Tod auf der Donau - Michal Hvorecky - E-Book

Tod auf der Donau E-Book

Michal Hvorecky

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Beschreibung

Achtzig Senioren auf einem Kreuzfahrtschiff zu bändigen, ist keine leichte Aufgabe. Vor allem dann nicht, wenn man nebenbei zwei Leichen entsorgen und seine Ex-Freundin verstecken muss. Michal Hvoreckys neuer Roman ist ein wilder Ritt über die Donau, von Regensburg bis ans Schwarze Meer. Eigentlich ist Martin Roy Übersetzer. Eigentlich. Denn dazu kommt er nicht als Reiseleiter einer Donau-Kreuzfahrt, in deren Verlauf so gut wie alles schiefgeht. Michal Hvorecky verknüpft in seinem grotesken Ship-Movie die Geschichte Mitteleuropas mit persönlichen Schicksalen (und seinen eigenen Erlebnissen als Reisebegleiter). Dabei zeichnet er das Bild einer Generation, die wie Nomaden durch die Länder zieht, auf der Suche nach dem besten Job, der Erfüllung im Leben und so etwas wie Heimat. "Tod auf der Donau" ist deshalb vieles auf einmal: Abenteuerroman, Liebesgeschichte und Satire auf die Auswüchse des Tourismus. Und nicht zuletzt eine Liebeserklärung an die Donau. - Hvorecky ist der populärste slowakische Autor in Deutschland. - Roman mit europäischem Tiefgang - Autor auf Lesereise in Kooperation mit dem Grenzgänger-Programm der Robert-Bosch-Stiftung (Lesungen in deutscher Sprache)

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Seitenzahl: 353

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Michal Hvorecky

Tod auf der Donau

Roman

Aus dem Slowakischen von Michael Stavarič

Impressum

Das Buch wurde von der Robert Bosch Stiftung im Rahmen des Förderprogramms »Grenzgänger« gefördert.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Besuchen Sie uns im Internet: www.tropen.de

Tropen

Die Originalausgabe erschien 2011 unter dem Titel »Dunaj v Amerike« im Verlag Albert Marenčin PT, Bratislava.

Die Fotos stammen vom Autor.

© 2010 by Michal Hvorecky

© 2012 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Cover: Herburg Weiland, München

Datenkonvertierung: Koch, Neff & Volckmar GmbH, KN digital – die digitale Verlagsauslieferung Stuttgart

Printausgabe: ISBN 978-3-608-50115-5

E-Book: ISBN 978-3-608-10285-7

PROLOG

Martin Roy mühte sich im dichten Rauch vorwärts, der von mehreren Nebelmaschinen im Gang verteilt wurde. Er trug einen silbernen Feuerschutzanzug und auf dem Kopf einen gelben Helm. Er sah keinen Schritt weit. Der Mund schien wie verschnürt. Voller Ungeduld und ganz im Sinne der Regeln kniete er nieder, tastete sich mit den Händen vorwärts und robbte sogar ein Stück weit. Diese neue Lage war zwar unbequem, allerdings auch sicherer. Auf Bodenhöhe gab es noch etwas Sauerstoff. Die Klimaanlage rauchte, was das Zeug hielt, und in der Hitze klebte ihm die Kleidung im Nacken. Aus den Boxen drangen Warnsignale und menschliche Stimmen.

Das Stroboskop simulierte eine Feuersbrunst. Der enge Raum wirkte noch kleiner, klaustrophobisch geradezu. Martin versuchte sich daran zu erinnern, wo sich die nächste Tür befand. Das Schiff schien nun viel größer zu sein, als er es in Erinnerung hatte. Der Gang nahm kein Ende. Er hatte Angst, er würde es nicht schaffen. In diesem unmöglichen Aufzug schwitze er wie ein Schwein. Er hatte längst zehn Kajüten passiert, eine ganze Menge Zeit verloren und die betreffende Person noch immer nicht entdeckt. Links, rechts, links, er legte alle Energie in die Bewegungen, und seine Lunge drohte dabei zu bersten. Die Haut brannte, er war verwirrt, nervös, und in seinem Kopf drehte sich alles. In seinem schmerzenden Fuß verspürte er einen Krampf, Schauer liefen seinen Rücken entlang.

