Wie man Mr. Perkin in den Wahnsinn treibt - Hef Buthe - E-Book

Wie man Mr. Perkin in den Wahnsinn treibt E-Book

Hef Buthe

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  • Herausgeber: 110th
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2014
Beschreibung

Eine ausgebrannte Küche, vier ermordete Handwerker und ein Rauschgiftfeld in seinem Gewächshaus, für das sich nach einer Anzeige die Behörden interessieren. Ein betrunkener Schwiegervater und ein Polizeichef, der Geld braucht. Die Mutter seines angeblichen Sohnes verschwindet und Zement wird in der Stadt knapp. Das ist die Situation, die Perkin an den Rand des Wahnsinns treibt.

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Wie man Mr. Perkin

in den Wahnsinn treibt

 

 

 

 

 

Impressum:

Cover: Karsten Sturm-Chichili Agency

Foto: fotolia.de

© 110th / Chichili Agency 2014

EPUB ISBN 978-3-95865-073-2

MOBI ISBN 978-3-95865-074-9

 

Urheberrechtshinweis:

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Autors oder der beteiligten Agentur „Chichili Agency“ reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

 

 

Der Autor

1946 geboren. Nach dem Abitur Ausbildung zum Journalisten. Von 1968-1975 als Kriegsreporter in Nicaragua, Yom Kippur und Vietnam.

1976 Studium der Ökonomie. Zwischendrin immer wieder als Reporter in Borneo, Japan, Sibirien. Gleichzeitig Gründung der ersten Leiharbeiterfirma für Ingenieure in Hongkong. Nach 30 Jahren Asien lebt Hef mit seiner Frau im Sauerland und widmet sich seit 2004 dem Schreiben von Thrillern. Sechs davon sind bei Bastei-Lübbe erschienen. Nun geht er seiner Liebe nach und schreibt Thriller, die vornehmlich in Asien spielen.

Kurzinhalt

Eine ausgebrannte Küche, vier ermordete Handwerker und ein Rauschgiftfeld in seinem Gewächshaus, für das sich nach einer Anzeige die Behörden interessieren. Ein betrunkener Schwiegervater und ein Polizeichef, der Geld braucht. Die Mutter seines angeblichen Sohnes verschwindet und Zement wird in der Stadt knapp. Das ist die Situation, die Perkin an den Rand des Wahnsinns treibt.

Die Hauptfiguren

Mr. Perkin, Wirtschaftsanwalt in Singapur

The-Maria Stösser, Verlobte von Perkin

Peter Stösser, Journalist aus Köln, zukünftiger Schwiegervater

Chee, Polizeichef Singapur

Micky Bloomberg, Oberstabsärztin a.D.

Tony Tan, Wirtschaftsminister Singapur

Stanley Ho, Casino Tycoon Macau

July, Tochter von Stanley Ho

Singapur, Finanzviertel, Parlament, alter Hafen

„Wie soll ich das verstehen?“, fragte Perkin.

„Wie ich es gesagt habe. Sie werden hängen. Und dagegen können Sie nichts mehr unternehmen. Da nützen Ihnen Ihre Milliarden nichts.“

Singapur, 06.08.1999

Perkin sah von der Terrasse, die gleichzeitig den Eingang des Hauptgebäudes wie ein Wetterschutz auf Säulen überdachte, auf die Garagen hinunter. Louis wusch die Wagen, von denen Perkin fünf an der Zahl besaß. Den Rolls-Royce, einen 60er Phantom, den er noch von seinem Vater geerbt hatte. Einen 7er BMW, einen 911er Porsche Cabrio, einen Jaguar und einen Suzuki für die kleinen Besorgungen. Damit war er im Klub der Superreichen in der Stadt komplett untermotorisiert. Ein Ferrari oder ein ebenbürtiger Exot hätten mindestens noch dazugehört. Sein Privatvermögen war, nach dem Stand von heute Morgen, auf mehr als elf Milliarden gestiegen, die er sich durch Börsenspekulation nicht immer ganz legal angeeignet hatte. Doch was war an der Börse schon legal? In Singapur fragte kein Mensch danach. Alle versuchten es, wenige hatten Glück. Und wo kein Kläger war, gab es auch keinen Richter.

Doch Perkin trieben ganz andere Sorgen um. Mit seinen fast vierzig Jahren hatte er als Anwalt mehr erlebt, als die meisten seiner Kollegen. Dafür hatte schon das Erbe seiner Eltern gesorgt, die ihn mit ihrem plötzlichen Tod vor fast unlösbare Aufgaben gestellt hatten. Zehn Millionen hatte das Finanzamt an Nachforderungen gestellt, und eine südchinesische Triade hatte ihm einen Schuldschein seines Vaters über einhundert Millionen Spielschulden präsentiert. (Töchter der Triaden)

Mit Geschick, noch mehr Glück und durch den Verkauf seiner Seele war er allem bisher entronnen. So dachte er. Aber den Triaden entkam man nur durch den Tod. Um das zu wissen, war nicht einmal ein Gedanke nötig. Das war ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Wann sein Tod vorzeitig eintrat, hatte weder er noch ein Arzt zu bestimmen und schon gar nicht das körperliche Alter. Den Termin bestimmten andere, wenn … ja wenn was?

Seit er vor ein paar Stunden aus Jakarta zurückgekommen war, häuften sich seltsame Ereignisse. July hatte ihn gewarnt und gleichzeitig gebeten, mit Ihrem Vater Stanley Ho ein Gespräch zu führen, wie er aus dem gemeinsamen Vertrag mit ihm aussteigen konnte. Aber Perkin hatte abgelehnt. Für ihn als Jurist war der Vertrag durch Erpressung zustande gekommen und somit nichtig. Aber das war die Ansicht eines Juristen, der damit sicher vor jedem Singapurer Gericht recht bekommen hätte. Es war aber sicher nicht die Ansicht eines, nein des mächtigsten Mannes in Macau und Hongkong, der seine eigene Gerichtsbarkeit war. Vierzig Morde wurden ihm nachgesagt, aber bei keinem konnte jemals nachgewiesen werden, dass Stanley Ho seine Finger im Spiel gehabt hatte. So war es bei Vermutungen der Behörden geblieben, weil es einfach niemand anderen gegeben hatte, der Interesse am Tod dieser Männer gehabt haben konnte. Die Verfahren waren aber alle eingestellt worden, die Akten irgendwohin verschwunden. Dass die mit dem Fall betrauten Staatsanwälte nach und nach von der Bildfläche verschwunden waren, hatte nicht einmal mehr die Presse interessiert. Was in Perkin, wie bei einem erfahrenen Seemann, der das Aufziehen eines Sturms riechen konnte, eine dunkle Ahnung aufsteigen ließ, war das Datum 20. Dezember 1999.

