Therapieprogramm für Kinder mit aggressivem Verhalten (THAV) - Anja Görtz-Dorten - E-Book

Therapieprogramm für Kinder mit aggressivem Verhalten (THAV) E-Book

Anja Görtz-Dorten

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Beschreibung

Das Therapieprogramm THAV stellt ein umfassendes Behandlungspaket zur multimodalen Therapie von Kindern mit aggressivem Verhalten besonders gegenüber Gleichaltrigen dar. Es eignet sich insbesondere für den Einsatz bei Kindern im Alter von 6 bis12 Jahren mit reaktiv aggressivem Verhalten und Problemen der Affektregulation sowie bei Kindern mit proaktiv aggressivem Verhalten und begrenzten prosozialen zwischenmenschlichen Beziehungs- und emotionalen Reaktionsmustern. Mit dieser Neuauflage liegt nun eine umfassende Überarbeitung und Erweiterung des Therapieprogrammes vor. Das Manual liefert zunächst eine Beschreibung der Störungen und geht auf die Ursachen von reaktivem und proaktivem aggressivem Verhalten sowie mögliche Ansatzpunkte für die Therapie ein. Umfassend werden dann die 16 Bausteine des modular aufgebauten Behandlungsprogrammes erläutert. Die Schwerpunkte der patientenzentrierten Interventionen liegen hierbei auf der Modifikation sozialer Kognitionen und der Emotionsverarbeitung sowie dem sozialen Problemlöse- und Verhaltenstraining. Der Ansatzpunkt für die patientenzentrierten Interventionen sind individuelle Situationen, in denen das Kind reaktives oder proaktives aggressives Verhalten gegenüber Gleichaltrigen zeigt. In der Neubearbeitung wurden für Kinder mit reaktiv aggressivem Verhalten Interventionen zur Verminderung affektiver Dysregulationen ergänzt. Zur Behandlung von Kindern mit proaktiv-aggressivem Verhalten wurden Module neu entwickelt, die dem Kind helfen können, sich in die Gedanken, Gefühle oder Motive eines anderen hineinzuversetzen sowie Empathie und prosoziale Emotionalität zu stärken. Zur Modifikation sozialer Interaktionen bezieht das Therapieprogramm zudem eltern-, lehrer- und gleichaltrigenzentrierte Interventionen mit ein. Die zahlreichen Arbeitsmaterialien für die Kinder und ihre Bezugspersonen können direkt von der beiliegenden CD-ROM ausgedruckt werden. Zusätzlich zu diesem Buch ist eine Kiste mit Materialien und Handpuppen zur Durchführung des THAV-Programmes erhältlich. Zu beziehen sind diese Materialien über www.testzentrale.de.

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Anja Görtz-Dorten

Manfred Döpfner

Therapieprogramm für Kinder mit aggressivem Verhalten (THAV)

2., überarbeitete und erweiterte Auflage

PD Dr., Dipl.-Psych., Dipl.-Heilpäd. Anja Görtz-Dorten, geb. 1968. 1990–1994 Studium der Heilpädagogik in Köln. 1995–2001 Studium der Psychologie in Düsseldorf. 1999 Approbation zur Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin. 2005 Promotion. 2014 Habilitation. Seit 2000 Institutsleiterin und seit 2014 wissenschaftliche Leiterin des Instituts für Klinische Kinderpsychologie der Christoph-Dornier-Stiftung an der Universität Köln und seit 2010 Leiterin des Bereiches Evaluation des Ausbildungsinstituts für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie (AKiP) an der Universitätsklinik Köln.

Prof. Dr. Manfred Döpfner, geb. 1955. 1974–1981 Studium der Psychologie in Mannheim. 1990 Promotion. 1998 Habilitation. Seit 1989 Leitender Psychologe an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der Universität zu Köln und dort seit 1999 Professor für Psychotherapie in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Seit 1999 Leiter des Ausbildungsinstituts für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie (AKiP) an der Universitätsklinik Köln und seit 2000 Wissenschaftlicher Leiter des Instituts Köln der Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie.

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autoren bzw. den Herausgebern große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

Zusätzlich zu diesem Buch ist eine Kiste mit Materialien und Handpuppen zur Durchführung des THAV-Programmes erhältlich. Die Materialienkiste mit der Bestellnummer 01 361 01 kann über die Testzentrale (www.testzentrale.de) bezogen werden.

Zusätzlich zu diesem Buch ist die App-unterstützte Therapie-Arbeit für Kinder (AUTHARK) (zu beziehen über den Google Playstore oder den App Store von Apple), siehe authark-app.de, verfügbar.

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Das E-Book einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar.

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Till Taff-Illustrationen: Klaus Gehrmann, Freiburg; www.klausgehrmann.net

Satz: ARThür Grafik-Design & Kunst, Weimar

Format: EPUB

2., überarbeitete und erweiterte Auflage 2019

© 2010, 2019 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-2891-8; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-2891-9)

ISBN 978-3-8017-2891-5

http://doi.org/10.1026/02891-000

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Diese Bestimmungen gelten gegebenenfalls auch für zum E-Book gehörende Audiodateien.

Anmerkung:

Sofern der Printausgabe eine CD-ROM beigefügt ist, sind die Materialien/Arbeitsblätter, die sich darauf befinden, bereits Bestandteil dieses E-Books.

Zitierfähigkeit: Dieses EPUB beinhaltet Seitenzahlen zwischen senkrechten Strichen (Beispiel: |1|), die den Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe und des E-Books im PDF-Format entsprechen.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1 Grundlagen

1.1 Aggressives Verhalten: Symptomatik und Häufigkeit

1.2 Komorbidität und Verlauf

1.3 Ursachen von aggressivem Verhalten und therapeutische Ansatzpunkte

1.4 Das Konzept der multimodalen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie

1.5 Übersicht über Problemlöse- und soziale Kompetenztrainings für aggressives Verhalten und ihre Wirksamkeit

1.6 Zur Wirksamkeit von THAV

1.6.1 Zielsetzung, Methoden und Ergebnisse der Eigenkontrollgruppenstudie im Einzelsetting

1.6.2 Zielsetzung, Methoden und Ergebnisse der randomisierten Kontrollgruppenstudie im Einzelsetting

1.6.3 Zielsetzung, Methoden und Ergebnisse der Eigenkontrollgruppenstudie im Gruppensetting im Schulkontext

Kapitel 2 Das THAV-Programm

2.1 Übersicht über die Indikation und Struktur von THAV

2.2 THAV in Kombination mit dem Sozialen computerunterstützten Training für Kinder mit aggressivem Verhalten (ScouT)

2.3 THAV in Kombination mit der App-unterstützten Therapie-Arbeit für Kinder (AUTHARK)

2.4 E-Training für Therapeuten

2.5 Modul I: Vorbereitung, Diagnostik und Verlaufskontrolle

2.5.1 Baustein 1: Beziehungsaufbau, Therapiemotivation, Ressourcenaktivierung

2.5.2 Baustein 2: Diagnostik und Problemdefinition

2.5.3 Baustein 3: Störungskonzept

2.6 Modul II: Modifikation sozialer Kognitionen

2.6.1 Baustein 4: Ärger-Gedanken und Ärgerkiller-Gedanken

2.6.2 Baustein 5: Eis-Gedanken und Warm-up-Gedanken

2.6.3 Baustein 6: Denkfallen und was ist stark?

2.7 Modul III: Modifikation der Emotionsverarbeitung

2.7.1 Baustein 7: Erkennung und Regulation eigener Emotionen

2.7.2 Baustein 8: Kognitive und affektive Empathie

2.7.3 Baustein 9: Impulskontrolle

2.7.4 Baustein 10: Prosoziale Emotionalität

2.8 Modul IV: Soziales Problemlöse- und Verhaltensfertigkeitentraining

2.8.1 Baustein 11: Kontakte aufnehmen und Freunde finden

2.8.2 Baustein 12: Nicht immer der Erste sein müssen

2.8.3 Baustein 13: Konflikte lösen und Rechte durchsetzen

2.8.4 Baustein 14: Proaktiv aggressives Verhalten reduzieren und prosoziales oder sozialakzeptables Verhalten einüben

2.9 Modul V: Abschluss

2.9.1 Baustein 15: Bilanzierung, Rückfallprävention und Ablösung

2.10 Modulübergreifende Intervention

2.10.1 Baustein 16: Das Zauberwaldspiel

Literatur

Anhang

Übersicht über Diagnostik- und Therapiematerialien auf der CD

Materialien auf CD-ROM

|9|Vorwort

Das Therapieprogramm für Kinder mit aggressivem Verhalten (THAV) stellt ein umfassendes Behandlungspaket zur multimodalen Behandlung von Kindern im Alter von 6 bis 12 Jahren mit aggressivem Verhalten besonders gegenüber Gleichaltrigen dar und wurde am Ausbildungsinstitut für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie an der Uniklinik Köln (AKiP) in Kooperation mit der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der Universitätsklinik Köln und dem Institut für Klinische Kinderpsychologie der Christoph-Dornier-Stiftung an der Universität Köln entwickelt und in einer randomisierten Kontrollgruppenstudie in den letzten Jahren evaluiert. In dieser randomisierten Kontrollgruppenstudie konnten deutliche Effekte der Behandlung mit THAV im Vergleich zur Diagnostikphase als auch zu einer alternativen Intervention mit pädagogischen Spielgruppen nachgewiesen werden (Görtz-Dorten et al., 2016, 2017, Lindenschmidt, 2016). THAV wurde in seiner ersten Fassung vor acht Jahren publiziert (Görtz-Dorten & Döpfner, 2010) und hat sich mittlerweile zum Standard in der Therapie von Kindern mit Störungen des Sozialverhaltens entwickelt und in der Praxis einen sehr großen Anklang gefunden. Mit dieser Neuauflage liegt nun eine umfassende Überarbeitung und Erweiterung des Therapieprogrammes vor.

Da das THAV auch zunehmend bei Kindern mit begrenzter prosozialen zwischenmenschlichen Beziehungs- und emotionalen Reaktionsmustern und Störungen der Affektregulation zur Anwendung kommt, wurde THAV um Bausteine zu diesen Bereichen erweitert. Die bestehenden Module wurden teilweise neu aufgebaut und umbenannt, um Kindern, die ein reaktiv aggressives Verhalten zeigen oder die Schwierigkeiten haben, eigene Emotionen zu erkennen und Affekte zu regulieren oder sich in die Gedanken, Gefühle oder Motive eines anderen hineinzuversetzen sowie Kindern mit proaktiv aggressivem Verhalten und reduzierter prosozialer Emotionalität (Mangel an Reue oder Schuldbewusstsein, Gefühlskälte, oberflächlichem Affekt) zu helfen.

Zudem werden neu, in den einzelnen Modulen, Verweise zur zusätzlichen Einsatzmöglichkeit des Sozialen computerunterstützten Trainings (ScouT, Görtz-Dorten & Döpfner, 2016) als optionaler Bestandteil gegeben. Beispielsweise können Fertigkeiten, die zur Bewältigung sozialer Situationen notwendig, aber nicht hinreichend ausgebildet sind, mithilfe von ScouT durch die Nutzung von konkreten Filmsituationen und spielerischen Elementen verbessert werden. Zur Unterstützung der Therapieaufgaben wird zusätzlich die App-unterstützte Therapie-Arbeit für Kinder (AUTHARK) vorgestellt. Sie kann den Transfer in den Alltag der Kinder erleichtern und die Motivation der Kinder zur Durchführung der Therapieaufgaben erhöhen. Des Weiteren wird eine Webseite zu THAV, ScouT und AUTHARK zur Optimierung der Therapeutenausbildung/-weiterbildung durch e-training Optionen vorgestellt, die u. a. Lehrvideos zu verschiedenen Therapieinhalten/Interventionen und möglichen schwierigen Therapiesituationen anbietet.

