Töchter der Triaden - Band3 - Hef Buthe - E-Book

Töchter der Triaden - Band3 E-Book

Hef Buthe

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Beschreibung

Der Wirtschaftsanwalt und Berater einer chinesischen Triade, Perkin, glaubt am Ende seiner Odyssee zu sein. Diese hatte ihn nach Südchina, Macau, Hongkong und Japan geführt. Da eröffnet ihm seine zukünftige Frau, dass sie krank ist. Sie benötigt einen geeigneten Stammzellenspender. Die Zeit eilt. Aber auf dem Rückflug nach Singapur gibt das Schicksal keine Ruhe. Ihr Flugzeug muss auf indonesischem Hoheitsgebiet notlanden. Und hier wird Perkin mit Haftbefehl gesucht...

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Töchter der Triaden

Teil 3

Falschspiel

Asien-Trilogie

 

 

Impressum:

Cover: Karsten Sturm, Chichili Agency

Foto: fotolia.de

© 110th / Chichili Agency 2014

EPUB ISBN 978-3-95865-030-5

MOBI ISBN 978-3-95865-031-2

 

 

Urheberrechtshinweis:

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Autors oder der beteiligten Agentur „Chichili Agency“ reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

 

Kurzinhalt

Der Wirtschaftsanwalt und Berater einer chinesischen Triade, Perkin, glaubt am Ende seiner Odyssee zu sein. Diese hatte ihn nach Südchina, Macau, Hongkong und Japan geführt. Da eröffnet ihm seine zukünftige Frau, dass sie krank ist. Sie benötigt einen geeigneten Stammzellenspender. Die Zeit eilt. Aber auf dem Rückflug nach Singapur gibt das Schicksal keine Ruhe. Ihr Flugzeug muss auf indonesischem Hoheitsgebiet notlanden. Und hier wird Perkin mit Haftbefehl gesucht…

1 Jakarta

Zwei kräftige Arme halfen uns aus dem Boot. Es hatte uns vom Hotelstrand des Bali Hilton an das schwimmende Flugzeug gebracht. Ich erkannte den Mann sofort, er mich aber nicht. Auf meiner Mönchsglatze stachen die ersten Haare wieder durch die Kopfhaut. Noch sah ich obenherum wie ein Kapuziner Affe aus, der den Friseur geschwänzt hatte. Dafür wuchs mein Gesichtshaar umso schneller. Mit dem Fünftagebart glich ich mehr einem Primaten als meinem Passbild.

Es war der rothaarige Ire Jack, der in Singapur meinen Fluchthelfer, den Kühlwagenfahrer, kurzerhand eliminiert und mich in sein Rennboot verfrachtet hatte, um mich auf hoher See seinem Zwillingsbruder zu übergeben. Der hatte mich mit einem Wasserflugzeug gleicher Bauart innerhalb der chinesischen Gewässer in einem Schlauchboot abgesetzt und der Dinge harren lassen, die da kommen würden. Und an den Begebenheiten, die dann gekommen waren, knabberte ich jetzt noch, oder vielleicht schon wieder.

Siu schwang sich in den freien Co-Pilotensitz. „Ich darf doch?“, säuselte sie. „Ich bin schwanger und da ist mir der Laderaum zu unbequem.“ Der Ire nickte und brachte die Maschine in den Wind. „Wenn Sie mir noch sagen, in welche Richtung ich Sie bringen soll, will ich nichts mehr von Ihnen wissen.“

Ich suchte mir den Sitz hinter dem Piloten, der vor Urzeiten einen Sinn für einen Beobachter, Funker oder Bordingenieur gehabt hatte. Er war klappbar und bequemer als der Frachtboden, der mit allerlei Gebinden in Jutesäcken vollgestopft war.

„Wer hat Sie beauftragt und wurden Sie schon bezahlt?“, schwang mein Misstrauen mit. Der Ire nickte und trieb die Maschine zur Höchstleistung. Siu beobachtete jeden seiner Handgriffe und was er wann tat, wenn die Instrumente etwas anzeigten. Wir hoben ab.

„Mir wurde Geld gezahlt und man hat mich telefonisch informiert, dass mir das Ziel erst von einer Frau nach dem Start mitgeteilt würde. Mehr weiß ich nicht. Also. Wir sind in der Luft. Wohin soll ich jetzt fliegen? Ich habe für viertausend Kilometer Treibstoff an Bord. Service gibt es nicht.“ Der Ire musterte Siu und steckte sich eine Zigarre an. Die Frage war berechtigt. Wohin wollten wir eigentlich? Jeder Mensch hatte nach einem Abenteuer nur einen Wunsch, nach Hause zu kommen. Das kannte er und dort fühlte er sich sicher. Siu musterte mich und schien auf die gleiche Antwort zu warten. Ich war mir nicht schlüssig, ob es in der Situation, in der ich mich befand, einen Sinn machte, jetzt Singapur direkt anzufliegen.

„Wir fliegen nach Norden“, entschied ich. „Auf der Höhe von Jakarta werde ich weiter entscheiden.“

„Wie Sie meinen, Sir. Ich bin hier nur der Kutscher.“ Der Ire stieg auf Höhe und legte die Maschine in eine Linkskurve.

Siu rollte mit den Augen und fauchte mich auf Kantonesisch an: „Spinnst du jetzt komplett? Trägst du dich etwa mit dem Gedanken, die Angelegenheit Habibie alleine auszufechten, ohne die Informationen von Helen abzuwarten?“

Ich atmete tief durch und schüttelte den Kopf. Ich würde es schon irgendwie schaffen, die Situation, wie Siu es formulierte, auszufechten. Ich kannte Helen. Sie liebte alles, was glänzte und nach Geld roch. Sie hatte Ho zur Ehe zwingen wollen, was auch vielleicht geklappt hätte, wenn sie nicht das Kind, unser Kind, verloren hätte. Helen war bei Ho und würde alles tun, um auch dort zu bleiben. Sie liebte es, im Zentrum der Macht zu sein. Seit ihrer Entführung durch Ho in Hongkong würde sie sich inzwischen wieder unentbehrlich gemacht haben. Das war ihre Spezialdisziplin als Anwältin.

„Helen wird mir nicht mehr helfen“, murmelte ich. „Ich muss es alleine versuchen. Ich kann es auf keinen Fall auf einen Prozess ankommen lassen, nur weil Habibie sich vor seinem Volk rechtfertigen muss, wozu 500 Millionen für die Produktion eines blöden Wasserflugzeugs in den Urwald gesetzt wurden.“

Siu schürzte die Lippen und nickte andeutungsweise.

„Verstehe, du darfst dein Gesicht in Singapur nicht verlieren, probierst es alleine und, solltest du gewinnen, ist deine Reputation wieder hergestellt. Du bist dann vertrauenswürdig für die Gauner, die die Börse manipulieren.“ Sie streifte sich die Kopfhörer über und sah in die Nacht hinaus. Die grün leuchtenden Instrumente und die Glut der Zigarre des Piloten waren unsere einzigen Begleiter.

„Perkin, hör dir das mal an. Du kannst doch diese Sprache“, riss mich Siu aus dem Halbschlaf und stülpte mir den Hörer über die Ohren. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich die Sprache einsortiert hatte. Es war Deutsch. Eine Frau sprach mit unserem Piloten, der sich offensichtlich keine Sorgen machte, dass hier jemand an Bord Deutsch verstand. So ließ er Siu bewusst oder unbewusst am Sprechfunk mithören.

„Welche Richtung hat der Fluggast vorgeschlagen?“

„Vorerst Jakarta und dann weitere Anweisungen. Es scheinen Chinesen auf der Flucht vor den Behörden zu sein“, knurrte der Pilot.

„Wo bist du jetzt?“ Er sah auf das GPS. „Nähere mich Bawean, ein Eiland ohne Flughafen. 180 Kilometer östlich von Surabaya. Etwa auf halbem Weg in der Javasee nach Kalimantan.“

„Wie kommt man da wieder weg?“

Der Pilot lachte trocken.

„Mit der Fähre, die einmal die Woche kommt, oder man versucht es mit einem Privatboot. Aber die Einheimischen dort sind eher Seeräuber als hilfreiche Menschen. Ich würde dort keine Nacht bleiben wollen.“ Die Stimme tuschelte mit jemandem.

„Gut, täusche einen Schaden vor und setze deine Passagiere dort aus, und hör sofort auf lebende Fracht zu fliegen, wenn das nicht mit uns abgesprochen ist.“ Pause und knatternde Geräusche. „Liefer die Ladung wie besprochen ab, und dann will der Boss mit dir über deine Nebengeschäfte reden. Out and over.“ Der letzte Befehl klang gepresst und verhieß für Jack nichts Gutes.

