Todesblüten aus Caracas - Joel Dominique Sante - E-Book

Todesblüten aus Caracas E-Book

Joel Dominique Sante

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Beschreibung

Es gelingt Clay Perth vom New Yorker Falschgelddezernat Howard Dorner aufzuspüren, der bei einem Überfall auf einen Werttransport Druckplatten für die Herstellung von Hundertdollarscheinen erbeutet hat. Noch bevor der Verbrecher in einer Lagerhalle festgenommen werden kann, explodiert diese. Dabei verliert Dorner vermeintlich das Leben und die Druckplatten scheinen vernichtet worden zu sein. Einige Monate später nimmt Clay an einem Scheinhandel zwischen der Polizei und einem Falschgeldsyndikat teil. Die Lage eskaliert und es kommt zu einer wilden Schiesserei. Der Geldkurier aus Venezuela wird dabei getötet. Es stellt sich aber heraus, dass das Falschgeld aus der gleichen Quelle stammen muss, wie dasjenige des totgeglaubten Dorner. Die einzige Spur zur Falschgeldbande führt aber nur über den toten Geldkurier. Clay begibt sich deshalb im Auftrag seiner Dienststelle nach Caracas, wo er diversen Hinweisen nachgeht. In Caracas lernt er die hübsche Alishia Peréz kennen, die Tochter des getöteten Geldkuriers. Sie kommen sich näher und verlieben sich. Alishia wird aber bald einmal vom Syndikat entführt und Clay wird vor ein Ultimatum gestellt ...

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Seitenzahl: 326

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Todesblüten aus Caracas

Kriminalroman

von

Joel Dominique Sante

1. Auflage 2002 Printed by: Books on Demand (D-Norderstedt) ISBN 3-0344-163-9© 2002 J. D. Sante

Neuauflage 2009 Umschlaggestaltung: D. Duschletta, CH-8512 ThundorfPrinted by: Bookstation GmbH (D-Sipplingen) ISBN 978-3-9523196-3-5

MESAN-VERLAG SCHWEIZ Eichhornweg 3, CH-8280 Kreuzlingen

Joel Dominique Santehttps://www.jdsante.ch/

E-Book published by epubli 2023 – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

New York - so sagt man, sei die heimliche Hauptstadt der Vereinigten Staaten von Amerika und mit über 18 Millionen Einwohnern ist sie eine der grössten Metropolen der Welt. Nirgendwo prallen so viele Kulturen aufeinander. Keine Stadt verändert sich schneller als sie. Der kraftvolle Pulsschlag des Big Apple - wie New York auch im Volksmund genannt wird - ist ein faszinierendes Mosaik der hier aufeinander prallenden, differenten Kulturen. Man fühlt ein besonderes Flair von unbegrenzten Möglichkeiten einer vibrierenden Metropole.

Aber es gibt auch Schattenseiten in den Schluchten der Wolkenkratzer. Die Kriminalitätsrate steigt beharrlich und kratzt dabei am süffisanten Charisma der Millionenstadt. Die Stadt schläft nie und es interessiert sie schon längst nicht mehr, mit welchen Mitteln ihre Einwohner ihren Lebensunterhalt verdienen oder ihn sich aneignen. Denn alle wollen über die Runden kommen, wollen leben!

So auch das lichtscheue Gesindel, das sich nicht nur in den Strassen New Yorks herumtreibt, sondern auch am südöstlichen Ausläufer vom Hudson River im Schutz der Dunkelheit ihre meist dubiosen Geschäfte abwickelt. Ihnen, wie auch den in der Nachtschicht befindlichen Hafenarbeitern wird sofort klar, dass Unheil droht, als sie in diesem Moment das entfernte und zugleich verhasste Geheul von Polizeisirenen hören.

Unheil in dem Sinn, wonach das Auftauchen der Gesetzeshüter nicht unbedingt geschäftsfördernd wirkt. Wo die Cops mit lautem Geheul auftauchen, verhalten sie sich in der Regel wie die Habichte im Mäusefeld. Und gerade diejenigen Typen, die einiges zu verbergen haben, bleiben nun Bruchteile von Sekunden wie erstarrt stehen.

Sie blicken erschrocken in die Richtung, aus der das Sirenengeheul zu hören ist. Immer in der Hoffnung, das drohende Unheil schlage noch eine andere Richtung ein.

Dann jedoch, wie wenn jemand auf einen Startknopf gedrückt hätte, setzen sich die ominösen Geschäftsleute unterschiedlichster Branchen in Bewegung und lassen wo nötig ihren Kunden wortlos stehen. Schnell flüchten sie auf dem ölverschmutzten Hafenquai in alle Richtungen und manche Hand versteckt noch das eine oder andere illegale Utensil zwischen mächtigen Taurollen oder sonstigen Materialien.

Zu diesem Zeitpunkt ertasten die rotblauen Blitze der Einsatzfahrzeuge bereits die langen Wände der Lagerhallen und wenige Sekunden später rasen mehrere Fahrzeuge des New York Police Departement an den verdutzten Hafenarbeitern vorbei. Das Lagerhaus mit der Bezeichnung East River 89 ist das Ziel ihrer dringlichen Dienstfahrt.

Mit quietschenden Reifen bremsen die Patrouillenwagen ab und die uniformierten Beamten springen aus ihren Fahrzeugen. Sofort beziehen sie hinter den geöffneten Autotüren Deckung. Das begleitende Knistern unter der Motorhaube verrät, dass der Motorblock aufgrund der mitunter hohen Geschwindigkeiten wohl sehr heiss geworden ist.

Jeder Einsatzbeamte hält bereits seine Waffe in der Hand und richtet sie nun auf das Lagerhaus 89. Keiner von ihnen spricht jetzt ein Wort. Ihr Auftrag ist klar. Sie überwachen das Lagerhaus auf allen Seiten und warten das Eintreffen des Einsatzleiters ab. Über Funk stehen sie gleichzeitig mit der Zentrale vom Police Departement in Verbindung.

Eine gespenstische Stille herrscht nun am Quai. Nur das weit entfernte Tuten eines Ozeanriesen ist hie und da zu hören. Und das rotblaue Drehlicht der Einsatzwagen spiegelt sich immer noch an den Wellblechwänden der Lagerhallen, wie auch auf den Wellen vom nur wenige Meter entfernten East River. Ein Discobetrieb hätte seine helle Freude an den wechselnden farbigen Lichtern.

Wenige Augenblicke später rast ein weiteres, ziviles Fahrzeug auf dem Quai entlang in die Nähe des umstellten Objektes. Der fahrbare Untersatz weist keine entsprechende Kennzeichnung auf und seine braune Lackierung lässt im Alltag auch kein Polizeifahrzeug vermuten. Hingegen verrät das mit einem Magnet auf dem Dach befestigte rote Drehlicht den Bestimmungszweck des Fahrzeuges.