Ziel dieser Weiterentwicklungen ist es, in der Praxis anwendbare und erprobte Interventionen für Kinder mit aggressiven Verhaltensweisen besonders gegenüber Gleichaltrigen zur Verfügung zu stellen. THAV ist der multimodalen Psychotherapie (Döpfner, 2013) verpflichtet, die patienten- und umfeldzentrierte Interventionen miteinander verbindet und damit den Leitlinien zur Therapie von Kindern mit aggressivem Verhalten entspricht. Patientenzentrierte Interventionen als Einzel- und Gruppentherapie bilden den Kern der Behandlung.

THAV verfolgt das Konzept der individualisierten Therapie, indem es modular aufgebaut ist und die individuellen Problemsituationen, in denen das Kind ein aggressives Verhalten gegenüber Gleichaltrigen zeigt, in den Mittelpunkt stellt. Die Bewältigung die|10|ser Konfliktsituationen setzt auf verschiedenen Ebenen soziale Kompetenzen voraus. Manchen Kindern fällt es schwer, soziale Situation angemessen wahrzunehmen, zu interpretieren und diese Informationen in einem sozialen Problemlöseprozess effektiv zu verarbeiten. Manchen Kindern fällt es schwer, sich in die Gedanken und Gefühle von anderen zu versetzen oder sie verfügen nur über eine begrenzte prosoziale Emotionalität. Bei anderen Kindern lösen die jeweiligen sozialen Situationen aber auch Kognitionen aus, die in der Regel Wut und Ärger erzeugen und schließlich aggressiven Impulsen zum Durchbruch verhelfen.

Wieder andere Kinder haben Defizite in den sozialen Fertigkeiten, d. h. sie verhalten sich sozial ungeschickt und es fehlt ihnen an Kompetenzen bei der Handlungsausführung. Aggressives Verhalten kann schließlich durch die soziale Umgebung verstärkt und dadurch aufrechterhalten werden.

Diese beschriebenen Ansatzpunkte lassen sich einzelnen grundlegenden kognitiven und behavioralen Interventionsmethoden zuordnen, die in dem modular aufgebauten Therapieprogramm THAV in einzelnen Behandlungsbausteinen zum Einsatz kommen. Die Schwerpunkte liegen hierbei auf der Modifikation sozialer Kognitionen, der Modifikation der Emotionsverarbeitung, dem sozialen Problemlöse- und Verhaltensfertigkeitentraining sowie der Modifikation sozialer Interaktionen.

Die Modifikation sozialer Kognitionen soll dazu dienen, die soziale Problemlösefähigkeit des Kindes zu verbessern und Ärger und Wut sowie Gefühlskälte erzeugende Kognitionen sowie dysfunktionale grundlegende Überzeugungen zu identifizieren und zu vermindern.

Die Modifikation der Emotionsverarbeitung soll Kindern helfen eigene Emotionen besser zu erkennen und zu regulieren, sich besser in die Gedanken, Gefühle oder Motive eines anderen hineinzuversetzen, Prinzipien der Fairness und Verhältnismäßigkeit der Mittel zu erkennen und zu beachten, prosoziale zwischenmenschliche Beziehungs- und emotionale Reaktionsmuster zu entwickeln und aggressive Impulse zu kontrollieren. Falls Verhaltensfertigkeiten, die zur Bewältigung dieser Situationen notwendig sind, nicht hinreichend ausgebildet sind, können diese Fertigkeiten mithilfe des sozialen Problemlöse- und Verhaltensfertigkeitentrainings verbessert werden.

Durch positive Konsequenzen für die erfolgreiche Bewältigung der Konfliktsituation und durch die Verminderung von möglichen positiven oder negativen Verstärkungen bei aggressivem Verhalten lässt sich die Aggressionssymptomatik ebenfalls vermindern. Daher bezieht THAV auch familien- und schulzentrierte Interventionen mit ein. Diese Verfahren nutzen im Wesentlichen kognitive und behaviorale Interventionen, die darauf abzielen, dysfunktionale Kognitionen und Erwartungen bei den Eltern oder anderer Bezugspersonen zu verändern und Bedingungen zu schaffen, die dem Kind helfen, bisher destruktiv gelöste soziale Situationen mit Gleichaltrigen sozial erfolgreich bewältigen zu können. Dazu gehören der Abbau von aggressionsverstärkendem Erziehungsverhalten der Eltern und anderer Bezugspersonen sowie die Einführung von Belohnung in Bezug auf sozial kompetentes Verhalten des Kindes.

Das Therapieprogramm THAV beschreibt in einzelnen Behandlungsbausteinen mit umfangreichen Materialien differenziert die verschiedenen symptomorientierten Interventionen. Die schriftlichen Materialien lassen sich anhand der beiliegenden CD-ROM (farbig) ausdrucken. In einer zusätzlichen Materialienbox werden Puppen, Brillen, Emotionskarten, ein Ärger-Thermometer, Soziogrammtafeln und das Zauberwaldspiel zur Verfügung gestellt, die einen kindgemäßen Zugang erleichtern (zu beziehen über www.testzentrale.de, Bestellnummer 01 361 01). Mit dieser Hilfe lassen sich die einzelnen Bausteine von THAV zu einer individuell angepassten Therapie zusammenstellen, welche auf die spezifischen Konfliktsituationen, aber auch Kontaktaufnahmesituationen abzielen. Als optionaler Bestandteil kann, wie bereits erwähnt, auch das Soziale computerunterstützte Training (ScouT) (zu beziehen über den Buchhandel, ISBN 978-3-8017-2574-7), die App-unterstützte Therapie-Arbeit für Kinder (AUTHARK) (zu beziehen über den Google Playstore oder den App Store von Apple) und die Webseite zu THAV, ScouT und AUTHARK zur Optimierung der Therapiedurchführung durch e-training Optionen integriert werden. THAV allein zeigt bereits ausgeprägte und spezifische Therapieeffekte. Durch den zusätzlichen Einsatz von ScouT, durch die Nutzung von konkreten Filmsituationen und der App-unterstützten Therapie-Arbeit für Kinder (AUTHARK), kann die Effektivität der THAV-Interventionen möglicherweise sogar noch verbessert werden. Wir hoffen, damit optimale Voraussetzungen für eine individualisierte multimodale Therapie und für einen guten Behandlungserfolg zu schaffen.

Köln, im November 2018

Anja Görtz-Dorten und

Manfred Döpfner

|11|Kapitel 1Grundlagen

1.1 Aggressives Verhalten: Symptomatik und Häufigkeit

Aggressives Verhalten von Kindern tritt häufig im Kontext aggressiv-dissozialer Verhaltensweisen auf. Die Therapie dieser Probleme stellt eine besondere Herausforderung dar, weil diese Störungen häufig auftreten, oft einen chronischen Verlauf haben und insgesamt schwer zu behandeln sind (Petermann, Döpfner & Görtz-Dorten, 2016). Kadzin betonte bereits 1997 zu Recht, dass es sich bei den aggressiv-dissozialen Verhaltensweisen um einen der häufigsten Vorstellungsanlässe in der kinder- und jugendpsychotherapeutischen und der kinder- und jugendpsychiatrischen Praxis handelt, was sich bis heute nicht verändert hat. Da im Allgemeinen eine schlechte Langzeitprognose und eine unzureichende Therapiemotivation vorliegen (vgl. Döpfner et al., accepted for publication), handelt es sich damit um eine der kostenträchtigsten psychischen Störungen überhaupt (Ewest, Reinhold, Vloet, Wenning, & Bachmann, 2013).

Es gibt verschiedene Klassifikationsmöglichkeiten von aggressiv-dissozialen Verhaltensauffälligkeiten. Neben der Klassifikation von DSM-5 und ICD-10 hat sich die von Frick et al. bereits 1993 vorgeschlagene Einteilung durchgesetzt (siehe Abb. 1). Danach lassen sich aggressiv-dissoziale Verhaltensweisen entlang zweier Dimensionen beschreiben, die durch folgende Endpole charakterisiert werden: Aggressiv-dissoziales Verhalten kann offen oder verdeckt erfolgen und es kann destruktiv versus nicht destruktiv sein. Entlang dieser Dimensionen lassen sich die vier in Abbildung 1 aufgezeigten Klassen bilden. Dieses Manual fokussiert auf aggressives Verhalten von Kindern, wenngleich diese häufig auch oppositionelles Verhalten gegenüber Erwachsenen zeigen und auch schon verdeckte dissoziale Verhaltensweisen aufweisen können. Aggressives Verhalten gegenüber Personen kann sich auf Gleichaltrige oder auch auf Erwachsene beziehen, wobei aggressive Attacken gegenüber Erwachsenen eher die Ausnahme darstellen und sich dann eher in oppositionell verweigerndem Verhalten äußern.

Nach Vitiello und Stoff (1997) kann man verschiedene Ausdrucksformen aggressiven Verhaltens unterscheiden (siehe Tab. 1): feindselig versus instrumentell, offen (direkt) versus verdeckt (indirekt), reaktiv versus proaktiv, affektiv versus „räuberisch“. Aktuell kommt dieser Gegenüberstellung in der Forschung zu callous unemotional traits eine besondere Bedeutung zu. Während Kinder mit reaktiv aggressivem Verhalten eher unkontrolliert, ungeplant und impulsiv als Reaktion auf eine wahrgenommene Bedrohung oder Provokation handeln, handeln Kinder mit überwiegend proaktiv aggressivem Verhalten versteckt, instrumentell und eher kontrolliert und zielgerichtet, um etwas Bestimmtes zu erreichen. Schwerpunktmäßig richtet sich dieses Manual eher an Kinder, die überwiegend reaktiv aggressive Verhaltensweisen gegenüber Gleichaltrigen zeigen, verfügt aber auch über einzelne Bausteine, die sich speziell an Kinder mit proaktiv aggressivem Verhalten richten.

In den Diagnosesystemen wird der Terminus der Störung des Sozialverhaltens benutzt, um diese Gruppe aggressiv-dissozialer Auffälligkeiten zu bezeichnen. Kennzeichnend ist ein sich wiederholendes Verhaltensmuster, das die Verletzung grundlegender Rechte anderer sowie wichtiger altersrelevanter Normen und Regeln umfasst und das typischerweise in der Kindheit oder im frühen Jugendalter beginnt. Nach DSM-5 (APA/Falkai et al., 2015) muss eine bestimmte Anzahl an Verhaltensweisen vorliegen, um eine Diagnose zu rechtfertigen. Darüber hinaus müssen klinisch bedeutsame psychosoziale Beeinträchtigungen auftreten.

|12|Tabelle 1: Verschiedene Ausdrucksformen aggressiven Verhaltens (nach Vitiello & Stoff, 1997)

Ausdrucksform aggressiven Verhaltens

Erläuterung

feindselig vs. instrumentell

mit dem Ziel, einer Person direkt Schaden zuzufügen

mit dem Ziel, indirekt etwas Bestimmtes zu erreichen

offen vs. verdeckt

feindselig und trotzig, eher impulsiv und unkontrolliert

versteckt, instrumentell und eher kontrolliert

reaktiv vs. proaktiv

als Reaktion auf eine wahrgenommene Bedrohung oder Provokation

zielgerichtet ausgeführt, um etwas Bestimmtes zu erreichen

direkt vs. indirekt

in direkter Konfrontation mit dem Opfer

die sozialen Beziehungen einer Person betreffend und manipulierend

affektiv vs. „räuberisch“

unkontrolliert, ungeplant und impulsiv

kontrolliert, zielgerichtet, geplant und versteckt

Sowohl DSM-5 als auch ICD-10 unterscheiden zwischen den oppositionellen Verhaltensstörungen (ICD-10: Störung des Sozialverhaltens mit oppositionellem, aufsässigem Verhalten; DSM-5: Störung mit oppositionellem Trotzerhalten) und den Störungen des Sozialverhaltens im engeren Sinn, bei denen auch dissoziale Verhaltensauffälligkeiten vorliegen müssen. Im DSM-5 kann des Weiteren auch noch die Diagnose Disruptive Affektregulationsstörung gestellt werden, bei der schwere, wiederkehrende Wutausbrüche vorliegen müssen mit dazwischen anhaltender reizbarer oder ärgerlicher Stimmung.