Ich reichte Siu den Kopfhörer zurück und erklärte in schnellen Sätzen, um was es ging und wer unser Pilot war. Sie nickte. „Dann lachen wir mal eben, als hätten wir einen Witz gemacht und ich konzentriere mich auf den Landevorgang. Diese alte Dame von Flugzeug ist nicht leicht zu fliegen. Wenn ich weiß, wie das geht, lege ich den Piloten um. Wenn man ihn findet, können es ja Seeräuber gewesen sein.“

Nach Witzemachen war mir absolut nicht. Siu zog ein besorgtes Gesicht. „Ich habe von deiner Entführung damals nicht viel mitbekommen, aber die hatte Xantia ausgeheckt. Ob July daran beteiligt war, kann ich nicht nachvollziehen. Die war mit der Organisation des Ho Imperiums beschäftigt.“ Sie sah dem Iren zu, der begann der Anweisung zu folgen und in einen langsamen Sinkflug überging. Der rechte Motor begann zu stottern und setzte dann ganz aus.

„Sorry. Wir haben ein technisches Problem. Ich muss mal kurz landen“, kommentierte er und schaltete die Landescheinwerfer ein. „Dauert nicht lange. Die alte Dame hat mal wieder Verdauungsprobleme. Das kenne ich schon.“

Siu folgte jeder Handbewegung und glich sie mit den Ergebnissen der Instrumente ab.

„Ob sich Mutter und Kind noch lange solch einen Stress leisten könne, wage ich zu bezweifeln“, murmelte sie. „Also lass dir mit unserer Heirat mal langsam etwas einfallen. Das Kind braucht einen Vater, bevor es das Licht der Welt erblickt.“

„Du wirst hier niemand töten. Ich muss wissen, wer die Frau ist, die hier die Befehle in perfektem Deutsch gibt“, fauchte ich.

Siu schüttelte den Kopf. „Wie mein Herr und Gebieter wünscht. Aber ich darf mich doch über den Landevorgang schlaumachen. Oder? Wenn der Kerl einen Fehler oder nur die geringste Bewegung macht, die nicht zum Führen eines Flugzeugs dient ...“, dann schwieg sie und registrierte jeden Vorgang, der nötig war, um einen fliegenden Dinosaurier zu landen, der auch noch schwimmen konnte.

„Wo landen wir?“, versuchte ich Siu vom Piloten abzulenken. Sie war wieder verdächtig nervös, und somit konnte sie sehr spontan reagieren.

„Da vorne unter uns liegt eine kleine Insel. Sehen Sie sie?“ Der Ire zeigte auf ein Eiland, das mitten in einer vom Vollmond glitzernden See schwamm. „Es nennt sich Bawean und hat einen geschützten Hafen. Da kann ich den Schaden reparieren, und Sie können sich solange die Beine vertreten. Am Pier gibt es ein kleines Lokal, in dem es immer etwas zu essen gibt … das kann ich empfehlen. Ich bedaure die Panne, möchte aber nicht, dass die Lady verhungert.“ Siu kochte innerlich und versenkte die rechte Hand da, wo der Revolver steckte.

„Was ist das für ein Drehschalter über uns?“ Sie deutete auf die Bedientafel an der Cockpitdecke, die auch die beiden Gashebel für die Motoren barg. Der Ire ließ sich nicht beirren und bereitete die Landung vor.

„Könnten Sie bitte ihr Fenster aufmachen? Ihre Zigarre stinkt und mein Kind verträgt das nicht.“ Der Pilot zog die Scheibe zur Seite und warf seinen Stumpen hinaus.

„Sorry, daran habe ich nicht gedacht. Aber jetzt muss ich mich konzentrieren.“

Siu hatte plötzlich beide Hände oben. Die Rechte gab einen Schuss durch das geöffnete Fenster und die Linke drehte an dem Schalter, von dem sie gewusst haben musste, wozu er diente.

„Starten Sie jetzt bitte den ausgefallenen Motor, und dann fliegen Sie in die Richtung, die Ihnen mein Begleiter vorgegeben hat. Sie haben angeblich für viertausend Kilometer Treibstoff an Bord. Warum schalten Sie dann den Tank für den Motor ab, um einen Defekt vorzutäuschen? Hat das etwas mit dem Funk von vorhin zu tun? Antworten Sie wahrheitsgemäß. Sonst lege ich Sie um. Ich bin nämlich nicht nur schwanger und eine blöde Frau, sondern auch Pilotin, die sich schon mit diesem Oldtimer vertraut gemacht hat. Es würde mich geradezu jucken, dieses Ding mal selbst zu fliegen. Ich glaube, ich lege mir auch so ein Flugzeug zu. Geben Sie es freiwillig ab, oder muss ich Sie hier irgendwo versenken?“ Jack knurrte etwas in einem Dialekt, das nicht freundlich klang, startete den Motor und zog die Maschine wieder auf die Flughöhe von zweieinhalbtausend Metern.

Siu kontrollierte jede seiner Bewegungen und schoss wieder. Der Ire schrie auf und hielt sich den Schenkel.

„Sind Sie wahnsinnig geworden?“ Siu schüttelte den Kopf. „Nein. Sie ändern unmerklich mit dem Seitenruder die Flugroute Richtung Kalimantan. Das war nicht vereinbart, Jakarta war vorgegeben. Aber, zu Ihrer Beruhigung, ich bin auch noch Ärztin und den Streifschuss werde ich Ihnen bei Gelegenheit behandeln. Also, keine Tricks mehr.“

Der Ire biss die Zähne zusammen und nahm den alten Kurs ein. Siu schmunzelte.

Die Sonne ging langsam auf. So wie damals, als ich noch in dem Rennboot gesessen hatte, in dem mich unser jetziger Pilot im Jachthafen von Singapur entführt hatte.

„Herr Anwalt, der Klient gehört Ihnen“, lächelte sie.

Alles, was ich von ihm wusste, war eigentlich nur, dass sein Vornamen Jack war. Ein Allerweltsname, der stimmen konnte oder auch nicht. Alles andere würde vor keinem Gericht der Welt Bestand haben, da es unter Waffengewalt erzwungen worden war. Jack erhielt seine Befehle für seine Fracht von immer anderen Zentralen, die ihn im Voraus und in bar bezahlten. So hatte ihm ein Bote hunderttausend für unseren Flug überbracht. Sonst flog er mal hier hin, mal dort hin. Alle Ziele lagen irgendwo im indonesischen Inselgewirr, für das die Wasserflugzeuge der Donner Flugzeugwerke gedacht waren, deren indonesische Produktion aber schon vor Baubeginn durch massive Betrügereien seitens der deutschen Hersteller abgestürzt war.

Siu behielt den Kompass und das GPS im Auge. In einer Stunde würden wir uns auf der Höhe von Jakarta befinden und ich musste eine Entscheidung treffen, in welcher Richtung ich weiterfliegen wollte. Von Jakarta waren es nur verlockende vier Stunden Flug nach Singapur, um in der Sicherheit des Vogels zu sein, der in seinen Käfig heimkehrte. Aber ich konnte mir keinen Mehrfrontenkrieg leisten, wenn ich, von welcher Seite auch immer, in den Lizenzkampf um Macau eingespannt wurde. Mir fielen ChiChis Vorträge über die Strategien von Sunzi ein: Wenn du deinen Feind schlagen willst, werde sein Freund.

„Wie ist die Kennung der Maschine?“ Ich klopfte Jack auf die Schulter. Der zuckte zusammen und sah sich sofort mit Sius Waffe konfrontiert. „HK-S 508. Ist ja schon gut. Die Lady ist mir zu nervös. Sind alle Schwangeren so unberechenbar?“ Darauf erhielt er keine Antwort.

„Siu, du wirst mich jetzt mit dem Tower des Soekarno Airport Jakarta verbinden. Gerate bitte nicht wieder an einen Verehrer von July.“

Jack hieb auf das Steuer ein. „Das geht nicht. Sie wollen da doch wohl nicht landen?“

„Warum nicht? Das Flugzeug hat ein Fahrgestell, um auch auf Pisten oder Flugzeugträgern zu landen. Oder sehe ich das falsch? Hat es vielleicht mit der Ladung zu tun, die hinten in Säcken schlummert? Wartet vielleicht die Polizei auf dich?“ Jack wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er sollte langsam verbunden werden. Die Hose tränkte sich mit Blut.

„Woher soll ich wissen, was ich transportiere? Ich hole es bei A ab und bringe es nach B“, versuchte er eine Erklärung.

„So, wie du mich im Jachthafen von Singapur aufgesammelt hast, um mich an deinen Bruder zu übergeben. Der wusste auch von nichts. Ihr wisst immer alle von nichts, aber genau, wohin ihr das „Nichts“ abzuliefern habt. Siu, stell mir eine Verbindung her.“

Siu atmete tief durch, sagte aber nichts und rief den Tower.

„So, so. Die Maschine ist in Hongkong gemeldet.“ Ich stützte mich auf Jacks Schultern ab. „Damit ist sie bei der Fluggesellschaft der Cathay und bei einem Stanley Ho als Eigentum in den Büchern ... sehr interessant.“

„Die Verbindung steht.“ Siu zog sich die Sprecheinheit vom Kopf und reichte sie mir.

„Soekarno Tower? Hier spricht Perkin Elmar. Wir wurden entführt und ich bitte um Begleitschutz, da wir mit der Maschine keine Erfahrung haben. Weiterhin bitte ich darum, mit Staatspräsident Dr. Jusuf Habibie direkt verbunden zu werden. Er erwartet mich.“ Einen Moment schwieg der Tower, es knisterte nur.

