Tod im Abendrot - Jörg Steinleitner - E-Book

Tod im Abendrot E-Book

Jörg Steinleitner

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  • Herausgeber: Piper ebooks
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2019
Beschreibung

Ein Doppelmord nahe des Flaucher-Biergartens erschüttert das sommerliche München. Ein Liebespaar wurde mit gezielten Schüssen aus nächster Nähe getötet. Kurz bevor es seinen Verletzungen erlag, gab eines der Opfer LKA-Präsident Karl Zimmerschied noch einen mysteriösen Hinweis: Es war ein Mörder ohne Gesicht. Zimmerschied steht vor einem Rätsel. Während er noch grübelt, erreicht ihn der Anruf einer alten Schulfreundin: Die Gymnasialdirektorin Caro von Lavalle wird mit einem schlüpfrigen Video im Darknet erpresst. Der LKA-Präsident begibt sich in die Abgründe des Internets – und in große Gefahr …

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www.piper.de

Meiner Frau, meinen Kindern und Freunden,mit denen ich oft am Flaucher gegrillt oder Picknick gemacht habe.

© Piper Verlag GmbH, München 2019

Redaktion: Caro Kania

Covergestaltung und -motiv: www.buerosued.de

Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihrenWerken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

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Inhalt

Cover & Impressum

Inhalt

Prolog

Eins | Hanswurst

Zwei | Liebespaar

Drei | Intensivstation

Vier | Pumps

Fünf | Smartphone

Sechs | Sex

Sieben | Darknet

Acht | Stallarbeit

Neun | Bademantel

Zehn | Film

Elf | Hot

Zwölf | Tötungsdelikte

Dreizehn | Seidenstrumpfhose

Vierzehn | Weißwurstkondom

Fünfzehn | Blut

Sechzehn | Zerstörer

Siebzehn | Traktor

Achtzehn | Dogge

Neunzehn | Pavarotti

Zwanzig | Waschbär

Einundzwanzig | Obdachlos

Zweiundzwanzig | Ultimatum

Dreiundzwanzig | D.I.S.C.O.

Vierundzwanzig | Tarantino

Fünfundzwanzig | Spezialeinsatzkommando

Sechsundzwanzig | Dream Market

Siebenundzwanzig | Fuchsköpfe

Achtundzwanzig | Festnahme

Neunundzwanzig | Profiling

Dreißig | Hundescheiße

Einunddreißig | Beretta

Zweiunddreißig | Pirat

Dreiunddreißig | Biergarten

Vierunddreißig | Mordverdacht

Fünfunddreißig | Eifersucht

Sechsunddreißig | Doppelleben

Siebenunddreißig | Salbeipasta

Achtunddreißig | Nackt

Neununddreißig | Eiscafé Italia

Vierzig | Zefix

Einundvierzig | Benno Berghammer

Zweiundvierzig | Kidnapper

Dreiundvierzig | Contract Killer

Vierundvierzig | Shakira

Fünfundvierzig | Mann ohne Gesicht

Sechsundvierzig | Privat

Dank

Alle in diesem Buch geschilderten Handlungen und Personensind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären zufällig und nicht beabsichtigt.

Zur Ausrüstung eines SEKgehören: 15-Kilo-Weste,Sturmhaube, Helm,Mehrzweckmesser und häufigauch Maschinenpistolenoder Sturmgewehre.

Prolog

»Ja, grüß dich! Dass du mal wieder vorbeischaust!« Die Freude des Mannes am Abholschalter der kleinen Poststelle war echt. »Man sieht dich ja gar nicht mehr.« Der Postangestellte musterte den groß gewachsenen Mann mit dem Henriquatre-Bart wohlwollend. »Außer im Fernsehen natürlich. Also, so eine Karriere hat bei uns im Dorf wirklich noch keiner ...«

»Grüß dich, Manfred«, unterbrach ihn der Bärtige im dunklen Anzug nicht gerade elegant und legte den Paketschein auf die Theke. »Ich möchte das gerne abholen.« Beide Männer waren in etwa im gleichen Alter, Mitte bis Ende fünfzig.

Der Freund aus Kindheitstagen griff nach dem Paketschein. »Soso, ein Paket. Dann wollen wir doch mal sehen ... Kaufst du die Geschenke für deine Frau jetzt auch online?« Er lächelte den kräftigen, aber nicht direkt durchtrainierten Anzugträger an.

»Keine Ahnung, was da drin ist«, brummte der Befragte, ohne sich auf den Small Talk einzulassen. »Ich habe nichts bestellt.«

»Tja, dann wollen wir doch mal ...«, wiederholte sich der Postmann beschwingt – einen alten, selten gesehenen Freund bedienen zu dürfen schien ihn mit Fröhlichkeit zu erfüllen – und wandte sich ab. Wenige Augenblicke später stellte er ein Paket von der Größe eines Schuhkartons auf die Theke. »Da haben wir es!«

»Danke, Manfred.« Der Abholer mit dem Bart bemühte sich, das begeisterte Lächeln seines Gegenübers zu erwidern, griff nach dem Paket, wog es in den Händen und wandte sich mit einem »Bis bald« zum Gehen. Doch weit kam er nicht, denn binnen Sekunden verwandelte sich die Poststelle in einen Kampfplatz: Drei Männer in schwarzen Uniformen, deren Gesichter von schwarzen Masken bedeckt und deren Köpfe durch schwarze Helme geschützt wurden, überwältigten den Bärtigen und drückten ihn brutal zu Boden. Wie aus dem Nichts hatten sie plötzlich die Post besetzt. Drei weitere Männer in Kampfanzügen, die aussahen wie jene der Spezialeinsatzkommandos der bayerischen Polizei, verstellten den Eingangsbereich und brüllten, ihre Maschinenpistolen im Anschlag: »Polizei, Polizei! Alle auf den Boden!«

Als der eben noch fröhliche Manfred hinter dem Schalter nicht sofort reagierte, sprang einer der drei über dem bärtigen Paketabholer kauernden Männer auf, richtete die Waffe auf den Postangestellten und bellte: »Los, los, los, runter, runter, runter!« Manfred ging in die Knie, auch die beiden Kunden – eine etwas nachlässig gekleidete Vierzigjährige und ein dicker Grauhaariger in weiten, tollkühn gemusterten Shorts –, die sich noch im Verkaufsraum aufhielten, lagen längst am Boden. Der Kämpfer, auf dessen Uniform in Brusthöhe das Wort »POLIZEI« prangte, schien jedoch noch nicht beruhigt zu sein. »Ist da hinten noch jemand?«, schrie er. »Ist da noch jemand im Lager? Was ist da noch?«

»Niemand«, wimmerte Manfred hinter dem Schalter. »Ich bin allein.«

Der Mann mit der Maschinenpistole schwang sich über die Theke und herrschte den Postler rüde an: »Sicher?«

Manfred antwortete nicht sofort, sondern hustete, er hatte sich verschluckt. Deshalb brüllte der Uniformierte, der aussah wie ein SEK-Mann und mit der Waffe in alle Richtungen den Raum sicherte, noch eine Spur lauter: »Antworten Sie! Ich habe Sie etwas gefragt!«

»Ja, sicher«, winselte der Postangestellte, noch immer mit dem Husten ringend.