An diesem Tag würde Portugal seine Kolonie Macau an die Volksrepublik China zurückgeben, die ab 01.01.2000 offiziell in dem Stadtstaat die Macht übernahm. Stanley Ho hatte bis dahin in Macau uneingeschränkt über alle Spielcasinos, Fähr- und Flugverbindungen nach Hongkong und den gesamten Bausektor geherrscht. Nun musste einen Großteil seiner Macht im Wettbewerb mit amerikanischen Bietern um die Spiellizenzen preisgeben. Sein Kapital würde nicht reichen, um die Alleinherrschaft behalten zu können. Und genau da hätte Perkin vorbeugend eingreifen sollen, was er aber durch den Tod seiner Frau Siu, für Perkin war es immer noch ein Mord gewesen, und ihrer Hinterlassenschaft von drei Milliarden unterlassen hatte. Er hatte sich stattdessen um die Vermehrung seines eigenen Vermögens gekümmert. Dies schien ihm eine bessere Sicherheit für sein Leben zu bieten. Inzwischen war er Stanley finanziell mehr als ebenbürtig. Wenn Stanley Ho Geld brauchte, würde er es ihm leihen. Natürlich zu seinen Konditionen. Aber noch war es nicht soweit. Es herrschte die Ruhe vor dem Sturm, und die konnte selbst dem härtesten Profi Nerven kosten. Was wird dein Gegner tun? Was kann er tun? All dies waren Überlegungen, die sich im Nachhinein meistens als Verrücktmacherei herausstellten. Aber sie verliehen einem das Gefühl, wenigsten gut vorbereitet zu sein.

Warte es ab. Es kommt meistens doch anders als gedacht. Vielleicht trifft Stanley Ho auch vorher der Schlag, bevor er wieder auf die Erfüllung des Vertrages pochen kann, beruhigte sich Perkin.

Zwei schlanke Arme legten sich um Perkins Taille.

„Guten Morgen. Du bist früh wach. Es geht doch nichts über das eigene Bett. Wie bekommen wir unser Frühstück? Die Handwerker reißen alles raus. Das dauert ja mindestens eine Woche, bis wir die Küche wieder nutzen können.“

Perkin drehte sich in The-Marias Armen um, brachte sie mit einem Kuss zum Schweigen.

„Das ist alles schon geklärt. Es wird im Gästehaus gekocht und hier her gebracht. Aber hast du schon deinen Vater gesehen?“

„Peter? Nein.“ Beide sprachen von derselben Person. Aber The-Maria war nicht zu bewegen ihren Vater, Peter Stösser, als Vater durchgehen zu lassen. Sie blieb bei seinem Vornamen Peter, so als spräche sie über einen Fremden.

„Hast du schon in seinem Zimmer nachgesehen?“

„Nein. Was geht mich sein Zimmer an?“

„Na schön, dann frage ich die Wache“, gab Perkin auf und wechselte das Thema.

„Wie geht es deinen Prellungen? Das Auge und deine Stirn sehen schon besser aus.“

The-Maria versuchte ein strahlendes Lächeln und öffnete den Bademantel.

„Die beiden Philippinas sind als Krankenschwestern Klasse. Gut, dass du die mitgenommen hast.“ Sie zeigte ihren nackten Körper, der nach dem Autounfall in Jakarta im Brustbereich von Blutergüssen übersät gewesen war.

„Sie sind fast alle weg. Die Wunde hier oben blutet nicht mehr.“ Sie strich das Haar aus der Stirn und legte die Platzwunde frei. „Noch ein paar Tage, dann bin ich wie neu.“ Perkin nahm sie fest in die Arme. „Ja, du wirst wieder wie neu. Sag im Gästehaus Bescheid, was du zum Frühstück möchtest. Ich hätte gerne die beiden Philippinas dabei.“

The-Maria legte den Kopf fragend zur Seite. „Was soll das denn? Die gehören doch nicht zur Familie.“

Perkin legte ihr den Zeigefinger auf die Lippen. „Psssst! Doch. Jeder, den ich bezahle, gehört zur Familie. Sonst habe ich bald wieder Verräter in unserem Haus. Das ist bei Perkins schon immer üblich gewesen, das Personal so gut wie möglich einzubinden.“

The-Maria zuckte mit den Schultern. „Na schön, wenn das so üblich ist. Ich komme nur aus den Slums von Saigon. Mit einer Nutte als Mutter und einem Vater, der sich fast drei Jahrzehnte nicht um mich gekümmert hat. Woher soll ich wissen, was bei den Reichen üblich ist?“

„Bitte, The-Maria!“ Perkin versuchte, eine Eskalation zu vermeiden. „Du gehörst mit unserer Heirat zu den angesehensten Frauen in Singapur. Du bist wer. Also verhalte dich auch so. Gutes Personal ist hier schwer zu finden und sehr teuer.“

Sie kniff trotzig die Lippen zusammen, schlang den Bademantel um sich. „Na schön. Ich werde mich daran gewöhnen, dass Chinesen Machos sind. Aber wenn meine Stiftung für die Kinder steht, hältst du dich da raus. Abgemacht?“ Sie hielt ihre Hand hin.

