Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie - Annegret Boll-Klatt - E-Book

Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie E-Book

Annegret Boll-Klatt

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Beschreibung

This book outlines the development of psychotherapy based on depth psychology, against its historical background. It provides an introduction both to the foundations of classical psychoanalysis and also current theoretical approaches and presents in particular the disturbance-specific distinctions involved in theoretical and technical treatment concepts. The book provides a modern view of depth psychology, viewed as representing multiperspective competence, illustrated with a detailed discussion of clear treatment cases. The presentation of the procedure is rounded off with discussions on the scientific evidence for efficacy.

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Die Autoren

Dr. phil. Annegret Boll-Klatt, Dipl.-Psych., Psychologische Psychotherapeutin, leitet die Ambulanz des Instituts für Psychotherapie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. Sie ist Dozentin, Supervisorin und Selbsterfahrungsleiterin an diversen psychodynamischen Instituten. Schwerpunkte ihrer Publikationen, Vorträge und Seminare sind die Vermittlung psychodynamischer Theoriekonzeptionen im Kontext moderner Behandlungstechnik sowie die Psychokardiologie.

 

Mathias Kohrs, Dipl.-Psych., Psychologischer Psychotherapeut, ist Psychoanalytiker (DGPT) in eigener Praxis in Hamburg. Auch er ist Dozent, Supervisor und Selbsterfahrungsleiter an diversen psychodynamischen Instituten. Schwerpunkt seiner Publikationen, Vorträge und Seminare ist die Vermittlung psychodynamischer Theoriekonzeptionen im Kontext moderner Behandlungstechnik, auch mittels Nutzung psychoanalytischer Filminterpretationen.

 

Beide Autoren arbeiten seit über 10 Jahren eng zusammen und bringen ihre Kenntnisse aus ihren unterschiedlichen Ausbildungen und ihre Erfahrungen aus verschiedenen Tätigkeitsfeldern erfolgreich in gemeinsame Publikationen und Veranstaltungen ein.

Annegret Boll-Klatt Mathias Kohrs

Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2018

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-032007-9

E-Book-Formate:

pdf:      ISBN 978-3-17-032008-6

epub:   ISBN 978-3-17-032009-3

mobi:   ISBN 978-3-17-032010-9

Geleitwort zur Reihe

 

 

 

Die Psychotherapie hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich gewandelt: In den anerkannten Psychotherapieverfahren wurde das Spektrum an Behandlungsansätzen und -methoden extrem erweitert. Diese Methoden sind weitgehend auch empirisch abgesichert und evidenzbasiert. Dazu gibt es erkennbare Tendenzen der Integration von psychotherapeutischen Ansätzen, die sich manchmal ohnehin nicht immer eindeutig einem spezifischen Verfahren zuordnen lassen.

Konsequenz dieser Veränderungen ist, dass es kaum noch möglich ist, die Theorie eines psychotherapeutischen Verfahrens und deren Umsetzung in einem exklusiven Lehrbuch darzustellen. Vielmehr wird es auch den Bedürfnissen von Praktikern und Personen in Aus- und Weiterbildung entsprechen, sich spezifisch und komprimiert Informationen über bestimmte Ansätze und Fragestellungen in der Psychotherapie zu beschaffen. Diesen Bedürfnissen soll die Buchreihe »Psychotherapie kompakt« entgegenkommen.

Die von uns herausgegebene neue Buchreihe verfolgt den Anspruch, einen systematisch angelegten und gleichermaßen klinisch wie empirisch ausgerichteten Überblick über die manchmal kaum noch überschaubare Vielzahl aktueller psychotherapeutischer Techniken und Methoden zu geben. Die Reihe orientiert sich an den wissenschaftlich fundierten Verfahren, also der Psychodynamischen Psychotherapie, der Verhaltenstherapie, der Humanistischen und der Systemischen Therapie, wobei auch Methoden dargestellt werden, die weniger durch ihre empirische, sondern durch ihre klinische Evidenz Verbreitung gefunden haben. Die einzelnen Bände werden, soweit möglich, einer vorgegeben inneren Struktur folgen, die als zentrale Merkmale die Geschichte und Entwicklung des Ansatzes, die Verbindung zu anderen Methoden, die empirische und klinische Evidenz, die Kernelemente von Diagnostik und Therapie sowie Fallbeispiele umfasst. Darüber hinaus möchten wir uns mit verfahrensübergreifenden Querschnittsthemen befassen, die u. a. Fragestellungen der Diagnostik, der verschiedenen Rahmenbedingungen, Settings, der Psychotherapieforschung und der Supervision enthalten.

Harald J. Freyberger (Stralsund/Greifswald)

Rita Rosner (Eichstätt-Ingolstadt)

Günter H. Seidler (Dossenheim/Heidelberg)

Rolf-Dieter Stieglitz (Basel)

Bernhard Strauß (Jena)

Inhalt

 

 

 

Geleitwort zur Reihe

1 Ursprung und Entwicklung des Verfahrens

1.1 »There is no such thing …« oder »So was wie eine tiefenpsychologisch fundierte Therapie gibt es eigentlich nicht«

1.2 Ursprung und Geschichte

1.3 TP oder Psychodynamische Psychotherapie?

1.4 Methode oder Verfahren?

1.5 TP als spezifisches Verfahren der Psychodynamischen Therapieverfahren

2 Verwandtschaft mit anderen Verfahren und Methoden

2.1 Das Unbewusste – ein Plädoyer für das unverzichtbare Paradoxon der Psychodynamischen Psychotherapieverfahren (PDT)

2.2 TP als spezifisches psychodynamisches Therapieverfahren und ihr Verhältnis zur AP

2.3 Besondere Methoden bzw. Sonderformen der TP laut Richtlinien

3 Wissenschaftliche und therapietheoretische Grundlagen

3.1 Philosophische Grundlagen des Unbewussten

3.2 Psychoanalytische Krankheitslehre – die vier Pathologien der Psychodynamischen Therapieverfahren

3.2.1 Die Anfänge – Trieb, Konfliktpathologie und das dynamische Unbewusste

3.2.2 Übertragung und Widerstand – die Störungen werden zum Werkzeug

3.2.3 Konfliktpathologie und die Weiterentwicklung der Metapsychologie – Trieb und Abwehr

3.2.4 Strukturpathologie, das Selbst und seine Objekte, »falsche« Patienten

3.3 Traumapathologie – die Diskussion um die Bedeutung des Innen und des Außen

3.3.1 Das Außen – das Trauma als Ereignismerkmal und seine Pathogenität

3.3.2 Traumatisierung und Traumaverarbeitung

3.3.3 Traumabewältigung

3.3.4 Unterschiedliche Traumapathologien

3.3.5 Die psychoökonomische ergänzt um die objektbeziehungstheoretische Perspektive

4 Kernelemente der Diagnostik

4.1 Einführung

4.2 Explorativ oder beziehungsdynamisch?

4.3 Das Interview der OPD – eine Synthese?

4.4 Durchführung und Ablauf eines Erstgespräches

4.5 Deskriptive Diagnostik

4.6 Explanatorische Diagnostik

4.6.1 Konfliktpathologische Diagnostik auf Achse III der OPD

4.6.2 Die OPD-Konfliktachse im Vergleich mit der herkömmlichen psychoanalytischen Konfliktdiagnostik

4.6.3 Neurosenstruktur

4.6.4 Strukturpathologische Diagnostik

4.6.5 Traumapathologische Diagnostik

5 Kernelemente der Therapie

5.1 TP als konfliktorientierte Methode

5.1.1 Therapeutische Grundhaltung: Abstinenz und technische Neutralität

5.1.2 Einsicht des Patienten und Techniken des Therapeuten

5.1.3 Gegenübertragung und die »korrigierende emotionale Erfahrung«

5.1.4 Arbeit mit den reaktualisierten Konflikten in der aktualgenetischen Dimension

5.1.5 Arbeit mit Außen- und Binnenübertragungen und Begrenzung der Regression

5.1.6 Der »klassische« Umgang mit der Übertragung in der TP

5.1.7 Die Übertragungsanalyse im Hier und Jetzt

5.1.8 Klärung und Reflexion der genetischen Anteile

5.1.9 Ziele und Interventionen nach Rudolf

5.1.10 Der prototypische Verlauf einer TP

5.2 Strukturorientierte Behandlungsmethoden

5.2.1 Strukturbezogene Psychotherapie nach Rudolf

5.2.2 Übertragungsfokussierte Psychotherapie (TFP)