Er musste ständig daran denken, dass eine unerbittliche Schiedsrichterin mit einer Stoppuhr an der Rezeption saß. Die Amerikaner werteten ständig die Reaktionen von alten und neuen Angestellten aus. Irgendwo hinter ihm stand einer der Laufburschen, jede seiner Bewegungen versuchte er mit der Kamera einzufangen und übertrug bestimmt alles live nach Chicago. All seine Bemühungen schienen erfolglos – für diese Arbeit war er einfach nicht geeignet! Er kam sich unbeholfen vor, eine typische Landratte eben.

Martin durchlebte seinen ersten »fire drill« in Lobith, inmitten der holländischen Docks: eine Übung, um die Reaktionen bei Schiffskatastrophen zu trainieren, bei Feuer, Wassereinbruch und Piratenangriff. Eine komplette Feuer- und Sicherheitsschulung sowie der Umgang mit Terrorangriffen, dies wurde nicht nur in der Nähe der somalischen Küste oder in ostasiatischen Gewässern eingefordert, nein, es galt in der gesamten Europäischen Union. Eine Gruppe Angestellter trainierte soeben gemeinsam die Verhaltensregeln für ein großflächiges Feuer. Das GPS hatte schon vor einer halben Stunde ein Warnsignal abgesetzt, das automatisch die Position des Schiffes übermittelte und Hilfe herbeirief. Die gespielte Rettungsaktion lief auf Hochtouren. Wertvolle Sekunden verstrichen, und Martin stand unter Zeitdruck. Die meisten seiner Schritte erfolgten gemäß dem Plan. Doch irgendwo steckte noch eine Person, ohne die man die Evakuierung nicht abschließen konnte. Die Verantwortung oblag ihm. Es stand zu befürchten, dass sich, sofern er die Übung nicht in den nächsten beiden Minuten abschließen konnte, der gesamte Raum hermetisch verschließen und kein Hahn mehr nach ihm krähen würde. Er würde nicht mehr nach draußen gelangen können und auch kein anderer, der hier mit ihm – und ohne es verschuldet zu haben – hinter der Barriere zurückbleiben müsste.

Schnell aufzugeben würde allemal Schande bedeuten. Es hatte ihn beträchtliche Mühen und Geld gekostet, bis zu dieser abschließenden Prüfung zu gelangen. Und eigentlich hatte er gar keine Lust, jetzt schon abzureisen – in diesem Fall würde man ihm nicht einmal Flugticket und Spesen erstatten. Er wollte um jeden Preis das Ziel erreichen. Er tastete sich mit den Fingern die Tapeten entlang, fand einen Metallrahmen und eine Klinke. Er drückte sie und stolperte in die Kajüte. Mit Hilfe der Taschenlampe konnte er in der Dunkelheit einige Gegenstände ausmachen. Der winzige Raum hatte eine weiß gestrichene Decke, und an der Wand befand sich ein Klappbett. Er richtete sich auf und eilte zum Bett, enttäuscht musste er feststellen, dass es leer war. Eigentlich legte man die Puppen und Büsten sonst hier ab. Er musste husten, all der beißende Rauch, der bis zum Boden reichte. Auf einem Tischchen befanden sich eine Tastatur und darüber ein Monitor.

Eine winzige Tür führte ins Bad. Er öffnete diese, und auf einer Miniaturanrichte unter dem Spiegel erkannte er eine Seife, Duschgel und ein verpacktes Shampoo. Keiner da. Er schob den Duschvorhang zur Seite. Ein entscheidender Moment. Endlich! Martin leuchtete tatsächlich einem jungen Mädchen direkt ins Gesicht – eigentlich sollte sie eine Ohnmacht vortäuschen, doch stattdessen grinste sie breit.

»Autsch, schalt das ab, du machst mich ja blind!«, rief sie.

»Bist du o.k.? Kannst du atmen? Ich nehm dich auf meine Schultern und dann los. Ich muss dich evakuieren! Brauchst du Erste Hilfe?«, sprach Martin die eingeübten Sätze.