„Tower an HK-S 508. Wir haben Sie auf dem Bildschirm, und Sie müssen wir an die Sicherheit übergeben. Zwei Abfangjäger sind auf dem Weg zu Ihnen. Folgen Sie deren Anweisung, sonst wird man Sie abschießen. Out an over.“

Jack schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, Mr. Perkin. Das war ein blöder Auftrag. Wir brauchten das Geld. Wenn Sie es als Genugtuung sehen wollen … mein Bruder wurde damals öffentlich als amerikanischer Spion hingerichtet.“ Siu spielte mit dem Revolver.

„Wer war der Auftraggeber?“

Jack zuckte kurz die Schultern. „Das weiß ich nicht. Wir bekamen eine Million versprochen, wenn wir nach einem bestimmten Plan vorgingen, eine männliche Person bei der Überführung zur Staatsanwaltschaft in Singapur zu befreien. Wir sollten sie zum Jachthafen bringen und ...“ Jack wedelte hilflos mit der linken Hand. „Na ja, den Rest kennen Sie besser.“

„Habt ihr das Geld bekommen?“, mischte sich Siu ein.

Jack nickte. „Ja, das habe ich ins Geschäft gesteckt. Mit meinem Bruder musste ich ja nicht mehr teilen. So konnte ich mir diese Maschine leisten. Die andere Catalina hatten die Chinesen beschlagnahmt.“

Bis dahin stimmte seine Aussage.

„Wie hast du das Geld bekommen? Auf ein Konto oder in bar? Weißt du, von wem das Geld ist? Du musst doch von jemandem den Auftrag erhalten haben?“

Jack schüttelte den Kopf. „Ich weiß von nichts. Da können Sie fragen, sooft Sie wollen.“ Er legte die Maschine in eine steile Linkskurve. Siu, die nicht angeschnallt war, fiel über mich ...

Was nun geschah, dauerte nur eine Sekunde. Eine Sekunde, die mein und Sius Leben kosten konnte. Ein Schuss löste sich und besprenkelte das Cockpit mit Blut. Jack hatte sich selbst erschossen. Seine Schädeldecke klebte rund um und an uns. Sein massiger Körper fiel auf das Steuer und drückte die Maschine in einen Sturzflug. Siu kreischte: „Zieh ihn sofort in den Sitz zurück. Sonst kann ich die Maschine nicht halten, und wir schlagen wie eine Bombe auf ...“

Langsam verfluchte ich meine Idee, mich stellen zu wollen. Zwei Abfangjäger hatten uns nach fünf Minuten in die Mitte genommen und Siu aufgefordert, die Catalina zu beschleunigen, da wir unterhalb ihrer Minimalgeschwindigkeit flogen. Sie hatten Angst, dass wir das als Vorteil nutzen würden, um im Tiefflug zu entkommen. Ich hatte Jack aus dem Sitz gewuchtet und ihn zu den Säcken im Frachtraum gelegt, die einen modrigen Geruch von sich gaben. Jack hatte sich mit einem Navy-Colt erschossen, den ich in seiner Hand beließ. Woher er den so schnell gehabt und sich nicht gegen Sius Drohung gewehrt hatte, war jetzt müßig zu fragen. Er hatte Selbstmord begangen, und ich durchsuchte seine Taschen und die Fracht. Es musste einen Grund geben, warum Jack nicht in Jakarta landen wollte.

Die Säcke enthielten nur Erde und Steine.

„Hast du was gefunden?“ kam es vom Cockpit.

„Nur Dreck und Steine. Dafür bringt man sich doch nicht um.“

„Da dies eine Ho Maschine ist, transportiert sie garantiert nichts, was legal ist.“ Siu öffnete das Schiebefenster und warf ihre Waffe hinaus. „Besser so ...“, kommentierte sie und rief die Flugleitzentrale.

„HK-S 508 an Tower. Könnt ihr mir bitte sagen, wo bei diesem Flugzeug der Hebel für das Fahrwerk ist, oder ob ich besser wassern soll? Ich scheine undurchsichtige Fracht an Bord zu haben.“

Siu lächelte und winkte den Kampfflugzeugen zu.

„Was zur Hölle hast du vor? Die Fracht besteht aus Dreck. Mehr nicht ... und dies hatte der Mann um den Hals. Kannst du mir das erklären? Gibt es diese Ringe inzwischen im Kaugummiautomaten?“

Siu sah kurz von den Instrumenten auf und kaute auf der Unterlippe. „Das ist der Ring eines Überbringers der Huang. Scheiße. Das hätte ich wissen müssen. Etwas stimmt da nicht.“

Yashi, der Mönch aus dem Kloster Koyasan, der das Erbe seines Mönchsbruders Cho Li auf meinem Anwesen angetreten hatte, hatte mich und die anwesende Haushälterin Ti Wu und ihren Verlobten, Commander Chow, seines Zeichens pensionierter Polizeichef von Singapur, über die Geheimnisse der Huangringe aufgeklärt. Für den normalen Betrachter sahen sie alle gleich aus. Für den Eingeweihten des Huang-Clans wurde ihre Bedeutung durch die Anordnung der Steine sichtbar. Für die Überbringer waren sie nur soviel wie ein Passwort wert, mit dem nur der Empfänger etwas anfangen konnte, um den Lieferanten als legitimiert zu identifizieren.

July hatte mir solch einen Ring gegeben, der von ihrem Vater Ho als Sender erkannt worden war, der seinen Träger an jedem Ort der Welt aufspüren konnte. Den hatte sie mir als Versprechen hinterlassen mich zu heiraten. Ho hatte ihn zerstört. Damit war July über diesen Ring nicht mehr auffindbar. Siu hatte zwei Ringe, die angeblich aus dem Erbe ihres Vaters waren. Und jetzt tauchte noch einer bei dem Kerl auf, der es vorgezogen hatte, sich zu erschießen. Den Piloten Jack kannte ich als knallharten Mann, der nur seinen Auftrag erledigte und dabei vor Mord nicht zurückschreckte. Wer waren die, oder war es inzwischen der Huang, der sich anschickte, mit Gewalt in den Kampf um die Spiellizenzen auf Macau einzugreifen? Warum flog ein Killer eine Maschine, die zu Hos Flugpark gehörte, trug den Ring der Huang um den Hals und brachte sich um, weil ich die Flugsicherung von Jakarta um Hilfe bat? War es die Fracht? Warum hatte uns July ausgerechnet dieses Flugzeug besorgt, um unerkannt aus Indonesien zu kommen?

„Hast du eine Idee, wie das alles zusammenhängt?“ Siu schüttelte den Kopf. „Ich habe ein anderes Problem, als mir darüber den Kopf zu zerbrechen.“ Sie klopfte an ein Instrument, wie es jeder tat, dem die Anzeige auf dem Barometer nicht gefiel.

Einer der Motoren stotterte. Siu drehte an dem Schalter für die Benzinzufuhr. Es half nichts. Es knallte ein paar Mal. Siu versuchte einen Neustart. Auch nichts. „Scheiße. Der Motor hat keinen Öldruck mehr“, fluchte sie. „Der da hinten hatte doch recht. Die alte Dame hat ihre Macken.“ Und sofort kam ein Kommentar unserer Begleiter: „HK–S 508, Ihr Steuerbordmotor brennt. Stellen Sie die Propellerblätter auf Segelstellung, schalten Sie die Benzinzufuhr und die Zündung ab. Da ist ein Drehregler über Ihnen und sehen Sie zu, dass Sie sofort eine Notwasserung machen können. Halten Sie die Maschine bei der Landung leicht mit der Nase nach oben. Sonst schneiden Sie unter. Sie dürfen nicht unter hundert Knoten kommen, sonst hält Sie ein Motor nicht in der Luft. Die See ist ruhig. Genügend Gegenwind von Norden. Wir bleiben bei Ihnen, bis Sie die Küstenwache aufnimmt. Viel Glück.“

Sius Hände umklammerten das Steuer wie die Hörner eines angreifenden Stiers. Ihre Knöchel traten weiß hervor, Blut tropfte aus der Unterlippe. Sie merkte es nicht, dass sie sich selbst biss. „Scheiße“, brüllte sie. „Ein Gespräch auf der Basisfrequenz. Wieder diese Frau. Übernimm du. Ich kann jetzt nicht ...“

Es war wieder die weibliche Stimme, mit der Jack auf Deutsch gesprochen hatte.

„Wo bist du?“

„Ich fliege Jakarta an“, versuchte ich Jacks Stimme zu imitieren.

„Bist du wahnsinnig?“ kam es zurück. „Die Fracht muss an ihren Bestimmungsort.“

„Geht nicht. Habe Motorschaden und muss landen.“

Die Stimme hielt das Mikrofon zu und tuschelte mit jemandem im Hintergrund.