Bevor die Räder richtig zum Stillstand gekommen sind, verlässt Owen Miles bereits schon den Dienstwagen. Miles ist seit einigen Jahren Leiter des Falschgelddezernates in New York. Er hat schon lange keinen derartigen Sondereinsatz mehr miterlebt. Deshalb ist sein Herzschlag während der halsbrecherischen Fahrt vom Departement zu den Hafenanlagen um einige Takte angestiegen. Aber auch noch unter grösstem Stress handelt er überlegt und nicht übereilt.

Anschliessend springt auch Donna Johns aus dem Fond des braunen Mercury. Sie ist eine von Owen Miles fähigsten Mitarbeiterinnen und hält bereits ihren Revolver in ihrer zierlichen Hand. Zusammen mit ihrem Vorgesetzten läuft sie in geduckter Haltung zu einem der Streifenwagen, der die Zufahrt zur Lagerhalle blockiert. Beide Neuankömmlinge tragen eine schwarze Weste, auf deren Rückenteil auf weite Entfernung der weisse Schriftzug des NYPD zu erkennen ist. Aber der eigentliche Bestimmungszweck des unbequemen Kleidungsstückes besteht darin, dass die Weste die Beamten vor herumfliegenden Kugeln schützen soll. Es ist eine sogenannte Kevlarweste.

„Wo ist Perth?!“

Owen Miles richtet diese Frage an einen Streifenbeamten, der aufgrund seines höheren Rangabzeichens wohl ebenfalls schon mehrere Jahre dem Club der Gesetzeshüter angehört. Auf der Brust trägt er ein kleines Metallschildchen, worauf sein Name, zusammen mit seinem Dienstgrad, eingraviert ist.

„Keine Ahnung, Chief“, antwortet Deputy Sean Coorner.

Bei einem solchen Einsatz wird in der Regel jeder Einsatzleiter mit Chief angesprochen. Auch der Deputy sieht sich, mit dem Revolver in der Hand, nach der gesuchten Person um.

Miles ist wütend und er macht daraus auch keinen Hehl.

„Verdammt noch mal!“

Ein anderer Streifenpolizist hat den zerbeulten Ford Thunderbird der gesuchten Person entdeckt. Er ist auf der Seite der Lagerhalle abgestellt. Vor den riesigen Toren der Halle steht ein weiteres Fahrzeug. Ein silberfarbener Cadillac neueren Modells, mit einem Nummernschild aus New Jersey.

„Perths Wagen steht dort drüben“, teilt er dem Chief mit.

Deputy Coorner hat seine Männer längst postiert und erkundigt sich nun beim Einsatzleiter nach dem weiteren Vorgehen. „Und wie geht’s nun weiter?“

Owen Miles ist zwar ein wenig ratlos, hat aber dennoch eine Standardanweisung parat.

„Wir halten die Stellung und warten ab. Jeder, der die Lagerhalle verlässt, wird zuerst einmal festgenommen und überprüft. Geben Sie das Ihren Leuten weiter!“

„Okay, Chief!“

Sofort gibt der Deputy die Anweisungen des Einsatzleiters über Funk an die Interventionskräfte vor Ort weiter.

Miles ist im Moment tatsächlich ein wenig ratlos. Er ist im Ungewissen, wie er weiter vorgehen soll. Er weiss im Moment nur, dass er von Clay Perth, einem seiner Mitarbeiter, einen Notruf erhalten hat. Ohne weitere Erklärung, dafür würde Perth die Zeit fehlen, sollte die Lagerhalle East River 89 sofort von den Einsatzkräften umstellt werden. Angeblich halte sich hier Howard Dorner auf. Dabei handelt es sich natürlich nicht um irgendeinen kleinen Ganoven, sondern um den Drahtzieher des gegenwärtig grössten Geldfälschersyndikates der Vereinigten Staaten von Amerika.

Aber wo zum Teufel steckt Perth?

Der schlanke Chefbeamte richtet sich an Donna Johns, die sonst zusammen mit Perth bei den Ermittlungen ein unzertrennbares Paar bilden.

„Wissen Sie mehr als ich, Johns? Wenn dem so ist, wird es Zeit, damit herauszurücken. Ich steh mir hier nicht bis morgen früh die Hacken in die Beine.“

Die junge Einsatzbeamtin rückt hinter dem Streifenwagen in geduckter Haltung näher zu Miles heran. Sie ist nun offensichtlich ebenfalls ein wenig um ihren Kollegen besorgt.

„Keine Ahnung, Chief. Clay hat mir nichts gesagt. Seit heute Mittag habe ich ihn auch nicht mehr gesehen.“

Miles wendet sich wieder an Deputy Coorner.

„Geben Sie mir mal das Mikro rüber!“

Damit meint er das Mikrofonteil zum Lautsprecher, der bei jedem Einsatzfahrzeug in den Drehlichtbalken eingebaut ist. Unverzüglich kommt Coorner der Aufforderung des Einsatzleiters nach und nimmt das Mikrofon aus der Halterung.

Im gleichen Augenblick, als Miles das Mikrofon an seinen Mund führt, öffnet sich die Türe des Lagerhauses. Sie ist in eine der beiden riesigen Schiebetore eingelassen.

Sofort ertönt bei allen Polizeifahrzeugen ein lautes Gerassel, das durch die Ladebewegungen einiger Polizeiflinten hervorgerufen wird. Alle Waffen der Einsatzkräfte richten sich nun auf diese Türe.

Ein Mann tritt heraus und steckt mit der rechten Hand seine Polizeimarke den Beamten entgegen. Mit der anderen Hand schützt er seine Augen vor dem blendenden Licht der Scheinwerfer.

„Nicht schiessen!“, ruft er. „NYPD!“

Miles erkennt die Stimme seines Mitarbeiters sofort und bestätigt deshalb sofort lautstark seine Identifikation.

Clay Perth läuft indessen zielstrebig auf seinen Chef zu, der sich mittlerweile zwischen den Polizeifahrzeugen aufgerichtet hat.

„Verdammt noch mal, Perth! Was denken Sie sich eigentlich?“

„Tut mir Leid, Chief“, sind die ersten Worte von Clay, als er seinen Vorgesetzten erreicht hat.

„Es war nicht anders möglich. Dorner ist in der Lagerhalle. Vielleicht hat er sogar auch die Platten bei sich. Ich wollte ihn festnehmen, doch er hat mich offensichtlich zu früh bemerkt. Plötzlich sind mir die Kugeln um die Ohren geflogen. Jetzt hat er sich in einem Büro verbarrikadiert!“

„Na ja. Wenn er nicht taub ist, dann wird er ja in der Zwischenzeit ebenfalls mitbekommen haben, dass noch mehr Polizeikräfte hier eingetroffen sind.“

Miles spielt auf das dutzendfach vorangegangene Sirenengeheul der Polizeifahrzeuge an.