Perkin lachte lauthals und schlug ein. „In Ordnung. Wo muss ich unterschreiben, damit ich dir mein Geld überweisen kann?“

The-Maria war dabei, ihm eine runterzuhauen. Aber sie hielt sich zurück und besann sich auf ihre Erfahrungen. Erfahrungen, die sie als Kriegsprodukt in ihren jetzt knapp dreißig Jahren gemacht hatte. Sie gehörte nirgendwo hin. Vietnam hatte nie von ihr Notiz genommen, da sie an Bord einer amerikanischen Militärmaschine als Neugeborene außer Landes gebracht worden war. In Thailand, wo die Maschine mit kaputten Hubschraubermotoren und einem Haufen verletzter Soldaten gelandet war, hätte man sie als wenige Wochen altes Baby kurzerhand irgendwo bei irgendwem abgeladen. Sie hätte nie erfahren, woher sie gekommen war. Micky, eine schwarze Sanitäterin, die es als Farbige im Krieg selbst nicht leicht gehabt hatte, hatte sich ihrer angenommen. So war sie zur amerikanischen Staatsbürgerschaft durch das Mitleid einer Frau geworden, die sich nur durch ihren Willen und ihre absolute Robustheit gegen den Willen der weißen Vorgesetzten bis zur Ober-Stabsärztin im Rang eines Majors hochgebissen hatte.

“Wolltest du nicht July und deinen Sohn besuchen? Der wurde vorletzte Nacht geboren. Das hat Louis gesagt, dein schwarzer Fahrer aus Louisiana, der gerade da unten deine Autoausstellung putzt.“

Perkin atmete tief durch. „Tut mir leid. Das wollte ich nicht sagen. Du kannst sofort eine Milliarde haben. Wenn wir verheiratet sind, gehört dir alles. Aber …“

The-Maria nickte. „Aber. Immer aber. Dein und mein Leben besteht nur aus lauter aber. Wo gibt es Frühstück? Im Gästehaus? Und was gehört hier zum guten Ton? Das Personal mit einzubinden? Gut, dann gehe ich ins Gästehaus zum Frühstücken. Oder gibt es dazu auch ein aber?“

Perkin hob hilflos die Arme. Was sollte er auch sagen?

„Übrigens“, unterbrach The-Maria ihren Abgang, „es gibt da noch eine Ärztin, die ich gerne bei mir hätte. Hast du etwas gegen eine Schwarze?“

„Warum sollte ich?“ Perkin deutete auf Louis im Hof, der immer noch daran glaubte, als Barpianist nach Las Vegas berufen zu werden. „Würde ich sonst Louis beschäftigen?“

„Dann ist ja gut. Ich werde Micky sofort anrufen, ob sie kommen kann. Und wenn, dann kenne ich jemand, der den Mund nicht mehr zukriegt.“

„Und wer ist das?“, rief Perkin hinterher.

„Peter …“, kam es zurück, bevor sie die Terrassentür schloss, um die Klimaanlage nicht unnötig zu belasten.

„Peter“, grollte Perkin. „Wo steckt der Kerl? Mit dem habe ich wegen Jakarta noch ein Huhn zu rupfen. Bringt seine Tochter und mich in Lebensgefahr. Es kostet einen Mann das Leben, der fälschlich für ihn im Gefängnis gelandet ist. Jetzt tut er so, als sei nichts gewesen.“

„Louis!“, rief Perkin ganz gegen seine Gewohnheit, sich mit dem Personal nicht über die Distanz zu unterhalten. „Weißt du, wann Mr. Stösser aus dem Haus ist und wo die Apothekerin steckt?“

Louis unterbrach seine Arbeit und grinste freundlich. „Guten Morgen, Mr. Perkin. Sie sind aber schon früh wach. Wird ein heißer Tag heute.“ Louis war der Einzige, außer der Apothekerin, die auch nicht direkt zum Personal zählte, der ihn nicht einfach mit „Sir“, sondern mit seinem Namen ansprach.

„Nein, Mr. Perkin. Ich weiß nicht, wann Mr. Stösser aus dem Haus ist. Das müsste aber die Pforte wissen. Und die Apothekerin?“ Louis schob den Strohhut in den Nacken und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. „Ich vermute, dass die ein schlechtes Gewissen hat, weil sie in ihrer Schusseligkeit die Küche abgefackelt hat. Die Frau wird langsam gemeingefährlich. Die kann man doch nicht mit ihren über achtzig Jahren mehr mit all ihren Giftkräutern, Schlangen und was die noch alles zusammenbraut allein wirtschaften lassen. Das ist meine Meinung, Mr. Perkin“, setzte er abschließend hinzu und wartete auf eine Antwort.

Perkin nickte. „Danke Louis. Ich nehme in einer Stunde den BMW. Ich will Miss July in der Klinik besuchen.“

Wohl war Perkin bei dem Gedanken nicht. Er hatte auch keine Ahnung, was man einer Frau mitbrachte, die vor ein paar Stunden ein Problemkind zur Welt gebracht hatte. Ein Kind, das schon, bevor es das Licht der Welt erblickt hatte, für Probleme gesorgt hatte.

Vor fünf Monaten hatte July ihn damit konfrontiert, dass sie ein Kind von ihm erwarte und ihm gleich eine Vaterschaftsanalyse vorgelegt. Perkin war das wie ein Überfall vorgekommen. Da es nicht unmöglich war, Vater des Kindes zu sein, hatte er die Vaterschaft schriftlich unter einem Vorbehalt anerkannt: Er hatte dem Kind sofort den Namen Michael gegeben. Außerdem musste das Kind in Singapur zur Welt gebracht werden. Somit war es Singapurer, was jeden Zugriff von chinesischer Seite verhindern würde. Weiterhin galten zur Vaterschaftsbestimmung nur inländische Gesetze, die eine pränatale Bestimmung verboten und solch eine erst ab Vollendung des zweiten Lebensjahrs des Kindes zuließen. Und nun war das Kind auf der Welt und würde vierundzwanzig Monate nur den Namen Michael tragen. Außer July stieg aus dem gemeinsamen Vertrag aus und gab ihm den Familiennamen Stanley, Vater: unbekannt. Damit würde Michael auch von der Erbfolge der Perkins ausgeschlossen. Oder sie gab den Namen Perkin als Erzeuger an. Dann war der Ärger vorprogrammiert. Er würde nichts dagegen unternehmen können, bevor die Zweijahresfrist abgelaufen war.

