Tod, Trauer, Totenkult-Knigge 2100 - Horst Hanisch - E-Book

Tod, Trauer, Totenkult-Knigge 2100 E-Book

Horst Hanisch

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Beschreibung

Umgang mit dem Tabuthema Tod. Eine lebendige und bildhafte Beschreibung trauriger Themen rund um das unausweichliche Sterben und den Tod. Es ist erstaunlich, wie viele Aspekte das Thema Tod - oft als Tabuthema behandelt - berühren: Suizid, Trauerstaatsakt, Beisetzung, Kondolenz, Totenkult und vieles andere mehr. Im vorliegenden Text 'hören' wir die Gedanken eines scheintot Begrabenen, eines Sargträgers, eines Klageweibes und weiteren fiktiven Personen. Mit einigen können wir uns auch in Form eines Interviews austauschen und damit sogar die Gedanken des Todes erfahren. Kursiv geschriebene Texte zeigen weiterhin die Überlegungen und Vorgehensweisen fiktiver Personen, wie beispielsweise die des Arztes Dr. Herzing, der seinem Patienten die unheilbare und todbringende Krankheit verständlich machen und mitteilen muss. Oder das vom Inka-Mädchen Juanita, das zur Freude und ganzem Stolz der Familie als Menschenopfer ausgewählt wurde. Das Thema ist in elf Kapitel unterteilt. Die Überschriften der drei Hauptteile sind: Tod und Trennung - Trauer und Takt - Totenkult und Tabus. Widmen wir uns dem riesigen Bereich rund um das Sterben. In Deutschland sterben jährlich zwischen 850.000 und 900.000 Menschen. Es gibt also genügend Gründe, sich Gedanken über Vorsorge, Bestattungsarten und Trösten zu machen. Viele der Themen mögen berühren und Emotionen auslösen. Deshalb wird auch über Humorvolles und Sonderbares berichtet, um eine gefühlte Ausgewogenheit rund um den Tod, die Trauer und den Totenkult zu erreichen.

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„Leben heißt, sich in der Zeit vorwärtszubewegen; unser Identitätsgefühl besteht aus den von uns selbst handelnden Geschichten, an die wir uns erinnern, und tot sein heißt, sich an keine einzige Geschichte mehr erinnern zu können.“

(Quelle Literaturspiegel Oktober 2015, Jonathan Franzen)

Inhaltsverzeichnis

EINLEITUNG ALS VORWORT

HINLEITUNG

D

IE

Z

ÄSUR IM

L

EBEN

Gedanken von ‚Jürgen‘

TEIL 1 – TOD UND TRENNUNG

1. KAPITEL – DAS LEBEN IST ENDLICH

E

RKENNTNIS DER

S

TERBLICHKEIT

Der Tod ist unvermeidlich

D

ER

T

OD HÄLT

E

INZUG

Das biologische Aus

Der Tod bedeutet die Trennung von Leib und Seele

Der Tod kennt keine Zeit

Todesengel

T

ODESANGST

Ich habe Angst vor dem Tod

Ich habe Angst vor der Ungewissheit nach dem Tod

Was kommt nach dem Tod?

Angst vorm Sterben

Ich habe tödliche Angst

Todesdrohung

Der Weiße und der Schwarze Tod

Interview mit dem Tod

Nekrophobie – Rund um den Tod

Scheintod – der Untote

Lebendig begraben werden – Taphephobie

Nahtod – Nahtoderfahrung

Hirntod

B

LICK IN DIE

T

IERWELT

Wie ist die Lebenserwartung bei Tieren?

Todstellung bei Tieren

2. KAPITEL – STERBEN

W

IE WOLLEN WIR STERBEN

?

Wunsch und Wirklichkeit

S

TERBEZIMMER

Sterben ist ein Prozess

Sterbende im Hospiz – Würdigung des Sterbenden

Todessehnsucht

Sterbehilfe

Agonie – Todeskampf

Allein Sterben – einsam und ohne Begleitung

D

IE LETZTEN

W

ORTE

… nur noch wenige Augenblicke

3. KAPITEL – SELBSTTÖTUNG – FREMDTÖTUNG

S

UIZID

Sich das Leben nehmen

Menschen, die sich selbst das Leben nahmen

Hungertod

Selbstmordversuch

Harakiri – Seppuku

Kamikaze

Menschen, die nicht sterben können

Interview Graf Dracula

Menschen, die sich das Leben nehmen mussten

Menschen, die getötet wurden

Hexen

Gottesurteile

Todesurteile

Guillotine

Der Blaue Stein

Henker – Scharfrichter

Interview William – Der Henker Maria Stuarts

Selbstmordattentäter

Amokläufer

Märtyrertod

Ehrenmord

Serienmörder

Attentäter

Heldentod

Scharfschütze – Präzisionsschütze

Heckenschütze – Todesschütze

Selbstschussanlage

Mordsspaß

Menschenopfer

Kannibalismus

Menschen, die nicht sterben dürfen

4. KAPITEL – VERSTORBEN

G

ETRENNT VOM

L

EBEN

Trennung

Totenfürsorge

Vorgehen beim Sterbefall

Aufgabe des Bestatters

Kassen und Versicherungen......