„Habt ihr die Eingänge auf der Rückseite der Halle ebenfalls abgesichert?“

Clay will sicher sein, dass ihm der gefährliche Verbrecher nicht ein weiteres Mal durch die Lappen gehen kann.

„Nein“, antwortet Owen Miles hämisch. „Sie sagten, wir sollen alle Ausgänge abriegeln. Von den Eingängen haben Sie nichts gesagt. Verdammt noch mal, Perth! Ich mache den Job nicht erst seit gestern! Natürlich haben wir die Lagerhalle umstellt!“

Miles liegt ebenfalls sehr viel daran, Dorner hinter Schloss und Riegel bringen zu können. Denjenigen Verbrecher, der vor einigen Monaten einen Werttransporter überfallen und dabei drei Sicherheitsbeamte kaltblütig erschossen hat. Nebst einem Haufen Bargeld hat er auch noch Originaldruckplatten zur Herstellung von Hundertdollarscheinen erbeutet.

„Okay“, bemerkt nun Miles. „Holen wir uns den Dreckskerl.“

Er wendet sich nochmals Deputy Coorner zu und erklärt ihm in kurzen Zügen, wie er sich den Zugriff auf den Verbrecher vorstellt.

Im ganzen Durcheinander nimmt keiner der Beamten wahr, wie kleine Luftblasen vom Grund des East River aufsteigen, die sich immer mehr vom Quai entfernen. Der Taucher, der diese Luftblasen verursacht, ist auf dem Weg zu einem kleinen Motorboot, das etwa 200 Meter vom Quai entfernt vor Anker liegt.

Die Wasserperlen auf dem schwarzen Neoprenanzug glitzern im Mondlicht, als der Froschmann über ein kleines Fallreep mühsam in das Boot klettert. Rasch entledigt er sich dann der Sauerstoffflasche und der Tauchermaske und lässt die Gegenstände achtlos auf den Boden gleiten. Dann nimmt er vom Armaturenbrett des Bootes mit einem gehässigen Lächeln ein kleines Kästchen, worauf diverse Schalter angebracht sind.

Auf der Seite befindet sich eine kleine Teleskopantenne, die er bis zum Anschlag herauszieht. Gleich darauf bewegt der Mann mit seinem Daumen einen bestimmten Kippschalter, woraufhin sofort eine rote Lampe beharrlich zu blinken beginnt. Direkt daneben befindet sich ein roter Druckknopf.

Weiterhin schadenfroh lächelnd sieht er nun hinüber zum Quai, wo ihm vor der Lagerhalle 89 die Einsatzkräfte der Polizei den Rücken zuwenden.

„Ihr könnt mich mal, Scheissbullen“, murmelt der Mann im nassen Neoprenanzug zu sich selber.

Dann drückt er mit seinem Daumen auf den roten Druckknopf und einen Wimpernschlag später bricht drüben am Quai die Hölle los.

Während Owen Miles seine Anweisungen an Deputy Coorner weitergibt, werden unvorhergesehen nicht nur er, sondern alle anderen Einsatzkräfte durch eine ungeheure Druckwelle zu Boden geschleudert. Die Gesetzeshüter können wohl von Glück sprechen, dass sie sich während der überraschenden Explosion in der Lagerhalle immer noch hinter ihren Einsatzfahrzeugen aufgehalten haben.

Sogleich regnet es einige Sekunden lang Glassplitter, Holzstücke und Wellblechteile. Die riesigen Tore der Lagerhalle wurden von der Druckwelle aus den Angeln gehoben und zu Boden geworfen. Einen kurzen Moment lang ist das gesamte Hafenareal hell erleuchtet und die schaurig schöne Feuersäule wird im Wasser des East Rivers gespiegelt. Dann vernebelt eine dichte Rauchwolke den gesamten Quai.

Nur langsam und hustend kommen die Beamten wieder auf die Beine und realisieren, dass in der umstellten Lagerhalle eine gewaltige Explosion stattgefunden hat.

Clay steht rasch wieder auf den Beinen und hilft auch seiner Partnerin auf. Owen Miles rappelt sich hingegen mühsam vom Boden auf. Er erinnert sich später nicht mehr, wie oft er an diesem Tag, beziehungsweise an diesem Abend, geflucht hat.

„Verdammt noch mal! Was war denn das?!“

Der junge Ermittlungsbeamte hört die Frage seines Vorgesetzten nicht. Er ist bereits auf dem Weg zur Lagerhalle und steigt über die am Boden liegenden verbogenen Schiebetore. Er muss über einigen wackligen Schutt und kleine lodernde Feuer steigen, bevor er durch ein gewaltiges Feuer im Innern der ehemaligen Lagerhalle gestoppt wird.

In der Zwischenzeit sind auch Miles und Donna Johns ihrem Mitarbeiter nachgeeilt. Sie stehen ebenfalls fassungslos dem flammenden Inferno gegenüber.

Nur Tom Kistler, ein weiterer Mitarbeiter im Falschgelddezernat, folgt ihnen nicht. Der Beamte bleibt bei einem Polizeifahrzeug stehen und zündet sich lässig und lächelnd eine Zigarette an. Sein Blick wandert hinüber auf den East River, wo sich in diesem Moment ein kleines Motorboot in Bewegung setzt. Vorläufig noch ohne irgendwelcher Positionslichter, durchpflügt das Boot leise das ruhig dahinfliessende Gewässer in Richtung Upper Bay …

Selbstverständlich hat die gewaltige Explosion im Hafengebiet von New York enormes Echo hervorgerufen. Nicht nur die Feuerwehr und die Sanität haben bereits nach wenigen Minuten ihren Weg zu der ausgebrannten Lagerhalle gefunden, sondern bereits auch die Presse. Denn seit den gewaltigen Terroranschlägen im vergangenen September, verhalten sich nicht nur New Yorks Medien, sondern auch die Bürger der Millionenstadt gegenüber Feuersbrünsten ausserordentlich sensibel. Insbesondere dann, wenn einem Grossfeuer eine ungeheure Explosion vorangegangen ist.

In der Zwischenzeit ist der Schadenplatz grossräumig abgeriegelt worden. Viele beschädigte Polizeifahrzeuge stehen auf dem Quai herum, deren Drehlichter aufgrund der Beschädigungen vielfach nur noch qualvoll rotieren. Einige Polizeibeamte müssen sich verarzten lassen, denn auch sie sind durch die plötzliche Detonation überrascht und teilweise leicht verletzt worden. Keiner der Gesetzeshüter muss jedoch schliesslich in das Krankenhaus gebracht werden.

