Theater der Macht - Karl-Joachim Hölkeskamp - E-Book

Theater der Macht E-Book

Karl-Joachim Hölkeskamp

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Beschreibung

500 Jahre währte die Geschichte der römischen Republik. Große Namen wie Brutus, Cato, Sulla, Caesar und Augustus ragen daraus hervor. Doch was war der Stoff, der ihre Welt im Innersten zusammenhielt? Ausgefeilt choreographierte Zeremonien und streng festgelegte Rituale der Macht, die in Rom wie auf einer Bühne inszeniert wurden! Triumphzug und Götterkult, Volksversammlung und Leichenbegängnis – alles fügte sich zu einer niemals endenden Aufführung, in deren unablässigem Vollzug jeder Bürger den römischen Kosmos wiedererkannte und verstand, wo darin sein Platz war. Wer dieses Buch liest, versteht mit einem Mal, dass pomp and circumstance im alten Rom nicht einfach schmückendes Beiwerk imperialen Glanzes waren, sondern vielmehr Fundament und Rückgrat des römischen Staates bildeten. Die zahllosen Bauwerke und Denkmäler im Herzen Roms – die alle die Größe, die Heroen und die Ordnung der römischen Welt herauf beschwören – erweisen sich bei näherem Hinsehen als lebendige, bedeutungsvolle und wirkmächtige Kulisse, vor der einst das Theater der Macht aufgeführt wurde. Sie bildete den Raum, in dem Götter, Priester, Politiker und Volk einander begegneten, miteinander kommunizierten und agierten. Zugleich erschließt sich, wie wichtig die durchchoreographierten Triumphe und Trauerfeiern, die Volksversammlungen und Kulthandlungen, die dort inszeniert wurden, für die Zeitgenossen waren – dienten sie ihnen doch als Begründung und Beglaubigung der unvergänglichen Macht und Herrschaft Roms. Es war geradezu das Signum dieser Kultur, dass der Alltag der Politik auf dem Forum einerseits und die außeralltägliche Welt der Bühne, der Feiern und Spiele andererseits sich ebenso gegenseitig spiegelten bzw. teilweise durchdrangen wie die zeremoniellen, symbolisch-ausdrucksstarken Formen und zweckrationalen, technisch-instrumentellen Verfahren der Entscheidungsfindung. Das dabei verwendete Repertoire an Gesten, Gebärden und Formeln in öffentlicher Rede, Zeremonien, Ritualen und anderen Handlungen mit symbolischer Qualität erbrachte als wichtigste Leistung die ständige Vergewisserung und Verpflichtung aller Beteiligten und legte sie auf Akzeptanz und Verbindlichkeit der römischen Ordnung fest.

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Karl-Joachim Hölkeskamp

Theater der Macht

Die Inszenierung der Politik in der römischen Republik

C.H.Beck

Historische Bibliothek der GERDA HENKEL STIFTUNG

Die Historische Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung wurde gemeinsam mit dem Verlag C.H.Beck gegründet. Ihr Ziel ist es, ausgewiesenen Wissenschaftlern die Möglichkeit zu geben, grundlegende Erkenntnisse aus dem Bereich der Historischen Geisteswissenschaften einer interessierten Öffentlichkeit näherzubringen. Die Stiftung unterstreicht damit ihr Anliegen, herausragende geisteswissenschaftliche Forschungsleistungen zu fördern – in diesem Fall in Form eines Buches, das höchsten Ansprüchen genügt und eine große Leserschaft findet.

Zuletzt erschienen:

Dieter Langewiesche: Der gewaltsame Lehrer

Europas Kriege in der Moderne

Mischa Meier: Geschichte der Völkerwanderung

Europa, Asien und Afrika vom 3. bis zum 8. Jahrhundert n. Chr.

Jill Lepore: Diese Wahrheiten

Eine Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika

Klaus Mühlhahn: Geschichte des modernen China

Von der Qing-Dynastie bis zur Gegenwart

Gudrun Krämer: Der Architekt des Islamismus

Hasan al-Banna und die Muslimbrüder

Thomas O. Höllmann: China und die Seidenstraße

Kultur und Geschichte von der frühen Kaiserzeit bis zur Gegenwart

Holger Gzella: Aramäisch

Weltsprache des Altertums

Wolfgang Behringer: Der große Aufbruch

Globalgeschichte der Frühen Neuzeit

Zum Buch

Wer dieses Buch liest, versteht mit einem Mal, dass pomp and circumstance im alten Rom nicht einfach schmückendes Beiwerk imperialen Glanzes waren, sondern vielmehr Fundament und Rückgrat des römischen Staates bildeten. Die zahllosen Bauwerke und Denkmäler im Herzen Roms – die alle die Größe, die Heroen und die Ordnung der römischen Welt heraufbeschwören – erweisen sich bei näherem Hinsehen als lebendige, bedeutungsvolle und wirkmächtige Kulisse, vor der einst das Theater der Macht aufgeführt wurde. Sie bildete den Raum, in dem Götter, Priester, Politiker und Volk einander begegneten, miteinander kommunizierten und agierten. Zugleich erschließt sich, wie wichtig die durchchoreographierten Triumphe und Trauerfeiern, die Volksversammlungen und Kulthandlungen, die dort inszeniert wurden, für die Zeitgenossen waren – dienten sie ihnen doch als Begründung und Beglaubigung der unvergänglichen Macht und Herrschaft Roms. Es war geradezu das Signum dieser Kultur, dass der Alltag der Politik auf dem Forum einerseits und die außeralltägliche Welt der Bühne, der Feiern und Spiele andererseits sich ebenso gegenseitig spiegelten bzw. teilweise durchdrangen wie die zeremoniellen, symbolisch-ausdrucksstarken Formen und zweckrationalen, technisch-instrumentellen Verfahren der Entscheidungsfindung. Das dabei verwendete Repertoire an Gesten, Gebärden und Formeln in öffentlicher Rede, Zeremonien, Ritualen und anderen Handlungen mit symbolischer Qualität erbrachte als wichtigste Leistung die ständige Vergewisserung und Verpflichtung aller Beteiligten und legte sie auf Akzeptanz und Verbindlichkeit der römischen Ordnung fest.

Über den Autor

Karl-Joachim Hölkeskamp ist emeritierter Professor für Alte Geschichte (Universität zu Köln). Im Verlag C.H.Beck hat er – gemeinsam mit Elke Stein-Hölkeskamp – folgende lieferbare Titel herausgegeben: Erinnerungsorte der Antike. Die römische Welt (22020); Die griechische Welt. Erinnerungsorte der Antike (22019); Von Romulus zu Augustus. Große Gestalten der römischen Republik (22010).

Historische Bibliothek der GERDA HENKEL STIFTUNG

Ausgewiesene Wissenschaftlerinne und Wissenschaftler präsentieren herausragende geisteswissenschaftliche Forschungsleistungen einer interessierten Öffentlichkeit.

Inhalt

Vorsatz

Vorwort

I: Rituale, Zeremonien und der ‹performative turn› – Potentiale und Perspektiven

1. Theorien I: Konzepte und Kategorien

2. Seitenblick I: Der ‹Sonnenkönig› und seine Feste

3. Lebensformen im Mittelalter: Feste und Rituale

4. Lebensformen in der Antike: Mehr als ‹Brot und Spiele›

5. Theorien II: ‹Politische Kultur(en)› als Leitkonzept – Inhalte und Anwendungen

II: Civic rituals und Stadtstaatlichkeit – (vor)modern und antik

1. Ein antikes Ritual als Paradigma: ‹Triumphe› in Mittelalter und Renaissance

2. Seitenblick II: Ludwig XIV. in Paris 1660

3. Prozessionen als Signum: Kulturen der Stadtstaatlichkeit im vormodernen Europa

4. Rom als Bühne: Eine paradigmatische Kultur des Spektakels

5. Kulturen der Stadtstaatlichkeit: Präsenz und Performanz

III: Rituale der Partizipation – Magistrate, Volk und Volksversammlung

1. Versammlungen alla Romana im Vergleich

Seitenblick III: Athen

Römische Versammlungen: comitia – concilia – contiones

Hierarchie und Macht I: Magistratur und Volk

2. Contio: Zwischen Bühne und Diskurs

Contio als Versammlung und Verfahren

Contio als Diskurs und seine Ordnungen

3. SENATUS POPULUSQUE ROMANUS: Interaktion und Kommunikation zwischen Volk und Senat

Hierarchie und Macht II: Eine republikanische Elite

Hierarchie und Macht III: Der Senat

Seitenblick IV: Reichstag

Konsens und Konkurrenz: Stabilität durch Komplementarität

Konkurrenz und Entscheidung: Die Macht des Volkes

IV: Rituale der Macht – Distanzierung, Disziplinierung, Degradierung

1. Übernahme: Amtsantritt der Consuln

2. Ausübung: Befehlen – Disziplinieren – Strafen

3. Symbolisierung: Lictoren – Ruten – Beile

V: Rituale und Zeremonien alla Romana – Raum, Präsenz und Prozessionen

1. Seitenblick V: Montpellier – Venedig – Athen

2. Rom: Eine Republik der Rituale

3. Ritual-Räume

VI: Pompae – die Republik und ihre Prozessionen

1. Ritualdynamiken: Steigerung, Provokation und Transgression

2. Pompa triumphalis: Moment der Macht

Imperiale Inszenierung: Syntax und Vokabular

Potentiale des Pomps: Spiralen der Steigerung

Letzte Akte: Augustus und die sensiblen Symboliken des Sieges

3. Pompa circensis: Parade der Menschen und Götter

Die Route: Weg durch Mythos und Geschichte

Syntax und Vokabular: Inszenierung menschlicher und göttlicher Ordnung

4. Pompa funebris: Parade der mahnenden Masken

Imagines: Ahnen-Bilder und andere Porträts

Marsch der Masken: Die Ordnung der Prozession

Rhetorik der Reminiszenz: Die laudatio funebris

Symbolisches Kapital: Steigerungen des Kurswerts

Ein letzter Triumph: Symbol-Transfer

VII: Vom Moment zum Monument – Medien der Verewigung

1. Triumph und Profit: Tempel – Beute – Beutekunst

2. Triumph und Monument: Ehrenbögen und Ehrenstatuen

3. Triumph und Topographie: Räume und Routen

4. Triumph und Imperator: Individualisierung durch Inschriften

5. Triumph, Statuen und Status: Spiralen der Steigerung

6. Triumph der privata luxuria: Das Ende der Bescheidenheit

7. Triumph und Theater: Aemilius Scaurus und Pompeius

VIII: Augustus – Triumph der Tradition

1. Publica munificentia

2. Victoria und andere Symbole

3. Götter: Apollo und Diana

4. Imperium sine fine

5. Bilder der Macht

6. Triumph aus der Tiefe der Zeiten

IX: Performanz, Ko-Präsenz und Konsens – Rituale, Pomp und Prozessionen als kulturelles System

Anhang

Anmerkungen

I Rituale, Zeremonien und der ‹performative turn› – Potentiale und Perspektiven

II Civic rituals und Stadtstaatlichkeit – (vor)modern und antik

III Rituale der Partizipation – Magistrate, Volk und Volksversammlung

IV Rituale der Macht – Distanzierung, Disziplinierung, Degradierung

V Rituale und Zeremonien alla Romana – Raum, Präsenz und Prozessionen

VI Pompae – die Republik und ihre Prozessionen

VII Vom Moment zum Monument – Medien der Verewigung

VIII Augustus – Triumph der Tradition

IX Performanz, Ko-Präsenz und Konsens – Rituale, Pomp und Prozessionen als kulturelles System

Glossar

Abkürzungen

Quellenausgaben, Inschriften- und Fragmentsammlungen, Kommentare und Übersetzungen, Lexika und Handbücher

Literatur

Bildnachweis

Register

1. Namen

a.) Historische Personen und Familien (Antike)

b.) Götter, mythische Personen und römische Könige

c.) Historische Personen (Nachantike)

2. Sachen

Für Elke, die mir – wie so oft – durch Zuspruch, Zuwendung und Zuversicht über alle Hürden geholfen hat

Vorsatz

Prozession auf dem Markusplatz, Ölgemälde von Gentile Bellini, 1496, Gallerie dell’Accademia, Venedig.

