir von den Seiten die Kehle zu, sodass ich gerade ausreichend Luft bekomme, um bei Bewusstsein zu bleiben.

»Muss ich dich daran erinnern, was auf dem Spiel steht?«, zischt er. Seine Augen sind von brennendem Hass erfüllt. Die Windsors haben ihm für jedes Jahr Ehe mit Dion zwei Millionen versprochen, insgesamt bis zu sechs Millionen, was mein Vater mich niemals vergessen lässt.

Meine Augen füllen sich mit Tränen, während meine Lunge um Atemluft ringt. Ich kann es mir nicht leisten, mich der Panikattacke zu überlassen, die sich spürbar in meiner Brust aufbaut. Wenn ich die Kontrolle über die Ruhe verliere, an die ich mich klammere, wird er nur umso gewalttätiger, und das nicht bloß gegen mich.

»Nein, Vater«, bringe ich krächzend heraus. Unfähig, den Ausdruck in seinen Augen zu ertragen, wende ich den Blick ab. Weder konnte ich mir jemals ausmalen, warum er mich so sehr hasst, noch ist es mir jemals gelungen, die Brutalität seines Hasses zu schmälern. Was ich auch tue, niemals verdiene ich mir die Freundlichkeit, die er Linda und Chloe so häufig erweist. Ich bin die Einzige, der er dermaßen zusetzt – ihnen niemals. Ich bin dankbar, dass er sie vor seiner Grausamkeit verschont, wünsche mir jedoch, dass er auch mich verschonen würde.

»Jetzt, da der Heiratstermin endlich feststeht, lieferst du ihm besser keinen Grund, die Hochzeit noch weiter hinauszuschieben. Ist es nicht schon schlimm genug, dass sie darauf bestanden haben, deinen Collegeabschluss abzuwarten? Ich habe es satt, mich noch länger hinhalten zu lassen, Faye«, sagt er und erhöht den Druck seiner Finger um meinen Hals, bis ich zustimmend nicke. »Luca Windsor hat dem Willen seiner Großmutter zuwidergehandelt und statt seiner Verlobten seine Assistentin geheiratet. Damit hat er einen Präzedenzfall geschaffen, der uns Steine in den Weg legen könnte. Dion hatte nie den Eindruck, eine Wahl zu haben, jetzt wurde er aber eines Besseren belehrt. Da es bis zur Hochzeit bloß noch wenige Monate sind, bleibt kein Spielraum mehr für Fehler. Es wird Zeit, unsere Taktik zu ändern – statt ihn aus Angst, seine Familie könnte dahinterkommen, wie ungeeignet du bist, zu meiden, musst du ihm von nun an ausreichend Honig ums Maul schmieren, damit er deine Fehler übersieht.«

Mir dreht sich der Magen um, dennoch nicke ich und ergebe mich meinem Schicksal. Dion nahezukommen ist das Letzte, was ich tun will, aber ich habe keine andere Wahl. Denn hier geht es nicht nur um mein Leben. Wenn ich nicht mache, was mein Vater verlangt, wird er meine Stiefmutter dafür bestrafen. »Ja, Vater«, antworte ich leise, ungeachtet des in mir brennenden Trotzes, in nachgiebiger Haltung.

Er lässt mich los und nimmt sein Handy vom Tisch. »Verdirb es nicht«, warnt er mich noch, bevor er hinausgeht.

Hinter ihm fällt die Tür ins Schloss, und ich sinke langsam auf seinen unbesetzten Stuhl, da meine Füße mich keinen Augenblick länger zu tragen vermögen. Ich zittere wie Espenlaub, und ich hasse mich dafür. Ich hasse es, mich schwach und hilflos zu fühlen.

Chloe streckt ihre Hand nach mir aus, und ich versuche mich für sie zu einem Lächeln zu zwingen. »Geht es dir gut?«, flüstert sie.

Nickend fasse ich ihre Hand fester. In Wahrheit geht es mir alles andere als gut, doch ich habe mich so daran gewöhnt, an den meisten Tagen so zu tun als ob, dass ich mich sogar selbst hinters Licht führe.

»Du solltest dich bald mit Dion treffen«, bemerkt Abigail mit leiser Stimme. Sie hält sich nicht damit auf, sich nach meinem Befinden zu erkundigen. Womöglich hat sie sich an solche Szenen gewöhnt, oder es kümmert sie einfach nicht, ob es mir gut geht. Mehr und mehr beginne ich mich zu fragen, ob Letzteres der Fall ist.

Wann hat sie mich das letzte Mal zu verteidigen versucht? Ich wollte nie, dass sie sich zwischen meinen Vater und mich stellt, weil das die Lage nur verschlimmern würde, aber müsste sie nicht immerhin ein wenig besorgt sein?

»Das werde ich. Ich treffe mich heute mit seiner Schwester; wenn er schon zurück ist, wird er vielleicht auch dort sein«, lüge ich und unterdrücke die Welle aus Schuldgefühlen, die meinen Worten folgt.

»Gut«, haucht sie darauf. Einen Moment lang sehe ich sie an, betrachte ihr makelloses Make-up und die wunderschönen blonden Haare, durch die sie und ihre Mädchen sich von mir unterscheiden. Ich frage mich, ob sich Blutergüsse unter der dicken Schicht Schminke verbergen.

»Dein Vater ist ein guter Mensch«, sagt Abigail, den Blick fest auf ihren Teller gerichtet. Wie gern würde ich wissen, wen sie mit ihren Worten zu überzeugen versucht – mich, die beiden Mädchen oder sich selbst. »Sorg einfach dafür, dass du Dion heiratest. Wenn wir erst einmal über das Geld verfügen, das die Windsors uns versprochen haben, wird wieder alles bestens sein. Dein Dad war, seit seine Firma beinahe bankrottgegangen ist, nicht mehr er selbst. Die Bergbaubranche ist nicht mehr das, was sie früher mal war. Er tut, was er kann, aber er benötigt die finanzielle Unterstützung, die sie ihm gewähren werden.«

Das sagt sie immer, doch mein Vater war, solange ich zurückdenken kann, so, wie er jetzt ist. Sie klammert sich an den Mann, der er vor über zehn Jahren war, als seine Geschäfte noch gut liefen, bevor sein Hang zum Alkohol seine Liebe zu uns überwucherte.