Sterbeurkunde

Bestattungskosten

Leichenwagen

I

NTERVIEW MEIN EINEM

B

ESTATTER

B

ESTATTUNGSARTEN

Wie wollen Sie bestattet werden?

Erdbestattung

Feuerbestattung

Seebestattung – das Seegrab

Anonyme Bestattung aus eigenem Willen

Anonyme Beisetzung von

Mördern

Massenbeerdigung – Massengrab

Traueranzeige – Todesanzeige

Danksagung

TEIL 2 – TRAUER UND TAKT

5. KAPITEL – TRAUER UND TROST

T

RAUER

Traurigkeit

Die Phasen der Trauer

D

IE NICHT MÖGLICHE

V

ORBEREITUNG AUF DEN

T

OD

Aus dem Leben gerissen

Plötzlicher Kindstod

Sternenkinder

F

ÜRCHTERLICHE

N

ACHRICHTEN ÜBERBRINGEN

Die Angehörigen über den Tod des Partners informieren

Den Betroffenen über seinen bevorstehenden Tod informieren

Schuldig oder unschuldig?

T

ROST

Traurigkeit zeigen und Trost spenden

Weinen

Totenwache

Gedenktage

Kranzniederlegung

Besuch auf dem Friedhof

Sepulkralkultur

6. KAPITEL – DIE LETZTE RUHESTÄTTE

L

EICHENBESCHAU

Leiche – Leichnam

Totenbeschau

Totenstarre – Leichenstarre

Totenflecken – Leichenflecken

Leichenart

R

EINKARNATION

DIE

W

IEDERGEBURT

Ich gehe und ich komme wieder

H

ERRICHTEN DER

L

EICHE

Herrichten des Leichnams

Totenhemd

H

ERRICHTEN FÜR DIE

E

WIGKEIT

Mumifizierung und Mumifikation

Mellifikation

Einbalsamierung

Totenmaske

Der Fährmann zur Unterwelt

Interview Charon

7. KAPITEL – BEERDIGUNG

D

IE

W

EGE DER

B

EISETZUNG

Friedhof

Berühmte Friedhöfe

Friedhofsordnung

Aufbahrung und Abschiednahme am offenen Sarg

Trauerfeier im Raum der Abschiednahme

T

RAUERFLORISTIK

Beerdigungsblumen

Blumenkranz – Symbol der guten Mächte

Trauerschleifen – Kranzschleifen

Grabbrett – Leichenbrett

Sarg

Sargformen

Kindersarg

Fötensarg

Sargträger

Kremation – Krematorium

Urne

Urnenwand – Kolumbarium

Mausoleum

Gruft

Trauerkleidung

Trauerflor

Kondolenz

Beileidsschreiben – Kondolenzschreiben

Mitgefühl ausdrücken

V

ON DER

T

RAUERHALLE BIS ZUM

G

RAB

Der letzte Weg

Reden am offenen Grab – die Leichenrede

Beileidsbekundung am offenen Grab

Trauermahl – Leichenschmaus

S

TAATSAKT

Staatsbegräbnis – Trauerstaatsakt

Ehrenwache

Trauerbeflaggung – Flagge auf Halbmast

Trauerzeit

D

IE LETZTE

R

UHESTÄTTE

Grabstein – Leichenstein

Ruhe in Frieden

Seychellen – Inselwelt für Piraten

Pyramiden – Ägypten

Privatfriedhof

TEIL 3 – TOTENKULT UND TABUS

8. KAPITEL – HUMOR ODER VERZWEIFLUNG?

D

EN

L

ÖFFEL ABGEBEN

UND ANDERE

S

PRÜCHE

Die Angst vor fürchterlichen Qualen im Diesseits und im Jenseits

Aus Traurigem wird Schönes

Darf es um das Thema Tod auch Lustiges geben?

L

EBENSERWARTUNG

Das Leben in Zahlen

Armut lässt früher sterben

100 Jahre und mehr

Alterspyramide

9. KAPITEL – DER LETZTE WILLE

V

ORBEREITUNG UND DIE LETZTEN

W

ÜNSCHE

Vor dem Tod

Die Erbfolge

V

ORSORGE

Vorausblicken

Vollmacht

Patientenverfügung

Der letzte Wille – das Testament

10. KAPITEL – EXOTISCHES UND UNGEWÖHNLICHES

E

S GIBT NICHTS

,

WAS ES NICHT GIBT

Computer-Dialog mit dem verstorbenen Partner

Trauertänzer

Piratenflagge – Totenkopfflagge

Todesgefahr

T

ABUS

Organspende

Leichengeld

Unglücksbringer – Todbringer

Die wilde Jagd – der Geisterzug

Totengeister

Hochzeittorte

Traumdeutung

Übersinnliches – Kontaktaufnahme mit Verstorbenen

Carpenter-Effekt – Mein Arm denkt mit

Der Hundefriedhof

Hund und Herrchen zusammen beigesetzt

11. KAPITEL – TOTENKULT UND TRADITION

D

ER

S

ÜNDENBOCK IST TOT

!

