Tinnitus loslassen - Annette Nowak - E-Book

Tinnitus loslassen E-Book

Annette Nowak

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Beschreibung

Ohrgeräusche erfolgreich ausblenden

Stress, ein Hörsturz, emotionale Belastungen, Schwerhörigkeit oder häufige Mittelohrentzündungen sind meist die Auslöser von Tinnitus. „Geht das denn nie wieder weg?“ ist die bange Frage vieler Betroffener. Aus der Neurowissenschaft weiß man heute, dass die Geräusche nicht im Ohr selbst, sondern im Gehirn entstehen. Nur wenn dieses Organ in die Therapie einbezogen wird, ist eine Linderung möglich. Die selbst betroffene Autorin ist in ihrer Praxis seit vielen Jahren auf die psychologische Beratung von Tinnitus-Betroffenen sowie auf die Tinnitusbewältigung spezialisiert. In diesem Ratgeber bringt sie die bahnbrechenden Erkenntnisse der Hirnforschung verständlich auf den Punkt und zeigt, wie Sie diese ganz praktisch in Ihren Alltag integrieren.

Selbsthilfeprogramm für innere Ruhe

  • Machen Sie Ihr Gehirn zum Verbündeten: Wie Sie Ihren Vagusnerv aktivieren, Ihr „Inneres Kind“ stärken oder welche Potentiale in der Polyvagal-Theorie liegen.
  • Großer Praxisteil: Mit vielen Übungen und konkreten Beispielen mehr Ruhe in Ihren Alltag bekommen. Die Erste-Hilfe-Notfallschirme bringen sofortige Linderung im Akutfall.
  • Mit mutmachenden Berichten: Lassen Sie sich von den Erfahrungen anderer Betroffener inspirieren und motivieren und gewinnen Sie mehr Selbstsicherheit.

Gewinnen Sie wieder die Kontrolle über Ihr Leben!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 164

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Tinnitus loslassen

Neueste Erkenntnisse aus der Gehirnforschung umsetzen. Praktische Übungen: zur inneren Ruhe finden

Annette Nowak

1. Auflage 2025

5 Abbildungen

Geleitwort

Dies ist ein großartiges Buch! Und es hebt sich ab von allen vorliegenden Ratgebern. Aus der Geschichte ihres eigenen Tinnitus heraus hat sich Annette Nowak privat und dann beruflich in die Komplexität des Themas eingearbeitet. Dadurch entsteht eine besondere Symbiose von patientennahem Erleben, ganz aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und evaluierten Therapien, die sie hier spannend lesbar darstellt. Frau Nowak begibt sich dabei nicht auf das Glatteis wissenschaftlicher oder psychologischer Gedankenmodelle und Hypothesen, sondern in die Tiefe unserer Persönlichkeitsentwicklung mit den gelernten Bewältigungsstrategien, die uns im (Tinnitus-)Krisenfall helfen – oder eben »im Regen« stehen lassen können, dem Tinnitus »ausgeliefert«.

Auf ihre einfühlsame Art stellt sie treffend dar, was im Kopf des von Tinnitus Betroffenen passiert und warum Tinnitus nicht einfach verdrängt werden kann: Denn fast immer bringt er einen »Rucksack« voller aktueller und alter Erfahrungen mit, von denen er sich nun lösen kann. Darin liegt eine große Chance!

Eingebettet in die wahren Geschichten ihrer Klientinnen und Klienten werden die Lösungsmöglichkeiten nachvollziehbar dargestellt und motivieren unmittelbar dazu, aus dem Tinnitus-Problem heraus aktiv eine Zukunft voll neuer Lebenslust zu gestalten!

Dies macht das Buch so wertvoll. Seien Sie neugierig!

Dr. med. Eberhard Biesinger

Facharzt für HNO-Heilkunde, Buchautor, Präsident der European Federation of Tinnitus-Associations

Liebe Leserin, lieber Leser,

Tinnitus: Das hört sich erst einmal schlimm an. Ist es auch, wenn man sich alleingelassen fühlt und nicht weiß, wie man damit umgehen soll. Ich persönlich habe im Umgang mit meinem Tinnitus anfangs so ziemlich alles falsch gemacht, was man nur falsch machen kann. Die Tinnitus-Forschung steckte noch in den Kinderschuhen, von den neuesten Erkenntnissen der Hirnforschung, die diesem Buch zugrunde liegen, noch keine Spur. Und Literatur über Tinnitus war so selten wie ein Wasserloch in der Wüste. Im ersten Kapitel dieses Buches erfährst du, wie die Geschichte mit meinen Ohren ausging. Nur so viel vorweg: besser, als ich jemals zu träumen gewagt hatte.