Unfähig, sie noch einen Augenblick länger anzusehen, stehe ich seufzend auf. »Ich mache mich besser fertig, ich will Sierra Windsor auf keinen Fall warten lassen.« Die neuerliche Lüge kommt mir schon leichter über die Lippen.

Einmal noch. Ein allerletztes Mal noch will ich egoistisch sein.

3

Faye

»Was ist passiert?«, erkundigt sich Eric ganz besorgt. Er greift über den Tisch nach meiner Hand und verschränkt unsere Finger miteinander, dann drückt er mir einen sanften Kuss auf den Handrücken.

Als er mich so zärtlich anlächelt, dass mein Herz einen Schlag lang aussetzt, mache ich große Augen. Ich bin so daran gewöhnt, selbst am hellen Tag unsichtbar zu sein, dass seine Aufmerksamkeit mich unvorbereitet trifft. Meine Familie sieht nur, was sie sehen will, und für meinen Kummer war sie immer schon blind. Vielleicht haben sich alle auch bloß so an meinen Schmerz gewöhnt, dass sie ihn längst nicht mehr bemerken.

Ich frage mich einen Augenblick lang, was geschehen würde, wenn ich Eric die Wahrheit sagen würde. Würde er mit mir durchbrennen? Würde er mich beschützen? Oder wäre er entsetzt, wenn ich ihm verraten würde, dass ich, wenn auch gegen meinen Willen, so gut wie verlobt bin?

»Ich bin nur vor meinem nächsten Konzert nervös«, murmele ich, weil ich nicht weiß, was ich sonst sagen soll. Die Wahrheit würde bloß alles beschmutzen, was wir haben. »Ich denke daran, eine Eigenkomposition zu spielen«, füge ich hinzu und gebe mich einer selbst erschaffenen Fantasie hin. Mein Vater würde mir niemals gestatten, etwas zu spielen, das ich selbst geschrieben habe. Die wenigen Male, da er mich dabei ertappte, wie ich eine eigene Komposition vortrug, hat er mich jedes Mal derart streng bestraft, dass ich tagelang überhaupt nicht mehr spielen konnte.

Trotzdem möchte ich hier und jetzt gern eine Rolle spielen. Diese ganze Scharade wird in dem Moment in sich zusammenbrechen, in dem ich mich von Eric trenne. Dennoch möchte ich ihm noch für ein paar Stunden vormachen, wahrhaftig die zu sein, für die er mich hält.

Denn nur in seiner Gegenwart kann ich die Frau sein, die ich am liebsten jede Sekunde jedes einzelnen Tages sein würde. Vielleicht würde der Rest unserer Geschichte in einem anderen Leben nicht ungeschrieben bleiben. Vielleicht wäre er in einem anderen Leben der Mann, den ich heiraten und mit dem ich alt werden würde.

Ich schaue mich in dem stillen Café um – dasselbe, in dem wir uns vor so vielen Monaten zum ersten Mal begegnet sind. Damals kam er in der Mittagspause hierher und saß an dem Tisch gegenüber, an dem ich die Nase in meine Bücher steckte. Tag für Tag warfen wir einander verstohlene Blicke zu, bis er sich endlich ein Herz fasste und mich fragte, ob er sich zu mir setzen dürfte.

Ich hatte nie vor, mich in ihn zu verlieben. Wir hätten nicht mehr als Freunde sein dürfen, trotzdem kann ich mich nicht überwinden, unsere Verbindung zu bereuen. Ich hatte nicht erwartet, dass ich jemals den Mut aufbringen würde, meinem Herzen zu folgen, und sei es auch nur für kurze Zeit. Eric ist der einzige Wunsch, den ich mir jemals zu erfüllen gewagt habe, die einzige Entscheidung, die ich treffen musste. Er ist der einzige Anschein von Glück in einer Welt, die mich in Verzweiflung ersticken will. Allerdings wird er niemals erfahren, wie viel die paar Monate mit ihm mir bedeutet haben. Unsere Verbindung heute lösen zu müssen erfüllt mich mit fremdartiger Verzweiflung – als müsste ich alle Hoffnung fahren lassen.

»Ich würde gern behaupten, Karten gekauft zu haben, um dich spielen zu sehen, aber ich weiß, du würdest es mir nicht erlauben.« Er zögert und lächelt. Nie hat er mehr von mir verlangt, als ich ihm geben konnte, und meine sämtlichen Ausreden hingenommen, wann immer er das wollte, was ich ihm nicht gewähren konnte. Ich habe mich ständig gefragt, warum. Weiß ein kleiner Teil von ihm, dass das zwischen uns nicht halten kann? »Würdest du stattdessen bitte mit mir zu Mittag essen? Heute vor genau sechs Monaten haben wir uns doch kennengelernt, deshalb würde ich dich gern mal richtig chic ausführen.«

Ich verspanne mich, überrascht, dass er sich an so etwas erinnert. Es ist nicht mal ein richtiger Jahrestag – heute ist es lediglich sechs Monate her, seit wir zum ersten Mal zusammen an diesem kleinen Tisch gesessen haben. Zu wissen, dass er mich nie wieder so ansehen wird, tut weh.