Würde July so lange mit dem Kind in Singapur bleiben? Dann konnte er die Ehe mit The-Maria vergessen. Dieses Wildpferd würde sich das nicht bieten lassen.

Diese Überlegungen ließen Perkin zögern, den überglücklichen Vater zu spielen und himmelhoch jauchzend die Mutter in die Arme zu nehmen, die für ihre Nymphomanie bekannt war. Als Managerin der Liegenschaften ihres Vaters hatte sie nie einen Hehl daraus gemacht, dass Führungspositionen nur durch ihr Bett vergeben wurden.

Aber July hatte sich die letzten Monate ohne zu murren an den Vertrag gehalten und auch keinerlei Einwände erhoben, als er The-Maria ins Haus gebracht hatte. Sie hatte sich unauffällig wie ein Gast gegeben. Doch sie war die Tochter dieses Stanley Ho, dem noch amtierenden Spielbank-Tycoons von Macau.

War sie jetzt mehr Mutter und die abtrünnige Tochter eines Triadenfürsten? Oder lauerte sie hier im Haus darauf, als „Schläfer“ von ihrem Vater aktiviert zu werden?

Eine seltsame und unter Umständen gefährliche Konstellation, die keinem Mann in Perkins Situation gefallen konnte.

Mal den Teufel nicht an die Wand, rief sich Perkin zur Ruhe. Sie hat ein Kind in die Welt gesetzt, dessen Erzeuger strittig ist. Du kannst es adoptieren, wenn du eine rechtsgültige Ehe mit The-Maria eingegangen bist. Oder sie gibt das Kind nicht her, dann musst du …

Ab hier fiel Perkin auch keine Lösung mehr ein, als es abzuwarten, was und wie July entschied. Dieser Vertrag, der auch noch von ihm stammte, konnte ein Boomerang werden. Da half auch die Ausrede nichts, dass er nur Wirtschaftsanwalt und kein Familienrichter war. Singapur brauchte dringend Nachwuchs aus den eigenen Reihen. Und der wurde langsam knapp. Im Zweifelsfall würde die Justiz auf der Seite der Mutter sein, daran hatte er nicht gedacht.

Redaktion Singapur Post

Der Chefredakteur hieß Smith und war genauso farblos wie sein Name, oder wie ein vom Verkehr abgeriebener Zebrasteifen. Er war gebürtiger Chinese, aber nicht Willens zu erklären, woher er seinen Familiennamen hatte. Das musste er auch nicht mehr, nachdem man ihn zum Chef ernannt hatte. Seither hatte er ein eigenes Büro, eine Assistentin und zwanzig Redakteure unter sich. Ob er eine Familie hatte, wusste nur die Verlagsleitung. Jedenfalls standen auf seinem Schreibtisch keinerlei Fotos, die darauf schließen ließen. Über Mittag verschwand er in einer Garküche mit angeschlossenem Wettbüro und setzte auf alles, was auf Beinen in Rennen unterwegs war. Pferde, Hunde, Kakerlaken. Nach einer Stunde war er pünktlich zurück und registrierte aus seinem Glaskasten missmutig jede Verspätung seiner Untergebenen. Der Betroffene hatte beim Briefing Probleme zu erwarten, seinen Artikel für die morgige Ausgabe angenommen zu bekommen. Nachdem das eine Woche gedauert hatte, bis das alle begriffen, gab es keine Verspätungen mehr, was er schmunzelnd mit: „Na geht doch!“ kommentiert hatte.

Und so saß Mr. Smith in seinem Glaskastenbüro und war mit dem Ergebnis seiner Erziehungsmaßnahme zufrieden. Wenn da nicht jemand wäre, der gerade auf ihn und seinen Kasten zusteuerte. Der Mann war über eins neunzig groß, wog so viel wie zwei Asiaten, hatte eine sonnenverbrannte Haut und kurze weiße Haare, die nach unten durch einen zottigen Bart fortgesetzt wurden.

Der Mann klopfte nicht erst an, sondern riss gleich die Tür auf. „Sag mal Smith.“ Er legte seine Pranken auf den Schreibtisch, „Was soll der Scheiß? Warum ist mein Arbeitsplatz belegt?“

Mr. Smith zog die Augenbrauen hoch und lehnte sich zurück. „Ach, Mr. Stösser bequemt sich auch mal wieder nach acht, oder sind es neun, Wochen der Abwesenheit, vorbei zu schauen. Nett von Ihnen. Dann kann ich Ihnen ja persönlich mitteilen, dass Sie gefeuert sind. Solche Journalisten kann ich hier nicht gebrauchen, die glauben, ihre eigene Tour fahren zu müssen.“

Mr. Smith zog eine Schublade auf, legte eine Mappe auf den Tisch, die unübersehbar Stössers Namen trug. Er schlug sie betont umständlich auf, blätterte darin, zog ein Blatt hervor und schob es ihm über den Tisch.

„Was soll das denn? Ihr spinnt wohl komplett“, echauffierte sich Stösser.

„Viertausendeinhundertzwanzig Dollar für Privatgespräche von meinem Diensttelefon? Das ist Betrug. Die müssen andere während meiner Abwesenheit geführt haben. Dass lasse ich mir nicht bieten.“

Mr. Smith zuckte mit den Schultern. „Da du nicht da warst, wird es dir schwerfallen, das zu beweisen. Und da du hier kein Einkommen mehr im Verlag hast, können wir es dir auch nicht vom Gehalt abziehen. Also, wie willst du das zurückzahlen? Sonst geht es an die Rechtsabteilung. Was dir dann als Gast in Singapur passiert, dürfte dir klar sein. Eine Ausweisung ist das Mindeste, nachdem du ein paar Monate gesessen hast.“

Stösser trommelte mit den Fingern auf dem Schreibtisch und nannte sich einen Idioten.

Gegen diese Scheiß Chinesen ist einfach nicht anzukommen. Die kennen keinerlei Ethik im Berufsleben. Sie drehen und wenden es, wie es ihnen passt, und wenn es ihnen nicht passt, wenden sie die Gesetze gegen dich an, die ihnen selbst nicht passen, stellte Stösser zum hundertsten Mal frustriert fest.