Dann knackste ein Funkgerät. »Gut, ja. Situation bereinigt«, sprach der Mann jetzt mit deutlich ruhigerer Stimme in das Funkgerät, das etwa in Herzhöhe an seiner Uniform befestigt war. Nun wandte er sich dem Bärtigen am Boden zu, der noch immer von seinen Kollegen in Schach gehalten wurde.

»Was soll das?«, ächzte der Mann am Boden. »Seid ihr wahnsinnig?«

Sofort drückte der links über ihm Kauernde mit seinem Kampfhandschuh grob den Kopf des Mannes auf den Boden, sodass dieser vor Schmerz schrie. Das Paket, das er eben noch in Händen gehalten hatte, lag leicht zerknautscht neben ihm.

»So redet man nicht mit der Polizei!«, herrschte ihn sein Peiniger an.

»Ich ...« Der Bärtige versuchte den Kopf zu heben, die Arme zu bewegen, doch beides misslang, denn seine Wange wurde gleich wieder auf den marmorierten Fliesenboden gedrückt. Aber er schien nicht bereit zu sein, sich so schnell geschlagen zu geben, vielmehr presste er durch den halb zugedrückten Mund einige Worte hervor: »Ihr seid auf dem Holzweg! Ich ... bin doch ... auch«, ein oder zwei Wörter gingen in einem gurgelnden Geräusch unter, »… Polizei.«

»Was sagt er?«, fragte der SEK-Mann, der eben ins Funkgerät gesprochen hatte und noch immer breitbeinig hinter der Posttheke stand.

»Keine Ahnung.« Der Kollege, der mit seinen schwarzen Handschuhen den Kopf des Bärtigen fixierte, zuckte verständnislos mit den Schultern.

Der andere legte dem Festgenommenen derweil mit routinierter Grobheit die Handschellen an. Als er fertig war, sprach er überdeutlich und etwas abgehackt durch seine Gesichtsmaske: »So. – Jetzt können wir ganz langsam aufstehen. – Aber keine Sperenzien. – Das kommt beim SEK München nämlich ganz schlecht an!«

»Wir sind hier nicht zur Wellness«, ergänzte sein Kollege.

Dann ließ er dem Mann, der nur ein Paket hatte abholen wollen, etwas mehr Freiraum, sodass dieser sich trotz der hinter dem Rücken gefesselten Hände aufrappeln konnte. Nun wurden seine Blessuren sichtbar: Die rechte Wange war aufgeschürft und leicht gerötet. Die Vierzigjährige heulte unvermittelt los. Doch aus dem Blick des Gefesselten sprach Wut. Mit zusammengebissenen Zähnen sagte er: »Das, Freunde, ist jetzt ein ganz schlechter Scherz. Was bitte ist in euch gefahren, dass ihr hier so einen Wahnsinn veranstaltet?« Er starrte den Einsatzleiter an, der – kaum hatte er das Wort ergriffen – seine Maschinenpistole auf ihn gerichtet hatte. Als von dem Kämpfer hinter der Posttheke keine Reaktion kam, sagte der Festgenommene: »Ich bin der Polizeipräsident, ihr Osterhasen.« Er warf, soweit ihm dies möglich war, einen Blick in die Runde der Maskierten. Keiner der sechs Männer regte sich, also fügte er an: »Und außerdem der Chef vom LKA.«

»Und ich bin John Lennon«, erwiderte derjenige, der ihn zuvor auf den Boden gedrückt hatte und ihn nun seitlich am Arm hielt.

Der große Mann mit dem Henriquatre-Bart wandte sich dem selbst erklärten John Lennon zu: »Ich bin wirklich der Polizeipräsident.«

»Und ich bin wirklich John Lennon«, äffte der Uniformierte ihn nach und nickte seinem Kollegen zu. »Sicher du ihn mal, dann werden wir gleich sehen, ob wir den Richtigen haben.« Der andere packte nun den Bärtigen am Arm, und sein Kollege kniete nieder, schlitzte mit dem Kampfmesser, das er aus der an seinem Bein befestigten Scheide gezogen hatte, das Paket auf, griff hinein und hob ein Bündel heraus. Er wickelte die Schaumfolie auseinander und präsentierte den anderen SEK-Männern nicht ohne Stolz eine Pistole, die er schließlich dem vermeintlichen Polizeipräsidenten vor die Nase hielt. »Und warum bestellt ein Polizeipräsident, wie du ja anscheinend einer bist, eine illegale Pistole im Darknet? Deine Lügenmärchen kannst du gleich den LKA-Leuten erzählen. Die stehen nämlich draußen.« Dann schob er noch ein verächtliches »der Herr Polizeipräsident!« hinterher, lachte zynisch und wickelte die Waffe wieder ein.

Eine legendäre Dreierbeziehungbegründete der US-Psychologe undWonder-Woman-Erfinder ProfessorMarston. Allerdings war seine FrauElizabeth, mit der er im Übrigenauch den Lügendetektor erfand,mit diesem Modell ehelichenZusammenlebens sehr unzufrieden.

Eins | Hanswurst

Karl Zimmerschied hätte es besser wissen müssen. Warum hatte er nicht auf sein Bauchgefühl gehört? Auf den Gedanken, er könnte seine Frau dazu überreden, von Bali zurückzukommen, wenn er nur selbst hinflog und ihr die Situation hinreichend erklärte, konnte nur ein Fantast oder Träumer kommen. Dabei war er doch Realist. Eigentlich. Wie hatte ihn, den sein Beruf tagtäglich zum logischen Denken zwang, in dieser Privatangelegenheit nur derart die Intuition verlassen können? Da stand er nun an einem Strand in Bali und betrachtete mit Befremden seine Ehefrau. Der Polizeipräsident konnte es drehen und wenden, wie er wollte: Wie Roswitha da so in ihrer kürzlich gegründeten Oben-ohne-Bar Rose Garden herumfuhrwerkte, in einem Bikini, der aus derart wenig Stoff bestand, dass Zimmerschied ihr gerne ein Tuch übergeworfen hätte – seine an sich bodenständige Frau machte den Eindruck, als sei sie durchgeknallt. Immerhin hatte sie oben herum überhaupt etwas an. Das konnte man von den drei Frauen unter den fünf Gästen, die er auf der kleinen Terrasse erblickte, nicht sagen. Zimmerschied empfand sich nicht nur wegen seines dunklen Anzugs, den er vergangene Woche noch bei einem Abendessen mit dem bayerischen Ministerpräsidenten getragen hatte, als Fremdkörper in der Urlaubsidylle. Wenige Meter entfernt perlten die Wellen mit sanftem Rauschen an den Strand. Zum Glück hatte er die Krawatte noch im Taxi auf dem Weg zu dem kleinen Badeort, an den er sich noch von dem gemeinsamen Urlaub mit Roswitha erinnerte, in der Jacketttasche verschwinden lassen.

Widerwillig konstatierte er, dass Roswitha gut aussah. Sie war braun gebrannt und schien, obwohl ohnehin schon schlank, noch etwas abgenommen zu haben. Auch hatten ihre blauen Augen wieder denselben Glanz, den sie früher, in den ersten Jahren ihrer Beziehung gehabt hatten.