Clay sitzt regungslos auf einem Getreideballen, der noch vor kurzer Zeit von einem der vielen Schiffe abgeladen worden war. Ein dünnes Rinnsal an eingetrocknetem Blut ziert seine Stirne, denn er hat sich den Kopf gestossen, als er sich unvermittelt in Deckung werfen musste.

Aber das hat er alles gar nicht richtig realisiert. Auch er wird soeben von einem Rettungssanitäter untersucht, der die kleine Wunde schliesslich nur ein wenig zu reinigen hat und dann ein Pflaster aufdrückt. Wortlos starrt Clay gleichzeitig hinüber zur Lagerhalle.

Owen Miles hat natürlich niemals mit einer solchen Entwicklung gerechnet. In New York sind derartige Explosionen nicht gerade an der Tagesordnung und er hat bald einmal den Befehl erhalten, seinen Vorgesetzten zumindest einen telefonischen Bericht zu übermitteln.

Jetzt kehrt er soeben zu Clay zurück, wo sich auch Donna eingefunden hat. Ein überdimensionales weisses Pflaster ziert Clays Stirne.

„Die haben mir beinahe den Kopf abgerissen!“

Damit meint Miles seine Vorgesetzten. Und auch er muss nun selbstverständlich irgendwie wieder Dampf ablassen können.

„Sie sind ein Arschloch, Perth! Sie können von Glück reden, dass ich Sie nicht hier auf der Stelle im East River ersäufe. Was haben Sie sich nur dabei gedacht!“

Donna Johns meint, sie müsse ihrem Partner beistehen, weshalb sie ihn zu verteidigen versucht.

„Hören Sie, Chief! Clay kann nichts dafür. Glauben Sie denn wirklich, er hätte uns alle einer solchen Gefahr ausgesetzt, wenn er geahnt hätte, dass jeden Moment die Lagerhalle in die Luft fliegen würde?“

Miles will soeben etwas erwidern, als ein Feuerwehrmann auf das Trio zukommt.

„Chief Miles?“

„Ja!“

Die Antwort ist gereizt und hört sich deshalb unfreundlich an.

„Wir haben vermutlich eine Leiche gefunden. Das heisst, zumindest das, was von ihr übrig geblieben ist. Sie liegt stückchenweise in der ganzen Halle herum. Kein schöner Anblick. Ich habe beinahe das Gefühl, dass der Kerl auf dem Dynamit sass, als es detonierte.“

Für Clay steht fest, dass es sich dabei um die Leiche von Howard Dorner handeln muss. Denn weitere Personen hat er während seines kurzen Aufenthaltes in der Lagerhalle keine festgestellt. Aber nun brennt ihm eine andere Frage auf der Zunge.

„Und die Platten?“

Der Feuerwehrmann sieht den jungen Beamten mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Was für Platten?“

„Druckplatten. Druckplatten zur Herstellung von Papiergeld!“

„Also, soviel ich weiss, bestehen solche Druckplatten in der Regel aus Metall, oder etwa nicht?“

„Ja, natürlich.“

Clay rutscht nun ungeduldig vom Getreideballen herunter.

„Also, wenn Sie etwas suchen, das aus Metall hergestellt war, so mache ich ihnen keine allzu grossen Hoffnungen. Denn ich nehme an, dass solche Platten infolge der ungeheueren Hitzeentwicklung bei der Explosion vermutlich geschmolzen sind. Da finden Sie beim Brandherd wohl nichts Verwertbares mehr. Warten wir aber ab, was die Spurensicherung der Polizei ergeben wird.“

„Shit“, ist die einzige Antwort, die Clay auf die Auskunft des Feuerwehrmannes einfällt. Enttäuscht und kraftlos setzt er sich wieder auf den Getreideballen und kramt bereits wieder mit seinen Fingern im Zigarettenpäckchen herum.

Dann tritt Deputy Coorner auf Owen Miles zu.

„Ein Anruf von der Zentrale, Chief. Ich glaube, es ist dringend!“

Gleichzeitig zeigt er mit dem Daumen über seine Schulter hinweg, als ob er Anhalter spielen wollte.

Ohne eine Antwort, begibt sich Miles zu seinem Einsatzwagen, der ebenfalls noch bis vor kurzer Zeit bessere Tage gesehen hat. Bevor sich der Chefbeamte jedoch auf den Beifahrersitz fallen lässt, wischt er vorsichtig einige Bruchstücke der zerborstenen Frontscheibe weg. Dann nimmt er den Anruf entgegen und folgt wortlos den Ausführungen seines Gesprächspartners.

Clay Perth beobachtet seinen Vorgesetzten und es fällt ihm auf, dass dieser ihm ab und zu seltsame Blicke zuwirft. Clay ahnt nichts Gutes, was er auch besorgt seiner Kollegin mitteilt, die immer noch bei ihm steht.

„Da ist irgendetwas im Busch, Donna.“

Auch Donna verfolgt nun die Gebärden von Miles aus der Ferne. Beide können bei den Getreideballen nicht verstehen, worüber ihr Vorgesetzter spricht. Dazu ist der Lärm der Aufräumarbeiten durch die Feuerwehr zu gross. Sie nehmen aber wahr, dass sich Owen Miles offensichtlich massiv über etwas aufregt.

Dann ist das Gespräch beendet und er wirft den Hörer unbeherrscht neben sich auf den Fahrersitz.

Einige Augenblicke lang sieht er nachdenklich zu Clay und Donna hinüber und dabei treffen sich ihre Blicke. Clay spürt, dass das Gespräch mit ihm zu tun hatte. Ein weiteres Mal rutscht er vom Getreideballen herunter, denn sein Vorgesetzter kommt wieder zu ihm zurück.

Streng sieht Owen Miles seinem besten Mitarbeiter in die Augen. Einige Sekundenbruchteile sagt er nichts. Dann jedoch streckt er seine Hand aus.

„Ihre Waffe, Perth! Und Ihre Dienstmarke!“

Clay sieht nun einen Augenblick lang verwundert Donna an. Aber auch sie versteht nicht, was das Verhalten von Chief Miles zu bedeuten hat.

„Was soll das? Ich verstehe nicht …“

Clay macht zu diesem Zeitpunkt noch keine Anstalten, der Aufforderung seines Vorgesetzten nachzukommen.

Donna scheint zu ahnen, worum es geht. Energisch tritt sie nun abermals zwischen ihren Vorgesetzten und ihren Mitarbeiter.

„Sie glauben doch wohl nicht, dass Clay mit dieser Sache etwas zu tun hat? Wenn er in irgendeiner Weise verdächtig ist, dann bin ich auch verdächtig. Dann müssen Sie meine Waffe und meinen Dienstausweis auch verlangen!“

„Halten Sie den Mund, Johns. Sonst reden Sie sich noch um Kopf und Kragen!“

Miles wendet sich wieder Clay zu und wiederholt seine Aufforderung. Dieses Mal jedoch energischer.

