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Think Limbic verrät Ihnen, warum Menschen sich in manchen Situationen nach einem bestimmten Muster verhalten. Der Grund dafür liegt im Aufbau unseres Gehirns. Das eigentliche Steuerungs- und Machtzentrum des Menschen liegt nämlich nicht in seinem Großhirn, sondern in einer entwicklungsgeschichtlich weit älteren Hirnregion, dem limbischen System. Dieser Teil des Hirns übernimmt durch limbische Befehle einen Großteil der Steuerungs- und Koordinationsaufgaben. Dabei werden Verhaltensweisen bevorzugt, die sich in der Entwicklungsgeschichte des Menschen als erfolgreich bewährt haben. Wer diese limbischen Befehle kennt, kann die Muster, die unbewussten Handlungen zu Grunde liegen, besser verstehen und nutzen. Die praktischen Tipps und Maßnahmen bringen beim Verkaufen, bei der Mitarbeiterführung und im beruflichen Alltag erstaunliche Erfolge. Inklusive Audiodateien!
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Seitenzahl: 338
Veröffentlichungsjahr: 2019
Haufe-Lexware GmbH & Co. KG, Freiburg
[6]Bitte beachten Sie: Limbic® ist eine geschützte Marke. Eine Verwendung ist nur mit Zustimmung der Gruppe Nymphenburg Consult AG erlaubt.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Hans-Georg Häusel
Think Limbic!
6. Auflage, Juli 2019
© 2019 Haufe-Lexware GmbH & Co. KG, Freiburg
www.haufe.de
Bildnachweis (Cover): © art4all, shutterstock
Produktmanagement: Judith Banse
Lektorat: Nicole Jähnichen
Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere die der Vervielfältigung, des auszugsweisen Nachdrucks, der Übersetzung und der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, vorbehalten. Alle Angaben/ Daten nach bestem Wissen, jedoch ohne Gewähr für Vollständigkeit und Richtigkeit.
Als »Think Limbic« im Jahr 2000 zum ersten Mal erschien, haben weder ich noch der Haufe-Verlag es für möglich gehalten, dass ich fast 20 Jahre danach ein Vorwort für eine 6. Auflage des Buches schreiben werde. Ich selbst, man sieht es an den Falten im Gesicht, bin doch ziemlich gealtert. Nicht gealtert – und das freut mich besonders – sind dagegen der Inhalt und die Grundidee dieses Buches, die man in zwei Sätzen zusammenfassen kann. Erstens: Die Emotionen und das sogenannte limbische System sind die wahren Herrscher in unserem Kopf. Zweitens: Das Unbewusste bestimmt das Bewusstsein.
Vor 20 Jahren haben diese Thesen noch heftigen Widerstand hervorgerufen. Und heute? Heute sind sie zumindest unter Hirnforschern und Psychologen Allgemeingut. Lohnt es sich trotzdem dieses Buch zu lesen? Aber ja! Denn dieses Buch erklärt wie kein anderes, wie das emotionale Betriebssystem in unserem Gehirn funktioniert und welche Konsequenzen dies für alle Bereiche unseres Berufs- und Privatlebens hat. Das diesem Buch zugrunde liegende Limbic-Modell hat in der Öffentlichkeit riesige Resonanz gefunden. Gibt man bei Google die Suchbegriffe »Limbic Map« oder »Limbic Types« ein, erhält man über sieben Millionen Treffer zu diesen zwei wichtigen Aspekten des Modells. Tendenz weiter steil steigend.
Das Limbic-Modell ist heute nach Ansicht vieler Experten das weltweit beste Modell zur Erklärung von Motivations-, Emotions- und Persönlichkeitsstrukturen in unserem Gehirn. Der Erfolg des Ansatzes basiert aber nicht nur auf seiner wissenschaftlichen Fundierung, sondern vor allem auch darauf, dass das Modell einfach und verständlich umsetzbar ist.
Ich wünsche Ihnen jedenfalls viel Spaß beim Lesen!
Ihr
Dr. Hans-Georg Häusel
München im April 2019
Globalisierung, Digitalisierung und Gentechnologie sind die Mega-Themen unserer Zeit. Mit der Begeisterung über die damit verbundenen wissenschaftlichen und technologischen Quantensprünge wird fast automatisch auch ein Quantensprung des Menschen vorausgesetzt. Er hat, so scheint es, mit diesen Leistungen ebenfalls eine neue, höhere Stufe seiner Entwicklung erreicht. Diese Euphorie macht sich auch im Management in allen Bereichen bemerkbar. Mit den neuen technologischen Möglichkeiten, glaubt man, gehören auch die Fragen und Probleme des heutigen Management-Alltags der Vergangenheit an.