Abbildung 1: Zweidimensionales Modell für aggressiv-dissoziales Verhalten nach Frick et al. (1993)

Mehrere Symptomkriterien für oppositionelles Trotzverhalten beziehen auch gleichaltrigenbezogene Aggression mit ein (Formulierung nach DISYPS III: DCL-SSV; Döpfner & Görtz-Dorten, 2017):

Ärgert andere häufig absichtlich.

Schiebt häufig die Schuld für eigene Fehler oder eigenes Fehlverhalten auf andere.

Ist häufig reizbar oder lässt sich von anderen leicht ärgern.

Ist häufig zornig und ärgert sich schnell.

Ist häufig boshaft oder rachsüchtig.

Allerdings wird bei einigen Symptomkriterien für die Störungen des Sozialverhaltens im engeren Sinn ebenfalls gleichaltrigenbezogene Aggression angesprochen (Formulierung nach DISYPS III: DCL-SSV; Döpfner & Görtz-Dorten., 2017), vor allem bei:

|13|Bedroht, schikaniert oder schüchtert andere häufig ein.

Beginnt häufig körperliche Auseinandersetzungen.

Das gleiche gilt für die disruptive Affektregulationsstörung (Formulierung nach DISYPS III: DCL-SSV; Döpfner & Görtz-Dorten, 2017):

Hat durchschnittlich mindestens dreimal pro Woche schwere, immer wiederkehrende Wutausbrüche, die sich verbal (z. B. verbales Toben) oder im Verhalten (z. B. körperliche Aggression gegenüber Personen oder Gegenständen) manifestieren und die in ihrer Intensität oder Dauer der Situation oder dem Anlass und auch dem Entwicklungsstand unangemessen sind.

Hat zwischen den Wutausbrüchen eine anhaltend reizbare oder ärgerliche Stimmung, die fast an jedem Tag über die meiste Zeit des Tages anhält und von anderen (z. B. Eltern, Lehrkräfte oder Gleichaltrigen) wahrgenommen werden kann.

Kinder mit ausgeprägter Gleichaltrigenaggression können daher sowohl die Kriterien für die Diagnose einer oppositionellen Verhaltensstörung sowie für eine disruptive Affektregulationsstörung als auch die für eine Störung des Sozialverhaltens erfüllen, wobei letztere eher bei stärker dissozialen Verhaltensweisen vergeben wird. Die Aufteilung der Symptomkritierien für oppositionelles und aggressives Verhalten in der ICD-10 und im DSM-5 lässt sich auch faktorenanalytisch nicht nachvollziehen. Hier laden Kriterien, die sich auf Gleichaltrigenaggression beziehen, hauptsächlich auf dem Faktor für oppositionelles Verhalten (Görtz-Dorten, Ise, Hautmann, Walter, & Döpfner, 2014).

Der Begriff der gleichaltrigenbezogene Aggression bezieht sich nicht nur auf Kinder mit exakt gleichem Alter, sondern umfasst eine größere Altersspanne und damit auch jüngere und ältere Kinder. Gleichaltrigenbezogene Aggression kann sich daher auch auf Geschwister beziehen, wird dann jedoch eher im Rahmen von Geschwisterrivalität thematisiert, für die in der ICD-10 eine eigene Diagnosekategorie (F93.3, Emotionale Störung mit Geschwisterrivalität) geschaffen wurde, die allerdings nur die Rivalität gegenüber einem jüngeren Geschwisterkind umfasst. Das hier entwickelte Therapieprogramm kann auch in modifizierter Form auf Geschwisterrivalität angewendet werden, wobei dann noch die spezifische Familien- und Geschwisterdynamik beachtet werden muss.

Ein kleiner Teil der Kinder mit einer Störung des Sozialverhaltens weist Merkmale auf, aufgrund derer für sie nach DSM-5 die Zusatzcodierung „mit reduzierter prosozialer Emotionalität“ in Frage kommt. Die Indikatoren für diese Zusatzcodierung werden als Gefühlskälte oder Emotionslosigkeit bezeichnet. Auch Sensationshunger, Furchtlosigkeit und fehlende Bestrafungssensitivität können für diese Kinder charakteristisch sein. Bei Betroffenen, welche die Merkmale dieses klinischen Erscheinungsbildes aufweisen, kann im Vergleich zu anderen Kindern mit einer Störung des Sozialverhaltens die Wahrscheinlichkeit für den Einsatz instrumenteller Aggression zum Erreichen von Zielen erhöht sein (APA/Falkai et al., 2015).

Viele Symptomkriterien für die Zusatzcodierung „mit reduzierter prosozialer Emotionalität“ beziehen sich auch auf gleichaltrigenbezogene Beziehungs- und emotionale Reaktionsmuster (Formulierung nach DISYPS III: DCL-SSV; Döpfner & Görtz-Dorten, 2017):

Fühlt sich nicht schlecht oder schuldig, wenn er/sie etwas Falsches tut, z. B. bereut es nicht, wenn er/sie jemanden verletzt hat. (Ausgenommen ist Reue, die die Person nur zeigt, wenn sie ertappt wird und/oder ihr eine Strafe droht.)

Zeigt nur wenig Skrupel bezüglich der negativen Konsequenzen eigener Handlungen (z. B. sorgt sich nicht um die Konsequenzen von Regelverletzungen).

Beachtet nicht oder interessiert sich nicht für die Gefühle anderer. Wirkt gefühlskalt oder gleichgültig bzw. gefühllos.

Ist auf den eigenen Vorteil bedacht und sorgt sich mehr über die Folgen der eigenen Handlungen für sich selbst als für andere, selbst wenn die Handlungen andere schädigen können.

Drückt keine Gefühle aus oder zeigt anderen gegenüber keine Gefühle oder zeigt nur Gefühle, die flach, oberflächlich, künstlich, unecht oder unaufrichtig wirken.

Macht den Eindruck als könnte er/sie Gefühle schnell an- und ausschalten.

Benutzt Gefühlsäußerungen, um andere zu manipulieren oder einzuschüchtern oder wenn der Ausdruck von Gefühlen dem eigenen Vorteil dient.

Die eigenen Handlungen widersprechen seinen/ihren Gefühlsäußerungen.

Viele Kinder mit gleichaltrigenbezogener Aggression zeigen weitere komorbide Störungen, auch aus dem Spektrum der emotionalen Störungen (siehe unten); daher kann auch die Diagnose der Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen (F92) gestellt werden. Darüber hinaus können gleichaltrigenbezogene Aggressionen im Rahmen von Anpassungsstörungen (vor allem F43.24 Anpassungsstörung mit vorwiegender Störung des Sozialverhaltens; F43.25 Anpassungsstörung mit gemischter Störung von Gefühlen und Sozialverhalten) auftreten, beispielsweise nach Trennung der Eltern. Diese Diagnosen werden jedoch nur dann gestellt, wenn die Kriterien einer Störung des |14|Sozialverhaltens oder einer oppositionellen Verhaltensstörung nicht voll erfüllt sind.

Legt man die diagnostischen Standards von ICD-10 und DSM-5 zugrunde, dann liegen die Prävalenzraten in deutschen und internationalen Studien für Störungen des Sozialverhaltens bei 2 bis 10 % und für Störungen mit oppositionellem Trotzverhalten bei 1 bis 11 % je nach Art der Stichprobenpopulation und der Erhebungsmethoden, wobei die Diagnosen öfter bei Jungen als bei Mädchen gestellt werden (APA/Falkai et al., 2015; Ravens-Sieberer, Wille, Bettge & Erhart, 2007).

Abbildung 2 zeigt die Häufigkeit, mit der Symptome von oppositionell-aggressivem Verhalten nach ICD-10/DSM-IV nach der Einschätzung von Eltern im Fremdbeurteilungsbogen für Störungen des Sozialverhaltens (FBB-SSV) in einer Feldstichprobe auftreten (Görtz-Dorten et al., 2014; Görtz-Dorten, 2005). Allerdings sind diese Angaben nicht auf gleichaltrigenbezogene Aggressivität begrenzt. Danach tritt Geschwisterrivalität am häufigsten auf – in 7 % in besonderer Ausprägung und in weiteren 16 % trifft dies nach Aussagen der Eltern weitgehend zu. Legt man die Angaben der Eltern im FBB-SSV zugrunde, dann erfüllen 4,3 % aller Kinder und Jugendlichen die Symptomkriterien für eine oppositionelle Verhaltensstörung und weitere 1,9 % erfüllen die Kriterien für eine Störung des Sozialverhaltens.

Abbildung 2: Häufigkeit aggressiven Verhaltens nach Einschätzung der Eltern im FBB-SSV (nach Görtz-Dorten, Ise, Hautmann, Walter & Döpfner, 2014; Görtz-Dorten, 2005)

1.2 Komorbidität und Verlauf

Aggressives Verhalten geht oftmals mit einer Reihe weiterer psychischer Störungen einher, wie der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung oder auch depressiven Störungen. Im Jugendalter treten komorbid häufig Störungen durch Substanzkonsum hinzu. Liegt eine psychische Mehrfachbelastung vor, so sind schwerwiegendere und weitreichendere psychosoziale Belastungen (z. B. Ablehnung durch Gleichaltrige, Defizite in der Impulskontrolle oder sozial-kognitive Defizite) festzustellen. Hyperkinetische Störungen im frühen Kindesalter sind oft mit dem frühen Beginn einer Störung des Sozialverhaltens assoziiert (Döpfner, Frölich & Lehmkuhl, 2010); der frühe Störungsbeginn einer Störung des Sozialverhaltens ist wiederum mit dem frühen und anhaltenden Auftreten krimineller Delikte und dissozialer Verhaltensweisen verknüpft (Moffitt, 1993).

Abbildung 3 gibt das von Patterson, DeBaryshe und Ramsey et al. (1989) entwickelte Modell zum Verlauf aggressiv-dissosozialer Verhaltensauffälligkeiten in modifizierter Form wieder, das wesentliche empirische Befunde zusammenfasst (vgl. Döpfner, Adrian & Hanisch, 2007).

Hauptursache für die Entwicklung oppositioneller und aggressiver Verhaltensweisen in der frühen Kindheit sind, wie eine Vielzahl von Studien zeigt, inkonsistente |15|Erziehung und mangelnde Kontrolle, verbunden mit mangelnder Wärme und verminderter Aufmerksamkeit für angemessene prosoziale Verhaltensansätze der Kinder. Patterson et al. (1989) sprechen von einem regelrechten Training zur Aggressivität, das in den Familien stattfindet und sich durch ganz besondere Interaktionsprozesse auszeichnet, die täglich mehrere dutzendmal auftreten. Allerdings machen es manche Kinder den Eltern nicht leicht, sich in der Erziehung konsequent und zugewandt zu verhalten. Dazu gehören erstens Kinder mit ADHS-Symptomen und zweitens Kinder mit generell eher ungünstigen Temperamentsmerkmalen.

Abbildung 3: Entwicklung aggressiv-dissozialen Verhaltens nach Patterson et al. (1989; modifiziert nach Döpfner et al., 2007)

Die Kinder lernen in der weiteren Entwicklung aufgrund der beschriebenen Erziehungsprozesse, andere Familienmitglieder durch oppositionell-aggressives Verhalten zu kontrollieren. Sie lernen nicht, wie man in sozial kompetenter Weise mit Konflikten und Frustrationen umgeht. Sie zeigen solche Verhaltensweisen schließlich auch im Kindergarten und in der Schule. Im Grundschulalter oder etwas später gibt es zwei zentrale Ereignisse, welche die weitere Entwicklung wesentlich beeinflussen. Aggressive Kinder werden erstens von den Gleichaltrigen abgelehnt und sie haben zweitens ein hohes Risiko zu schulischem Misserfolg aufgrund ihres oppositionellen und verweigernden Verhaltens gegenüber den Leistungsanforderungen der Schule und aufgrund der ADHS-Symptomatik (falls vorhanden).