Tradition – Ertränken, Verbrennen und Verstoßen

B

LICK ZU UNSEREN

N

ACHBARN

Das Fest der hungrigen Geister – China

Asche in den Ganges – Indien

Día de los muertos – der fröhliche Tag der Toten – Mexiko

Famadihana – Umbettung der Toten in Madagaskar

Indonesien

Thailand

Japan

Grönland

STICHWORTVERZEICHNIS

KNIGGE ALS SYNONYM UND ALS NAMENSGEBER

U

MGANG MIT

M

ENSCHEN

Adolph Freiherr Knigge

Einleitung als Vorwort

„Wir müssen immer lernen, zuletzt auch noch sterben lernen.“

Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach, mähr.-österr. Schriftstellerin

(1830 - 1916)

Erkennen der Vergänglichkeit

Es war ein völlig unerwarteter, sehr heftiger Schlag aus heiterem Himmel. Karls Stimme am Telefon war dünn, brüchig, stockend, verzweifelt. Mit Mühe konnte herausgehört werden „… Dorothea … tot … Notarzt hier …“ Die Mutter tot? Konnte das sein? Nein, das musste ein Hörfehler sein. Der Sohn setzte sich mit Begleitung sofort ins Auto, um eine halbe Stunde später beim Vater einzutreffen.

Die Wohnungstür stand sperrangelweit offen, Teppiche und Läufer lagen unordentlich vor der Eingangstür. „Karl, wo bist du?“ Totenstille in der Wohnung, bis auf ein leises, kaum vernehmbares „Hier!“ Der 82-jährige Karl klammerte sich weinend in seinem Büro am Telefonhörer fest, um auch die anderen Kinder zu erreichen. Eine echte Schocksituation. Wie soll sich hier richtig verhalten werden? Erst einmal in die Arme nehmen. Die Tränen und das laute Schluchzen machten eine verbale Kommunikation sowieso unmöglich.

Eines stand fest: Dorothea war nicht mehr hier. Ein blaues Blinklicht um die Ecke zog kurz die Aufmerksamkeit auf sich. Der Sohn geht nach draußen. Tatsächlich. Ein Notarztwagen steht noch dort. Die Ärztin telefoniert, der Kollege fertigt Notizen an. Satzfetzen des Telefonats werden aufgefangen: Die Zustandsbeschreibung der Mutter, die vorgenommenen Wiederbelebungsversuche usw. Bestand doch noch Hoffnung? Endlich kann sich die Notärztin dem Sohn zuwenden.

In einfühlsamer Zuwendung übermittelt sie die sachlichen Informationen: „… Rettungswagen … zwei Notärzte-Teams … Wiederbelebungsversuche … Transport in die Uni-Klinik …“ Gibt es eine Hoffnung? „Eher nicht. Und wenn … das Gehirn … wie lange war es wohl ohne Sauerstoffzufuhr? …“ Todesursache? „Wir wissen es nicht. … 80 Jahre … Herz-Kreislauf-Versagen?“

Karl hatte die direkt hinter der Wohnungstür bereitliegende Patientenverfügung einem der Ärzte überreicht. In der Aufregung hatte er allerdings seine eigene gegriffen. So versuchten die Ärzte etwa 45 Minuten lang – die nicht gewünschte – Wiederbelebung. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt – der Tod war schneller. Durch Dorotheas Herzschrittmacher war immer wieder eine scheinbare Bewegung im Körper wahrzunehmen. Deshalb konnten die Ärzte mit ihrer Arbeit nicht aufhören.

Eine Stunde nach dem Abtransport erfolgte das Telefonat mit dem behandelnden Arzt in der Uniklinik. Behutsam übermittelte er die befürchtete Nachricht. „Wir haben den Tod festgestellt … nein, es ergibt keinen Sinn, jetzt vorbeizukommen … am besten ist: ‚begreifen’ Sie erst einmal die Situation …“

Umgang mit dem Tabuthema Tod

Eine lebendige und bildhafte Beschreibung trauriger Themen rund um das unausweichliche Sterben und den Tod.

Es ist erstaunlich, wie viele Aspekte das Thema Tod – oft als ‚Tabuthema‘ behandelt – berühren: Suizid, Trauerstaatsakt, Beisetzung, Kondolenz, Totenkult und vieles andere mehr.

Im vorliegenden Text ‚hören‘ wir die Gedanken eines scheintot Begrabenen, eines Sargträgers, eines Klageweibes und weiteren fiktiven Personen. Mit einigen können wir uns auch in Form eines Interviews austauschen und damit sogar die Gedanken des Todes erfahren.

Kursiv geschriebene Texte zeigen weiterhin die Überlegungen und Vorgehensweisen fiktiver Personen, wie beispielsweise die des Arztes Dr. Herzing, der seinem Patienten die unheilbare und todbringende Krankheit verständlich machen und mitteilen muss. Oder das vom Inka-Mädchen Juanita, das zur Freude und ganzem Stolz der Familie als Menschenopfer ausgewählt wurde.

Das Thema ist in elf Kapitel unterteilt. Die Überschriften der drei Hauptteile sind:

Tod und Trennung

Trauer und Takt

Totenkult und Tabus

Widmen wir uns dem riesigen Bereich rund um das Sterben. In Deutschland sterben jährlich zwischen 850.000 und 900.000 Menschen. So gibt es genügend Gründe, sich Gedanken über Vorsorge, Bestattungsarten und Trösten zu machen.