Triumphzug des Aemilius Paullis, Ölgemälde von Carl Vernet, 1789, Schenkung von Darius O. Mills, 1906 Metropolitan Museum of Art, New York, Accession Nr. 06.144

Vorwort

Das Buch, das ich nun endlich vorlege, hat eine lange Vorgeschichte. In den gut 15 Jahren seiner Entstehung gab es immer wieder längere Unterbrechungen, in denen ich mich mit verschiedenen konkreten Problemen der politischen, sozialen und kulturellen Geschichte der römischen Republik und ihrer eigentümlichen politischen Kultur befasst habe. Um diese Kultur dreht sich eine lebhafte, bis heute nicht abgeschlossene internationale Debatte, an der ich mich schon seit den 1990er Jahren beteiligt habe. Viele Überlegungen und Ergebnisse aus den in diesem Zusammenhang entstandenen Arbeiten sind dann in verschiedene Kapitel des vorliegenden Buches eingegangen – etwa meine Beiträge zu Theorie- und Methodenproblemen, zu Institutionen und Verfahren der Beratung und Entscheidung, zu Bedeutung und Funktionen der öffentlichen Rede, zum Triumph und zu anderen Prozessionen, zu den Medien des kollektiven Erinnerns und den Strategien der öffentlichen Selbstdarstellung führender politischer Persönlichkeiten und ihrer Familien. In diesem Buch habe ich nun versucht, ein Gesamtbild der besonderen politischen Kultur der römischen Republik zu entwerfen, das einerseits der strukturellen Komplexität und den Entwicklungsdynamiken dieser Kultur gerecht wird und das andererseits deren Charakter und Reichtum an Ausdrucksformen einem interessierten Publikum zugänglich macht. Ob mir das gelungen ist, sollen nun die Leserinnen und Leser entscheiden.

Ein wichtiger Teil der erwähnten langen Vorgeschichte war mein bewusstes Bemühen um die Verortung meines Projekts in einem weiten interkulturellen und interepochalen kulturgeschichtlichen Horizont. Dazu musste ich über den Rand meines althistorischen Tellers schauen und Ansätze und vielfältige Anregungen aus dem altertumswissenschaftlichen Nachbarfach, der Klassischen Archäologie, und den anderen historischen Disziplinen aufnehmen. Insbesondere aus der jüngeren deutschen und internationalen ‹kulturalistisch gewendeten› Mittelalter- und Frühneuzeitforschung habe ich neue Perspektiven, Konzepte und Kategorien gewonnen – davon ist in den ersten beiden Kapiteln ausführlich die Rede, in denen es um Konzepte wie ‹politische Kultur› und ‹Stadtstaatlichkeit›, um civic rituals, Rituale und Zeremonien generell, um symbolische Politik respektive Politik der Symbole, um Inszenierungen und öffentliche Räume als Bühnen, um Interaktion und Kommunikation ‹unter Anwesenden› auf diesen Bühnen geht. In diesen und den folgenden Kapiteln habe ich außerdem versucht, durch interepochale Vergleiche die spezifischen Konturen der politischen Kultur der römischen Republik zu schärfen. Ich kann nur hoffen, dass die Vertreterinnen und Vertreter dieser Disziplinen mir diese unbefangen eklektische Selbstbedienung in Gestalt der «Seitenblicke I–V» nicht nur nachsehen, sondern vielleicht auch das damit verbundene Angebot der interdisziplinären Diskussion annehmen werden.

Nun bleibt nur noch die angenehme Pflicht, einer ganzen Reihe von Institutionen, Kolleginnen und Kollegen Dank abzustatten. Zunächst ist das Historische Kolleg in München zu nennen; denn während eines produktiven Jahres 2005/06 als Senior Fellow begann das Projekt erstmals Gestalt anzunehmen. In mehreren Forschungssemestern und als Fellow im Internationalen Kolleg MORPHOMATA:Genese, Dynamik und Medialität kultureller Figurationen in Köln im Jahre 2013 konnte ich es dann erheblich vorantreiben. Besonders zu danken habe ich der Gerda Henkel Stiftung für die außerordentliche Ehre der Aufnahme des Buches in die renommierte Reihe der Historischen Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung.

Vielen Kolleginnen und Kollegen, denen ich mich seit Jahrzehnten freundschaftlich verbunden fühle, bin ich auf vielfältige Weise zu Dank verpflichtet – für intellektuelle Inspiration und zahllose konkrete Anregungen durch ihre Veröffentlichungen, als Vortragende und Diskutanten auf Tagungen und in persönlichen Gesprächen: Tonio Hölscher und Martin Jehne, Hans-Joachim Gehrke und Hans Beck, die viele der genannten Vorarbeiten und auch Teile des Manuskripts kritisch gelesen und kommentiert haben. Zuletzt hat Frank Bücher sich bereiterklärt, das ganze Werk durchzusehen, und viele wichtige Hinweise gegeben. Für Rat und Tat bin ich auch Hans Rupprecht Goette und Peter Franz Mittag verbunden.

Viele neue und andere Blicke auf das republikanische Rom verdanke ich den Publikationen, vor allem aber den regelmäßigen Kontakten und dem freundschaftlichen Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen der internationalen ‹Community› der ‹Republikaner›: Christopher Smith und Henriette van der Blom in England, Jean-Michel David, Michel Humm und Frédéric Hurlet in Frankreich, Francisco Pina Polo und Cristina Rosillo-López in Spanien, Harriet Flower, Robert Morstein-Marx, Matt Roller und Amy Russell in den USA. Wichtig war mir schließlich immer das Gespräch mit meinen diskussionsfreudigen Schülerinnen und Schülern, aus deren Arbeiten ich ebenfalls manches lernen konnte: Angela Ganter, Sema Karataş und Katharina Kostopoulos, Wolfgang Blösel, Ralph Lange, Simon Lentzsch und Gunnar Seelentag. Natürlich bin ich allein für Fehler und allzu gewagte, extravagante Deutungen verantwortlich.

Mehrere Generationen studentischer und wissenschaftlicher Hilfskräfte haben unermüdlich Material beschafft, zuletzt noch Torben Godosar, Larissa Grebing, Eva-Katharina Keblowsky und insbesondere Daniel Hinz, der darüber hinaus wichtige Hinweise für die Auswahl der Abbildungen gegeben und den neuen Plan des Augustusforums beigesteuert hat.

Es ist mir eine besondere Freude, dass mein Projekt im Hause C.H.Beck zu einem Buch geworden ist – es ist eine weitere Fortsetzung der langjährigen fruchtbaren Zusammenarbeit mit den Verlegern Wolfgang und Jonathan Beck, mit Detlef Felken und insbesondere mit Stefan von der Lahr, erfahrener Lektor und langjähriger Freund. Die aufwendige Beschaffung der hochwertigen, ja prachtvollen Abbildungen lag einmal mehr in den bewährten Händen von Andrea Morgan, die auch über die formale Gestaltung des Textes gewacht hat.

Wie immer last, but not least habe ich Elke Stein-Hölkeskamp zu danken, sine qua non – ohne ihre mehrfachen kritischen Lektüren, ihre Geduld, ihre zahllosen Anregungen und nicht zuletzt ihren Zuspruch und ihre Ermutigung wäre dieses Buch niemals fertig geworden. Ihr ist es daher auch gewidmet.

Köln, im Juni 2023Karl-Joachim Hölkeskamp

I

Rituale, Zeremonien und der ‹performative turn› – Potentiale und Perspektiven

All the world’s a stage, And all the men and women merely players: They have their exits and their entrances, And one man in his time plays many parts.

(William Shakespeare, As You Like It, II 7, 145–149)

Die ganze Welt ist eine Bühne – das ist nicht nur eine vielzitierte, ebenso universell wie beliebig verwendbare Sentenz aus William Shakespeares Wie es euch gefällt, sondern muss heute auf ganz neue Weise durchaus ernst genommen werden. Längst geht es um mehr und anderes als einen wohlfeilen programmatischen Anspruch irgendwelcher Propheten des sogenannten ‹performative turn› in den Kulturwissenschaften. Wie auch immer man zu diesem und den anderen ‹turns› – wie dem ‹linguistic›, dem ‹iconic› und dem ‹cultural turn› – stehen mag: Einerseits darf man mit einiger Genugtuung feststellen, dass die «inflationär gewordene Rede» von mehreren ‹turns› einen heilsamen Effekt hat, weil sie nämlich als solche schon dafür sorgt, dass der «Einzigartigkeits- und Ausschließlichkeitsanspruch» jedes einzelnen ‹turns› zunehmend «unterminiert oder ironisiert» wird.[1] Dadurch wird andererseits das Bewusstsein geschärft, dass derartige ‹Wendungen› – selbst wenn die erwähnten Propheten regelmäßig diesen ambitionierten Anspruch erheben – ja keine grundstürzend neuen Entdeckungen, Erfindungen oder revolutionären Paradigmenwechsel sind: Hier geht es also um weniger und wiederum anderes als bei dieser radikalen und prinzipiellen Form der Wendung, mit der man schon früher die einschneidenden Brüche mit geltenden epistemischen Systemen in der Geschichte der (exakten) Wissenschaften zu bezeichnen pflegte.[2] Unter einem ‹turn› der eher gemäßigten Art muss man vielmehr eine Erweiterung der Fragestellungen, theoretischen Ansätze und methodischen Zugriffe verstehen, die aus «Verschiebungen von Blickwinkeln und Zugängen, die bisher nicht oder wenig beleuchtete Seiten sichtbar werden lassen», resultieren und eine durchaus vergleichbare anregende und innovative Wirkung entfalten können. Man kann das mit Karl Schlögel auf den Punkt bringen: «Es kann also gar nicht genug turns geben, wenn es um die Entfaltung einer komplexen und der geschichtlichen Realität angemesseneren Wahrnehmung geht.»[3]