Erst wenn wir eine Krise bewältigt haben und an der Herausforderung gewachsen sind, erkennen wir, welche Chance uns das Leben damit geboten hat. Ich habe über meine damaligen leidvollen Erfahrungen meine Berufung gefunden und 1996 in München meine eigene Praxis, spezialisiert auf psychologische Tinnitus-Beratung und -Retraining, eröffnet.

In mehr als 25 Jahren Praxistätigkeit mit Hunderten von Tinnitus-Klient*innen habe ich reichlich Fachwissen und Erfahrungen sammeln dürfen. Es ist mir ein Herzensbedürfnis, mit diesem Buch meine Erkenntnisse mit möglichst vielen Menschen zu teilen. Sei dir indes bewusst: Das Lesen eines Buches ersetzt keine Therapie und auch nicht die medizinische Abklärung in einer HNO-Praxis.

Anfangs war ich selbst überrascht, wie schnell es Betroffenen besser geht, wenn sie beizeiten solide Informationen an die Hand bekommen, die psychologischen Zusammenhänge verstehen und sich mit Impulsen zur Selbstreflexion selbst besser kennenlernen. Je besser wir die Signale unseres Körpers verstehen und je mehr wir uns unseren eigenen Bedürfnissen wohlwollend zuwenden, desto leichter ebbt das Leiden am Tinnitus ab. Versprochen!

Wie ein Damoklesschwert schwebt über sehr vielen Betroffenen die Frage: Was, wenn der Tinnitus bleibt? Der Gedanke beunruhigt und deprimiert. Die Folge: Unser Körper gerät in Stress. Unabhängig vom Stress durch Tinnitus gilt ein stressvoller Lebensstil als Tinnitus-Auslöser Nummer eins. Stehen wir als Erwachsener vor einer unlösbar scheinenden Herausforderung wie dem Tinnitus, wird unser sogenanntes »Inneres Kind« – ein wesentlicher Bestandteil unseres Unterbewusstseins – aktiv. Solltest du vom Inneren Kind noch nichts gehört haben, ist das kein Problem. Du wirst es in meinem Buch kennenlernen und erfahren, was Tinnitus mit unseren bereits in der Kindheit geprägten Mustern zu tun haben kann. Bleib also neugierig, es lohnt sich! Theoretische Grundlagen werden in diesem Buch von mir leicht verständlich und mit konkreten Beispielen anschaulich erklärt.

Mit Kapitel 6 beginnt der praktische Teil des Buches mit vielen Beispielen, Inspirationen und im Alltag leicht durchführbaren Übungen. Hier finden die neuen Erkenntnisse aus der Hirnforschung über Stress und Tinnitus praktische Anwendung.

Betroffene können ihren Tinnitus nach und nach völlig ad acta legen und ein rundum zufriedenes Leben führen! Das ist keine Utopie, sondern real. Denn Körper und Psyche halten alle wundervollen Grundlagen dafür von Natur aus bereit. Du selbst kannst sie aktivieren und entfalten. Dieses Buch steht dir dabei als verlässlicher Ratgeber und Begleiter zur Seite.

Nun wünsche ich dir viel Freude, aufschlussreiche »Aha«-Momente und Inspiration beim Lesen!