Das Unternehmen von morgen ist das vernetzte und lernende Unternehmen, das frühzeitig die Veränderungen in den Märkten erkennt und sich in einem permanenten Wandel darauf einstellt. Gleichzeitig arbeitet es eng mit anderen Unternehmen in virtuellen Netzwerken zusammen.Der Mitarbeiter von morgen ist ein intelligenter Brainworker, der im Team oder vernetzt mit Kollegen in aller Welt seine Ideen austauscht und seine Kreativität und sein Engagement zum Wohle des Unternehmens entfaltet.Und der Kunde von morgen schließlich ist der aufgeklärte, vernünftige Entscheider, der mit Hilfe des Internets und kognitiv-logischen Decision-Trees seinen Konsum steuert. Mit Behavioral Targeting, Datability, One-to-One-Marketing und computerbasierten Customer-Relationship-Management-Programmen wird seinen Anforderungen Rechnung getragen.Anything goes? Alles easy in Zukunft? Sind die Menschen im neuen Jahrtausend andere als die, die wir mit ihren Eigenarten und Schwächen hinreichend kennengelernt haben? Sie sind es nicht. Diese Träume basieren leider auf einem kleinen, aber folgenschweren Fehler: Sie gehen letztlich von einem Menschen aus, der selbstbewusst und frei sein Leben gestaltet und dessen Vernunft und Weisheit fast parallel mit jeder neuen Chip-Generation zunimmt.
Im Laufe dieses Buches werden wir feststellen, dass dem nicht so ist. Unsere Gehirnstrukturen, verändern sich nämlich unendlich langsam. Man kann sagen: In den letzten 70.000 Jahren sind sie weitgehend dieselben geblieben.
Auch sollten wir im Auge behalten, wo und wie der Mensch entstanden ist. Gleichgültig ob Manager, Mitarbeiter oder Kunde – er ist das Ergebnis einer Milliarden Jahre langen Evolution, die zu 99,99 % in Zellen und Tieren erfolgte. Und so überraschend es auch klingen mag: Schon in den ersten Bakterien sind die Grundmuster zu erkennen, die bis zum heutigen Tag als biologische Imperative unser Denken und Verhalten für uns meist unbewusst prägen und bestimmen.
[16]Doch wie funktioniert diese unbewusste Steuerung? Nur wenige wissenschaftliche Disziplinen haben in den letzten Jahren so viele Fortschritte erzielt wie die sogenannten Life Sciences, zu denen neben der Molekularbiologie auch die Gehirnforschung gehört. Bei der Erforschung der neuronalen Prozesse, die in unserem Kopf ablaufen, wurde immer deutlicher, dass unsere Emotionen nicht ein unbedeutendes Nebenphänomen sind, sondern die zentrale Rolle bei der Steuerung des Verhaltens spielen.
Verknüpft man nun diese neurowissenschaftlichen Erkenntnisse mit aktuellen evolutionsbiologischen und psychologischen Forschungsergebnissen, offenbart sich ein völlig neues und faszinierendes Bild und Modell menschlichen Denkens und Handelns. Dieses Bild hebt den Gegensatz zwischen »Emotion« und »Ratio« auf. Gleichzeitig verschieben sich die Machtverhältnisse im Kopf. Das Unbewusste, oft als schwacher und kleiner Nebenspieler der großen übermächtigen Vernunft und Ratio gesehen, wird plötzlich zum Hauptdarsteller. Diese Veränderung des menschlichen Selbstverständnisses soll durch die Abbildungen 1 und 2 verdeutlicht werden.
Abbildung 1 zeigt, wie wir heute selbst glauben, unsere Welt wahrzunehmen: Die Außenreize treffen direkt auf unser Bewusstsein und unsere Vernunft. Dort werden sie »vernünftig« bearbeitet, wobei die Frage, was vernünftig ist, bis heute eine zentrale Frage der Philosophie darstellt. Die Emotionen, die wir dabei erleben, garnieren diesen Denkvorgang, ähnlich einem Spritzer Ketchup. Das Unbewusste und unsere biologischen Programme gibt es zwar, sie spielen aber kaum eine Rolle, weil wir uns durch unsere menschliche Vernunft längst davon befreit haben.