Aggressiv auffällige Jugendliche, deren schulische Karriere durch Misserfolge gekennzeichnet ist und die von Gleichaltrigen abgelehnt werden (vgl. Loeber & Hay, 1997), tendieren dazu, sich Gleichgesinnten, ebenfalls devianten Jugendlichen anzuschließen, wodurch langfristig ihr gestörtes Sozialverhalten zusätzlich stabilisiert wird (vgl. Cairns et al., 1997). Denn hier bekommen diese Jugendlichen das, was sie weder in der Familie, noch in der Gleichaltrigengruppe oder in der Schule erhalten haben, nämlich Anerkennung. Deviante Gruppen sind der zentrale Trainingsort für delinquente Aktionen und für Drogenmissbrauch.

Ein besonders hohes Risiko für delinquentes Verhalten weisen die Kinder und Jugendlichen auf, die durch häufige aggressiv-dissoziale Handlungen auffallen, verschiedene Formen von aggressiv-dissozialem Verhalten aufweisen, diese Handlungen in verschiedenen Lebensbereichen durchführen (Familie, Schule, Freizeit) und die früh durch aggressives Verhalten auffallen (Loeber, 1990). Diese „Frühstarter“, die die gesamte Entwicklung durchlaufen haben, sind auch jene, die von einem günstigen Trend, der im späten Jugendalter einsetzt, am wenigsten profitieren. Nicht |16|alle, sondern etwa die Hälfte bis drei Viertel der delinquenten Jugendlichen werden auch im frühen Erwachsenenalter zu Straftäterinnen/Straftätern. Fast bis zum 30. Lebensjahr sinkt die Delinquenzrate weiter. Die „Frühstarter“ haben jedoch das größte Risiko, dass sich die dissoziale und delinquente Entwicklung fortsetzt (Patterson et al., 1989).

Die wichtigsten psychosozialen Bedingungen, die aggressives Verhalten begünstigen, sind bekannt. Es gibt eine erschreckend hohe Stabilität von dissozialem Verhalten über die Generationen hinweg. Die Verbindungen werden vermutlich zu einem großen Teil durch Erziehungspraktiken, besonders durch impulsives, wenig kontrolliertes Erziehungsverhalten hergestellt. Möglicherweise spielen jedoch auch genetische Einflüsse eine Rolle. Aggressives Verhalten der Kinder hängt darüber hinaus mit bestimmten Familienmerkmalen, wie geringem Familieneinkommen, geringem Bildungsstand der Eltern und fehlender sozialer Unterstützung in der Nachbarschaft zusammen sowie mit Belastungen der Familie durch Arbeitslosigkeit, Partnerkonflikte oder Trennung der Eltern. Diese Faktoren führen zu einem gestörten Erziehungsverhalten bei den Eltern, vor allem dann, wenn die Eltern diesen Stress schlecht bewältigen können. Inkonsistente Erziehung ist also nicht nur eine Folge von generell fehlenden Erziehungskompetenzen, sie wird in erheblichem Maße durch Belastungen gefördert, die auf die Familien einwirken.

1.3 Ursachen von aggressivem Verhalten und therapeutische Ansatzpunkte

Die Ursachen von aggressivem Verhalten und die möglichen biopsychosozialen Einflussfaktoren können vielfältig sein, wie Tabelle 2 zeigt.

Die in Tabelle 2 gelisteten Faktoren sind eine Zusammenstellung der Ergebnisse empirischer Studien. Schwerpunktmäßig soll in diesem Kapitel nicht weiter auf diese einzelnen empirischen Befunde eingegangen, sondern anhand eines theoretischen Konzeptes die Grundlage von THAV erläutert werden.

Abbildung 4 fasst noch einmal die Problembereiche zusammen, die in Familien von aggressiv auffälligen Kindern, beim Kind selbst, im Kindergarten oder in der Schule und in der Gleichaltrigengruppe zu beobachten sind.

Abbildung 5 gibt eine Übersicht über das dem THAV zugrunde liegende Störungs- und Interventionsmodell. Danach kann gleichaltrigenbezogene Aggression durch folgende Prozesse ausgelöst und aufrechterhalten werden, wobei diese Prozesse im Einzelfall unterschiedlich stark beteiligt sind:

Störungen sozialer Kognitionen (Prä- und Post-Event Processing),

Störungen der Emotionsverarbeitung (Prä- und Post-Event Processing),

Störung sozialer Problemlöse- und Verhaltensfertigkeiten,

Störungen sozialer Interaktionen.

Wie in Abbildung 5 gezeigt, können dementsprechend folgende Module und Interventionsbereiche zur Verminderung von gleichaltrigenbezogener Aggression eingesetzt werden:

Modifikation sozialer Kognitionen (Modul 2) durch Identifizieren, Hinterfragen, Verstehen, Prüfen und schließlich Modifizieren von aggressionsauslösenden Kognitionen und Schemata (z. B. mithilfe eines sokratischen Dialoges, von Modelldarbietung, Exposition oder durch Einüben).

Modifikation der Emotionsverarbeitung (Modul 3), d. h. Stärkung der Emotionsregulation sowie von prosozialen Emotionen und der Ärgerkontrolle durch Identifizieren, Hinterfragen, Verstehen, Prüfen und Modifizieren emotionaler Reaktionen (z. B. mithilfe von Opfer-Konfrontation, Ärger-Exposition, kognitiven Methoden, Entspannung oder durch Imaginationsübungen).

Soziales Problemlöse- und Verhaltensfertigkeitentraining (Modul 4) durch die Verbesserung der Wahrnehmung und Interpretation sozialer Situationen, der Entwicklung und Bewertung von Lösungsalternativen, des Kompetenzvertrauens, der Erfolgserwartung (Problemlöstetraining) sowie des verbalen und non-verbalen Verhaltens (Verhaltenstraining) (z. B. mithilfe eines sokratischen Dialoges, Modelldarbietung, Rollenspiel oder durch Feedback).

Modifikation sozialer Interaktionen mit Eltern, Lehrerinnen/Lehrern, Gleichaltrigen (Interventionsbereich) durch Veränderung problemauslösender Situationen und nachfolgender Konsequenzen (z. B. mithilfe von Elterntraining, Interventionen in Schule, Integration in prosoziale Gleichaltrigengruppen). Dieser Interventionsbereich wird in den Therapie-Modulen 2 bis 4 umgesetzt und ist nicht als eigenständiges Modul geplant, weil durch die Modifikation sozialer Interaktionen der Transfer von Veränderungen auf der kognitiven, der emotionalen und der Verhaltensebene, die durch die Module 2 bis 4 eigeleitet wurden, unterstützt wird.

Im Folgenden werden die einzelnen aggressionsauslösenden und -aufrechterhaltenden Prozesse genauer beschrieben:

|17|Tabelle 2: Biopsychosoziale Einflussfaktoren im Rahmen der Aggressionsentwicklung (modifiziert nach Petermann et al., 2016)

Biologische Einflüsse

Biologische Merkmale

männliches Geschlecht

neurologisch mitbedingte Erregbarkeit, Irritabilität und Reagibilität

niedrige Kortisolwerte

niedriges Aktivitätsniveau (z. B. niedrige Herzfrequenzrate)

reduzierte Serotoninaktivität

Körperliche Faktoren, die die Entwicklung des Kindes beeinflussen

Belastungen in der Schwangerschaft (z. B. Infektionen, intrauterine Mangelernährung, Unfälle, Schockerlebnisse)

Einnahme von Alkohol, Drogen, Nikotin und Medikamente während der Schwangerschaft

Geburtkomplikationen

niedriges Geburtsgewicht

Psychische Einflüsse

Psychische Merkmale

schwieriges Temperament des Kleinkindes

niedrige Intelligenz

unzureichende Impulskontrolle und Emotionsregulation

überzogene Selbsteinschätzung

verzerrte sozial-kognitive Informationsverarbeitung

unzureichendes Einfühlungsvermögen

begrenzte prosoziale Emotionalität

Soziale Einflüsse

(Psycho-)Soziale Merkmale

unsichere Bindung (im Kleinkindalter)

erpresserisch-eskalierende Bindung (im Vorschulalter)

mangelnde Aufsicht durch die Eltern

unzureichende Erziehungskompetenz der Eltern

negative Erziehungspraktiken (vor allem strafendes und misshandelndes Disziplinierungsverhalten)

unzureichende emotionale Unterstützung und Akzeptanz gegenüber dem Kind

erpresserische Eltern-Kind-Interaktion

Charakteristiken der Eltern (z. B. mangelnde gegenseitige soziale Unterstützung, Ehekonflikte, Depression der Mutter, kriminelles Verhalten, Alkoholismus)

familiäre Stressbelastetheit (z. B. alleinerziehendes Elternteil, beengte Wohnverhältnisse, geringes Familieneinkommen)

erfahrene körperliche Misshandlung (z. B. durch die Eltern)

soziale Ablehnung durch Gleichaltrige

negative Einflüsse Gleichaltriger

Störungen sozialer Kognitionen

Störungen sozialer Kognitionen können sich sowohl auf konkrete Kognitionen vor der aggressiven Handlung (Prä-Event-Processing; z. B.: „das hat x absichtlich gemacht“) als auch auf Kognitionen nach der aggressiven Handlung (Post-Event-Processing; z. B.: „das hat x verdient; das geschieht ihm Recht“) beziehen. Hierbei spielen auch generelle Überzeugungen, Einstellungen und Schemata eine Rolle (z. B.: „ich muss immer der Beste sein; man darf sich nichts gefallen lassen“). Diese so beschriebenen Störungen sozialer Kognitionen hängen eng zusammen mit Störungen der Problemlösefähigkeit (s. u.). Übergreifend können diese kognitiven Störungen als Störungen der sozial-kognitiven Informationsverarbeitung bezeichnet werden.

Abbildung 6 zeigt die Häufigkeit von Störungen sozialer Kognitionen/sozial-kognitiver Informationsverarbeitung bei Gleichaltrigenkonflikten nach Einschätzung von Eltern, erfasst im Fragebogen zum aggressiven Verhalten von Kindern (FAVK; Görtz-Dorten & Döpfner, 2010a). Danach schieben Kinder bei Streitigkeiten häufig die Schuld und eigene Fehler auf andere und mehr als 10 % fühlen sich außerdem schnell provoziert oder ungerecht behandelt. Diese Phänomene können als Störung der sozialen Wahrnehmung interpretiert werden. Kinder mit aggressiv-dissozialem Verhalten zeigen sowohl nach dem Urteil der Eltern als auch im Selbsturteil deutlich stärkere Störungen sozial-kognitiver Informationsverarbeitung bei Gleichaltrigenkonflikten als Kinder einer repräsentativen Stichprobe (Görtz-Dorten & Döpfner, 2010a).

|18|Nach Dodge und Schwartz (1997) fokussieren aggressiv auffällige Kinder bevorzugt auf provozierende Reize und sie unterstellen Interaktionspartnern Feindseligkeit. Für aggressive Kinder sind Dominanz und Kontrolle wichtiger als prosoziale Ziele. Sie glauben, dass Aggression zu Anerkennung, einem höheren Selbstwertgefühl sowie positiven Gefühlen führt und die unangenehmen Konsequenzen in Konflikten reduziert.

Abbildung 4: Problembereiche bei aggressiv auffälligen Kindern

Störungen der Emotionsverarbeitung

Die Emotionsverarbeitung ist mit der sozial-kognitiven Informationsverarbeitung eng verbunden. Sie beinhaltet sowohl die Fähigkeit zur Erkennung eigener Emotionen und ihrer Regulation als auch zur Rollenübernahme, d. h. das Erkennen der Gedanken, Motive und Emotionen des Interaktionspartners sowie die Entwicklung von Empathie. Schließlich umfasst Emotionsverarbeitung auch die Fähigkeit zur prosozialen Emotionalität inklusive prosozialer Einstellungen.