Viele der Themen mögen berühren und Emotionen auslösen. Deshalb wird auch über Humorvolles und Sonderbares berichtet, um eine gefühlte Ausgewogenheit rund um den Tod, die Trauer und den Totenkult zu erreichen.

Horst Hanisch

Hinleitung

Die Zäsur im Leben

„Für sich selbst ist jeder unsterblich; er mag wissen,

dass er sterben muss, aber er kann nie wissen, dass er tot ist.“

Samuel Butler, engl. Philosoph

(1835 - 1902)

Gedanken von ‚Jürgen‘

Nennen wir die Person, die uns die folgenden Erinnerungen schildert, Jürgen. Seine Gedanken sollen uns gedanklich auf die Themen des Buches einstimmen.

Das Alter lag fern

An meine allerfrüheste Jugend kann ich mich nicht erinnern. Es wird behauptet, dass Menschen vereinzelt Erinnerungen an ihr zweites, drittes oder viertes Lebensjahr haben.

Ich kann mich lediglich daran erinnern, dass ich auf der Rückbank eines Fahrzeugs saß, durch das Heckfenster schaute und die regungslos dort stehenden Kinder sah, die uns beim Wegfahren an einen neuen Wohnort nachschauten. Ich muss damals 4, vielleicht 5 Jahre alt gewesen sein.

Meine Mutter war etwa 20 Jahre älter als ich. Aus meiner Sicht eine erwachsene Frau. Mein Vater war drei Jahre älter. Damals habe ich mir keinerlei Gedanken über das Alter gemacht oder mich gar gewundert, weshalb andere älter waren als ich.

Ich nahm es als gegeben hin, dass meine Mutter eine erwachsene Frau und meine Großmutter eine alte Frau war. Sie muss damals Mitte 50 gewesen sein. In meinen damaligen Augen war sie alt.

Aus heutiger Sicht erscheint mir diese Meinung lächerlich. Wer würde sich als 55-Jähriger als alt bezeichnen?

Als Jugendlicher erkannte ich dann, dass ich im Vergleich zu meinen Klassenkameraden eine relativ junge Mutter hatte. Das bereitete mir einen gewissen Stolz.

Erste Gedanken zum Älterwerden

Richtige Gedanken zum Alter kamen mir, als ich selbst 12 oder 13 Jahre alt war. Damals war ich der felsenfesten Überzeugung, würde meinem Vater etwas passieren, könnte ich problemlos dessen berufliche Position einnehmen. Wie kann ein 13-Jähriger so denken?

Ich war in diesen und den nächsten Jahren in der Jugend–Gemeindearbeit als Gruppenleiter aktiv. Ein 18-Jähriger war für unseren Bereich der Ansprechpartner. Für mich war der 18-Jährige alt. Tatsächlich alt. Ich betrachtete ihn als richtigen Erwachsenen.

Felsenfest war ich damals der Meinung, dass ein 18-Jähriger alles weiß. Ich ging davon aus, dass er sozusagen alles Wissen, das verfügbar ist, gelernt haben würde. Aus heutiger Sicht kann ich nur noch milde darüber lächeln.

Sehe ich heute 18-Jährige, wundere ich mich, mit welcher jugendlichen Naivität viele von ihnen durchs Leben schreiten. Seit langem habe ich erkannt, dass es wohl kaum einem gelingen wird, alles Wissen dieses Planeten im Kopf speichern zu können. Inzwischen bin ich der Meinung, dass dies auch gar nicht notwendig ist. Wichtiger ist es zu wissen, wie ich an Wissen gelangen kann.

Reflexion

Ich fing an, mein eigenes Leben und Dasein zu durchdenken. So versuchte ich mir vorzustellen, wie es wäre, wäre ich älter als gerade in diesem Augenblick. Diese Vorstellung gelang mir einigermaßen, obwohl ich damals nicht im Geringsten absehen konnte, was es bedeuten würde 20, 40 oder gar 60 Jahre alt zu sein.

Und was würde danach geschehen? Irgendwann würde ich sterben. Nun, die ersten Monate nach meinem Tod konnte ich mir noch ausmalen. Vielleicht auch noch die unmittelbaren Jahre danach.

Was würde aber danach passieren? Nach 20 Jahren? Nach 100, nach 1.000? Hier gelangte ich an die Grenzen meines Denkvermögens. Ich schaffte es einfach nicht mehr mir vorzustellen, wie es ‚dann‘ aussähe.

Klar hatte ich eine Vorstellung, wie es auf der Welt aussehen könnte. Was aber würde mit mir sein? Wo wäre ich dann? Läge mein Körper noch auf einem Friedhof? Was wäre noch von mir übrig?

Ich kam zu der Erkenntnis, dass der Versuch des Weiterdenkens mich hier in eine verzweifelte Situation brächte, die mein Gehirn nicht verarbeiten könnte. Drohte ich sonst verrückt zu werden?

Ich nahm mir vor, diese Art Gedanken zu unterdrücken. Ich hatte erkannt, dass ich selbst keine Antwort auf meine vielen offengebliebenen Fragen fände. Die eigene Zukunft nach meinem Versterben blieb unbeantwortet.