»Und was stellst du dir vor?«, lenke ich ein. Nur noch eine weitere Erinnerung. Nur noch ein weiterer Tag, an dem ich ihn nicht zurückweisen muss. Mehr verlange ich nicht. Nach diesem einen Tag werde ich die Rolle wiederaufnehmen, die mein Vater für mich vorgesehen hat. Ich werde sämtliche an mich gerichteten Erwartungen erfüllen, doch das hier – das hier verlange ich als Entschädigung dafür. Eine letzte Verabredung mit einem Mann, der mich zu schätzen weiß. Bloß noch dieses eine Date.

Eric grinst, ein Anflug von Verblüffung mischt sich in seine unverhohlene Freude. Er hat wirklich nicht damit gerechnet, dass ich Ja sagen könnte. »Lass mich dich ins Lacara ausführen«, stößt er eilig hervor.

Da verlässt mich der Mut, mein ganzer Körper erstarrt. Hat er gerade Lacara gesagt?

Er hält inne, offenbar missdeutet er mein Erschrecken, das ich unmöglich verbergen kann. Eric schüttelt den Kopf und drückt lächelnd meine Hand. »Das Restaurant hat einen Michelin-Stern«, erklärt er. »Aber ich buche auch sehr gern ein Zimmer, wenn du magst.«

Obwohl mein Herz wie wild schlägt, zwinge ich mich, zu lächeln, und wende den Blick ab. Den Windsors gehören mehrere Hotels, auch wenn ich nicht glaube, dass man sie dort jemals persönlich antrifft. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, im Lacara auf die Windsor-Geschwister zu stoßen? Vermutlich so gut wie unmöglich. Jedenfalls sagt mir das mein Verstand. Und doch verheißt Erics Wahl Unheil. Sie scheint mich daran zu erinnern, dass ich Dion unmöglich entkommen kann, nicht einmal in den letzten gemeinsamen Augenblicken mit Eric.

»Das würde mir sehr gefallen«, antworte ich nichtsdestotrotz, da ich mich verzweifelt nach ein paar letzten eigenen Entscheidungen sehne.

Er zieht die Augenbrauen hoch und wirft mir einen verschmitzten Blick zu. »Was, das Restaurant oder das Zimmer?«, fragt er grinsend.

»Beides, wenn du Glück hast.« Das sollte ein Witz sein, doch als seine Augen sich verdunkeln, habe ich auf einmal Schmetterlinge im Bauch. Mir ist niemals auch nur in den Sinn gekommen … etwas Derartiges zu wagen.

Könnte ich tatsächlich mit ihm schlafen? Nach dem heutigen Tag werde ich Eric niemals wiedersehen – das kann ich jetzt, da Dion in Kürze zurückkommt, unmöglich riskieren, andererseits hätte ich dann wenigstens eine Erinnerung, von der ich die kommenden Jahre zehren könnte. Es wäre die allerletzte Entscheidung, die ich selbst treffen könnte, und die Vorstellung, Eric etwas zu gewähren, das Dion vermutlich für sein gutes Recht hält, erfüllt mich mit Genugtuung.

Meine Gedanken sind noch immer in Aufruhr, als wir die Hotelhalle betreten. Ich kann nicht einmal den Prunk des Lacara vollständig genießen, weil ich meine Entscheidung mit jedem weiteren Schritt mehr infrage stelle.

Die Weitläufigkeit des Hotels macht mich nervös, und plötzlich geht mir auf, wie verrückt das alles ist. Eigentlich bin ich nicht die Sorte Mensch, die Glücksmomenten nachjagt, und ich habe Angst. Ich habe Angst, Eric zu verletzen, davor, mich den Folgen meines Handelns stellen zu müssen, und vor der Zukunft, der ich mich nach dem heutigen Tag unterwerfen muss. Wie sehr ich es doch leid bin, ständig Angst zu haben!

Als Eric meine Hand nimmt, zwinge ich mich dazu, mich zu beruhigen, um diese letzte Verabredung mit ihm zu genießen. Dion hat mir schon jetzt so vieles genommen, aber diese wenigen letzten Stunden gehören mir. Diese Stunden sind vielleicht das letzte bisschen Freiheit, das mir noch bleibt. Meine allerletzten Sekunden darf ich nicht im Würgegriff der Angst verbringen.

Eric rückt mir den Stuhl zurecht und wirft mir einen besorgten Blick zu, aber dankenswerterweise sagt er kein Wort. Ich bin nicht sicher, ob ich ihm erklären könnte, was mit mir ist, wenn ich es darauf ankommen ließe – jedenfalls nicht, ohne alles zu verderben.

»Ich bin auch nervös«, erklärt er, mein Schweigen missdeutend. »Irgendwie fühlt sich das heute wie ein allererstes Date an, oder?« Ich nicke, und er greift über den Tisch hinweg nach meiner Hand. »In mancherlei Hinsicht ist es das vermutlich auch. Ich habe immer gesagt, ich wollte mich gedulden, und dass es sich lohnen würde zu warten, bis du so weit bist, aber es kommt mir vor, als hättest du meine Worte ein bisschen zu ernst genommen«, fügt er scherzhaft hinzu. »Ein halbes Jahr, ehe ich dich anständig ausführen darf? Bei dem Tempo dauert es noch Jahre, bis wir verheiratet sind.«

Mein Lächeln wankt, und ich senke den Blick, weil ich den teils hoffnungsvollen, teils flirtenden Ausdruck seiner Augen nicht aushalte. Es ist uns nicht bestimmt, Mann und Frau zu werden, doch ich weiß nicht, wie ich ihm das klarmachen soll. Wie soll ich ihm sagen, dass dies das Ende unserer Geschichte ist?

Als er unsere Finger ineinander verschränkt, schaue ich ihm in die Augen, um die Zuneigung darin in mein Gedächtnis zu brennen. Ich unterdrücke das aufkeimende Gefühl der Hilflosigkeit und lächle stattdessen.