Störungen der Emotionsverarbeitung können sowohl Ursache für impulsiv-aggressive Verhaltenstendenzen als auch von reduzierten prosozialen Beziehungs- und emotionalen Reaktionsmustern sein. Letztere erhöhen die Wahrscheinlichkeit für den Einsatz instrumenteller Aggression zum Erreichen von Zielen. Manche Kinder entwickeln in solchen Fällen aggressives Verhalten, weil sie nicht in der Lage sind, sich in die Gedanken und Gefühle eines anderen zu versetzen und aus diesem Grund nicht vermuten, dass das Opfer unter seinem Verhalten leidet. Studien legen nahe, dass aggressiv auffällige Kinder große Probleme besitzen, sich in die Lage ihrer Opfer einzufühlen und die Konsequenzen ihres Handelns abzuschätzen (Dodge & Schwartz, 1997). Die Tatsache, dass aggressiv auffällige Kinder schlecht Emotionen von anderen erkennen und benennen können, kann durch eine unzureichende Empathie erklärt werden (Garner & Waajid, 2008). Teilt man Einfühlungsvermögen in eine kognitive und affektive Komponente, so zeigt die Studie von Schwenck et al. (2012), dass bei aggressiven Kin|19|dern eher die affektive Komponente reduziert ist, die kognitive jedoch nicht so stark beeinträchtigt ist.

Abbildung 5: Störungs- und Interventionsmodell für das Therapieprogramm für Kinder mit aggressivem Verhalten (THAV)

Abbildung 6: Häufigkeit von Störungen sozialer Kognitionen/sozial-kognitiver Informationsverarbeitung bei Gleichaltrigenkonflikten nach Einschätzung von Eltern im FAVK-F (Görtz-Dorten & Döpfner, 2010a)

Ein kleiner Teil der Kinder weist eine reduzierte prosoziale Emotionalität auf, die sich als Gefühlskälte oder Emotionslosigkeit zeigen kann. Auch Sensationshunger, Furchtlosigkeit und fehlende Bestrafungssensitivität können für diese Kinder charakteristisch sein. Diese Kinder setzen aggressives Verhalten häufig in instrumenteller Absicht ein, um ein Ziel zu er|20|reichen (APA/Falkai et al., 2015) und handeln eher proaktiv aggressiv. Sie nehmen im Umgang mit Gleichaltrigen häufig eine Führungsrolle ein und nutzen andere zu ihrem Vorteil aus. Sie schätzen Sozialkontakte zwar angemessen ein, wählen aber vor allem aggressives Verhalten, da sie sich dadurch persönliche Vorteile versprechen (Petermann et al., 2016).

Aggressiv auffällige Kinder können durch eine mangelnde Impulskontrolle im Sinne der Hemmung aggressiver, feindseliger Verhaltensweisen auffallen (vgl. Loeber & Hay, 1997). Negative, unregulierte Emotionen hindern Kinder daran, angemessene Problemlösestrategien einzusetzen. Dadurch wird die Häufigkeit und Ausprägung des aggressiven Verhaltens erhöht (Snyder, Schrepfermann & St. Peter, 1997). Diesen Kindern gelingt es in der konkreten Situation nicht, aggressive Impulse zu hemmen. Sie werden dann von intensiven Ärgergefühlen geradezu überschwemmt. Sozial angemessenes Verhalten kann erst dann entstehen, wenn sich eine hinreichende Emotionskontrolle ausgebildet hat (vgl. Cicchetti, Toth & Lynch, 1995; Eisenberg et al., 1993). Emotionskontrolle wird zum einen dadurch möglich, dass der emotionale Ausdruck kontrolliert wird. Zum anderen ist das Sprechen über Emotionen ein wesentlicher Aspekt der Emotionsregulation (Dunn, Brown & Beardsall, 1991; Sinclair & Harris, 1991). Für die Entwicklung sozialer Kompetenzen wie der Fähigkeit, sich in Konfliktsituationen angemessen zu verhalten und aggressives Verhalten zu hemmen, wird sowohl der Emotionsregulation als auch der Fähigkeit, Emotionen bei anderen zu erkennen und zu verstehen, eine herausragende Bedeutung zugesprochen (Blair, Leibenluft & Pine, 2014).

Abbildung 7 zeigt die Häufigkeit von Störungen der Impulskontrolle bei Gleichaltrigenkonflikten nach Einschätzung von Eltern, erfasst im Fragebogen zum aggressiven Verhalten von Kindern (FAVK; Görtz-Dorten & Döpfner, 2010a). Danach schlagen oder beleidigen bei einem Streit mehr als 15 % aller Kinder andere, obwohl sie wissen, dass es andere Möglichkeiten gibt einen Streit zu beenden. Kinder mit aggressiv-dissozialem Verhalten zeigen sowohl nach dem Urteil der Eltern als auch im Selbsturteil deutlich stärkere Störungen der Impulskontrolle bei Gleichaltrigenkonflikten als Kinder einer repräsentativen Stichprobe (Görtz-Dorten & Döpfner, 2010a).

Abbildung 7: Häufigkeit von Störungen der Impulskontrolle bei Gleichaltrigenkonflikten nach Einschätzung von Eltern im FAVK-F (Görtz-Dorten & Döpfner, 2010a)

Störung sozialer Problemlöse- und Verhaltensfertigkeiten

Soziale Problemlösefähigkeiten sind ein Element der sozial-kognitiven Informationsverarbeitung, welche den gesamten psychischen Prozess bezeichnet, der zwischen der Wahrnehmung einer sozialen Situation und der Handlungsausführung liegt. Soziale Problemlösung beinhaltet mehrere Stufen, die mit der Wahrnehmung der Situation beginnt und sich über die Entwicklung von Handlungsalternativen, die Entscheidung für eine Alternative fortsetzt und bis zur Bewertung der Handlungsausführung führt. Störungen in der sozialen Problemlösefähigkeit haben aggressives Verhalten zur Folge, weil das Kind nicht in der Lage ist, sozial kompetente Verhaltensalternativen aus seinem Verhaltensrepertoire auszuwählen.

Dodge und Schwartz (1997) und Döpfner (1989) erarbeiteten theoretische Konzepte zum Einfluss sozial-kognitiver Informationsverarbeitung auf aggressives Verhalten. Dodge und Schwartz (1997) beschreiben fünf Stufen von der Enkodierung von Hinweisreizen bis hin zur Bewertung der Problemlösung. Um die typischen Merkmale der sozial-kognitiven Informationsverarbeitung aggressiver Kinder herauszuarbeiten, werden ihnen in experimentellen Studien Beschreibungen von sozialen Situationen oder kurze Videoausschnitte vorgegeben und sie danach befragt, wie sie solche Situationen bewerten. Bei der Enkodierung nutzen aggressive Kinder weniger Hinweisreize. |21|Vor allem bei uneindeutigen Reizen suchen sie im Vergleich zu anderen Kindern weniger zusätzliche Informationen. Das von Döpfner (1989) entwickelte Modell der Störungen sozial-kognitiver Informationsverarbeitung ist in Abbildung 8 zusammen mit Fragen dargestellt, die eine Erfassung solcher Störungen in der Exploration von Kindern ermöglicht. Allerdings konnten die Zusammenhänge zwischen sozial-kognitiver Informationsverarbeitung und Sozialverhalten nicht durchweg bestätigt werden (Döpfner, Lorch & Reihl 1989; Hellmann, 2018).

Abbildung 8: Störungen sozialer Problemlösung (sozial-kognitiver Informationsverarbeitung) nach Döpfner (1989)

Manche Kinder zeigen aggressives Verhalten, obwohl sie keine Auffälligkeiten in der sozial-kognitiven Informationsverarbeitung aufweisen und auch keine Impulskontrollstörungen oder begrenzte prosoziale Emotionalität in der konkreten sozialen Situation haben. Solche Kinder können eine Konfliktsituation möglicherweise deshalb nicht auf sozial kompetente Weise lösen, weil es ihnen an sozialen Verhaltensfertigkeiten fehlt. Es fällt ihnen schwer, die richtigen Worte zu finden und auch auf non-verbale Weise in kompetenter Weise zu kommunizieren. Studien weisen auch darauf hin, dass sich aggressiv auffällige Kinder in Rollenspielen von Konfliktsituationen sozial weniger geschickt verhalten (vgl. Döpfner et al., 2007).

Abbildung 9: Häufigkeit von Störungen sozialer Fertigkeiten bei Gleichaltrigenkonflikten nach Einschätzung von Eltern im FAVK-F (Görtz-Dorten & Döpfner, 2010a)

Abbildung 9 zeigt die Häufigkeit von Störungen sozialer Fertigkeiten bei Gleichaltrigenkonflikten nach Einschätzung von Eltern, erfasst im Fragebogen zum ag|22|gressiven Verhalten von Kindern (FAVK; Görtz-Dorten & Döpfner, 2010a). Danach fällt es fast 15 % aller Kinder schwer, einen Streit friedlich zu beenden oder sich durchzusetzen, in dem sie mit anderen ruhig reden. Mehr als 5 % aller Kinder schlagen oder schreien, wenn ihnen jemand etwas wegnimmt, weil sie nicht wissen, was sie anderes tun können. Kinder mit aggressiv- dissozialem Verhalten zeigen sowohl nach dem Urteil der Eltern als auch im Selbsturteil deutlich stärkere Störungen sozialer Fertigkeiten bei Gleichaltrigenkonflikten als Kinder einer repräsentativen Stichprobe (Görtz-Dorten & Döpfner, 2010a).

Störungen sozialer Interaktionen

Manche Kinder zeigen aggressives Verhalten, obwohl sie weder Auffälligkeiten in der sozial-kognitiven Informationsverarbeitung aufweisen, noch Impulskontrollstörungen in der konkreten sozialen Situation haben und auch durchaus die entsprechenden Fertigkeiten besitzen, um eine Konfliktsituation auf sozial kompetente Weise zu lösen. Diese Kinder zeigen möglicherweise aggressives Verhalten, weil die Interaktionspartner sich so verhalten, dass sie aggressives Verhalten unterstützen. Kinder machen dann die Erfahrung, dass es „sich lohnt“ sich aggressiv zu verhalten. Solche Störungen sozialer Interaktionen haben ihren Anfang üblicherweise bereits sehr früh in der Familie und können sich im Kindergarten, in der Schule und auch in der Gleichaltrigengruppe fortsetzen.

Abbildung 10 zeigt die Häufigkeit von Störungen sozialer Interaktionen bei Gleichaltrigenkonflikten nach Einschätzung von Eltern, erfasst im Fragebogen zum aggressiven Verhalten von Kindern (FAVK; Görtz-Dorten & Döpfner, 2010a). Danach bekommen mehr als 10 % aller Kinder meist keine Strafe, wenn sie einen anderen absichtlich verletzen oder beleidigen und werden von anderen in Ruhe gelassen, wenn sie wütend werden. Weitere 5 % aller Kinder setzen ihren Willen mit Gewalt durch, wenn sie stärker sind als andere. Bei Kindern mit aggressiv-dissozialem Verhalten sind sowohl nach dem Urteil der Eltern als auch im Selbsturteil deutlich häufiger solche Störungen sozialer Interaktionen bei Gleichaltrigenkonflikten zu beobachten als bei Kindern einer repräsentativen Stichprobe (Görtz-Dorten & Döpfner, 2010a).

Abbildung 10: Häufigkeit von Störungen sozialer Interaktionen bei Gleichaltrigenkonflikten nach Einschätzung von Eltern im FAVK-F (Görtz-Dorten & Döpfner, 2010a)

Wie solche Störungen von Eltern-Kind-Interaktionen bereits in der Familie aggressives und oppositionelles Verhalten verursachen, das zeigt ein von Barkley (1981) entwickeltes Modell, das letztendlich die von Patterson (1974) erstmals beschriebenen coerciven, d. h. gegenseitig erzwingenden Interaktionen illustriert (siehe Abb. 11).