1.Theorien I: Konzepte und Kategorien

Genau um eine solche «Raffinierung und Steigerung der Wahrnehmung» und die dadurch erst möglich werdende «Verfeinerung des Registers der Geschichtsschreibung» durch eine durch kontrolliert-kontrollierende Theorie- und Methodenreflexion initiierte und gesteuerte «Öffnung in Richtung Kulturwissenschaften»[4] geht es auch bei dem erwähnten ‹performative turn› – jedenfalls in dem Sinne, wie diese ‹Wendung› in der Folge verstanden werden soll: Allenthalben hat sich mittlerweile die Einsicht durchgesetzt, dass Kulturen respektive die sie tragenden und produzierenden sozialen Gruppen ihre Wertesysteme, Orientierungen und überhaupt die wesentlichen Fundamente ihrer spezifischen Ordnung, Konstitution und Identität nicht nur in Texten und Monumenten formulieren bzw. darstellen. Vielmehr kennen alle Kulturen – historische und auch gegenwärtige – auch andere Medien und Praktiken, um ihre kollektiven Orientierungssysteme und Weltdeutungen zu artikulieren, ihre Wertordnungen und Leitvorstellungen zu verhandeln, ihr Selbstbild und ihr Selbstverständnis zu bestätigen oder auch zu transformieren: ‹Performanzen› wie Rituale und Zeremonien, Feste, Spiele und Wettkämpfe, Aufführungen, Inszenierungen oder Spektakel ganz unterschiedlicher, wiederum aber jeweils kulturspezifischer Art.[5]

Mehr noch: diese performativen Praktiken sind integrale, ja konstitutive Elemente der jeweiligen Lebenswelt, die sie so und eben nicht anders hervorgebracht, ausgestaltet, bewahrt und weiterentwickelt hat – und das macht sie zu «existentiellen Kategorien des Gesellschaftlichen». Denn diese Lebenswelten mit ihren Institutionen und Normen sind selbst als «raum- und zeitbedingte soziale Wirklichkeit» zu verstehen, der die in ihr handelnden Individuen und Gruppen eben nicht gegenüberstehen, sondern der sie auf besondere Weise angehören, weil die jeweilige Lebenswelt eine durch diese Menschen selbst «immer schon symbolisch gedeutete Welt», also «gesellschaftlich konstituierte» und «kulturell ausgeformte Wirklichkeit» ist – das hat der große Anthropologe Clifford Geertz mit der vielzitierten Metapher auszudrücken versucht, dass diese Menschen geradezu in ein «Gewebe» von Be-Deutung(en) verwickelt sind, das sie selbst gesponnen haben. Und das heißt mutatis mutandis, dass gerade die erwähnten Medien und Praktiken in die Mitte jener Gesamtheit der «Weisen lebensweltlicher Wirklichkeitserfahrung und -gestaltung, der symbolischen Wirklichkeitsdeutungen, Kommunikationsformen, Produktionsweisen und Machtverhältnisse» vormoderner wie moderner Gesellschaften und Kulturen gehören. Um es wieder mit Geertz in eine griffige Formel zu kleiden: Rituale, Zeremonien und überhaupt das gesamte kultur- und epochenspezifische Inventar der Medien, Zeichen und performativen Praktiken symbolischer Kommunikation, das einer Gesellschaft zur Verfügung steht, bilden ein «Ensemble von Texten», die jeweils selbst als «Ensembles» gelesen werden können, also jeweils einen Eigensinn, eine Eigenlogik haben und spezifische Botschaften vermitteln. Gleichzeitig aber sind sie konstitutive Bestandteile des größeren «Ensembles», in dem sie einen bestimmten Ort, bestimmte Funktionen und ein bestimmtes Gewicht im Kontext einer gegebenen Gesellschaft und ihrer Kultur haben. Um noch einen weiteren von Geertz geprägten klassischen Begriff zu gebrauchen: ihre empirische Analyse auf der Basis «dichter Beschreibungen»[6] dieser Praktiken bietet einen geradezu privilegierten Zugang zur Rekonstruktion der so verstandenen vergangenen Lebenswelten.

Die erwähnten Begriffe aus der Welt der Bühne, die für diese dichten Beschreibungen in Anspruch genommen werden, haben in den einschlägigen Debatten über Theorien, Methoden und Kategorien der Kulturwissenschaften mittlerweile den konnotativen Ruch des schönen Scheins, der gekünstelten Theatralik, des bloßen Blendwerks oder auch der manipulativen Täuschung verloren, der ihnen allgemein anzuhaften pflegte. Auch Begriffe wie ‹Ritual› und ‹Ritualisierung› werden längst nicht mehr einfach als «leere Formalismen, als unmündiges und unkritisches Festhalten an überkommenen Regeln und Verhaltensmustern, ja als bewusst- und sinnlose Wiederholung des Immergleichen» abgetan. Im Gegenteil: Konzepte wie Inszenierung, Ritual und Zeremonie sind mittlerweile sogar zu Schlüsselbegriffen der neuen Kulturwissenschaften avanciert, die in der «Außendarstellung und Expressivität menschlichen Tuns» generell einen «eigenständigen Sinngehalt der menschlichen Lebenspraxis» ausmachen. Sie nehmen insbesondere den «rituellen und performativen Aufführungscharakter symbolischer Handlungen» in den Blick, um das je spezifische «Zusammenspiel von Darstellungs-, Wahrnehmungs-, Inszenierungs- und Symbolisierungsprozessen» als konstitutiv für (vor)moderne Gesellschaften herauszuarbeiten.[7]

Mit diesen Begriffen werden Handlungsweisen, Praktiken und Strategien der Vergegenwärtigung und des Sichtbarmachens des Nichtsichtbaren, der Selbstdarstellung und Selbstvergewisserung bezeichnet, die erst in ihrem Vollzug, in der Handlung selbst Bedeutung erlangen, Sinn stiften und die erwähnten sozialintegrativen Funktionen erfüllen. Im Gegensatz zu Texten und Monumenten sind ‹spektakuläre› Praktiken aller Art als solche nicht fixierbar und daher auch nicht direkt tradierbar, sondern einmalig und unwiederholbar, ephemer und transitorisch. Gerade deswegen setzen diese performativen Praktiken notwendig die physische Präsenz aller Beteiligten voraus – genauer gesagt: die «Ko-Präsenz» von Darstellern und Zuschauern, Akteuren und Adressaten.[8]

Auch und gerade in den empirisch arbeitenden Geschichtswissenschaften hat sich in den letzten Jahren eine besondere Sensibilität für die Frage nach dem allgemeinen Status und den jeweiligen konkreten Funktionen von besonderen Spektakeln wie Festen, Ritualen und Zeremonien im Rahmen von Prozessen der Vergemeinschaftung, Konstituierung und Reproduktion von kollektiven Identitäten entfaltet – dazu gehören auch die ausgeprägt rituellen Dimensionen traditioneller Verfahren wie Rats-, Bischofs- und Königswahlen, Versammlungen wie Konzilien und Reichstage, Gerichtsprozesse, Weihungen, Krönungen und sonstige Investituren in Mittelalter und (früher) Neuzeit.[9] Längst hat man erkannt, dass «Herrschafts- und Staatssymbole» in Gestalt von Denkmälern und repräsentativen Gebäuden ebenso wie «Mythen und Metaphern» der vorwaltenden Sprache der Politik und wie das Zeremoniell etwa bei höfischen und städtischen Festen und Feiern eben nicht als bloße «effektvolle Inszenierungen und ornamentale Äußerlichkeiten» abgetan werden dürfen, die den harten Kern von Politik, also Interessen, Macht und Herrschaft, bloß camouflieren. Längst hat man erkannt, dass eine säuberliche konzeptuelle und materielle Unterscheidung oder gar Kontrastierung von Schein und Sein, von Pomp und Politik, von zeremoniellen, «symbolisch-expressiven» Formen und zweckrationalen, «technisch-instrumentellen» Verfahren des Entscheidens und Handelns in politicis, von «symbolischer» und «realer Politik» der Komplexität vergangener Lebenswelten nicht angemessen ist.[10] Dafür bieten die strukturell ähnlichen Entwicklungen in den italienischen Stadtkommunen des hohen und späten Mittelalters, die «in verschiedener Hinsicht eine Schlüsselstellung in der Genese des europäischen Staates der Neuzeit einnehmen», besonders interessantes Anschauungsmaterial. Auch wenn es hier allenthalben zu einem «rasanten Prozess der Ausdifferenzierung ihrer Institutionen und der Bürokratisierung gemeinschaftsrelevanter Vollzüge» kam, wurde dadurch das traditionelle Repertoire der performativen Akte feierlicher Repräsentation und der übrigen Formen symbolischer Kommunikation keineswegs automatisch und gewissermaßen in direkt proportionaler Linearität abgelöst – im Gegenteil: Hier, und das gilt generell für den frühneuzeitlichen Staat, standen «überbordende Bürokratie und prunkvolles Zeremoniell» nicht nur nebeneinander, sondern überschnitten sich geradezu.[11]

Mittlerweile kann man nicht nur von einer eigenen ‹Politik› der Rituale und Zeremonien, sondern geradezu von einer ‹Politik des Pomps› und des Spektakels sprechen. Nicht nur in England und Amerika sind die «symbolischen Formen der politischen Praxis» vergangener Gesellschaften, insbesondere die «politics of pageantry» respektive «politics of spectacle» geradezu zu einem zentralen, mittlerweile seinerseits schon wieder verzweigten Forschungsfeld sui generis avanciert. Und das gilt wiederum vor allem für die (allerdings besonders innovative und fruchtbare) interdisziplinäre Forschung zur Kultur der Renaissance, die uns einen neuen kulturhistorischen Blick auf die ebenso verschwenderischen wie phantasievoll choreographierten Feste an den europäischen Höfen, die allegoriengesättigten Maskeraden und ‹magnificences›, die sorgfältig abgestuften Empfangsrituale, die zeremoniellen Ein- und Auszüge von Herrschern ermöglicht hat.[12]

2.Seitenblick I: Der ‹Sonnenkönig› und seine Feste

Im Frankreich des ‹Sonnenkönigs› Ludwig XIV. erreichte diese Kultur der ‹divertissements›, der Feste und Zeremonien aller Art, einen bis dahin unerreichten Grad an Raffinesse und Komplexität der medialen, nämlich visuellen wie performativen Inszenierungen von Ambitionen, Ansprüchen und Ideologemen. Dem entsprachen eine geradezu überwältigende Vielzahl, Vielschichtigkeit und auch Vieldeutigkeit der repräsentierten, aufeinander verweisenden und miteinander vernetzten Bilder und Botschaften, der Symbole, Allegorien und Metaphern. Die spektakulären Aufführungen und Feste aller Art fanden nicht nur in Paris, etwa im Louvre und im Palais Petit-Bourbon, und später natürlich in Versailles, sondern auch an anderen Orten statt.