»Du magst Fisch, oder?«, erkundigt er sich und deutet auf ein völlig überteuertes Gericht auf der Speisekarte. Bestimmt will er mich einladen, aber das kann ich unmöglich annehmen, weil ich weiß, dass ich mich niemals dafür revanchieren kann.

Ich schüttele den Kopf.

Er seufzt und nimmt mir die Speisekarte ab. »Dann lass mich für uns beide bestellen. Lass mich dich mit etwas überraschen, das du ganz sicher lieben wirst.«

Einen Moment lang möchte ich ihm widersprechen. Ich möchte ihm mit jeder Faser meines Seins sagen, dass ich mir selbst etwas aussuchen kann, doch ich halte mich zurück, weil ich weiß, dass er nicht mein Vater ist. Dass er mich nicht tyrannisieren, sondern lediglich beeindrucken will. Heute könnte ohne Weiteres der letzte Tag sein, an dem überhaupt irgendein Mann Rücksicht auf mich nimmt. Es wäre doch bescheuert, einen solchen Augenblick verstreichen zu lassen.

Mein Blick schweift über Erics Gesicht – seine kurzen blonden Haare, seine braunen Augen, wie er mich anlächelt. Niemand hat mich jemals so angeschaut wie er, als würde er mich wirklich sehen. Dann fällt mein Blick auf seine Lippen, und wie ein scharfer Stich des Verlangens durchzuckt mich. Nie wieder werde ich ihn küssen. Nie wieder werde ich mit jemandem zusammen sein, der sich für mich entschieden hat und der mich wirklich will.

»Wie viel kostet ein Zimmer hier?«, frage ich ihn. Die Worte kommen mir über die Lippen, noch ehe der Gedanke sich vollständig gebildet hat und mir die damit verbundenen Konsequenzen bewusst werden.

Eric setzt sich gerade hin und zupft an seinem Hemdkragen. »Nicht sehr viel«, antwortet er und grinst nervös.

Im Bewusstsein seiner Lüge erwidere ich sein Lächeln. Alle Windsor-Hotels haben fünf Sterne. Ich könnte mir hier keine Übernachtung leisten, nehme aber an, dass es für einen Rechtsanwalt wie Eric nicht ganz so unerschwinglich ist.

Sein Blick wandert über meinen Körper, bleibt kurz an meiner Brust hängen, dann schaut er weg. »Ich bin sicher, wir können uns das Abendessen auch aufs Zimmer bringen lassen«, sagt er und schluckt schwer.

Zu wissen, dass er ebenso nervös ist wie ich, macht es mir irgendwie leichter. Er behandelt mich mit solcher Achtsamkeit. Dion wäre nie so geduldig, so lieb; er würde sich nehmen, was ich ihm seiner Meinung nach schuldig bin, ohne sich um meine Gefühle zu scheren. So war es schon immer. Jedes Mal wenn Dion gezwungen ist, sich mit mir zu befassen, beschränkt er sich auf das Nötigste, ohne dabei in Betracht zu ziehen, wie es mir dabei geht, als könnte er meine Gegenwart keine Sekunde länger ertragen als unbedingt nötig.

Ich nicke, denn plötzlich weiß ich genau, was ich will. Jahrelang hat mein Vater mich streng überwacht, sodass ich mich mit Männern nicht mal anfreunden konnte, aus Angst, ich könnte etwas tun, das Dion einen Vorwand liefern könnte, unsere Verlobung zu lösen. Das ist heute meine letzte Gelegenheit, etwas zu meinen eigenen Bedingungen zu tun. Danach werde ich gezwungen sein, einen Mann zu heiraten, der die meiste Zeit vergisst, dass ich überhaupt existiere, aber heute werde ich selbst entscheiden. Meine Unschuld verschenke ich selbst.

4

Dion

»Wollen Sie zuerst die gute oder die schlechte Neuigkeit?«, fragt Silas Sinclair, der Sicherheitschef meiner Familie.

Mehr als verärgert über seine endlosen Spielchen umklammere ich mein Handy fester, als ich die Halle des Lacara betrete. Meiner Auffassung nach erwächst Silas’ Neigung, Informationen so weitschweifig wie möglich zu übermitteln, schlicht und ergreifend aus Langeweile. Der Mann ist so mit seiner Frau beschäftigt, dass für die Sorte Freude, die sein Leben früher einmal erfüllt hat, kein Platz mehr bleibt.

»Die gute«, gebe ich scharf zurück.

»Ich habe Hannah gefunden.«

Ich bleibe wie angewurzelt stehen. Ares hat sie nach allem, was sie ihm und seiner Frau Raven angetan hat, auf die Schwarze Liste gesetzt, was ihrer Schauspielkarriere ein vorzeitiges Ende bereitet und ihr Leben zerstört hat, doch das genügt nicht. Sie hat längst nicht genug bezahlt.

»Hannah. Ravens Schwester«, stellt Silas klar, als könnte ich eine einzige Sekunde vergessen, wer sie ist. Ich bin kein nachsichtiger Mensch – niemals würde ich die Namen derer, die meiner Familie wehgetan haben, vergessen. »Die Frau, die ich für Sie finden sollte?«

Das nervt. Der Mann ist wirklich eine Nervensäge. Genau genommen ist Silas nur für unsere Sicherheit zuständig – was sowohl Personenschutz als auch Cyber Security beinhaltet –, doch für alles, was er nicht alleine bewerkstelligen kann, verfügt er über die richtigen Beziehungen. Ja, er ist eine verdammte Nervensäge, aber auch absolut zuverlässig; und obwohl ich es niemals zugeben würde, versteht er sich wie kein anderer auf seine Aufgaben.