Annette Nowak

Inhaltsverzeichnis

Titelei

Geleitwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

1 Tinnitus: Der ungebetene Gast

Du bist nicht allein

Mein Tinnitus und ich

Erste therapeutische Maßnahmen

Das Ende meiner Ärzte-Odyssee

Familie und Freunde – meine größten Mutmacher

Erste-Hilfe-Koffer bei Tinnitus

An jedem Ohr hängt der ganze Mensch

Stress: Tinnitus-Auslöser Nummer eins

Tinnitus als Folge von beruflichem Stress

Stress macht krank und blockiert das Denken

Nicht alle Menschen reagieren auf Belastungen gleich stark

2 Stress und Tinnitus in der Hirnforschung

Die Selbstregulierung des autonomen Nervensystems

Das autonome Nervensystem in der Polyvagal-Theorie

Neurozeption – das System zur Einschätzung von Gefahren

Die Antagonisten Sympathikus und Parasympathikus

1. Der dorsale Vagusast des Parasympathikus

2. Der ventrale Vagusast: unser soziales Nervensystem

Tinnitus bei einem dysregulierten Nervensystem

1. Wenn das autonome Nervensystem in Schieflage ist

2. Wenn frühe Erlebnisse das autonome Nervensystem prägen

Anzeichen für ein dysreguliertes autonomes Nervensystem

Woher kommen die Ohrgeräusche eigentlich?

Frühere Erklärungsversuche in der Medizin

Tinnitusforschung heute

Das Gedächtnis merkt sich alles von Bedeutung

Teile des limbischen Systems: Seepferdchen und Mandelkern

Warum wir uns an falsche Versprechungen klammern

3 Was unsere Persönlichkeit prägt

Das Innere Kind

Der Innere Erwachsene und der Nörgler

Die ersten Lebensjahre sind entscheidend

Innere Autonomie gibt uns Selbstvertrauen

Inneres Sonnenkind und Schattenkind

Das Innere Sonnenkind: Die Welt ist ein freundlicher Ort

Das Innere Schattenkind: Die Welt, ein unsicheres Pflaster

Anpassung und Leistungsdruck von frühester Jugend an

Die gute Nachricht: Es ist nie zu spät

4 Schatten der Kindheit und der Tinnitus

Wenn die Ohren dichtmachen

Die Krux mit den Notlösungsstrategien

Perfektionismus: Notnagel fürs Selbstwertgefühl?

Niklas’ verinnerlichte Glaubenssätze

Perfektionismus trifft Tinnitus

Wenn Vergleiche zu permanentem Druck führen

Andere Notlösungsprogramme des Inneren Kindes

5 Umgehen mit Tinnitus

Vom kämpferischen Umgang mit Tinnitus

Hilfreich zu Beginn: die Ausschlussdiagnose

Nicht empfehlenswert: Ohrstöpsel

Stress führt zu Denkblockaden

Ein »innerer Sklaventreiber« tut bei Tinnitus nicht gut

Glaubenssätze des Inneren Schattenkindes

Die Sichtweise des Inneren Schattenkindes

Vom befreienden Umgang mit Tinnitus

Weniger Arztbesuche

Lerne, die Ohrgeräusche zu akzeptieren

Das Innere Sonnenkind besitzt ein Urvertrauen

Glaubenssätze des Inneren Sonnenkindes

Glaubenssätze wahrnehmen, enttarnen und umwandeln

Schritt 1: Negative Glaubenssätze bewusst wahrnehmen

Schritt 2: Negative Glaubenssätze enttarnen

Schritt 3: Negative Glaubenssätze umwandeln

6 Was du tun kannst und was hilft

Einen Perspektivwechsel vornehmen

So änderst du deine Perspektive

Dem inneren Widerstand auf die Spur kommen

Wovor könnte dich dein innerer Widerstand schützen wollen?