Insbesondere eine sehr spezifische Gattung von Aufführungen, die sogenannten ‹ballets de cour›, zeichnete sich dadurch aus, dass die verschwenderische, dabei symbolisch vielfach aufgeladene Dekoration und die ebenso phantasievolle wie anspielungsreiche Kostümierung der Tänzer durch die sorgfältig geplante Choreographie der Inszenierung – diese Begriffe sind hier sowohl im metaphorischen als auch im wörtlichen Sinne zu verstehen – miteinander kombiniert und aufeinander bezogen wurden. Allein im Zeitraum von 1653 bis 1672 sind mehr als 50 solcher Ballette, ‹mascarades dansées› und ‹divertissements›, die sich zumeist um antike Götter wie Apollo, Bacchus und Diana, mythische Gestalten wie Orpheus, ‹Hercule Amoureux›, Peleus und Thetis und allegorische Figuren wie Amor und ‹la Félicité› drehen, bezeugt und von Zeitgenossen zum Teil liebevoll-detailliert beschrieben worden. Oft trat der König dabei selbst als Tänzer und Darsteller auf – bei mindestens 15 verschiedenen Gelegenheiten noch vor Beginn seiner Alleinherrschaft im Jahre 1661 nach dem Tod des Kardinals Mazarin, der bis dahin nicht nur im übertragenen, politischen Sinne als großer Regisseur im Hintergrund fungiert hatte, sondern als Connaisseur und Förderer der schönen Künste auch «das Drehbuch für das königliche Schauspiel», das multimediale self-fashioning des späteren Roi-Soleil, geschrieben haben dürfte.[13]

Abb. 1.1: Ludwig als Apollo und aufgehende Sonne (1653)

Schon 1653 – also im zarten Alter von nur 15 Jahren – trat der anscheinend tänzerisch (und schauspielerisch) durchaus begabte Ludwig im Rahmen einer als ‹ballet de la Nuit› bekannt gewordenen Aufführung in einer Rolle auf, die nur als geradezu prophetisch-programmatisch bezeichnet werden kann. Zum ersten Mal verkörperte er den Gott Apollo in einem Kostüm aus vergoldetem Stoff, mit einer ebenso prachtvollen goldenen Perücke in Form von Strahlen und mit einer goldenen Maske vor dem Gesicht – Ludwig stellte hier zugleich die am Ende der Nacht aufgehende Sonne dar, die zum emblematischen Signum und zentralen Symbol seiner Herrschaft werden sollte (Abb. 1.1).[14] Schon um diese Zeit – und in einer ganz anderen, machtpolitisch höchst brisanten Situation nach der endgültigen Niederschlagung der ‹Fronde›, der Verschwörung des Hochadels und des Parlaments von Paris – soll er übrigens geäußert haben, dass «niemand sonst» außer ihm selbst «auf der Bühne stehen» sollte: «qu’il n’y ait personne sur le théâtre».[15]

Diese programmatische Symbolik der alles und alle überstrahlenden Sonne und ihre darin codierten politisch-ideologischen Botschaften wurden ein knappes Jahrzehnt später, im Juni 1662, in einem der größten und spektakulärsten Feste der Regierungszeit Ludwigs besonders sinnfällig in Szene gesetzt.[16] Auf dem großen Platz vor dem Louvre, der heute noch ‹Place du Carrousel› heißt, fand das gleichnamige Fest statt: Schon die Bezeichnung ‹Le Grand Carrousel› – das wurde bereits vor dem Ereignis gezielt verbreitet – sollte darauf hinweisen, dass der Name von der antiken Bezeichnung des Sonnenwagens (carrus soli) hergeleitet war, auf dem Apollo als Gott des Lichtes und der Sonne um die Erde fahre (Abb. 1.2).

Abb. 1.2: Le Grand Carrousel donné par Louis XIV.

Die konkrete Aufführung bestand in einer Art Reiterballett mit Geschicklichkeitsspielen und Spielgefechten in der Tradition mittelalterlicher Ritterturniere, an dem fünf Mannschaften teilnahmen: Ludwig selbst führte im Kostüm eines römischen Imperators unter dem Zeichen der Sonne ein Gefolge von elf Rittern mit 120 Trommlern und Trompetern, Bannerträgern, Pferdeführern und Pagen an, die alle in den Farben des Königs, Gold und Silber, gekleidet waren. Auf ihren Schilden prangte – natürlich in Anspielung auf Caesar als größten Feldherrn der Antike und sein berühmtes Dictum VENI–VIDI–VICI (ich kam, ich sah, ich siegte) – das Motto «UT VIDI VICI» (sobald ich gesehen habe, siegte ich). Vier weitere, weniger zahlreiche Brigaden unter der Führung von Prinzen und Herzögen stellten Perser, Türken, Inder und ‹Amerikaner› dar – in immer exotischeren Kostümen. Diese glanzvolle, ja extravagante Demonstration der Macht und des geradezu universalen Anspruchs des jungen Herrschers sollte sich unauslöschlich in das kollektive Gedächtnis von Adel und Volk einprägen. Das Spektakel fand vor einem viel größeren Publikum als die Balletts statt: Dazu gehörten nicht nur die ko-präsenten Adressaten wie der Adel, dessen prominenteste Mitglieder wie Philippe d’Orléans, der als ‹Monsieur› bekannte Bruder des Königs, und der (seit der Fronde politisch belastete) Prince de Condé nun unter den Darstellern waren. Das war ein wesentlicher Teil des Programms (nicht nur) dieses Festes, wie Ludwig selbst in seinen Mémoires zum Jahre 1662 ganz unverblümt erklärte: Es sei das «Genie von uns Franzosen», dass der König sich nicht vor dem Volk verstecke, sondern mit ihm und insbesondere mit dem Adel feiere – «in einer glücklichen und ehrenvollen Gemeinsamkeit». Der einstmals widerspenstige Adel sollte also nicht bestraft, sondern «durch die angenehmsten Heilmittel» des Festes in das ‹Sonnensystem› integriert werden.[17] Bereits Ludwig XIV. hatte also Medien und Strategien, Funktionen und Ziele einer Politik des Pomps und die Regeln des Theaters der Macht, die ihn der große Regisseur Mazarin gelehrt hatte, sehr wohl verstanden.

Die symbolische Liquidierung der Fronde war aber nicht die einzige Botschaft des Reigens der Bilder, Farben und Figuren und der elaborierten Dramaturgie des ‹Carrousel› von 1662. Darüber hinaus sollte auch den anderen europäischen Mächten, ihren Herrschern und Höfen in codierter, aber unmissverständlicher Weise bedeutet werden, dass Ludwigs Anspruch auf Vorrang und Überlegenheit keine bloße Frage von Prestige und Protokoll war, sondern als ideologische Grundlage und demonstrativ-eindeutige symbolische Formulierung eines handfesten strategischen Programms in der Außenpolitik ernst zu nehmen sei. Er selbst formulierte diesen Anspruch später in der bekannten Metaphorik: Er sei sehr wohl geeignet, «noch andere Reiche zu regieren, wie die Sonne andere Welten erhellt, wenn sie ebenfalls ihren Strahlen ausgesetzt sind».[18]

3.Lebensformen im Mittelalter: Feste und Rituale

Auch in der neueren mediävistischen Forschung sind Feste, Rituale, Zeremonien und andere Formen symbolischen Handelns sowie ihre spezifischen Anlässe, Verläufe, Funktionen und Wirkungen in den Mittelpunkt des Interesses gerückt.[19] Dazu gehören nicht nur die feierlichen ‹entrées› von Königen und Fürsten in Klöstern und Städten, die im 17. Jahrhundert als adventus – also das komplexe Zeremoniell der Ankunft und des Einzugs eines Herrschers – bereits eine weit in das Mittelalter zurückreichende Tradition hatten. Dazu zählen auch die aus «vielteiligen Sequenzen» und regelrechten «Ritualketten» zusammengesetzten komplexen Formen der Herrschaftsrepräsentation, die sich außerdem durch dementsprechende Formen der Visualisierung in Gestalt eines breiten Bildrepertoires auszeichneten. Alle Rituale und das vielfältige Zeremoniell weisen je spezifische und durchaus vielsagende rituelle Dimensionen, ihnen eigentümliche Syntaxen bzw. Taxonomien und jeweils eigene Repertoires an Bildern, Emblemen und anderen Zeichen einerseits und an sinnlich-körperlich vermittelten symbolischen Handlungen, Handlungskombinationen und -sequenzen sowie diesbezüglichen Ordnungsmustern andererseits auf. Dazu gehören zunächst etwa die verschiedenen, im Laufe der Entwicklung sich differenzierenden Verfahren der Einsetzung (oder auch Absetzung) von Herrschern, aber auch die Investitur von Bischöfen.[20]

Auch die Formen der Austragung und Beendigung von Konflikten aller Art – etwa bei kollidierenden Ansprüchen auf Rang, Vorrang und Herrschaft – bestehen regelmäßig aus mehreren aufeinander abgestimmten Stufen und finden immer vor einer großen ko-präsenten Öffentlichkeit statt. Ein eindringliches Beispiel für die besondere Bedeutung, die dabei der erwähnten «sinnlich-körperlichen Vermittlung» zukommt,[21] ist das Ritual der deditio, deren komplexe Choreographie von der (eventuell fußfälligen) Unterwerfung des Unterlegenen und selbsterniedrigenden Genugtuungsleistungen über die Bitte um Verzeihung schließlich zur demonstrativen Gewährung der Verzeihung und gegebenenfalls sogar zur Wiedereinsetzung in Rechte oder Amt führte. Dabei setzte das Grundmuster dieses Rituals voraus, dass die konkrete Umsetzung, die Schritt für Schritt, also gewissermaßen dialogisch vollzogen wurde, zuvor zwischen den jeweils beteiligten Parteien auf der Basis von allgemein bekannten und von beiden Seiten akzeptierten Rechtsgewohnheiten, verbindlichen Regeln und Praktiken ausgehandelt werden musste, oft mit Hilfe von beidseitig anerkannten Vermittlern. Durch die Normierung des Vollzugs wurden jene Sicherheit, Vorhersehbarkeit und Kalkulierbarkeit des Ausgangs erreicht, die für die Erfüllung der zentralen Funktion des Rituals unabdingbar waren – die Konfliktbeendigung und Wiederherstellung der hierarchischen Ordnung in befriedeter respektive befriedender, weil rituell kanalisierter Form.[22]