5.2.3 Mentalisierungsbasierte Therapie nach Fonagy

5.2.4 Zusammenfassung und Fazit

5.3 Traumazentrierte Psychotherapie oder »Does anything go?«

6 Klinisches Fallbeispiel

6.1 Erstgespräch und Probatorik

6.2 Wichtiges aus der Biografie

6.3 Der psychodynamische Reflexionsrahmen

6.4 Charakteristische Sequenzen des Behandlungsverlaufes

7 Hauptanwendungsgebiete und Fragen zur Indikation

7.1 Störungsbilder, bei denen das Verfahren hauptsächlich eingesetzt wird

7.2 Allgemeine Überlegungen zur Indikationsfrage

7.3 Indikative Entscheidungen zur TP und Kontraindikationen

8 Settings: ambulant – teilstationär – stationär

8.1 Die psychotherapeutische Versorgungslage in Deutschland

8.2 Indikation für stationäre und teilstationäre Maßnahmen

9 Klinische und wissenschaftliche Evidenz

9.1 Empirische Forschung und Psychodynamische Psychotherapie: Geht das?

9.2 Naturalistische vs. randomisierte Studien

9.3 TP als Kurzzeit- und Langzeittherapie

9.3.1 Wirksamkeit der TP als Kurzzeittherapie

9.3.2 Wirksamkeit der TP als Langzeittherapie

9.4 Prozess-Outcome-Forschung: Wirkfaktoren

9.5 Wirksamkeit störungsorientierter psychodynamischer Therapiemethoden

9.6 Fazit

10 Institutionelle Verankerung

11 Informationen zu Aus-, Fort- und Weiterbildung

11.1 Weiterbildungen für Ärztliche Psychotherapeuten

11.2 Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten

11.3 Fortbildung für Ärztliche und Psychologische Psychotherapeuten

11.4 Zukünftige Entwicklungen

Literatur

Sachwortregister

1          Ursprung und Entwicklung des Verfahrens

 

 

1.1       »There is no such thing …« oder »So was wie eine tiefenpsychologisch fundierte Therapie gibt es eigentlich nicht«

Die Adaption des weit und tief tragenden Satzes von Winnicott (»There is no such thing as a baby!«) verweist zunächst auf die Verzweiflung der Autoren, als sie versuchten, das Objekt dieses Buches zu definieren oder auch nur einzugrenzen. Es schien so einfach: Eine Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie – im Folgenden als TP abgekürzt1 – existiert in dieser Weise (welcher denn?) nur in Deutschland und ist auch nur hier Leistungsbestandteil der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sowie der privaten Krankenversicherungen. Statistiken zeigen, dass sich krankenkassenfinanzierte psychotherapeutische Behandlungen mit etwa 47% auf die TP und mit etwa 6% auf die höherfrequenten Analytischen Psychotherapien (abgekürzt AP) verteilen; die übrigen 47% entfallen auf die Verhaltenstherapie (Rüger 2007). Die Ausbildung in TP ist sowohl für Psychologen als auch für Ärzte gut etabliert. Seit 1999 definiert ein Gesetz die Ausbildung in TP für Psychologische Psychotherapeuten ( Kap. 11) und hat sich seit 16 Jahren weitgehend bewährt. Ausgelöst durch das Bundesgesundheitsministerium, gibt es unter der Überschrift »Direktausbildung« zurzeit einen intensiven Diskussionsprozess, Psychologische Psychotherapie als Studiengang an den Universitäten zu implementieren, der dann – vergleichbar dem Medizinstudium – mit der Approbation abgeschlossen werden könnte. Auch für die Ärztlichen Psychotherapeuten existiert ein komplexes Weiterbildungsreglement in Form der Weiterbildungsordnungen der Landesärztekammern, so dass insgesamt der Eindruck überwiegt, es sei recht klar, was unter TP zu verstehen sei, wie man sie lehren und lernen und ausüben müsse. Letzteres scheinen auch die Psychotherapie-Richtlinien sehr klar zu regeln (Rüger et al. 2015; Diekmann et al. 2018).

Ab hier wird es allerdings schwierig, denn im Hintergrund krankt das Konzept der TP wohl vor allem an ihrem Geburtsfehler: Sie entwickelte sich nicht, sie wurde erfunden (Ermann 2004). Sie war also ein Kind, das man in psychoanalytischen Kreisen nicht unbedingt liebte, das man eigentlich gar nicht so recht wollte, das man aber brauchte, und das bekommt, wie wir aus zahllosen Therapien wissen, dem Kind nicht gut und dem späteren Erwachsenen noch weniger! Es entstand das Modell einer ›kleinen psychoanalytischen Ausbildung‹ und in diesem nur scheinbar unverfänglichen Wort steckt schon das ganze Problem, wie im Weiteren gezeigt werden soll. Anders als von manchen Gründungsvätern und -müttern gedacht, wuchs die TP wie manches ungeliebte Kind in vielerlei Hinsicht über die Eltern hinaus und wurde nach verlängerter Adoleszenz im Alter von etwa 30 Jahren durchaus rebellisch, indem es sich zunehmend weiter vom Hintergrund der klassischen psychoanalytischen Theorie und Praxeologie entfernte ( Kap. 5). Der Erfolg und die enorme Verbreitung der TP führten nämlich dazu, dass inzwischen die Anwendungsgebiete in einer Weise ausgedehnt wurden, die eine scharfe Definition »was ist Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie« heutzutage noch weniger möglich macht als zur Zeit ihrer Etablierung als kassenfinanzierte Behandlungsmethode. Ähnlich wie auch die Psychoanalyse in ihren zahlreichen Schulen und Diversifizierungen, theoretischen und behandlungstechnischen Verästelungen kaum noch auf einen gemeinsamen Nenner, den berühmten »common ground« (vgl. Tuckett 2007; Boll-Klatt und Kohrs 2018), zu bringen ist, verhält es sich auch mit der modernen TP.

Dieser aktuellen Pluralität bzw. den daraus resultierenden Verwerfungen begegnet man spätestens, wenn man die tiefenpsychologischen Ausbildungen an verschiedenen Institutionen, unterschiedliche Lehrbücher oder auch die Anforderungen in den mündlichen Approbationsprüfungen der Psychologischen Psychotherapeuten in den zahlreichen Bundesländern vergleicht. Zwei Polarisierungen seien exemplarisch genannt.

1. Tiefenpsychologische Ausbildungen an eher orthodoxen psychoanalytischen Instituten betonen nach wie vor die zentrale Bedeutung der Arbeit am unbewussten intrapsychischen Konflikt unter Berücksichtigung der klassischen Dimensionen der Übertragungs-/Gegenübertragungsanalyse sowie der Widerstandsdeutungen. Die Ausweitung der therapeutischen Konzeption z. B. in Richtung auf trauma- oder strukturorientierte Modifikationen in der Krankheits- und Behandlungstheorie werden hier eher skeptisch, oft sogar immer noch ablehnend betrachtet. Die hier skizzierte Haltung beinhaltet u. a. auch die Gefahr, substanzielle Befunde evidenzbasierter Forschung zu ignorieren. In Kapitel 9 findet sich eine ausführliche Auseinandersetzung zum Verhältnis von Psychoanalyse und empirischer Psychotherapieforschung. Lehnen aber die psychoanalytischen Verfahren den Anschluss an die Nachbarwissenschaften ab (vgl. z. B. Green 2000) und/oder verweigern sogar die Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Ergebnissen zu ihrer Wirksamkeit, können die berufs- und gesundheitspolitischen Konsequenzen nicht nur ungünstig, sondern durchaus gefährlich sein.