Inneren Widerstand bewusst erleben

Tinnitus loslassen: Vier Etappen der »Heilung«

Etappe 1

Etappe 2

Etappe 3

Etappe 4

Fünf brennende Fragen von Klient*innen

1. Wie schaffe ich es, mich vom Tinnitus abzulenken?

2. Warum bekomme ausgerechnet ich Tinnitus?

3. Warum bekomme ich ausgerechnet jetzt Tinnitus?

4. Warum ist mein Tinnitus gleich beim Aufwachen so laut?

5. Warum habe ich Schuldgefühle wegen des Tinnitus?

Fünf Schritte zum Umgang mit Schuldgefühlen am Beispiel Leon

7 Dein Tinnitus-Fallschirm für alle Fälle

1. Fallschirm: Slow down mit allen Sinnen

Inspirationen für den Tastsinn

Inspirationen für den Sehsinn

Inspirationen für den Geruchssinn

Inspirationen für den Geschmackssinn

Inspirationen für den Gehörsinn

2. Fallschirm: Von Grau zu Bunt

3. Fallschirm: Waldbaden − raus in die Natur

4. Fallschirm: Mal abschalten − digitaler Detox

Die Sehnsucht nach Stille

Kleines Ritual: digitaler Detox

5. Fallschirm: Nicht immer hat es mit dir zu tun

6. Fallschirm: Bewusste Atmung

7. Fallschirm: Lachen setzt heilsame Kräfte frei

8. Fallschirm: Warum Dankbarkeit glücklich macht

Dankbarkeit sollte keine Pflicht sein

Wofür ich persönlich Dankbarkeit empfinde

Von ganzem Herzen Dank

Quellenangaben

Autorenvorstellung

Sachverzeichnis

Impressum/Access Code

1 Tinnitus: Der ungebetene Gast

Plötzlich sind sie da, die Ohrgeräusche. Bei vielen klopfen sie nur leise an, um sich kurz darauf wieder zu verabschieden. Bei anderen klingeln sie Sturm oder werden zum ungebetenen, pfeifenden, brummenden oder zischenden Dauergast. Fast alle Betroffenen reagieren zunächst irritiert und versuchen häufig, die Geräuschquelle – die nur sie selbst wahrnehmen – im Außen zu verorten. Tinnitus löst Angst aus und wirft Fragen auf. Bin ich krank? Was muss ich tun? Was, wenn der bleibt?

Du bist nicht allein

Weltweit sind etwa 740 Millionen Menschen von Tinnitus betroffen, berichtet eine 2022 im Journal of the American Medical Association veröffentlichte Metastudie  ▶ [1]. In Deutschland ist es etwa jeder Zehnte und rund 1,5 Millionen Menschen sind von ihrem Tinnitus so beeinträchtigt, dass sie therapeutische Hilfe brauchen. Allerdings stellt der Tinnitus nicht für alle Betroffenen ein gravierendes Problem dar. Ich gehörte, wie vermutlich auch du, liebe Leserin, lieber Leser, zunächst nicht zu dieser Fraktion. Mich haben meine Ohrgeräusche gewaltig genervt. Was ich persönlich alles lernen durfte, bis ich meinen Tinnitus schließlich ad acta legen konnte, erfährst du jetzt.

Mein Tinnitus und ich

Genau an meinem zweiunddreißigsten Geburtstag, mitten in der Examenszeit und mit beginnendem Hörverlust, der mir bis dahin nicht aufgefallen war, hörte ich erstmals meine Ohrgeräusche. Bei mir trafen gleich zwei Hauptursachen für Tinnitus aufeinander: anhaltender Stress und Schwerhörigkeit. Beide rangieren als Auslöser für Ohrgeräusche in den Statistiken ganz weit oben. Vielleicht als Laune der Natur setzen sich die Ohrgeräusche bei Schwerhörigkeit oft genau auf die Frequenzen, die wir nicht mehr gut hören können. Tinnitus macht uns jedoch nicht schwerhörig – eine Befürchtung, die ich von vielen Klient*innen immer wieder höre.

Erste therapeutische Maßnahmen

Wie wohl unzählige Menschen vor mir suchte ich als Erstes einen HNO-Arzt auf. Er teilte mir mit, dass ich Ohrgeräusche hätte, was ich leicht nachvollziehen konnte, da das Brummen und Zischen laut und vernehmlich in meinen Ohren tönte. Dann hängte er mich an den »Tropf« und verschrieb mir Tebonin zur Durchblutungsförderung. Damals glaubte man noch, Ohrgeräusche würden durch eine Durchblutungsstörung des Innenohrs verursacht. Heute sehen Wissenschaftler Durchblutungsstörungen nicht mehr als Hauptursache der Ohrgeräusche an. Die Haarzellen werden nicht durchblutet, sondern mit Endolymphe, einer kaliumreichen Flüssigkeit, versorgt, so Professor Dr. Gerhard Hesse  ▶ [2]. In medizinischen Studien wurde zudem festgestellt, dass Tebonin, das auch unter dem Namen »Ginkgo Biloba« angeboten wird, bei Tinnitus keinen nachweisbaren Nutzen gegenüber einem Placebo hat  ▶ [3]. Allerdings wusste ich das zu dieser Zeit noch nicht. Ich nahm reichlich Tebonin zu mir. Meine Ohrgeräusche blieben. Dennoch weiß ich nicht, wie es mir psychisch ergangen wäre, hätte man mich ohne etwas nach Hause geschickt.

