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Der Privatdetektiv Tom Daenzer wurde vom deutschen Bankier Gregor Heitzmann dafür engagiert, den Tagesablauf seiner Freundin während ihres Ferienaufenthalt-es in Gstaad unter die Lupe zu nehmen. Nachdem Tom dahinter gekommen ist, dass Sonja Eicher tatsächlich noch andere Eisen im Feuer hat, wird auf den Bankier im Schweizer Nobelort ein Anschlag verübt. Tom erkennt, dass ein Auftragskiller mit dem Codenamen "Panther" hinter dem Bankier her ist. Der Panther begeht jedoch einen verhängnisvollen Fehler, der den Privatdetektiv auf seine Spur bringt. Zusammen mit Danielle Verdon, einer jungen Französin und Hotelangestellten, reist Tom zuerst nach Marseille und anschliessend ins Fürstentum Monaco. Dort lebt der Panther sonst und dort bereitet er sich auch jeweils auf seine Mordaufträge vor. Unvermittelt kommt es zur Begegnung zwischen dem Killer und seinen Verfolgern. Danielle und Tom können nur um Haaresbreite einem Mordanschlag entgehen. Als der Panther bemerkt, dass seine Tarnung aufgeflogen ist, bricht er alle Zelte hinter sich ab. Er flieht nach Corconio, ein kleiner Badeort in Italien, wo er selbst ein Ferienhaus besitzt. Toms Gerechtigkeitssinn stachelt den Privatdetektiv in ihm an. Längst schon hat er mit dem Killer eine eigene Rechnung offen und er will auch herausfinden, wer letztendlich hinter dem Mordauftrag am deutschen Bankier steckt. Durch einen Zufall erfährt Tom, wo sich der Verbrecher aufhalten könnte und so fährt er mit seiner hübschen Begleiterin ebenfalls nach Italien. Dort kommt es ein weiteres Mal zu einem explosiven Duell zwischen dem ehemaligen Polizeibeamten und dem Panther ...
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Seitenzahl: 410
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Die Jagd nach dem Panther
Band I (Tom Daenzer)
Kriminalroman
von
Joel Dominique Sante
Überarbeitet 2023 zum eBook
Neuauflage: 2012
© 2012 J. D. Sante
Herstellung: Bookstation, D-85646 Anzig
Verlag: Mesan-Verlag Schweiz
Printed in Germany - ISBN 978-3-9523196-6-6
Erstveröffentlichung: Januar 2004
© 2004 J. D. Sante
Herstellung: Editions à la Carte, Zürich
Verlag: Mesan-Verlag Schweiz
Printed in Switzerland - ISBN 3-908730-34-1
Zum Autor:
Joel Dominique Sante (Pseudonym) ist 1954 in Kreuzlingen (CH) geboren, aufgewachsen und hat auch dort die Schulen besucht. Nach erfolgreichem Lehrabschluss als Hochbauzeichner trat er im Jahre 1976 der Kantonspolizei Thurgau bei.
In seiner beruflichen Laufbahn konnte er während seiner Beschäftigung bei der Verkehrspolizei, beim Aussendienst, beim Kriminaltechnischen Dienst und beim Stabsdienst (Kantonale Notrufzentrale) viele Erfahrungen sammeln. Ausserdem war er beinahe 30 Jahre lang als aktiver Diensthundeführer im Schutz- und Fährtenhunde-, wie auch im Drogenspürhundebereich erfolgreich tätig.
In der Zwischenzeit hat der pensionierte Polizeibeamte nebst einem Gedichtband und einer Familiengeschichte mehrere Kriminalromane verfasst und veröffentlicht. Es ist unverkennbar, dass er insbesondere bei den Kriminalgeschichten immer wieder seine angesammelten Erfahrungen und Kenntnisse im Umfeld der Polizei kompetent einfliessen lässt. Mit ausgewogenem Hang zur Realität, aber auch mit der nötigen Prise Fiktion und Fantasie, gelingt es ihm immer wieder, eine spannende Lektüre zu schaffen.
Mesan-Verlag Schweiz
Eine Liste, der im Roman genannten Personen, befindet sich am Ende des Buches. Personen, Handlung und Orte sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig.
***
Der Inhalt dieses Buches, soweit nicht anders darauf hingewiesen wird, ist urheberrechtlich geschützt. Die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Schritte nach sich ziehen.
Was Hotel Excelsior ist ein Fünf-Sterne-Hotel in Gstaad und steht imposant auf einer leichten Anhöhe. Seine kleinen Spitztürme erinnern an einen Palast und der weisse Fassadenanstrich verleiht dem Gebäude eine zusätzlich herrschaftliche Note. Der Anblick des prächtigen Bauwerks lässt erahnen, dass die Beherbergung nur für Leute mit dickem Portemonnaie ausgerichtet ist. Denn unter 700 Franken pro Person und Nacht in einem Einzelzimmer sind keine Unterkünfte verfügbar. Sogar ein Tagesreisender würde seine Mühe haben, ein Zimmer in diesem Hotel zu ergattern. Die Geschäftsphilosophie des vornehmen Hauses schreibt nämlich zusätzlich vor, dass der Aufenthalt eines Gastes mindestens eine Woche dauern muss.
Bei Gregor Heitzmann, 58 Jahre alt, handelt es sich um eine solche Person, die sich um ihre Finanzen keine Sorgen machen muss. Seines Zeichens Präsident der Privatbank Heitzmann & Lagoche mit Sitz in Frankfurt am Main, bezieht er ein Monatsgehalt, das eine Kleinfamilie ohne Probleme mehrere Monate über Wasser halten könnte.
Es ist nun wenige Minuten nach neun Uhr und der Finanzier hat vor wenigen Augenblicken an einem Frühstückstisch auf der überdimensionalen Panoramaterrasse Platz genommen. In seiner Begleitung befindet sich eine unbekannte Schönheit, welche dem Aussehen nach die Tochter des Herrn sein könnte. Gregor Heitzmann war zwar einmal verheiratet gewesen, doch ist er bereits seit einigen Jahren geschieden. Aus dieser Ehe sind keine Töchter, sondern zwei Söhne hervorgegangen. Aber dass sich ein braun gebrannter Herr im fortgeschrittenen Alter zusammen mit einer überaus hübschen und jungen Dame in diesem Hotel aufhält, ist keine Seltenheit. Niemand der anderen Gäste kümmert sich um ein solches Paar, denn vielfach liegt bei ihnen eine ähnliche Konstellation vor.
Während sich das Personal in ihren schneeweissen Uniformen beinahe übertrieben höflich um das Wohlergehen der Gäste kümmert, hat ein weiterer Herr in der Nähe von Heitzmann und seiner Begleitung an einem anderen Tisch Platz genommen.
Ein Mann im durchschnittlichen Alter. Ungefähr vierzig Jahre alt und von kräftiger, athletischer Statur. Auch sein Körper verrät an den unbedeckten Stellen, dass er vermutlich viel Zeit an der Sonne verbringen kann. Zudem verraten seine gepflegten Hände einem aufmerksamen Beobachter, dass er sich seine Bräune wohl nicht bei einer beschwerlichen, körperlichen Arbeit im Freien zugezogen hat.
Während er ebenfalls bedient wird, belauscht er das Gespräch, das an Heitzmanns Tisch geführt wird.
Sonja, so heisst die junge Schönheit, erkundigt sich gerade nach den Plänen ihres Begleiters, der damit beschäftigt ist, ein Toastbrot mit etwas Butter und Marmelade zu bestreichen. Sie selbst hat sich zum Frühstück Fruchtsalat bringen lassen. Sie ist sehr auf ihre Figur bedacht und verzichtet deshalb in der Regel am Morgen auf Kohlenhydrate. Obwohl sie manchmal schon etwas Sehnsucht nach Brot, Marmelade oder sogar Wurst hat. Hingegen verzichtet sie nicht auf eine Tasse schwarzen Kaffee.
„Und wann bist du dann wieder hier?“
„Hm … so gegen vier Uhr, denke ich. Aber du kannst dir ruhig Zeit lassen. Nach dem Golfspiel werde ich zuerst noch einige Runden schwimmen und anschliessend der Sauna noch einen Besuch abstatten.“
„Das ist gut so. Denn ich habe mich um drei Uhr noch mit Marianne verabredet. Sie hat mich und noch einige andere Frauen zu einem kleinen Teekränzchen eingeladen.“
Einen Moment lang weiss Gregor Heitzmann anscheinend nicht, von wem seine Partnerin spricht.