2. Andererseits gibt es Ansätze, die sich sehr betont diesen neuen wissenschaftlichen Befunden zuwenden und daraus störungsspezifische Krankheits- und Behandlungstheorien entwickelt haben, die z. T. sehr weit vom psychoanalytischen Standard abweichen. »Does anything go?«, fragt Tuckett (2007), bezieht diese Frage allerdings auf die Pluralität der psychoanalytischen Schulen und deren unterschiedliche Behandlungstheorien. Dieselbe Frage müsste sich auch die TP stellen, wenn heutzutage zunehmend mehr von integrativen Ansätzen und importierten Methoden gesprochen wird ( Kap. 5.3). Werden aber unter dieser Prämisse basale psychoanalytische Positionen aufgegeben, insbesondere das zentrale Axiom der Arbeit mit dem (dynamischen) Unbewussten, verlieren die psychodynamischen Verfahren u. U. ihre identitäts- und konturstiftende Klammer (vgl. Boll-Klatt und Kohrs 2018). Altmeyer (2016) drückt es sehr prägnant aus: »Das Fehlen einer Kerntheorie, als Pluralismus gefeiert, ist verheerend für eine Wissenschaft.«

1.2       Ursprung und Geschichte

Der Begriff »Tiefenpsychologie« wurde von Eugen Bleuler eingeführt und ab 1913 von Freud verwendet, um zwischen seiner tiefenpsychologisch geprägten Schule, der Psychoanalyse, und der damals vorherrschenden bewusstseinspsychologisch geprägten akademischen Psychologie zu unterscheiden. Die zentrale Vorstellung der Tiefenpsychologie bezieht sich auf unbewusste Prozesse, die unter der Oberfläche des Bewusstseins in tieferen Schichten der Psyche ablaufen und menschliches Erleben, Denken und Verhalten maßgeblich beeinflussen. Freud definierte die Tiefenpsychologie als »Wissenschaft von den unbewussten seelischen Vorgängen« (Freud 1913, S. 300). Bereits hier deutet sich an, dass die Begriffe »Tiefenpsychologie« und »das Unbewusste« von Beginn an untrennbar miteinander verbunden sind. Freuds herausragende Leistung besteht vor allem darin, dass er mit der Einführung der Psychoanalyse, die er zwischen 1890 und 1920 zusammen mit seinen Schülern zunächst aus der Hypnosebehandlung heraus entwickelte, das Konzept des Unbewussten für die Therapie bestimmter Patienten nutzbar gemacht hat (vgl. Gödde 2005). Am Anfang stand die Behandlung der Hysterie mit der »tendenzlosen Psychoanalyse« (zit. n. Rüger und Reimer 2012a, S. 4), die strengen Regeln unterworfen war: Liegen auf der Couch, freie Assoziation und Beschäftigung mit Träumen auf Seiten des Patienten und Abstinenz, Neutralität und Anonymität auf Seiten des Therapeuten. Zwischen 1911 und 1919 veröffentlichte Freud eine Reihe von Abhandlungen, die sog. Technischen Schriften, in denen er Vorschriften zur Behandlungstechnik festlegte, um sich von einer missbräuchlichen Anwendung der Psychoanalyse abzugrenzen. Aber bereits 1918 veränderte er seine Haltung und revidierte die sehr strikten Regeln. Ausdrücklich betonte er 1918 auf dem Budapester Kongress: »Wir sind … immer bereit, die Unvollkommenheiten unserer Erkenntnis zuzugeben, Neues dazuzulernen und in unserem Vorgehen abzuändern, was sich durch Besseres ersetzen lässt« (Freud 1919, S. 183). Vergleichbar der heutigen Entwicklung einer zunehmenden Störungsorientierung in den Psychodynamischen Therapieverfahren räumte auch Freud ein, dass »… die verschiedenen Krankheitsformen nicht durch die nämliche Technik erledigt werden können« (ebd., S. 191). So hielt er es z. B. für nötig, bei »haltlosen und existenzunfähigen Patienten«, die wir heute als strukturell gestört bezeichnen würden, die psychoanalytische Behandlung durch erzieherische Interventionen zu ergänzen (ebd., S. 190). Auch im Hinblick auf das Vermeidungsverhalten bei Patienten mit Phobien empfahl er ein nicht-orthodoxes Vorgehen, das sehr an verhaltenstherapeutische Methodik erinnert. In ihrem sehr lesenswerten Abschnitt (Rüger und Reimer 2012a, S. 4 ff) zur historischen Entwicklung von der Standardtechnik der Psychoanalyse, der »normativen Idealtechnik« (Eissler 1953), hin zu den sog. abgewandelten Verfahren verdeutlichen die Autoren, dass Freud hinsichtlich seiner eigenen Methode durchaus ambivalent war, was Cremerius (1993) auf einen Konflikt in seiner eigenen Person zurückführt: Als Forscher propagierte er die tendenzlose Psychoanalyse mit einem sehr strikten Reglement. Als Therapeut war er alles andere als tendenzlos, wie viele Berichte seiner Patienten und Analysanden erkennen lassen. Nach 1918 führte Freud die Diskussion über Änderungen und Weiterentwicklungen seiner Methode nicht weiter fort. Allerdings führte ein Buch von Ferenczi und Rank (1924), die die starke Intellektualisierung und den aus ihrer Sicht wirkungslosen »Deutungsfanatismus« kritisierten, zu einer krisenhaften Zuspitzung in der Technikdebatte. Einen weiteren Meilenstein markiert das Buch von Alexander und French (1946); die Autoren propagierten, dass jeder Behandlung, ob orthodox oder abgewandelt, die gleichen psychodynamischen Prinzipien zugrunde lägen. 1953 kam es dann in den USA zu einer mehr oder weniger strikten konzeptuellen Unterscheidung zwischen dem analytischen Standard- und den abgewandelten Verfahren (z. B. Bibring 1954), die jetzt als »dynamic psychiatry« (Bibring 1954) oder »psychodynamic psychotherapy« (Strupp 1996) bezeichnet wurden. Es ist eindrucksvoll, in diesem kurzen Abriss über die Entwicklung der letzten 100 Jahre vieles aus den heutigen Diskussionen und Kontroversen wiederzuerkennen. So stellt sich durchaus die Frage, ob die viel zitierte Metapher des Goldes der Psychoanalyse (Freud 1918/1919, S. 194) durch die Beimischung von Kupfer in ihrem Wert geschmälert wird oder ob das zusätzliche Kupfer erst eine handwerkliche Verwendung des Goldes ermöglicht (Rüger und Reimer 2012a, S. 22). Positiv formuliert, könnte man sagen, dass Neuerungen anscheinend nur in einem beständigen Ringen an der Grenze zur gegenseitigen Entwertung und Ausgrenzung erzielt werden können.

Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie als Begriff wurde erstmals auf dem Ärztetag 1966 von Walter Theodor Winkler verwendet. Die TP wurde definiert als »eine Anwendungsform der Psychoanalyse«; allerdings wurde die TP als Behandlungsform anhand fach- und berufspolitischer Aspekte konzeptualisiert, nicht auf der Basis einer fachwissenschaftlichen Diskussion. Diese Ausgangsmodalität bzw. das Fehlen einer spezifischen theoretischen Fundierung hat viel dazu beigetragen, die TP lange Jahre nur als verkürzte Variante oder als »kleine Schwester« der AP zu betrachten. Die Anerkennung der TP als eigenständige Therapieform, die gleichzeitig die Nähe zur Psychoanalyse behielt, sollte es ermöglichen, dass psychotherapeutisch ausgebildete Ärzte, die nicht die Anforderungen einer klassischen großen psychoanalytischen Ausbildung erfüllten, aber einen wesentlichen Teil der Patientenversorgung abdeckten, in die Behandlung psychisch Kranker mit einbezogen werden konnten. Dem steigenden Behandlungsbedarf, der keinesfalls ausreichenden Zahl psychoanalytisch ausgebildeter Therapeuten und der Tatsache, dass sich eine große Anzahl von Patienten keiner hochfrequenten Psychoanalyse unterziehen wollten bzw. dafür auch nicht geeignet waren, konnte so begegnet werden.