Er erinnerte sich an einige Fakten, die sie ihm in den letzten sieben Tagen eingetrichtert hatten. Von morgens bis abends lief er die drei Decks auf und ab, er hörte zu, er antwortete, keinen Moment lang konnte er ausruhen. Er übte, blitzschnell die Rettungsweste anzuziehen, die Signalpistole zu bedienen, mit dem Rettungsboot herumzupaddeln und um jede Sekunde zu kämpfen. Sie trichterten ihm die Firmenphilosophie ein: Verlier niemals die Selbstbeherrschung. Höflich bleiben unter allen Umständen. Ein Problem ist eine Herausforderung. Das Leben ist ein Schiff und eine Karriere das Ziel. Die ADC ist unser ABC. Die anderen Anwärter blickten so aufmerksam drein, als ob sie vorhätten, jedes Wort auswendig zu lernen.

Er musste so lange vor einem Spiegel sein »kommerzielles Lächeln« üben, bis ihm das ganze Gesicht wehtat. Zwei Vormittage lang wurde er sogar im Selbstverteidigungstraining auseinander genommen, mit der »Krav Maga«-Kampftechnik sollte er künftig für alle Krisensituationen gewappnet sein. Beim Firmenseminar konnte er sich der Macht der Gruppe kaum entziehen, für Martin war es allerdings noch wesentlich anstrengender, dass ein jeder dieser Abende mit einem Besäufnis endete.

Im Jahre 1991 war bei Hainburg ein Motorboot der österreichischen Zollbehörde mit einem russischen Schiff havariert – drei Tote. Im Jahre 1996 sank in der Nähe des Hochspannungswerks Freudenau der slowakische Schlepper Dumbier – acht der neun Besatzungsmitglieder starben. Im Sommer 2004 prallte ein deutsches Ausflugsschiff gegen den Pfeiler der Wiener Reichsbrücke, 19 Personen wurden dabei verletzt. Im Dezember 2005 sank nach einem Feuer in der Nähe der rumänischen Stadt Braile ein Schubschlepper. Alle elf Besatzungsmitglieder ertranken. Am 21. August 2009 brannte ein deutsches Schiff mit einhundertfünfzig Passagieren an Bord vollends nieder, zum Glück starb nur eine Person. Diese und weitere Katastrophen, die entlang der Donau passiert waren, musste er auswendig kennen, wo und wann und vor allem warum sie passiert waren und wie man sie künftig vermeiden könnte. Abschließend war Martin einer strengen Prüfung all dessen unterzogen worden. Bei der theoretischen Prüfung war er erfolgreich gewesen. Nunmehr musste er die praktische abschließen.

»Jetzt übertreib mal nicht! Wo warst du so lange? Mir war schon langweilig …«, lachte das Mädchen.

»Was? Red nicht blöd rum und komm! Wir müssen uns beeilen«, sagte er.

»Also bitte, ich mache das schon zum dritten Mal. Es reicht, das Ergebnis bekanntzugeben und fertig. Sie werben uns bei der Schauspielschule in Amsterdam an. Zahlen recht gut, nur schade, dass der Dollar so gesunken ist …«, antwortete sie und schaltete ihr Funkgerät an: »Er hat mich gefunden. Macht den Lärm aus. Ich bin schon völlig fertig davon, und dieser Gestank bringt mich noch um. Der Neue ist ziemlich geschickt. Ein bisschen gedauert hat es zwar, doch er hat auf jeden Fall Talent.«

»Das ist alles? Muss ich dich nicht tragen? Bist du sicher?«, wollte Martin wissen. Er fühlte, das Ziel war zum Greifen nahe.

»Hey. Du kannst meine Hand nehmen, mich zum Bett führen und mir bisschen Mund-zu-Mund-Beatmung beibringen«, antwortete sie und streckte ihre Hand aus. »Aber hör vor allem auf, mir in die Augen zu leuchten!«

Martin rang nach Luft. Er machte die Taschenlampe aus und betrachtete sie genauer: eine junge Schauspielerin mit auffällig schwarzen Augen, roten Wangen und spitzen Lippen. Die Haare klebten an ihrer Stirn. Sie streckte sich ein wenig in ihrer überaus unbequemen Position. Unter ihrem T-Shirt zeichneten sich volle Brüste ab. Ein bisschen zögerte er, er half ihr auf und küsste sie kurz auf die Wange.