Jetzt stellte sie die beiden Gläser weg, die sie eben noch in der Hand gehalten hatte, und wandte sich endlich zu ihm um. Erst musterte sie ihn nur. Dann trat sie vor, umarmte ihn, machte einen Schritt zurück, kam wieder näher, küsste Zimmerschied auf den Mund, was sich eher schwesterlich anfühlte und ihm deshalb einen kleinen Stich versetzte, und trat erneut einen Schritt zurück. Auf seinen Lippen, an seinem Bart blieb ein Hauch von Kokosmilch oder irgendeinem Öl hängen. Jedenfalls roch es gut. Er sah seine Ehefrau an. Er verspürte Lust auf sie. Im Augenwinkel nahm er eine blutjunge Frau wahr, die nichts trug außer einem knappen Badehöschen und mit einem Tablett mit zwei leeren Cocktailgläsern von den Liegen am Strand zurückkehrte. Sie schien hier zu arbeiten.

Aber dann konzentrierte er sich wieder auf Roswitha. Wie lange war es her, dass sie beschlossen hatte, den gemeinsamen Bali-Urlaub noch etwas zu verlängern – sechs Monate? Sieben? Acht? Er wusste es nicht genau, die vergangenen Monate waren hart gewesen, er hatte einen Feind im eigenen Haus ausfindig und unschädlich machen müssen, und die fünfunddreißig Grad auf dieser Insel machten ihm auch zu schaffen.

Jetzt bewegte sich etwas im hinteren Teil der Strandbar, die mit ihrem einfachen Holzgerüst und den Bastmatten etwas provisorisch wirkte, was auf ihn aber wegen der geschickt angebrachten bunten Tücher keineswegs einen geschmacklosen Eindruck machte. Für so etwas hatte Roswitha ein Händchen. Allerdings hätte er seiner Frau gegenüber niemals zugegeben, dass er ihre Bar schön fand.

Der Vorhang, der offensichtlich die Bar von der Küche trennte, wurde zur Seite geschoben, und heraus trat der Mann, den Zimmerschied für sich »Hanswurst« nannte. Normalerweise bemühte sich der Polizeipräsident um Respekt gegenüber jedermann. Aber dieser Hans Müller war der Schweinehund, den Roswitha als ihren neuen Freund bezeichnet hatte. Noch dazu hatte sie gesagt, er sei ihm, Zimmerschied, so ähnlich! Der Hanswurst sei auch bei der Kripo gewesen und – das war das Höchste: Er sei für eine Dreierbeziehung offen, wenn Zimmerschied und Roswitha dies wollten. Dass Roswitha das wollte, hatte sie ihm schon bei einem der wenigen Telefonate in den vergangenen Monaten mitgeteilt. Zimmerschied wähnte sich seither im falschen Film. Aber das war nicht alles. Roswitha, die sich, seit sie Barbesitzerin in Bali war, Rose nannte, hatte sogar schon den bayerischen Innenminister zu einem Urlaubstrip nach Bali eingeladen. Alfred Werner war Zimmerschieds Chef!

Nun stand der Hanswurst also vor ihm. Ziemlich genauso groß wie Zimmerschied, mit ziemlich ähnlichem Bart, aber natürlich wesentlich gesünderem Teint. Außerdem sah er auch etwas trainierter aus in seinen bunten Shorts und den Flipflops. Sonst hatte dieser Hans Müller nichts an.

Zimmerschied hatte schon Barack Obama die Hand geschüttelt, er kannte die Bundeskanzlerin persönlich, er telefonierte regelmäßig mit dem bayerischen Ministerpräsidenten, alles sicherlich aufregende Momente, die sein hohes Amt im Polizeidienst mit sich brachte. Aber jetzt, da er seinen Nebenbuhler beäugte, fühlte er sich mit einem Mal verschwitzt und der Situation ausgeliefert, was nicht gut war. Der Hanswurst streckte ihm die Hand hin und sagte »Selamat sore«.

War das die Begrüßung auf Balinesisch? Zimmerschied wusste es nicht mehr. Seine Antwort war ein eisiges »Grüß Gott«. Dann entstand eine kurze Pause. Roswitha, die etwas angespannt wirkte, versuchte sie zu füllen, indem sie ein Glas mit Strohhalmen von A nach B verschob, mit einem Schwammtuch einen nicht vorhandenen Fleck wegwischte und ein wenig mit Gläsern an der Bar herumklapperte. Zimmerschied hatte das Gefühl, der Schweiß würde ihm in Strömen unter den Achseln wegfließen.

»Warm hier, was?«, sagte der Hanswurst mit einem Gesichtsausdruck, den Zimmerschied nicht anders als locker und freundschaftlich bezeichnen konnte, obwohl er alles lieber wollte, als diesen Mann, der seiner Frau eine fixe Idee ins Hirn gepflanzt hatte, nett zu finden. Ohne auf die Antwort des Polizeipräsidenten zu warten, bückte sich dieser Hans Müller nun, griff in eine Schublade oder Kiste unter der Bar – Zimmerschied konnte es nicht genau erkennen –, richtete sich wieder auf und hielt dem Präsidenten ein Stück bunt gefärbten Stoff hin. Bei genauerem Hinsehen entpuppte es sich als kurze Hose. »Nimm das hier, Karl – du heißt doch Karl, oder habe ich das falsch abgespeichert?«

»Abgespeichert«. Zimmerschied mochte keine technischen Ausdrücke im Zusammenhang mit Menschen. Dennoch griff der LKA-Chef reflexartig nach der Hose, was er noch im selben Augenblick bereute, er wollte nichts von diesem Trittbrettfahrer, aber es war schon zu spät. Immerhin blieb er ihm eine Antwort auf die Frage schuldig. Er war im Gegensatz zu diesem Affen, der ihm die Frau weggenommen hatte, kein Computer mit Festplatte, der Erinnerungen »abspeicherte«. Er war ein Mann aus einfachen Verhältnissen, der sich hochgearbeitet und sich dabei seine Menschlichkeit bewahrt hatte. Jedenfalls hoffte er das.

»Ja, er heißt Karl«, bestätigte Roswitha – wie überflüssig war das denn? Kurz wollte Zimmerschied einem inneren Impuls nachgeben und seiner Frau mitteilen, sie sei eine dumme Kuh, aber er riss sich zusammen. Stattdessen beschloss er im Anblick der kurzen Hose des Nebenbuhlers und der halb nackten Roswitha, dass er während seines gesamten Aufenthalts – von Urlaub konnte man hier ja wohl nicht sprechen, schließlich ging es um die Heimholung der Ehefrau – seinen Anzug nicht ablegen würde. Ganz egal, wie heiß es noch werden sollte: Wollte er Roswitha aus den Klauen dieses fahnenflüchtigen Polizeikollegen befreien, musste er sich von dem Lotterleben, das man hier offensichtlich führte, absetzen. Und sich wie ein vernünftiger Mensch zu kleiden war eine der wenigen Möglichkeiten, die ihm diesbezüglich zur Verfügung standen.