Aufgrund der Studien von Annemarie Dührssen (1962), in denen die Wirksamkeit psychoanalytischer Therapie nachgewiesen wurde, kam es dann 1967 zur Einführung der Psychotherapie als Pflichtleistung der gesetzlichen Krankenkassen. In die Richtlinien wurden mit der TP und der Analytischen Psychotherapie (AP) zwei Verfahren aufgenommen. Bis zur Verabschiedung des Psychotherapeutengesetzes (PsychThG) 1998 war die TP laut Richtlinien Ärztlichen Psychotherapeuten vorbehalten. Danach wurden auch Psychologische Psychotherapeuten zur Durchführung von TP zugelassen.

Laut Bundesarztregister der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) gab es 2010 in Deutschland ca. 20.000 Psychotherapeuten für Erwachsene mit einer Kassenzulassung, 5.300 sind Ärztliche, 13.500 Psychologische Psychotherapeuten. Zahlen der KBV weisen aus, dass 2009 im Rahmen der gutachtenpflichtigen Richtlinienpsychotherapie rund 160.000 tiefenpsychologische Psychotherapien von Erwachsenen neu begonnen wurden. Allerdings stand bzw. steht weiterhin der Häufigkeit der Anwendung der TP ihre konzeptionelle und behandlungstechnische Unschärfe gegenüber. Erst zu Beginn der 2000er Jahre erschienen Publikationen, die verstärkt die TP zu definieren versuchten; zu nennen sind Reimer und Rüger (2000/2012), Ermann (2001, 2004), Rudolf (2002), Tenbrink (2002), Jaeggi et al. (2003) und vor allem Wöller und Kruse (2015). Zusätzlich zu diesen differenzierten Darstellungen der TP und ihren Indikationen hat die in zahlreichen Studien belegte Evidenzbasierung der TP einen festen Platz in der Reihe der wissenschaftlich und sozialrechtlich anerkannten Behandlungsverfahren gesichert ( Kap. 9).

1.3       TP oder Psychodynamische Psychotherapie?

»Der Begriff Psychoanalyse bezeichnet die Wissenschaft, welche die psychoanalytische Theorie, Methode und Behandlungspraxis umfasst. Als psychoanalytische Methode bezeichnet man das Vorgehen, mit dem der Psychoanalytiker die Manifestationen des Unbewussten im Erleben und Verhalten erforscht und für die Behandlung psychogener Störungen nutzt. Bei den Anwendungen und Modifikationen der psychoanalytischen Methode in der Psychotherapie spricht man von psychoanalytisch begründeten oder psychodynamischen Verfahren« (Ermann 2016a, S. 455).

Die in Deutschland entwickelte TP stellt sozusagen einen Prototyp dieser psychoanalytisch begründeten Verfahren dar. Allerdings ist der Begriff »Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie« international gänzlich ungebräuchlich, wurde z. T. auch mit supportiver Therapie gleichgesetzt (Kernberg 2010, mündliche Mitteilung; Kernberg 1999). Andererseits deckt sich die TP in vieler Hinsicht mit Therapieformen, die in angloamerikanischen Fachliteratur als »psychoanalytic psychotherapy« benannt und von »psychoanalysis« abgegrenzt werden (ebd.). In Anlehnung an den angloamerikanischen Sprachgebrauch hat sich international die Bezeichnung Psychodynamische Psychotherapie (»psychodynamic psychotherapy«) zunehmend durchgesetzt. In der amerikanischen Literatur findet sich etwa seit 1980 die Verwendung des Begriffes der Psychodynamischen Psychotherapie, wenn über kurze, meist auf spezielle Störungsbilder ausgerichtete Behandlungen berichtet wurde (z. B. Shedler 2011; Leichsenring 2015). Hoffmann (2000) plädierte als erster dafür, sich auch in Bezug auf die TP der internationalen Sprachregelung anzuschließen. Allerdings wird damit für die TP keine theoretische Klarheit gewonnen, denn auch die Psychodynamische Psychotherapie (PDP) stellt ein vieldeutiges Paradigma ohne eine einheitliche Theorie dar. Bei aller Heterogenität der psychodynamischen Behandlungsformen gelten die folgende Grundannahmen im Menschenbild und in der Theorie (Hoffmann und Schüßler 1999):

•  die Psychologie des Unbewussten

•  die Konflikt- und Objektbeziehungspsychologie

•  die Theorie der Nutzung von Übertragung und Gegenübertragung

•  die Theorie und therapeutische Nutzung sowie die Bearbeitung der Abwehr (Widerstand)

•  die Begrenzung der therapeutischen Zielsetzung und Einschränkung regressiver Prozesse

•  eine hilfreiche Beziehung als Grundlage des therapeutischen Prozesses, wobei die Verbindung zur psychoanalytischen Gesamttheorie begrenzt ist, da viele metatheoretische Positionen nicht übernommen werden

In folgendem Zitat wird das Spezifische der PDP zusammengefasst:

»Die Psychodynamische Therapie bzw. die Psychodynamischen Verfahren stellen Abwandlungen von oder Modifikationen der Psychoanalytischen Therapie dar. Die Konzepte des dynamischen Unbewussten, der Abwehr, der Übertragung und der Gegenübertragung sind auch bei ihnen begründend, kommen aber in der Therapie in unterschiedlicher Weise zum Tragen. Die unterschiedlichen Therapietechniken sind stärker symptomorientiert, intendieren einen Gewinn an Zeit und an Sitzungsaufwand, enthalten supportive und übende Elemente und fördern regressive Prozesse nur ausnahmsweise. Eine Psychodynamische Therapie gelangt auch in jenen Fällen zur Anwendung, in denen eine längerfristige therapeutische Beziehung erforderlich ist« (Hoffmann 2000, S. 53).

Im Jahr 2000 erschien dann das Lehrbuch von Reimer und Rüger, das erstmals im deutschen Sprachraum den Begriff »psychodynamisch« im Titel trug (Reimer und Rüger 2000/2012). Es sind noch nicht einmal 20 Jahre vergangen und schon lässt sich feststellen, dass die Bezeichnung Psychodynamische Psychotherapie international und auch in Deutschland zunehmend als Oberbegriff für die psychoanalytisch begründeten Verfahren verwendet wird (Richter 2014) Dieser Begriff bildet eine Klammer, die auch die überaus diversifizierten psychoanalytischen Schulen, Theoriegebäude usw. noch zusammenhält. Ermann und Körner (2017) zeigen auf, dass international der Begriff »psychodynamisch« den älteren Begriff »psychoanalytisch« sogar zunehmend verdrängt, sobald »Phänomene unter der Perspektive des Unbewussten betrachtet werden« (ebd., S. 234).