Wohlwissend, dass es irgendwann einmal soweit ist, verneinte und vermied ich die Gedanken hierzu. Ich fing an zu verstehen, weshalb manche Menschen sich hier regelrecht in einen Glauben flüchten. Scheint es doch angenehmer zu sein, sich vorzustellen im Himmel oder, falls es denn sein muss, in der Hölle seine Zukunft zu verbringen.

Relatives Älterwerden

Als Teenager rechnete ich aus, dass ich 23 Jahre alt sein müsste, um genau die Hälfte des Alters meines Vaters erreicht zu haben. Danach versuchte ich rauszukriegen, wann ich ihn mit meinem Erwachsenwerden endlich einholte.

Dabei stellte ich fest, dass die relative Differenz meines Alters zum Alter meines Vaters immer geringer werden würde. Allerdings würde sie nie auf ‚Null‘ schrumpfen können. Erst dann, wenn mein Vater nicht mehr lebte. Dann hätte ich zumindest rechnerisch die Chance, ihn ‚einzuholen‘.

Diese Erkenntnis war für mich erschreckend, zeigte sie doch zugleich, dass diese Rechnung erst nach dem Versterben meines Vaters aufgehen könnte. Solange mein Vater lebt, wird die Differenz immer 23 Jahre bleiben.

Heute freue ich mich über jedes Jahr, das mein Vater älter wird. Ich gebe mich dabei der naiven Vorstellung hin, auch mein eigenes Leben würde sich dadurch gleicherweise verlängern.

Ich war 18 – und erwachsen

Irgendwann war ich dann 18 Jahre alt. Jetzt war ich erwachsen. Zumindest der Alters-Zahl nach. Ich durfte tun und lassen, was ich wollte. Ein interessantes und gleichzeitig erbauendes Gefühl.

Auch wurde mir deutlich bewusst, dass ich ab sofort als ‚voll geschäftstüchtig‘ im juristischen Sinne anzusehen war. Ich war demnach für mich selbst und mein Handeln verantwortlich.

Allerdings konnte ich mir noch nicht so genau vorstellen, wie es sein würde, allein und voll verantwortlich leben zu dürfen – oder vielleicht leben zu müssen. Konnten mir bis dato meine Eltern immer hilfreiche Informationen geben, waren sie ab jetzt bestenfalls noch moralisch dazu verpflichtet.

Wie würde es sein, allein und selbst verantwortlich leben zu dürfen/können? Wie ist das mit den Versicherungen, dem Arbeitsplatz, dem Aufbau einer eigenen Partnerschaft? Wem gegenüber muss ich jetzt noch Verantwortung zeigen? Das waren Fragen, die in der Schule weder gestellt noch beantwortet wurden.

War ich mit 18 Jahren fit fürs Leben? Ein kleiner Trost war mir, dass es vielen anderen, vielleicht sogar allen anderen, ähnlich gehen musste wie mir. Schaute ich mir ältere Personen an, konnte ich feststellen, dass es wohl jeder ‚irgendwie‘ geschafft hatte, selbstständig durchs Leben zu gehen.

Also konnte es so schlimm ja nicht sein. Es würde sich schon irgendwie ergeben. Und es ergab sich irgendwie.

Kein Plan des Lebens

Genau genommen gab es keinen Plan, wie das Leben aussehen sollte. Selbst wenn ich den Eindruck gewinnen konnte, alle um mich herum hätten die Struktur des Lebens begriffen, war es bei meinem eigenen Denken noch nicht so weit. Bestenfalls gelang es mir zwei, vielleicht auch drei Jahre vorauszuplanen bzw. zu denken.

Ich war mir nicht im Geringsten darüber bewusst, welche Weichen ich für mein zukünftiges Leben durch mein aktives Handeln stellen würde. Sogenannte gutgemeinte Ratschläge älterer Verwandten konnte ich sowieso nicht nachvollziehen, geschweige denn wertschätzen.

So richtig blühte ich erst auf, als ich etwas über 20 Jahre alt wurde. Ich lebte für meine berufliche Weiterbildung ein Jahr lang weit weg von meinem Geburtsort. Dort schaffte ich es, mir ein erstes vernünftiges Netzwerk unter Gleichaltrigen zu knüpfen.

Ich habe das Leben richtig genossen, jeden Tag bewusst gelebt und viel gelacht. So ganz nebenbei habe ich auch unglaublich viel gelernt und spürte regelrecht, dass ich wohl eine Art ‚Spätzünder‘ sein müsste. Dieses Jahr hat mir unglaublich viel für mein späteres Leben gebracht.

Plan der beruflichen Zukunft

Ich war gerade mal 25 oder 26 Jahre alt, als ich erstmals im Ausland arbeitete. Diese Art der Arbeit gab mir volle Befriedigung. Ich war glücklich und freute mich tatsächlich über jeden Tag, den ich leben konnte. So hätte das Leben theoretisch immer weitergehen können. Allerdings machte ich mir auch jetzt keinerlei Gedanken über meine Zukunft bzw. mein Älterwerden; oder vielleicht doch?