Danach werden Aufforderungen und Grenzsetzungen von Eltern von nahezu allen Kindern gelegentlich nicht beachtet. Entscheidend für die Entwicklung von aggressivem und oppositionellem Verhalten ist die Reaktion der Eltern darauf. Manche Eltern wiederholen ihre Aufforderungen dann mehrfach. Sie beachten aber nicht, wenn das Kind eine Aufforderung befolgt, entweder weil sie meinen, das folgsame Verhalten ihres Kindes sei schließlich mehr als selbstverständlich oder weil sie einfach endlich das tun wollen, was durch die Auseinandersetzungen mit dem Kind liegengeblieben ist. Auffälliges, nämlich nicht folgsames Verhalten des Kindes, hat jedenfalls vermehrte, wenn auch negativ getönte Aufmerksamkeit zur Folge, während angemessenere Handlungen kaum beachtet werden. Die Spirale des familiären Konfliktes dreht sich noch weiter: Die Eltern beginnen zu drohen, das Kind reagiert wieder nicht, die Eltern werden schließlich ratlos und geben entweder nach oder werden ungezielt aggressiv. Beides hat zur Folge, |23|dass mangelnde Regelbefolgung und oppositionelles oder aggressives Verhalten des Kindes eher noch zunehmen. Das Kind wird durch das Nachgeben der Eltern für sein oppositionelles Verhalten belohnt (negativ verstärkt) oder durch das Vorbild der Eltern zu aggressivem Verhalten (zumindest außerhalb der Familie) angeregt.

Abbildung 11: Der Teufelskreis

Dieser Teufelskreis konnte in einer Vielzahl von Studien belegt werden. Eine Reihe von Autoren konnte in Problemfamilien eine unzureichende Erziehungskompetenz der Eltern und einen aggressionsfördernden Erziehungsstil finden (vgl. Loeber, 1990; Patterson, Capaldi & Bank, 1991), der wie folgt umschrieben werden kann:

die Eltern stellen zu viele oder zu wenige soziale Regeln auf;

sie achten nicht konsequent auf die Einhaltung dieser Regeln;

sie sind selbst Modelle für aggressives Verhalten;

sie verstärken aggressives Verhalten durch positive und vor allem durch negative Verstärkung oder sie dulden das aggressive Verhalten ihres Kindes.

Wasserman et al. (1996) weisen darauf hin, dass besonders die folgenden Problemkonstellationen bzw. negative Erziehungspraktiken für die Entstehung früher Verhaltensprobleme verantwortlich sind:

Eltern-Kind-Konflikte, die das Schlagen des Kindes und die offensichtliche Abneigung der Eltern gegenüber dem Kind beinhalten;

mangelnde elterliche Aufsicht, d. h. wenig Wissen darüber, wann, wo, wie und mit wem das Kind seine Zeit verbringt;

fehlende positive Anteilnahme, die sozial kompetentes Verhalten, emotionale Unterstützung sowie die explizite Zuneigung gegenüber dem Kind umfasst.

Solche Störungen der Interaktionen entwickeln sich zwar häufig zuerst in den Familien, sie perpetuieren jedoch im Kindergarten, in der Schule und in der Gleichaltrigengruppe: Der Erzieherin bzw. dem Erzieher und der Lehrkraft gelingt es nicht, auf sozial kompetentes Verhalten regelmäßig positiv zu reagieren und auf aggressives Verhalten kontinuierlich negative Konsequenzen folgen zu lassen. Gleichaltrige lassen dem aggressiven Kind lieber den Vortritt und manche bewundern diese auch.

Die in Abbildung 5 (S. 19) zusammenfassend dargestellten und hier diskutierten aggressionsauslösenden und -aufrechterhaltenden Prozesse machen die therapeutischen Ansatzpunkte von THAV deutlich, die sowohl kindzentrierte als auch umfeldzentrierte Interventionen umfassen:

|24|Modifikationen sozialer Kognitionen vornehmlich beim Kind, aber auch von Eltern, sollen helfen, bestimmte Störungen der Informationsverarbeitung zu vermindern.

Modifikationen der Emotionsverarbeitung ebenfalls vornehmlich beim Kind, aber auch von Eltern, sollen Störungen der Emotionsverarbeitung vermindern.

Soziale Problemlöse- und Verhaltensfertigkeitentrainings sollen bestimmte Störungen der Informationsverarbeitung (nämlich Störungen der Problemlösefähigkeit im engeren Sinne) aber auch Störungen sozialer Fertigkeiten vermindern.

Modifikation sozialer Interaktionen sollen Störungen sozialer Interaktionen reduzieren.

Diese Interventionen werden vor dem Hintergrund der multimodalen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie durchgeführt, die im nächsten Kapitel näher erläutert wird.

1.4 Das Konzept der multimodalen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie

THAV wurde vor dem Hintergrund des Konzeptes der multimodalen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie entwickelt, die sich als eine problemorientierte, individualisierte, sequenzielle und adaptive, entwicklungs- und ergebnisorientierte Therapie charakterisieren lässt, die auf der Grundlage allgemeiner Wirkprinzipien evidenzbasierte Interventionsmethoden anwendet, dabei den spezifischen Kontext berücksichtigt, in dem die Probleme auftreten und mehrere Interventionsebenen integriert wie sie von internationalen und den deutschen Leitlinien zu Störungen des Sozialverhaltens gefordert werden (Deutsche S3-Leitlinie, 2018; NICE, 2013; Döpfner, 2007, 2013).

Die störungsübergreifenden allgemeinen Wirkprinzipien der multimodalen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie beziehen sich in Anlehnung an Grawe (1995) auf:

Ressourcenaktivierung,

kognitiv-affektive Klärung,

Problemaktualisierung,

aktive Hilfe zur Problembewältigung.

Im Unterschied zur Erwachsenenpsychotherapie werden diese Prinzipien jedoch nicht nur in der Arbeit mit der Patientin bzw. dem Patienten realisiert, sondern spielen ebenso in der Arbeit mit ihren bzw. seinen Bezugspersonen eine wichtige Rolle.

Obwohl THAV sowohl dem Kind als auch dem Umfeld vor allem aktive Hilfe zur Problembewältigung anbietet, kommt der Ressourcenaktivierung gerade bei aggressiv auffälligen Kindern eine besondere Bedeutung zu, weil diese Kinder sich häufig zunächst nicht einem problemfokussierenden Zugang öffnen und weil die Aktivierung ihrer Ressourcen auch direkt zur Problemminderung beitragen kann. THAV verfolgt daher folgende Strategien der Ressourcenaktivierung durch:

das Anknüpfen an den positiven Möglichkeiten, Eigenarten, Fähigkeiten und Motivationen der Patientin bzw. des Patienten und ihrer bzw. seiner Bezugspersonen,

die Stärkung von Erfolgserwartungen bezüglich der Therapie bei der Patientin bzw. dem Patienten und ihren bzw. seine Bezugspersonen,

die Motivierung der Patientin bzw. des Patienten und ihrer bzw. seiner Bezugspersonen zur Durchführung von Interventionen und zur Verhaltensänderung und

die Entwicklung einer guten therapeutischen Beziehung mit der Patientin bzw. dem Patienten und ihren bzw. seinen Bezugspersonen.

Das THAV-Konzept zur Umsetzung des Prinzips der aktiven Hilfe zur Problembewältigung lässt sich an Abbildung 12 zusammenfassend erläutern (vgl. Döpfner, 2007).

Die Interventionsebenen von THAV im Rahmen der multimodalen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie sind in Abbildung 13 dargestellt (vgl. Döpfner, 2007). Danach stellt THAV die Hilfe für das Kind zur erfolgreichen Problembewältigung in das Zentrum der Therapie, die durch die Ressourcenaktivierung, die Problemfokussierung und die kognitiv-affektive Klärung unterstützt wird. Familienzentrierte, schulzentrierte und gleichaltrigenzentrierte Interventionen werden ergänzend eingeführt, um die Wirksamkeit der Therapie zu steigern und die Generalisierung der Effekte auf den Alltag zu verbessern.

Solche multimodalen Interventionen, die unterschiedliche Lebensbereiche (Familie, Schule, Freizeitbereich), Personen (Eltern, Lehrkräfte, Erzieherinnen bzw. Erzieher, Kind) und Interventionsebenen (Eltern-, Kind- und Schulebene) berücksichtigen, erweisen sich als besonders wirksam; dies gilt insbesondere bei sehr ausgeprägten Formen des aggressiv-dissozialen Verhaltens (vgl. Petermann et al., 2016). Die Behandlung muss entsprechend der Stärke und dem Chronifizierungsgrad der Symptomatik, dem Vorliegen komorbider Störungen und den Ressourcen der Patientin bzw. des Patienten und ihres bzw. seines Umfeldes individuell zugeschnitten werden.

|25|

Abbildung 12: Ansatzpunkte von THAV im Rahmen der multimodalen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie

Abbildung 13: Interventionsebenen von THAV im Rahmen der multimodalen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie

|26|Der Leitfaden für aggressiv-dissoziale Störungen sowie internationale Leitlinien und die Deutsche Leitlinie zu Störungen des Sozialverhaltens spezifizieren die Indikation für die verschiedenen Komponenten einer umfassenden multimodalen Therapie (vgl. Deutsche S3-Leitlinie, 2018; NICE, 2013; Petermann et al., 2016):

Bei komorbiden Störungen, die vermutlich wesentlich zur Aufrechterhaltung der aggressiv-dissozialen Störung (z. B. hyperkinetische Störung, ausgeprägte depressive Störung) beitragen, kann eine primäre oder zumindest begleitende Therapie der komorbiden Symptomatik einschließlich Pharmakotherapie nötig sein. Komorbide Störungen, die vermutlich eher die Folge der aggressiv-dissozialen Symptomatik sind (z. B. depressive Symptome), sollten eher nachrangig behandelt werden.

Daneben können Interventionen zur Veränderung weiterer aufrechterhaltender Bedingungen nötig sein. Liegen psychosoziale Bedingungen vor, die das Kindeswohl gefährden (Misshandlung oder sexueller Missbrauch) oder die vermutlich wesentlich zur Aufrechterhaltung der Symptomatik beitragen und die vermutlich nicht durch zeitlich begrenzte Interventionen verändert werden können (z. B. schulische Überforderung, chaotische familiäre Umstände, enge Einbindung in delinquente Gleichaltrigengruppe), so ist die Möglichkeit des Wechsels des beeinträchtigenden psychosozialen Umfeldes vor der Durchführung intensiver therapeutischer Maßnahmen abzuklären (z. B. Schulwechsel, ambulante, teilstationäre oder stationäre Maßnahmen der Jugendhilfe).

Bei ausgeprägten psychischen Störungen der Eltern (z. B. depressive Störung, Substanzabhängigkeit) oder bei ausgeprägten Störungen der Partnerschaftsbeziehung der Eltern sind entsprechende parallele therapeutische Maßnahmen vor allem dann indiziert, wenn diese Störungen vermutlich wesentlich die aggressive oder dissoziale Symptomatik aufrechterhalten. Sind solche Maßnahmen nicht durchführbar oder nicht erfolgreich, dann können Jugendhilfe-Interventionen zur Stützung (sozialpädagogische Familienhilfe, Erziehungsbeistandschaft) oder zum Wechsel des familiären Umfeldes (teilstationäre oder stationäre Maßnahme der Jugendhilfe) hilfreich sein.

Bei oppositionellem und aggressivem Verhalten des Kindes in der Familie und/oder bei mangelnder Wärme in der Eltern-Kind-Beziehung und/oder bei inkonsistentem Erziehungsverhalten der Eltern ist ein Elterntraining mit Interventionen in der Familie unter Einbeziehung des Kindes indiziert. Die Einbeziehung anderer Familienmitglieder (z. B. Geschwister) kann sehr wichtig sein. THAV bezieht auch die Eltern intensiv in die Therapie mit ein; noch intensiver ist die Interventionsform im Therapieprogramm für Kinder mit hyperkinetischem und oppositionellem Problemverhalten (THOP; Döpfner, Schürmann & Frölich, 2013) ausgearbeitet. Im THAV werden aber zusätzlich elterliche Eigenschaften sowie elterliche dysfunktionale Überzeugungen stärker thematisiert.