„Marianne? Muss ich sie kennen?“
Ein wenig entrüstet sieht Sonja zu ihm hinüber, wobei sie ihren Löffel in die Tasse fallen lässt.
„Aber du weißt doch! Marianne Lohndorff. Wir haben sie und ihren Mann Alex vorgestern in der Bar vom Grand Chalet kennengelernt. Er ist im Verwaltungsrat eines Chemiekonzerns in der Schweiz und sie haben hier in Gstaad ein Ferienhaus.“
Während Heitzmann weiter genüsslich an seinem knusprigen Brötchen knabbert, scheint die Erinnerung zurückzukommen.
„Ach ja. Alex und Marianne. Jetzt weiss ich es wieder. Bitte grüsse sie von mir, ja?“
„Werde ich gerne machen.“
Einen Augenblick lang ist es still und keiner der beiden Hotelgäste spricht ein Wort, während sie sich weiterhin dem Frühstück widmen. Dann jedoch bricht Heitzmann das Schweigen.
„Übrigens, hast du genug Geld? Du wolltest doch noch einkaufen gehen.“
„Du bist lieb, Gregor. Tatsächlich habe ich festgestellt, dass ich nicht mehr allzu viel Bargeld habe. Vielleicht noch knapp tausend Franken.“
Heitzmann hebt die Augenbrauen an und signalisiert damit, dass er überrascht ist.
„Ho, ho! Tausend Franken? Mein liebes Mädchen, dafür müsste eins dieser Fräulein“, er macht eine entsprechende Kopfbewegung zum weiblichen Personal hinüber, „lange Zeit dafür arbeiten.“
Seine hübsche Begleiterin senkt den Blick und schmollt ein wenig. Sie weiss, dass sie damit bei ihrem Partner ein schlechtes Gewissen hervorrufen kann. Eilig streichelt er sie deshalb liebevoll am Oberarm.
„Aber, mein Liebes. So habe ich das natürlich nicht gemeint.“
Gleich darauf zieht er sein Checkbuch aus einer seiner Gesässtaschen heraus und kritzelt einige Zahlen auf das Zahlungsmittel. Dann reisst er den Zettel heraus und übergibt ihn seiner Begleitung.
Als Sonja bemerkt, welcher Betrag eingetragen wurde, fällt sie Heitzmann um den Hals und küsst ihn ab. Dabei kümmert sie sich nicht um die anderen Gäste, die infolge dieser Aktion auf sie aufmerksam gemacht worden sind.
„Ach Gregor! Du bist einfach süss!“
„Aber das muss nun wirklich bis ans Ende der Woche reichen, mein Liebes!“
Heitzmann realisiert in diesem Moment gar nicht, dass bereits Freitag ist und damit das Wochenende vor der Türe steht. Aber vermutlich hätte ihn diese Erkenntnis ebenfalls nicht gekümmert, wäre er sich dessen bewusst.
Geschwind lässt Sonja den Scheck mit dem vierstelligen Betrag in ihrer kleinen Handtasche verschwinden. Dann hat sie es plötzlich eilig. Rasch stürzt sie noch den Rest ihres Kaffees hinunter und stellt dann die vom Lippenstift ein wenig verschmierte Tasse auf den Unterteller zurück.
Als sie aufsteht, muss sie zunächst ihren knapp bemessenen Minirock in die richtige Position bringen. Anmachend stellt sie sich dabei mit ihren langen Beinen vor ihren Mäzen, der natürlich seine Freude daran hat. Daraufhin vergehen keine weiteren zehn Sekunden und Sonja gibt dem Bankier noch einen Kuss auf die Stirne, bevor sie aufreizend über die Panoramaterrasse zum Ausgang schreitet.
Heitzmann sieht ihr einen Augenblick lang schmunzelnd und genüsslich hinterher und manch einer hätte nun gerne seine Gedanken gelesen.
Der Herr am Nebentisch hat natürlich ebenfalls die Geschehnisse verfolgt. Auch er sieht, durch eine dicke Sonnenbrille hindurch, dem wogenden Gang der jungen Frau nach. Als sie jedoch aus dem Gesichtsfeld verschwunden ist, konzentriert er sich wieder auf den Mitinhaber der deutschen Privatbank.
Er beobachtet aus den Augenwinkeln heraus, wie Heitzmann sein Mobiltelefon zur Hand nimmt und eine Nummer eintippt. Er lehnt sich entspannt in seinem Stuhl zurück und wartet darauf, dass jemand am anderen Ende der Leitung den Anruf entgegennimmt. Dies ist wenige Augenblicke später der Fall, denn der Bankdirektor beginnt leise zu sprechen. „Sie wird vermutlich jeden Augenblick das Hotel verlassen.“
Ohne eine Antwort abzuwarten, drückt er anschliessend auf die Endtaste und unterbricht damit das Gespräch. Einen Augenblick lang sieht er sich überprüfend in der Runde um, doch wurde sein Handeln offensichtlich von niemandem beobachtet. Daraufhin nimmt er einen dritten Toast aus dem zugedeckten Körbchen und gönnt sich noch einmal Butter und Marmelade.
Der Herr am Nebentisch, der mit einer weissen Leinenhose bekleidet ist, konnte vom Gesprächsinhalt nichts hören, weil Heitzmann zu leise gesprochen hat.
Der Finanzier will soeben in sein Brötchen beissen, als ein anderer Mann lächelnd von hinten an seinen Tisch kommt und die Hand auf seine Schulter legt. Die andere Hand reicht er ihm zum Gruss.
„Na, Gregor? Bis du bereit für den grossen Kampf?“
Hastig steht nun der Bankfachmann auf, nachdem er sein Brötchen auf den Teller zurückgelegt hat. Eilig wischt er sich mit der Serviette auch noch die Mundwinkel sauber.
„Selbstverständlich, Walter. Dieses Mal wirst du jedoch keine Chance haben. Das letzte Mal hatte ich nur ein wenig Pech.“
„Ja, ja, natürlich. Aber wir werden ja sehen, Gregor. Es bleibt doch dabei? Ein Tausender für jedes Loch?“
„Natürlich. Wenn du das verkraften kannst?“
Beide lachen nun laut heraus und während der Mann mit dem Vornamen Walter sich wieder entfernt, setzt sich Heitzmann wieder. Abermals schmunzelnd und den Kopf leicht schüttelnd, befasst er sich wieder mit seinem Brötchen.
Der Mann am Nebentisch wischt sich nun ebenfalls den Mund mit der Serviette ab und erhebt sich. Er hat genug gehört. Gemächlich begibt er sich zum Ausgang. Noch vor dem Verlassen der Terrasse richtet der Kellner noch freundliche Abschiedsworte an ihn. „Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag, Herr Branden.“
Als Sonja Eicher vor die Hotelhalle tritt, wird sie vom Portier höflich begrüsst. Er erkundigt sich bei ihr, ob sie eine Fahrmöglichkeit benötige. Sie beachtet den freundlichen Angestellten jedoch kaum, sondern läuft wortlos über den grossen Parkplatz zu den nahen Autoabstellplätzen. Dort befindet sich ihr Wagen, den ihr Liebhaber für die Dauer ihres Aufenthaltes in Gstaad für sie gemietet hat. Ein Porsche 911 Targa. Es ist zwar kein Neuwagen, doch immerhin sieht er so aus. Ein absolut gepflegtes Fahrzeug, das nur wenige Kilometer auf dem Buckel hat.
Rasch steigt sie in das Fahrzeug und startet den Motor. Bevor sie abfährt, lässt sie das Dach durch eine Automatik hinter dem engen Rücksitz verschwinden. Dann drückt sie aufs Gaspedal. Etwas zu heftig, denn die Antriebsräder schleudern den mit viel Mühe hergerichteten Kies auf dem Hofplatz ein wenig weg.
Die junge Frau bemerkt nicht, dass sich zur gleichen Zeit ein weiteres Fahrzeug in Bewegung setzt und ihr in unauffälligem Abstand folgt. Gegenüber ihrem Partner hat sie erklärt, sie wolle in Gstaad noch etwas einkaufen und sich anschliessend mit einer Bekannten treffen. Letzteres war schlichtweg gelogen. Sie will sich schon mit jemandem treffen, aber nicht mit Marianne Lohndorff. Ihr Ziel ist auch nicht die Haupteinkaufsstrasse von Gstaad, sondern die Hauptstrasse in Richtung Saanen. Und auf dieser Strasse gelangt man entweder nach Spiez oder nach Montreux!