Abb. 1: Das Bewusstsein und die Vernunft bestimmen unser Verhalten; Emotionen stören dabei
Abbildung 2 stellt dar, wie das vorgeschlagene neue Weltbild aussieht, mit dem wir uns in diesem Buch näher beschäftigen wollen: Die Außenreize treffen auf ein Gehirn, das auf der Basis von biologischen Programmen operiert. Die Mechanismen und die Einflussnahme dieser biologischen Programme bleiben uns verborgen. Diese Einflussnahme geschieht weitgehend über Emotionen, die uns lenken und steuern. Und: Auch [17]unsere menschliche Vernunft kann sich diesem System letztlich nicht entziehen – sie gehorcht denselben Regeln.
Abb. 2: Das Unbewusste und die Emotionen sind die wahren Herrscher im menschlichen Gehirn
Mit dieser Machtverschiebung ist eine weitere Revolution verbunden: Nicht der vernünftige Neocortex, das Großhirn, ist das eigentliche Machtzentrum in unserem Kopf, sondern das entwicklungsgeschichtlich weit ältere limbische System.
Mit diesem neuen, interdisziplinären Ansatz wird aber auch der Mythos des Unbewussten entschleiert. Ausgehend von Sigmund Freud wurde dem Unbewussten in der menschlichen Existenz immer eine magische und geheimnisvolle Rolle zugeschrieben, die insbesondere in der psychoanalytischen Literatur des beginnenden 20. Jahrhunderts ihren mythischen Höhepunkt erreichte. Um sich von diesen heute überholten Theorien wie zum Beispiel dem »Ödipuskomplex« oder dem »Todestrieb« usw. abzugrenzen, spricht man heute in der aktuellen Forschung vom »Neuen Unbewussten« (New Unconsciousness).
Während unbewusste Mechanismen vor einigen Jahren nur eine geringe Rolle in der neuropsychologischen Forschung spielten – man glaubte ja noch an den »vernünftigen, bewussten Menschen« – hat sich das Forschungsinteresse mittlerweile völlig verändert: Das Unbewusste ist zum Star geworden!
Wir beschäftigen uns in diesem Buch mit dem Unbewussten und seinen wichtigsten Kräften, den Emotionen. Mit der Entschlüsselung der emotionalen Programme wird das Unbewusste greif- und berechenbarer. Zudem zeigt sich, dass das Grundprinzip unserer unbewussten Steuerung keineswegs so geheimnisvoll ist, wie manche glauben. Wie so vieles in der Natur ist es letztlich genial einfach, auch wenn die zugrunde liegenden neuronalen Prozesse und Mechanismen äußerst komplex sind. Ist das Programm des limbischen Systems aber erstmals entschleiert, finden viele Frage[18]stellungen im Management, aber auch im Alltag, plötzlich eine neue, überzeugende Erklärung.
Welche Konsequenzen leiten sich nun daraus für die Management-Praxis ab? Die Bedeutung kann nicht groß genug eingeschätzt werden. Jedes Unternehmen wird von Menschen gegründet und betrieben, um für andere Menschen Produkte herzustellen oder Dienstleistungen zu erbringen. Zwangsläufig führt ein neues, anderes Verständnis des Menschen dann auch zu überraschenden Perspektiven für alle Bereiche des Managements. Einige davon sollen kurz skizziert werden, sie werden im Buch auch detaillierter beleuchtet:
Jede Organisation und damit jedes Unternehmen basiert auf emotionalen Programmen. Diese inneren Kräfte und ihre Auswirkungen bleiben aber den Mitgliedern einer Organisation bzw. den Mitarbeitern meist verschlossen, weil ein System seine eigenen Regeln selbst nur schwer erkennen kann. Gesunde Unternehmen unterscheiden sich von kranken, also nicht mehr wandlungsfähigen Unternehmen, in einer für sie typischen Ausprägung dieser unbewusst wirkenden inneren Kräfte.Erfolgreiche Unternehmen pflegen eine Unternehmenskultur, die direkt das limbische System der Mitarbeiter anspricht. Dadurch wird aus dem »Ich« ein »Wir« und die inneren, aggressiven Kräfte werden zugleich nach außen auf den Markt gelenkt.Leistungsbereite