»Und die schlechte Nachricht?«

Er seufzt. »Kurz bevor wir sie schnappen konnten, ist sie erneut verschwunden. Offensichtlich genießt sie jeden Schutz, den man für Geld bekommen kann. Ravens Vater hat geschworen, dass die Familie ihr nicht hilft, und ehrlich gesagt kann ich keinen Anhaltspunkt dafür finden, dass er lügt. Jedenfalls bisher nicht.«

Ein Anflug von Zorn überkommt mich, als ich zähneknirschend zu den Aufzügen eile. Dieses Miststück! Ich habe keine Ahnung, wie sie uns immer wieder entkommt, aber lange wird das nicht mehr so weitergehen.

»Ich werde Xavier um Hilfe bitten«, brumme ich, »denn ich habe diese Spielchen so was von satt. Ich kann nicht zulassen, dass sie sich weiter in der Weltgeschichte herumtreibt, während meine Schwägerin alles tut, um den Schaden auszubügeln, den sie angerichtet hat.«

Silas setzt zu einer Erwiderung an, doch seine Worte treten in den Hintergrund, als ich ganz in der Nähe eine bekannte Stimme aufschnappe. Faye. Ihr Lachen wird mit jedem Schritt, mit dem ich mich ihr nähere, lauter, und einen Augenblick lang begreife ich nicht recht, wieso ich hier auf sie treffe. »Ich muss Sie zurückrufen«, sage ich leise, und mir gefriert das Blut in den Adern, als ich beobachte, wie ein Mann, den ich nur zu gut kenne, die Hand um die Taille meiner Verlobten legt.

Mir rutscht das Herz in die Hose, als sie ihn anstrahlt. Fuck! Mich hat sie noch nie so angelächelt, und sie sieht atemberaubend dabei aus. Dermaßen glücklich ist sie kaum wiederzuerkennen. Was geht hier vor? Als die Aufzugtür aufgleitet, dämmert es mir. Meine Verlobte will mit einem anderen Mann aufs Zimmer fahren.

»Eric!«, rufe ich, als ich, in Gedanken meine Möglichkeiten abwägend, auf die beiden zugehe. Er wirft einen Blick über die Schulter und lächelt, als er mich erkennt, doch meine Aufmerksamkeit gilt der zierlichen, wunderschönen Brünetten in seinem Arm.

Faye kehrt mir den Rücken zu, doch ich bemerke, wie sie beim Klang meiner Stimme erstarrt. Dass Eric kein bisschen alarmiert wirkt, kann nur bedeuten, dass er, wie zu erwarten, nichts von uns weiß. Hätte ich sie angesprochen, hätte sie sich irgendeine Erklärung für die Situation ausdenken können, in der ich sie ertappt habe. Auf keinen Fall!

»Dion«, sagt Eric, »ich wusste nicht, dass du zurück bist.« Sein Tonfall verrät, wie erfreut er ist.

Ich schüttele die Hand, die er mir hinhält, mit weit festerem Griff als erforderlich. Er zuckt zusammen und schließt die Faust, sobald ich loslasse.

Ich sehe zu, wie er nach Faye greift, die sich erst noch umdrehen muss. Ihr Blick scheint an dem Aufzug zu haften, dessen Tür sich bereits wieder geschlossen hat. Die Beweise sind erdrückend, trotzdem hofft ein kleiner Teil von mir noch, dass ich mich irre. So etwas kann sie ja wohl nicht wenige Monate vor unserer Hochzeit ernsthaft tun! Meine schüchterne kleine Verlobte doch nicht, oder irre ich mich da?

»Schatz, das ist Dion Windsor, einer meiner Klienten«, sagt Eric jetzt und zieht sie an sich.

Ungeachtet der rasenden Wut, die meinen Körper durchrauscht, lache ich leise, ich kann einfach nicht anders. Warum zum Teufel stellt mir hier einer der Anwälte meiner Familie meine eigene Verlobte vor?

Nun dreht Eric sie zu mir um. In seinen Augen steht Verwirrung, als er ihren Widerwillen bemerkt, während ich mir Zeit lasse, sie zu mustern. Mein Blick wandert über ihren Körper, lässt auf sich wirken, wie ihr kurzer Rock und die Seidenbluse ihre Kurven unterstreichen – all das zweifellos nur für Eric. Die langen dunklen Haare fallen ihr in üppigen Wellen, die ihr hinreißendes Gesicht umso mehr hervorheben, bis zur Taille, und mit einem Mal erfasst mich der verzweifelte Wunsch herauszufinden, wie sich diese Wellen zwischen meinen Fingern anfühlen würden. Aus diesem Grund war ich in den letzten Jahren zunehmend von Furcht ergriffen – weil es mir immer schwerer gefallen ist, sie zu ignorieren und ihr zu widerstehen.

Faye scheint mit jedem Mal, da ich sie sehe, schöner zu werden, dennoch ist mir ihre Schönheit noch nie so schlagartig bewusst geworden wie heute. Vielleicht liegt das an ihrer vollen Unterlippe, die jetzt so verführerisch zittert, oder daran, wie sie sich weigert, mich anzusehen, um sich dem Unvermeidlichen zu widersetzen. Fuck, vielleicht ist es aber auch nur ihr süßer Kokosnussduft. Was es auch sein mag, es schlägt mich in seinen Bann!

»Faye«, sage ich leise, und ihr Name schmeckt so verflucht süß auf meinen Lippen. Ich lächele humorlos, als ihr der Atem stockt. »Was tust du hier?«

Mein Blick fällt auf Erics Hand an ihrer Taille, woraufhin meine Hände sich langsam zu Fäusten ballen. Für einen Moment frage ich mich, wie es sich anhören würde, wenn ich ihm jeden einzelnen Finger breche, mit dem er berührt, was mir gehört, doch dann hebt Faye den Blick ihrer tiefblauen Augen zu mir, und jeder Tropfen meiner Wut versickert.