Bei oppositionellem und aggressivem Verhalten des Kindes im Kindergarten oder in der Schule und/oder bei Störung der Erzieher-/Lehrer-Kind-Beziehung und/oder bei inkonsistentem Erziehungsverhalten der Bezugspersonen, sind Interventionen im Kindergarten oder in der Schule unter Einbeziehung des Kindes (Selbstmanagement-Methoden), der erwachsenen Bezugspersonen und der Gleichaltrigen nötig. THAV bezieht sowohl Lehrkräfte als auch Gleichaltrige in die Therapie mit ein.

Bei aggressivem Verhalten im Verband mit anderen aggressiv auffälligen Gleichaltrigen (oder Älteren), sind Interventionen zur Herauslösung des Kindes unter Einbeziehung des Kindes (Selbstmanagement-Methoden) aus dem Verband und zur Integration in eine angemessene Gleichaltrigengruppe indiziert, die im THAV ebenfalls umgesetzt werden.

Grundlage der multimodalen Behandlung ist die Aufklärung und Beratung der Bezugspersonen und des Kindes (ab dem Schulalter), die immer durchgeführtwerden. Auf dieser Basis werden die Indikationen für die einzelnen Behandlungskomponenten einer multimodalen Therapie gestellt. Bei milden und wenig chronifizierten Formen von aggressiv-dissozialen Verhaltensstörungen können solche psychoedukativen Interventionen ausreichend sein. Ansonsten ist in der Regel eine Kombination mehrerer Interventionen erforderlich. Da das soziale Umfeld in der Regel wesentlich zur Aufrechterhaltung der Symptomatik beiträgt, sind ausschließlich auf die Patientin bzw. den Patienten bezogene Interventionen (inklusive Pharmakotherapie) in der Regel nicht ausreichend.

Der Schwerpunkt von Problemlöse- und sozialen Kompetenztrainings liegt in der Arbeit mit dem Kind. Durch solche Trainings sollen interpersonale und kognitive Fertigkeiten modifiziert und entwickelt werden. Zu den Maßnahmen zählen unter anderem: Verstärkung prosozialen Verhaltens, Schulung der sozialen Wahrnehmung, Verhaltensübungen für den Umgang mit sozialen Situationen, Entspannungsverfahren, Techniken zur Übernahme der Perspektive des Interaktionspartners, Rollenspiele zum Lösen lernen sozialer Probleme sowie Techniken zur Selbstbeobachtung und Selbstinstruktion (|27|AACAP Practice Parameters, 1997; Petermann et al., 2016; Döpfner & Petermann, 2004; Garland, Hawley, Brookman-Frazee & Hurlburt, 2008; Deutsche S3-Leitlinie, 2018).

1.5 Übersicht über Problemlöse- und soziale Kompetenztrainings für aggressives Verhalten und ihre Wirksamkeit

Mit Problemlöse- und sozialen Kompetenztrainings sollen aggressive Kinder neue Lösungen für zwischenmenschliche Konflikte erlernen. Sie sollen die Konsequenzen der eigenen Handlungen besser abschätzen und die Intentionen sowie Erwartungen anderer genauer erkennen lernen (vgl. Lochman & Dodge, 1994). Problemlösetrainings haben die Gemeinsamkeit, dass sie die Bedeutung kognitiver Prozesse für aggressives Verhalten betonen (vgl. Dodge & Schwartz, 1997) und neue Problemlösungen schrittweise vermitteln wollen. Die Therapie basiert auf strukturierten Aufgaben (z. B. Rollenspielen), die den Alltagstransfer schrittweise planen. Die Therapeutin bzw. der Therapeut übernimmt eine aktive Rolle, indem sie/er Selbstaussagen und -instruktionen modelliert, differenzielles Lernen ermöglicht und gezielt den Kindern Feedback gibt (siehe Kasten 1).

Kasten 1:Vorannahmen und Vorgehen bei kognitiven Problemlösetrainings/sozialen Kompetenztrainings

Die Kinder sollen schrittweise lernen, sich sozialen Situationen angemessen zu nähern und soziale Probleme zu lösen. Somit stehen die Art und Weise, in der sich Kinder sozialen Situationen nähern und die kognitiven Prozesse, die ihre Interaktionen in sozialen Situationen begleiten, im Mittelpunkt der Intervention.

Positives Sozialverhalten (Kooperation, Hilfeverhalten usw.) soll in sozialen Situationen beim Kind verstärkt werden.

Die Therapeutin bzw. der Therapeut übernimmt eine aktive Rolle. Sie bzw. er fördert und leitet die kognitiven Prozesse und die sozialen Verhaltensweisen beim Kind mithilfe verbaler Anweisungen und Verstärkungsmaßnahmen.

Es werden unterschiedliche therapeutische Methoden (z. B. strukturierte Rollenspiele, Übungen und Geschichten) sowie Techniken (z. B. Verstärkungsmaßnahmen, Response-Cost-Systeme – aversive Konsequenzen wie Belohnungsentzug – und Lernen am Modell) eingesetzt. Selbstinstruktion, Selbstmanagement, Perspektivenübernahme, das Lösen sozialer Probleme, aber auch Entspannungs- verfahren werden miteinander kombiniert.

Problemlöseaufgaben sollen im Verlauf der Intervention in zunehmendem Maße auf reale Alltags- situationen übertragen werden.

Problemlösetrainings können aggressives Verhalten zu Hause, in der Schule und außerhalb des Elternhauses signifikant reduzieren, wobei die Effekte auch nach zwölf Monaten noch zu beobachten sind (Kadzin, 1997). Generell scheinen ältere Kinder (ab 11 Jahre) mehr von solchen Ansätzen zu profitieren (vgl. Brestan & Eyberg, 1998; Eyberg, Nelson & Boggs, 2008) liegen jedoch zusätzliche psychische Störungen, massive Leistungsdefizite in der Schule und große familiäre Belastungen vor, dann sind die Erfolgsaussichten erheblich reduziert. Von Vorteil ist, dass bei solchen Programmen gut ausgearbeitete Manuale vorliegen.

Es gibt viele internationale Untersuchungen zu verschiedenen Kompetenztrainings mit Vor- und Schulkindern, deren Wirksamkeit in kontrollierten Studien belegt ist:

Die von NICE (2013) beurteilten Studien zur Wirksamkeit sozialer Kompetenztrainings, bei denen es sich bei den meisten Studien um gruppenbasierte Programme handelt, variieren hinsichtlich der Evidenz abhängig vom Beurteiler. In den 27 in die Metaanalyse eingeschlossenen RCT-Studien mit mittlerer bis hoher Studienqualität, zeigt sich im Durchschnitt im Urteil von Eltern (SMD = 0.34), im klinischen Urteil (SMD = 0.42) und im Beobachtungsurteil (SMD = 0.20), im Lehrerurteil (SMD = 0.37) und im Gleichaltrigenurteil (SMD = 0.25) eine Abnahme aggressiven Verhaltens unmittelbar nach der Intervention im Vergleich zu einer Kontrollgruppe (TAU, aktive Kontrolle, Wartebedingung, keine Behandlung). Zum Follow-up-Zeitpunkt (12 bis 117 Wochen) wurde in 7 RCT-Studien das Eltern- und Lehrerurteil betrachtet. Hier sind signifikante Effekte sowohl im Elternurteil (SMD = ​0.26) als auch im Lehrerurteil (SMD = 0.45) nachweisbar (Feindler, Marriot & Iwata, 1984; Lochman & Wells, 2004; McArdle et al., 2002; Michelson et al., 1983; Shechtman & Birani-Nasaraladin., 2006; Szapocznik et al., 1989; Verduyn, Lord & Forrest, 1990).

Auch weitere veröffentlichte Metaanalysen zur Wirksamkeit Sozialer Kompetenztrainings bestätigen eine Effektivität mit Effektstärken, die zumeist im unteren bis mittleren Bereich liegen, wobei es sich bei den meisten Studien ebenfalls um gruppenbasierte Programme handelt. Die von McCart, Priester, Hobart Davies und Azen (2006) veröffentlichte Metaanalyse, in die 41 randomisiert kontrollierte Studien eingeschlossen wurden, bestätigt die Wirksamkeit von sozialen Kompetenztrainings gegenüber Kontrollgruppen (TAU, aktive Kontrolle, Wartebedingung, keine Behandlung) mit durchschnittlich kleinen Effektstär|28|ken (d = 0.35). Auch die Metaanalyse von Smeets et al. (2015), bei der 25 randomisiert kontrollierte Studien eingeschlossen wurden (kognitiv-verhaltensorientierte soziale Kompetenztrainings oder multimodale Interventionen unter Einbezug des Kindes gegenüber einer Kontrollbedingung [TAU, aktive Kontrolle, Wartebedingung, keine Behandlung]), bestätigt die Wirksamkeit mit moderaten Effektstärken von d = 0.50. Matjasko et al. (2012) berichten in ihrer Metaanalyse, in die 8 Studien (soziale Kompetenztrainings, teils unter Einbezug von Bezugspersonen gegenüber einer Kontrolle) eingeschlossen wurden, von Effektstärken zwischen d = 0.36 und d = 0.70. Candelaria, Fedewa und Ahn (2012) fanden in ihrer Metaanalyse, in die N = 60 Studien (soziale Kompetenztrainings, teils unter Einbezug von Bezugspersonen gegenüber einer Kontrollbedingung) einbezogen wurden, im Durchschnitt kleine Effektstärken von d = 0.27. Die metaanalytischen Reviews von Bennett & Gibbons (2000); Brestan und Eyberg (1998) sowie Eyberg und Kollegen (2008) fanden mittlere bis große Effekte (d = 0.47 bis d = 0.90) für patientenzentrierte kognitiv-verhaltensorientierte Behandlungsprogramme.

Tabelle 3: Übersicht über das Anger Coping Program

Programm, Autor

Anger Coping Program (Lochman et al., 2003)

Formale Struktur

18 Gruppensitzungen, wöchentlich, 45 bis 60 Minuten für Kinder 4. bis 6. Klasse

Inhaltliche Struktur

Basiert auf Crick und Dodge’s Modell der Sozialen Informationsverarbeitung

Problemlöse-/Ärgerkontrollfertigkeiten werden in Gruppen-, Puppen- und Rollenspielen eingeübt

Videoübungen/Perspektivenwechselübungen

Einführung von Selbstinstruktions- und Ablenkungstechniken sowie von Entspannungsmethoden

Auswirkungen auf Reaktionen und Gefühle werden besprochen

Besprechung individueller Problemsituationen

Einsatz von Punktepläne

Studienergebnisse

Stichprobe: 76 Jungen

Alter: 9 bis 12 Jahre

Randomisierte Zuordnung zu TG oder KG

Signifikante Effekte:

Verbesserung von prosozialem Verhalten

Reduzierung von antisozialem Verhalten

Langzeiteffekte nach 3 Jahren

weniger Drogen- und Alkoholkonsum

Im Folgenden sollen beispielhaft verschiedene gut evaluierte internationale soziale Kompetenztrainings beschrieben werden:

Für den angloamerikanischen Sprachraum kann hierzu beispielsweise auf das Anger Coping Program von Lochman, Barry und Pardi (2003, siehe Tab. 3) hingewiesen werden. Das Programm ist für Kinder in der 4. bis 6. Klasse entwickelt worden und wird in 18 Gruppensitzungen (wöchentlich 45 bis 60 Minuten) durchgeführt. Es basiert auf dem Modell der sozialen Informationsverarbeitung von Crick und Dodge (1994). Problemlöse- und Ärgerkontrollfertigkeiten werden in Gruppen-, Puppen- und Rollenspielen sowie Videoübungen eingeübt und individuelle Problemsituationen werden besprochen. Zusätzlich werden Selbstinstruktions- und Entspannungsmethoden sowie Tokensysteme eingeführt. In einer randomisierten Kontrollgruppenstudie von N = 76 Jungen im Alter von 9 bis 12 Jahren zeigten sich signifikante Effekte bezüglich der Verbesserung von prosozialem Verhalten und der Reduzierung von antisozialem Verhalten.