und hoch motivierte Mitarbeiter bringen von Geburt an bestimmte Voraussetzungen und Persönlichkeitseigenschaften mit.Die klassischen Motivationstheorien, wie z. B. Maslow, sind veraltet, weil die Hirnforschung zeigt, dass Motivation so nicht funktioniert.Werbebotschaften und Marken können sich nur dann einen Logenplatz im Kopf des Verbrauchers erkämpfen, wenn sie möglichst direkt das limbische System und seine Präferenzen ansprechen.Erfolgreiche Produkte vermitteln durch ihre Form, Farbe, Materialien, Töne und Gerüche immer Botschaften, die direkt und ohne Umweg über die Sprache das limbische System aktivieren. Diese Botschaften müssen auf die Persönlichkeitsstruktur der Zielgruppe abgestimmt sein, um ihre größtmögliche Wirkung zu entfalten.Selbst das Business-to-Business-Geschäft ist hoch emotional: Wirkliche Kundenbindung entsteht nicht durch abstrakte Leistungen, sondern durch die direkte Ansprache des limbischen Systems. Durch seinen Auftritt, sein Image und seine Unternehmenskultur zieht ein Unternehmen zusätzlich bestimmte Kunden an bzw. stößt sie ab.Auch am Point of Sale (POS) im Einzelhandel zeigt sich die Macht des limbischen Systems. Verbraucher folgen seinem Einfluss unbewusst. Sie kaufen weit mehr, als sie geplant haben, wenn das Geschäft und die Verkaufsfläche entsprechend den limbischen Gesetzen inszeniert werden.[19]Zum Abschluss noch ein paar Worte zum Buch selbst. Es soll mehr sein als ein normaler Management-Ratgeber. Zwar steht die praktische Anwendung der Erkenntnisse im Mittelpunkt. Um aber den Transfer in viele andere Bereiche des Managements und in den Alltag zu erleichtern, die aus Platzgründen nicht erwähnt werden konnten, sind auch die wissenschaftlichen Hintergründe und die Überlegungen, die zu diesem Ansatz geführt haben, ausführlich genug dargestellt. Gleichzeitig wird auch die entsprechende wissenschaftliche Literatur für jene Leser angeführt, die mehr über die Zwangsläufigkeit einer limbischen Revolution wissen wollen.
Interessante weiterführende Literatur finden Sie am Ende dieses Buches. Die entsprechenden Verweise sind in den Kapiteln mit hochgestellten Ziffern versehen.
Viele Verhaltensweisen, die für uns ganz normal sind und über die wir scheinbar bewusst selbst entscheiden, sind das Ergebnis eines unbewussten, tief in uns verankerten Programmes, welches im Laufe der Evolution entstanden ist. Dieses Programm steuert uns von unserem limbischen System aus mit drei Emotionssystemen: Balance – Dominanz – Stimulanz. Diese drei Kräfte formen für uns unbewusst unser Denken, bestimmen unsere Entscheidungen und prägen unser Verhalten. Ein kurzer Ausflug in die Evolutionsgeschichte macht deutlich, wie und warum sie entstanden sind und warum wir weit mehr, als wir glauben, dem unbewussten Einfluss unserer Vergangenheit unterworfen sind.
Darf ich Sie, verehrte(r) Leser(in), gleich mit einer Frage überfallen? Was glauben Sie: Wie viel Prozent unseres tagtäglichen Verhaltens gehen auf unbewusste Steuerungsmechanismen zurück? Sind es 10 %, 20 %, 50 % oder gar 70 %? Vielleicht erstaunt Sie diese Frage über den Einfluss des Unbewussten ein wenig – weil Sie, wenn Sie in sich selbst hineinhorchen, doch letztlich gar keinen Einfluss feststellen können. Schließlich bestimmen Sie doch jeden Tag bei vollem Bewusstsein, was letztendlich geschieht. Aber kann es möglich sein, dass wir den Einfluss des Unbewussten gar nicht bemerken, weil wir uns von Geburt an daran gewöhnt haben? Wie wär’s deshalb mit einem kleinen Gedankenexperiment, um eine Antwort auf diese Frage zu finden? Begleiten Sie dazu mit mir einen ganz normalen Manager durch seinen ganz normalen Alltag – der Beginn: 6.45 Uhr.