Anfangs litt ich unter heftigen Schlafstörungen, weil ich die nächtliche Ruhe darauf verwandte, meinen Ohrgeräuschen zu lauschen und mir Sorgen zu machen. Ich gab jedoch dem Radau in meinen Ohren die Schuld daran und war mir nicht bewusst, dass ich selbst mit meinem nächtlichen Lauschen und Grübeln mein Gehirn wachhielt. Längst nicht alle Menschen mit Ohrgeräuschen leiden unter Schlafstörungen.

Auf meine völlige Übermüdung folgten Konzentrationsprobleme bei der Arbeit und ich beschloss einmal mehr: Dieser Störenfried muss verschwinden, aber pronto! Also suchte ich einen zweiten HNO-Arzt auf. Doktor »zwei« sagte zu mir: »Frau Nowak, Sie haben Tinnitus.« Heute ist Tinnitus für viele ein Begriff, vor dreißig Jahren war das noch anders. Hätte er mir gesagt: »Sie haben Krebs«, hätte ich mich wahrscheinlich nicht wesentlich anders gefühlt. Ich war sprachlos und wie betäubt. Leider erfolgte seitens des Arztes keinerlei Aufklärung.

Das Ende meiner Ärzte-Odyssee

Deshalb wandte ich mich an die Deutsche Tinnitus-Liga und wurde dort Mitglied. Endlich erhielt ich umfangreiche Informationen auf dem damals neuesten Stand der Wissenschaft, was für mich ein Segen war. Aus Angst vor einem chronischen Tinnitus und mit immer neuen Verdachtsdiagnosen und Überweisungen ausgestattet, wanderte ich zunächst weiter von Behandler zu Behandlerin: zahnärztliche Untersuchung, Akupunkturbehandlung, Massagen der Halswirbelsäule, eine homöopathische Behandlung und schließlich eine Klangtherapie nach »Tomatis«, die sehr erfolgreich bei Tinnitus sein sollte. Mir wurden Der kleine Prinz und Beethovens Fünfte Symphonie – speziell für meine Ohrgeräusche aufbereitet und gefiltert – per Kopfhörer ins Ohr gespielt. Beethoven entspannte mich ein wenig, Der kleine Prinz brachte mich zum Lachen. Meine Ohrgeräusche hingegen blieben unbeeindruckt.

Von zahlreichen Behandlungsversuchen müde und arm geworden, hörte ich endlich auf, gegen mein Pfeifen und Brummen anzukämpfen, und überließ mich, ohne mir dessen bewusst zu sein, endlich den natürlichen Selbstheilungsmechanismen meines Körpers. Heute weiß ich: Unser Körper ist ein Wunderwerk mit einem hochkomplexen Wahrnehmungssystem. Dieses Wahrnehmungssystem im Gehirn entscheidet im Bruchteil einer Sekunde, welche der unzähligen Sinneseindrücke, die wir permanent aufnehmen, wir wahrnehmen. Andernfalls würde der Mensch durch die Fülle von Eindrücken in seinem Handeln und Agieren völlig lahmgelegt – vergleichbar einem durch Überlastung abgestürzten Computer.

Unter den richtigen Bedingungen, von denen in diesem Buch die Rede sein wird, kann unser Wahrnehmungssystem im Gehirn die neuen Geräusche im Ohr genauso ausblenden wie alle Körpergeräusche, die uns schon seit unserer Geburt begleiten, etwa unser Atemgeräusch oder Schluckgeräusch.

Ganz schön laut: unsere Körpergeräusche

Starte einen kleinen Versuch und lausche ganz bewusst deinem Schluckgeräusch. Es ist verdammt laut und übertönt mit 30 Dezibel die meisten Ohrgeräusche. Dennoch stört es uns in der Regel nicht. Ein Wald in Stille hat übrigens immer noch 10 Dezibel. In unseren Breiten gibt es keine vollkommene Stille.