Das Coping Power Program von Lochman et al. (2003, siehe Tab. 4) ist eine längere, Multikomponenten-Version des Anger Coping Programs, das sowohl ein Einzeltraining mit dem Kind als auch ein Gruppentraining mit mehreren Kindern sowie Beratungsgespräche mit den Eltern umfasst. In einer randomisierten Kontrollgruppenstudie mit 183 Jungen im Alter von 9 bis 12 Jahren zeigten sich signifikante Effekte bezüglich der Verbesserung von prosozialem Verhalten und der Reduzierung von antisozialem Verhalten. In dieser Kinder-Eltern-Kombination zeigten sich noch bessere Effekte als beim Kindertraining allein.

|29|Zu dem Problem-Solving Skills Training und dem zugehörigen Parent Management Training von Kazdin (siehe Tab. 5) wurden 10 Hauptstudien mit 40 bis 250 Kindern durchgeführt. Beide Programme (allein oder kombiniert) zeigen signifikante Effekte (Effektstärke d > 1.2) im Prä-post-Vergleich bezüglich der Reduktion von aggressivem und der Verbesserung von prosozialem Verhalten. Wobei sich in der Kombination bessere Effekte zeigen als bei einer Methode allein. Verglichen mit den Kontrollgruppen zeigt sich, dass es sich hierbei nicht um einen reinen Zeiteffekt oder Therapeutenkontakt-Effekt handelt. Im 1-Jahres-Follow-up zeigten sich ebenfalls signifikante Effekte über die Zeit. In den Moderatoranalysen zeigte sich, dass die Faktoren „Erziehung“ und „elterlicher Stress“ bzw. die Ressourcenaktivierung bei den Eltern sowie die Verbesserung der Stressreduktion den Erfolg erheblich beeinflussen.

Tabelle 4: Übersicht über das Coping Power Program

Programm, Autor

Coping Power Program (Lochman et al., 2003)

Formale Struktur

33 Sitzungen mit Kindergruppe (davon 6 bis 8 Einzelsitzungen)

15 bis 18 Monate für Kinder von der 4. bis zur 6. Klasse

parallel: 16 Sitzungen mit Eltern

Inhaltliche Struktur

längere, multikomponente Version des Anger Coping Programs

Studienergebnisse

Stichprobe: 183 Jungen

Alter: 9 bis 12 Jahre

Randomisierte Zuordnung zu TG oder KG

Signifikante Effekte:

Verbesserung von prosozialem Verhalten

Reduzierung von antisozialem Verhalten

1-Jahres-Follow-up: sign. Effekte

in der Kombination (Kind/Eltern) zeigten sich bessere Effekte (als bei Kindertraining allein)

Tabelle 5: Übersicht über das Problem-Solving Skills Training und Parent Management Training

Programm, Autor

Problem-Solving Skills Training (Kazdin, 2003)

+ Parent Management Training (Kazdin, 2003)

Formale Struktur

wöchentlich, 12 bis 20 Einzelsitzungen (30 bis 50 Minuten)

wöchentlich, 12 bis 16 Sitzungen (45 bis 60 Minuten)

Inhaltliche Struktur

Beziehungsaufbau

Überblick Programm

Einführung Tokensysteme

Spielerische Übungen zur

Konfliktlösung,

Entscheidungsfindung,

Selbstinstruktion,

Impulskontrolle

Hausaufgaben zur Anwendung des Erlernten in realen Situationen

Ressourcenaktivierung

Anleitung der Eltern prosoziales Verhalten zu unterstützen z. B. durch positive Verstärkung, angemessene Reaktion auf nicht erwünschtes Verhalten (Time out, Verstärkerentzug)

Studienergebnisse

10 Hauptstudien: n = 40 bis 250, Alter: 2 bis 14 Jahre

Beide Programme (allein oder kombiniert) zeigen signifikante Effekte d > 1.2 (prä-post):

Reduzierung von anti-sozialem Verhalten

Verbesserung von pro-sozialem Verhalten

Kombiniert zeigen sich bessere Effekte (als bei einer Methode allein)

verglichen mit Kontrollgruppen kein reiner Zeiteffekt oder Therapeutenkontakteffekt

1-Jahres-Follow-up: signifikante Effekte

Moderatorvariablen wurden deutlich: Erziehung, elterlicher Stress, Ressourcenaktivierung bei Eltern, Verbesserung der Stressreduktion beeinflussen Ergebnis

|30|Tabelle 6 zeigt das Child Social Skills and Problem-Solving Training und das zugehörige Parent Skills Training von Webster-Stratton (2005). In einer Studie wurden 97 Kinder auf vier Gruppen aufgeteilt (randomisierte Zuordnung): Elterntraining, Kindertraining, kombiniertes Eltern-Kind-Training und Kontrollgruppe. In allen drei Therapiegruppen zeigten sich signifikante Effekte gegenüber der Kontrollgruppe, wobei das Kinderprogramm allein bzw. kombiniert mit dem Elternprogramm größere Effekte bei der Problem- und Konfliktlösung zeigte als das Elternprogramm allein. Bei der Kombination verbessert sich die Eltern-Kind-Interaktion signifikant im Vergleich zum Kinderprogramm allein. Im 1-Jahres-Follow-up zeigten sich ebenfalls Effekte über die Zeit bei allen drei Therapiegruppen, wobei die Effekte für die Kombination (Eltern und Kind) signifikant wurden.

Tabelle 6: Übersicht über das Child Social Skills and Problem-Solving Training und Parent Skills Training

Programm, Autor

Child Social Skills and Problem-Solving Training (Webster-Stratton, 2005)

+ Parent Skills Training (Webster-Stratton, 2005)

Formale Struktur

Gruppentraining, 22-Wochen-Programm (1-mal pro Woche 2 Stunden)

Kinder 3 bis 8 Jahre

26 Stunden (13 bis 14 Wochen)

Inhaltliche Struktur

Hauptkomponenten/Themen, die bearbeitet werden:

Regeleinhaltung

Empathie-Training

Problemlösetraining

Impulskontrolle

Freundschaftsfähigkeiten

Kommunikationsfähigkeiten

adäquates Schulverhalten

Methoden: Rollenspiele, Videotraining, Einsatz von Comics/Stickern als Erinnerungshilfen, Geschichten, Hausaufgaben, um erlerntes Verhalten in realen Situationen zu überprüfen

Unterstützung prosozialen Verhaltens

Klare Aufforderungen geben

Positive Verstärkung (Belohnung)

Grenzsetzungen

Umgang mit aggressivem Verhalten (negative Konsequenzen)

Studienergebnisse

N= 97 Kinder, Alter: 3 bis 8 Jahre

4 Gruppen, randomisierte Zuordnung: Elterntraining, Kindertraining, Kombination aus Eltern- und Kindertraining

Messzeitpunkte: Baseline, Post-Messung, 1-Jahres-Follow-up (über Eltern-/Lehrerbefragung und Beobachtung des Kindes)

Therapiegruppen zeigen signifikante Effekte gegenüber Kontrollgruppe

Kinderprogramm allein bzw. kombiniert zeigt größere Effekte bei Problem-/Konfliktlösung als Elternprogramm allein

Bei Kombination verbessert sich Eltern-Kind-Interaktion signifikant im Vergleich zu Kinderprogramm allein

1-Jahres-Follow-up zeigt Effekte über Zeit (Kombination signifikante Effekte)

Zusammenfassend lassen sich in allen oben beschriebenen internationalen Studien zu Problemlöse- und sozialen Kompetenztrainings für aggressives Verhalten therapeutische Effekte zeigen. Manchmal wird jedoch ein Problem in der Generalisierung und Stabilisierung des erlernten Verhaltens sichtbar, wenn die erlernten Verhaltensweisen nicht über einen längeren Zeitraum eingeübt und vertieft werden. Der Einbezug der Eltern erscheint sehr wichtig. Die meisten der vorgestellten Programme werden in Gruppen durchgeführt. Dies hat den Vorteil, dass soziales Verhalten bereits in der Therapiestunde in der Gleichaltrigengruppe eingeübt werden kann. Die Nachteile solcher Gruppenprogramme sind jedoch, dass sie häufig nicht ausreichend individualisierbar sind. Zudem bereitet es oft Schwierigkeiten in der Praxis solche Gruppen zu bilden und über einen langen Zeitraum zu binden.

Des Weiteren sind solche Gruppenangebote (je nach Teilnehmerzahl und aggressivem Problemverhalten) meist nur mit zwei Therapeutinnen bzw. Therapeuten zu lenken.

Wie bereits beschrieben, lassen sich in allen oben beschriebenen internationalen Studien zu Problemlöse- |31|und sozialen Kompetenztrainings für reaktiv aggressives Verhalten therapeutische Effekte zeigen. Jedoch gibt es nur wenige Einzelstudien, die die Effekte von Problemlöse- und sozialen Kompetenztrainings auf begrenzte prosoziale Emotionalität analysierten. Kolko et al. (2009) fanden eine Reduktion (moderater Effekt; d = 0.44) in Bezug auf begrenzte prosoziale Emotionalität durch Soziales Kompetenztraining, aber nicht, dass begrenzte prosoziale Emotionalität einen Prädiktor darstellt. Lochman et al. (2014) berichten über eine signifikante Reduktion von begrenzter prosozialer Emotionalität bei Schulkindern mit einem klinisch relevant erhöhten Risiko für die Entwicklung einer Störung des Sozialverhaltens durch ein gruppenbasiertes, patientenzentriertes, kognitiv-verhaltensorientiertes Behandlungsprogramm unter Einbezug der Eltern. Masi, Pfanner und Brovedani (2013) zeigen jedoch, dass begrenzte prosoziale Emotionalität in einer individuellen Therapie für Kinder mit parallelem Elterntraining einen Prädiktor für „non-response“ darstellt. Smeets et al. (2015) zeigen in einer Metaanalyse, dass Kinder mit reaktiver Aggression mehr von sozialen Kompetenztrainings profitierten als Kinder mit proaktiver Aggression bzgl. der Reduktion der Aggression und Steigerung der Ärgerkontrolle.

Der Einbezug der Eltern scheint auch hier sehr wichtig zu sein. Die aktuelle Datenlage, die mehrere Reviews umfasst (Frick, Ray, Thornton & Kahn, 2014; Hawes, Prince & Dadds, 2014; Scott & O’Connor, 2012; Waller, Gardner & Hyde, 2013), weist darauf hin, dass Module, die an einer Förderung einer positiven, warmherzigen Eltern-Kind-Beziehung ansetzen, positive Effekte, insbesondere im Hinblick auf die Reduktion von mangelnden prosozialen Emotionen aufweisen, während Module, die an der Umsetzung negativer Konsequenzen ansetzen, eine geringere Wirksamkeit zeigen.

Zusammenfassend wurden international viele standardisierte soziale Kompetenztrainings zur Verminderung aggressiven Verhaltens bei Kindern entwickelt und evaluiert. Im deutschen Sprachraum hinkt die Wirksamkeitsforschung im Bereich der sozialen Kompetenztrainings der Fülle der Manualentwicklungen jedoch eindeutig hinterher. Die Wirksamkeit solcher Trainings zur Behandlung aggressiver Symptomatik ist im deutschen Sprachraum in nur wenigen kontrollierten Studien empirisch überprüft worden und längerfristige standardisierte Nachkontrollen liegen kaum vor. Beispiele für soziale Problemlöse- und Kompetenztrainings für den deutschen Sprachraum (siehe Tabelle 7 und ausführliche Ergebnisse im Anhang D der Deutsche S3-Leitlinien, 2018), die in manualisierter Form vorliegen und für die, in wissenschaftlichen Studien zumindest einige empirische Hinweise auf eine Wirksamkeit vorliegen sind:

das Training mit aggressiven Kindern (Petermann & Petermann, 2012