1.4       Methode oder Verfahren?

Die diffizile und differenzierte Auseinandersetzung mit den Begriffen lässt ahnen, welche inhaltlichen Abgrenzungen, insbesondere aber auch berufspolitischen Diskurse sich dahinter verbergen. Seit Einführung der krankenkassenfinanzierten Psychotherapie stellen die Psychotherapie-Richtlinien die vertragliche Regelung zwischen den Vertretern der Kostenträger (Krankenkassen) und den Leistungserbringern, den Psychotherapeuten, vertreten durch die kassenärztliche Bundesvereinigung dar (Dahm 2008). Von großer Bedeutung für das Verständnis und die Anwendung der Psychotherapie-Richtlinien ist der »Kommentar Psychotherapie-Richtlinien«, ursprünglich verfasst von Faber und Haarstrick, inzwischen in der 11. Auflage herausgegeben von Diekmann, Dahm, und Neher (Diekmann et al. 2018; Rüger et al. 2015). Nach wie vor sprechen die Psychotherapie-Richtlinien von psychoanalytisch begründeten Verfahren:

»Diese Verfahren stellen Formen einer ätiologisch orientierten Psychotherapie dar, welche die unbewusste Psychodynamik neurotischer Störungen mit psychischer oder somatischer Symptomatik zum Gegenstand der Behandlung machen. Zur Sicherung ihrer psychodynamischen Wirksamkeit sind bei diesen Verfahren übende und suggestive Interventionen auch als Kombinationsbehandlung grundsätzlich ausgeschlossen. … Als psychoanalytisch begründete Therapieverfahren gelten im Rahmen dieser Richtlinie die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und die analytische Psychotherapie« (Rudolf 2014, S. 17).

Während es in den Richtlinien für die Verhaltenstherapie als Verfahren dann Definitionen unterschiedlicher Methoden gibt, findet sich für die psychoanalytisch begründeten Verfahren nur die Unterteilung in TP und AP, so dass letztendlich sprachlich nicht ganz klar wird, ob es sich um Methoden oder Verfahren handelt (Rudolf 2014, S. 17 ff).

Diese Unklarheit wird noch verwirrender, wenn man einige der bedeutenden fachpolitischen Beschlüsse der letzten Jahre näher betrachtet. Schaute man mit einem – eigentlich natürlich nicht statthaften – psychodiagnostischen Blick auf diese Vorgänge, bliebe einem das Ringen um die Lösung eines Autonomie-Abhängigkeits-Problems der beiden Entitäten TP und Psychoanalyse nicht vollständig verborgen. So fasste der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie der Bundesärzte- und der Bundespsychotherapeutenkammer 2004 die unterschiedlichen Behandlungsformen unter dem Oberbegriff »Psychodynamische Psychotherapie« zusammen und definiert damit TP und AP als unterschiedliche Methoden eines Verfahrens:

»Die Psychodynamische Psychotherapie (PP) gründet auf der Psychoanalyse und ihren Weiterentwicklungen. Die Behandlungsprinzipien der PP bestehen in der Bearbeitung lebensgeschichtlich begründeter unbewusster Konflikte und krankheitswertiger psychischer Störungen in einer therapeutischen Beziehung unter besonderer Berücksichtigung von Übertragung, Gegenübertragung und Widerstand. Dabei wird je nach Verfahren stärker im Hier und Jetzt oder im Dort und Damals gearbeitet, die Stundeninhalte sind je nach Verfahren strukturierter (Technik: Fokussierung) oder unstrukturierter (Technik: freie Assoziation), und der Therapeut greift jeweils auf eine stärker aktive oder eher zurückhaltende Interventionstechnik zurück. … Bei der PP handelt es sich um ein Verfahren, bei dem verschiedene Methoden und Techniken mit einem gemeinsamen störungs- und behandlungstheoretischen Hintergrund in verschiedenen Settings zur Anwendung gelangen. …« (Wissenschaftlicher Beirat Psychotherapie 2004).

Dieser Definition zufolge könnte man je nach Vorliebe die Klassifikation der TP als eigenständiges Therapieverfahren oder eben als einer -methode rechtfertigen. Ob es letztendlich klug ist, alle psychoanalytischen und psychoanalytisch begründeten Behandlungsformen zu einem sog. psychodynamischen Verfahren zusammenzufassen, ist sicherlich eine weitreichende, vor allem berufspolitische Frage, die hier in ihren Einzelheiten nicht weiter diskutiert werden soll. Einen guten Überblick bietet Ermanns

Abb. 1.1: Systematik der psychoanalytisch begründeten Psychotherapieverfahren (modifiziert nach Ermann 2004, S. 301)

Perspektive, die allerdings die Würfel noch einmal neu wirft (auch  Abb. 1.1):

»Mir leuchtet daher eine Systematik ein, die alle Psychotherapieverfahren, die auf der Theorie der Psychoanalyse beruhen, als psychoanalytisch begründet bezeichnet und dann näher unterscheidet, ob ein Verfahren sich an die psychoanalytischen Methoden anlehnt oder diese weitgehend modifiziert« (Ermann 2004, S. 302).

1.5       TP als spezifisches Verfahren der Psychodynamischen Therapieverfahren

Ob nun der Systematik von Ermann oder den Psychotherapie-Richtlinien folgend, wird im Weiteren die TP als ein spezifisches Verfahren der Psychodynamischen Therapieverfahren eingeordnet. Diese Regelung hat drei Vorteile:

•  Als spezifisches psychodynamisches Therapieverfahren erhält die TP Anschluss an den internationalen Sprachgebrauch.

•  Die weitere Nutzung der Bezeichnung TP hebt die Spezifität der Methode hervor.

•  Die Kompatibilität mit der Definition in den Psychotherapie-Richtlinien bleibt gewahrt.

Unter TP wird ein psychotherapeutisches Vorgehen verstanden, das üblicherweise durch eine Einzelbehandlung mit einer, in Ausnahmefällen für eine begrenzte Zeit auch mit zwei Sitzungen pro Woche durchgeführt wird. Der Umfang der TP-Langzeittherapie beträgt 60 bis maximal 100 Stunden. Die Therapie findet ausschließlich im Sitzen statt. Regressive Prozesse und die Entwicklung einer Übertragungsneurose werden explizit nicht gefördert, gleichwohl spielt die sich auch in diesem Setting entwickelnde Übertragungsbeziehung eine tragende Rolle im Veränderungsprozess ( Kap. 2). In den Psychotherapie-Richtlinien wird die TP in § 14a wie folgt definiert:

»Die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie umfasst ätiologisch orientierte Therapieformen, mit welchen die unbewusste Psychodynamik aktuell wirksamer Konflikte und struktureller Störungen unter Beachtung von Übertragung, Gegenübertragung und Widerstand behandelt werden« (Rüger et al. 2015).

Diese Definition enthält im Vergleich zu früheren – vor 2009 erschienenen – eine sehr wesentliche Erweiterung, nämlich die Aufnahme der strukturellen Störungen in den Indikationsbereich der TP. Das traditionelle Indikationsverständnis richtete sich ausschließlich auf den Nachweis eines aktuell wirksamen neurotischen Konfliktes. Diese Einschränkung stand im Widerspruch zur psychotherapeutischen Alltagsrealität; Konflikt- und Strukturpathologien stehen in einer Ergänzungsreihe und treten selten in »reiner« Form auf. In psychotherapeutischen Praxen finden sich immer häufiger Patienten mit schweren Persönlichkeitsstörungen, Suchterkrankungen, mit psychosomatischen Störungen und Erkrankungen sowie mit anderen Störungsbildern auf einem niedrigen Niveau der Funktionsfähigkeit der psychischen Struktur. Für das strukturorientierte Vorgehen prägte Ermann (2004) wohl als erster den Begriff der modifizierten TP. Aber schon lange vor der an bestimmte Bedingungen geknüpften Übernahme der strukturellen Störungen in den Indikationsbereich der TP werden Sonderformen der TP wie z. B. die Dynamische Psychotherapie (Dührssen 1988) in den Richtlinien benannt, die als solche auch beantragt werden können ( Kap. 2).

Die hier skizzierte Heterogenität der Verfahren/Methoden lässt sich vielleicht am treffendsten mit einer Formulierung Körners einbinden:

»Auch wenn die psychodynamischen Methoden sich inzwischen weit aufgefächert haben, um sehr unterschiedlichen Patienten gerecht werden zu können, blieb das Ziel, das Unbewusste bewusst zu machen, ein zentrales Anliegen aller psychodynamischen Verfahren« (Körner 2016, S. 11 f).