Irgendwann kam mir nämlich der Gedanke, dass ich in dem mir gewählten Beruf zwar hierarchisch betrachtet recht schnell bis in Spitzenpositionen vordringen würde. Gleichzeitig wurde mir bewusst, dass die ‚Luft dort oben‘ immer dünner werden würde. Achtung: In meinen Gedanken dachte ich an einen 40-Jährigen.

Was würde mit mir als 45-Jähriger oder 50-Jähriger geschehen? Die alternativen beruflichen Positionen wären dann verständlicherweise seltener vorhanden. Was wäre, könnte ich diese nicht mehr in Anspruch nehmen? Wäre dann das berufliche Leben bereits vorbei?

Ganz rational entschied ich mich, für diesen eventuellen Fall vorzubauen. Ich brachte ein Fachbuch heraus, das heute noch erfolgreich vermarktet wird. Emotionslos überlegt und strategisch vorgehend wollte ich mir damals bereits die Basis für ein zweites Standbein aufbauen, sollte die berufliche Karriere irgendwann einmal kippen und mich zwingen, einen anderen Berufsweg einzuschlagen.

Das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich tatsächlich einen entscheidenden Schritt für meine eigene Zukunft plante und umsetzte.

Aufgehen in der und für die Arbeit

Obwohl es mir damals ausgezeichnet gut ging, gesundheitlich, privat wie beruflich, entschied ich mich aus privaten partnerschaftlichen Gründen, in die Selbstständigkeit zu gehen. Ich war damals etwa 28 Jahre alt.

Aus heutiger Sicht fast unverantwortlich, einen sicheren und sehr gut bezahlten Beruf einfach mal so wegen einer gewünschten Selbstständigkeit an den Nagel zu hängen. Vor allem deswegen, weil kein Businessplan vorlag und die Entscheidung ‚eben einfach mal so‘ erfolgte.

Ich kann von wirklichem Glück reden, dass ich mit meiner gewählten Selbstständigkeit sehr erfolgreich wurde. Ich hatte nach finanziell bedrohlicher Übergangszeit viel zu tun. Und zwar so, dass ich nach einigen Jahren anfangen konnte, die Anfragen auszusuchen.

Ich ging in der Arbeit auf. Ausgedehnte Arbeitszeiten von sehr früh morgens bis sehr spät abends, regelmäßige Einsätze an Wochenenden inklusive sonntags, waren die Regel. Ich musste aufpassen, nicht zu einem Workaholic zu werden.

Die Zeit und das Leben rasen vorbei

So rasten die Jahre an mir vorbei. An meinen 40-jährigen Geburtstag kann ich mich gar nicht mehr erinnern. Der 50-jährige wurde großartig gefeiert.

Versuche ich mir heute Erinnerungen dazu aufzurufen, was in den einzelnen Jahren dieser Jahrzehnte wirklich geschah, sehe ich ein unbeschriebenes, blankes Blatt vor mir. An Einzelheiten kann ich mich überhaupt nicht mehr erinnern. Wohlwissend, da ich ja diese Zeit aktiv gelebt hatte, machte sich mein Gedächtnis wohl nicht die Mühe, sich Besonderes herauszupicken.

Oder gab es nichts Besonderes? Glich ein Tag dem anderen? Ich kann mich sehr wohl daran erinnern, dass ich mich eher als pingelig, als genau, als ausgesprochen kritisch betrachtete.

Absprachen mussten unbedingt eingehalten werden und es war mir damals (und ist es heute auch noch) ein Ärgernis, wenn Vereinbarungen nicht erfüllt wurden oder andere die vereinbarte terminliche Zielsetzung sehr flexibel ausdehnten. Ich betrachtete dieses Vorgehen als vergeudete Zeit.

Auch maß ich mir an, die Art und Weise, wie mancher Zeitgenosse lebte, kritisch zu betrachten. Hierbei meine ich, negativ zu werten. Das mache ich heute (fast) nicht mehr. Ich bin immer deutlicher der Meinung, dass jeder ein fast absolutes Recht hat, so leben zu dürfen, wie er will.

Selbstverständlich mit der kleinen Einschränkung, solange ich anderen keinen körperlichen oder seelischen Schaden zufüge. So gehe ich heute viel geschmeidiger oder wohlwollender damit um, wenn ich sehe, wie andere Menschen ihr Leben gestalten. Das ist mir als junger Mensch nicht gelungen. Damals dachte ich eher in ‚richtig‘ und ‚falsch‘.

Mittlerweile weiß ich, dass das Leben aus unendlich vielen ‚Grautönen‘ zwischen falsch und richtig besteht. Das ist es ja gerade, was das Leben so reizvoll gestaltet.

Heftige Zäsur

Den ersten richtigen ‚Schlag‘ in meinem Leben musste ich erleben, als meine Mutter kurz vor dem Erreichen ihres 80sten Geburtstags unerwartet und binnen Sekunden schlagartig verstarb.

Es gab keinerlei Hinweise auf das anstehende Ende ihres Lebens. Sie war weg – einfach so; im wahrsten Sinne von jetzt auf gleich.

Ich denke, dass es einige Stunden dauerte, bis ich wirklich begriffen hatte, was das bedeutete. Es kostete mich fast zwei Jahre, diesen Verlust zu verkraften. Im ersten Jahr nach ihrem Tod musste ich jeden Tag ihrer gedenken. Jeden Tag(!).