Mit jeder Sekunde, die vergeht, wird ihr Kummer mehr unter der Wucht ihrer Panik erstickt, doch dessen ungeachtet schaut sie nicht woandershin. Selbst als Tränen in ihre wunderschönen Augen treten, sieht sie mich noch unverwandt an. Trotz liegt im Widerstreit mit offenkundiger Furcht. Sie sieht einfach bezaubernd aus. Im Lauf der Jahre habe ich sie unzählige Male gesehen, doch nie hat sie mich auch nur mit einem Bruchteil der Emotionen angesehen, die sie mir in diesem Augenblick zeigt. Ihr Lächeln war immer kühl und distanziert, unsere Unterhaltungen waren höflich, nichts zwischen uns hat sich jemals über die Grenzen des Anstands verirrt. Doch die Frau, die jetzt vor mir steht, ist nicht mehr das Mädchen, das zu sein sie mir weisgemacht hat.

»Eric«, zische ich, »woher genau kennst du Faye?«

Ich muss wissen, wie weit sie es bereits getrieben hat. Solange wir nicht verheiratet sind, ist mir Faye überhaupt nichts schuldig, dennoch muss ich es wissen. Geht es hier bloß um eine flüchtige Affäre, oder wird sie sich insgeheim wünschen, mit ihm vor dem Traualtar zu stehen?

»Sie ist meine Freundin«, gibt er zurück. Seine Stimme ist leise und klingt verstört, als würde ihm endlich auffallen, dass hier etwas nicht stimmt.

Obwohl sich mein Magen unter Schmerzen windet, schaue ich nicht weg. Ebenso wenig wie sie. Ich sehe Schuldgefühle in ihren Augen flackern, ihr Atem geht schneller, als sie der Panik nachgibt, die sie unübersehbar erfasst hat.

»Faye, was ist hier los?«, will Eric wissen. Er klingt einfühlsam und besorgt. Dann streicht er ihr die Haare aus dem Gesicht, ohne zu erkennen, dass er sie damit noch tiefer in die Panikattacke treibt.

Sie schnappt nach Luft, eine Träne läuft ihr über die Wange. Fuck! Dieser Zwischenfall hätte eine Erleichterung sein müssen – ein Ausweg, ein Grund, sie mir sogar nach unserer Heirat vom Leib zu halten. Warum also ertappe ich mich dabei, meine Hand nach ihr auszustrecken und meinen Körper so in Stellung zu bringen, dass ich zwischen den beiden stehe? Wieso ertappe ich mich dabei, ihr Gesicht in die Hände zu nehmen, zärtlicher noch, als ich es für möglich gehalten hätte?

»Ich hab dich«, sage ich mit leiser, sorgsam kontrollierter Stimme. Sachte fahre ich mit einer Hand in ihre Haare, dann hebe ich ihr Gesicht an, damit sie mich ansehen muss. Sie ist so verdammt zierlich, und nie hat sie zerbrechlicher ausgesehen.

Ihr Blick trifft meinen, doch sie hat Mühe, sich auf mich zu konzentrieren und die Kontrolle über ihren Körper zurückzuerlangen. »Tief durchatmen, Sweetheart«, bitte ich sie, während mein Gewissen an mir nagt. Ich habe sie längst infiziert – ich bin der Grund für ihren gegenwärtigen Zustand. Mit dieser Situation hätte ich behutsamer umgehen müssen, stattdessen habe ich mich von meiner Wut und Entrüstung hinreißen lassen. »Es geht dir gut, Faye«, flüstere ich, als könnte mein Wunsch einfach so Wirklichkeit werden.

Aber sie atmet weniger angestrengt, ihr Körper entspannt sich an meinem, als es ihr endlich gelingt, sich zu fokussieren. »Dion«, haucht sie, und ihre Stimme versagt.

Ich halte sie einfach, eine Hand in ihren Haaren, die andere an ihrer Wange, und schaue ihr in die Augen, bis sie schließlich tief durchatmet.

Als Eric seine Hand nach ihr ausstrecken will, ziehe ich sie fester an mich, nicht bereit, sie loszulassen – unfähig, sie loszulassen. »Faye«, sage ich, mein Ton duldet keinerlei Widerspruch, »sagst du es ihm, oder soll ich es tun?«

5

Dion

Das Schlafzimmer meiner Suite ist von Fayes kummervollen Lauten erfüllt, jedes erstickte Schluchzen ein neuerlicher Stich in mein Herz. Mir war stets bewusst, dass ich sie zum Weinen bringen würde, doch mir war niemals klar gewesen, wie tief ihre Tränen mich treffen würden.

Mein Blick wandert über die auf meiner Bettkante sitzende Frau: Ihr zuvor so makelloses Make-up ist verschmiert, der Goldton ihrer Haut ein paar Schattierungen blasser als sonst. Faye hat die schönsten blauen Augen, die ich jemals gesehen habe, heute jedoch sind sie von nichts als Trauer und Schuldgefühlen erfüllt.

Immer wieder fährt sie sich mit der Hand durch ihre langen dunklen Haare und bringt sie durcheinander. Ich habe sie noch nie derart aufgelöst erlebt. Obwohl es mich schmerzt, sie anzusehen, kann ich den Blick nicht von ihr losreißen. Selbst jetzt ist sie umwerfend.

Aber ich bin eindeutig nicht der Einzige, der so denkt.

Eric tigert wahrscheinlich im Wohnbereich meiner Suite auf und ab und wartet auf eine Erklärung, die sie ihm nicht geben wird. Ich bin mir nicht sicher, was ich von ihr erwartet habe, da wir kaum miteinander reden, doch ich habe ganz sicher nicht damit gerechnet, dass sie wenige Monate vor unserer Hochzeit mit einem anderen ausgehen würde.