Der Golf Club Saanenland befindet sich nur wenige Autominuten vom Hotel Excelsior entfernt. Eigentlich könnte man die Distanz vom Hotel zum Golfplatz auch zu Fuss in akzeptabler Zeit zurücklegen. Doch dann würde man ein Statussymbol, wie sich dieses im Besitz von Gregor Heitzmann und Walter Bollbach, dieser ist ein Schuhfabrikant aus Stuttgart, befindet, nicht präsentieren können. Während der Bankdirektor einen roten Rolls Royce Corniche Convertible fährt - natürlich als Cabriolet - besitzt der Schuhfabrikant einen Mercedes 500 Roadster. Beide Fahrzeuge zusammen dürften einen Marktwert von etwa einer dreiviertel Million Schweizer Franken haben.
Als Max Branden seinen gemieteten, dunkelgrauen Citroën Xsara auf den Parkplatz des Golf Clubs abstellt, hält er Ausschau nach Heitzmanns Nobelkarosse. Tatsächlich befindet sich das Fahrzeug ebenfalls auf dem Parkplatz.
Ohne Eile schlendert Branden dann zum Empfangsgebäude und erkundigt sich dort nach den Aufnahmebedingungen im Club. Dann teilt er der freundlichen Dame an der Rezeption mit, dass er zunächst einmal den Platz inspizieren wolle, bevor er sich zur Mitgliedschaft entscheiden will. Selbstverständlich ist dies erlaubt und die Dame offeriert dem französisch sprechenden Herrn sogar einen Golfcart, um das Gelände erkunden zu können. Der freundliche Herr verzichtet jedoch darauf. Er hat ohnehin andere Absichten als diejenigen, die er der Empfangsdame erläutert hat.
Er bedankt sich aber dennoch für das Angebot und bummelt anschliessend mit einem Bündel Prospekte auf das Golfgelände. Beim nächsten Abfallkorb entledigt er sich jedoch wieder von den Werbeunterlagen. Da er nur wenige Minuten nach Gregor Heitzmann eingetroffen ist, kann er den Bankier in der Nähe des Clubhauses erspähen. Dieser macht sich soeben bei Loch 1 bereit, um den ersten Schlag auszuführen. Branden setzt sich auf eine Bank und sieht Heitzmann und seinem Spielpartner zu.
Man merkt sofort, dass der Bankier mit dem Sportgerät absolut vertraut ist, denn nicht nur die Beinstellung, sondern auch der Griff am Golfschläger ist vorbildlich. Heitzmann visiert das Fähnchen einer Stange an, die sich in einer Entfernung von ungefähr 200 Metern befindet. Dann hebt er den Schläger an und sein Körper dehnt sich in die Höhe. Mit einem kraftvollen, aber gleichwohl dosierten Schlag katapultiert er schliesslich den weissen Golfball durch die Luft. Auch seine etwa drei Sekunden dauernde Endstellung nach dem Schlag hinterlässt einen beinahe profimässigen Eindruck.
Branden, der seine dunkle Sonnenbrille wieder aufgesetzt hat, verfolgt den weissen Ball während seines Fluges. Er stellt fest, dass dieser nach ein, zwei Hopsern in Richtung einer Fahnenstange rollt und nur wenige Meter davor zum Stillstand kommt. Vermutlich wird Heitzmann nur noch einen weiteren Schlag benötigen, um den Ball im Loch versenken zu können.
Walter Bollbach gratuliert, mehr aus Anstand, seinem Kontrahenten zu diesem meisterhaften Schlag. Dann positioniert er selber seinen Ball und visiert ebenso wie vorhin sein Gegner das gleiche Ziel. Auch seine Spielweise lässt darauf schliessen, dass er diesen Sport vermutlich schon seit Jahren ausübt. Sein Golfball landet ungefähr im gleichen Sektor, wie derjenige von Heitzmann. Nur bleibt er schätzungsweise etwa vier Meter weiter von der Fahnenstange entfernt liegen. Ebenfalls ein guter Schlag. Doch wird der Schuhfabrikant vermutlich etwas mehr Mühe beim Einlochen bekunden.
Der heimliche Zuschauer ist vom Können der beiden Spieler nicht sehr beeindruckt. Es ist ihm klar, dass jahrelanges Training immer seine Früchte trägt. Er selber macht sich nichts aus Golf. Auch kennt er die Regeln nicht so genau. Handicap, Driving-Range oder Putting sind mehr oder weniger Fremdwörter für ihn. Seine Stärke liegt im Tennis und Schwimmen. Und um seine Kondition zu trainieren, spielt er oftmals auch Squash.
Während die beiden Männer, die offensichtlich einen persönlichen Wettkampf austragen, mit ihrem Bag Boy zum ersten Loch hinübergehen, bleibt Branden weiterhin auf der Bank sitzen. Er hat von dort nach wie vor einen guten Überblick und auch die beiden Männer auf grosse Distanz im Auge.
Tatsächlich benötigt Heitzmann nur einen Schlag, um den Ball im Loch zu versenken. Aber auch sein Gegner. Offenbar steht es nun 1:1, denkt sich Branden. Da hat wohl jeder einen Tausender gespart.
Max Branden plagen ebenfalls keine Geldsorgen. Das war früher anders. Als Antonio Casella in Neapel aufgewachsen, musste er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten. Bald einmal machte er dann auch Bekanntschaft mit dubiosen Geschäftsherren, die in den entsprechenden Kreisen enorme Hochachtung genossen. Aber nicht wegen ihrer Grossherzigkeit, sondern wegen ihrer Härte und Brutalität. Aber wenn man in der Mafia seine Position festigen will, so darf man auch nicht zimperlich sein. Branden war damals als junger Bursche von diesen Geschäftspraktiken beeindruckt und da er keine Familie mehr hatte - seine Eltern kamen schon früh bei einem Eisenbahnunglück ums Leben und er wuchs schliesslich in einem Heim auf - liess er sich mehr und mehr in die Geheimnisse der Mafia einführen.
Zunächst war er für den mächtigen Federico Foscale tätig, der sich vor allem in Kalabrien mit brutaler Härte durchgesetzt hatte. Sein Geschäft war das Glücksspiel und die Geldwäscherei. So musste Branden auch immer wieder Kunden von Foscale besuchen, um ausstehende Kredite wieder einzutreiben. Klar, dass damals ab und zu nur der Körpereinsatz zum Erfolg führte. Aber auch Mafiabosse leben gefährlich, was Foscale am eigenen Leib zu spüren bekam. Eines Morgens fand man ihn mit durchgeschnittener Kehle in seinem Herrschaftssitz in Briatico auf.
Wollte Branden damals nicht selbst unter die Räder geraten, schloss er sich der Gruppe von Adriano Belluco, dem neuen Vertreter der Mafia in Kalabrien an. Aufgrund seiner Erfahrungen in dieser Region stieg er innerhalb der Verbrecherorganisation rasch auf und war dann bald einmal alleine für die Schutzgelderpressung zuständig. Dort flogen ebenfalls hin und wieder die Fäuste und einiges Mobiliar ging dabei zu Bruch. Mehr und mehr verlor er dabei selbst seine Skrupel und er bemerkte, dass er auch zum Äussersten bereit sein würde. Ja, es wuchs sozusagen sogar das Verlangen in ihm, tatsächlich einmal einen Menschen zu töten. Dies bemerkte sein Boss und eines Tages hatte er einen Auftrag für seinen loyalen Mitarbeiter. Er sollte nach Venedig reisen und dort dafür sorgen, dass eine Person von der Bildfläche verschwindet. Jemand, der wohl weniger in Mafiakreisen tätig war, aber dennoch einen Haufen Dreck am Stecken hatte. Ein Politiker, der Belluco einfach nur im Wege stand.