Noch immer standen sie einander schweigend gegenüber. Der Hanswurst und er. Zimmerschied fühlte sich überfordert. Seine Zunge klebte am Gaumen. Er wollte nach Hause. Roswitha schien dies zu spüren, denn jetzt sagte sie: »Geh doch bitte mal in die Küche, Hans, und bereite die Tapas für die Cocktailgäste vor. Das geht ja schon bald los.«

Dem Gesichtsausdruck seines Konkurrenten nach zu urteilen, schien es ihm nicht zu passen, dass er in die Küche geschickt wurde. Zimmerschied entspannte sich innerlich ein wenig. Als der Freund seiner Frau weg war, trat der Präsident ganz hinter die Bar, nahm sich ein Glas und befüllte es am Wasserhahn. Sofort flog der Vorhang zur Küche zurück, und Hans Müllers Kopf erschien: »Roswitha, würdest du ihm bitte sagen, dass wir hier die Regel haben, dass nur Personal hinter die Theke darf?«

So ein Arschloch! Zimmerschied schüttelte den Kopf, schwieg aber.

»Jetzt geh du mal nach hinten!«, sagte Roswitha in Richtung ihres Bar- und Bettkompagnons. Der Polizeipräsident litt, und er verfluchte sich. Immer weniger konnte er sich erklären, weshalb er diese Reise unternommen hatte. Zu Hause wartete Dr. Isabelle Augustin, die neue Leiterin der Abteilung für Forensische DNA-Analytik, und wollte etwas von ihm, und er stand hier und ließ sich von der Affäre seiner Ehefrau erniedrigen. Isabelle Augustin war viel jünger als Roswitha und obendrein genau sein Typ. Was wollte er hier eigentlich? Das war doch alles Blödsinn!

Später, die Sonne tauchte gerade wie ein blutroter Feuerball in die sanfte Dünung des Meeres, befand er sich mit seiner Frau in einer Hütte, die gemeinsam mit anderen Behausungen einen Steinwurf von der Bar entfernt stand.

»Hier wirst du schlafen«, erklärte Roswitha. Unter anderen Umständen hätte ihm der Raum gut gefallen. Schlichte, filigrane Holzmöbel, viel Bambus und dunkles Holz, viel Weiß und draußen die Sonne und das Meer. Eigentlich ein Traum. Aber ... Zimmerschied sah seine Frau an. »Und du?«

»Ich schlafe gleich nebenan. In der Hütte links.«

Er musterte sie genau. Doch ihrem Gesichtsausdruck war keine Regung anzusehen.

»Und der ... Dings?«

»Der Hans?«, fragte Roswitha – nun schien sie doch etwas verlegen zu sein. »Der schläft auch gleich nebenan.«

»In derselben Hütte wie du?«

»Nein, nicht in derselben Hütte wie ich. Jetzt komm mal runter, Karl! Das ist hier doch das Paradies – und ... und ... Es könnte doch alles so einfach sein: Du könntest hier bei uns bleiben, die Bar läuft gut, und ... und ... Dann machen wir das alles hier zu dritt.«

Zimmerschied zog eine Grimasse und wandte den Blick zum Fenster hinaus. »Roswitha, ich bin der Chef vom LKA, und außerdem habe ich zu Hause die Landwirtschaft! Ich glaube eher, dass du erst mal runterkommen musst!« Er sah sie wieder an. »Was mich interessiert: Wie genau ist denn jetzt deine Beziehung zu diesem Typ?«

»Ach, komm, Karl!«

»Nein, keine Ausflüchte. Eine Antwort will ich!«

Roswitha holte tief Luft und presste dann heraus: »Wir machen die Bar zusammen.«

»Und was noch?«

»Karl! Jetzt frag das doch nicht so!«

Zimmerschied schüttelte unwirsch den Kopf. Es entstand eine Pause. Dann fragte Roswitha beinahe bittend: »Soll ich dir noch einen El Presidente machen?«

Zimmerschied fiel es leicht, das Angebot abzulehnen, denn er hatte vorhin bereits zwei Gläser seines Lieblingsdrinks zu sich genommen. »Nein, verdammt! Ich will, dass du zur Vernunft kommst. Roswitha, du musst mit mir nach Hause fliegen!« Während er sie ansah, spürte er, dass es nur noch Sekunden dauern würde, bis ihm die Tränen kamen. Er wandte sich ganz zum Fenster um. Als er hinausblickte, sah er einen Mann und eine Frau, die im Licht der untergehenden Sonne Hand in Hand am Wasser entlang spazierten. Es war ein kitschiges Bild, das ihn nervte.

»Karl. Eines kann ich dir ganz sicher sagen. Ich werde nicht mit dir nach München zurückkommen. Ich bleibe hier. Das hier ist das Leben, von dem ich immer geträumt habe. Aber ich schlage dir nicht die Tür vor der Nase zu. Ich würde mich freuen, wenn du hierbleiben würdest. Oder du fliegst noch einmal heim und regelst deinen Ausstieg aus dem Polizeidienst, und dann kommst du eben wieder. Der Hans hat es doch schon gesagt: Wir können gut zu dritt glücklich werden!«

»Roswitha, ich glaube, du bist verrückt! Wir sind doch keine Hippies! Wir sind ganz normale Menschen! Und du bist meine Frau und nicht die Frau von diesem ... von ...«

Zimmerschied war es gelungen, die Tränen zu unterdrücken, deshalb fühlte er sich jetzt wieder in der Lage, sich zu ihr umzudrehen. Er sah sie an. Klar wartete Isabelle Augustin in München auf ihn. Vielleicht war er sogar ein bisschen in seine junge Mitarbeiterin verliebt. Aber seine Frau Roswitha, die liebte er. Verliebt sein und lieben, das war ein Unterschied! Und er würde um diese Liebe kämpfen. Ja, das würde er! Deshalb ging er jetzt ganz nah zu Roswitha hin und fasste sie mit den Händen rechts und links an den Oberarmen, nicht grob, aber fest. »Roswitha, du wirfst alles weg, was wir uns aufgebaut haben in all den Jahren, all das, was uns verbindet!«

Als er spürte, dass Roswitha Anstalten machte, sich ihm zu entwinden, erhöhte er den Druck auf ihre Oberarme. Nein, nein, er würde sie nicht gehen lassen. So einfach nicht.

»Karl, lass mich!« Roswitha versuchte sich aus seinem Griff zu befreien.

»Du bleibst jetzt mal da!«, herrschte er sie an, ohne sie loszulassen.