»Das Klingeln des Weckers beendet seinen Schlaf. Er steht auf, duscht und rasiert sich, putzt sich die Zähne und zieht sich einen grauen Anzug nebst Krawatte an. Er setzt sich an den Frühstückstisch. Entgegen aller Gewohnheit ist der Kaffee noch nicht fertig, weil seine Frau verschlafen hat. Er ärgert sich, schimpft mit seiner Frau und wird ungeduldig. Um sich die Wartezeit zu verkürzen, wirft er einen Blick in die Zeitung. Mit dem Frühstück fertig, setzt er sich in sein Auto, hört nebenbei eine Musiksendung aus dem Autoradio. Vor ihm fährt ein Auto etwas langsamer als er selbst. Er überholt. Nach einigen Minuten steht er trotzdem im Stau. Er wird zunehmend nervös. Nach 20 Minuten biegt er in das Firmengelände ein. Der für ihn mit seinem Nummernschild beschriftete, reservierte Parkplatz wurde von einem Unbefugten okkupiert. Obwohl ein paar Schritte weiter einige freie Parkplätze zur Verfügung stehen, ärgert er sich. Im Empfang bittet er den Portier, dafür zu sorgen, dass sein Platz wieder frei wird.
In seinem großen Büro, er hatte es selbst mit Designermöbeln eingerichtet, serviert ihm seine gutaussehende Sekretärin in einem engen Kostüm die Post. Er ertappt sich beim Gedanken ...
[22]In der Post findet er eine Einladung für das Golfturnier eines Lieferanten, zu dem nur ein ganz erlesener Kreis hochkarätiger Manager eingeladen wird. Er überlegt kurz und sagt zu. Kurz darauf, in der Vorstandssitzung, wird der Entschluss gefasst, einen Wettbewerber aufzukaufen, um die Marktanteile im Geschäftsfeld XY zu steigern. Er hatte dieses Projekt initiiert. Zur Entscheidungsabsicherung hatte er eine Business-Planung in Auftrag gegeben. Für die Ausführung dieser Arbeit standen zwei Unternehmensberatungen zur Auswahl. Er hatte sich für die große, renommierte Beratungsgesellschaft entschieden.
Nach dem Mittagessen betritt sein Kollege das Büro mit dem Vorschlag, die Abteilungen umzuorganisieren. Zwei seiner Mitarbeiter müssten dazu in den Bereich des Kollegen wechseln. Ihm gefällt dieser Vorschlag überhaupt nicht und er lehnt sofort ab. Auch dem weiteren Vorschlag des Kollegen, einen organisatorischen Ablauf in seinem Verantwortungsbereich zu verändern, stimmt er nicht zu.
Auf dem Rückweg von der Arbeit fährt er noch schnell an einem Modegeschäft vorbei, um sich ein neues modisches Sakko zu kaufen. Der Verkäufer präsentiert eine breite Auswahl. Er entscheidet sich für das teurere Modell eines bekannten italienischen Modedesigners. Jetzt freut er sich auf seine Frau, die ihm telefonisch ein schönes Abendessen angekündigt hatte. Der Ärger vom Frühstück ist längst verraucht. Nach dem Abendessen setzen sich beide vor den Fernseher und schauen sich noch einen spannenden Spielfilm an.
Angenommen, wir würden jetzt bei unserem Manager klingeln und ihn danach befragen, wie er den ganzen Tag und sein Verhalten erlebt habe. Er würde uns mit Sicherheit antworten, dass er a) alle Entscheidungen zu 100 % bewusst getroffen habe und b) den ganzen Tag über zu 100 % rational, also vernünftig, gehandelt habe.
Leider irrt sich unser Manager, denn fast alle seine während des Tages gezeigten Verhaltensweisen beruhen auf den drei emotionalen Hauptkräften
Balance (Sicherheit, Ordnung, Stabilität, Konstanz),Dominanz (Durchsetzung, Erfolg, Macht, Status, Autonomie, territorialer Anspruch),Stimulanz (Reiz- / Risiko-Lust, Suche nach neuen Reizen) sowie den eng damit verbundenen Teilkräften
Bindung und Fürsorge (Harmonie, Geborgenheit, Nächstenliebe),Sexualität (Fortpflanzung, Lust)und schließlich den physiologischen Vitalbedürfnissen
Essen,Trinken,Schlafen,Atmen.Diese emotionalen Steuermechanismen sind in seinem und unserem Gehirn, insbesondere im sogenannten limbischen System verankert. Insbesondere diese Gehirnregion ist in ihren Grundstrukturen und Vorläufern bereits bei Reptilien und, in einer dem Menschen sehr ähnlichen Form und Funktion, bei Hunden, Katzen, Affen und [23]Mäusen zu finden. Diese biologischen Imperative entstanden im Laufe der Milliarden Jahre langen Evolution. Sie sind es, die unser menschliches Verhalten, für uns weitgehend unbewusst, steuern. Die folgende Abbildung 3 gibt einen Überblick über unser emotionales Betriebsprogramm in unserem Gehirn.