Als ich mich ihr nähere, hebt sie abrupt den Kopf, ihr tränenfeuchter Blick begegnet meinem. »Faye«, sage ich leise, ihr Anblick tut mir in der Seele weh. Niemals zuvor hat sie mich derart rohe, ungefilterte Gefühle sehen lassen. Die Ironie will es, dass das erste Mal wegen eines anderen Mannes ist. Es ist beinahe so, als wollte mir das Universum sagen, ich würde nicht mal ihre Tränen verdienen, ganz zu schweigen von ihrem Lächeln – als hätte ich das, verdammt noch mal, nicht längst gewusst. Gleichermaßen ironisch ist es womöglich, dass ich heute nur hier bin, weil mein Haus zurzeit für unsere Hochzeit renoviert wird. Weil mein Haus für sie renoviert wird. Die ganze Lage erfüllt mich mit einer Bitterkeit, die mich nahezu am Boden zerstört.

Ich knie mich vor sie hin und stütze mich, auf beiden Seiten ihrer Hüften, mit den Händen auf meinem Bett ab. Zitternd holt sie Luft, und als sie ihr Gesicht hebt, steht purer, unverfälschter Herzschmerz in ihrem Blick. Fuck, wenn ich nicht aufpasse, könnte ich in ihren Augen ertrinken.

Eine weitere Träne läuft ihr über die Wange, flatternd schließt sie die Augen. Seufzend strecke ich die Hand nach ihr aus und bemerke, wie sie sich anspannt, als ich meine Rechte an ihre Wange lege und mit dem Daumen die Tränen wegwische. »Sieh mich an«, bitte ich sie inständig.

Sie tut wie geheißen und zeigt mir ihre Verletzlichkeit, ihren Schmerz. »Dion«, flüstert sie mit brechender Stimme, »es tut mir so leid.«

Mit der freien Hand streiche ich ihr, unfähig, den Wunsch, sie zu berühren und zu trösten, zu unterdrücken, die Haare aus dem Gesicht. »Dir muss überhaupt nichts leidtun«, versichere ich ihr, obwohl sich die Worte auf meiner Zunge wie Pappkarton anfühlen. »Vorläufig sind wir noch nicht verheiratet, und unsere Verlobung entspricht kaum dem Brauch. Du schuldest mir überhaupt nichts – jedenfalls noch nicht.«

Sie holt unsicher Luft, ihren Augen entrinnt eine neue Tränenflut. Mein Herz zieht sich zusammen, und ich reagiere vollkommen instinktiv, als ich behutsam über ihre Haare streiche, bevor ich sie an mich ziehe. Faye bricht in meiner Umarmung zusammen, ihre Knie drücken gegen meine Rippen, während sie ihr Gesicht in meine Halsbeuge schmiegt.

»Ich hätte es besser wissen müssen«, schluchzt sie und erzittert spürbar, als sie die Kontrolle über ihre Emotionen verliert, während ich alles gebe, um sie zusammenzuhalten. Sie hätte niemals auf diese Weise auf mich wirken dürfen, und doch knie ich hier vor ihr und versuche verzweifelt, ihren Kummer zu vertreiben.

Ich halte sie, bis sie nicht mehr so regelmäßig schluchzt und ihr Atem ein wenig gleichmäßiger kommt. Nun lege ich die Hände um ihre Schultern und richte sie behutsam wieder auf. Mein Bedürfnis, ihr in die Augen zu schauen, ist stärker als der Wunsch, sie im Arm zu halten.

»Wie lange ging das schon so?«, erkundige ich mich, unfähig, diese Frage noch länger zu begraben. Ihre Antwort wird nichts ändern, trotzdem muss ich Bescheid wissen. Wieso, kann ich nicht genau sagen.

Faye zuckt zusammen und wendet den Blick ab, als könnte sie es nicht ertragen, mich anzusehen. »Es ist nicht so, wie du denkst«, entgegnet sie dann, ihre Stimme stolpert über das letzte Wort. Wie sie die Arme um sich schlingt, rührt an mein Herz, obwohl mein Zorn längst nicht gestillt ist.

»Es ist nicht, was ich denke?«, wiederhole ich. »Dann bist du nicht mit einem unserer Anwälte zusammen?« Eric und ich stehen einander nicht mehr so nah wie in unserer Jugend, doch es gab einmal eine Zeit, in der ich ihn für einen Freund gehalten habe.

Sie öffnet die Lippen, um mir zu antworten, und mein Blick fällt auf ihren Mund. Allein die Vorstellung, dass Eric diesen hübschen Schmollmund geküsst hat, was ich niemals getan habe … Warum zum Teufel musste es jemand sein, den ich kenne?

»Weiß dein Vater davon?«, frage ich, und mich überkommt Unbehagen. Wie konnte das bloß geschehen, ohne dass ich etwas gemerkt habe? Ich kenne Faye vielleicht nicht so gut, wie ich es sollte, doch ich weiß, dass sie ihrem Vater gegenüber immer kleinlaut und gehorsam war. Deshalb habe ich sie unterschätzt.

Angst lodert in ihrem Blick, und sofort schüttelt sie den Kopf. Dass sie überhaupt hier ist, hinter seinem Rücken, beweist, dass sie bereit ist, für Eric ziemlich weit zu gehen. Eine Vorstellung, die mit einem mir unbekannten Schmerz einhergeht, der verdächtig nach … Eifersucht riecht.

»Hattest du vor, mit ihm durchzubrennen?« Schon der Gedanke bringt mein Blut zum Kochen. Ich habe so viel Zeit darauf verwendet, mir einzureden, ich würde nichts von ihr wollen, dass ich gar nicht bemerkt habe, wie oft ich an sie denke.