„Gut. Dann lande so, dass die Maschine sofort mit der Fracht versinkt. Die darf auf keinen Fall den Behörden in die Hand fallen. Hast du mich verstanden?“ Ich nickte. Aber das sah nur Siu, die mit der Catalina kämpfte, die keine Lust mehr zu haben schien, in der Luft zu bleiben.

„Und was ist mit mir? Ich habe den Ring. Wem soll ich ihn geben?“

Wieder tuschelte es. „Na schön, weil du es bist ...“ Die Frauenstimme wurde härter, fast zynisch. „Merke dir die folgende Telefonnummer: 622 233 911 Das ist unser Kontaktmann Vorort. Er wird dir helfen.“

Siu kämpfte mit dem Flugboot.

„Sie machen das sehr gut, Miss“, kam es von einem der Begleitjäger. „Nehmen Sie die Nase etwas höher und geben jetzt Vollgas auf dem verbliebenen Motor, bis ich Ihnen sage „Landen“. Dann nehmen Sie die Fahrt raus und setzen auf.“ Siu nickte nur und stierte auf die entgegenkommende Wasseroberfläche. Sie schwitzte und fuhr sich mit dem Ärmel über die Augen.

„Schnauze hoch und ... landen ... jetzt.“ Siu zog den Gashebel zurück und setzte auf.

Von Ausrollen konnte nicht die Rede sein. Wir trieben vor uns hin. Und Siu atmete tief durch. „Bravo, gut gemacht“, kam es aus dem Kopfhörer. „Treffen wir uns zum Dinner? Ich muss unbedingt die Lady kennenlernen, die solch eine Schrottbüchse landen kann. Ich schicke Ihnen einen Hubschrauber und lasse Ihnen ein Zimmer im Hilton freimachen. Wir müssen uns treffen, das gebietet meine Fliegerehre. Ach ja, fragen Sie einfach nach mir. Hassan Habibie. Dann geht das klar ...“ Es folgte Schweigen.

Bevor jemand von uns antworten oder nachfragen konnte, waren die beiden Jets weg und wir schwappten in der Javasee.

„Hast du mal etwas zu rauchen?“ Siu sah um sich, als fasse sie das alles nicht. „Was war mit dem Funkspruch vorhin?“

„Unwichtig“, murmelte ich. „Wir sollen nur auf die Ladung aufpassen.“ Ich gab ihr einen Kuss auf die blutenden Lippen, dann wurde sie ohnmächtig.

Vier Stunden später

„Perkin, Elmar. Dr. Cha, Siu“, ging der Officer der Zollbehörde unsere Pässe durch und sortierte den Inhalt unserer Notfallbeutel, in denen wir seit unserer Bruchlandung mit der Challenger unser gesamtes Hab und Gut ständig bei uns trugen. Jeden Gegenstand trug er in eine Liste ein.

Was Siu damals damit bezweckt hatte, die Challenger absichtlich in die See zu stürzen, erklärte ich für mich, dass sie bei einer ordentlichen Landung ihre Fluglizenz verloren hätte. Diesen Typ Maschine durfte sie ohne Sonderausbildung nicht fliegen und ihre Tarnung wäre bei den weitreichenden Bekanntschaften Julys mit allen möglichen Fluglotsen aufgeflogen. Also hatte sie das Flugzeug angesichts eines aufkommenden Hurrican kurzerhand versenkt und Ho zur Verzweiflung getrieben, da er damit vermeintlich seine letzte Tochter verloren hatte. Ohne July bekam er seine Buchhaltung nie mehr auf die Reihe, um bei der Lizenzversteigerung mitbieten zu können. Aber das war jetzt schon wieder viele Stunden her, und July würde inzwischen wieder in den Fängen ihres Vaters sein. Ho würde sich auf seine Weise rächen und July das Schlimmste antun, was man einem solchen Wildfang antun konnte ... sie wie einen Hund anzuketten. Und das hatte Siu, die Ärztin, Pilotin und Killerin mit, für eine schwangere Frau, bemerkenswerter Kaltschnäuzigkeit eingefädelt.

Der Officer blätterte mürrisch in unseren Pässen und rauchte Kette. Gleich zwei Küstenwachboote hatten uns in die Mitte genommen und ihre Geschütze auf die Catalina gerichtet, als ginge von einem havarierten Flugboot eine staatsbedrohende Gefahr aus. Vom Landedeck eines der Schiffe hatte uns ein Hubschrauber in den Hafen von Jakarta gebracht. Und hier saßen wir nun seit Stunden einem übel gelaunten Officer gegenüber, den es nicht zu interessieren schien, dass Siu noch schlechter gelaunt war, da niemand auf ihre Bitte, etwas zu essen zu bekommen reagierte.

„Haben Sie ein Problem mit uns?“ Ich ging in den Angriff über, da dieser Beamte offensichtlich nicht wusste, was er mit uns anfangen durfte. Er wartete auf eine Anweisung, die nicht kam.

„Ja, habe ich“, fuhr er hoch. „Keiner von Ihnen kann mir erklären, wie Sie ins Land gekommen sind. Dann melden Sie sich als entführt. Woher und wohin? Wie kann man entführt werden, wenn man in Indonesien überhaupt nicht existiert, weil man laut Pass nicht eingereist ist?“ Der Officer umrundete uns wie ein Jäger, der noch nicht wusste, wo er den Hebel zum Erfolg ansetzen sollte. „Dann bringen Sie eine Leiche mit, die der Entführer gewesen sein soll. So ein Schwachsinn. Welcher Entführer erschießt sich, wenn er die Opfer schon hat? So ein Blödsinn ist mir in meinem Berufsleben noch nicht vorgekommen.“

„Mir auch nicht“, konterte ich. „Wenn Ihnen nichts mehr einfällt, geben Sie uns jetzt bitte einen Stempel in die Pässe, dass wir offiziell eingereist sind, lassen meine Mitarbeiterin gehen und verhaften Sie mich endlich. Es liegt nämlich ein Haftbefehl in diesem Land für mich vor.“

Der Officer sank auf seinen Stuhl und wischte den Schweiß aus dem Gesicht. „Das weiß ich, Mr. Perkin. Wollen Sie ihn sehen? Wollen Sie wissen, wie ein Haftbefehl in Indonesien aussieht? Ja oder nein?“

„Warum bin ich dann noch nicht verhaftet? Ich will meine Ruhe.“ Etwas lief im Hintergrund ab, das den Officer daran hinderte, mich festzusetzen. Und das ärgerte ihn. „Ihr Mistchinesen richtet unser Land noch zugrunde. Ich habe eine Lohnkürzung hinzunehmen, wobei ich mit dem üblichen Hungerlohn schon kaum klarkomme. Und warum? Weil ihr Stinktiere unsere Wirtschaft derart auslaugt, dass der Staat pleite ist und wir anständigen Indonesier dafür bluten müssen.“

Siu beugte sich über den Schreibtisch und den dort ausgebreiteten Inhalt unserer Rettungstaschen.

„Der Arsch von Officer geht mir auf die Nerven“, murmelte sie auf Kantonesisch. Sie nahm sich ihr Scheckbuch und einen Schreiber vom Tisch des Officers und wedelte damit. „Das gehört immer noch mir. Ich darf doch, oder?“ Der Beamte nickte und Siu riss ein Formular heraus und füllte einen Scheck aus, schob ihn dem Beamten hin. Der nahm ihn und schüttelte den Kopf. „Was soll ich mit hunderttausend Dollar?“

„Behalten, oder den Behörden melden, dass ich mich als illegale Chinesin freigekauft habe. Dann will ich aber eine Quittung.“

Der Officer wendete den Scheck hin und her und entschloss sich, uns den Einreisestempel zu geben, den er in die Pässe hieb, als wolle er sie auf der Schreibtischplatte festnageln.

„Und jetzt?“, fragte ich neugierig nach. „Ist Miss Siu Indonesierin oder nur Tourist in diesem Land, mit drei Monaten Aufenthaltsgenehmigung?“

Der Officer steckte den Scheck ein und fuhr sich mit den Fingern zwischen Hals und Kragen entlang. „Warten Sie draußen. Ich muss die Formalitäten klären.“

Siu atmete tief durch und ließ sich auf eine Plastikbank „Made in China“ vor dem Gebäude fallen. Ich zündete mir die letzte Zigarre an, die ich in den Taschen des Piloten gefunden hatte. Der Tag neigte sich langsam dem Ende zu, und wir hatten beide noch nichts gegessen. Meine Finger suchten ihre und bekamen Antwort. „Sag nichts, bitte nichts. Ich bin es leid und will nur noch ein Zuhause“, drückte sie fest zu und streckte sich in den langsam dünn werdenden Sonnenstrahlen.