Hätte ich bereits früher über dieses Wissen verfügt, wäre mir viel Leid erspart geblieben und ich hätte meine große Angst davor, dass mein Tinnitus chronisch wird, gut in den Griff bekommen. Zudem hatte ich mich viel zu lange geziert und einfach nicht den Mumm aufgebracht, Hörgeräte zu tragen. Zu meiner Verteidigung muss ich erwähnen: Vor dreißig Jahren waren erschwingliche Hörgeräte längst nicht so stylisch und technisch ausgereift wie heute. Meine rasant fortschreitende Schwerhörigkeit zwang mich jedoch schlussendlich dazu, mir Hörgeräte anpassen zu lassen. Sie erleichterten nicht nur die Kommunikation mit meinen Mitmenschen, sondern brachten auch im Hinblick auf meine Ohrgeräusche einen unerwarteten Effekt: Ich konnte Töne und Geräusche aus der Umwelt für meine Verhältnisse jetzt wieder relativ gut hören.

Ich gewöhnte mir an, so oft wie möglich im Wald und an einem nahegelegenen Bach spazieren zu gehen und bei Vogelgezwitscher, Wind und Wassergeplätscher zu entspannen. Es ist ein Geschenk, ein Stück Natur bewusst wahrzunehmen und zu spüren. Meine Spaziergänge in der Natur blieben nicht ohne Wirkung. Schließlich liefen die wohltuenden Naturtöne meinen immer gleich tönenden Ohrgeräuschen den Rang ab und ich genoss die Ausflüge in die Natur in vollen Zügen.

Das Wiedererlangen meiner Hörfähigkeit, nach inzwischen an völligem Hörverlust grenzender Schwerhörigkeit, verdanke ich dem damaligen Oberarzt einer Klinik in Nordrhein-Westfalen. Er hörte auf seine innere Stimme. Einen Tag vor meiner Abreise aus der Klinik schickte er mich zum Hörtest. Die Testregler wurden bis zum Anschlag hochgefahren und plötzlich konnte ich Töne hören. Die Diagnose »Innenohrschwerhörigkeit«, die von vier Ärzten in drei Städten und trotz vieler Hörtests immer wieder übernommen worden war, war eine Fehldiagnose und damit hinfällig. Ich litt an einer operablen Mittelohrschwerhörigkeit, einer Otosklerose▶ [4]. Bei meinem ersten Wannenbad nach der Operation schien es mir, als stünde ich unter den Niagarafällen, so laut toste das einlaufende Badewasser in meinen Ohren.

Familie und Freunde – meine größten Mutmacher

Erst später begriff ich wirklich, welch liebevolle Toleranz und welche enormen Kompensationsleistungen mein Freundeskreis für mich und den Erhalt unserer Beziehung erbracht hat. Meine beste Freundin beispielsweise lief bei den Spaziergängen immer wieder um mich herum, um rechts neben mir zu gehen − auf meinem rechten Ohr konnte ich besser hören. Besuchten wir ein Café, setzten sich meine Freund*innen x-mal um, da ich in der Nähe der plötzlich zischenden Kaffeemaschine oder in der Nähe eines Musiklautsprechers völlig nervös wurde. Trotz aller Bemühungen verlief unsere Kommunikation, wie alle hochgradig schwerhörigen Menschen gut nachvollziehen werden, äußerst kompliziert, schleppend und ermüdend. Ich musste unzählige Male nachfragen und Freund*innen waren gezwungen, unzählige Male zu wiederholen, was sie gesagt hatten. Oft gab ich auf. Mein Freundeskreis und meine Familie waren in dieser Zeit meine größten Mutmacher. Sie holten mich immer wieder aus den Phasen von Selbstisolation heraus. Ohne diesen Rückhalt wäre ich damals völlig verzweifelt.

Doch das Blatt sollte sich bald zum Positiven wenden. Ich wurde vom Professor der HNO-Klinik in München operiert, der diese damals noch recht riskante Operation einer beidseitigen Stapedektomie▶ [5] immer selbst durchführte, ganz gleich, ob es sich bei dem Kranken um eine Kassenpatientin oder einen Privatpatienten handelte. Es war ein Arzt mit einem hohen Berufsethos und enormen Verantwortungsbewusstsein. Der Erfolg der Operation war für uns alle überwältigend. Ich benötigte überhaupt keine Hörgeräte mehr! Die Welt der Hörenden hatte mich wieder. Für mich begann ein neues, wunderbares Leben, sowohl privat wie beruflich. 1996 eröffnete ich meine Praxis, spezialisiert auf psychologische Tinnitusberatung und -Retraining. Zahlreiche Kooperationspartner haben zum Gelingen und Erfolg mit beigetragen.

