Tino Hanekamp über Nick Cave - Tino Hanekamp - E-Book

Tino Hanekamp über Nick Cave E-Book

Tino Hanekamp

0,0
8,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Tino Hanekamp über Nick Cave. Seit einigen Jahren lebt Tino Hanekamp im tiefen Süden Mexikos. Als er die Chance bekommt, den Sänger und Schriftsteller Nick Cave in Mexiko-Stadt zu treff en, zögert er. Denn vor 15 Jahren gab es eine Begegnung, an die er sich ungern erinnert. Aber er macht sich auf den Weg, zusammen mit seiner Liebsten, die nichts über sein Idol weiß. Eine abenteuerliche, aber wahre Geschichte über einen der größten Songwriter unserer Zeit, über Kunst und Kreativität, Trauer, Liebe und die Kraft, die im Wandel liegt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 110

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Tino Hanekamp

NICK CAVE

Tino Hanekamp über Nick Cave

Kurzübersicht

Buch lesen

Titelseite

Inhaltsverzeichnis

Über Tino Hanekamp

Über dieses Buch

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Motto

Kapitel 1

Sommer 1997 – Hettstedt, Sachsen-Anhalt

22. Juli 1998 – Bonn, Museumsmeile

Mai 1999 – Mainz

11. Juli 1999 – Mainz, Volkspark

8. Dezember 2002 – London

Kapitel 2

17. Oktober 2009 – Kampnagel, Hamburg

Kapitel 3

Epilog

Noch mehr Lesespaß

Inhaltsverzeichnis

Für Steffen, Sascha, Max & Rachel

Inhaltsverzeichnis

»Head high and fuck them all.«

Dawn Cave

Inhaltsverzeichnis

1

»Okay, bist du bereit?«

»Ja, immer.« Sie dreht sich den Rückspiegel zurecht und zieht den Lippenstift nach. »Sagst du mir jetzt endlich, wo wir hinfahren?«

Ich lege den Gang ein, gebe Gas, der Jeep ruckelt den Hang hoch. Seit zwei Wochen weiß sie, dass wir heute irgendwohin fahren, ungefähr eine Woche lang weg sein werden und dass sich in dieser Zeit Juan um unsere Farm kümmern wird und Rufi, unser Kindermädchen, um unseren Sohn. Sonst weiß sie nichts. Wir biegen an den drei Bretterhütten der Familie Alvarez rechts ab auf die Buckelpiste, diesen nach den drei Monaten Regenzeit zerklüfteten Feldweg, der einem Bachbett gleicht und sich durch einen Talkessel und über einen Bergkamm durch dieses fast menschenleere Maya-Land bis zum Panamerikanischen Highway windet; knapp sieben Kilometer, die man in dreißig Minuten schafft, wenn man einen Jeep mit guten Reifen hat. Morgennebel hängt über den Maisfeldern. Der Motor gurgelt gut geölt, der Tank ist halb voll, das Profil schmatzt in den Schlamm, wir schwanken auf unseren Sitzen. Ixtzel (sprich: Ichelle, wie Michelle ohne M) tuscht ihre absurd langen Wimpern, denn Mexikanerinnen können sich bei schwierigsten Straßenverhältnissen schminken. Soll ich jetzt den Song spielen oder später? Sie noch ein bisschen zappeln lassen oder den Hasen aus dem Hut ziehen?

»Hey, ist mir übrigens egal, wohin wir fahren.« Sie wirft den Mascara-Stift ins Handschuhfach. »Hauptsache, Abenteuer!«

Das ist natürlich ein Trick, und wie immer falle ich drauf rein.

»Also, bist du bereit?«

»Hatten wir das nicht schon?«

»Jetzt kommt’s nämlich.«

»Schau mal, ein Esel!«

»Wir fahren zum Nick-Cave-Konzert nach Mexiko-Stadt.«

»Wirklich?« Sie klatscht in die Hände, wirft sich mir um den Hals, küsst mich ab, jauchzt und schaut dem Esel hinterher, alles in einer Bewegung. »Ich liebe Mexiko-Stadt! Die Museen, all diese Museen! Wusstest du, dass die Hauptstadt meines schönen Landes die meisten Museen der Welt hat?« Das stimmt nicht, wie ich zufällig weiß, Moskau hat mehr, Paris, Peking – Mexiko-Stadt ist auf Platz zehn. »Wir müssen natürlich ins Anthropologische Museum, ins MUNAL, ins Spielzeugmuseum, ins Mumedi, ins Foltermuseum, es gibt sogar eins für Tequila und Mezcal und … Oh, Baby, du bist der Beste!«