Branden nahm den Auftrag an und führte ihn auch tadellos aus. Er mietete sich unter einem falschen Namen in einem Hotel ein, das sich schräg gegenüber dem Haus seines Opfers befand. Ausgerüstet mit einem Präzisionsgewehr wartete er das Auftauchen der Zielperson am anderen Ufer des Canale Grande ab. Branden war selbst überrascht, wie ruhig er war, als er den Kopf des Venezianers im Visier seines Zielfernrohres hatte. Auch dann noch, als er seinen Zeigefinger krümmte und damit in der Lagunenstadt das Leben eines Menschen auslöschte.
Ohne Eile und gelassen demontierte er nach dem Todesschuss seine Waffe und packte sie in seine Reisetasche. Unerkannt verliess er daraufhin das Hotel und reiste am gleichen Tag noch nach Kalabrien zurück.
Damals erhielt er von Adriano Belluco einen Spezialbonus in der Höhe von zehntausend Dollar. Und das war eigentlich der Ausschlag dafür, dass er nach wenigen Monaten Kalabrien verliess und sich sozusagen selbstständig machte. Max Branden musste erkennen, dass es auf der grossen weiten Welt wohl immer jemanden geben würde, dem ein anderer Mensch im Weg stand. Und in solchen Fällen machen sich die Leute einerseits nicht gerne selber die Hände schmutzig und andererseits wollen sie, dass alles immer wie ein Unfall aussieht.
So avancierte er zum Berufskiller!
Aber alles musste von Beginn an gut durchdacht sein. Er verliess sogar Italien und liess sich in Frankreich nieder. Während er dort fortan als Jacques Bernard galt, legte er sich auch noch einen Codenamen zu. Mit dem Namen Panther nahm er schliesslich Verbindung zu seinen Auftraggebern auf. Mittlerweile konnte er sich unter diesem Code einen exzellenten Ruf schaffen und ist vor allem in Kreisen der gehobenen Schichten bekannt. Denn inzwischen können sich nur noch reiche Kunden die Dienste des Panthers leisten. Konnte man ihn noch vor einigen Jahren für ein Butterbrot - sprich 50'000 bis 100'000 Dollar - anheuern, verlangt er heute für jeden Auftrag eine satte Million in der harten Währung des Schweizer Frankens. Dafür hinterlässt er absolut keine Spuren, die weder zu ihm selbst noch zu seinen Kunden führen. Er selber kennt seine Auftraggeber ebenfalls nicht, denn alle geschäftlichen Vereinbarungen laufen über einen speziellen E-Mailaccount, der nicht zurückverfolgt werden kann. Geht ein Auftrag ein, so sichert sich der Panther zunächst einmal ab, indem er seine Auftraggeber ihre Zuverlässigkeit beweisen lässt. Denn bei ihm erfolgt die Bezahlung im Voraus. Dazu richtet er auch jedes Mal ein anderes Konto auf einer Schweizer Grossbank ein, wohin das Geld überwiesen werden muss. Die speditive Überweisung des Geldes gilt für ihn bereits als ein untrüglicher Beweis für die Integrität seiner Klienten.
Seine eigene, wahre Identität ist niemandem bekannt. In der Zwischenzeit hat er seine Zelte im Fürstentum Monaco aufgeschlagen, wo er das dolce far niente lebt, solange er keinen neuen Auftrag hat.
Vor drei Wochen fand der Panther einmal mehr eine E-Mail vor: Wünsche Säuberungsaktion, diskret und zuverlässig. Sofortige Kontaktaufnahme erwünscht.
Nimmt er den Auftrag an, so meldet er dies dem Absender von einem Internetcafé aus, indem er ihm folgende Nachricht übermittelt.
„Freie Kapazität vorhanden. Es stehen jedoch noch Rechnungen aus. Die Zahlung wird innerhalb von drei Tagen erwartet.“ Der Auftragskiller fügt dann noch die Kontonummer der Meldung an.
Daraufhin erfolgt in der Regel die Überweisung von einer Million Schweizer Franken und Casella setzt sich via Internet wieder mit dem Auftraggeber in Verbindung. Er teilt ihm mit, auf welche Weise er in den Besitz weiterer Einzelheiten seines Auftrages gelangen will. Die Weiterleitung der Informationen wird dann üblicherweise über einen toten Briefkasten abgewickelt.
Dieses Mal erhielt er ein Foto von Gregor Heitzmann und mehrere Hinweise zu seiner Person.
Max Branden, alias Jacques Bernard, alias Antonio Casella, interessiert es niemals, aus welchen Gründen eine Zielperson eliminiert werden soll. Hingegen befasst er sich nach Annahme des Auftrages normalerweise intensiv mit dieser Person, indem er ihr Leben studiert. Er orientiert sich über ihre privaten, wie auch geschäftlichen Verhältnisse und studiert den Tagesablauf seines zukünftigen Opfers. Dann wird der Plan zur Ausführung zurechtgelegt, der manchmal beinahe mit einer generalstabsmässigen Aktion zu vergleichen ist.
Er setzt sich dabei selbst unter Druck und überlässt nichts dem Zufall. Jeglicher Zwischenfall bei seiner Berufsausübung wird eingeplant, so dass am Schluss niemals ein fahler Nachgeschmack entstehen kann.
Beim aktuellen Auftrag ist es ein wenig anders. Er hat von seinem Auftraggeber ganz bestimmte Order erhalten, wie und wann sein Opfer sein Leben verlieren soll. Auch die Planausführung wurde dem Auftragskiller bereits aufgetragen; ja, sozusagen befohlen. Heitzmann soll während seines Urlaubes in der Schweiz in seiner Hotelsuite, an einem bestimmten Tag und zu einer bestimmten Stunde durch eine Gasexplosion getötet werden. Alles andere wäre nicht akzeptabel. Aber auch mit solchen Vorgaben kann sich der Panther abfinden, denn sein Einfallsreichtum ist gross.
Branden erhebt sich nun von der Bank und geht zum Parkplatz zurück. Er wollte sich eigentlich nur davon überzeugen, ob Heitzmann tatsächlich die nächsten Stunden mit dem Golfspiel beschäftigt sein wird. Also genügend Zeit, um sich auf den Abschluss seines Auftrages vorbereiten zu können. Denn der Tod des Bankiers soll in dieser Nacht eintreten!
Sonja Eicher würde die Pferdestärken ihres Porsches gerne ein wenig kitzeln, doch lassen dies die Strassenverhältnisse nicht zu. Sie kommt aber trotzdem gut voran und befindet sich nun auf der Hauptstrasse in Richtung Zweisimmen. Ein Ort im Berner Oberland, von dem man behauptet, dort befinde sich das grünste Tal Europas.
Aus dem Autoradio erklingt soeben ein Song von Elton John und Sonja summt die Melodie vergnügt mit. Dann jedoch ertönt plötzlich ein Knall und sie bekundet Mühe, den Wagen trotz dem tiefliegenden Fahrwerk auf der Strasse zu halten. Es gelingt ihr aber, die Geschwindigkeit rasch zu drosseln und den Sportwagen bei einem kleinen Ausstellplatz ausrollen zu lassen.
Ihr vergnügtes Lächeln ist augenblicklich einer Verärgerung gewichen und ein Fluch rutscht ihr nun über ihre knallroten Lippen.
Als der Wagen stillsteht, steigt sie aus und geht um den Flitzer herum. Sie bemerkt sofort, dass der rechte Vorderreifen keine Luft mehr hat und schlägt deshalb aus Zorn mit dem Fuss an den Pneu. Sie merkt unterdessen gar nicht, dass in der Zwischenzeit ein anderes Auto ebenfalls die Strasse verlassen und auf dem Ausstellplatz angehalten hat. Eine männliche Stimme ruft ihr aus dem offenen Beifahrerfenster herüber.
„Benötigen Sie Hilfe?!“
Sonja wendet sich dem dunkelblauen Honda Accord zu und bemerkt einen etwa 35-jährigen, gut aussehenden Mann hinter dem Steuerrad.
Dann blickt sie auf ihre mit Brillanten besetzte Armbanduhr und stellt fest, dass sie sowieso schon spät dran ist. Ohne dem fremden Mann eine Antwort zu geben, greift sie auf den Beifahrersitz vom Porsche und nimmt ihre Handtasche heraus. Den Zündungsschlüssel zieht sie ab und versorgt ihn in der Mittelkonsole. Dann läuft sie zum fremden Mann hinüber, der immer noch mit laufendem Motor auf eine Antwort wartet. Sie beugt sich ein wenig zum Fenster hinunter, was dem Lenker eine besonders schöne Aussicht auf ihre Brustansätze beschert.