Es entstand ein Gerangel, in dessen Verlauf Roswitha noch einmal ein nun bereits wesentlich hilfloseres, aber auch lauteres »Karl, lass mich los!« ausstieß. Dann stand plötzlich und wie aus dem Nichts der Hanswurst vor ihm. Zimmerschied starrte ihn ungläubig an und hörte noch ungläubiger, was der Konkurrent befahl: »Lass sofort die Rose los!« Schon drängte er sich zwischen den Polizeipräsidenten und seine Frau, schob diese hinter sich, und als Roswitha nun auch noch vernehmlich zu schluchzen begann, baute er sich drohend vor Zimmerschied auf. »Du legst hier keine Hand an! Die Rose steht unter meinem Schutz.«

Die Rose. Zimmerschied schüttelte es. Dass dieser Kotzbrocken es nicht dabei belassen hatte, ihm die Frau wegzunehmen, sondern sie auch noch umbenannt hatte, als würde sie ihm gehören, das war die absolute Höhe! Der LKA-Chef und ehemalige Boxer holte aus und rammte dem Nebenbuhler seine rechte Faust in die Magengegend. Erst als Hans Müller in die Knie ging, realisierte Zimmerschied, was er getan hatte – dass ihm die Nerven durchgegangen waren. Er beugte sich zu dem Hanswurst hinunter, der sich, den Bauch haltend und stöhnend, am Boden wand. Er wollte sich entschuldigen. Doch anscheinend war er auf einen getroffen, der ihm ebenbürtig war. Hans Müller revanchierte sich mit einem trockenen Faustschlag aufs linke Auge. Nun stöhnte Zimmerschied seinerseits auf, er taumelte und wäre fast gefallen. Aber da war schon die Wand, und er konnte sich im letzten Moment fangen. Er warf noch zwei kurze, erschrockene Blicke auf den am Boden kauernden Hans Müller und auf seine Frau, bevor er fluchtartig die Hütte verließ.

2014 wurde am Flaucher-Biergarten in Münchenein Obdachloser erschlagen. Die Tat gingals »Flaucher-Mord« in die Geschichte ein.Der sogenannte »Isar-Mord« hingegen istein noch immer rätselhafter Fall aus demJahr 2013: Ein Unbekannter hatte denIngenieur Domenico L. aus unerfindlichenGründen erstochen.

Zwei | Liebespaar

Zwei Tage später betrat Karl Zimmerschied das Vorzimmer seines Präsidentenbüros im Landeskriminalamt.

»Herr Zimmerschied!«, entfuhr es seiner aus der Schweiz stammenden Sekretärin Elisabeth Rötli. »Was machen Sie denn hier? Sie haben doch Urlaub! Ich denke, Sie sind auf Bali?«

»Offensichtlich nicht«, brummte Zimmerschied und ging ganz entgegen seiner sonstigen Gewohnheit einfach weiter in Richtung seines Büros.

»Aber warum?«, rief ihm die wie immer makellos gestylte und in ein cremefarbenes Kostüm gewandete Sekretärin hinterher.

Zimmerschied hatte den Türrahmen schon erreicht, aber jetzt drehte er sich doch noch einmal halb um. »Frau Rötli, kümmern Sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten!« Nach diesem Satz schloss er energisch die Tür und atmete auf. Er mochte dieses Büro. Er mochte seine Arbeit. Er war froh, wieder hier zu sein.

Zimmerschied ließ, während er an dem langen Besprechungstisch vorbeiging, seine Finger über die glatte, braun lackierte Holzoberfläche gleiten, und sein Blick streifte die Fotos in dem in die Wand eingelassenen Regal – er mit Obama, er mit der Kanzlerin, er mit seiner Frau. An seinem Schreibtisch angekommen, schlüpfte er aus dem Jackett, hängte es über den Stuhl und ließ sich nieder. Es war merkwürdig: Ihm war, als wäre er nach langer Zeit an seinen Arbeitsplatz zurückgekehrt, obwohl er doch kaum mehr als ein Wochenende weg gewesen war. Warum tat Roswitha ihm das an? Ehe er den Gedanken weiterverfolgen konnte, klingelte das Telefon. Auf dem Display erkannte er Rötlis Nummer. »Ja?«

»Entschuldigen Sie, also eigentlich haben Sie ja Urlaub, aber ... da Sie ja jetzt da sind ...«, hob die Schweizerin etwas verdruckst an.

»Was gibt’s?«, unterbrach er sie.

»Der Herr Södlinger und die Frau Veltroni wären hier – sind Sie schon ... also, ich meine: Sind Sie jetzt offiziell da oder nur inoffiziell?«

»Lassen Sie die Frau Veltroni und den Herrn Södlinger rein!«, kommandierte der Präsident. Als er Rötlis Zögern wahrnahm, wurde ihm seine Ruppigkeit bewusst, und er fragte sich kurz, ob es richtig war, dass er jetzt hier saß, obwohl er doch eigentlich Urlaub hatte. Er nahm sich vor, seine Laune besser unter Kontrolle zu behalten. Schließlich konnten die Mitarbeiter ja nichts dafür, dass seine Frau durchdrehte.

»Ein Mord am Flaucher«, sagte Barbara Veltroni, noch bevor sie und ihr Kollege sich am Besprechungstisch niedergelassen hatten. Die nicht sehr große Kriminalhauptkommissarin mit der schwarzen Pagenkopffrisur hatte mal wieder eines ihrer blau-weiß gestreiften Bretonen-Shirts an und wirkte gehetzt. »Ein wirklich schlimmer Mord ... und eine hochschwangere Frau schwebt in Lebensgefahr.«

Zimmerschied hob fragend die Augenbrauen.

»Das ist eine ganz komische Geschichte«, fügte Hannes Södlinger hinzu. »Vorgehensweise ultrabrutal, Motiv völlig unklar.«

Zimmerschieds Jagdinstinkt war geweckt. Mit offenem Blick musterte er seinen Mitarbeiter mit der unmöglichen Frisur auf dem kantigen Schädel.

»Also von vorn«, übernahm jetzt Veltroni wieder: »Das kleine Wäldchen zwischen Flaucher-Biergarten und Mittlerer-Ring-Brücke kennen Sie, oder?«

Zimmerschied nickte.

»Da geht so ein Radweg durch.« Der Polizeipräsident nickte erneut. »Da ist gestern gegen zweiundzwanzig Uhr ein Pärchen vom Biergarten aus kommend in Richtung Stadtmitte gegangen. Und dann ist da vermutlich ein Mann gekommen und hat das Feuer eröffnet. Genau wissen wir nicht, ob’s ein Mann war. Aber das männliche Opfer, also der Mann von dem Pärchen, war sofort tot. Und die Frau schwebt in Lebensgefahr.«

»Und ist hochschwanger«, ergänzte Södlinger und rückte sich die Krawatte zurecht, die ausnahmslos alle Kollegen affig fanden. Niemand außer dem Präsidenten und Södlinger trug im LKA Krawatte, wenn dies nicht ein besonderer Anlass nahelegte.

»Vielleicht eine Eifersuchtstat«, meinte Zimmerschied.

Veltroni zuckte mit den Schultern. »Wir wissen es nicht. Seltsamerweise hatten die beiden auch gar nichts in den Taschen, woraus wir auf ihre Identität schließen könnten.«

»Vielleicht hat der Täter ihnen die Taschen leer geräumt.« Der LKA-Chef runzelte die Stirn.

»Oder die waren nur für einen Gute-Nacht-Spaziergang draußen und hatten gar nichts dabei«, überlegte Södlinger.