Dabei würde ich das Verhältnis zu meiner Mutter nicht gerade als besonders innig beschreiben wollen. Es verwunderte mich deshalb möglicherweise umso mehr, weshalb ich plötzlich diese emotionalen Gefühlsempfindungen verspürte.

Auch nach dem Ablauf der ersten beiden Jahre kam ich immer wieder in Situationen, in denen mir scheinbar grundlos die Tränen in die Augen schossen. Beispielsweise bei verschiedenen Filmszenen mit ‚tödlichen‘ Situationen oder tragische Familiengeschichten fremder Familien, die mir zugetragen wurden.

Begreifen der Endlichkeit

In diesen Jahren, es war demnach rund um meinen 60-jährigen Geburtstag, hatte ich tatsächlich erfahren, was Endlichkeit bedeutete. Dabei betone ich das Wort erfahren, denn rationell erfasst hatte ich es natürlich schon viel früher. Es wurde mir wieder einmal klar, dass es einen deutlichen Unterschied zwischen dem Wissen und der Erfahrung gibt.

Seit dieser Zeit machte und mache ich mir wieder verstärkt Gedanken über meine nächsten Lebensjahre. Schmerzlich wurde mir bewusst, dass es ‚irgendwann‘ auch mich direkt betreffen würde. Wie auch früher schon stellte ich mir hin und wieder die Frage nach dem Sinn des Lebens. Was ist wichtig? Was ist wirklich wichtig im Leben?

Ich entschied, weniger Zeit in das berufliche Leben zu stecken zugunsten der Partnerschaft. Ich darf mich zu den Glücklichen zählen, die behaupten dürfen, in einer wundervollen Partnerschaft leben zu dürfen.

Weniger berufliche Aufträge bedeuteten weniger Umsatz. Das war und ist in Ordnung für mich. Gerne beruhigte ich mein eigenes Gewissen mit Sprüchen wie „es ist eh alles nur geliehen auf dieser Welt“ oder „das letzte Hemd hat keine Taschen“. Also blieb nur ein gewisses Abwägen, im Management heißt das wohl Life-Balance, die Schwerpunkte im täglichen Leben zu setzen. Sein wurde wichtiger als Haben.

Der Tod rückt näher

Der nächste runde Geburtstag – wenn ich ihn erleben darf – wird eine 7 in der Jahreszahl haben. Immer wieder habe ich nun die Zeit, das Leben anders zu betrachten, als es mir als junger Mensch möglich war. Sehe ich, was auf dieser Welt und in unserem Land alles geschieht, sei es politisch, wirtschaftlich und religiös, kann ich teilweise nur den Kopf schütteln.

Ist das wirklich das Leben? Was tun Menschen einander an? Weshalb gibt es so viel Neid, soviel Unrecht, soviel Verbrechen und Krieg? Müsste unser Verstand in den Jahrtausenden der Evolution nicht so weit gediehen sein, um erkennen zu können, dass es einen friedlichen Weg geben müsste, miteinander zu leben?

Immer mehr kann ich verstehen, wenn ich von alten Menschen – und jetzt meine ich Menschen die deutlich über 80 Jahre alt sind – höre, wenn sie sagen „ich will nicht mehr“. Früher konnte ich solche Aussagen überhaupt nicht verstehen, sollte doch jeder froh und stolz darauf sein, leben zu dürfen. Heute fällt es mir viel leichter, solche Aussagen nachvollziehen zu können. Besonders auch dann, wenn ich in Berichten oder auch Live erleben darf/muss, unter welchen Bedingungen manch alter Mensch leben muss. Dann kann ich nicht mehr sagen, dass er leben darf.

Das Ende?

Ich hoffe so, wie viele andere auch, dass ich noch viele glückliche Jahre erleben darf und dass das Ende meines Lebens unspektakulär verläuft. Damit meine ich, dass ich mich nicht gesundheitlich oder finanziell quälen muss. Ich hoffe ebenso darauf, dass es jemanden geben wird, der mich liebevoll in den letzten Wochen meines Lebens betreuen wird. Vielleicht ist es ein realitätsferner Wunsch anzunehmen, dass junge Leute die alten Menschen wieder so wertschätzen, wie es in früheren Generationen üblich war.

Wie heißt es so verzweifelt schön? „Die Hoffnung stirbt zuletzt.“

Wenn eena dot is, kriste'n Schreck. Denn denkste: ick bin da, un der is weg. Un hastn jern jehabt, dein Freund, den Schmidt, dann stirbste'n kleenet Sticksken mit.