„Ihre Waffe und Ihre Dienstmarke, Perth!“

Clay ist sich bewusst, dass sein Vorgesetzter diese Aufforderung nicht noch einmal wiederholen wird. Kopfschüttelnd greift er deshalb nach seinem Revolver und nimmt seine Dienstmarke vom Gurt. Verständnislos lächelnd sieht er Owen Miles in die Augen.

„Was ist? Bin ich entlassen, oder verhaftet oder sonst was?“

„Sie sind vorübergehend vom Dienst suspendiert. Es dient zu Ihrer Sicherheit, Perth. Aber ich mache Sie darauf aufmerksam, dass alles, was Sie von jetzt an sagen, auch gegen Sie verwendet werden kann! Wir fahren jetzt zu Ihrer Wohnung. Dort wartet nämlich eine kleine Überraschung auf uns.“

„In meiner Wohnung?“

Nun lächelt Clay Perth nicht mehr. Er begreift zwar, dass es sich offensichtlich nicht um die Ereignisse hier am Quai handelt. Aber welche Überraschung nun in seiner Wohnung auf ihn warten soll, ist ihm schleierhaft.

„Und was meinen Sie mit einer Überraschung?“

Owen Miles hat die klare Anweisung erhalten, seinen Mitarbeiter vorläufig vom Dienst zu suspendieren. Ohne Wenn und ohne Aber. Der Grund dafür liegt darin, dass in der Wohnung seines Mitarbeiters eine Leiche gefunden wurde. Und dieser Umstand zwingt den Chefbeamten zu ausserordentlichen Massnahmen. Er ist auch nicht gewillt, im Moment irgendwelche weitere Erklärungen abzugeben.

„Es tut mir Leid, Perth. Aber mir bleibt im Moment nichts anderes übrig. Also los, gehen wir!“

Donna will die beiden begleiten, doch sie wird von ihrem Chef zurückgewiesen.

„Sie bleiben hier, Johns. Sie halten hier die Stellung!“

Abrupt bleibt sie stehen und sie wagt es nicht, nochmals zu intervenieren. Sie sieht wortlos ihrem Vorgesetzten und Clay hinterher, die wenige Minuten später mit einem noch fahrtauglichen Einsatzwagen den Pier verlassen.

Miles sieht seinen Mitarbeiter wortlos, aber dennoch fragend an. Sie befinden sich nun in dessen Zweizimmerwohnung. Auf dem Boden im Wohnzimmer liegt verkrümmt eine männliche, schäbig bekleidete Person, die im Bereich der Kehle eine klaffende Wunde aufweist. Eine grosse Blutlache hat sich unter dem Kopf der Leiche ausgebreitet und im Teppich vollgesogen.

Clay nickt bestätigend, so dass der Gerichtsmediziner das weisse Tuch wieder auf das leblose Gesicht fallen lassen kann.

„Das ist Sweefty“, erklärt Clay.

Miles ist der Name nicht bekannt.

„Wer ist Sweefty?“

Clay wendet sich ab und setzt sich auf einen Ledersessel, der am Fenster seiner kleinen Wohnung steht. Um ihn herum sind die Beamten des Erkennungsdienstes damit beschäftigt, die Wohnung einer gründlichen Spurensicherung zu unterziehen.

„Sein richtiger Name ist Sam Cloonley“, beantwortet Clay nun die Frage seines Vorgesetzten.

„Er hat mir den Tipp über den Aufenthaltsort von Dorner gegeben.“

„Ein Kumpan von Dorner?“

Wie geistesabwesend schüttelt Clay den Kopf.

„Nein, nur ein kleiner Informant von mir. Ich kenne ihn schon lange. Er hat mir schon manchen heissen Tipp gegeben.“

„Und wie kommt nun seine Leiche in Ihre Wohnung?“

„Ich weiss es nicht, Chief. Glauben Sie mir. Ich weiss es nicht. Jemand muss Sweefty hierher bestellt oder hierhergebracht und schliesslich umgebracht haben. Anders kann ich mir das nicht erklären.“

„Und wer soll das getan haben?“

„Keine Ahnung. Vielleicht Dorner. Oder vielleicht sonst jemand, der mir einen Strick ziehen will.“

„Wie und wann haben Sie denn von diesem Sweefty den Aufenthaltsort von Dorner erfahren?“

Clay holt sein Zigarettenpäckchen hervor und zieht die letzte Chesterfield heraus. Er zerknüllt die leere Packung und wirft sie in gekonnter Art und Weise in den einige Meter entfernt stehenden Abfallkorb. Owen Miles beobachtet dies und zieht, ob der Treffsicherheit seines Mitarbeiters, unbeabsichtigt die Augenbrauen hoch.

Nachdem Clay seine Zigarette angezündet und zunächst einmal einen tiefen Zug davon genommen hat, fährt er mit seinen Ausführungen weiter.

„Ich hätte mich heute Abend mit ihm treffen sollen. Genauer gesagt, um sieben Uhr. Er ist aber nicht erschienen. Jetzt weiss ich auch warum.“

„Und wie kam es schliesslich doch noch zum Kontakt mit ihm? Sie sagten ja vorhin, dieser Sweefty habe Ihnen den heissen Tipp über Dorners Aufenthaltsort gegeben.“

„Nachdem ich auf Sweefty vergebens gewartet hatte, bin ich zu seiner Wohnung gefahren. Dort habe ich aber nur seine Schwester Serena angetroffen. Sie sagte mir, dass Sweefty vor seinem Treffen mit mir noch einen Telefonanruf erhalten und gleich darauf die Wohnung verlassen habe. Sweefty erklärte ihr, dass in seiner Stammkneipe noch ein Typ auf ihn warte, der mit ihm ein einträgliches Geschäft abwickeln will. Mehr wusste sie nicht. Ich bin daraufhin ebenfalls dorthin gefahren, wo ich ihn jedoch um knappe fünfzehn Minuten verpasst habe. Als ich wieder in meinem Wagen sass und überlegte, was ich tun sollte, rief mich Sweefty über das Handy an. Er erklärt mir, ich solle zum Fischmarkt kommen. Er würde mich dort am Westeingang erwarten und mir den Aufenthaltsort von Howard Dorner nennen. Also bin ich auf direktem Weg dorthin gefahren. Aber Sweefty liess sich abermals nicht blicken.“

Mit ernster Miene nimmt Clay Perth wieder einen tiefen Zug an seiner Chesterfield. Den blauen Dunst bläst er jedoch rasch wieder aus.