„Ich arbeite an einer Story, die beweist, dass die indonesische Armee ihren eigenen Staat betrügt, indem sie Rohstoffe ohne Genehmigung von Jakarta an die Chinesen verkauft. Das Geld verschwindet spurlos in den Taschen der Generäle“, versuchte Stösser die Situation auf der Basis von Journalist zu Journalist zu klären.

Doch Mr. Smith schüttelte den Kopf. „Stösser, das ist ein alter Hut, mit dem wir keinen Leser mehr locken können. Außerdem mag unser Wirtschaftsministerium solche Meldungen nicht. Die könnten die Börse beunruhigen.“ Er legte die Hände flach übereinander und beugte sich vor.

„Ich weiß, dass du finanziell schwach auf der Brust bist und schon zwei Monate dein Appartement nicht mehr bezahlt hast. Wie willst du die Rechnung bezahlen?“

Stösser kratzte sich am Bart. Perkin hatte ihm für die Klärung dieser dubiosen Rohstofftransfers von Borneo, das in Indonesien Kalimantan hieß, eine Million versprochen und zusätzlich dreihunderttausend Spesen im Voraus gezahlt. Aber der Vorschuss, der in solch einem armen Land hätte für Jahre reichen müssen, war wie Butter in der Sonne geschmolzen. Jeder wusste etwas, um ihn an den Platz des Geschehens zu bringen und hatte die Hand aufgehalten. So hatte er sich zuletzt noch Geld von seinem Scout leihen müssen, der ihn in das militärische Sperrgebiet in Ost-Kalimantan geführt hatte. Als Versprechen, dass er das Geld zurückzahlen würde, hatte er ihm seinen deutschen Personalausweis überlassen, der in dieser Gegend zu nichts nutze war. (Der Feuergürtel)

„Wie willst du die Rechnung begleichen?“ Mr. Smith holte ihn aus seinen Gedanken zurück in die Realität. Aber er sah, dass Stösser darauf keine Antwort wusste. Der versuchte sich einen Zigarillo anzustecken und wurde sofort zurechtgewiesen.

„Hier wird nicht mehr geraucht. Das kostet Arbeitszeit.“

Stösser schob das Tabakröllchen in die Schachtel zurück. „Ich zahle es diese Woche. Vorher muss ich mit meinem Auftraggeber sprechen. Er schuldet mir noch Geld. Aber er ist noch nicht von seiner Reise zurück.“

Mr. Smith richtete sich im Stuhl auf und machte sich so groß, wie es sein Körper zuließ.

„Stösser, mal ehrlich. Du magst in deinem Land ein guter Journalist sein. Aber hier taugst du nichts. Du sprichst nicht unsere Sprachen und bekommst somit kaum etwas mit. Dein Auftraggeber ist schon längst wieder im Land, wenn du Mr. Perkin damit meinst.“

Nun zog Stösser die Augenbrauen hoch und die Stirn in Falten. Als er vor drei Tagen nach Singapur zurückgekommen war, konnte er nicht in seine kleine Wohnung, da ihm der Inhaber wegen seiner Mietschulden kurzerhand die Schlösser ausgetauscht hatte. So hatte er sich mangels einer anderen Möglichkeit entschlossen, wieder sein Zimmer auf Perkins Anwesen aufzusuchen. Der diensthabende Pförtner hatte ihm auf die Frage nach Mr. Perkin nur kurz geantwortet: „Auf Geschäftsreise. Rückkehr nicht bekannt.“ Ein Schwarzer mit der Stimme von Louis Armstrong hatte ihn nur taxiert und nicht weiter belästigt. Dafür musste er mit einem Feuerlöscher einer alten Frau helfen, den Brand in der Küche zu löschen. Er drohte, auf den ganzen Bau überzugreifen.

Mr. Smith amüsierte sich über Stössers wechselnde Mimik und schnippte mit den Fingern.

„Stösser stimmt es? Ich habe recht. Sie bekommen hier einfach nicht alles mit. Daher mache ich Ihnen zur Begleichung Ihrer Rechnung einen Vorschlag. Vielleicht springt sogar, wenn Sie gut sind, eine Titelseite dabei heraus.“ Für Smith war Peter Stösser ab sofort kein Kollege mehr Er verdiente es auch nicht, noch länger geduzt zu werden.

Eine Titelseite hörte sich gut an, war aber in der Regel den älteren Kollegen vorbehalten. Wobei älter in Stösser Fall nichts mit dem physischen Alter zu tun hatte. Darin war er mit seinen über fünfzig selbst dem Verlagsinhaber ein paar Jahre voraus.

„Was wäre das?“

Mr. Smith schmunzelte und kramte in einem Stapel älterer Ausgaben, bis er endlich die passende Zeitung gefunden hatte.

„Um das hier.“ Mit dem Finger deutete er auf das Foto und die Überschrift auf dem Titelblatt.

„Milliardär erpresst Regierung. Er will in Singapur sein eigenes Spielcasino bauen.“

Stösser schüttelte den Kopf und las weiter und weiter. Zwei Seiten hatte die Singapur Post Perkin gewidmet. Das war mehr, als jedem Staatsbesuch zugestanden wurde. Und er war währenddessen im Dschungel von Kalimantan herumgekrochen. War es von Perkin Absicht gewesen, ihn in dieser Zeit außer Landes zu schicken?

„Wer ist die Frau neben Perkin?“ Smith hob die Hände. „Finden Sie es heraus! Man munkelt, dass sie vietnamesischer Abstammung sei und dass da eine Hochzeit anstehen soll, was natürlich die Leserinnen mehr interessiert, als so ein blödes Casino.“

„Und dafür eine Titelseite?“ Stösser wurde misstrauisch. Irgendwie kam ihm die Frau neben Perkin bekannt vor, aber er konnte sie nicht zuordnen. Sie war schlank und relativ groß, hatte aber nicht den typischen Gesichtsausdruck um die Augen, der Asiatinnen kennzeichnete. Böse Mäuler nannten ihn banal Schlitzaugen.