»Hey, wir fahren aber vor allem zu diesem Konzert. Nick Cave spielt, und zwar übermorgen, und da gehen wir hin, und danach werden wir ihn treffen.«

»Klar, kein Problem.«

»Kein Problem?«

»Ich war schon ewig nicht mehr auf einem Konzert.«

»Du warst erst einmal auf einem Konzert, bei Iron Maiden. Da warst du 14, trugst ein selbst gemachtes Radiohead-T-Shirt, hast dich mit diesem Zweimetertypen geprügelt und bist rausgeflogen.«

»Hast du manchmal das Gefühl, dass wir zu viel voneinander wissen?«

»Nein. Aber was weißt du eigentlich über Nick Cave?«

»Genug. Er ist der Mann von Susie Bick, die diese unfassbaren Kleider macht. Ich würde meine komplette Garderobe hergeben für ein Kleid von ihr. ›The Vampire’s Wife‹! Und er ist natürlich der Vampir.«

»Ja, aber er macht auch noch Musik.«

»Ach, wirklich?«

»Man könnte sagen, er ist der Dylan, Cash und Cohen unserer Zeit.«

»Könnte man das? Wie heißt doch gleich dieser Song? ›Into My Arms‹? Den mag ich.«

»Du magst ›Into My Arms‹?«

»Und niemand ist Leonard Cohen außer Leonard Cohen. Den könnten wir jetzt übrigens gut hören. Wusstest du, dass am Tag nach seinem Tod Trump zum Präsidenten gewählt wurde? Seit Lenny tot ist, geht die Welt den Bach runter.«

»Liebling, du begreifst nicht mal im Ansatz, worum es hier geht.«

»Muss ich das denn? Halt mal an. Die nehmen wir mit.«

Ich halte an, und eine alte Dame in Maya-Tracht steigt ein. Sie hält einen Hahn im Schoß und bedankt sich, sie will nur nach Betania. Jetzt kann ich den Song, mit dem ich diese Reise beginnen wollte, ›From Her To Eternity‹ nämlich, natürlich nicht spielen. Die arme Frau würde denken, sie säße mit dem Teufel im Auto.

»Also, worum geht’s?«

»Ich soll ein Buch über Nick Cave schreiben. Das heißt, mein Verlag, dem ich noch meinen zweiten Roman schulde, macht da diese Reihe, wo Leute, die unter Umständen schreiben können, über Musiker schreiben sollen, die ihnen viel bedeuten, und da haben die mich gefragt, ob ich über Bruce Springsteen schreiben will.«

»Ich hasse Bruce Springsteen.«

»Was mit deinem merkwürdigen mexikanischen Nationalismus und deiner Abneigung gegen Gringos zu tun hat, auf jeden Fall habe ich denen gesagt beziehungsweise Martin, meinem Lektor …«

»Oh Martin, schick uns Geld!«

»… dass ich lieber über Nick Cave schreiben würde, weil der mich mehr geprägt hat als jeder andere Künstler.«

»Hast du den nicht mal interviewt, und dann wollte sein Manager, dass du das Tape vernichtest?«

»Das war Marilyn Manson. Cave habe ich einfach nur beleidigt. Wahrscheinlich wollte ich cool sein. Ich war 22.«

»Das bin ich auch.«

»Ja, aber du bist, nun ja … du.«

»Und jetzt willst du also ein Buch über den Typen schreiben?«

»Sie zahlen ein Honorar, und Nick Cave ist ein Mensch …«

»Wer ist das nicht?«

»… der erstaunliche Musik macht und Filmmusiken, und er schreibt Bücher und Drehbücher und hat einen seiner Söhne verloren und das irgendwie überlebt, durch Transformation oder so – keine Ahnung. Vor allem ist er ein Künstler im wahrsten Sinne. Er kreiert. Ständig. Es ist unfassbar. Keine Ahnung, wie der das macht. Aber er kennt das Geheimnis.«

»Und das willst du herausfinden?«

»Na ja, es ist schon erstaunlich. Er ist 61, hat zwei Romane geschrieben, drei Drehbücher, 16 Alben, an die 700 Songs und ein Dutzend Soundtracks und ich bin 39, habe einen Roman geschrieben, vor acht Jahren, und seitdem …«

Auf dem Rücksitz gluckst der Hahn.