»Na ja, Augenzeugen gibt’s jedenfalls mutmaßlich keine. Wir waren schon am Tatort, haben aber nichts Auffälliges gesehen. Außerdem sind da noch die Kollegen von der Spurensicherung am Basteln.« Veltroni zögerte. »Deswegen wollen wir jetzt ins Krankenhaus, um die Frau zu befragen. Sie liegt in der Frauenklinik in der Maistraße. Falls sie überhaupt bei Bewusstsein ist. Wir haben den zuständigen Arzt noch nicht ans Telefon bekommen. Aber wir wollen das jetzt mal direkt versuchen. Und beim Rausgehen haben wir Ihr Auto gesehen ...«

»Und da haben wir uns gedacht, fragen wir, ob Sie ... Also eigentlich haben Sie ja Urlaub, aber ... Also, wir glauben, dass die Presse wegen dem hochschwangeren Opfer ...«

Weil Södlinger sich in seinem eigenen Satz verhedderte, übernahm Veltroni wieder: »Was der Hannes meint, ist Folgendes: Ein junges Liebespaar, wo die Frau schwanger ist und der Mann auf offener Straße mitten im Münchner Erholungsgebiet zwischen Biergarten und Isar geradezu hingerichtet wird –, da werden die Medien draufspringen wie sonst was.«

»Sie haben richtig entschieden. Ich komme mit.«

»Wie, Sie kommen mit?« Die Polizistin mit der Pagenkopffrisur war verdattert. »Wir meinten eigentlich, ob Sie uns irgendwelche speziellen Anweisungen mit auf den Weg geben wollen. Weil ... also ... die Ermittlungen ... machen doch eigentlich ... also wir ... Wir sind doch die Ermittler!« Sie warf Södlinger einen Blick zu, den dieser mit einem Nicken erwiderte.

»Nein, nein, nein«, entfuhr es Zimmerschied etwas zu vehement. »In so einem wichtigen Fall bin ich natürlich an vorderster Front dabei.« Erwartungsgemäß erntete er genervte Mienen. Aber seit er sich jüngst in die Ermittlungen im Fall um eine mysteriöse Phantomfrau, die ihre DNA an allen möglichen Tatorten hinterlassen hatte, eingemischt hatte, machte ihm sein Job wieder richtig Spaß. Natürlich war es eigentlich nicht die Aufgabe eines Polizeipräsidenten, Zeugen zu vernehmen und Mordschauplätze zu begutachten. Aber wer war denn hier der Chef? Er natürlich. Und so konnte er sich diese Freiheit wohl herausnehmen. Zudem war alles gut, was ihn jetzt von den Gedanken an seine Ehe ablenkte. Zimmerschied stand auf und schlüpfte in sein Jackett.

Als Veltroni am Steuer des zivilen Einsatzfahrzeugs saß, Zimmerschied auf dem Beifahrersitz und Södlinger hinten, fragte die Kriminalhauptkommissarin: »Wieso sind Sie jetzt eigentlich doch nicht im Urlaub? Ich dachte, Sie wollten nach Bali?«

Zimmerschied atmete tief ein. Er hatte keine Lust, diese Frage zu beantworten. Als der Wagen an einer Ampel zum Stehen kam, spürte er jedoch, dass seine Mitarbeiterin ihn unverhohlen ansah. Da wandte er ihr kurz das Gesicht zu und sagte: »Wissen Sie, Frau Veltroni, Urlaub wird im Allgemeinen überschätzt, und Bali sowieso. Es war viel zu heiß und gar nicht so schön.«

»Sie waren auf Bali?« Veltroni gelang es nicht, ihr Erstaunen zu verbergen.

»Ja, übers Wochenende sozusagen.« Jetzt musste sogar Zimmerschied lächeln. Im selben Augenblick kam er sich vor wie ein Idiot. Was erzählte er diesen Leuten hier? Das waren seine Untergebenen!

»Aber ... hatten Sie nicht geplant, also, Ihr Urlaub sollte doch ... war der nicht auf zwei Wochen geplant?« Die Polizeihauptmeisterin betrachtete ihn ungläubig.

»Frau Veltroni, bitte konzentrieren Sie sich auf den Verkehr!« Zimmerschied schaute konzentriert zur Windschutzscheibe hinaus. Weil die Mitarbeiterin zwar sachte, aber doch unübersehbar den Kopf schüttelte, schob der LKA-Chef noch hinterher: »Es kam halt etwas Unvorhersehbares dazwischen. Wissen Sie, manchmal muss man flexibel sein im Leben.«

»Also, jetzt mal langsam. Habe ich das richtig verstanden, Herr Präsident? Sie waren übers Wochenende auf Bali?«, meldete sich nun noch Södlinger zu Wort.

»Ja, haben Sie. Sagen Sie nicht ›Herr Präsident‹ zu mir, Sie wissen, dass ich das nicht mag. Und jetzt bitte keine weiteren Fragen zu meinen privaten Angelegenheiten.«

Zimmerschied hasste den Geruch von Krankenhäusern. Diese Mischung aus Kantinenessen, Desinfektionsmitteln und lauwarmem Tee war ihm zuwider. Da machte die Klinik in der Maistraße, die ansonsten einen guten Ruf genoss, keine Ausnahme. Vor dem Eingang standen zwei abgerissen aussehende Männer und rauchten. Ein weiterer Mann, begleitet von drei Frauen in Burkas, betrat zeitgleich mit dem Ermittlertrio das Foyer. Minuten später standen sie einer Oberärztin mit wilder Frisur gegenüber.

»Ausgeschlossen. Sie braucht jetzt vor allem Ruhe.« Die Medizinerin schüttelte entschieden den Kopf.

»Sie ist die einzige Zeugin«, hob Zimmerschied an. »Wenn wir den Täter erwischen sollen, dann ...«

»Ausgeschlossen!« Die Ärztin verschränkte die Arme.

Zimmerschied spürte Wut in sich aufsteigen. Immer diese Hindernisse. Plötzlich sah er wieder den Hanswurst von Bali vor sich. Der Polizeipräsident verdrängte das albtraumhafte Bild, straffte die Schultern, spannte die Muskeln an, räusperte sich ... Aber ehe er etwas sagen konnte, tat Barbara Veltroni einen Schritt auf die Ärztin zu und erklärte in verschwörerischem Flüsterton: »Die Sache ist die, Frau Doktor Gobelin. Wir haben es hier mit einem hoch aggressiven Täter zu tun. Einer, der auf offener Straße einen Mann praktisch hinrichtet und das Feuer auf eine offensichtlich schwangere Frau eröffnet ... Was ich sagen will: Der Mann ist brandgefährlich und begeht vielleicht gerade seinen nächsten Mord. Und wir können nicht ausschließen, dass er es ganz gezielt auf schwangere Frauen abgesehen hat. So ein brutaler Täter, über den wir praktisch nichts wissen, läuft jetzt da draußen frei herum. Wenn wir nicht wollen, Frau Doktor Gobelin, dass er noch mehr unschuldige Frauen gefährdet oder Menschen hinrichtet, dann müssen wir ihn so schnell wie möglich fassen. Aber das geht eben nur, wenn wir wissen, nach wem oder was wir suchen müssen. Momentan können wir nicht einmal sagen, ob es wirklich ein Mann war und nicht doch eine Frau ...«

Die Oberärztin schüttelte langsam den Kopf.

»Frau Gobelin, wir werden Ihre Patientin nicht über die Maßen beanspruchen. Nur ein paar Fragen ... damit ... damit wir Schlimmeres verhindern und die Fahndung aufnehmen können.«

Zimmerschied hielt die Luft an. Dass Veltroni gegenüber der Oberärztin einer Frauenklinik die Möglichkeit weiterer weiblicher Opfer hervorhob, war geschickt.