„Wenn Perkin, so kurz nach dem Tod seiner Frau Siu, wieder heiraten sollte, wird das die Öffentlichkeit schon interessieren. Wer ist die Frau und welchen Einfluss hat sie auf Perkin? Das wird garantiert auch die Regierung wissen wollen, die momentan noch in einer Art Schockstarre steckt. Glücksspiel? In Singapur? Damit können sich die alten Herren noch nicht anfreunden, obwohl sie es gerne hätten. Dafür müssten aber eine ganze Reihe von Gesetzen geändert werden. Und was passiert mit dem Image der Stadt? Also Stösser. Was ist? Eine Titelseite bringt zwanzigtausend, die Sie gut gebrauchen können, wo Sie doch schon auf dem Gelände wohnen.“

Peter Stösser kaute, in Ermanglung eines Zigarillos, auf seinem Filzstift herum. Das waren allerdings Neuigkeiten, die sein Journalistenherz höher schlagen ließen. Er saß sozusagen wirklich an der Quelle. Aber hier war nicht nur Information, sondern auch Vorsicht geboten. Mit Perkin war nicht zu spaßen. Unbeliebte Journalisten konnten bei ihm schnell zur Beute seiner Verbindungen werden. Gerade dieser Berufszweig stand bei ihm auf der Agenda der auszurottenden Spezies ganz oben.

„Ich muss mich erst einlesen und mir einen Überblick verschaffen“. Er rollte die Zeitung zusammen, um seinen Wissensrückstand anhand des Artikels aufzuholen. „Ich sage dann Bescheid, was geht.“

„Da ist noch etwas, um das Sie sich kümmern sollten.“

Stösser war schon auf dem Weg zur Tür.

„Finden Sie auch heraus, warum eine Stanley-Tochter, Sie wissen wen ich meine, ihre Entbindung hier im Central-Hospital hat und nicht in Hongkong, was für sie doch bequemer wäre? Hängt etwa dieser Stanley Ho mit in der Glücksspielgeschichte? Oder was macht die Frau hier?“

Stösser tastete seine Taschen ab und förderte eine Handvoll Münzen zutage. Das war alles, was er noch besaß. Das reichte nicht einmal mehr, um ein Taxi zu Perkins Anwesen zu bezahlen.

„Das sind zwei Aufträge.“ Er entschloss sich, in den Angriff zu gehen. „Kann ich darauf einen Vorschuss bekommen?“

Mr. Smith lachte trocken und künstlich.

„Stösser, ich glaube nicht, dass Sie in Ihrer Situation überhaupt etwas bekommen, bevor Sie nicht liefern. Holen Sie sich das Geld von diesem Auftraggeber, der Sie nach Kalimantan geschickt hat. Dann sind Sie wieder flüssig. Oder haben Sie nicht verstanden, dass ich Sie entlassen habe? Sie werden in Vorleistung gehen müssen, sonst haben Sie ein Problem.“

Stösser legte die paar Cent, die er noch übrig hatte, auf den Tisch. „Das reicht nicht einmal für die U-Bahn zurück. Wie soll ich an meinen Arbeitsplatz kommen?“ Smith schüttelte den Kopf und suchte in seiner Jacke, die über der Stuhllehne hing.

„Stösser, Sie sind ein Idiot. Gehen Sie in Ihre Heimat zurück. Aber da ich einen guten Tag habe, hier sind zwanzig Dollar. Die reichen, um an Ihren Arbeitsplatz zu kommen, wie Sie das gekonnt ausdrücken. Guten Tag.“

Stösser hatte die U-Bahn genommen. Sie kostete vom Stadtinneren nur fünf Dollar bis zu der Station, die Perkins Anwesen am nächsten lag. Von da aus musste er noch drei Kilometer laufen, wenn er sich unterwegs noch etwas vom Restgeld zu Essen und Trinken kaufen wollte.

Du bist ganz schön runtergekommen, gestand er sich ein, nachdem er den Artikel über Perkin und seinem Vorhaben gelesen hatte, mitten in Singapur ein Spielcasino zu bauen. Gleich neben dem Finanzviertel am alten Hafen einfach neues Land anschütten, Hotel mit Spielbank drauf, fertig. Perkin hatte sofort eine Kalkulation mitgeliefert, nach der der Staat Singapur nur Steuern zu kassieren hatte. Den Rest übernahm eine Investorengruppe aus den USA. Wo da ein Haken sein sollte, darüber mussten sich Berufenere den Kopf zerbrechen. Für ihn war das Geschäft jedenfalls nicht durchschaubar. Es ging um Milliarden. Aber in dieser Stadt galten Fragen von Kritikern schon lange nichts mehr. Hast du Erfolg? Gut, dann will niemand wissen, wie du das gemacht hast. Hast du keinen? Pech für dich und deine Gläubiger. Es war eine Goldgräberstimmung in diesem Stadtstaat, die nur eines nicht vertragen konnte … neugierige Leute.

Du hast hier wirklich nichts zu suchen, gab Stösser Mr. Smith recht. Geh zurück nach Köln. In deinen vertrauten Kölsche Klüngel, deine Altstadtkneipen, an den Rhein. Du hast geglaubt mit deiner Vietnamerfahrung die Leute hier zu verstehen. Das war ein Fehler. Das sind bald dreißig Jahre her und eine neue Generation ist nachgewachsen, die du nicht mehr verstehst und die dich nicht verstehen kann.

Stösser atmete tief durch. Ja, wenn mir Perkin die Million zahlt, nehme ich sofort das erste Flugzeug. Dann bin ich weg und freue mich auf viele Biere im „Früh“ mit einer saftigen Haxe, kletter in meine Wohnung im vierten Stock und ärger mich wieder mit dem Hausmeister herum.