„Fahren Sie zufällig nach Zweisimmen? Könnten Sie mich mitnehmen? Ich habe einen dringenden Termin.“
„Ja, sicher. Kein Problem.“
Sonja bedankt sich nicht, sondern geht um den Wagen herum und öffnet die Beifahrertüre. Wenige Sekunden später sitzt sie auf dem Beifahrersitz des Hondas. Gequält lächelnd sieht sie nun ihren Helfer an und bedankt sich dann doch noch für seine Hilfe.
„Vielen Dank. Ich habe es wirklich eilig.“
Der Mann deutet hinüber zum Porsche.
„Und der Wagen?“
„Reifenpanne, vorne rechts. Ich werde von Zweisimmen aus die Werkstatt anrufen. Die können das Rad wechseln, bis ich wieder zurückkehre.“
„Aha.“
Der Unbekannte legt daraufhin den ersten Gang im Schaltgetriebe ein und lenkt sein Auto wieder auf die Hauptstrasse in Richtung Zweisimmen zurück. Freundlich sieht er Sonja von der Seite an. Hin und wieder fällt sein Blick auch auf die langen Beine der Frau, deren Minirock auch den grössten Teil ihrer braun gebrannten Oberschenkel nicht mehr verdeckt.
„Im Urlaub hier?“
„Ja, richtig. In Gstaad. Aber ich muss dringend zum Zahnarzt.“
„Hat es in Gstaad denn keine Zahnärzte?“
Einen Augenblick lang ist die junge Frau um eine Antwort verlegen, denn ihre Auskunft mit dem Zahnarzt ist ja gelogen.
„D…doch, schon. Aber in Zweisimmen praktiziert ein Bekannter von mir. Ich gehe immer zu ihm, wenn ich in Gstaad bin. Also, … ich meine …, wenn ich Zahnprobleme habe.“
Die junge Frau verplappert sich ein wenig, was dem Hondalenker auffällt. Er lässt sich jedoch nichts anmerken. Gleichzeitig fischt sie aus ihrer kleinen Handtasche eine Packung Kent heraus und entnimmt ihr eine Zigarette. Demonstrativ hält sie den Glimmstängel in die Höhe.
„Darf ich?“
Sofort zieht der Lenker den Aschenbecher heraus, der noch leer ist. Also zündet sie sich eine Zigarette an.
„Aber bitte. Wo wohnt denn dieser Zahnarzt?“
Sonja sieht nochmals zu ihrem Begleiter hinüber, während sie den Rauch aus ihren Lungen stösst.
„Wieso wollen Sie denn das wissen?“
„Na, ich soll Sie ja zu ihm bringen. Da muss ich schon wissen, wo er wohnt.“
Sofort löst sich die Anspannung in Sonjas Gesicht wieder.
„Ach so, ja. Also, etwas oberhalb von Zweisimmen. Aber, schon noch im Ort. Vielleicht könnten Sie mich …?“
Der Unbekannte ahnt, was sie sagen will.
„Selbstverständlich fahre ich Sie dorthin. Ich stehe nicht unter Zeitdruck. Sagen Sie mir einfach, wo ich durchfahren muss.“
„Das ist lieb von Ihnen. Übrigens, ich heisse Sonja. Sonja Eicher.“
Ihr Chauffeur nimmt die rechte Hand vom Steuer und reicht sie ihr.
„Angenehm. Mein Name ist Tom Daenzer.“
„Sie sind auch im Urlaub hier, Tom?“
Daenzer lacht.
„Oh nein. Leider nicht. Diese Gegend ist mir ein wenig zu teuer.“
In der Zwischenzeit taucht bereits die Ortstafel von Zweisimmen am Strassenrand auf. Eine Gelegenheit für Tom Daenzer, von seiner Person abzulenken.
„Wir kommen nach Zweisimmen. Wo muss ich nun durchfahren?“
„Ach ja. Ungefähr noch 500 Meter. Dann kommt auf der linken Seite eine Abzweigung, welche die Anhöhe hinaufführt.“
Nochmals sieht sie zu ihm hinüber.
„Und es macht Ihnen wirklich nichts aus, dass Sie …?“
„Aber nein. Wirklich nicht.“
In diesem Moment hat die Frau ihre Zigarette fertig geraucht und Tom kann beobachten, auf welche eigenartige Weise sie diese im Aschenbecher entsorgt. Sie drückt die Kippe nämlich nicht aus, sondern knickt sie einfach nur ab. Er sieht auch, dass sich am Filter noch ein wenig roter Lippenstift befindet.
Dann, bereits eine Minute später, lenkt Tom seinen Wagen eine leicht ansteigende Strasse hoch, die augenscheinlich in ein Villenviertel führt.
„Na, Ihr Zahnarzt muss aber gut verdienen.“
Sonja hat die Bemerkung ihres Chauffeurs natürlich gehört, aber sie reagiert nicht darauf.
„Dort vorne geht es nochmals rechts und dann ist es das dritte Haus.“
Willig lässt sich Tom führen und verlangsamt schliesslich die Fahrt vor einem prächtigen Wohnhaus. Es fällt ihm sofort auf, dass nichts auf eine hier vorhandene Zahnarztpraxis hinweist. Keine einzige Hinweistafel ist auszumachen. Aber er hält seine Beobachtung zurück und stoppt den Honda vor dem riesigen, schmiedeeisernen Tor der Liegenschaft.
„So, Sonja. Ich hoffe, es tut nicht zu sehr weh.“
Die Frau sieht den Chauffeur irritiert an.
„Was soll nicht zu sehr wehtun?“
Tom weist mit der Hand zur Liegenschaft.
„Na, der Zahnarzt. Ich meine die Behandlung. Ich hoffe, sie tut nicht weh.“
Die junge Frau lächelt nun.
„Ach so, nein. Ganz bestimmt nicht. Er ist sehr einfühlsam.“
Sie öffnet die Türe und wendet sich nochmals an Tom, bevor sie aussteigt.
„Und nochmals vielen Dank fürs Mitnehmen, Tom. Vielleicht sehen wir uns einmal wieder.“
„Keine Ursache, Sonja. Es war mir ein Vergnügen.“
Nachdem Sonja Eicher mit dem allzu kurzen Minirock ausgestiegen ist, beeilt sich Tom, sich zu entfernen. Rasch hat er den Rückwärtsgang eingelegt und setzt auf die enge Quartierstrasse zurück. Mit einem leichten Handzeichen verabschiedet er sich von der jungen Frau.
Keine hundert Meter weiter hält Tom Daenzer jedoch seinen Wagen wieder an und setzt nochmals zurück. Die letzten zwanzig Meter lässt er sein Fahrzeug sogar mit ausgeschaltetem Motor zurückrollen. Er hält genau an der Stelle an, von wo er noch Einblick auf die Haustüre des vermeintlichen Zahnarztes hat.
Er sieht seinen weiblichen Fahrgast, der soeben an der Türe klingelt. Wenige Sekunden später wird die Türe geöffnet und ein Mann tritt heraus. Nervös sieht er sich um, bevor er die Frau begrüsst. Ja, er nimmt sie nun sogar in seine Arme und küsst sie. Rasch nimmt Tom Daenzer seine Fotokamera unter seinem Fahrersitz hervor, die er dort deponiert hatte und hält die intensive und länger dauernde Kussszene im Bild fest.
„Das ist ja schon mehr als einfühlsam. Ist wohl eine neue Behandlungsmethode“, denkt sich Tom, als die Haustüre hinter dem Paar geschlossen wird …
Max Branden ist in der Zwischenzeit in das Hotel zurückgekehrt. Während Heitzmann mit seiner Geliebten im obersten Stockwerk des Excelsiors eine Deluxe-Suite bewohnt, hat er sich selbst im ersten Stockwerk eingemietet. Er kann wohl auch hier noch die Aussicht auf Gstaad und die Berner Alpen geniessen, doch dies war nicht der Grund für die Wahl des Einzelzimmers. Immer voraus denkend erschien ihm das Zimmer im ersten Stockwerk insofern praktisch, dass man im Notfall auch noch durch das Fenster eine allfällige Flucht bewerkstelligen könnte.