„Ich habe nochmals ungefähr zwanzig Minuten lang auf ihn gewartet. Dann aber erhielt ich einen weiteren Anruf auf mein Handy. Diesmal war ein Unbekannter am anderen Ende der Leitung. Er liess mich von Sweefty grüssen und teilte mir dann mit, dass Howard Dorner gegen 21.30 Uhr bei der Lagerhalle 89, Pier 12, auftauchen würde. Ohne weitere Erklärungen und ohne, dass ich noch weitere Fragen stellen konnte, hängte der Unbekannte wieder auf. Ich bin dann also zur Lagerhalle gefahren und habe diese zunächst einmal überwacht. Und tatsächlich. Kurz vor halb zehn Uhr fuhr Dorner mit einem Cadillac vor und verschwand blitzschnell in der Lagerhalle. Er liess mir keine Zeit, ihn vor der Halle noch zu stellen. Da ich ihn einwandfrei identifiziert hatte, habe ich sofort die Zentrale verständigt, welche die Meldung Ihnen ja weitergeleitet hat. Anschliessend bin ich ebenfalls in die Halle hineingegangen. Offenbar hat mich Dorner aber bemerkt, denn mir sind plötzlich die Kugeln um die Ohren geflogen. Er hat sich schliesslich in einem Büro verbarrikadiert. Den Rest kennen Sie.“

Owen Miles hat seinem Mitarbeiter geduldig zugehört, ohne ihn je einmal zu unterbrechen. Mit zusammengekniffenen Augenlidern sieht er nun sein Gegenüber misstrauisch an.

Clay merkt, dass seine Geschichte nicht so ohne weiteres geschluckt wird.

„Ich habe damit nichts zu tun, Chief! Das ist doch offensichtlich, dass mir hier jemand etwas anhängen will! Und dieser Jemand ist, oder besser gesagt, der Drahtzieher war vermutlich Dorner. Davon bin ich überzeugt. In dem Zeitraum, als ich durch die halbe Stadt gejagt wurde, hatten sie genügend Zeit, Sweefty hierher zu bringen. Es ist sogar anzunehmen, dass sie Sweefty noch benötigten. Wenigstens so lange, bis sie sicher waren, dass ich auch zur Lagerhalle kommen würde. Mir ist jetzt nur nicht klar, wieso sie mich tatsächlich auf Dorners Spur gebracht haben. Er ist bei der Lagerhalle aufgetaucht, da bin ich mir ganz sicher. Ich konnte ihn eindeutig identifizieren. Irgendetwas passt hier nicht ganz zusammen.“

Owen Miles seufzt.

„Na ja, wenigstens sind wir diesen Dreckskerl Dorner jetzt los.”

Ruckartig erhebt er sich vom Sessel und zieht seine Hose am Bund ein wenig hoch.

„Okay Perth. Ich glaube Ihnen. Ich will bis morgen Mittag einen Bericht haben. Sie kennen ja das Spielchen.“

„Und meine Marke?“

Der Chefbeamte sieht seinen besten Mann einen Augenblick lang unschlüssig an.

„Ich hoffe, dass ich nun keinen Scheiss mache …“ Gleichzeitig holt er aus seiner Manteltasche die Polizeimarke mit der Nummer 2014 heraus. Zusammen mit dem Revolver, der ebenfalls noch in der Manteltasche Platz gefunden hat, übergibt Owen Miles die Polizeimarke seinem Mitarbeiter zurück.

„Aber ich warne Sie, Perth. Wenn Sie mich reingelegt haben, dann werde ich höchstpersönlich dafür sorgen, dass Ihr Arsch im Knast herumgereicht wird, bis Ihnen das Arschloch glüht!“

Clay Perth hat die Warnung seines Chefs verstanden. Er sagt nichts, sondern nickt nur leicht mit dem Kopf. Er ist sich keiner Schuld bewusst. Er ist sich aber auch sicher, dass die Sache mit Sweeftys Leiche in seiner Wohnung aufgeklärt werden kann.

Wortlos, aber dennoch mit ernster Mine steckt er also seine persönlichen Dienstutensilien wieder ein.

Als Clay Perth über die Treppe nach unten geht, muss er zunächst den beiden Männern mit dem Blechsarg Platz machen. Keine zwei Häuserblocks von der Stelle entfernt, wo bis vor einigen Monaten noch die beiden Türme des World Trade Centers in die Höhe ragten, tritt er auf die Strasse.

Er ruft sich ein Taxi herbei und lässt sich zur Lagerhalle zurückfahren. Oder besser zu dem, was früher einmal eine Lagerhalle gewesen ist.

Am Pier 12 angekommen, muss er noch ein kleines Stückchen zu Fuss gehen, ehe er den Brandplatz und somit auch den Abstellplatz seines Autos erreicht. Erst jetzt fällt ihm auf, dass sein Wagen beträchtlichen Schaden erlitten hat. Sozusagen Totalschaden. Denn sein Auto, wie auch dasjenige mit dem Dorner angerauscht war, stand ja während der Explosion direkt neben der Halle. Und nicht wenige durch die Luft fliegende Einzelteile haben die beiden Fahrzeuge getroffen. Wortlos steht er neben den beiden Autowracks und lässt den Abend in Gedanken noch einmal vorüberziehen.

Zuerst werde ich durch die ganze Stadt gejagt. Dann ruft mich ein Unbekannter an und gibt mir den Tipp, dass Dorner hier auftauchen soll. Nachdem ich Stellung bezogen habe, trudelt Dorner tatsächlich ein und verschwindet in der Halle. Als ich ihn festnehmen will, fliegen mir die Kugeln um die Ohren. Nicht genug damit. Dorner nimmt sich das Leben, indem er sich mit der ganzen Lagerhalle in die Luft jagt. Dabei wird mein Wagen zerdeppert. Und zuletzt wird auch noch Sweeftys Leiche in meiner Wohnung gefunden. Mit durchgeschnittener Kehle!

Clay wirbeln tausend Gedanken durch den Kopf.

„Shit!“, ruft er abermals lautstark und schlägt dabei seinen Fuss mit aller Kraft gegen die total zerbeulte Karosserie seines Autos. Diese letzte Erschütterung führt dazu, dass die vordere Stossstange an einer Stelle ihren letzten Halt verliert und laut scheppernd zu Boden fällt. Clay schüttelt verständnislos den Kopf und muss sich in diesem Moment ein Lachen verkneifen.

Unterdessen hat die Feuerwehr das Flammenmeer eindämmen können. Rauchschwaden liegen aber immer noch in der Luft.

Clay klettert nochmals über einigen Schutt hinweg und kann nun bis in die Mitte der Lagerhalle vordringen. Dort trifft er, nebst dem Einsatzleiter der Feuerwehr, auch Beamte des Brandermittlungsdienstes.