»Nein«, sagt Faye, streckt ihre Hand nach mir aus und legt sie an meinen Oberarm, woraufhin ich mich frage, ob ihr bewusst ist, dass dies ohne Weiteres das erste Mal sein könnte, dass sie es wagt, mich überhaupt irgendwie anzufassen. »Es ist nicht … das ist nicht … Ich wollte das mit ihm heute beenden. Ich wusste ja, dass du bald zurückkommen würdest, deshalb …«

Ich starre sie an und versuche dahinterzukommen, ob sie die Wahrheit sagt. Ihr gequälter Blick, diese Aufrichtigkeit. Ich bezweifele, dass sie all das nur spielt, dennoch ergibt ihre Geschichte keinen Sinn.

»Es hatte definitiv nicht den Anschein, als wolltest du mit ihm Schluss machen«, knurre ich und versuche meine Wut unter Verschluss zu halten. »Wenn überhaupt, sah es verdammt so aus, als wärt ihr auf dem Weg nach oben gewesen, um sonst was miteinander zu treiben.« Mir vorzustellen, wie sie unter Eric liegt, dreht mir den Magen um. Wie viele Male hat er sie schon gehabt? Ich beiße die Zähne zusammen und verdränge die Vorstellung, damit sie mich nicht auffrisst.

»Es ist wirklich nicht so, wie du denkst. Wir …« Ihre Stimme verebbt, als wären ihr die Rechtfertigungen ausgegangen.

Zu ihrer Überraschung lege ich meine Hände um ihre Taille. Sie macht große Augen, und ein humorloses Lächeln hebt meine Mundwinkel, als meine Handflächen zu ihren Schenkeln hinuntergleiten. Ich spreize ihre Beine und beobachte, wie ihr schwarzer Rock nach oben rutscht, dann ziehe ich sie an mich, bis sie direkt auf der Bettkante hockt, ihre Oberschenkel meine Taille umklammern und ihr Gesicht bloß noch wenige Millimeter von meinem entfernt ist. Niemals war sie mir so nah, in einer dermaßen intimen Stellung, trotzdem fühlt es sich richtig an. Auch wenn es noch nicht genügt, lindert es mein Unbehagen.

»Faye, warst du auf dem Weg nach oben, um es mit ihm zu treiben, ja oder nein?«, frage ich schroff. Mein Blick wandert zu ihren Augen zurück, und die Schuld, die ich in ihnen erkenne, entzündet meine Qualen. »Sag schon.«

Ich sehe, wie ihre Kehle sich bewegt, als sie schluckt, ihr Atem geht wieder schneller als eben noch. »Ja. Ja, so war es.«

Verdammt, ihre Worte vernichten mich, und wie sie mich jetzt ansieht, verrät mir, dass sie es weiß! Würde es weniger wehtun, wenn sie mit einem Mann gegangen wäre, den ich nicht gekannt hätte? Wenn ich sie niemals mit ihm hätte sehen müssen? Ja, es stimmt, ich wollte unsere Heirat möglichst vermeiden, aber nicht, weil ich sie nicht gewollt hätte. Zu keinem Zeitpunkt war ich mit einer anderen zusammen, und ich habe mir ganz bestimmt nie ausgemalt, eine andere Frau außer ihr zu heiraten. Aber ich war so in meiner Scham und meinen Schuldgefühlen verstrickt, dass mir überhaupt nicht eingefallen ist, dass ich sie damit in die Arme eines anderen treiben könnte.

»Dion«, flüstert sie und legt mir eine Hand auf die Brust. Als ich den Blick auf ihren nackten Ringfinger senke, überkommt mich etwas wie Reue. Ich habe so viel Zeit darauf verwendet, vor ihr davonzulaufen, dass ich nicht daran gedacht habe, was meine Abwesenheit heraufbeschwören könnte. Kaum jemand weiß, dass ich überhaupt verlobt bin, geschweige denn mit wem. Ich hätte ihr, so wie meine Großmutter es mir gesagt hatte, einen auffälligen Verlobungsring an den Finger stecken sollen.

Ich sehe zu, wie sie Mut zu fassen versucht. Sie richtet sich ein wenig mehr auf, das Feuer in ihren Augen lodert etwas heller. Hat sie überhaupt eine Ahnung, wie verdammt bezaubernd sie ist? Irgendwie bezweifele ich das.

»Ich habe die Artikel in der britischen Klatschpresse über dich gesehen«, murmelt sie schließlich und beißt einen Augenblick lang die Zähne zusammen. Ich verkrampfe mich, und mein erster Impuls gebietet mir, ihre Worte zurückzuweisen. Seit sie achtzehn wurde, war ich mit keiner anderen mehr zusammen, aber das zuzugeben würde nur viel zu viele Fragen provozieren, auf die ich keine Antwort habe. »Wir haben einander niemals Treue geschworen«, fährt sie fort. »So wie die Dinge liegen – haben wir einander überhaupt nichts versprochen.« Sie ist so verflucht zierlich, und doch wirkt sie kein bisschen eingeschüchtert. Wo war dieses Feuer die ganzen Jahre?

Faye ist mir immer wie eine Porzellanpuppe vorgekommen – schön, aber ohne Gefühle. Jeder Austausch zwischen uns erschien mir auf unheimliche Weise einstudiert, sogar wie programmiert. Doch nun wird mir klar, dass sie mir bloß etwas vorgemacht und mir ihre besten Seiten vorenthalten hat. Ich verstehe bloß nicht, warum.

»Ach nein?«, frage ich leise. Ich mustere ihr Gesicht, während ich ihre Taille packe und mit den Daumen auf dem seidigen Stoff ihrer Bluse Kreise beschreibe. Noch nie zuvor habe ich sie auf eine so intime Weise berührt. Selbst wenn wir auf den Veranstaltungen, die wir in Lauf der Jahre gemeinsam besuchen mussten, miteinander tanzten, haben wir immer nur, jeder für sich, unsere Rollen gespielt. Doch in diesem Moment … ist alles anders, und das wissen wir beide. »Als ich das letzte Mal darüber nachgedacht habe, hattest du versprochen, mich zu heiraten.«