Kurt Tucholsky, dt. Schriftsteller, 1890 – 1935

Teil 1 – Tod und Trennung

1. Kapitel – Das Leben ist endlich

Erkenntnis der Sterblichkeit

„Die Welt ist ein Schauplatz. Du kommst, siehst und gehst vorüber.“

Matthias Claudius, dt. Dichter

(1740 - 1815)

Der Tod ist unvermeidlich

Der österreichische Neurologe Sigmund Freud (1856 – 1939) meinte: „… so wären wir natürlich bereit zu verstehen, dass der Tod der notwendige Ausgang alles Lebens sei, […] dass der Tod natürlich sei, unabdingbar und unvermeidlich. In Wirklichkeit pflegen wir uns aber zu benehmen, als ob es anders wäre.“

108 Milliarden Tote

Welche Gemeinsamkeiten haben folgende Persönlichkeiten? Kleopatra, Gaius Julius Caesar, Mutter Theresa, Napoleon Bonaparte, die russische Zarin Katharina, Papst Pius VI., der erste Mensch namens Lucy, Geheimrat Wolfgang von Goethe, Marie Curie, Leonardo da Vinci, Bertha Benz, Michael Jackson?

Sie sind alle tot!

Jeder von ihnen hat Großes geleistet. Viele andere Menschen haben mehr geleistet als ein Durchschnittsmensch und damit dafür gesorgt, dass sich die Menschheit weiterentwickeln konnte.

Neben diesen bekannten Personen gibt es noch viel, viel mehr, deren Namen heute vergessen sind. Angeblich sollen auf der Welt bisher weit über 108 Milliarden Menschen gelebt haben. 108 Milliarden Menschen! Zurzeit existieren ca. 7,7 Milliarden auf diesem Planeten. Was geschieht mit all den Verstorbenen?

Plötzlich da

Irgendwann realisiert die kleine Lisa, dass sie existiert. Das geschieht so etwa um das zweite Lebensjahr. Lisa ist einfach da. Sie erfreut sich ihres Lebens, ist neugierig auf das, was es alles zu entdecken gibt. Sie lacht und weint; sie freut sich und sie ist traurig.

Wird sie später über die ersten Lebensjahre befragt, fällt ihr auf, dass ihre erste Erinnerung in ihr drittes, viertes, eventuell fünftes Lebensjahr zurückreicht.

Obwohl sie auch die allerersten Monate gelebt hat, hat sie keine Erinnerung an diese Zeit. Sie kann sich auch überhaupt nicht erinnern, wie sie auf die Welt kam. Dass sie auf die Welt kam ist nachvollziehbar, sonst wäre sie ja nicht hier.

Plötzlich weg

Lisa wird älter. Irgendwann in der Pubertät beginnt Lisa sich Gedanken zu machen. Nämlich über ihr eigenes Ich. Woher sie kommt, kann sie zumindest ungefähr nachvollziehen. Was wird in der Zukunft geschehen? Klar, sie wird älter werden, noch viel älter.

Der Tod liegt noch in ungreifbarer und unvorstellbarer Ferne.

Aber irgendwann wird er da sein. Lisa wird bewusst, dass auch sie eines Tages mit dieser Situation konfrontiert wird. Das bereitet ihr großes Unbehagen, findet sie doch keine Erklärung, was nach ihrem Versterben mit ihr passieren wird.

Klar kann sie sich vorstellen, dass das Leben erst mal weiterläuft – ohne sie. Und dann? Gut, dann läuft es weiter und weiter und weiter. Und was geschieht mit ihr? Sie weiß es nicht. Es gibt auch niemanden, der ihr eine eindeutige und nachvollziehbare Antwort geben kann. Dieser Gedanke bringt sie fast zum Verzweifeln.

Es kann doch nicht sein, dass irgendwann einfach nichts mehr ist. Niemals mehr irgendetwas sein wird. Das menschliche Gehirn kann sich das nicht vorstellen.

Es kann sich die Zeit eines Tages, eines Jahres, eventuell auch eines Lebens vorstellen. Aber es kann sich nicht den zeitlichen Abstand von 10.000, 100.000 Jahren oder gar der Ewigkeit vorstellen.

Für Lisa ist es hilfreich, dass es in diesem Zusammenhang den Glauben gibt. Der sagt ihr, dass sie bzw. ihre Seele in den Himmel oder in die Hölle kommt; und dort ewig weiterleben könne.

Eine gewisse Beruhigung macht sich breit. Ist es wirklich so? Niemand weiß es, niemand kehrte von dort je zurück, um zu berichten.

Ein Leben nach dem Leben?

Der Glaube an ein Leben im Jenseits ermöglicht es, das Leben einigermaßen vernünftig weiterleben zu können. Viele suchen Unterstützung im religiösen Glauben, andere haben weitere Vorstellungen zum Sein nach dem Tod.

Soweit es Forscher zurückverfolgen können, gab es immer eine Art Totenkult. Zumindest gibt es genügend Funde, die darauf hinweisen, dass es schon zu sehr frühen Zeiten eine Art Aufbewahrungsstelle für die Verstorbenen gegeben hat.

Andererseits kann dieser Ort auch lediglich als Plattform dazu gedient haben, in eine andere Welt überzutreten.

Wer Angst vor der Zukunft nach seinem Versterben hat, findet im buddhistischen Glauben möglicherweise eine befreiende Denkweise. Viele nehmen an, dass sie eine Wiedergeburt, eine Reinkarnation (als anderes Leben) erfahren werden. Deshalb ist für sie der Tod, der das aktuelle Leben beendet, nichts Trauriges, sondern ganz einfach ein Schritt in ein weiteres, neues Leben.

Es muss den Tod geben, wie es das Leben gibt