Wie wir noch sehen werden, haben sich allerdings nicht nur die Vorgehensweisen erweitert, sondern auch das Verständnis dessen, was wir als unbewusst verstehen.

1     Wir bevorzugen die Abkürzung »TP« und verwenden nicht die auch gebräuchliche Form »TfP«, um keine Verwechselungen mit der Übertragungsfokussierten Psychotherapie, abgekürzt TFP, aufkommen zu lassen. AP steht als Abkürzung für die Analytische Psychotherapie.

2          Verwandtschaft mit anderen Verfahren und Methoden

 

 

 

Hier könnte man jetzt eine Aufzählung einer Vielzahl psychotherapeutischer Methoden, die heutzutage als psychodynamisch gelten, anführen. Eine Reihe humanistischer Therapien wie z. B. das Psychodrama und die Gestalttherapie würden sich dazurechnen. Um diese Diversifizierungen jedoch im Hinblick auf ihren psychodynamischen Gehalt, so wie er im Kapitel 1 ausgeführt wurde, diskutieren und einschätzen zu können, scheint es geboten, sich einerseits zunächst einmal ausführlicher mit dem Unbewussten als deren gemeinsamer konzeptueller Klammer auseinanderzusetzen und andererseits das Verhältnis der TP zum psychoanalytischen Verfahren bzw. zur AP zu untersuchen.

2.1       Das Unbewusste – ein Plädoyer für das unverzichtbare Paradoxon der Psychodynamischen Psychotherapieverfahren (PDT)

Sicherlich ist dies nicht der Ort, um die berühmt-berüchtigte Common-ground-Debatte der Psychoanalyse darzustellen (vgl. z. B. Thomä 2003; Erlich et al. 2003; Zwiebel 2013), aber dennoch gilt es, dem Unbewussten als dem unverzichtbaren Paradoxon einen gebührenden Stellenwert einzuräumen. Letztendlich war es auch der Nachweis der Wirkungen des Unbewussten sowohl auf die Entstehung psychischer Störungen als auch in deren therapeutischer Bearbeitung, der maßgeblich zur Übernahme der TP und AP als kassenfinanzierte Behandlungen beigetragen hat (Dührssen 1962). Die Vielzahl an modernen störungsorientierten Behandlungskonzeptionen, so begrüßenswert sie auch sein mögen, vermittelt neben massiver theoretischer Konfusion und Überforderung doch auch oft die Illusion einer generellen Machbarkeit im Sinne eines »Was mache ich, wenn …?«. Die Rückbesinnung auf das Unbewusste als Fundament, als »Zentralmassiv der Psychoanalyse« (Gödde und Buchholz 2005, S. 11) und damit auch der Psychodynamischen Psychotherapieverfahren (PDT) schützt davor, in etwas abzugleiten, was man im ungünstigsten Fall schlecht durchgeführte Verhaltenstherapie nennen würde (Boll-Klatt und Kohrs 2018, S. 5). Somit ist die Fragestellung nach einem common ground keineswegs rein theoretischer oder akademischer Natur. Sie berührt sehr zentrale Konsequenzen für die Aus- und Weiterbildung, wenn etwa angesichts der aktuellen Novellierung des Psychotherapeutengesetzes (PsychThG) darüber nachgedacht wird, was Studierende lernen sollen, um sich für eine Approbation in psychologischer Psychotherapie zu qualifizieren ( Kap. 11). Dieses Fundament des Unbewussten entzieht sich aber dem vollen Zugriff der bewussten kognitiven Untersuchung, es fordert stattdessen eine oft schwer erträgliche, letztlich nie abzuschließende Auseinandersetzung im Prozess des Patienten wie des eigenen Selbst in der Therapie und im Lebensprozess:

»Und genau in diesem Bereich ist wohl das Fundament der psychoanalytischen Konzeption bis heute zu sehen: zwischen dem unbedingten Ziel, auch beängstigende, hoch konflikt- und triebhafte Bereiche des menschlichen Seelenlebens offen zu legen, zu benennen und sie in ihren Funktionen wie Dysfunktionen so gut wie möglich zu begreifen – und dem Wissen um den nicht auszulotenden Urgrund des zutiefst irrationalen leiblich-seelischen Bereiches des Unbewussten. Im besten Fall gelingt es dann, das Unheimliche in uns zumindest teilweise zu entschlüsseln, ein Verständnis für das letztlich Un-fassbare zu entwickeln und Inhalte des mystischen, abergläubischen, religiösen voraufgeklärten Kosmos, die zum Grundbestand des menschlichen Seelenlebens gehören, gewissermaßen zurückzuerobern – diesmal aber in einem humanistischen und wissenschaftlichen Kontext« (Gödde und Buchholz 2005, S. 11).

Anhand eines Fallbeispiels sollen diese Überlegungen illustriert werden.

Fallbeispiel: »Nicht mit, aber auch nicht ohne meinen Mann«

Eine 45-jährige Patientin kommt mit einem depressiven Erschöpfungssyndrom in die stationäre Behandlung. Wütend-empört unter Strömen von Tränen der Verzweiflung schildert sie eine hoch belastende eheliche Situation. Ihr Mann sei alkoholabhängig, arbeite zwar, aber gebe bis auf die Miete sein gesamtes Gehalt für Alkohol und Glücksspiele aus. Sie und ihre beiden Kinder müssten weitgehend von dem leben, was sie als Halbtagskraft im Büro eines Rechtsanwalts verdiene. Ihr Mann beleidige sie oft und kritisiere sie heftig. Ständig gebe es Streit mit den Kindern, die sich nicht mehr alles gefallen ließen. So wolle sie nicht mehr weiter mit ihrem Mann zusammenleben; sie wolle in der Klinik die Kraft und den Mut finden, sich von ihrem Mann zu trennen. Sie brauche mehr Selbstvertrauen und verbesserte Fähigkeiten sich durchzusetzen. – Diese Zielsetzungen der Patientin werden zunächst aufgegriffen, allerdings zeigt sich rasch, dass die Patientin auf entsprechende Interventionen sowohl in der Einzel- als auch in der Gruppentherapie immer wieder mit einem »ja, aber …« antwortet und kaum etwas in sich aufnehmen kann. Im Zuge der ersten beiden Behandlungswochen geht es der Patientin eher schlechter als besser, so dass sie überlegt, den Aufenthalt vorzeitig zu beenden, um – rationalisierend – doch lieber für ihre Kinder da zu sein. Erst die vertiefte Beschäftigung mit der biografischen Anamnese ermöglicht einen verbesserten Zugang zu ihr. Rasch lässt sich eine Parallele zwischen Vater und Ehemann ziehen: Auch der Vater sei Alkoholiker gewesen, habe immer viel gearbeitet und seine Kinder eigentlich nur im an- bzw. betrunkenen Zustand gesehen. Die Mutter habe wohl wegen ihrer unglücklichen Ehe schon früh im Leben der Patientin eine Depression entwickelt und habe die Kinder zwar materiell gut versorgt, emotional aber kaum zur Verfügung gestanden. Umso größer ist die Sehnsucht der Patientin nach einem liebevollen Vater gewesen, der ihre ausgeprägte Bedürftigkeit letztendlich aber auch nur enttäuschen konnte. Unbewusst hat die Patientin mit ihrem Ehepartner im Sinne des Wiederholungszwanges die Möglichkeit gesucht, die Wunden von damals zu heilen. Sie ist geleitet von dem Streben, es jetzt zum guten Ende zu führen, sprich, die Alkoholabhängigkeit des Mannes/Vaters zu beenden und dann zu einer Befriedigung ihrer regressiven Wünsche zu gelangen. Die Rationalisierung, sie müsse für die Kinder da sein, ist unterlegt von den eigenen Versorgungswünschen. In unbewusster Identifikation mit den eigenen Kindern versucht die Patientin, eigene frustrierte Bedürfnisse zu befriedigen. Vor diesem Hintergrund wird nachvollziehbar, warum die einseitige Förderung bewusster autonomer Tendenzen entsprechend der von der Patientin geäußerten Zielsetzung nicht zum Ziel führen konnte, weil diese dazu auf ihre abgewehrten infantilen Abhängigkeitsbedürfnisse und Wiedergutmachungswünsche hätte verzichten und anerkennen müssen, dass ihre (kindlichen) Sehnsüchte ungestillt bleiben würden. Nur durch einen intensiven Trauerprozess um das Nicht-Gehabte und Nicht-zu-Habende konnte sich die Patientin dann in der anschließenden ambulanten Einzeltherapie die innerpsychischen Voraussetzungen für eine mögliche Trennung erarbeiten. Die zunächst praktizierte therapeutische Orientierung an den bewussten Zielsetzungen und Behandlungserwartungen musste in Anbetracht der unbewussten Hoffnungen und Ängste zu einer Verstärkung von Widerstand und Abwehr führen.