„Hi Jack!“

Clay kennt den Sachverständigen der Brandermittlung, der in einem gelben Schutzanzug steckt und im Brandschutt herumwühlt. Aufgrund dessen, dass Jack offenbar einem guten Essen nie abgeneigt ist, wirkt seine Leibesfülle im engen Schutzanzug beinahe doppelt. Ein dementsprechender Schwimmgürtel um seine Hüften, wie er im Volksmund gelegentlich genannt wird, zieht denn auch schnell einmal die Aufmerksamkeit auf sich. Hingegen hat die Leibesfülle in keinster Weise einen negativen Einfluss auf die charakterliche Seite seines Trägers.

„Hi, Clay. Na, da hast du aber ganze Arbeit geleistet.“

Er zwinkert leicht mit dem rechten Auge und lacht dabei verschmitzt.

„Ich habe die Lunte nicht angezündet, Jack. Aber wenigstens hat es einem Arschloch das Lebenslicht ausgelöscht. Habt ihr schon etwas gefunden?“

Jack schüttelt den Kopf. Sein Lachen ist einer ernsten Miene gewichen.

„Herzlich wenig. Nur ein paar kleine Stückchen eines, wie sagtest du? Eines Arschloches?“

Nun muss Jack doch wieder lachen.

„Ein Fragment eines Schädelknochens und wahrscheinlich ein Knochenstück des Oberschenkels. Der Rest dürfte bis auf den Broadway geflogen sein, oder sonst wo verstreut herumliegen. Das meiste dürfte jedoch verbrannt sein.“

„Das interessiert mich eigentlich weniger.“

„Dich interessieren wohl mehr die Druckplatten?“

„Ja, genau.“

„Sieh dich um, Clay. Siehst du hier noch ein Stück Metall, das nicht verbogen oder gar zerschmolzen ist?“

Clay Perth kommt der Aufforderung nach und sieht sich um. Er muss eingestehen, dass während der Explosion offensichtlich eine ungeheure Hitze geherrscht hat. Es wäre tatsächlich ein enormes Glück, würde man noch etwas von den Druckplatten finden.

Dann fällt sein Blick auf Tom Kistler, der wie er in der gleichen Abteilung als Ermittler beschäftigt ist. Ein Typ, der ihm überhaupt nicht symphatisch ist.

Jack bemerkt, dass Clay seinen Kollegen wortlos mustert.

„Der tigert hier schon die längste Zeit herum. Dabei gibt es hier für ihn gar nichts mehr zu tun.“

Clay sagt nichts, aber er registriert die Worte des Brandermittlers ganz genau. Dann wendet er sich wieder seinem Freund zu.

„Jack, tu mir einen Gefallen. Wenn du was findest, das interessant für mich sein könnte, verständige mich bitte sofort. Ich stecke nämlich ein wenig in der Scheisse. Kein Dorner, keine Druckplatten, viel Schutt und dazu noch ein Toter in meiner Wohnung.“

Selbstverständlich hat sich in der Zwischenzeit auch auf dem Brandplatz herumgesprochen, dass in der Wohnung von Clay Perth eine Leiche gefunden worden ist. Doch keiner seiner Bekannten glaubt daran, wonach er etwas mit einem Mord zu tun haben könnte. Ganz gleich, wie auch immer die Situation anzutreffen ist.

„Ja, die Spatzen pfeifen es vom Dach. Ich habe es gehört. Wirklich grosse Scheisse!“

Clay kommt nochmals auf seine Bitte zurück.

„Ich kann mich auf dich verlassen?“

„Keine Sorge, Clay. Du bist der Erste, den ich verständige. Versprochen.“

Clay klopft seinem Dienstkollegen dankend auf die Schulter. Dann verlässt er den Brandplatz wieder.

Ein wenig besorgt sieht Jack Borsino, dessen Eltern von italienischer Abstammung sind, seinem Freund nach. Dann erinnert er sich wieder an seinen Auftrag und fährt mit der Untersuchung des Brandschuttes fort.

Nach etwa einer halben Stunde wird er durch Zurufe durch einen seiner Mitarbeiter aufmerksam. Ein weiterer Brandermittler befindet sich in inmitten des Brandschuttes.

„Hey, Boss!“

Jack Borsino hebt den Kopf, denn mit Boss ist er gemeint. Er sieht, dass ihn sein Kollege mit Handzeichen zu sich ruft. Aufgrund seiner Leibesfülle erhebt er sich einmal mehr mühsam. Hingegen überwindet Jack Borsino überraschend leichtfüssig einigen Brandschutt, bis er seinen Kollegen erreicht hat.

Dieser hält eine kleine Aluminiumstange in der Hand, womit während der Untersuchungsarbeiten im Brandschutz herumgestochert werden kann. Er weist damit auf ein kleines Stück Metall, das zwischen verkohlten Holzlatten hervorlugt. Gemeinsam legen sie die Fundstelle ein wenig frei und haben so schliesslich eine bessere Sicht zum Fundgegenstand.

„Na, sieh mal einer an!“

Jack Borsino ahnt, um welchen Gegenstand es sich dabei handeln könnte.

„Hol mir mal einen Sicherungsbeutel, Mac. Wenn es das ist, wofür ich es halte, dann steht Clay Perth vermutlich nur noch mit einem Schuh in der Scheisse …“

Owen Miles sitzt an seinem mit Schrammen übersäten Schreibtisch und blättert in einem Dossier. Sein Büro ist dem Grossraumbüro angegliedert, wo der grösste Teil seiner Mitarbeiter ebenfalls über ihren zugewiesenen Arbeitplatz verfügen. Aufgrund des lauten Stimmengewirrs am frühen Morgen hört er nicht, wie jemand sein Büro betritt. Er schreckt erst auf, als neben seinen Akten ein Stück einer Metallplatte auf die Schreibtischplatte knallt.

Ziemlich erschrocken sieht er auf und bemerkt Clay Perth, der mit einem breiten Lachen im Gesicht vor dem Schreibtisch steht.

„Dorner wird sich ärgern, wenn er noch nicht einmal mehr in der Hölle über die Druckplatten verfügen kann!“

Miles nimmt zunächst wortlos das Metallstück in die Hände und betrachtet es genau.

„Eine der Druckplatten?“

Clay antwortet nicht ohne Stolz.

„Ja, Sir!“

Der Chefbeamte hätte sich die Frage sparen können. Denn man kann ohne weiteres in einer Ecke der stark deformierten Metallplatte noch ein Fragment einer Hundertdollarprägung erkennen.

„Und wo ist der Rest?“

„Vermutlich zerschmolzen. Auch diese Platte hat ihren Teil abgekriegt. Wir haben sowieso unheimliches Glück gehabt, dass wenigstens dieses Reststück noch gefunden werden konnte.“

Im Gegensatz zum Vorgehen seines Mitarbeiters legt nun Owen Miles das Corpus delicti überaus vorsichtig auf den Schreibtisch zurück.