»Du spielst recht gut«, antwortete er. »Du solltest dich lieber im Theater engagieren lassen. Ciao!«

Um zwei Uhr fand im Salon das Abschlussmeeting statt, die feierliche Beendigung des Trainings gewissermaßen. Martin wurde kurz vom Teamleiter vorgestellt und danach gefragt, ob er Herausforderungen liebe. Ganz klar, dass er dies nicht wahrheitsgemäß beantworten durfte.

»Jawohl, sehr«, sagte er.

Die ersten zwei eigenständigen Worte, die er in seiner neuen Berufung von sich gab. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er nur genickt und wiederholt, was ihm aufgetragen wurde.

»Dann erlaube mir, dich hiermit feierlich zum Direktor zu ernennen. Ich wünsche dir in deiner neuen Funktion viel Erfolg, zum Wohle der gesamten Firma American Danube Cruises!«, rief der Teamleiter.

Martin stierte ihn ungläubig an und bekam ein Dokument mit vielen goldenen Lettern überreicht. In diesem Moment war aus ihm ganz offiziell ein Cruise Director geworden, ein Schiffsleiter. Er bildete sich darauf nicht sonderlich viel ein, denn er erfuhr schon bald, dass es zahlreiche Titulierungen und Auszeichnungen bei untergeordneten Posten gab, damit ging man durchaus inflationär um. Die Direktoren waren bei der ADC so zahlreich wie das Unkraut am Zaun. In der Firma hieß sogar ein Zimmermädchen »Chairwoman of Housekeeping«, ein Matrose wiederum »Chief Nautical Officer« und der allerletzte Maschinist »General Engineer Commander«.

Auf der Abschlussparty floss der Whisky in Strömen, alles auf Kosten von Chicago. Martin lernte seine Kollegen kennen: die drei Offiziere, die Rezeptionistin, die Köche, Matrosen und das Reinigungspersonal. Die Besatzung der MS America flanierte vor seinen Augen auf und ab. Er hielt sich mit dem Alkohol zurück, doch die anderen verhielten sich ganz anders, sie taumelten heiter und trunken herum – oder spielten sie das nur? Irgendwas schien nicht zu stimmen.

Abgesehen davon irritierte ihn ein kleiner Altar, der sich an der Wand befand – dem jüngsten O’Connor war dieser gewidmet, dem Erben der ADC. Am Mittwoch hatte sich der junge Mann sogar mittels Videoübertragung aus Chicago zugeschaltet, im Rahmen einer Marketingschulung. Seine Ansprache lobte alle in höchsten Tönen, doch Martin stach vielmehr der Maßanzug ins Auge. Einen noch viel größeren Wert musste jedoch das breite goldene Armband haben, das Martin an dem Mann erkennen konnte, er trug es an seinem linken Handgelenk. Nach jeder dummen Bemerkung des Eigentümers waren im Raum ein beipflichtendes Raunen und Applaus zu vernehmen. Selbst auf dem Gang, wo die Angestellten an seinem Foto vorbeigingen, schienen alle noch von ihm eingenommen zu sein. Irgendwer erwähnte, dass er O’Connor letztes Jahr in Brasilien die Hand reichen durfte, und alle anderen gratulierten ihm daraufhin.

Kurz vor Mitternacht wurde Martin Roy schließlich dem Kapitän vorgestellt – dieser hieß Atanasiu Prunea.

»Was würde denn passieren, wenn das alles wirklich passiert?«, wollte er wissen.

»Ich verstehe nicht. Was meinst du?«, antwortete der Kapitän mit schwerer Zunge.