Das Beispiel veranschaulicht die Bedeutung zweier wichtiger psychodynamischer Konzepte, die untrennbar zusammengehören: das Konzept des (dynamischen) Unbewussten ( Kap. 3) und des biografisch determinierten intrapsychischen Konfliktes. Erst die Bewusstmachung der verdrängten frustrierten kindlichen Bedürfnisse und der Fixierung daran ließ die innerpsychische konflikthafte Situation mit den daraus resultierenden Spannungen bewusst erlebbar werden und bot nun eine völlig veränderte Ausgangssituation für die weitere psychodynamische Behandlungsarbeit. Statt weiter sehnsüchtig die väterliche Zuwendung zu begehren, ging es darum, einerseits die aus den vielen Frustrationen stammenden aggressiven Gefühle zu spüren und zum Ausdruck zu bringen und andererseits Trauer, Enttäuschung und Einsamkeitsgefühlen Raum zu geben. Erst die Anerkennung der traurigen Realität ermöglichte es dem erwachsenen Ich, wirklich eine Wahl zu haben und autonome, flexible Entscheidungen treffen zu können. Das ist gemeint, wenn in dem o. g. Zitat von Gödde und Buchholz von einem humanistischen Kontext die Rede ist. Im Zusammenhang mit der Darstellung des spezifischen therapeutischen Vorgehens in der TP soll dieses Beispiel wieder aufgegriffen werden ( Kap. 5).

2.2       TP als spezifisches psychodynamisches Therapieverfahren und ihr Verhältnis zur AP

Die bisherigen Ausführungen lassen ahnen, dass es nicht ganz einfach ist, die TP als eigenständige Therapiemethode zu beschreiben, ohne die psychoanalytischen Grundlagen zu vernachlässigen. Wöller und Kruse (2015a, S. 15) benennen folgende Gemeinsamkeiten mit der AP:

•  Theorie zur Entstehung und Aufrechterhaltung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen

•  Bedeutung von Einsicht und positiver Beziehungserfahrung für den Heilungsprozess

•  Bedeutung von Widerstand,Übertragung und Gegenübertragung

•  Bedeutung von Neutralität und Abstinenz des Therapeuten

Die Definition der TP in den Richtlinien (Rüger et al. 2015, S. 39 f) ist an der Definition der AP orientiert und kennzeichnet die TP vorwiegend durch Begrenzungen und Einschränkungen wie z. B. die geringere Stundenzahl, die niedrigere Behandlungsfrequenz, die Arbeit mit weniger Regression und Übertragung etc. ( Tab. 2.1). Bereits 2004 veröffentlichte dagegen Ermann einen wegweisenden Artikel, in dem er das Spezifische – und nicht das Begrenzte – der TP herausstellte:

»Die Methode (die TP, Anm. d. Verf.) wird durch mehrere Bestimmungsstücke gekennzeichnet. Die aktuellen psychosozialen Probleme werden als reaktualisierte Konflikte oder Folgen struktureller Defizite in ihrer aktualgenetischen unbewussten Dimension bearbeitet. Dabei haben Aufdeckung und Bearbeitung von Außenübertragungen besondere Bedeutung. Die therapeutische Regression wird begrenzt durch die Gestaltung des Rahmens, Fokussierung auf die psychosoziale Realität und Beschränkung der Übertragung. – Spezifische psychodynamische Interventionsformen, insbes. Deutungen, können mit strukturfördernden oder eklektischen Techniken verbunden werden. Die Orientierung an der unbewussten Dimension des Krankheitsgeschehens ist dabei der zentrale Bezugspunkt der Gesamtstrategie« (Ermann 2004, S. 301).

Auch in aktuellen Lehrbüchern (z. B. Wöller und Kruse 2015, Ermann 2016a) wird die TP zunehmend als eine qualitativ von der AP unterschiedene Behandlungsform und nicht nur als eine verkürzte AP-Variante dargestellt.

Tab. 2.1: Übersicht über die wichtigsten Unterschiede zwischen AP und TP (vgl. z. B. Ermann 2004; Jaeggi und Riegels 2009; Rudolf 2014; Rüger et al. 2015; Wöller und Kruse 2015a)

Analytische PsychotherapieTiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie

Zentrale Merkmale der TP lassen sich wie folgt beschreiben (Ermann 2004):

•  Die Zielsetzung beinhaltet die Verminderung oder Beseitigung der aktuellen Störung.

•  Die Methodik zentriert auf die Bearbeitung der unmittelbar störungsrelevanten Psychodynamik bzw. Strukturaspekte im Sinne eines methodischen Behandlungsfokus.

•  Die Behandlungsstrategie arbeitet mit einer Technik (Rahmen, Haltung und Interventionsform), welche regressive Prozesse vermeidet oder eingegrenzt.

Die bisherigen Ausführungen betonen zwar die Gemeinsamkeiten im Hinblick auf die Persönlichkeitstheorie und die Krankheitslehre, stellen aber auch die Unterschiede in der Praxeologie heraus und entsprechen damit den Festlegungen der Richtlinien. Wenn man nun jedoch nicht über die Einhaltung der Psychotherapie-Richtlinien wachen muss, sondern sich konzeptuell am konkreten Vorgehen orientiert, kommen einige Autoren auch zu anderen Einschätzungen (z. B. Körner 2016). Mertens (2009) greift diese Überlegungen auf und weist darauf hin, dass in der Praxis eher von einem Kontinuum mit gleitenden Übergängen auszugehen ist. Der Autor bezweifelt die Praxistauglichkeit der theoretischen Grenzziehung zwischen der Arbeit im Hier und Jetzt und derjenigen mit regressiven übertragungsneurotischen Prozessen:

»Ob und wie eine regressive Übertragungsneurose in der analytischen Psychotherapie mittels spezifischer Erkenntnishaltungen und Interventionsmodi tatsächlich hergestellt werden kann oder ob dies nicht einer der vielen Mythen einer vergangenen psychoanalytischen Epoche ist, müsste empirisch sorgfältig geklärt werden« (Mertens 2009, S. 219).

Als ein weiteres Argument gegen die inhaltliche Aufteilung der Verfahren führt Mertens an, dass auch in einer AP Vorgehensweisen stattfinden, die früher als unanalytisch galten wie die Bestätigung kleinster Lernfortschritte, die Förderung und Stärkung der Ich-Funktionen sowie supportive Interventionen.

Abb. 2.1: Kontinuum der psychoanalytisch begründeten Therapieverfahren (modifiziert nach Jungclaussen 2013, S. 25)

Die Abbildung zeigt, wie ein analytisches Kontinuum der Verfahren und Methoden gedacht werden könnte, das nicht den Fokus auf die Abgrenzung, sondern auf die fließenden Übergänge legt ( Abb. 2.1).