Abb. 3: Die wichtigsten Emotionssysteme im menschlichen Gehirn
Die drei Emotionssysteme Balance (plus den damit verbundenen Teilkräften Bindung / Fürsorge), Dominanz sowie Stimulanz und das limbische System als das eigentliche Machtzentrum in unserem Kopf sind sozusagen die Hauptdarsteller dieses Buches. Ihren Einfluss und ihre Wirkungsweise werden wir in den nächsten Kapiteln näher kennenlernen.
Wozu ich Sie ermuntern und einladen möchte, ist mit und in diesem Buch eine völlig neue Perspektive unseres Denkens und Verhaltens zu entdecken.
Sie ist mitunter provokant, weil sie unser gewohntes Selbstbild in Frage stellt.Sie führt zu einer Zusammenführung und damit Vereinfachung vieler bis dato unzusammenhängender Theorien rund um den Menschen.Und besonders wichtig: Sie gibt viele, viele praxisnahe Anregungen und Umsetzungsbeispiele für das Marketing, das Management und die Mitarbeitermotivation.Für unseren Manager verlief der Tag völlig normal. Genauso wenig wie er seine Wut über das verspätete Frühstück und über den besetzten Parkplatz nicht weiter beachtet hatte, schenkte er dem Ärger über das Ansinnen seines Kollegen Beachtung, zwei Mitarbeiter abzugeben. Auch alles andere, was er den ganzen Tag über tat, war immer mit mehr oder weniger starken Gefühlen verbunden.
Dem Griff zur Zeitung ging ein Gefühl der Unruhe voraus. Der Auftrag an die renommierte Beratungsgesellschaft geschah aus der Angst heraus, Fehler zu machen. Und die Entscheidung, den Konkurrenten zu kaufen, wurde schließlich von einem Gefühl der Macht und Überlegenheit begleitet.
Hätte man unseren Manager befragt, ob er sich bei seinen geschäftlichen Angelegenheiten von emotionalen Dingen beeinflussen ließe, hätte er auch hier im tiefen Brustton der Überzeugung mit »Nein« geantwortet. Seine Gefühle waren für ihn »normal« und wurden deshalb von ihm nicht weiter beachtet. Und das, obwohl alle seine Entscheidungen letztlich aufgrund dieser Gefühle, ausgelöst durch die Emotionssysteme, getroffen wurden. Mit dieser für uns oft unbewussten Einflussnahme des limbischen Systems auf unsere Entscheidungen werden wir uns im nächsten Kapitel intensiver befassen. Diesen Einfluss bemerken wir übrigens meist genauso wenig, wie wir im Alltag den Einfluss der Schwerkraft beachten.
Wie oft haben Sie im Laufe des heutigen Tages schon über die Schwerkraft nachgedacht? Wahrscheinlich genauso wenig wie ich, nämlich überhaupt nicht. Und trotzdem beeinflusst diese Kraft in einem ganz erheblichen Ausmaß unser Leben. Warum sitzen Sie wahrscheinlich im Moment auf einem Stuhl? Warum fahren Sie mit dem Aufzug in den 10. Stock? Warum müssen wir Lampen und Bilder an der Wand befestigen? Warum brauchen wir so ein großes Herz? Eben weil wir dem Einfluss der Schwerkraft unterliegen. Genauso verhält es sich auch mit dem unbewussten Einfluss der Emotionen. Weil wir uns daran gewöhnt haben, beachten wir diese Kräfte nicht. Trotzdem bestimmen sie unser Leben.
[28]Uns interessiert jetzt natürlich die Frage, wie die Emotionssysteme in unserem Gehirn entstanden sind und warum sie einen so ungeheuren Einfluss auf uns Menschen haben. Dazu ist es notwendig, uns nochmals kurz die menschliche Entwicklungsgeschichte und die Evolutionstheorie in Erinnerung zu rufen.