Und natürlich gehören schließlich noch die ebenso komplexen Rituale etwa der ottonischen Herrscherbegräbnisse in diesen Zusammenhang. So wurde etwa der Leichnam des Kaisers Otto III., der 1002 bei Rom verstorben war, in einem Trauerzug über die Alpen gebracht, wo der Herzog von Bayern ihn empfing und nach Augsburg geleitete – in einem dortigen Kloster wurden zunächst die Eingeweide des Kaisers beigesetzt. Dann führte der Herzog seinen toten Herrn und Verwandten an die Grenze seines Herzogtums und trug beim Einzug in die Stadt Neuburg sogar selbst den Sarg auf seinen Schultern. Später traf der Zug – vielleicht nach bedeutungsträchtigen Zwischenstationen in Aschaffenburg, Frankfurt und Mainz – in Köln ein, wo der Tote im Dom aufgebahrt worden zu sein scheint, dann im Kloster St. Severin, in St. Pantaleon und in St. Gereon und dann wahrscheinlich wieder im Dom, wo der Erzbischof am Gründonnerstag mit dem allgemeinen Ablass auch der Seele Ottos III. Vergebung erteilte. Erst am folgenden Tag, also Karfreitag, setzte sich der Zug nach Aachen in Bewegung, wo der Kaiser endlich 72 Tage nach seinem Tod im Chor des Münsters beigesetzt wurde.[23] Das symbolisch mehrfach aufgeladene Parallelogramm von Akteuren, Orten, besonderen Daten und Handlungen, die kennzeichnend für Herrscherbegräbnisse waren, bietet sich als Vergleichsfolie für die Dekodierung der Vielschichtigkeit und -deutigkeit des Vokabulars und der Syntax des Leichenzuges des Augustus an, die der Princeps nicht zufällig selbst präzise geplant und in einem Kodizill zu seinem Testament festgeschrieben hatte.[24]

Darüber hinaus hat man längst auch die zentrale Bedeutung von Festen aller Art erkannt, von religiösen Spielen und wiederum Prozessionen zu den verschiedenen Gelegenheiten im Kirchenjahr, von Turnieren und anderen Wettkämpfen, von Schützenfesten und großen Mählern. Das Fest gilt mittlerweile allgemein als «unverwechselbarer Bestandteil der conditio humana», da es «zu den wesentlichen Lebensformen der Menschen im Mittelalter» gehöre. Gerade die städtischen Festprozessionen anlässlich der Patronatsfeste zu Ehren eines Heiligen als Stadtpatron waren «als Element der ‹psychologie collective› und Ausdruck der jeweiligen ‹pitié politique et religieuse›» auch und vor allem «ein Akt der Selbstdarstellung der Stadtgemeinde» und werden schon in den Quellen «als urbanes Integrationsmoment ersten Ranges» begriffen. Die Syntax dieser Prozessionen zielte nicht nur auf die Darstellung von Rang und Vorrang, der geistlichen und weltlichen Hierarchien, das «Oben und Unten der Familien, Zünfte, Gilden, Bruderschaften, der Prälaten, Kleriker und Mönche». Sie diente damit auch «der Bestätigung bestehender Ordnungen und der in ihnen verkörperten Wertvorstellungen» und bildete zugleich «ein wesentliches Element des Zusammenspiels sozialer Gruppen und Nachbarschaften»[25] – dabei ging es also um die symbolisch-performative Reproduktion realer Machtverhältnisse.

4.Lebensformen in der Antike: Mehr als ‹Brot und Spiele›

Schließlich sind auch in der Althistorie «Brot und Spiele» und darüber hinaus das breite Spektrum besonders spektakulärer Ausdrucksformen und Praktiken antiker Zivilisationen sogar schon vor geraumer Zeit und avant la lettre als spezifische Dimension etwa der römischen Lebenswelt der Republik und der Kaiserzeit ausgemacht worden. Längst hat man erkannt, dass diese fundamentale Dimension durchaus tief in jener Epoche wurzelte, in der das römische Volk, der freie populus Romanus, noch imperium, fasces, legiones, die institutionelle Macht und ihre äußeren Zeichen, die militärische Befehlsgewalt und die Legionen geradezu souverän vergeben habe – anders als der satirische Dichter Juvenal, der unter dem autokratischen Regime der flavischen Kaiser lebte (und angeblich litt), es in der berühmten Passage über panem et circenses von der Warte der nostalgischen Rückschau suggeriert.[26] Man könnte es wiederum auch in der Metaphorik der Bühne formulieren: Der erste Princeps Augustus war vielleicht auch der erste (und gleich vollendete) «Impresario»,[27] der die Macht und damit die Möglichkeit hatte, den gesamten Spielplan des römischen ‹Theaters der Macht› zu bestimmen – dieses Theater und seine Bühne werden uns noch eingehend beschäftigen.

Allerdings hatten die dort inszenierten Dramen und raffiniert choreographierten Spektakel – und selbst noch sein bereits erwähntes spektakuläres Leichenbegängnis – durchweg Vorläufer und -bilder aus dem reichen Repertoire an spektakulären Praktiken der republikanischen politischen Klasse. Der Rückgriff auf dieses Repertoire sollte eben auch und vor allem auf die jahrhundertelange Geschichte und ehrwürdige Tradition der freien Republik verweisen – einer Republik, die Augustus als res publica restituta wiederhergestellt zu haben vorgab: Auch in diesem Zusammenhang sind die Medien selbst konstitutiver Teil der ideologischen Botschaft.[28]

Das erwähnte Spektrum spektakulärer Praktiken, das Feste und Feiern, Prozessionen und alle anderen civic rituals umfasst, ist jüngst noch mehr in den Mittelpunkt des Interesses einer modernen, vom ‹cultural turn› ebenfalls inspirierten internationalen Altertumswissenschaft gerückt.[29] Und auch hier waren es einerseits die kulturspezifisch ausgestalteten feierlichen «exits» und «entrances», die oft hochgradig elaborierten Rituale des ‹Auszugs› (profectio) und der Rückkehr im Triumph, der Ankunft und des ‹Einzugs› (adventus) in der Republik, der hohen und späten Kaiserzeit, ihre spezifische Symbolik und hochelaborierte Struktur oder Syntax, die in konzeptuell und methodisch innovativen Arbeiten thematisiert wurden.[30] Andererseits entwickelt sich in jüngster Zeit ein neues Interesse nicht nur an der eigentümlichen spektakulären Seite der republikanischen und frühkaiserzeitlichen politischen Kultur und an der Theatralität des gesamten Lebens in und unter den Augen der Öffentlichkeit. Der Blick richtet sich nun auch auf die Einbettung von Politik und Institutionen in jeweils spezifische Formen von Zeremoniell, die Durchdringung der Entscheidungsverfahren durch rituelle Elemente aller Art und die theatralischen Dimensionen des Auftretens und Handelns der Akteure auf der großen Bühne des Forum Romanum.[31] Man hat begonnen, den Zeitzeugen und ebenso parteilichen wie intimen Kenner der Verhältnisse M. Tullius Cicero auf neue Weise ernst zu nehmen: Nicht zufällig hatte schon dieser große Redner, gesuchte Anwalt und ambitionierte homo politicus die Versammlungen des römischen Volkes auf ebendiesem ‹Forum› (im doppelten Sinne des Begriffs) als die «größte Bühne» (maxima scaena) des Redners und das Volk selbst als Publikum der dort stattfindenden Inszenierungen beschrieben. Und Cicero wusste sehr gut, worüber er da räsonierte, beherrschte er doch nicht nur die hochentwickelte Dramaturgie des Deklamierens, sondern gefiel sich gelegentlich selbst in großen ‹theatralischen› Gesten und pompösen Posen – bezeichnenderweise bewunderte er auch den berühmtesten Schauspieler seiner Zeit, Q. Roscius, und dessen einschlägige Talente.[32] Es ist geradezu das Signum dieser Kultur, dass der Alltag der Politik, der Versammlungen und der Prozesse vor dem Tribunal des Praetors auf dem Forum einerseits und die außeralltägliche Welt der Bühne, der Feiern und Spiele andererseits sich ebenso gegenseitig spiegeln respektive partiell überschneiden und ineinander übergehen wie die erwähnten zeremoniellen, symbolisch-expressiven Formen und zweckrationalen, technisch-instrumentellen Verfahren der Entscheidungsfindung.

5.Theorien II: ‹Politische Kultur(en)› als Leitkonzept – Inhalte und Anwendungen

Längst hat man in diesen und anderen Zweigen der historischen Wissenschaften daher erkannt, dass politische Kulturen im engeren Sinne eben nicht nur eine «Inhaltsseite», sondern auch eine «Ausdrucksseite» und eine entsprechende «kognitive» Ebene haben. Sie umfassen also nicht nur den gesamten Komplex der Voraussetzungen und Bedingungen, Strukturen, Muster und Regeln jenes individuellen wie kollektiven Handelns in einem gegebenen gesellschaftlichen Kontext, das auf die Herstellung, Um- und Durchsetzung verbindlicher Entscheidungen zielt. Politische Kulturen – vergangene, vormoderne wie rezente und moderne – haben eben auch symbolische und ästhetische Dimensionen, die für die permanente Reproduktion der Legitimität des Systems insgesamt konstitutiv sind. Anders und differenzierter formuliert: diese Dimensionen sind als eine «Sprache der Legitimierung» zu verstehen, die einerseits ein jeweils kultur- und/oder epochenspezifisches, eigentümliches und -sinniges «Vokabular» und andererseits eine ebenso spezifische «Grammatik» oder Syntax umfasst. Das Erstere enthält Bilder und Embleme, Metaphern und Allegorien, aber auch Rituale und andere Performanzen und ihre jeweiligen Semantiken, die Letztere besteht aus den Konventionen, Regeln und Praktiken, welche die angemessene, politisch und sozial akzeptierte An- und Verwendung des Vokabulars bestimmen.[33]

Es ist also vor allem diese Ausdrucksseite, die der Erzeugung von Zugehörigkeit und Zustimmung, der Stiftung von Sinn und Sinnhaftigkeit politischen Handelns und damit der Begründung einer kollektiven Identität dient. Wie wichtig diese Funktion tatsächlich ist, wird nicht zuletzt dann historisch-empirisch besonders fassbar, wenn es um die radikale Neukonstituierung einer solchen Identität ging wie in Frankreich nach 1789. Die auffällig vielfältige, ebenso elaborierte wie artifiziell anmutende, geradezu systematisch gestiftete Kultur der revolutionären Feste muss zugleich als Medium und Motor dieses Prozesses begriffen werden – wie die Feste der «Föderation», der «Freiheit», der «Vernunft» und des «höchsten Wesens», deren jeweilige Bilder, Symbole und Strukturen jedes einzelne als spezifisch «ästhetisiertes, visuell betontes Ritual» auszeichnen.[34]

Eine ähnlich radikale Neugestaltung oder Neuerfindung stellt die raffiniert inszenierte Saecularfeier dar, die der große Impresario Augustus im Jahre 17 v. Chr. zur Einleitung eines neuen Jahrhunderts (saeculum) als Zeitalter des Friedens und der Fruchtbarkeit, des Wohlstands und des Glücks veranstalten ließ. Im Gegensatz zu den soeben erwähnten Festen des revolutionären Frankreich stellte sich diese in jeder Hinsicht grandiose Feier aber dezidiert als Wiederaufnahme und Wiederbelebung einer angeblich in die frühe Republik zurückreichenden Tradition dar.[35] Das entsprach dem ideologischen Kern der Selbstkonstruktion des Augustus, der als Princeps die res publica wiederhergestellt haben wollte. Überhaupt diente der gesamte Spielplan des augusteischen Theaters der Macht vor allem einem Zweck: der Herstellung von Akzeptanz seiner Alleinherrschaft von Seiten aller Gruppen des populus Romanus und der Verstetigung dieser Akzeptanz zu einer dauerhaft stabilen Legitimität, indem das neue Regime sich in einem traditionellen und daher ehrwürdigen, durch den Princeps glanzvoll erneuerten republikanischen Gewand präsentierte.