„Ich brauche eine Mahlzeit, eine Dusche und ein Bett. Genau in dieser Reihenfolge. Ist das irgendwie machbar?“

Ob das machbar war, hing von mehr Faktoren ab als mir lieb war. Wir waren hier, weil ich von Ho den Auftrag angenommen hatte, seine Tochter July zu finden und dazu keine nachvollziehbare Spur hatte legen dürfen. Warum das alles als Geheimnis getarnt werden musste, wurde mir erst jetzt klar. Nein, das stimmte nicht. Ich hatte nur ein wenig mehr Ahnung als vorher. July hatte Hitachi durch einen Unfall sterben lassen. Dabei hatte ihr ein Killer des Clowns ChiChi geholfen, der wiederum der Halbbruder von Siu war. Siu hatte July kurzerhand aus dem Weg geräumt und sie als betäubtes Päckchen an ihren Vater zurückgeschickt. Der Clown hatte schon meinen letzten Doppelgänger eliminiert, den offensichtlich die Yakuza auf mich angesetzt hatte, um Ho zu kompromittieren. Hier war ein Kampf entbrannt, der die ehernen Gesetze Sunzis entweder nicht kannte, oder sie derart perfektioniert hatte, dass keines der Gesetze mehr galt, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Das Ziel war bekannt: Macau und die Verlosung der Spiellizenzen. Regeln gab es nicht, oder wenn nur eine: Peking sah zu, wie sich die Bieter gegenseitig umbrachten und damit versuchten das Gebot, mangels zusätzlicher Interessenten möglichst niedrig zu halten, was aber nicht im Sinn der Zentralregierung sein konnte. Also war, wie im Casino Lisboa, irgendwo ein Magnet unter dem Spieltisch „ohne Limit“ angebracht. Wer bediente den Schalter, der über den Erfolg oder Misserfolg der Spieler entschied? Bisher waren nur Ho und sein Monopol gegen die Las Vegas-Gruppe angetreten. Nur schienen die Amerikaner nicht das zu sein, was sie vorgaben. Hinter ihnen verbarg sich der Clan der Huang. Eine Triade, die bisher in ihrem Ursprungsland China seit Mao keinen Fuß mehr auf den Boden gebracht hatte.

„Was weißt du über die Ringe der Huang und ihre Botschaft?“

Siu döste in den letzten Sonnenstrahlen, und ich besah mir den Ring näher, den ich dem toten Piloten abgenommen hatte.

„Nur das, was ich von Vater weiß.“ Siu gähnte. „Dieses billige Ding da dient vom Überbringer zum Empfänger als reine Botschaft etwas zu tun. Was weiß nur der Empfänger, dem das vorher auf irgendeine Weise übermittelt wurde. Die wirklich wertvollen Ringe weisen ihre Träger als Respektspersonen im Clan aus. Je mehr Steine, umso höher ihr Rang im Syndikat. Wie die Klubkrawatte des Golfklubs, oder der Jahrgang einer Eliteuniversität.“

Soweit stimmte ihre Aussage mit der des Mönches Yashi überein.

„Und was passiert dann mit dem Ring, wenn der Empfänger ihn erhalten hat?“

Siu gähnte. „Woher soll ich das wissen? Ist mir auch egal.“ Sie stand auf und wollte ins Gebäude zurück. „Ich muss diesen Idioten von Officer mal langsam auf Trab bringen. So lange kann doch kein Mensch über hunderttausend Dollar nachdenken.“

„Und was ist mit dem Beweis, dass der Auftragnehmer seinen Job ausgeführt hat?“

Siu hielt inne. „Was soll damit sein?“

„Muss er nicht den Ring mit dem abgehackten Finger, oder besser die ganze Hand des Opfers an den Überbringer des Ringes als Beweis für die Erfüllung seines Auftrags zurückgeben? Vorher bekommt er kein Geld oder wird seinerseits liquidiert, weil er versagt hat. Ein perfides Spiel findest du nicht auch?“

Siu nickte. „Ja, ein Scheißspiel, wie alles, was mit Spiel zu tun hat.“

„Lass mir bitte dein Handy hier. Ich habe etwas zu klären, während du den Officer ermordest.“

Siu versuchte ein müdes Lächeln. „Schon gut. Ich bleibe brav und trete ihm nur die Eier ein, wenn ich nicht langsam zu meinen Bedürfnissen komme ... und ich habe für den Notfall immer ein Skalpell dabei, wie du weißt.“

Die Telefonnummer, die mir die Frau über Funk für den toten Piloten im Notfall gegeben hatte, musste in Jakarta sein. Sie hatte keine Vorwahl. Der Ruf ging durch und lief nicht auf einen Anrufbeantworter auf. Es meldete sich eine Autowerkstatt.

Ein Militärjeep schob sich als Silhouette zwischen mir und der tief stehenden Sonne. Drei Uniformierte sprangen heraus. Gleichzeitig hob ein Geschrei im Inneren des Gebäudes an. Ich drückte das Gespräch weg.

„Kennst du mich nicht mehr?“ Ein Mann in der Uniform eines Majors der Luftwaffe hielt mir die Hand hin. Ich kramte in meinen Erinnerungen. Ich kannte ihn. Aber woher?

Der Lärm in der Zollstation wurde lauter. Siu war wütend, der Officer war wütend.

„Du bist Hassan Habibie, stimmt’s?“

Hassan schmunzelte. „Ja, wir haben doch zur gleichen Zeit in Heidelberg studiert. Erinnerst du dich an die verrückten Zeiten, als für uns nichts unmöglich war? Weiber, Wein und Gesang. Wir haben Kommilitonen bezahlt, um unsere Klausuren zu schreiben, und du warst noch besser. Du hast dir gleich unseren Professor auf die Gehaltsliste deines Vaters setzen lassen. Daher hast du um zwei Punkte besser abgeschnitten als ich. Das habe ich mir gemerkt.“ Hassan lachte und stellte mich seinen Begleitern vor: „Das ist Perkin und mein Freund. Ihr seid dafür verantwortlich, dass niemand den hier existierenden Haftbefehl gegen ihn vollstreckt. Der ist vorläufig ausgesetzt, bis mein Vater entschieden hat, wie es weiter geht. Verstanden?“ Die beiden Begleiter bestätigten die Anweisung militärisch korrekt. Hassan nickte zufrieden und deutete in die Richtung, aus der der Lärm kam. Entweder prügelte Siu dem Officer die hunderttausend Dollar aus oder in den Leib.

„Ich gehe davon aus, dass das die Pilotin ist, die die Catalina mit einem brennenden Motor gelandet hat. Stimmt das?“ Ich brummte eine Zustimmung.

„Gut, gut. Ein fantastisches Manöver. Die Frau ist ein Talent. Ich will sie kennenlernen. Wie heißt sie?“

Ein Schuss fiel. Dann wurden das Gezeter und die Geräusche von splitternden Möbeln beendet.

„Frag sie selber. Aber Vorsicht, sie ist purer Sprengstoff.“

Hassan ging voran und lächelte. Seine goldbraune Haut wurde von der weißen Ausgehuniform wie ein fein gemaltes Porträt von einem massiven weißen Rahmen hervorgehoben. Ich hatte ihn schon zu unserer Studienzeit wegen seiner gleichmäßigen Schönheit … und er wusste, dass er schön war … und seiner Nonchalance bewundert. Wo er auftrat, tuschelten die Frauen und die männliche Seite akzeptierte ihn neidvoll als unüberwindbare Respektsperson. Er hatte das Auftreten einer der reichsten Familien des Landes. Dagegen waren meine Herkunft und mein Benehmen, als Sohn eines Anwalts, der lieber im Dreck anderer gewühlt hatte, um ein reicher Mann zu werden, das eines Kulis. Eines Parias, der sich nur durch Raffinesse und dem daraus resultierenden Vermögen Respekt verschaffen konnte.

Der Raum sah aus, als habe hier eine Kneipenschlägerei stattgefunden. Siu hatte ein Tischbein in der Hand und der Officer fuchtelte hilflos mit seiner Pistole in der Luft.

„Hilfe. Die Frau bringt mich um“, wimmerte der Officer, dem das Blut aus einem fein säuberlich gezogenen Schnitt auf der Stirn ins Gesicht lief. Ich nahm Siu, die am ganzen Körper bebte, das Tischbein ab. „Mach hier keinen Scheiß ...“, flüsterte ich. Es war nur der Versuch einer Warnung und sollte es auch bleiben.

„Was heißt hier Scheiß? Der Kerl behauptet, von mir nie einen Scheck über hunderttausend Dollar bekommen zu haben. Er will noch einen. Was ist das hier für ein korrupter Haufen? In China werden solche Leute an ihrem Arbeitsplatz hingerichtet, damit jeder sieht, was mit den Beamten geschieht, die versuchen, den Staat zu hintergehen.“

„Sie ist mit einem Skalpell auf mich losgegangen und hätte mir beinahe den Hals durchgeschnitten.“

Hassan zog die Stirn in Falten und winkte seine Leute herein. Eine Kopfbewegung genügte. Die Proteste des Officers, dass das Militär keine Befugnisse im Hafengebiet habe, nutzten nichts. „Durchsuchen. Ich will wissen, wer hier lügt.“

Hassans Gesicht verfinsterte sich und seine feingliedrigen Hände, die noch nie ein Werkzeug in der Hand gehabt hatten, ballten sich zu Fäusten.