Stösser sah zum Fenster hinaus, aus dem es nichts zu sehen gab. Er saß in der berühmten Singapurer U-Bahn, die angeblich ohne Fahrer auskam. Böse Zungen behaupteten, dass wegen ihr ein totales Kaugummiverbot in der Stadt herrschte. Irgendein Bösewicht sollte mal sein Gummi, mit dem er nicht wusste, wohin, beim Aussteigen auf einen Türsensor geklebt haben. Danach soll der gesamte Verkehr für Stunden zusammengebrochen sein. Fiel eine Bahn aus, standen auf dieser Strecke automatisch alle anderen Bahnen. Singapurer Computer hassten Kaugummis.

Drei Kilometer waren keine Distanz beim Einkaufsbummel in der Orchard Road. Man bewegte sich eigentlich nur in klimatisierten Räumen, verließ das Gebäude nur kurz, schwitzte, um sofort die nächsten klimatisierten Räume aufzusuchen. Aber die drei Kilometer von der U-Bahn Station zu Perkins Anwesen schlauchten Stösser doch sehr. So kam er nass geschwitzt an der Pforte an.

Perkin hatte in den letzten Monaten aus Angst vor Anschlägen die gesamte Sicherheitstechnik austauschen lassen. Sein Kampf mit den Triadenfürsten schien noch nicht ihren Höhepunkt erreicht zu haben. Seither taten dreißig ausgediente Navy Seals der amerikanischen Armee auf dem Gelände von einer Million Quadratmetern ihren Dienst. Es gab keinen Meter des vier Kilometer langen Zauns, der nicht von Kameras überwacht wurde.

Stösser schob seine Zugangskarte in das kleine Tor, das nur für Fußgänger, Postboten und Personal passierbar war, und fluchte. „Zugang verweigert“, blinkte das Display in roten LEDs. Er drückte wütend auf den Knopf der Sprechanlage, die den Besucher mit dem klimatisierten Pförtnerhaus in Sichtweite verband.

„Sie wünschen?“, kam es militärisch zurück.

„Peter Stösser hier. Warum komme ich nicht mehr auf das Gelände? Spinnt ihr denn jetzt alle?“, brüllte er in die Anlage, was eigentlich völlig überflüssig war. Er konnte sich über die paar Meter vom Tor zum Wachhabenden genauso gut ohne Technik austauschen.

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis die Wache reagierte.

„Mr. Stösser“, kam es aus dem Lautsprecher, „Ihre Karte wurde auf den Befehl von Mr. Perkin ungültig gemacht. Tut mir leid. Ich darf Sie nicht mehr auf das Gelände lassen.“

Stösser wischte sich den Schweiß mit den Hemdsärmeln aus dem Gesicht. Seit dem Umbau des Haupteingangs waren auch die Schatten spendenden Bäume gefällt worden. Alles lag in der gleißenden Mittagssonne, damit die Kameras freies Blickfeld hatten.

„Dann warte ich hier, bis euer Chef zurückkommt.“ Trotzig lehnte er sich an das Tor und überlegte, was Perkin so verärgert hatte, dass er ihn nicht mehr auf dem Gelände haben wollte? Doch er hatte sich nichts vorzuwerfen. Er hatte den Auftrag erfüllt, herauszufinden, wer auf Kalimantan Rohstoffe klaute.

„Kann ich wenigstens etwas zu trinken haben? Ihr habt doch einen Kühlschrank in eurer klimatisierten Luxuskabine. Oder wollt ihr mich verdursten lassen? Das gäbe eine schlechte Presse für euren Chef.“ Stösser setzte sich in den einzigen Schatten, die Toreinfassung. Die würde aber mit dem Sonnenstand von Minute zu Minute weniger Schutz bieten, bis der Schatten hinter das Tor auf das Gelände fallen würde.

Der Wärter reichte Stösser eine Flasche Wasser durch die Gitterstäbe.

„Hier Mann. Aber hören Sie auf mich zu nerven. Sonst muss ich die Polizei rufen. Die Einfahrt vor dem Tor gehört nämlich auch noch zum Gelände. Befehl ist Befehl.“

„Ja, ja. Befehl ist Befehl“, maulte Stösser. „Macht das eigentlich Spaß, hier Stunde um Stunde auf irgendwas zu warten, das vielleicht nie eintritt? Da wird man doch matschig in der Birne.“

Der Wachmann winkte ab und wollte sich wieder an seinem klimatisierten Arbeitsplatz verkriechen.

„Hallo Kumpel, ihr vertreibt euch doch den ganzen Tag damit Zeitung zu lesen, Kreuzworträtsel zu lösen und neben euren blöden Monitoren fernzusehen.“

Stösser zog den zusammengefalteten Leitartikel über Perkin und seinem Projekt aus dem zerknitterten Jackett und deutete auf das Foto.

„Kannst du mir sagen, wer die Frau neben Mr. Perkin ist? Ich kenne sie irgendwoher.“

Der Wachmann kam zurück, besah sich das Foto, nickte und besann sich auf seine Anordnungen. „Wir dürfen an Außenstehende keine Auskunft geben. Tut mir leid.“ Dann verschwand er endgültig in seinem Kasten.

Central-Hospital

Perkin hatte lange hin und her überlegt, was man einer frischgebackenen Mutter mit in die Klinik brachte. Blumen kamen nicht infrage. Die fand er zu profan. Außerdem bekamen Mütter im Privatbereich ohnehin ständig neue von der Leitung, was bei einem Tagespreis von fünftausend Dollar wohl das Mindeste war, was ein Patient erwarten konnte. So war er zu seinem alten Freund und Gauner, dem Juwelier, in die Orchard Road gefahren. Freund war er, weil er eine Tiefgarage für seine Kunden hatte, die durch Stahltore gesichert waren. Der Kunde konnte somit auf einen Fahrer verzichten, der während des Einkaufs ständig um den Block fahren musste, da es hier einfach keine Parkplätze gab. Ein Gauner war er, weil er jedes beliebige Schmuckstück, und wenn es noch so antiquarisch war, besorgen konnte. Die einzige Voraussetzung war, und die stand in seinen Geschäftsbedingungen, dass das Stück noch existierte und der Kaufpreis keine Rolle spielte. Das schränkte seinen Kundenkreis zwar stark ein, aber das tat ihm nicht weh. Er ließ vom Original Plagiate anfertigen und verkaufte diese über ein Händlernetz in China und Japan. Der Unterschied zwischen dem teuren Original und den Duplikaten war nur, dass der Käufer für das Original eine Expertise bekam, die ihm die Echtheit bescheinigte … falls er es weiterverkaufen wollte oder als Sicherheit bei der Bank brauchte.