»Liebling«, sagt Ixtzel, »Einstein war mit 39 der berühmteste Wissenschaftler der Welt, Neil Armstrong war mit 39 auf dem Mond, und über Stephen Hawking lass mich lieber nicht reden. Bitte hör auf, dich mit anderen Leuten zu vergleichen.«

»Mache ich doch gar nicht. Ich meine ja nur …«

»Ja?«

Sie wirft mir einen Blick zu. Ich sehe nur die Kopfbewegung aus den Augenwinkeln, weiß aber, wie sie guckt: traurig, besorgt und liebevoll genervt.

Wir sind mittlerweile in Betania angekommen, dieser merkwürdigen Ansiedlung von Protestanten, die vor 30 Jahren von den Katholiken der Maya-Hochburg Chamula vertrieben wurden, und alles ist grau.

Graue Betonwände, graue Wellblechdächer, graue Straße, grauer Himmel. An der Kreuzung neben dem Tortillastand sagt eine Stimme hinter mir: »Hier muss ich raus« – ich habe die Frau auf dem Rücksitz völlig vergessen und halte an. Sie fragt, was sie uns schulde für die Fahrt, ich sage: »den Hahn«. Ixtzel stößt mir in die Rippen, die Dame guckt erst unsicher, dann lacht sie ein zahnloses Lachen, bedankt sich und steigt aus.

Wir biegen links ab auf den Panamerikanischen Highway gen Norden. Links und rechts rollen Händler die Plastikplanen vor ihren Ständen hoch. Eingeweckte Pfirsiche und Palmenherzen, frisches und nicht mehr ganz so frisches Obst und Gemüse. Über Nacht wird hier nie was gestohlen, obwohl die nächste Polizeistation eine halbe Stunde entfernt ist, aber für Diebstahl wird man gesteinigt und für Vergewaltigung verbrannt. Sagen zumindest die Leute.

Ich habe das Gefühl, den Anfang versaut zu haben, weil jetzt mein schriftstellerisches Versagen in der Luft hängt wie eine graue Wolke, als ginge es bei dieser Reise nur darum, mal wieder meine beschissene Schreibblockade zu brechen. Woran sie wohl gerade denkt?

»Woran denkst du gerade?«

»Ich frage mich, wie viel wohl eine Wolke wiegt.«

»Wie bitte?«

»Warte …« Sie tippt auf ihrem Handy.

»Wie kommst du denn jetzt auf Wolken?«

»Der Himmel ist doch voll davon. Ah, hier … Wenn wir mal davon ausgehen, dass eine durchschnittliche Kumuluswolke einen Kilometer lang und einen Kilometer hoch ist, macht das eine Billion Kubikmeter sehr feine Wassertröpfchen, also Nebel, und somit, warte …«, ihre Finger fliegen über das Handydisplay, »… etwa eine halbe Million Liter Wasser, und die wiegen eine halbe Million Kilogramm, und das ist, als, warte … als würden 166 Elefanten über uns schweben.«

»Ich mach mal Musik an.«

Mein iPod ist voller Cave-Musik, seine gesamte Diskografie, inklusive der Livealben, B-Seiten- und Raritätensammlungen, der Filmmusiken, Hörbücher und, zur Auflockerung – denn die Fahrt ist lang, 1166 Kilometer –, einiger von Caves Lieblingsalben. Ich fange von vorne an: ›From Her To Eternity‹.

Als der Orkan vorüber ist, dieses Wüten und Toben, dieser Sturm aus Drang und verzweifelter Lust, schaut Ixtzel mich an.

»Wow, du hast mir nie erzählt, dass du mal so hart drauf warst.«

»Na ja, also eigentlich bin ich ihm mit The Boatman’s Call verfallen, seinem Klavieralbum, das kam sehr viel später. Brutal romantisch und tief traurig, da ist auch ›Into My Arms‹ drauf.«

»Ah, verstehe. Und du warst auch brutal romantisch und tief traurig?«

»Natürlich. Ich war 17 und noch dazu gefangen in der ostdeutschen Provinz. Punk gab’s bei uns nicht. Es gab Metal oder U2 und Depeche Mode. Ich habe Progressive Rock gehört – Pathos, kontrollierter Eskapismus, total uncool. Cave war als Teenager übrigens auch mal Prog-Rock-Fan, und das ist nicht unsere einzige Gemeinsamkeit. Na ja, dann kam jedenfalls Steffen – zehn Jahre älter als ich, Lederjacke, kinnlange Haare, keine Bandshirts, sondern Hemden. Und der wurde mein bester Freund und musikalischer Mentor. Hat mir damals zwei Platten gegeben: The Songs Of Leonard Cohen und The Boatman’s Call. Das hat alles verändert. Eine neue Welt. Cohen war eine Art Gott, unerreichbar in seiner aristokratischen Größe, aber in Cave konnte ich mich selbst erkennen – ein dünner, romantischer Mann, der mit sich, dem Leben und der Liebe ringt. Nur dass Cave dabei auch wütend war und sich für nichts zu schämen schien.«