Während seines Aufenthaltes im Hotel hat er sich eingehend mit dessen Bausubstanz beschäftigt und dabei festgestellt, dass nicht nur die Heizung, sondern auch der kleine Kochherd, der sich ebenfalls in Heitzmanns Salon befindet, mit Gas betrieben wird. Also hat sich dieser Hinweis seines Auftraggebers in dieser Richtung bestätigt.
Um den Auftrag nach Wunsch ausführen zu können, benötigt er jedoch noch einige Utensilien. Diese hat er vor zwei Tagen in einem Warenhaus in Montreux eingekauft. Zubehörteile für eine ganz bestimmte Ausrüstung, die er jedoch erst am Zielort vervollständigen kann.
Nun sitzt er in seinem Zimmer und überprüft nochmals seine kleine Bastelei. Winzig kleine, elektronische Teile, die zusammengebaut nicht grösser als eine Zündholzschachtel sind.
Der Panther besitzt beachtliche Kenntnisse darüber, wie man Bomben baut. Aber die herkömmlichen Konstruktionen hinterlassen am Ort des Geschehens meistens zu viele Indizien darüber, dass ein Attentat verübt wurde. Um so wenig wie möglich bis gar keine Spuren zu hinterlassen, vertraut er auf spezielle Anfertigungen und ein ganz bestimmtes Tatvorgehen. Denn sein grösster Berufserfolg basiert darauf, dass bei seinen hervorgerufenen plötzlichen Todesfällen kein Verdacht aufkommt, wonach jemand ermordet wurde.
Vorsichtig legt er nun alle Bestandteile in eine kleine Bauchtasche, die er sich ebenfalls in der Stadt am östlichen Ende des Genfer Sees beschafft hat. Beinahe ironisch klingt der Aufdruck auf dieser Tasche: Have a nice day!
Na ja, der Inhalt der Tasche wird einer ganz bestimmten Person mit Sicherheit keinen schönen Tag, beziehungsweise keine schöne Nacht bescheren.
Nachdem er die Tasche verschlossen hat, zieht er sich um. Weisse Leinenhose, weisses T-Shirt und weisse Turnschuhe.
Anschliessend verlässt er sein Zimmer und schlendert zum Treppenhaus, das in solchen Häusern selten von anderen Gästen benützt wird. Sein Ziel ist die oberste Etage, wo sich die Suiten befinden …
Tom Daenzer, von Beruf Privatdetektiv, hat im Moment genug in Erfahrung bringen können und er befindet sich bereits wieder auf dem Weg nach Gstaad. Eine geschwätzige Nachbarin hat ihm verraten, dass der Bewohner der Liegenschaft Michael Balthaus heisst und nicht Zahnarzt, sondern ein Bauunternehmer aus Frankfurt sei. Also aus der gleichen deutschen Grossstadt, aus der auch der Bankier stammt.
Gregor Heitzmann hat Tom Daenzer vor drei Tagen angerufen. Er äusserte den Verdacht, wonach seine Partnerin noch andere Feuer im Eisen habe. Er wolle Gewissheit. Zumindest wolle er wissen, was Sonja Eicher während ihres Aufenthaltes in Gstaad treibt, denn zu oft geht sie ihre eigenen Wege. Sie hat immer wieder hier eine Verabredung mit einer Freundin oder dort einen Termin. Sei’s beim Friseur oder dann auch wieder im Schönheitssalon.
Da Toms Detektei im Moment sowieso keine eiligen Aufträge in der Kiste liegen hatte, nahm er den Auftrag an.
Tom ist 35 Jahre alt und hat sich als Polizeibeamter für seinen derzeitigen Job das nötige Rüstzeug geholt. Er hat nach dreizehn Jahren seinen Dienst quittiert. Nicht weil er irgendwelche Dummheiten gemacht oder sich sonst wie mit seinen Vorgesetzten überworfen hätte. Nein, er wollte einfach selbstständig sein. Und ausschlaggebend dafür war damals das Angebot eines grossen Schweizer Chemiekonzerns. Zu jener Zeit bestand der Verdacht, dass wichtige Informationen an die Konkurrenz weitergegeben werden. Es handelte sich also um Werkspionage und aufgrund seiner guten Bekanntschaft in der dortigen Direktorenetage wurde ihm angeboten, für eine recht interessante Entlöhnung die undichte Stelle zu suchen. Was ihm dann auch innert kürzester Zeit gelungen ist.
Aufgrund seines raschen Erfolges wurde er schliesslich in den Reihen grosser Konzerne weitergereicht. Hin und wieder sollte er auch die Sicherheitsvorkehrungen der Firmen überprüfen und etwaige Lücken aufdecken. Oder er übernahm Aufträge von Versicherungen, um allfälligen Betrügereien den Riegel schieben zu können.
Seinen Job erledigt er nun seit ungefähr zwei Jahren zur vollsten Zufriedenheit seiner Kundschaft. Und dazu gehören nun einmal auch eifersüchtige Ehemänner und Ehefrauen.
Tom ist überzeugt davon, dass sein Zielobjekt noch einige Stunden in Zweisimmen verbringen wird. Genügend Zeit, um mit seinem Auftraggeber Kontakt aufzunehmen und ihn über seine Feststellungen in Kenntnis zu setzen. Falls notwendig, würde er nachher in der Nähe des abgestellten Porsche oder an der Adresse des angeblichen Zahnarztes wieder Stellung beziehen.
Während seines Aufenthaltes in Gstaad hat er ebenfalls ein Zimmer in einem nahe gelegenen Hotel bezogen. Es handelt sich dabei aber nicht um ein Luxushaus, sondern um ein einfaches Gasthaus. Gut gelegen, aber nicht teuer.
So hält er sich im Moment in seinem Zimmer auf und verbindet soeben seine Digitalkamera mit einem kompatiblen Farbdrucker. Es war keine billige Investition, aber all das ist heutzutage bei der Ausübung seines Jobs als Privatdetektiv nicht zu entbehren.
Nach ungefähr einer Stunde fährt er, mit mehr oder weniger heiklen Fotos in der Tasche, zum Hotel Excelsior.
Ohne sich bei der Rezeption anzumelden, geht er zum Fahrstuhl hinüber und drückt auf den Knopf der obersten Etage …
Für Max Branden mit dem Codenamen Panther ist es ein Leichtes, in die Suite des Frankfurter Bankdirektors einzudringen. Mit Befriedigung stellt er fest, dass auch das Reinigungspersonal bereits seine Arbeit erledigt hat, denn die Betten und das Bad sind bereits wieder hergerichtet.
Er begibt sich auf direktem Weg zur kleinen Kochnische und beginnt damit, die diversen Bestandteile aus der Bauchtasche zu nehmen. Um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen, hat er sich vorgängig Vinylhandschuhe übergestreift. Fein säuberlich legt er alle Gegenstände auf dem kleinen Tisch neben dem Kochherd aus. Anschliessend holt er einen Schraubenzieher aus seiner Tasche und löst damit einige Schrauben an der Herdverkleidung.
Jeder Handgriff sitzt und innert kürzester Zeit hat er Zugang zu den elektrischen Leitungen, aber auch zur Hauptenergieversorgung: dem Gasanschluss!
Wie erwartet findet er einen Gummischlauch vor, der vom Gasverteiler zum Herd führt. Er lächelt insgeheim, denn solche baulichen Gegebenheiten sind sozusagen leichtsinnig. Zwar handelt es sich beim Excelsior um ein Unternehmen mit moderner Infrastruktur. Aber wenn man hin und wieder Einblick hinter die Fassade eines solchen Hotels erhält, so können einem manchmal fast die Haare zu Berge stehen, auf welch altem Fundament die Gebäude mitunter stehen. Aber schliesslich nützt ihm die hier angetroffene Situation, die es ihm erleichtert, seinen Plan auszuführen.
Erst jetzt holt er vorsichtig ein kleines Röhrchen aus der Bauchtasche, das sicher gegen Schläge verpackt ist. Eine bläuliche Flüssigkeit befindet sich im Röhrchen und sie würde, sollte sie auf die Haut gelangen, tiefe und nicht mehr reparierbare Verätzungen verursachen. Aber auch ein Baustoff wie Gummi hat dieser Säure nichts entgegenzusetzen.