„Und da besteht kein Zweifel, dass es sich bei diesem Metallklumpen um die Überreste der gesuchten Druckplatten handelt?“

„Kein Zweifel, Chief. Ich habe vorhin noch mit einem Sachverständigen der Münzanstalt telefoniert. Bei jeder neuen Serie von Hundertdollarscheinen werden wieder neue, spezielle Zeichen angebracht. Auch auf dieser Platte …“, Clay weist auf das Metallstück, „sind bereits andere, neue Zeichen vorhanden. Es handelt sich einwandfrei um eine der gestohlenen Druckplatten.“

Owen Miles lehnt sich zufrieden zurück.

„Na ja, wenigstens etwas. Dann dürfte der Fall Howard Dorner nun wohl endgültig abgeschlossen sein. Zumindest, was den Raubüberfall auf den Geldtransport betrifft.“

Nun sieht er sein Gegenüber fragend an und vermutet zu wissen, welche Gedanken sein Mitarbeiter hegt.

Tatsächlich hat Clay den Fall Dorner gedanklich bereits zu den Akten gelegt. Hingegen beschäftigt ihn der Tod seines Informanten umso mehr.

„Der Mord an Sweefty ist noch nicht aufgeklärt. Ich bin zwar ziemlich sicher, dass Sweeftys Tod mit Howard Dorner zusammenhängt. Hingegen ist mir immer noch nicht klar, wieso er überhaupt dran glauben musste. Und wieso sie ihn in meiner Wohnung umgebracht haben. Irgendetwas passt hier noch nicht so recht zusammen.“

„Ja. Diese Überlegungen sind mir auch schon durch den Kopf gegangen. Wenn sich tatsächlich alles so zugetragen hat, wie Sie mir es sagten, dann passt tatsächlich einiges nicht so richtig zusammen.“

„Ich nehme an, dass mich Dorner mit der Leiche in meiner Wohnung für einige Zeit kaltstellen wollte. Er hat wahrscheinlich gemerkt, dass ich ihm auf den Fersen bin. Als wir ihn dann schliesslich in die Enge getrieben haben, sah er möglicherweise keinen Ausweg mehr. Aber offensichtlich wollte er die Erde mit einem gewaltigen Knall verlassen, geriet in Panik und hat die Lagerhalle in die Luft gejagt.“

Owen Miles nimmt das zuvor betrachtete Dossier vom Schreibtisch und übergibt es seinem Mitarbeiter.

„Der Obduktionsbericht. Daraus geht eindeutig hervor, dass dieser Sweefty noch keine neunzig Minuten lang tot war, als er in Ihrer Wohnung gefunden wurde. Sie waren zu diesem Zeitpunkt längst zusammen mit uns bei der Lagerhalle. Also scheiden Sie absolut als Täter aus.“

„Schön zu hören.“

Clay Perth ist natürlich etwas beruhigt, dass gerade der Obduktionsbericht zu seinen Gunsten spricht und dieser auch vor Gericht niemals angefochten würde. Er lässt das Dossier wieder auf den Schreibtisch gleiten.

„Aber zu dieser Zeit befand sich Dorner ebenfalls in der Lagerhalle. Er selber hat Sweefty also auch nicht umgebracht?“

„Richtig.“

Miles erhebt sich nun vom Sessel und geht an das Fenster, von wo er lediglich einen trüben Blick auf einen ungepflegten Hintergarten hat.

„Da hatte also noch jemand anders die Finger im Spiel. Nur wird es schwer sein, diesen Unbekannten zu finden.“

Abrupt wendet er sich wieder Clay Perth zu.

„Aber das ist nicht mehr unsere Aufgabe, das herauszufinden. Die Mordkommission muss sich nun damit beschäftigen.“

„Aber Chief. Sweefty wurde in meiner Wohnung ermordet. Ich muss …“

Weiter kommt er nicht, denn er wird barsch unterbrochen.

„Was müssen Sie? Sie müssen gar nichts. Es ist nicht Ihre Aufgabe, Mörder zu suchen. Sollten Sie es vergessen haben? Wir sind hier beim Falschgelddezernat und suchen Blüten und keine Mörder!“

Ja, Chief. Ich weiss. Nur, Sweefty hat mir in der Vergangenheit wirklich einige gute Tipps gegeben. Ich glaube, ich bin es ihm schuldig.“

„Hören Sie auf mit diesem sentimentalen Zeugs. Wie ich schon sagte. Lassen Sie die Finger davon und überlassen Sie die Angelegenheit den Kollegen vom Morddezernat. Und das ist keine Bitte, sondern ein Befehl! Haben Sie mich verstanden?!“

Clay Perth würde am liebsten mit der Faust auf den Tisch schlagen. Doch er ist sich natürlich bewusst, dass ein solches Vorgehen tatsächlich nichts an der Tatsache ändern würde, wonach er im Falschgelddezernat und nicht bei der Mordkommission arbeitet.

„Lassen Sie sich von Johns informieren. Sie ist bereits an einem neuen Fall dran. Ich will, dass Sie zusammen daran arbeiten! Sonst noch was?“

Das war das Signal für Clay, sich zu verabschieden. Er hat verstanden, dass sein Vorgesetzter seine klare Linie in jeder Beziehung beibehalten würde und in keiner Weise beeinflussbar ist.

„Sie sind der Chief.“

„So ist es.“

Owen Miles achtet nicht mehr auf seinen Besucher, sondern setzt sich wieder an seinen Schreibtisch.

Einen Moment lang verharrt Clay noch im Büro seines Vorgesetzten. Doch dann verlässt er es, wenn auch widerwillig, wieder.

Als er sich auf den Weg zu seinem Arbeitsplatz begibt, kommt er am Schreibtisch von Tom Kistler vorbei. Natürlich hat er den grössten Teil der Unterhaltung im Chefbüro mitangehört, da die ganze Zeit über die Türe offen stand.

Als Clay an ihm vorübergeht, wirft ihm Kistler ein breites Lachen entgegen.

„Na, Perth! War wohl nichts mit dem grossen Fall!“

Clay hat die Worte des unsympathischen Ermittlungsbeamten gehört und bleibt deshalb stehen. Einen Augenblick lang fixiert er seinen Kollegen mit den Augen und geht dann auf ihn zu. Kistler selber hat offensichtlich im Moment nicht sehr viel zu tun, denn er ist damit beschäftigt, seine Fingernägel mit der Klinge seines Schweizer Taschenmessers zu reinigen. Auch in New York sind die Artikel mit einem weissen Kreuz auf rotem Untergrund nach wie vor beliebt. Aber auch sehr teuer.

„Sag mal, Kistler. Was hast du eigentlich noch so lange in der demolierten Lagerhalle gesucht? Erstens war es nicht dein Fall und zweitens waren nur noch die Kollegen vom Brandermittlungsdienst vor Ort.“