Der neue Blick auf die Ausdrucksseite politischer Kulturen ist Teil eines umfassenden Paradigmenwechsels – hier ist dieser anspruchsvolle Begriff noch am ehesten angemessen. Denn im Verlauf dieser Um- und Neuorientierung wurden nicht nur die «methodischen Grenzen der traditionellen Politikgeschichte» und ihre Privilegierung von Haupt- und Staatsaktionen überwunden, die von den Vertretern der Strukturgeschichte polemisch als trivialpositivistische Geschichte von «traités et batailles» karikiert wurde.[36] Auch das «einseitig strukturorientierte Gesellschaftskonzept» der klassischen Sozialgeschichte und deren Fixierung auf «anonyme Handlungskollektive» in der Gestalt von Ständen, Klassen und Eliten wurde nun «um neue, diskursive Dimensionen» ergänzt und erweitert – nochmals anders formuliert: Mit dem Begriff der politischen Kultur wird nun die gesamte «diskursive Umwelt» bezeichnet, in der nicht nur allgemein ‹Macht›, Herrschaft und Autorität auf der Tagesordnung stehen, sondern auch konkrete Geltungsansprüche und nicht zuletzt die Deutungshoheit in Bezug auf Grund- und Glaubenssätze, Sinnhorizonte und Orientierungen als Grundierung normativer Regeln und lebensweltlicher Praktiken der Ausübung von Macht und Herrschaft verhandelt werden. Vor allem stellt sich Politik bzw. politisches Handeln nach diesem ‹turn› nicht (mehr) «als eindimensionaler Akt oder Prozess dar, in dem von oben dekretiert, regiert, entschieden wird». Vielmehr soll Politik konsequent als «kommunikatives Handeln» im weitesten Sinne begriffen werden – und das gilt auch für Konstruktion, Erwerb und Erhaltung von ‹Macht›. Damit rückt die Dimension des interaktiven «Aushandelns» von Agenden, Ansprüchen und ihrer Anerkennung, von Konfliktbeilegung und Kompromissen zwischen Regierenden und Regierten, Magistraten und Bürgern, herrschenden Klassen und breiten Schichten in den Blickpunkt. Dieses Aushandeln von Politik in einem impliziten Dialog und die darin notwendig beschlossene Reziprozität setzen wiederum Formen der Partizipation etwa der Adressaten politischen Entscheidungshandelns notwendig voraus. Diese Partizipation nimmt zwar keineswegs unbedingt (und empirisch-historisch nicht einmal häufig) die Gestalt einer voll entwickelten «gleichberechtigten Teilhabe» an. Gerade deswegen müssen die konkrete Art und Qualität der Partizipation in ihrer jeweils epochen- und kulturspezifischen Ausprägung im Hinblick auf Grad, soziale und institutionelle Form bestimmt werden.[37]

Dazu gehören auch die einer (politischen) Kultur jeweils eigentümlichen Formen «ritueller» und «symbolischer Kommunikation», als eines Spektrums von spezifischen «habituellen Verfestigungen von Kommunikationssituationen», das nach Spannweite, Formen und Graden jeweils konkret zu bestimmen ist. Dieses Repertoire, das Gesten, Gebärden und auch das gesprochene Wort in öffentlicher Rede, Zeremonien, Rituale und andere «Handlungen symbolischer Qualität» umfasst, erbringt nämlich «als wichtigste Leistung die ständige Vergewisserung und Verpflichtung aller Beteiligten» und legt sie auf Akzeptanz und Verbindlichkeit der geltenden Ordnung fest. Gerade die erwähnten Feste, Spiele und sonstigen Spektakel dienen als symbolische Praktiken mithin eben nicht einer veräußerlichten Darstellung von Macht in Glanz und Gloria – wie in dem erwähnten, besonders vielsagenden Fall der multimedialen (Selbst-)Konstruktion des Roi-Soleil Ludwig XIV. sinnfällig deutlich wird. Zugespitzt formuliert: politische Symbole und Rituale dürfen nicht als bloße «Metaphern der Macht», als veräußerlichte Repräsentationen oder Demonstrationen von Macht und Herrschaft begriffen werden. Vielmehr spielt das gesamte Repertoire an solchen Ausdrucksformen nicht nur bei der zeremoniellen Darstellung, sondern schon bei der materiellen Herstellung von verbindlichen Entscheidungen in Institutionen und formal geregelten Verfahren eine eigene und eigengewichtige, jeweils genauer zu bestimmende, jedenfalls fundamentale Rolle. Mehr noch, dieses Repertoire dient generell der Konstitution und Reproduktion von politisch-sozialen Ordnungsstrukturen und Machtbeziehungen, von Deutungs- und Orientierungssystemen und (damit) von Geltungs-, Herrschafts- und Legitimitätsansprüchen. Nochmals mit anderen Worten: Rituale, Zeremoniell und ähnliche Ausdrucksformen sind als zentrale Elemente (oder eben einzelne ‹Zeichen›) «symbolischer Politik als eines Zeichensystems» zu begreifen, das «via Kommunikation politische Wirklichkeit konstruiert».[38]

Das gilt insbesondere für Rituale und Zeremonien, die sich theoretisch und konzeptuell dadurch unterscheiden (sollen), dass dem Ritual eine «performative Wirkmächtigkeit» zugeschrieben wird, die in einer dauernden oder ephemeren Statusveränderung, einem «Übergang» oder einer sonstigen Transformation des oder der Beteiligten bestehe. Dagegen habe die Zeremonie einen «eher darstellenden, abbildenden Charakter» und diene etwa dazu, «eine immer schon gegebene politisch-soziale Ordnung» bloß zu «bekräftigen».[39] In ihrer formalen Struktur lassen sich Rituale und Zeremonien allerdings kaum unterscheiden: Sie stellen Inszenierungen dar, die aus komplexen, strukturierten und geordneten Sequenzen von Handlungen und Bewegungselementen (wie etwa Opfern, Tänzen, Gesten und Gebärden) und sprachlichen Elementen (wie etwa Formeln und Sprüchen, Gebeten und Gesängen) bestehen. Diese Sequenzen sind also zwangsläufig multimedial: Zu diesen Medien gehören daher auch Kultgeräte und andere Gegenstände mit religiöser oder sonstiger symbolischer Bedeutung, ferner «Embleme» wie Amtstrachten und -insignien, Wappen, Fahnen, Feldzeichen und andere unmittelbar lesbare Zeichen der Identität, des Status und des Ranges der teilnehmenden Individuen oder Gruppen. Hinzu können weitere optische und auch akustische Signale wie Gesten und gemessene Bewegungen, Musik, Fanfaren oder auch Glockenschläge kommen, die etwa den Ablauf des Rituals nicht nur begleiten, sondern auch durch die Markierung einzelner Sequenzen strukturieren. «Visualisierung und Performanz», verbale und nonverbale Ausdrucksformen können sich dabei auf viele Weisen miteinander zu einer komplexen «normierten Zeichensprache» kombinieren, aufeinander verweisen und gegenseitig bestätigen. Ein antikes Beispiel für das komplexe Zusammenspiel von Gesten und Handlungen, Worten und Formeln ist das Ritual der Auspication und seine eigentümlichen Syntaxen und sein spezifisches Vokabular, durch das die römischen Magistrate und Feldherren vor Handlungen aller Art in Politik und Krieg den Willen der Götter zu erforschen und Priester etwa Inaugurationen durchzuführen hatten.[40]

In jedem Fall geschieht dies nach einer mehr oder weniger strengen, normierten und normierenden Syntax oder «Taxonomie»,[41] die aus Konventionen, formalen Regeln oder Vorschriften über den Ablauf, die Ausstattung und nicht zuletzt über die Zusammensetzung der Teilnehmer und das Recht oder die Pflicht zur Teilnahme besteht. Rituale wie Zeremonien zeichnen sich durch Stereotypie und Wiedererkennbarkeit, Wiederholbarkeit und praktische Wiederholung aus, die eine besondere Art der Authentizität respektive der Richtigkeit des Ablaufs begründen und garantieren. Darin liegen ihre symbolisch-ordnende Kraft und zugleich ihre «Verletzbarkeit» – ihre «Integrität» ist nämlich immer latent bedroht. Denn gerade die Normierung des Rituals lässt Abweichungen, «Fehltritte» und selbst «Mikroverletzungen» der in der Syntax des Rituals «institutionell formierten Verhaltenserwartungen» eben auch unmittelbar deutlich und für Akteure und Adressaten erkennbar werden. Unter Umständen kann eine daraus resultierende «Gleichgewichtsstörung» sogar dazu führen, dass eine «gesamte Sozialgeographie» in Mitleidenschaft gezogen wird. In extremer Weise geschah genau das in dem bekannten «Karneval von Romans», einer kleinen Stadt in der Dauphiné südöstlich von Lyon: Hier schlug im Jahre 1579/80 das traditionelle bunte und lebhafte Spektakel des ‹Mardi Gras› in blutige Gewaltexzesse um, in denen längst angelegte soziale und religiöse Gegensätze und die sich zu regionalen Rebellionen verschärfenden Konflikte zwischen Unterschichten und Eliten in Stadt und Umland gewalttätig aufbrachen.[42]

Dazu muss es natürlich nicht immer, bei jeder Art der Abweichung oder Verletzung der Ritualsyntax kommen – und das hängt nicht nur von Art und Schwere des ‹Fehltritts› ab, sondern auch und vor allem von der spezifischen Abweichungstoleranz respektive Integrations- und Anpassungskapazität, die ihrerseits in die jeweilige Syntax eines Rituals eingeschrieben sind und die für eine (zumindest begrenzte, im Einzelfall wiederum zu bestimmende) Flexibilität und Dehnbarkeit sorgen, die es gegebenenfalls erlauben, auch Varianten zu tolerieren und Modifikationen zu integrieren. Am Beispiel der Entwicklung des Triumphes in der mittleren und späten Republik wird paradigmatisch zu zeigen sein, dass eine derartige Anpassungskapazität auch in der Entfaltung eines besonderen, in Grammatik und Vokabular des Rituals selbst von vornherein angelegten Differenzierungs-, Erweiterungs- und Steigerungspotentials bestehen kann.