„Die Dame hätte besser Erfolg gehabt. Denn was dich jetzt als korrupter Beamter erwartet, kannst du dir noch nicht vorstellen. Übergebt ihn der Militärpolizei. Das Beweisstück ist beschlagnahmt. Der Scheck über hunderttausend Dollar, den Sie, Officer, in ihrer Jacke hatten.“

„Tut mir leid, Miss. Ich wollte eigentlich nur die außergewöhnliche Pilotin kennenlernen, die solch ein widerspenstiges Flugzeug notwassern kann. Und was finde ich vor? Den Sumpf von Korruption, der unserem Staat das Genick bricht.“ Hassan bot Siu Zigarillos an. Sie wehrte ab. „Nein, danke. Ich bin schwanger. Das möchte ich dem Kind nicht antun.“ Hassan klappte die Schachtel wieder zu und nickte. „Verstehe. Perkin, du bist zu bewundern. Warum finde ich nie so eine tatkräftige Frau? Hätte ich auch Jura und nicht Maschinenbau studieren sollen? Ich kann machen, was ich will. Die Weiber haben es bei mir immer nur aufs Geld abgesehen.“

Jetzt schmunzelte ich. „Vielleicht bist du zu höflich. Eine Frau muss schon etwas vertragen können. Mit Schaufensterpuppen kann man nicht viel anfangen. Vor allem nicht, wenn es hart auf hart kommt. Und das soll es ja manchmal im Leben geben.“

Hassan nickte. „Du sagst es. Aber jetzt bringe ich euch erst ins Hotel. Wir sprechen über das Problem von Vater und dir nach dem Dinner. Vielleicht weiß ich bis dahin mehr über das Flugzeug, den Piloten und die Fracht. Einundzwanzig Uhr. Einverstanden?“

„Was ist mit meinem Scheck?“ Siu wirkte erschöpft. „Ich muss mich hinlegen.“ Sie schwitzte und kauerte sich in den Sitz.

„Den benötige ich momentan als Beweis. Danach wird er unbrauchbar gemacht. Das verspreche ich Ihnen. Wir sind keine Diebe.“ Hassans Aussage klang ehrlich. Ob sie es war, würde sich zeigen.

Einer der Begleitsoldaten half Siu aus dem Wagen. Hassan hielt mich zurück. „Moment. So einfach, wie sich das anhört, ist es nicht.“ Er gab mir unsere Pässe, die uns die Hafenpolizei abgenommen hatte. „Ihr könnt das Land trotzdem nicht verlassen. Du und Miss Siu steht unter Arrest. Den Soldaten lasse ich euch als Legitimierung hier, dass ihr unter Regierungsschutz steht. Er wird alle vier Stunden ausgewechselt.“ Das klang, als traue die Regierung ihren eigenen Leuten nicht mehr. Aber ich sagte es nicht und stieg aus. „Mach mir einen Termin mit deinem Vater. Ich will das von Mann zu Mann geklärt wissen.“ Hassan zog sein hübsches Gesicht in Falten und nickte. „Ich habe nichts anderes von dir erwartet. Vater hat es als Übergangspräsident sehr schwer. Er wird deinen Vorschlägen sicher gerne lauschen. Wir sehen uns zum Dinner.“

Vorschläge? Ich hatte keine Ahnung, was ich Jusuf Habibie vorschlagen sollte. Es stand nur eine Summe von fünfhundert Millionen im Raum. Singapur hatte die Klage Indonesiens gegen mich abgewiesen, wie es alle Klagen von außerhalb gegen seine Bürger abwies. Singapur war die Schweiz Asiens und sammelte so alle Glücksritter der Finanzwelt, die mit einem geringen Steuersatz belegt wurden. Dieser Vorteil war allerdings mit einem Manko belegt, der manche Börsianer zu einem gefährlichen Übermut trieb, auch diese Steuern zu umgehen. Was wiederum Konsequenzen hatte. Wer keine ordentliche Steuererklärung abgab, hatte schnell die überall anwesende Finanzbehörde und damit Gefängnis am Hals. Und das war in Singapur minimal mit Schmerzen durch die Prügelstrafe und maximal durch eine schnelle Rechtsprechung in Form der Todesstrafe verbunden. So hatte der Staat die Kriminalitätsrate unter ein Prozent gedrückt. Wer dennoch auffällig geworden war, hatte meine Familie und mich als Anwalt reich gemacht. Aber das waren Zeiten, die schon Jahre zurücklagen. Heute hatte es Singapur mit Gaunern jeder Couleur zu tun, die sich der lokalen Gerichtsbarkeit durch ein ständiges Kommen und Gehen und wechselnden Wohnsitzen in wenigen Stunden entzogen. Die Globalisierung war dabei, die Maschinerie eines Ordnungsstaates in ihre Grenzen zu weisen und sie in den Wahnsinn zu treiben. Das Ergebnis war wie immer ... die Strafen wurden noch drastischer und die Gauner immer raffinierter um diese zu umgehen. Wurde einer erwischt, konnte ich als Anwalt sicher sein, dass der Justiz wieder nur ein Strohmann in die Falle gegangen war, der sich lieber hängen ließ, als seinen Auftraggeber zu verraten. Denn der hatte mit hoher Wahrscheinlichkeit die Familie des Delinquenten in der Hand und war der Boss einer Triade, die wieder eine neue Geschäftsmöglichkeit teste.

62223391, diese Telefonnummer spukte mir im Kopf herum. Sie ließ sich einfach merken. Dreimal die Zwei ergab sechs. Und dreimal mal drei die Neun. Ich musste mir nur noch die Eins merken, die alle auf Anfang setzte, und dass es nur zwei Dreien waren. Mit Namen hatte ich mein Problem, aber für Ziffern, vor allem, wenn es um Telefonnummern oder Bankkonten ging, hatte mein Gehirn seine eigene Logik entwickelt, um sich alles blitzschnell merken zu können. Es war unerheblich, wie die Ziffern lauteten, mein Gehirn baute rhythmische Dreierkolonnen daraus, die zur Melodie wurden und nur so und nicht anders die Tonlage ihres Informationsgehaltes preisgaben. Jemandem das zu erklären, hatte bei meinen Kumpels in Singapur nur Kopfschütteln ausgelöst. Sie hatten mir Zahlenkolonnen genannt, die ich nach einmaligem Hören in meinem Merksystem aufgedröselt und für immer gespeichert hatte. An der Bar hatten mich leicht oder schwer angetrunkene Kollegen gefragt: „Ich sollte mal meine Frau anrufen, dass es später wird. Wie ist meine Telefonnummer?“ Oder: „Hast du mal ein billiges und verschwiegenes Taxi zur Hand? Ich brauche die Nacht mal etwas anderes als meine Alte.“

Der Corporal, den uns Hassan Habibie als Wache überlassen hatte, trug unsere kleinen Reisetaschen brav vor uns her und öffnete mit einer Codekarte. Ich sah nur kurz die Zimmernummer. Und diese Zahl schien mich langsam zu verfolgen: 1310. Mit dem Mord an einem Sicherheitsbeamten im Ocean Building in Singapur, der die Personalnummer 1310 getragen hatte, hatte alles begonnen und schien kein Ende nehmen zu wollen. Hos Textilfabrik in Südchina, hatte ebenfalls diese Ziffer und ein Wachmann mit der Nummer 1310, war auf mein streng abgeschirmtes Gelände eingedrungen, um dann wieder spurlos zu verschwinden. „Nicht schon wieder ...“, stöhnte ich in der Ahnung, dass wir hier nicht zufällig waren. Ho hatte auch hier seine Finger im Spiel. Aber was hatte Habibie mit Ho zu tun? Oder war es umgekehrt? Oder vielleicht noch ganz anders?

Siu machte sich sofort über alles her, das nur den Anschein von Essbarem erweckte. Erdnüsse und Chips in Tüten, Obst, Schokolade. Alles, was der Kühlschrank hergab, wurde vertilgt. Cola wechselte mit Fruchtsäften und die mit Limonaden.

„Um einundzwanzig Uhr ist Dinner“, erinnerte ich daran, dass uns hier keine Hungersnot drohte. „Dann picke ich mir als Dame von Welt eben nur die Naschereien heraus“, erhielt ich eine schnippische Antwort. „Ich gehe duschen.“

Mir war es recht. Dann hatte ich genügend Zeit. Siu liebte es, die Süßwasservorräte einer jeden Dusche ausgiebig zu vernichten. Ich rief die 62223391 an. Dass es sich um eine Autowerkstätte handelte, hatte ich noch mitbekommen, bevor mich Hassans Auftreten unterbrochen hatte. Der Ruf ging durch, und eine mürrische Stimme melde sich mit dem nicht unterdrückbaren Tonfall eines Kantonesen.

„Sprechen Sie Englisch?“

„Wer spricht?“, wechselte die Stimme in mühsames Englisch, das auch kantonesisch gefärbt war.

„Mein Name ist Jack. Ich bin mit meinem Flugzeug notgelandet und die Basis hat mir Ihre Telefonnummer gegeben. Sie würden mir weiterhelfen.“

Die Stimme rauchte und hustete. „So, hat man Ihnen gesagt. Woher soll ich wissen, dass das stimmt? Können Sie sich identifizieren?“

Nein, genau das konnte ich nicht. Wenn mich die Stimme jetzt nach Details von Jack fragte, war mein Versuch, diese weibliche Befehlsstimme im Funk zurückverfolgen zu können, im Ansatz gescheitert.