Mit seinem im Jahr 1859 erschienenen Werk »Über die Entstehung der Arten« veränderte Charles Darwin die Welt. Auch wenn er damals die tierische Abstammung des Menschen aus religiösen Gründen nur andeutete und nicht offen aussprach, wurde doch bald klar, dass sich auch die menschliche Existenz diesem Naturgesetz nicht entziehen kann. Natürlich erregte die Erkenntnis, die den Menschen auf eine ähnliche Stufe wie das Tier stellt, den Zorn im wertkonservativen Lager. Bis vor wenigen Jahren war es in einigen Staaten der USA sogar verboten, diese Theorie in Schulbüchern abzuhandeln. Im Laufe der letzten 150 Jahre bestätigte sich die Richtigkeit der Evolutionstheorie und deren Gültigkeit auch für den Menschen eindrucksvoll, vor allem durch die evolutions- und molekularbiologische Forschung. Trotzdem gibt es noch viele, die die Evolutionstheorie ablehnen und als Anhänger des sogenannten Kreationismus alles einem Schöpfergott zuschreiben.
Die Kernaussagen der Evolutionstheorie sind: »Die Evolution basiert darauf, dass derjenige Organismus der Erfolgreichere ist, dem es gelingt, a) möglichst viele seiner Gene in die nächste bzw. übernächste Generation zu bringen und b) wenn diese Gene ihrem »Genträger« Eigenschaften verleihen, mit denen er am besten an die jeweiligen Umweltbedingungen angepasst ist«.
Seit Charles Darwin wurde innerhalb der Biologie kontrovers darüber diskutiert, wie diese Genselektion erfolgt. Genauer gesagt, ob das einzelne Gen Angriffspunkt der Evolution ist, wie es z. B. Dawkins25 mit seiner Theorie des »Egoistischen Gens« postulierte, ob das Individuum mit seinem gesamten Geninventar (Genom) oder gar eine ganze Gruppe / Art die maßgebliche »Selektionseinheit« sei. Angesichts der vielfältigen Abhängigkeiten und gegenseitigen Einflüsse zwischen Einzelgen, Genom und Gruppe geht die aktuelle Multilevel-Selektions-Theorie davon aus, dass alle diese Ebenen letztlich dem Selektionsdruck ausgesetzt sind.90
Für unsere Betrachtung ist dieser Aspekt von geringer Bedeutung. Viel wichtiger erscheint die Frage, was in den Genen eigentlich gespeichert ist. Heute weiß man, dass in den Genen nicht nur die »Hardware« (Anatomie, Physiologie etc.), in der Fachsprache Morphologie genannt, sondern auch die »Software« des Menschen, z. B. Verhalten, Fähigkeiten, Intelligenz und Charaktereigenschaften, mit angelegt ist. Zwar können [29]die genetischen Vorgaben durch Umwelteinflüsse modifiziert werden, man spricht dann von Epigenese, aber diese Modifikationen sind nur im engen Rahmen möglich.
Obwohl unser Verhalten, unsere Fähigkeiten, unsere Intelligenz und unser Charakter durch Umwelteinflüsse und Lernen veränderbar sind, basieren sie auf einem biologischen Grundprogramm, eben unseren Emotionssystemen, das als übergeordnetes Steuersystem in uns eingebaut ist und letztlich die Spielregeln bestimmt. Wie es wirkt und wie es beeinflussbar ist, werden wir in den nächsten Kapiteln sehen.
Woher kommen aber unsere Gene, die unsere menschliche Erscheinung und unser Verhalten prägen? Wann sind sie entstanden? Vor 10.000 Jahren? Oder vor einer Million Jahren? Weder noch. Wenn wir das menschliche Verhalten wirklich verstehen wollen, müssen wir uns mit dem gesamten Zeitraum der Evolution, also der Zeit seit der Entstehung der Erde beschäftigen. Die Evolution des Menschen begann genau genommen vor 4,5 Milliarden Jahren in der Ursuppe (Abbildung 5).
Es dauerte eine Milliarde Jahre, bis sich aus Einzelmolekülen in der Ursuppe über größere replikationsfähige Molekülketten die ersten lebenden Zellen, nämlich Bakterien, herausgebildet hatten.56, 58 Und so unglaublich es zunächst auch klingen mag: Schon in diesen ersten Bakterien sind die Grundstrukturen allen tierischen und damit auch menschlichen Verhaltens und damit der Emotionssysteme erkennbar! Dazu gleich mehr.
Abb. 5: Der Mensch ist 4,5 Mio. Jahre alt; der moderne Mensch sogar nur 40.000 Jahre. Über 99,99 % unserer genetischen Entwicklung erfolgte in Zellen und Tieren.