Bei Ritualen wie Zeremonien haben Handlungen und Worte symbolische Bedeutungen, die über das visuell und akustisch konkret Wahrnehmbare hinausweisen. Alle Elemente der Syntax und des Vokabulars dienen der performativen «Vergegenwärtigung von unsichtbaren Realitäten» durch deren «Sichtbar-, Hörbar-, Miterlebbar-Machen».[43] Die beteiligten Akteure erfüllen dementsprechende, immer auch symbolische Rollen. Wie bei allen Inszenierungen oder Spektakeln im eingangs definierten Sinne müssen den Akteuren die Adressaten gegenübertreten, deren Ko-Präsenz ein konstitutiver Bestandteil der Syntax ist. Rituale und Zeremonien sind also auf die ‹Öffentlichkeit› eines Publikums sogar notwendig angewiesen und müssen geradezu darin eingebettet sein, wenn sie als performative Strategien der Selbstdarstellung und Selbstverständigung von sozialen Gruppen, politischen Einheiten und anderen Kollektiven ihre fundamentale Funktion der Konstitution, Reproduktion oder Transformation dieser Gemeinschaften erfolgreich erfüllen sollen.[44] Diese Bedingung setzt wiederum voraus, dass ein gewisses ‹rituelles Wissen› etwa über die erwähnte Syntax der Ordnung und der Regeln des Rituals und über die Semantik der Symbolik zwischen Akteuren und ko-präsenten Adressaten geteilt wird. Erst dann kann ein Ritual bzw. eine Zeremonie endlich als «kulturell konstruiertes System symbolischer Kommunikation» zwischen den Beteiligten im vollen Sinne dieser Definition funktionieren[45] – also im Kontext aller einer Gesellschaft zur Verfügung stehenden derartigen «kulturellen Texte» dazu beitragen, jenes «Bewusstsein von Einheit, Zusammengehörigkeit und Eigenart» zu stiften und zu erneuern, das eben nicht nur die gewissermaßen aktuelle «Identität und Kohärenz einer Gesellschaft» bestimmt und deren «Sinnwelt» strukturiert. Darüber hinaus dienen Rituale und Zeremonien vor allem der Weitergabe dieses Bewusstseins über die ‹erinnerungstechnisch› sensiblen Grenzen der Generationen hinweg, mithin der Sicherung der erwähnten kulturellen Identität und Kohärenz in Raum und Zeit und damit der Reproduktion dieser Gesellschaft selbst.[46]

II

Civic rituals und Stadtstaatlichkeit – (vor)modern und antik

Vos vero, Quirites, si me audire vultis, retinete istam possessionem gratiae, libertatis, suffragiorum, dignitatis, urbis, fori, ludorum, festorum dierum, ceterorum omnium commodorum.

Ihr aber, Quiriten, wenn ihr auf mich hören wollt, haltet fest an eurem Besitz: am Einfluss, an der Freiheit, am Stimmrecht, am Ansehen, an der Stadt, am Forum, an den Spielen, an den Festtagen und an all den übrigen Vorteilen.

(Cicero, De lege agraria 2,71)

Es ist keineswegs ein Zufall, dass gerade bahnbrechende Arbeiten über das breite Spektrum der elaborierten, mit Symbolen, Bildern und Botschaften gesättigten civic rituals in den Stadtstaaten Italiens seit dem Spätmittelalter, insbesondere im Florenz und im Venedig der Renaissance, in vielerlei Hinsicht als Initialzündung gewirkt zu haben scheinen. Gerade diese Studien zu Pomp und Prozessionen aller Art haben das neue Interesse an den politischen Kulturen vormoderner Stadtstaaten generell angetrieben. Nach wie vor resultieren wichtige theoretische und konzeptuelle Anregungen auch aus den Forschungen zu Strukturen, Institutionen und Verfahren, zu Charakter, Zusammensetzung und Räumen von Öffentlichkeit(en), zu Medien, Semiotik und Semantik der symbolischen Kommunikation in den europäischen Städten des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit.[1]

1.Ein antikes Ritual als Paradigma: ‹Triumphe› in Mittelalter und Renaissance

Über diese allgemeinen Anregungen hinaus lohnt ein genauer Blick auf deren jeweiliges kultur- und epochenspezifisches Repertoire an Medien und Ausdrucksformen dieser Kommunikation noch aus einem zweiten Grund. Ein vielfach thematisierter, daher besonders bekannter konkreter Gegenstand dieser kulturwissenschaftlich inspirierten Richtung war und ist nämlich die Frage nach Grammatik und Vokabular, Syntax und Semantik, Symbolik und Funktionen der zunehmend raffiniert choreographierten herrscherlichen Einzüge in (loyale oder auch unterworfene) Städte, die schon früh nach der Vorlage des antiken Triumphrituals ausgestaltet wurden. Damit bietet sich eine besondere Chance: Gerade durch den (kontrastierenden) Vergleich mit konkreten, absichtsvoll (und selektiv) an antiken Vorbildern orientierten Ritualen können wir versuchen, die römischen ‹Originale› und die kultur- und epochenspezifischen Voraussetzungen und Bedingungen ihrer Ausgestaltung präziser ein- und abzugrenzen – und damit auch ihr ureigenes Vokabular und ihre Syntax noch genauer zu lesen.

Unmittelbar erkennbar ist diese Orientierung schon an dem (in jeder Hinsicht) triumphalen Einzug Kaiser Friedrichs II. von Hohenstaufen in Cremona im Jahre 1237, der seinen Sieg über Mailand und die lombardischen Städte mit einer Prozession durch die Stadt feiern ließ, in der typische Elemente des antiken Triumphrituals demonstrativ aufgerufen wurden: eine lange Reihe von Gefangenen – darunter der Doge von Venedig, der auf der falschen Seite gestanden hatte, mit einer Kette um den Hals – und die auf dem Schlachtfeld eroberten Kriegswagen der unterlegenen Seite, darunter der carroco, ein Kriegswagen, auf dem deren Anführer in Fesseln vorgeführt wurden.[2]

Abb. 2.1: Andrea Andreani, Caesar auf dem Wagen, nach Andrea Mantegna, Der Triumph Caesars

Zwei Jahrhunderte später, im Jahre 1443, zog König Alfonso V. von Aragon in triumphaler Manier in Neapel ein. Durch eine breite Bresche in der Stadtmauer fuhr der König auf einem vergoldeten hohen Wagen, der von vier (oder sechs) weißen Pferden gezogen wurde, durch die Stadt zum Dom. Begleitet wurde er von verschiedenen Gruppen von Reitern in unterschiedlichen Kostümierungen, einer Reihe von allegorischen Figuren und einem lorbeerbekränzten Caesar (oder Alexander), der auf einer sich drehenden Weltkugel stand und dem König in Versen die anwesenden Allegorien erläuterte, um sich dann selbst in den Zug einzuordnen. Jacob Burckhardt hat diese Ausstaffierung als Triumphzug treffend als «ein wundersames Gemisch von antiken, allegorischen und rein possierlichen Bestandteilen» charakterisiert.[3]

Die Adaption zentraler Elemente des antiken Triumphrituals manifestiert sich besonders deutlich in der spektakulären ‹entrée› des französischen Königs Heinrich II. in Rouen im Jahre 1550, der auch schon in die Hauptstadt Paris, in Lyon und andere Städte eingezogen war. Dieses komplexe Ritual, seine Ausgestaltung und seine Varianten hatten zu diesem Zeitpunkt längst eine lange Tradition, gerade auch in Frankreich.[4] Seit dem späten 15. Jahrhundert spielte dabei ein besonderer Einfluss aus Italien eine zunehmende Rolle, der sowohl die Semantik als auch die Syntax der herrscherlichen Einzüge auch nördlich der Alpen verfeinerte und grundlegend veränderte. Durch den frühen Humanismus wurde nämlich der klassische Triumphzug der römischen Antike zum Vorbild und geradezu zu einer Art Blaupause für solche Festzüge und ihre Ausgestaltung zu symbolträchtigen Medien der Selbstdarstellung. Nicht nur standen um die Mitte des 15. Jahrhunderts bereits die durch die gelehrten Humanisten wiederentdeckten und nun auch veröffentlichten Texte mit detaillierten Beschreibungen antiker Triumphe zur Verfügung. Das gilt vor allem für Livius, aber auch, etwa in lateinischen Übersetzungen, für Plutarch, Appian und Flavius Josephus. Außerdem lagen bereits poetische Darstellungen, etwa Francesco Petrarcas Beschreibung des Triumphes des Scipio Africanus in seinem Epos Africa und sein Gedicht I Trionfi sowie eine ähnliche Schilderung in einem Gedicht Giovanni Boccaccios und auch erste Studien wie Flavio Biondos Roma Triumphans (1457–1459) vor.

Vor allem aber erfreuten sich bildliche Darstellungen verschiedener Art einiger Beliebtheit und wachsender Verbreitung – der vom Marchese Francesco Gonzaga von Mantua in Auftrag gegebene große Gemäldezyklus von Andrea Mantegna, der den Triumph Caesars erstaunlich detailliert und präzise darstellte, ist nur das bekannteste Beispiel, und das liegt auch daran, dass der Zyklus zuerst durch Holzschnitte, später durch Stiche besonders bekannt und verbreitet war (Abb. 2.1).[5]

Die Holzschnitte von Andrea Andreani und anderen scheinen den örtlichen Humanisten neben den klassischen Texten als wichtige Quelle für die Planung des erwähnten Einzugs Heinrichs II. in Rouen als, wie es heißt, «pareil triomphe à tous ceulx des Caesars» gedient zu haben. Die Wagen mit Trophäen an der Spitze des Zuges seien auch bewusst «à l’imitation expressé des Romains triomphateurs» gestaltet worden.[6] Ob die folgende Parade der 57 Vorfahren des Königs zu Pferd mit Kronen und Prachtgewändern eine vage Anspielung auf antike Begräbniszüge gewesen sein könnte, muss natürlich eine Spekulation bleiben. Man müsste dann voraussetzen, dass den erwähnten Humanisten auch Zeugnisse zu den Leichenzügen des römischen Amtsadels (pompae funebres) vorgelegen hätten, auf deren höchst eigentümliches Ritualvokabular und komplexe Syntax wir noch genau eingehen werden. Die allegorischen Figuren wie ‹Königliche Majestät› und ‹Gerechter Sieg› lassen sich allenfalls mit Mühe auf antike Vorbilder zurückführen – im Gegensatz etwa zu den dann folgenden Gruppen von Soldaten, die Modelle der eroberten Festungen in der Umgebung trugen. Das war, wie wir noch sehen werden, ein typisches Versatzstück der elaborierten Triumphe seit der mittleren römischen Republik, das auch von Andrea Mantegna dargestellt wurde. Zudem hat Mantegna ein weiteres wesentliches Element von Syntax und Vokabular prominent zur Geltung gebracht, nämlich die ko-präsenten Senatoren, die Soldaten und die Träger, die Beutestücke, antik anmutende Waffen, Panzer und Helme mitführen (Abb. 2.2).