„Das geht am Telefon schlecht. Können wir das nicht persönlich besprechen? Ich brauche Geld, um hier wieder wegzukommen.“ Die Stimme sprach mit jemand im Hintergrund in Kanton. „Da muss was schiefgegangen sein. Der Kerl sollte doch erst nächste Woche kommen. Was machen wir jetzt?“ Eine Stimme im Hintergrund antwortete, war aber nicht zu verstehen.

„Wenn Sie Jack der Pilot sind, müssen Sie sich identifizieren können. Ihr Pass reicht nicht. Den kann jeder fälschen. Also, was haben Sie Besonderes für uns?“

Ich inspizierte mich im Spiegel und versuchte mir vorzustellen, wie ein notgelandeter Jack aussehen müsste. Meine Uhr, den Geldgürtel und den Pass schloss ich im Zimmersafe ein. Ich hatte nichts. Nicht einmal eine Ahnung, was ich hier sollte und erwartete Hilfe durch eine Autowerkstatt. Ja, so ähnlich musste sich Jack gefühlt haben. Die Stimme schien keine Ahnung zu haben, wie der Pilot, der erst in einer Woche erwartet wurde, wirklich aussah. Nachdem ich als Identifikation einen seltsamen Ring genannt hatte, war wieder im Hintergrund getuschelt worden und die Stimme hatte mir die Adresse genannt, an die mich ein Taxi zu bringen hatte.

„Wo willst du denn jetzt noch hin?“ Siu überraschte mich, bevor ich den Raum verlassen konnte. „Wir haben um neun Uhr das Dinner mit diesem Schönling. Da kannst du doch jetzt nicht noch irgendwo hin. Wie siehst du überhaupt aus? An deinem Hemd klebt ja noch das Gehirn des Piloten und außerdem stinkst du, wie der Abfall einer schlechten Kneipe.“

„Das ist alles Tarnung. Ich bin der Pilot Jack, der nicht weiß, wo der Ring, den er um den Hals trug, hingehört. Das will ich nur schnell herausfinden. Ich bin gleich zurück.“

Siu stemmte die Hände in die nackten Hüften, langsam sah ich, dass sie nicht mehr allein war, und zog die Nase wie ein schnuppernder Hase hoch.

„Bist du noch normal? Nein, das bist du nicht“, gab sie sich selbst die Antwort. „Was bezweckst du damit? Du hast keine Ahnung, durch welche Boten der Ring schon an wen überbracht wurde. Und keiner weiß letztendlich vom anderen ...“ Sie machte eine Pause und schlang sich ein Badetuch um.

„Und, wie kann man das feststellen? Der Ring muss irgendwann seinen Empfänger erreichen und dieser sollte doch wissen, dass er der Ausgewählte ist.“

Siu atmete tief durch. „Na gut, du Sturkopf. Der endgültige Empfänger wird darüber informiert, dass man ihm nur sagt, der Ring habe sein Ziel erreicht. Mehr nicht. Weitere Informationen bekommt er dann auf anderen Wegen, wenn er sie nicht schon vorher bekommen hat und nur auf das Zeichen zum Losschlagen wartet. Hat er diese Informationen schon, antwortet er auch: „Der Ring hat sein Ziel erreicht.“

„Und wenn nicht?“

„Dann macht er nur ein dummes Gesicht und wird weitere Informationen erhalten. Passt ihm diese Aufgabe nicht, muss er einen Ersatzmann stellen und kann sicher sein, dass dieser ihn als Ersten zu erledigen hat.“ Siu legte den Kopf auf die Schulter. „Willst du dir das wirklich antun? Wir brauchen dich und du stehst kurz davor, mit Habibie ein klärendes Gespräch zu führen. Willst du das alles aufs Spiel setzen?“

Das wollte ich ganz und gar nicht. Aber ich mochte es nicht, in einen Fall involviert zu werden, der nicht von mir bis in den dunkelsten Hintergrund durchleuchtet worden war. Und das schien hier der Fall zu sein. Bisher war es ein Kampf zwischen den Clans der „Grünen Drachen“ und Stanley Hos nicht eindeutig nachweisbaren Verbindungen zur Organisation der K14-Triade gewesen zu sein. Bis sich die Fronten durch das Auftauchen von Hitachi als Vertreter der japanischen Yakuza den eigenen Plänen von Hos Töchter Xantia und July und der Huang Ringe zu verwässern begannen.

Bei seinem plötzlichen Auftauchen auf meinem Gelände hatte sich Stanley Ho nur etwas verwundert gezeigt, dass mir seine Tochter July einen Ring der Huang hinterlassen hatte, und er hatte ihn zerstört. Siu hatte zwei ähnliche Ringe im Gepäck, die sie angeblich von ihren Eltern geerbt hatte. Ihr Vater Dang Chu, auch in der Unterwelt der chinesischen Mafia als Alpha und Oberhaupt der „Grünen Drachen“ bekannt, hatte in einem Dauerkampf mit Stanley Ho um die Spiellizenzen in Macau gestanden und verloren. Wie seine Tochter Siu mich aufgeklärt hatte, war die Organisation der „Grünen Drachen“ schon längst nicht mehr existent. Sie diente nur noch den Huang, die seit Maos Zeiten aus Asien verbannt waren, als getarntes Standbein, um im Hintergrund die Fäden im aufstrebenden Wirtschaftsleben Chinas in der Hand zu behalten. Ihr inoffizielles Auftreten verbargen sie unter dem Deckmantel aller Spielcasinos in Las Vegas: der gleichnamigen Investorengruppe, die sich ebenfalls um Macaus Lizenzen bewarb, aber als Huang keine Chance bekommen würde, berücksichtigt zu werden.

„Nein, ich will nichts aufs Spiel setzen.“ Ich nahm die nasse Siu in den Arm. Sie umschlang mich. Ihr Körper zitterte. „Darum muss ich wissen, welchen Auftrag dieser Ring des Piloten nach sich ziehen sollte ... oder wird“, verbesserte ich mich. „Daher übernehme ich seine Position. Verstehst du das?“ Siu drückte das nasse Haar an meine Brust und schluchzte.

„Weißt du, wie mein Lieblingsspielzeug hieß, als ich noch klein war?“ Siu wischte sich mit dem Badetuch die Tränen ab. „Nein, das kannst du nicht wissen. Es war ein riesengroßer Stoff Panda. Er war damals, ich war vielleicht vier Jahre alt, einen Kopf größer als ich. Ohne ihn ging ich nicht ins Bett. Er war so kuschelig, und wenn ich seine Arme um mich schlang, fühlte ich mich sicher.“ Siu setzte sich aufs Bett und schmunzelte bei diesen Erinnerungen. „Kannst du dir vorstellen, dass ein ehemals so großer Bär zur Messlatte deines eigenen Wachstums werden kann?“ Sie kicherte. „Ich habe ihn bis zum Ende meines Studiums mitgeschleift. Manchmal waren die Betten in den Wohnheimen so klein, dass wir nicht beide hineinpassten. Dann habe ich ihm auf meinen Büchern, neben meinem Bett, sein eigenes gemacht und seine inzwischen zerzauste Pfote gehalten. Hauptsache, da war jemand, den ich liebte. Er war ein Stück Erinnerung, ein wichtiges Stück Heimat für mich. Kannst du das verstehen?“

Ich nickte stumm und schielte auf die Uhr am Bett. Die Zeit bis zum Dinner wurde knapp. „Hatte der Bär auch einen Namen?“, heuchelte ich Interesse. Siu nickte. „Ja, hatte er: Dummiwuschel. Er hat sich all meine Sorgen angehört, aber nie eine Antwort gegeben und mich nur mit seinen großen, schwarzen Augen treuherzig angesehen ... so wie du.“

Was sollte ich darauf sagen, außer: „Ich muss jetzt weg. Sonst bist du nachher mit dem Schönling wirklich alleine.“

„Mach nur. Setz deinen Dickkopf ruhig gegen die Wand“, murmelte sie und ging ins Bad zurück. „Das werde ich ohnehin sein, so, wie du dich auf das Gespräch vorbereitet hast. Aber mach nur. Du wirst froh sein, wenn sie dich nicht sofort umlegen. Ich werde Habibie sagen, dass du unpässlich bist und nicht am Dinner teilnehmen kannst.“

Ich wurde misstrauisch. Von Siu war ich inzwischen die unberechenbarsten Dinge gewöhnt. Mal schnitt sie einem Bewacher von Ho an einer japanischen Tankstelle „im Vorbeigehen“ den Hals durch. Dann gab sie ihrem Vater den Gnadentod und erschoss mal so eben drei Seeräuber, die unsere Bruchlandung mit der Challenger auf dem Hinflug nach Bali dazu nutzen wollten uns auszurauben.