Jetzt flüsterte auch die Medizinerin: »Ich sage es Ihnen ganz offen: Ihre Überlebenschancen liegen bei höchstens fünfzig Prozent. Sie hat viel Blut verloren. Sie hat zahllose innere Verletzungen. Sie ist hochschwanger und sehr instabil. Ich weiß nicht ... Und auch das Kind ...« Sie schluckte. Dann sagte sie in normaler Zimmerlautstärke und voller Verachtung: »Wer so etwas tut, dem wünsche ich die Pest!«

»Umso wichtiger wäre es für uns, mit ihr zu sprechen«, sagte Veltroni in beschwörendem Ton. »Damit wir das Schwein erwischen, das ihr das angetan hat! Frau Doktor Gobelin, das ist wirklich notwendig, um Schlimmeres zu verhindern.«

Carmignano ist der Name der Gemeinde in der Toskana, in der die berühmte Villa MediciArtiminio steht. Der hier gekelterte Weinwurde zum Hauswein der Medici, jenerFamilie, die das Bankwesen erfand und zurErhaltung ihrer Jahrhunderte währendenMacht ohne Skrupel mordete.

Drei | Intensivstation

Karl Zimmerschied hatte schon viele Verletzte gesehen. Aber diese Frau, die da – angeschlossen an zahllose Schläuche, Messgeräte und Infusionen – auf der Intensivstation lag, war so leichenblass und wirkte so hilflos, dass ihn unverzüglich ein Gefühl der Beklemmung überfiel. Und unter ihrer Bettdecke wölbte sich der Babybauch. Würde es den Ärzten gelingen, das Kind zu retten? Was für ein Mensch war dazu fähig, eine Schwangere zu attackieren? War es am Ende ein eifersüchtiger Nebenbuhler? Kaum hatte Zimmerschied das Wort Nebenbuhler im Kopf, sah er den Hanswurst vor sich, und ein ungutes Gedankenkarussell nahm seinen Lauf: Warum waren ihm auf Bali derart die Sicherungen durchgebrannt? Würde Roswitha jemals zu ihm zurückkehren? Was fand sie an diesem neuen Leben so toll, dass sie das alte so leichtfertig hinter sich ließ? Stopp. Zimmerschied beschloss, sich sofort jeden weiteren Gedanken an die Geschehnisse auf Bali zu verbieten. Er musste sich auf das Opfer konzentrieren, die einzige Tatzeugin.

Die schwangere Frau war hübsch und dunkelhaarig, ihre Augen waren geschlossen. Aber sie lebte. Ihr Brustkorb hob und senkte sich langsam. Mit einer Kopfbewegung bedeutete Zimmerschied Södlinger, den Raum, der vom Piepen und den Pumpgeräuschen mehrerer Beatmungsgeräte erfüllt war, zu verlassen. Als der Kriminalhauptkommissar hinter dem Vorhang verschwunden war, der das Bett der Zeugin vom nächsten Patienten trennte, fragte Zimmerschied Dr. Gobelin, ob er den Stuhl an das Bett ziehen dürfe. Die Ärztin nickte, und auch Veltroni holte sich einen Stuhl und nahm Platz. Die Verletzte musste die dadurch entstandene Unruhe wahrgenommen haben, denn jetzt hoben sich ihre Augenlider. Als sie Zimmerschied sah, zuckte sie zusammen.

Doch der flüsterte gleich besänftigend »Ruhig, ganz ruhig« und legte ihr vorsichtig die Hand auf den Unterarm, über den ein durchsichtiger Schlauch verlief. Die Frau wollte den Arm zurückziehen, war aber offensichtlich zu schwach. Als Zimmerschied dies spürte, zog er seine Hand zurück und erklärte leise: »Wir sind von der Polizei. Mein Name ist Zimmerschied. Das ist Frau Veltroni. Wir wollen Ihnen helfen.« Keine Reaktion. Dennoch hatte Zimmerschied das Gefühl, dass sie ihn verstanden hatte. »Wir lassen Sie auch gleich wieder schlafen. Aber ...« Er überlegte, ob es sinnvoll war, erst eine angenehme Gesprächsatmosphäre zu schaffen, wie es sonst üblich war bei Vernehmungen, oder ob er – angesichts der Schwäche der Zeugin – möglichst schnell die Fragen stellen sollte, die ihm auf den Lippen brannten. Er entschied sich für einen Kompromiss: »Können Sie mich verstehen?« Die Frau nickte kaum merklich. Zimmerschied zog sein Smartphone aus der Tasche, legte es an den Rand der Matratze und aktivierte die Tonaufnahme – eine intuitive Aktion, über die er und sein Ermittlerteam sich noch freuen würden. »Wie heißen Sie?«

»Antonietta Carmignano«, flüsterte die Verletzte so schwach, als hätte sie Stimmbänder aus Seidenpapier.

»Ein schöner Name. Sind Sie Italienerin?«

Antonietta Carmignano schüttelte kaum sichtbar den Kopf. »… Eltern.«

»Kennen Sie den Mann, der auf Sie geschossen hat?«

Sie schüttelte erneut den Kopf. Als Zimmerschied schon seine nächste Frage stellen wollte, hauchte sie: »Er ... hatte ... kein Gesicht.« Dann schloss sie die Augen.

Der Polizeipräsident starrte sie an. Was wollte sie damit sagen, »kein Gesicht«? Ihre Züge blieben reglos. War sie eingeschlafen? Er warf einen schnellen Blick zu Dr. Gobelin. Dann wieder zu der Patientin. Würde sie noch etwas sagen?

Vorsichtig räusperte er sich. »Wie meinen Sie das, ›kein Gesicht‹?« Als die Frau nicht sofort reagierte, spürte Zimmerschied mit einem Mal, wie heiß es in diesem Raum auf der Intensivstation war und wie stickig die Luft war.

Plötzlich – ihre Augen waren noch immer geschlossen – bewegte sie die Lippen: »… kein Ges…cht ... k... N…se.« Erschöpft verstummte sie. Zimmerschied spürte eine Hand auf seiner Schulter. Es war die von Dr. Gobelin. Ihm war klar, was sie mit dieser Geste sagen wollte: Die Ermittler sollten wieder gehen. Aber seine innere Stimme sagte ihm, dass sie hier noch etwas erfahren würden. Er widerstand der Hand, die merklich den Druck erhöhte, und blieb reglos sitzen. Und tatsächlich bewegte Antonietta Carmignano noch einmal die Lippen: »Kapuze ... Schlitze, die Augen ... keine ... L…p…n.« Das letzte Wort hörte sich für Zimmerschied wie »Lippen« an, aber er hätte dafür nicht die Hand ins Feuer gelegt. Der LKA-Chef holte tief Luft und warf Veltroni einen besorgten Blick zu. Mit dieser Personenbeschreibung würden sie nicht weit kommen. Die Hand der Ärztin auf seiner Schulter wog jetzt schwer. Aber er wollte, er konnte hier noch nicht weg. Kapierte diese Gobelin das nicht? Die verletzte Frau war – danach sah alles aus – der einzige Anhaltspunkt für die Fahndung nach dem Täter. Ohne irgendeinen Hinweis von ihr würde die Jagd auf den Flaucher-Mörder ein zähes, wenn nicht sogar unmögliches Unterfangen werden.