Martin war noch nie einem seltsameren Menschen begegnet. Vom ersten Tag an hatte er das Gefühl, dass mit diesem Mann etwas nicht stimmte. Kein Besatzungsmitglied vermochte es, eine solch vollkommene Illusion von langen und erfolgreichen Schiffsreisen zu erwecken wie Atanasiu. Er arbeitete schon seit fünfundzwanzig Jahren auf Schiffen, sowohl im Mittelmeer als auch auf allen Ozeanen. Er erweckte den Eindruck eines melancholischen Riesen, um seine Augen zogen sich viele Fältchen, und die Wangen waren von Wind und Sonne, von allen geographischen Breiten und der unerbittlichen Zeit gezeichnet. Er verfügte über keinerlei Bildung, auch über keine außerordentliche Intelligenz – wie hatte er diese Position dann erlangen können? Vielleicht lag es an seiner Geduld und seiner Gesundheit. Er hatte zwei Jahre lang, ohne auch nur einmal Urlaub oder Krankenstand zu nehmen, seinen Dienst versehen. Eine solche Einstellung schätzte die ADC natürlich. Die Firmenvorschriften hielt er penibelst ein, als wären sie die einer Sekte. Was seine Dienstauffassung anlangte, so konnte sich keiner mit ihm messen. Er hatte als Matrose begonnen und sich bis zum allerhöchsten Rang gedient. Mit dieser Verbissenheit gelangte er im Laufe seines Lebens von kleinerem zu immer größerem Reichtum.

»Irgendein Unglück … Feuer … Wasser … was weiß ich – all das, was wir trainiert haben«, erklärte Martin.

Kaum hatte er dies ausgesprochen, musterte ihn der Kapitän misstrauisch.

»Jetzt pass mal auf, daran solltest du gar nicht denken und schon gar nicht an einem solchen Ort. Menschen sind vertrauensselig auf Schiffen, und über manche Dinge spricht man einfach nicht … Das solltest du gleich mal verinnerlichen, sonst wird dich die Crew nicht akzeptieren. Alles klar, Junge? Verstehst du mich? Wie heißt du überhaupt?«

Martin stellte sich noch einmal vor.

»Für einen Kapitän ist es eine Sünde, wenn auch nur die Unterseite des Schiffes, das er befehligt, irgendwo leicht am Grund schrammt. Die Firma würde es wohl nie erfahren, doch der Mensch wird das nicht mehr los, er trägt es für immer mit sich, es ist wie ein Stich mitten ins Herz. Es reicht eine Berührung mit dem Boden oder auch nur ein leichtes Kratzen am Blech, und das gesamte Schiff wird bis ins Mark erschüttert. Ich weiß, wovon ich spreche, ich habe das schon erlebt und erinnere mich daran, manchmal träume ich sogar davon, werde wach und denke darüber nach, ich gehe noch mal alles durch. Du weißt also gar nichts von Schiffen?«

»Nein, bislang nicht, aber ich will es lernen. Ich habe eigentlich schon damit begonnen. Über die Donau habe ich alles gelesen, was man auftreiben kann.«

»Das glaubst du nur. Trau den Büchern nicht! Bestimmt denkst du dir, wie belesen du bist. Das kannst du aber alles vergessen. Du wirst von neuem anfangen müssen. Doch ich würde zu gerne wissen, warum so einer wie du auf ein Schiff will? Du wirkst nicht wie die üblichen Kandidaten. Es ist alles ein wenig verdächtig, dein Interesse – nicht? Ich hoffe nicht, dass du von der Polizei gesucht wirst. Hast du was gestohlen? Mit Drogen gedealt? Bist du süchtig? Rück nur raus damit!«

Martin protestierte.

»Verzeih, dass ich so hartnäckig bin. Doch wenn ich mich irre, könnte dies schwerwiegende Folgen haben. Nicht nur für dich, sondern für das gesamte Schiff.«

»Ich sage die Wahrheit«, antwortete Martin.

Die Festigkeit und Stärke in Atanasius Stimme schüchterte ihn ein, wo er doch noch vor wenigen Augenblicken der Meinung gewesen war, dieser könne sich kaum artikulieren.

»Und Sie …? Haben Sie eine Ehefrau? Oder Familie?«

»Seeleute haben keine Ehefrauen, eher noch Witwen. Kinder habe ich, zum Glück, nicht, zumindest weiß ich nichts davon. Und Frauen findest du in jedem Hafen, wenn dich das interessiert.«

»Warum sind Sie auf der Donau unterwegs?«

»Um Geld zu verdienen, das ist doch klar. Was denkst du denn? Bist du dir wirklich sicher, dass du auf das Schiff willst?«

»Ganz sicher!«

»Also gut, es gilt. Hier hast du, trink aus. Prost! Und von jetzt an per Du!«, schlug der Kapitän vor und reichte ihm ein bis zum Rand gefülltes Glas. Martin trank es auf ex und hatte dabei das Gefühl, dass er alles, was er in dieser Woche an Sicherheitsvorkehrungen gelernt hatte, eben jetzt wieder vergaß.