Siu striegelte sich die Haare und lächelte mich verschmitzt im Spiegel an. „Was willst du denn sagen, wenn sie dich nach dem Namen von Jack fragen? Kennst du den überhaupt? Oder verlässt du dich nur auf das Prozedere des Rings? Darauf würde ich nicht wetten. Du siehst nicht wie Jack aus. Eher wie ein Topmanager, dem der Kirschsaft um die Ohren geflogen und die Haushälterin davon gelaufen ist. Außerdem konnte Jack nur Englisch, Deutsch, wie du sagst ...“

„Und Indonesisch ...“, fügte ich hinzu.

„Von mir aus auch das noch. Aber du triffst auf Chinesen und neigst sehr schnell dazu in deine Muttersprache zu fallen.“

Mit beidem hatte Siu recht. Ich kannte Jacks Familiennamen nicht und neigte dazu, da mir jeder den Mischling ansah, mich Auslandschinesen als einer der ihren zu präsentieren,

„Was schlägst du vor?“

Siu quiekte vor Freude. „Ich fasse es nicht. Perkin fragt mal, was ich von seinen übereifrigen Aktionen halte. Nichts, mein lieber Staranwalt. An der Börse und im Gericht bist du vielleicht unschlagbar, aber nicht auf meinem Gebiet ...“ Sie schwieg, als habe sie etwas zu viel gesagt und begann sich einzucremen.

„Nichts. Du hast es so beschlossen, dem Ring auf den Grund gehen zu müssen, also tue es. Neben meinem Bett liegt das Bordbuch der Catalina. Nimm es, aber gib es niemals aus der Hand. Es könnte wichtig sein. Wir sehen uns beim Dinner.“

Siu war wütend. Sie streichelte die Hautlotion nicht wie üblich über die Haut. Nein, sie walkte und knetete sie geradezu ein.

„Sollte ich noch etwas wissen?“

Siu sah kurz von der Beschäftigung, sich mit Hautcreme selbst zu ermorden hoch. „Lass mein Handy hier. Da sind zu viele Einträge im Adressbuch, die andere nichts angehen.“

Ich hatte unseren Wachhund vergessen.

Der Corporal stand mit hinter dem Rücken verschränkten Händen, wie ein Zinnsoldat vor der Tür.

„Tut mir leid, Sir. Wo wollen Sie hin? Ich muss Sie begleiten.“

Major Habibie hatte uns einen Begleitschutz gegeben, der nur vordergründig schützen sollte. Der Mann hatte dafür zu sorgen, dass wir nicht unbemerkt das Weite suchten, nachdem wir unsere Pässe wieder hatten. Wir sollten uns nur frei fühlen, aber wissen, dass Freiheit nur das bedeutete, was man uns zugestand.

„Corporal, wie sehe ich aus?“ Ich zog mein verschwitztes, blutbesudeltes Hemd aus der Hose. „Kann ich damit zum Dinner mit dem Major erscheinen?“ Der Soldat grübelte und entschied sich für eine Meinung. „Nein, Sir. Der Major legt Wert auf Etikette.“

„Dachte ich mir auch. Darum will ich nur in die Einkaufspassage im Hotel und mich neu einkleiden. Also, wollen Sie mir beim Unterhosenanprobieren helfen, oder doch besser hier auf meine schwangere Frau aufpassen?“

Danach war ich ein paar Blocks weiter gegangen, um ein Taxi zu finden. Ein bruchgelandeter Pilot, der in einem Hotel wohnte, in dem das Zimmer nicht unter 300 Dollar die Nacht zu haben war, sah als Bittsteller sehr suspekt aus. Das hatten auch die Taxifahrer gemeint, und nachdem ich ihnen das Fahrtziel genannt hatte, mussten sie sich über Funk abgesprochen haben. Jeder Fahrer, den ich gefragt hatte, schüttelte den Kopf. Alles schon vorbestellt. Mein Versuch den Fahrpreis zu verdoppeln, ja zu verzehnfachen, hatte keine Chance. Es war, als habe sich alles gegen mich verschworen, dass ich mein Ziel nicht erreichen durfte. Ratlos schlich ich die Taxistände im Viertel ab und erhielt von jedem Fahrer ein eindeutiges: „Nein. Bin vorbestellt.“

Mir lief die Zeit davon, wenn ich auch mangels Uhr nicht wusste, wie spät es war. Was sollte ich jetzt tun? Ins Hotel zurückgehen, mich neu einkleiden, damit der Corporal zufrieden war? Sius süffisantes Lächeln über mich ergehen lassen, das sie so perfekt beherrschte wie meine Mutter? Sie hatte Vater auch nie verbale Vorwürfe gemacht, wenn er nach einer Niederlage, die sie ihm prophezeit hatte, mit hängenden Ohren in seinem Arbeitszimmer verschwunden war, um allein schmollend seine Wunden zu lecken. Mutter war eigentlich nie laut gewesen. An eine handfeste Auseinandersetzung mit ihr und Vater konnte ich mich jedenfalls nicht erinnern. Sie steuerte ihn mit Aufmunterung und bestrafte ihn nur durch ihre Mimik. Sie hatte ihm, dem Despoten im Haus, nie einen Grund geliefert sich zu rechtfertigen, und damit in den Angriff gehen zu müssen. Und Siu war dabei, mich in der gleichen Weise zu handhaben. Das gefiel mir nicht, da ich gegen solche Taktik wehrlos war.

Ich saß auf einem Hydranten, rauchte, blätterte im Schein einer Laterne im Bordbuch der Catalina, zermarterte mein Gehirn, wie ich an meinen Bestimmungsort, irgendwo in Jakarta, kommen konnte. Mein Finger fuhr über die Seiten der vielen handschriftlichen Einträge. Die Maschine schien ein bewegtes Leben gehabt zu haben. Es waren Einträge von Erfolgen und Niederlagen. Sie erzählten von Schicksalen, die es wert waren, das Flugzeug selbst erzählen zu lassen. Es war etwas anderes, als nur ein Flugzeug ... es konnte nicht nur fliegen und schwimmen. Es schien auch eine Seele zu haben. Die Catalina war im Jahr 1947 von der Navy Air Force von einem Käufer Joseph Duffy, Commander im Ruhestand aus Dublin, vor der Verschrottung gerettet worden. Der hatte sie für die Luftbrücke nach Berlin 1948/49 als „Rosinenbomber“ reaktiviert und war mehrfach täglich auf der Spree gelandet. Ihrer relativ geringen Ladekapazität entsprechend hatte sie hauptsächlich Mehl und Zucker transportiert. Demnach war unser Pilot Jack, vom Alter her, der Nachkomme dieses Joseph. Und Jack war die Abkürzung von Joseph. Jetzt hatte ich wenigstens den Familiennamen unseres Piloten. Duffy, Jack.

„Siu, du hast was bei mir gut“, schmunzelte ich. So spröde, wie sie war, hatte sie ein Merkmal, für das ich sie zu lieben begann: Sie dachte mit und voraus. Sie diskutierte nicht. Sie machte. Aber auf genau diese Frauen sprang ich an. Ich zog sie wie das Licht die Motten an, wo bei mir nie recht bewusst geworden war, ob ich nun das Licht oder die Motte war. Das Ergebnis war immer das gleiche gewesen: Probleme in der zwischenmenschlichen Beziehung. Ein Dickkopf hatte nur solange seine Freude am anderen Dickkopf, wie beide ein gemeinsames Ziel ansteuerten, das einer durchgehenden Rinderherde entsprach, die alles niederwalzte, das sich ihr in den Weg stellte.

Das zu dieser Tageszeit übliche Verkehrschaos schien heute Abend auszubleiben. Auch fuhren keine Busse. Was war hier los? Ich steckte das Bordbuch in die Hose und zog das Hemd darüber. Ich musste es noch mal mit den Taxis versuchen. Vielleicht halfen ein paar Dollar mehr, um einen Fahrer zu überzeugen, mich an mein Ziel zu bringen.

„Taxi Mister?“

„Wer bist du denn?“, beugte ich mich zu dem jungen Mann, der kaum fünfzehn sein konnte und mich mit seinen weißen Zähnen siegessicher anlächelte. Warum hatten Inder immer so weiße Zähne? Unser Menschenschlag machte Zahnärzte reich, um ein halbwegs vorzeigbares Gebiss zu behalten. Sie schienen das Wort „Dentist“ nicht einmal zu kennen.

„Du bist also ein Taxi?“, musterte ich das Gefährt, das landläufig als Tuc Tuc bekannt war. Ein dreirädriges Gefährt, das mit einem Motorrad mit zwei bis vier Sitzen über einen gemeinsamen Rahmen verbunden war.

Der junge Fahrer nickte eifrig. „Klar Mister. Das ist unsere Nacht. Da muss jeder helfen, der ein Tuc Tuc besitzt. Es gibt Generalstreik ab Mitternacht und die Taxis werden alle Hauptstraßen blockieren. Da kommen nur wir noch durch. Das bringt richtig Geld für uns Kleinunternehmer, die sonst nur von ein paar Touristen und wenigen Rupiah am Tag leben müssen. Wer fährt denn bei diesem Smog sonst noch mit so einem unklimatisierten Gefährt?“