Perkins Anwesenheit hatte sich schon vor der Ladentür durch die Überwachungskameras herumgesprochen. Mr. Xiang, der Inhaber, riss ihm die Tür auf und verbeugte sich.

„Mr. Perkin. Welche Ehre. Womit kann ich Ihnen heute dienen? Kommen Sie in mein Büro. Dort spricht es sich besser. Da können wir auch rauchen. Sie rauchen doch noch, oder? Ich muss unbedingt über Ihr Vorhaben des Baus eines Spielcasinos mit Ihnen sprechen.“

Mr. Xiang mochte ein Gauner sein, aber er verstand es schon seit der Zeit, als Perkins Eltern noch lebten, sich als Haus- und Hoflieferant für Dienstleistungen aller Art unentbehrlich zu machen. Geht nicht, gibt’s nicht war sein Leitspruch, gepaart mit einer Diskretion, auf die man ein Fundament bauen konnte.

Xiang öffnete eine klimatisierte Zigarrenkiste, legte den Mundstückabschneider daneben und bat Perkin sich zu bedienen.

„Für einen guten Whiskey ist es noch zu früh. Außerdem sind Sie ja mit dem Wagen gekommen. Ich hätte aber einen ausgezeichneten Tee, den man so nicht kaufen kann. Mögen Sie?“

Ob es einem passte, oder nicht. Wer von Xiang einen Rat brauchte, musste Zeit mitbringen. Seine kaiserlichen Höflichkeitsfloskeln musste jeder über sich ergehen lassen. Sonst wurde der Herr verstimmt und übellaunig. Man konnte dann nicht mehr sicher sein, ob seine Expertisen nicht auch gefälscht waren.

Also nickte Perkin. „Ja, ein Tee wäre nicht schlecht. Ich habe nämlich noch nicht gefrühstückt.“ Das war eine Information zu viel.

„Mr. Perkin? Ohne Frühstück mein bescheidenes Geschäft zu betreten? Nein, das geht nicht. Mit leerem Magen hat man kein Urteilsvermögen. Da könnte ich Ihnen ja alles andrehen. Sie wären mir mit Recht hinterher böse. Das müssen wir sofort ändern.“

Perkin schmunzelte. Er hatte damit gerechnet, dass er auf diese Weise zu einer ausgiebigen Mahlzeit kommen würde, ohne einen Parkplatz suchen zu müssen. Und Xiang ließ es sich etwas kosten, wenn er solch ein Angebot machte, was allerdings nicht ohne Eigennutz war.

Sie hatten in einem Restaurant im Shoppingcenter diniert, in dem für den Juwelier ein ständiger Tisch reserviert war. Xiang hatte nur eine Sorge, im zukünftigen Spielcasino an der Marina Bay keine Filiale eröffnen zu können. Doch Perkin hatte ihn beruhigt, dass er schon dafür sorgen würde, dass der einheimische Handel ausreichend berücksichtigt würde. Dabei war das Projekt nur angedacht und hatte nicht einmal die Zustimmung der Regierung. Aber Klappern gehörte bekanntlich zum Handwerk. Man tat so, als ob. Ohne Wünsche würden Träume nie wahr, und es konnte nicht schaden, den einheimischen Handel hinter sich zu haben.

„Weswegen ich hier bin“, lenkte Perkin das Gespräch von Luftschlössern auf die Realität.

„Was schenkt man einer Chinesin, die gerade Mutter wurde?“

„Verheiratet?“

Perkin schüttelte den Kopf.

„Wie alt?“

„Ende dreißig.“

Xiang runzelte die Stirn und putzte umständlich seine Brille.

„Unverheiratet und Mutter … und Chinesin“, rekapitulierte er. „Sie dürfen ihr überhaupt nichts schenken. Das verbietet die Etikette. So etwas hätte vor hundert Jahren zu einem Krieg geführt. Wenn Sie nicht der Erzeuger des Kindes, oder ein sehr naher Verwandter sind, oder der Bräutigam, dürfen Sie dieser Frau nichts schenken. Das hieße, dass sie Anspruch auf die Frau und das Kind erheben würden. Wenn man Sie von der Familie aus einlädt, um die Geburt zu feiern, dann dürfen Sie dem Kind etwas mitbringen. Goldstücke, Wertpapiere, eben alles, was der Zukunft des Kindes dient. Aber sonst müssen Sie sich raushalten. Die Mutter ist tabu.“

Perkin zog ein nachdenkliches Gesicht. Mit solchen Ritualen war er nie konfrontiert worden. Er hatte eine westliche Erziehung genossen und war ein chinesisch-russischer Mischling, der sich wie ein Chamäleon den Gegebenheiten anpasste, wenn es sein musste. Aber auch nur dann.

Dennoch musste es eine Möglichkeit geben, nicht mit leeren Händen bei July aufzutauchen. Dem Kind konnte er schlecht etwas mitbringen, wenn er noch anzweifelte, der Vater zu sein.

„Aber ich kann ihr doch etwas anonym schicken“, fiel ihm diese unverfängliche Möglichkeit ein. Der Juwelier schmunzelte.

„Das ist natürlich eine Möglichkeit, wenn niemand die Frau danach fragen wird, woher sie das bekommen hat.“

„Es wird niemand danach fragen“, antwortete Perkin in Kenntnis der Sachlage. „Das Geschenk sollte nur vor mir in der Klinik sein. Ist das machbar?“

Xiang war sofort Feuer und Flamme für Perkins Idee gewesen, etwas anderes hätte ihm auch das Geschäft verdorben. Er hatte auch gleich das passende Schmuckstück zur Hand. Einen Anhänger aus weißer und grüner Jade, der Ying und Yang symbolisierte. In den Augen der beiden Symbole waren Drachenaugen in Form von Rubinen eingelassen.