I. TEIL

»Ab und zu scheint es mir so, dass auf der Donau die Schiffe voller Wahnsinniger ins Unbekannte fahren.«

Umberto Eco: Der Name der Rose

»Als ich ins Donauwasser tauchte, spürte ich die Kraft des Stroms und hörte ganz auf dem Grund ein ganz stilles Zischen: die Steinchen und umgeschütteter Sand haben gesungen. Der Klang schwamm zusammen mit mir, immer schneller und rauschhafter, und ich wusste, dass, wenn ich wieder aus dem Fluss rauskomme, ich auf dem anderen Ufer die Stadt sehen werde, weit und strahlend im Sonnenschein.«

Pavel Vilikovský: Mein Bratislava

»Die Stadt Pressburg gehörte nicht uns und gehörte genauso wenig den Ungaren. Es ist eine deutsche Stadt. Aber wir haben das Recht drauf, weil der Boden slowakisch ist. Wir brauchen unbedingt die Donau.«

Tomáš Garrigue Masaryk,

Präsident der Tschechoslowakei,

im Dezember 1918

1. QUELLEN

Schon in der allerersten Nacht auf Reisen hatte er von der Donau geträumt. Das deutsche Städtchen Donaueschingen hatte er einmal besucht. Der Strom entspringt dort als dünnes Rinnsal im Schlosspark der Fürstenbergs, in einem Behältnis aus weißem Marmor, das einer Wiege ähnelt, umsäumt von allerlei Statuen. Das Wasser sprudelt aus einem der Westhänge des Schwarzwalds, stammt zugleich jedoch auch aus den Tiefen der europäischen Geschichte. Der Strom setzt sich aus den Zuflüssen der Bäche Brigach und Breg zusammen und ist an dieser Stelle tatsächlich blau.

Der Legende nach hatten die erschöpften römischen Soldaten keine Lust mehr gehabt, sich durch finstere Wälder bis zur echten Quelle vorzuarbeiten, die in der Antike ein ähnliches Geheimnis umgeben hatte wie den Ursprung des Nil; kurzum, sie entschieden schließlich, besagten Ort als Quelle festzulegen.

Die Donau begibt sich von da an in Richtung Osten, durch die Schwäbische Alb, durch allerlei poröses Gestein in den Hügeln, um dann plötzlich in Immendingen im Untergrund zu verschwinden und erst zwölf Kilometer weiter entfernt wieder aufzutauchen.

In seinem Traum goss Martin Unmengen von Beton in die Quelle und drängte das Wasser in sein unterirdisches Becken zurück. Doch die Donau gab nicht auf, immer wieder durchstieß sie die Ummantelung. Er schüttete noch mehr Beton nach. Doch das Wasser fand immer wieder einen Fluchtweg, es blubberte in wiederkehrenden Geysiren auf, warf Steine hoch und zog Furchen und Gräben, bis es ihn selbst wegschwemmte. Er wälzte sich im Bett herum, verbarg sich unter der Decke und erwachte.

Entschlossen öffnete er die Augen, stand auf und beeilte sich. Eine schnelle Dusche, anziehen und ohne Frühstück zum Taxi. Er holte die Passagiere am Franz-Josef-Strauß-Flughafen in München ab. In der Ankunftshalle sperrte er das angemietete Sicherheitsfach der Firma auf. Er zog ein paar Plakate aus festem Karton und einige Holzplatten hervor und baute sich an dem ihm zugewiesenen Platz ein kleines Empfangspult mit dem Logo des Reiseveranstalters American Danube Cruises auf, der lokalen Tochter der »American Global Cruises«. Auf den Bildern waren digital verjüngte Pensionisten zu sehen, und die Donau floss majestätisch durch Budapest, das voller glücklicher alter Menschen war. Die Gesichter auf den Plakaten wirkten ungefähr so natürlich und ungarisch wie ein Bison inmitten des Café Gerbeaud.

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