Branden gelingt es, das Röhrchen mit Hilfe eines hitzebeständigen Klebstoffes am Gummischlauch zu befestigen. Dann steckt er noch einen nadelähnlichen Stift zwischen Röhrchen und Klebstoffmasse, der durch Funkübertragung glühend heiss werden kann. Aufgrund der hohen Temperatur wird das Röhrchen dann schliesslich derart erhitzt, worauf es zu schmelzen beginnt und den Inhalt freigibt. Die Säure wird sich dann innerhalb etwa einer Minute durch den Gummischlauch fressen und eine undichte Stelle hervorrufen.
Rasch montiert Branden die Frontverkleidung wieder und nichts lässt darauf schliessen, dass sich am Herd jemand zu schaffen gemacht hat.
Daraufhin nimmt der Auftragskiller noch die letzten Bestandteile vom Tisch und begibt sich damit zum Salontisch. Wieder mit einer Klebemasse versehen, drückt er ein kleines Kästchen unter die Tischplatte. Der Inhalt des Kästchens besteht ebenfalls aus einem Röhrchen, das jedoch keine Säure, sondern eine explosive Mischung enthält. Ausserdem beinhaltet die Miniaturhaftmine ebenfalls einen separaten Funk-Empfänger, der durch eine Knopfbatterie gespiesen wird.
Die Vorbereitungen sind abgeschlossen und Max Branden ist vom Gelingen seines Planes überzeugt …
Als der Privatdetektiv den Aufzug verlässt, wird ihm erst bewusst, in was für einem luxuriösen Hotel er sich befindet. Dicke Teppiche liegen in den langen Korridoren und an den Wänden hängen diverse Gemälde, die vermutlich auch nicht gerade auf dem Flohmarkt erstanden worden sind. Von den Decken baumeln gewaltige Leuchter, die wahrscheinlich einen Menschen erschlagen könnten, würden sie im falschen Moment herunterfallen.
Auf dem Korridor ist niemand zu sehen und auch nichts zu hören. Letzteres ist auch nicht verwunderlich, werden doch die meisten Geräusche von den dicken Teppichen und Vorhängen geschluckt.
Gregor Heitzmanns Suite befindet sich am Ende des Korridors. Daenzer sucht seinen Auftraggeber auf gut Glück im Hotel auf. Bei Sonja Eicher ist er sich ja relativ sicher, dass sie noch andernorts für längere Zeit beschäftigt sein wird.
Ohne einer anderen Person zu begegnen, erreicht er die Türe, worauf mit goldfarbenen Lettern der Name der Suite angebracht ist. Im Gegensatz zu den üblichen Hotelzimmern verfügen die Suiten über eine Klingel für die Besucher.
Im gleichen Augenblick, als Tom auf den Knopf des Summers drücken will, öffnet sich überraschend die Türe.
Natürlich ist der Detektiv verblüfft, dass die Türe unvermittelt geöffnet wird. Aber augenscheinlich ist die Person in der Suite noch weit mehr darüber erstaunt, dass ein Mann vor ihm steht.
Tom kennt den braungebrannten Typ nicht. Aus diesem Grund versucht er rasch einen Blick in die Suite zu werfen, während der Unbekannte heraustritt und die Türe wieder hinter sich zuzieht.
„Entschuldigen Sie, aber Herr Heitzmann ist nicht zufällig da?“
Der Unbekannte erweckt auf den ersten Blick den Anschein, als ob er in die Sparte des Wartungspersonals zum Beispiel vom Schwimmbad oder vielleicht von der Sauna des Hotels gehören würde. Helle Leinenhose, ein weisses T-Shirt und weisse Turnschuhe.
Der Mann antwortet in gebrochenem Deutsch.
„Herr Heitzmann? Nein. Er ist nicht da.“
Als ob er seine Anwesenheit in der Suite gegenüber dem überraschenden Besucher rechtfertigen müsste, fügt er eine weitere Erklärung an.
„Ich habe für Herrn Heitzmann nur frische Tücher gebracht. Herr Heitzmann befindet sich zurzeit auf dem Golfplatz.“
„Aha“, antwortet ihm Tom.
Ohne weitere Worte entfernt sich daraufhin der braun gebrannte Mann und biegt am Ende des Korridors ab. Der ehemalige Polizeibeamte sieht ihm nach, macht sich jedoch im Moment keine weiteren Gedanken darüber.
Er geht schliesslich von der Türe weg und stellt sich an eines der grossen Panoramafenster des Korridors, von wo ein fantastischer Blick auf Gstaad möglich ist. Bereits hat er sein Handy hervorgeholt und wählt dann aus dem Namensverzeichnis die Nummer des deutschen Bankiers aus.
Nur einen Augenblick lang muss er sich gedulden, bis sich jemand mit einem „Ja“ meldet.
„Daenzer hier. Herr Heitzmann? Können Sie reden?“
Gregor Heitzmann befindet sich in seinem speziellen Zweimannturnier vermutlich in einer guten Position, was aus seiner Heiterkeit zu schliessen ist.
„Ah, Daenzer. Ja, klar. Sprechen Sie.“
„Ich habe etwas für Sie, was eindeutig sein dürfte. Ich dachte mir, dass Sie es vielleicht sehen sollten. Möglicherweise erübrigen sich weitere Ermittlungen meinerseits in diesem Fall.“
Aufgrund der Ausdrucksweise bemerkt Tom, dass der Bankdirektor wohl doch nicht ganz alleine ist.
„Ja, das wäre natürlich interessant. Selbstverständlich müsste ich über die Fakten orientiert sein, bevor der Fall abgeschlossen werden kann. Wo sind Sie jetzt?“
„Im Excelsior. Ich dachte, ich könnte Sie möglicherweise hier antreffen. Aber wie mir mitgeteilt wurde, halten Sie sich im Moment auf dem Golfplatz auf?“
„Ja, stimmt. Ich stehe gerade vor meinem letzten Schlag.“
Vermutlich sieht Heitzmann in diesem Moment auf seine teure Armbanduhr der Marke Rolex.
„Treffen wir uns doch in einer halben Stunde an der Hotelbar. Diejenige im Garten. Ist das gut so?“
Tom wiederholt den Vorschlag seines Auftraggebers und quittiert damit, dass er die Mitteilung verstanden hat.
„In einer halben Stunde in der Gartenbar vom Excelsior. Einverstanden, ich werde hier warten.“
Daraufhin drückt er auf die Endtaste seines Handys, womit die Verbindung unterbrochen wird.
Nur wenige Minuten später verlässt Tom den Fahrstuhl im Erdgeschoss und lässt sich von den kleinen Wegweisern zur Bar führen, die sich in der riesigen Parkanlage befindet.
Er setzt sich dort an einen Tisch, der sich ein wenig im Schatten befindet und von wo aus er gleichzeitig gute Sicht auf das imposante Luxushotel hat. Rasch widmet sich ihm ein Kellner, der ihm wenig später das bestellte Getränk an den Tisch bringt.
Als er den ersten Schluck eines erfrischenden Hopfengebräus zu sich nimmt, wandern seine Augen zufällig an den vielen Fenstern und Balkonen des Hotels vorbei. Dann setzt er sein Glas jedoch unvermittelt ab und fixiert mit seinen Augen einen Balkon im ersten Stockwerk. Dort ist nämlich der Mann aufgetaucht, den er vor wenigen Minuten noch aus Heitzmanns Suite kommen sah.
Tom wundert sich, dass er diesen Mann nun etliche Stockwerke tiefer auf dem Balkon eines anderen Hotelzimmers erblickt. Nur trägt der Mann nun ein blaues Hemd und nimmt soeben eine leichte Sommerjacke vom Haken, die dort vermutlich zum Auslüften aufgehängt war. Er kann sich im Moment keinen Reim darauf machen. Mussten auch dort frische Tücher deponiert werden?
Dann vermutet Tom, dass der Mann durch einen Zwischenfall aufmerksam wurde. Denn er wendet sich auffallend rasch ab und verschwindet wieder im Zimmer. Wenige Sekunden später tritt er jedoch abermals auf den Balkon und hält ein Mobiltelefon an sein Ohr.
Tom schätzt den braun gebrannten Mann auf ungefähr vierzig Jahre. Er ist schlank und hinterlässt den Eindruck, über einen durchtrainierten Körper zu verfügen.
Ja, ist das nun ein Angestellter oder ein Hotelgast?, denkt sich der ehemalige Polizeibeamte.