Im Kapitel 5 soll versucht werden, das breite Spektrum der Praxeologie moderner TP zu zeigen; in Kapitel 6 soll dies dann an einem Fallbeispiel veranschaulicht werden. Die Entscheidung der auf konzeptueller Ebene angesiedelten Frage, ob es »so etwas wie eine Tiefenpsychologisch fundierte Therapie eigentlich gibt« ( Kap. 1), soll letztendlich dem Leser überlassen bleiben.

2.3       Besondere Methoden bzw. Sonderformen der TP laut Richtlinien

Ausgehend von deren klinischer Bedeutung müsste als erstes eine differenzierte Beschreibung unterschiedlicher psychoanalytischer und tiefenpsychologisch fundierter Gruppentherapien erfolgen. Da der Gruppentherapie aber ein kompletter Band im Rahmen dieser Reihe gewidmet ist, sei an dieser Stelle nur auf das von Heigl-Evers und Heigl (1994) entwickelte sog. Göttinger Modell verwiesen. In Abhängigkeit von der Schwere der Störung der zu behandelnden Patienten und der Regressionstiefe der therapeutischen Arbeit kommt demnach entweder psychoanalytische, psychoanalytisch orientierte oder die psychoanalytisch-interaktionelle Gruppentherapie bzw. die Psychoanalytisch-Interaktionelle Methode (PIM; Streeck und Leichsenring 2009) zur Anwendung. Auf die PIM wird in Kapitel 5.2. im Zusammenhang mit störungsorientierten strukturbezogenen Behandlungsansätzen eingegangen.

Richten wir jetzt wieder den Blick auf das einzeltherapeutische Setting, wie es in den Psychotherapie-Richtlinien geregelt wird, so finden wir eine Reihe besonderer Methoden innerhalb des Verfahrens TP, die quasi als Verwandte gelten und als solche auch beantragt werden können (Rüger et al. 2015, S. 43 ff; Diekmann et al. 2018):

1.  »Dynamische Psychotherapie« nach Dührssen (1988)Bei dieser Behandlungsform handelt es sich um eine dialogische Psychotherapie, bei der das bedeutungsvolle Erlebnismaterial der Patienten sowohl im freien Einfall als auch durch klärende und stimulierende Fragen der Bearbeitung zugänglich gemacht wird. Bei einem sehr flexiblen Arrangement des Settings hinsichtlich der begrenzten Zahl der Behandlungsstunden wird dem Patienten die notwendige Zeit für seine innere Entwicklung und Umstellung gelassen. So gesehen, kann die Dynamische Psychotherapie als Vorläufer der modifizierten TP angesehen werden. Sie richtet sich ausdrücklich nicht an Patienten, die ein relativ hohes Maß an Ich-Stärke bzw. eine gut integrierte Funktionsfähigkeit der psychischen Struktur aufweisen, sondern an Patienten, die mit der psychoanalytischen Standardmethode nicht erreicht werden könnten (Wöller und Kruse 2015a, S. 11).

2.  Kurz- und fokaltherapeutische MethodenDiese zeichnen sich durch eine strikte Orientierung an einem Therapiefokus aus und lassen sich durch ein aktives konfrontativ-deutendes Vorgehen kennzeichnen. Voraussetzung zur Anwendung dieser Methoden ist die vom Patienten und Therapeuten zu erarbeitende und gemeinsam zu findende Definition des bewusstseinsfähigen Fokus eines neurotischen Konfliktkerns, der erkannt und gedeutet werden muss. Zu dieser Gruppe gehören z. B. die fokale Psychotherapie (Balint et al. 1973), die »Intensive Kurztherapie« (1963) und die »Intensive Psychodynamische Kurztherapie« (Davanloo 2001; Gottwik 2009; Tröndle 2005). Die Durchführung dieser Therapieformen, die nicht mit der analytischen Fokaltherapie verwechselt werden sollten, setzt eine umschriebene Konfliktproblematik, eine gute Ich-Stärke, eine eindeutige Therapiemotivation und ein tragfähiges Arbeitsbündnis voraus.

3.  Katathymes Bilderleben (KB)Das KB kann im Rahmen eines übergeordneten tiefenpsychologisch fundierten Therapiekonzeptes als Ergänzung zum sprachbezogenen Vorgehen angewendet werden, wenn der Patient sich auf eine verbale therapeutische Interaktion aufgrund seiner Struktur oder der Art der Störung nur schwer einstellen kann bzw. ihm aus gleichen Gründen der Zugang zu innerseelischen Vorgängen erschwert ist (Rüger et al. 2015, S. 45). Zu beachten ist die Veränderung der therapeutischen Beziehungssituation: Während sich in der klassischen TP Patient und Therapeut auf der gleichen verbalen intersubjektiven Kommunikationsebene unter Beachtung von Übertragung, Gegenübertragung und Widerstand befinden, initiiert der Therapeut beim KB eine Vorstellung und wird damit zum Handelnden, zu einem »Anreger«, und der Patient zu einem Objekt der Anregung, d. h. zu einem Aufnehmenden und Antwortgebenden (ebd.). Daraus entsteht dann eine veränderte gemeinsame Bearbeitungsebene, die etwas Drittes, nämlich die Inhalte der Imagination, zum Inhalt haben.

4.  Niederfrequente Therapie in einer längerfristigen, Halt gewährenden therapeutischen BeziehungDiese Sonderform der TP beinhaltet supportive Behandlungsansätze mit reparativer, entwicklungsfördernder Funktion, die für Patienten mit ausgeprägter Ich-Schwäche, mit Motivationsproblemen und/oder fehlender Psychogenese-Einsicht indiziert sein können. Das Kontingent von maximal 100 Stunden à 50 Minuten wird flexibel verteilt, oft in 14-tägigen oder monatlichen Intervallen. Bei einer Verkürzung auf 25 Minuten kann die Therapie auf bis zu 200 Sitzungen ausgedehnt werden. Die Beschränkung des Therapieziels richtet sich eher darauf, durch supportive Interventionen ein weiteres Absinken des psychischen Funktionsniveaus zu verhindern und damit z. B. stationäre Aufnahmen zu vermeiden, als auf eine umfassende Besserung des psychischen Zustandsbildes (Wöller und Kruse 2015a, S. 12 f). In einer langfristigen und haltgewährenden Beziehung steht der Ausbau von Kompetenzen in der Gestaltung und Regulierung von Beziehungen sowie zur Handhabung und Tolerierung von auftretenden Spannungen eindeutig im Vordergrund. Der psychoanalytische Ansatz fungiert dabei als Basis für das Verständnis der Pathologie und Beziehungsregulierung, findet aber keinen direkten Ausdruck in den Interventionen (Ermann 2016a, S. 543).

5.  TP als Kurzzeittherapie (KZT)Diese methodisch nicht näher bestimmte Therapieform, die in zwei Schritte unterteilt ist und maximal 24 Stunden umfasst, kann sowohl zur Krisenintervention als auch zur Überprüfung der Indikation für eine Langzeit-TP genutzt werden. Häufig fallen beide Zielrichtungen zusammen, wenn sich z. B. zeigt, dass eine psychische Krise nicht nur Anteile einer reaktiven, sondern auch einer Konflikt- und/oder Strukturpathologie ( Kap. 3) beinhaltet.

6.  AkutbehandlungDie ab 01.04.2017 gültige Neuformulierung der Psychotherapie-Richtlinien (Diekmann et al. 2018) sieht eine sich an die psychotherapeutische Sprechstunde anschließende Akutintervention von max. 12 Sitzungen á 50 oder 24 Sitzungen á 25 Minuten vor. Diese Akutbehandlung ist eine zeitnahe, spätestens 14 Tage nach Indikationsstellung beginnende psychotherapeutische Intervention zur Entlastung von akuter Symptomatik. Sie dient keinesfalls einer umfassenden Bearbeitung der zugrundeliegenden ätiopathogenetischen Einflussfaktoren. Sie zielt auf eine Krisenintervention und Erst-Stabilisierung der Patienten ab, insbesondere auch dann, wenn nicht sofort ein Therapieplatz zur Verfügung steht.