Abb. 2.2: Andrea Andreani, Waffen und Beute tragende Soldaten und Diener, nach Andrea Mantegna, Der Triumph Caesars

Auffälligerweise fehlt aber eine Gruppe, die nach der eingangs entwickelten Konzeption eines Rituals eigentlich unverzichtbar ist: Mantegnas Zug scheint durch eine seltsam menschenleere Umgebung zu führen, das römische Volk als Publikum und ko-präsenter Adressat spielt hier keine Rolle – durchaus im Gegensatz zu den antiken Schriftquellen, die wir noch detailliert behandeln werden, und auch zu den Darstellungen verschiedener Arten feierlicher Umzüge in der Kunst des Spätmittelalters und der Renaissance.[7]

Vielleicht darf man darin eine frühe Widerspiegelung einer allenthalben zu beobachtenden Entwicklung sehen, die im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts an Momentum gewann und in der eine fundamentale Dimension der Rituale als symbolischer Kommunikation zunehmend verloren ging. Die herrscherlichen Einzüge inszenierten immer weniger das «Zusammenwirken zweier Partner», nämlich des «einziehenden Fürsten und der empfangenden Bürgerschaft», wie etwa die Einzüge der Medici in Florenz belegen. Schon seit der Vorherrschaft von Lorenzo de’ Medici, genannt ‹il Magnifico› (1449–1492), benutzte die Familie das breite Spektrum der Volksfeste zur Selbstdarstellung ihrer politischen Ansprüche und kulturellen Ambitionen – paradoxerweise vor allem das volkstümlichste Fest, den Karneval, der ursprünglich eigentlich ein rituell kanalisiertes Aufbegehren des einfachen Volkes gegen die Obrigkeit gewesen war. Ausgerechnet dieses Fest wandelte sich unter der Hand zu einer verschwenderischen Zurschaustellung von Luxus, Pracht und Reichtum im Gewand antiker Triumphzüge, die bezeichnenderweise auch explizit so genannt wurden: trionfi. Um nur ein einzelnes, aber umso vielsagenderes ‹Event› anzuführen, das die Dynamik der Usurpation der Feste belegt: Als Lorenzos Sohn Giovanni im Jahre 1513 zum Papst gewählt wurde, hat die Familie im Karneval einen besonders spektakulären trionfo inszeniert, der von zwei rivalisierenden Gesellschaften von florentinischen Adligen gestaltet wurde – unter der Leitung des Bruders des Papstes, Giuliano de’ Medici, respektive seines Neffen Lorenzo, Sohn des Piero de’ Medici. Dieser «Triumph aller Triumphe»[8] bestand aus zwei Reihen von Schauwagen, die raffiniert bemalt und verschwenderisch ausgestattet waren; Kostüme, Masken und die sonstige Ausstattung der Akteure wurden von den besten Künstlern der Zeit gestaltet. Einer der beiden Wagenzüge war besonders vielsagend. Die Allegorien und tableaux vivants auf den einzelnen Wagen inszenierten die triumphale Geschichte Roms, beginnend mit dem Goldenen Zeitalter und der Gestalt des Numa Pompilius, des mythischen zweiten Königs Roms und Stifters der wichtigsten religiösen Institutionen. Diese Erzählung in Bildern führte über jenen Consul der Republik, der den ersten Krieg mit Karthago beendet haben sollte und von Senatoren, Praetoren und Lictoren eskortiert wurde, bis zu Iulius Caesar, der über Kleopatra triumphierend auf einem von Büffeln gezogenen Wagen thronte. Ihm folgten Augustus, umgeben von lorbeerbekränzten Dichtern, und Trajan, begleitet von ihrem Stand entsprechend gekleideten Rechtsgelehrten, Notaren und Schreibern – und am Ende stand eine allegorische Figurenkonstellation, die suggestiv eine Renaissance des Goldenen Zeitalters symbolisierte.

An diesem Beispiel wird besonders deutlich, dass sich die Botschaft bzw. der Charakter dieser Art der Zeremonie von einem «Dialog zwischen Herrschern und Beherrschten, vielleicht auch zwischen Prinz und Bürgertum» schnell und gründlich – und nicht nur in Italien – zu einer zunehmend einseitigen monarchisch-monologischen «Erklärung absolutistischer Machtansprüche» verschob. In dieser ‹Entdialogisierung› trat die Asymmetrie und Hierarchie der Macht zwischen den ‹Partnern› immer deutlicher hervor und wurde dabei demonstrativ zu einem zentralen Teil der symbolischen Botschaft. Unter Karl V. wurden schließlich prächtige festliche Ein- und Aufzüge, in denen «die allegorisch-mythologische Tradition Italiens mit der chevalresken Tradition des Nordens» miteinander verbunden wurden, zu einer eigenen «neuen repräsentationsmächtigen herrschaftlichen Demonstrationsform», die ihrerseits wiederum – vor allem etwa in Frankreich – «erfindungsreich adaptiert» wurde.[9]

2.Seitenblick II: Ludwig XIV. in Paris 1660

Dieser Bedeutungswandel lässt sich an einem Endpunkt dieses Prozesses besonders deutlich machen, nämlich an der im vollen Sinne des Begriffs spektakulären ‹entrée solennelle› Ludwigs XIV. und seiner gerade angetrauten Königin, der Infantin Marie Thérèse, im August 1660. Dieser Empfang des jungen Paares in ihrer «bonne ville de Paris» stand in einer komplexen Tradition: Hinsichtlich des Vokabulars der Bilder, Allegorien und Symbole stand die Antike allgemein und wiederum insbesondere der römische Triumph Pate. Bezüglich der Syntax des präzise choreographierten Ablaufs und der daran beteiligten Personen und Gruppen bediente man sich der komplexen rituellen Grammatik dieses Zeremoniells, die seit dem frühen 14. Jahrhundert entwickelt, schrittweise erweitert und ausdifferenziert worden war.

Der erwähnte Wandel wird indirekt bereits bei der Umsetzung dieser Grammatik in Gestalt der Ausrichtung, Planung und Organisation erkennbar, die traditionell eigentlich die Sache der städtischen Obrigkeit war, also des «prévôt des marchands» (darunter ist die Funktion eines Bürgermeisters zu verstehen) und seiner Stadträte, der «échevins». Demgegenüber war nun die kontrollierende und steuernde Regie des Ersten Ministers der Krone, des Kardinals Jules Mazarin, ebenso deutlich zu erkennen wie bei den offiziösen zeitgenössischen Publikationen, in denen vor allem die ephemere Architektur und die opulenten Dekorationen, die den Weg des Einzugs markierten, ausführlich beschrieben und illustriert wurden.[10]

Das Kernstück der traditionellen Ritualsyntax, das auch den Anfang der ‹entrée› am Morgen des 26. August 1660 markierte, bestand in der feierlichen Präsentation der Stadtschlüssel und der Huldigung durch Würdenträger, Klerus und die Repräsentanten der Korporationen der Stadt, die in ihren jeweiligen Trachten und Farben am Königspaar auf dem erhöhten Thron vorbeidefilierten. Darunter waren die vier Orden und die Priester der 39 Gemeinden, die Professoren und Doktoren der Sorbonne mit dem Rektor an der Spitze und die Repräsentanten des Parlaments von Paris, dessen Präsident allerdings nur eine demonstrativ untergeordnete Rolle zu spielen hatte – und das lag vielleicht nicht nur daran, dass die Beteiligung des Parlaments an der ‹Fronde› gegen den jungen König unvergessen war und damit noch einmal symbolisch bestraft werden sollte. Diese zeremonielle Herabstufung war auch ein demonstratives Signal, dass die zentrale, ja dominante Rolle des Parlaments beim Empfang eines Königs und der Anspruch auf einen bestimmenden Einfluss auf die Syntax des Rituals, die sich seit dem 15. Jahrhundert entwickelt hatten, ebenso endgültig und unwiderruflich Geschichte sein sollten wie seine Privilegien und Prärogativen.[11] Zugleich spiegelt sich darin der Prozess der Hierarchisierung und Determinierung der ko-präsenten Öffentlichkeit durch Marginalisierung der nichtaristokratisch-‹bürgerlichen› Öffentlichkeit und Einengung auf eine Hof-Gesellschaft.

Der Charakter, die Zusammensetzung und Sequenz der Gruppen, die den eigentlichen Einzug des Königspaares am Nachmittag begleiteten, waren mindestens ebenso demonstrativ – vor allem die verschwenderische Pracht des Zuges, mit dem der große Regisseur Mazarin sich symbolisch in die Parade einbrachte und die alle anderen Gruppen unübersehbar in den Schatten stellte. Den Anfang machten 72 Maultiere, die von 25 Männern in grüner Livrée geführt wurden und die in drei Gruppen aufgeteilt waren, die sich durch immer aufwendigeren Schmuck in Gestalt von Zaumzeug und verschieden bestickten Schabracken unterschieden. Dann folgten der Stallmeister des Kardinals mit 24 berittenen und reich gekleideten Pagen und zwölf weiteren, mit roten, goldenen und weißen Seidendecken geschmückten Pferden sowie an die 250 Bedienstete und Wachleute zu Fuß. Damit noch nicht genug: es folgten elf sechsspännige Karossen, gezogen von Pferden, die nach Rassen, Farben und Größe genau ausgewählt waren. Zum Schluss kam die ultimative Steigerung: Die Karosse des Kardinals war gerade nicht die größte, sondern die kleinste – aber sie wurde von acht Pferden gezogen, und das waren immerhin zwei mehr, als etwa den Herzögen und Marschällen von Frankreich zustanden. Dagegen nahm sich die Equipage von ‹Monsieur›, also dem Bruder des Königs, recht bescheiden aus. Das gilt auch für die Auftritte von Monsieur und des großen Condé, eines ehemaligen führenden Frondeurs, an der Spitze der Prinzen von Geblüt und des nach Rang genau gestuften Adels. Diese Gruppe erschien erst später – sie hatte den königlichen Musketieren und den zahlreichen Würdenträgern des Hofes, dem König selbst zu Pferde und seiner unmittelbaren Umgebung zu folgen. Auch dieser Teil der Syntax war kaum ein Zufall, sondern stellte eine weitere Botschaft der Symbolpolitik des Kardinals dar.