Plötzlich piepte in einer anderen Ecke im Raum ein Gerät. Das penetrante Geräusch begann Zimmerschied auf die Nerven zu gehen, aber schon Sekunden später war er dankbar dafür. Denn es hatte kaum ein Dutzend Mal gepiept, da spürte er an seiner Schulter wieder Bewegungsfreiheit. Die Ärztin verschwand hinter dem Abtrennungsvorhang, und der Polizeipräsident näherte vorsichtig seine Hand dem Unterarm der Schwerverletzten und strich ihr mit dem Zeigefinger über die blasse Haut, geradezu zärtlich war das.

Würde sie noch einmal die Augen öffnen und etwas mehr über den Ablauf der mysteriösen Tat von sich geben? Noch einmal berührte er sie am Arm. Veltroni schien die Luft anzuhalten. Der Piepton war verstummt. Würde Dr. Gobelin sie gleich rausschicken? Zimmerschied warf Veltroni noch einen hastigen Blick zu, dann flüsterte er der Patientin zu: »Frau Carmignano, bitte helfen Sie uns. Wir wollen den Täter so schnell wie möglich festnehmen. Bitte beschreiben Sie uns möglichst genau, wie das alles gestern Abend passiert ist.«

Die Befragte zeigte keinerlei Regung. Aber Der LKA-Präsident setzte noch einmal an: »Kannten Sie den Täter wirklich nicht?«

Veltroni atmete hörbar aus. War sie genervt? Ging er zu weit? Zimmerschied schluckte. Just in dem Moment, in dem er aufgeben wollte, nahm er eine minimale Bewegung im Gesicht der Verletzten wahr. Zwar waren ihre Augen noch geschlossen, aber – ja, da gab es keinen Zweifel – Antonietta Carmignano bewegte die Lippen. Kurz entschlossen hielt Zimmerschied ihr das Smartphone vor den Mund, so nah wie es ging, ohne sie zu berühren. Ja, jetzt schien sie etwas zu sagen, aber Zimmerschied verstand nur Bruchstücke:

»… wir ... Spazier... e… ha… mich angesch… p…kt. Luig… is... zur ... k…« Das war doch alles völlig unverständlich! Und jetzt schwieg sie auch schon wieder. Der LKA-Chef fühlte Verzweiflung in sich aufsteigen. Diese Frau war einfach zu schwach. Aber da bewegte sie noch einmal den Mund, noch einmal hielt er das Mobiltelefon näher an sie heran: »… und da hat er ... Pistole ...ezo…g… schoss ... da bin ...ch a… ch ... k und er hat noch ... g…sch…ss…n. Luig…«

Längst krampften die Muskeln in Zimmerschieds Rücken, weil er so weit nach vorn gebeugt saß, um das Smartphone möglichst nah an den Mund der Zeugin zu halten. Aber auf seinen Rücken konnte er jetzt keine Rücksicht nehmen, er musste versuchen, einzufangen, was auch immer sie sagte, ehe es zu spät war. Plötzlich riss sie die Augen auf und fragte erstaunlich deutlich: »Wo ist Luigi?«

»Ist Luigi Ihr Freund?«, flüsterte der Präsident. Nun verkrampfte sich auch noch sein Bauch. Dennoch verharrten er und Veltroni noch einige Minuten, die sich wie eine Ewigkeit anfühlten. Sie bekamen jedoch keine Antwort mehr auf die letzte Frage – und auch auf keine weitere. Wo Antonietta Carmignano wohnte, hätte Zimmerschied noch gerne erfragt, doch das Opfer war wieder weggedämmert in die Nebelwelt zwischen Schlaf und Wachsein. Als Dr. Gobelin zu ihnen zurückgekehrt war und Veltroni und Zimmerschied sich schon zum Gehen gewandt hatten, drehte er sich noch einmal zu ihr um. Antonietta Carmignanos Brustkorb hob und senkte sich jetzt gleichmäßig. Ihr Anblick rührte ihn. Er beschloss, in der Dorfkirche von Holzleute eine Kerze für die junge Frau anzuzünden.

Die Bezeichnung »Pumps« für einen weitausgeschnittenen, sonst aber geschlossenenSchuh mit hohem Absatz findet sich bereitsin Shakespeares Der WiderspenstigenZähmung und im Sommernachtstraum.

Vier | Pumps

»Und – hat sie was gesagt?«, erkundigte sich Södlinger, als die drei Beamten wieder im Auto saßen. Sein Tonfall wirkte etwas pampig. Vermutlich war er beleidigt, weil Zimmerschied ihn hinausgeschickt hatte. Aber der Präsident verspürte keinerlei Lust, diese Selbstverständlichkeit zu erklären.

»Ein bisschen was hat sie schon gesagt«, antwortete Veltroni und setzte den Blinker. »Aber viel verstanden habe ich nicht. Von einem Täter ohne Gesicht und ohne Lippen und mit Schlitzaugen hat sie gesprochen, und von einer Kapuze.«

»Dann war es ein Asiate?«, fragte Södlinger.

Zimmerschied brummelte etwas Unverständliches. Dann meinte er: »Ich habe das nicht direkt als Hinweis auf einen Asiaten verstanden. Aber stimmt schon, man kann das so verstehen.« Er zögerte. »So ein Mist aber auch! Wenn die uns jetzt stirbt, dann haben wir gar nichts!«

»Die stirbt schon nicht«, versuchte Veltroni ihn zu beruhigen.

»Pff! Haben Sie gesehen, wie blass sie war? Und sie hat ein Kind im Bauch! Ich begreife das einfach nicht: Wer macht denn so was? Wer schießt auf eine schwangere Frau? An einem Sommerabend, wie er schöner nicht sein könnte?« Er fuhr sich mit der Hand über den kurz geschorenen Bart. »Wir müssen unbedingt versuchen, sie noch einmal zu vernehmen!«

Der Polizeipräsident hatte sich gerade auf seinem Schreibtischstuhl niedergelassen, da stand er noch einmal auf, ging zu der Schrankwand mit den Fotos und drehte das, auf dem seine Frau zu sehen war, um. Kaum hatte er wieder am Tisch Platz genommen, schüttelte er den Kopf, erhob sich erneut, ging zu dem Foto und stellte es wieder normal hin.

Er war noch nicht zurück am Bürotisch, da stand sie plötzlich im Raum. Sie. Seine hübsche, junge Mitarbeiterin. Er brauchte einen Moment, um sich darauf einzustellen.

»Dann stimmen die Gerüchte also – Sie sind wieder da!«

»Ja«, erwiderte Zimmerschied. Er bemühte sich, sich keine Gefühlsregung anmerken zu lassen.

»Aber warum? Waren Sie gar nicht auf Bali?«

»Doch.«

»So kurz?«

»Ja.«

»Aber warum haben Sie mir nicht Bescheid gesagt? Dann hätte ich doch das Haus für Sie vorbereitet. So war ich übers Wochenende bei meiner Cousine in Berlin, bin heute früh direkt vom Bahnhof ins LKA. Der Herr Gänswein sollte den Stall machen, das hatten wir so ausgemacht.«