Eher automatisch nimmt Tom seine Digitalkamera aus seiner Jackentasche. Im gleichen Augenblick allerdings, als er den Auslöser betätigt, wendet sich der Mann wieder ab und geht zurück in das Zimmer.
„Mist!“, denkt sich Tom. Hoffentlich habe ich ihn noch richtig drauf. Einen Augenblick später kontrolliert er seine Aufnahme im Display. Tatsächlich ist der Mann nur noch von hinten zu sehen. Also ist es kein verwertbares Bild.
Tom ärgert sich ein wenig. Hingegen kann es ihm ja auch egal sein, denkt er sich. Was kümmert’s ihn denn schon? Leicht seufzend steckt er deshalb seine Kamera wieder in die Jackentasche zurück.
Wenige Minuten später tritt auch Gregor Heitzmann mit einem breiten Lachen im Gesicht auf die Gartenterrasse und hält offenbar Ausschau nach dem Privatdetektiv. Tom greift nach der Eiskarte und hält sie wedelnd so in die Höhe, dass Heitzmann darauf aufmerksam wird.
Rasch kommt er auf Tom zu und setzt sich ebenfalls an den Tisch …
Antonio Casella, der unter dem Namen Max Branden im Hotel Excelsior abgestiegen ist, hat gegen neunzehn Uhr bereits seine Hotelrechnung bezahlt. All seine Vorbereitungen sind so verlaufen, wie er sie sich in seinem Plan zurechtgelegt hat. Niemand wird ihn mit irgendwelchen mysteriösen Vorgängen im Hotel in Verbindung bringen können.
Es macht ihm auch keine Sorgen, dass er beim Verlassen der noblen Suite gesehen wurde. Seiner Ansicht nach ist die Begegnung belanglos verlaufen. Und es hat sich als richtig erwiesen, dass er sich wie ein Bademeister oder Masseur gekleidet hatte. Hätte er jedoch Kenntnis davon, dass es sich bei dem unbekannten Mann vor der Suite um einen ehemaligen Polizisten und nun um einen Privatdetektiv handelt, würde er sich vermutlich doch noch einige Gedanken über diese Begegnung machen.
Sein Koffer, wie auch seine Reisetasche, ist ebenfalls bereits gepackt und steht abreisefertig neben dem Bett. Jetzt sitzt er am kleinen Tisch und begutachtet noch die letzten Überreste seiner Bastelei. Es handelt sich um Bestandteile von zwei kleinen Funksendern, wie sie auch im Modellflugbau verwendet werden. Die Reichweite der Sender ist für sein Vorhaben mehr als genügend. Auch bei diesen beiden Geräten legt er nun jeweils eine kleine Knopfbatterie ein, die für den einmaligen Gebrauch ebenfalls über ausreichend Leistung verfügen. Danach deponiert er die beiden Kästchen wieder in seiner Bauchtasche, die er abermals um seine Hüften schnallt.
Branden sieht auf seine Armbanduhr. Die Zeiger stehen mittlerweile auf 23 Uhr 35. Er hat also noch genügend Zeit, sich auf den grossen Showdown einzurichten. Mit einem Lächeln im Gesicht, greift er nach seinem Gepäck und verlässt damit das Hotelzimmer 119 im ersten Stockwerk.
Diesmal benützt er den Fahrstuhl, um damit direkt in die Tiefgarage zu gelangen, wo er seinen Wagen abgestellt hat. Ein dunkelgrauer Citroën Xsara, den er in Marseille angemietet hat. Branden benützt bei seinen Aufträgen im Ausland meistens unauffällige Fahrzeuge, obwohl er es sich ebenfalls leisten könnte, zu protzen. Denn in der Tiefgarage an seinem eigentlichen Wohnsitz in Monaco steht ein schwarzer Ferrari 575 M und eine Kawasaki GTR 1000. Genügend PS, um sich in seiner Freizeit auf der Strasse zu vergnügen.
Nachdem er sein Gepäck im Fahrzeug verstaut hat, verlässt er die Tiefgarage wieder und begibt sich in die Hotelhalle. Trotz vorgerückter Stunde herrscht hier immer noch reger Betrieb. Nicht nur die Hotelgäste vergnügen sich an der Bar und in der Diskothek, sondern auch Einheimische oder andere Touristen.
Branden kennt mittlerweile den Tagesablauf seiner Zielperson genau. Normalerweise hält sich Heitzmann an der Bar auf und er erfreut sich dort mit seiner hübschen Begleitung an der Live-Musik. Hin und wieder schwingt er sogar auch das Tanzbein mit seiner niedlichen Freundin. Selbstverständlich zeigt er sich dann auch immer von seiner äusserst spendablen Seite. Nicht selten steckt er einer attraktiven Bedienung auch wieder einmal einen Hunderter als Trinkgeld zu. Aber Heitzmann ist nicht mehr der Jüngste und sein immenser Alkoholgenuss zeigt je länger, je mehr früher seine Wirkung.
Tatsächlich entdeckt der Auftragskiller sein Opfer ein weiteres Mal in der Bar. Auch seine Freundin sitzt wieder bei ihm, doch scheint sie am heutigen Abend nicht richtig gut gelaunt zu sein. Gerade in diesem Augenblick wirft sie nämlich ihrem Freund einen beinahe tödlichen Blick zu, als er, offensichtlich bereits ziemlich angeheitert, eine Bedienung um die Hüften hält und augenscheinlich mit ihr flirten will.
Der Berufskiller setzt sich an die Bar und bestellt sich einen Orangensaft. Auch dies gehört bei ihm zur Berufsethik, dass er keinen Tropfen Alkohol zu sich nimmt, solange er mit einem Auftrag beschäftigt ist. Es ist wichtig, in allen Phasen immer einen kühlen Kopf zu bewahren. Nur so konnte er bis jetzt noch immer jeden Auftrag zur vollsten Zufriedenheit erledigen.
Er beobachtet sein Zielobjekt und dessen Begleitung die ganze Zeit und muss feststellen, dass es heute Abend mit den beiden nicht richtig funktioniert. Ja, es scheint so, als würden sie sich dauernd zanken.
Die Uhrzeiger stehen kurz nach Mitternacht, als es Sonja Eicher offensichtlich zu bunt wird, weil sich ihr Sugar-Daddy ein weiteres Mal an eine der Serviceangestellten hängt. Sie spricht einige Worte zu Heitzmann, die Branden jedoch nicht verstehen kann. Aber vermutlich war es keine Liebesbezeugung, denn unmittelbar darauf steht sie abrupt auf und stürmt erkennbar verärgert aus dem Nachtlokal.
Heitzmann hingegen winkt ihr hinterher und versucht gleichzeitig, die junge Angestellte des Hotels näher an sich zu ziehen. Selbstverständlich wehrt die sich gegen die Annäherungsversuche und windet sich langsam aus der Umklammerung.
Die Devise des Hotels lautet so, dass sich das Personal in allen Situationen - auch wenn es sich um sexuelle Belästigung seitens der Gäste handelt - immer freundlich verhält. Klagen kann man anschliessend immer noch beim Maître oder im Personalbüro deponieren. Aber die Gäste sind Könige und diese lassen schliesslich nicht wenig Geld in dieser Nobelherberge liegen.
Heitzmann sitzt in diesem Augenblick alleine an der Bar und man merkt, dass er ziemlich angetrunken ist. Nur wenige Minuten, nachdem ihn seine Freundin verlassen hat, steht auch er auf und legt nochmals einen Hunderter auf den Tresen. Der Auftragskiller kann beobachten, wie der betrunkene Bankdirektor zum Ausgang schwankt und anschliessend im Aufzug verschwindet.
Branden ist sich bewusst, dass nun Phase 2 eingeleitet werden kann. Auch er trinkt sein Glas aus und verlässt die Bar. Er geht jedoch nicht zum Aufzug hinüber, sondern begibt sich über die Panoramaterrasse in den grossangelegten Park. Schlendernd entfernt er sich vom riesigen Gebäudekomplex, bis er auf einem kleinen Hügel ankommt. Von dort hat er einen hervorragenden Überblick auf das gesamte Gelände des Luxushotels. Aber ihn interessieren weniger die romantischen Kieswege des Parks, die allesamt von kleinen Lampen auf Kniehöhe beleuchtet werden. Er blickt an der Fassade des Excelsiors hinauf und sucht dabei die zur Suite C3 gehörenden Fenster.