Meine Ohrgeräusche sind übrigens nach wie vor vorhanden, jedoch für mein Wohlbefinden völlig bedeutungslos geworden. Nur manchmal höre ich ihnen aus völlig freien Stücken aufmerksam zu − um mich immer wieder gut in meine Klient*innen hineinversetzen zu können.

Erste-Hilfe-Koffer bei Tinnitus

Aus meiner persönlichen Geschichte konntest du bereits eine ganze Reihe von Informationen ziehen. Auch die nachfolgenden Fakten können dir nach dem ersten Auftreten der Ohrgeräusche helfen, ängstigende Fehlinformationen oder Mythen über Tinnitus über Bord zu werfen und mehr Sicherheit zu erlangen.

Ohrgeräusche ohne äußere Schallquelle können kommen und gehen. Das muss dich nicht sofort beunruhigen. Jeder Mensch nimmt hier und da mal Ohrgeräusche wahr, ohne dass es dafür einen akustischen Auslöser gibt. Bei ca. 80 Prozent der Betroffenen verschwinden die Ohrgeräusche wieder.

Tinnitus ist nicht gefährlich und schon gar nicht lebensbedrohlich. Ich spreche in meiner Praxis daher grundsätzlich von einem »frischen Tinnitus« (Ohrgeräuschen) und nicht von einem »akuten Tinnitus«. Das Wort »akut« steht für die meisten Menschen in einer eher ängstigenden Assoziationskette z. B. mit einer akuten Blinddarmentzündung oder einer Notfallsituation. Daher finde ich die Bezeichnung »akut« hier nicht geeignet.

Welche Ursachen gibt es für Tinnitus? Diese können sehr vielfältig sein. Dauerstress, emotionale Belastungen, ein Hörsturz und Höreinbußen rangieren ganz weit vorne. Oft kann dem Tinnitus keine eindeutige Ursache zugeordnet werden, daher erhältst du lediglich Vermutungs- und Verdachtsdiagnosen. Der ursprüngliche Auslöser deines Tinnitus kann auch schon längst wieder verschwunden sein.

Deinen Tinnitus (auch »subjektive Ohrgeräusche« genannt) hörst nur du. Das bedeutet jedoch nicht, dass du psychisch krank bist. Anders als bei psychischen Störungen, bei denen Stimmen oder Musik gehört werden, sind die Tinnitus-Töne immer »sinn-frei«.

Objektive Ohrgeräusche nennt man Body-Sounds. Sie liegen nur bei einem Prozent der Betroffenen vor. Hättest du einen objektiven Tinnitus, wüsstest du das bereits, denn diese Geräusche kann deine HNO-Ärztin oder dein HNO-Arzt mit einem Stethoskop hören. Hier liegt stets eine körperliche Erkrankung in Ohrnähe vor.

Völlig unabhängig von der möglichen Ursache deines Tinnitus kannst du lernen, die Geräusche wieder völlig aus deiner Wahrnehmung auszublenden. Um ein Türschloss zu öffnen, musst du auch nicht wissen, wie das Schloss gebaut ist − du brauchst lediglich den Schlüssel.

Bei Ohrgeräuschen liegt keine Durchblutungsstörung des Ohres vor. Das hat man lange angenommen. Die Blutgefäße verlaufen jedoch nur am äußeren Rand der Hörschnecke, in der die Nervenzellen liegen. Verliefen die Blutgefäße in direkter Nachbarschaft zum Hörnerv, hörten wir ständig unser Blut strömen.

Es heißt, Ohrgeräusche, die seit mehr als drei Monaten bestehen, sind chronisch. Wie so oft in der Forschung scheiden sich hier jedoch die Geister: Manche sprechen von sechs Monaten, andere berichten von Fällen, bei denen sich der Tinnitus sogar nach fünf bis zehn Jahren plötzlich wieder verabschiedet hat. Aber keine Panik: Auch einen chronischen Tinnitus kann man komplett überhören lernen!

Ohrgeräusche sind nie der Grund für eine Schwerhörigkeit.