»Ein Idol. Bisschen spät mit 17.«

»Kann ja nicht jeder mit vier schon ›Les Miséables‹ lesen.«

»Sorry.«

»Auf jeden Fall bin ich bald darauf mit Steffen in die große Stadt gefahren, nach Berlin, hab mir schwarze Hosen gekauft, Hemden, spitze Stiefel, dunkle Samtjacketts, alles gebraucht. Und alle Cave-CDs, die ich finden konnte.«

»Stimmt, damals gab’s ja noch nicht mal Internet.«

»Es ging gerade erst los. Man las noch Musikmagazine. Das sind so Dinger aus Papier, wie Bücher, nur dünner, Hefte, in denen …«

»… Sachen für Jungs stehen, die keine Mädchen kriegen.«

»Das gehörte eher nicht zu meinen Problemen.«

»Ich hätte mich sofort in dich verliebt.«

»1997 warst du zwei Jahre alt.«

»Na und?«

Wir rollen runter in den Talkessel, nach San Cristóbal de las Casas, der Stadt, in der wir uns das erste Mal begegnet sind, in der alles begann. Nächster Song: The Birthday Party – ›Release The Bats‹.

»Ich fang mal von vorn an, wir haben ja Zeit. Geboren wurde er in Warracknabeal als Nicholas Edward Cave. Nein, Warracknabeal. Und aufgewachsen ist er in Wangaratta, im Bundesstaat Victoria, dem südöstlichen Zipfel Australiens, wo’s grün ist, mediterranes Klima, aber relativ viel Regen. Seine Mutter war Bibliothekarin, sein Vater Lehrer für englische Literatur. Klein-Nick war viel draußen, hing am Fluss rum, an den Gleisen, meistens mit seinem Freund Eddie Baumgarten. Manchmal fuhr Eddies Vater die beiden in den Busch, gab ihnen ein Sixpack Bier und eine Schrotflinte und befahl ihnen, auf alles zu schießen, was sich bewegte. Sie töteten unzählige apathische, an der Kaninchenpest erkrankte Kaninchen. Mit zwölf haben sie dann einen Saufclub gegründet, wahrscheinlich um das Trauma zu ertränken. Sie ließen sich von Taxifahrern Alkohol kaufen, versteckten sich irgendwo und soffen, bis sie kotzten. Zum Glück spielte Eddies Schwester Anne ihm, also Nick, bald darauf zum ersten Mal Musik von Leonard Cohen vor, Songs of Love and Hate. Bis dahin hatte er vor allem Blues, Prog-Rock, Country und das Easy-Listening-Hit-Duo The Carpenters gehört. Und Johnny Cash. Der war sein erstes Erweckungserlebnis. Er sagt, mit neun, aber das kommt zeitlich nicht hin. Auf jeden Fall noch als Junge hat er mit seinen Eltern die Johnny-Cash-Show im Fernsehen geguckt, und die ging immer damit los, dass dieser ganz in Schwarz gekleidete große Mann mit dem Rücken zum Publikum stand, sich plötzlich umdrehte und »Hallo, ich bin Johnny Cash« in die Kamera raunte. Caves Eltern wussten nicht, was sie davon halten sollten, ihr Sohn aber schon. Der fand, der Typ kam irgendwie böse rüber, und das fand er toll. Dass das geht, im Fernsehen, vor so vielen Leuten. Man kann also sagen, Cash hat ihm die Haltung gegeben und Cohen die Sprache. Musiker wollte er da aber noch nicht werden. Erst mal flog er von der Schule, weil er einem Mädchen das Höschen runtergezogen hatte. Seine Eltern schickten ihn aufs Internat nach Melbourne. Er wollte Maler werden und ging auch auf die Kunsthochschule, reichte aber nach dem ersten Jahr als Abschlussarbeit lediglich ein surreales Bild ein, auf dem ein Muskelmann vom Zirkus einer Ballerina unter den Rock guckt, und das war’s dann. Sie schmissen ihn raus.

Er spielte in einer Band, um an Mädchen ranzukommen, er war sehr schüchtern. Die Band hieß