[30]Im Laufe von weiteren 1,5 Milliarden Jahren diversifizierten sich die Bakterien in Arten, die sich von unterschiedlichsten Stoffen ernährten. Bis heute sind übrigens die Bakterien die wahren Herrscher der Welt, sowohl was ihre Anzahl als auch ihre Biomasse betrifft.
Neben der Diversifizierung der Bakterien erfolgte eine zweite, vor allem für die heutige menschliche Existenz wichtige Entwicklung. Durch Verschmelzung verschiedener Bakterien entstand eine völlig neue Zellgeneration, die sogenannten Eukaryoten. Diese eukaryotische Zellform ist der Ursprung allen tierischen, pflanzlichen und menschlichen Lebens.
Und wieder verging eine Milliarde Jahre, bis sich eukaryotische Einzeller zu größeren Zellverbunden, den sogenannten Mehrzellern zusammenschlossen. Aus diesen Mehrzellern entwickelten sich die ersten Tiere, die vor ca. 600 bis 800 Millionen Jahren entstanden.
Kennzeichnend für alle Tiere und Menschen bis zum heutigen Tag ist, dass es im Laufe der Evolution zu einer Funktionsspezialisierung der anfangs gleichen Zellen kam. Eine Reihe von Zellen entwickelte sich zu Gehirn- und Nervenzellen, andere zu Muskelzellen und wieder andere zu Knochenzellen usw. Allerdings, so unterschiedlich die Funktion dieser Zellen ist, eines haben sie gemeinsam: In jeder Zelle ist stets der gesamte Bauplan des ganzen Organismus gespeichert. Durch bestimmte chemische Signalstoffe wird aber jeweils nur der für die jeweilige Zellfunktion notwendige Teil der Gene aktiviert oder exprimiert, wie es korrekt in der Fachsprache heißt.90
Vor ca. 250 Millionen Jahren erschienen die ersten Säugetiere. Damals hatten sie noch die Größe einer Maus. Auch der über 35 Meter lange, tonnenschwere Blauwal stammt davon ab. Der Siegeszug und vor allem das Wachstum der Säugetiere begann mit dem Aussterben der Saurier vor 60 Millionen Jahren. Denn durch das Aussterben dieser Riesenechsen war auch der natürliche Feind verschwunden. Ungefähr zu dieser Zeit entwickelten sich auch die Vorfahren der heutigen Primaten, zu denen neben Lemuren, Gibbons, Orang-Utans, Gorillas und Schimpansen auch der heutige Mensch zählt.
Vor ca. 7 Millionen Jahren trennte sich die gemeinsame Entwicklungslinie von Gorilla, Schimpanse und Mensch. Und mit dem Erscheinen des sogenannten Australopithecus (Südlicher Halbaffe) vor 4,5 Millionen Jahren in Afrika, der sich durch aufrechten Gang auszeichnete, begann die eigentliche »menschliche« Geschichte. Dieser menschliche Halbaffe dürfte aber noch mehr Affe als Mensch gewesen sein.
[31]Vor 2,5 Millionen Jahren entwickelte sich daraus der »Homo habilis« (»Geschickter Mensch«). Er erhielt seinen Namen, weil man bei seinen Fossilien auch die ersten Werkzeuge fand. Und vor etwa 1,8 Millionen Jahren bis vor ca. 300.000 Jahren betrat das Folgemodell, der »Homo erectus« (»Aufrechter Mensch«) die Bühne der Welt. Er war der erste Mensch, der Hütten baute, sich in Tierhäute kleidete, Feuer machte und von Afrika aus anfing, die Welt zu besiedeln.52 Er war es auch, der in stärkeren sozialen Kooperationen lebte. Das Leben in der Gemeinschaft ermöglichte es ihm, gemeinsam zu jagen und in unwirtlichen und kälteren Gegenden zu überleben.
Woher und wie sich daraus der heutige Mensch, der sogenannte Homo sapiens (»Wissender Mensch«) entwickelte, darüber streiten sich heute die Paläoanthropologen. Die » Multiregionalisten« gehen davon aus, dass sich diese intelligente menschliche Form zeitgleich an verschiedenen Orten der Welt entwickelt habe; die »Monogenetiker« dagegen behaupten, dass diese Form als eine besondere Linie in Afrika entstanden ist und dann im Laufe der Zeit alle anderen, weniger intelligenten menschlichen Arten verdrängt habe.52, 16