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Einmal mehr gerät der Schweizer Privatdetektiv Tom Daenzer in ein gefährliches Abenteuer, nachdem ihn sein Freund Gregor Heitzmann mit einem neuen Fall beauftragt hat. Es geht um ein Containerschiff, das auf der Fahrt von den Philippinen nach Cherbourg/F mitten im atlantischen Ozean verschwunden ist. Nebst der üblichen Fracht befand sich noch ein besonderer Wertbehälter an Bord. Der Inhalt des Safes? Diamanten im Wert von über 160 Millionen Dollar. Der Schiffseigner ist ein persönlicher Freund von Gregor Heitzmann, weshalb er den Verdacht enthärten will, dass es sich beim Verschwinden des Schiffs um einen Versicherungsbetrug handeln soll. Aufgrund eines Hinweises über aufgetauchte Waren des vermissten Containerschiffs reist Tom nach Marokko. Dort gelingt es ihm mit Hilfe einer einheimischen Vertrauensperson hinter die Machenschaften von Hajidi El Saijf zu kommen. Er gilt als Hehlerkönig des so genannten Schwarzen Kontinents. Die Sonne Nordafrikas brennt erbarmungslos hernieder, während Tom von einer gefährlichen Situation in die andere gerät. Dass er sich jedoch nicht nur aufgrund der Temperaturen auf heissem Pflaster bewegt, erfährt Tom erst, als er dem berüchtigten Hajidi El Saijf Auge in Auge gegenüber steht. Und Hajidi El Saijf ist ein Verbrecher, für den ein Menschenleben nicht mehr als ein Butterbrot zählt...
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Seitenzahl: 395
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Diamanten des Todes
Band II (Tom Daenzer)
Kriminalroman
von
Joel Dominique Sante
August 2006
© 2006 J. D. Sante
Umschlaggestaltung: MESAN-VERLAG
Herstellung: Books on Demand (Schweiz GmbH)
Printed in Switzerland - ISBN 978-3-9523196-0-4
Zum Autor:
Joel Dominique Sante (Pseudonym) ist 1954 in Kreuzlingen (CH) geboren, aufgewachsen und hat auch dort die Schulen besucht. Nach erfolgreichem Lehrabschluss als Hochbauzeichner trat er im Jahre 1976 der Kantonspolizei Thurgau bei.
In seiner beruflichen Laufbahn konnte er während seiner Beschäftigung bei der Verkehrspolizei, beim Aussendienst, beim Kriminaltechnischen Dienst und beim Stabsdienst (Kantonale Notrufzentrale) viele Erfahrungen sammeln. Ausserdem war er beinahe 30 Jahre lang als aktiver Diensthundeführer im Schutz- und Fährtenhunde-, wie auch im Drogenspürhundebereich erfolgreich tätig.
In der Zwischenzeit hat der pensionierte Polizeibeamte nebst einem Gedichtband und einer Familiengeschichte mehrere Kriminalromane verfasst und veröffentlicht. Es ist unverkennbar, dass er insbesondere bei den Kriminalgeschichten immer wieder seine angesammelten Erfahrungen und Kenntnisse im Umfeld der Polizei kompetent einfliessen lässt. Mit ausgewogenem Hang zur Realität, aber auch mit der nötigen Prise Fiktion und Fantasie, gelingt es ihm immer wieder, eine spannende Lektüre zu schaffen.
Mesan-Verlag Schweiz
Eine Liste, der im Roman genannten Personen, befindet sich am Ende des Buches. Personen, Handlung und Orte sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig.
***
Der Inhalt dieses Buches, soweit nicht anders darauf hingewiesen wird, ist urheberrechtlich geschützt. Die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Schritte nach sich ziehen.
Die See um das Kap der Guten Hoffnung - so sagt man - sei unberechenbar und sie verschlinge jeden und alles, was sie nicht willkommen heisst. In Einklang mit den Winden verbündet sie sich gegen die kleine Kreatur Mensch, die jedoch mit allen Mitteln immer wieder versucht, selbst noch die Naturgewalten in die Knie zwingen zu wollen.
Auch heute, am 3. April, ist wieder so ein Tag. Ein Tag, an dem die See und die Winde einmal mehr zusammenspannen, um alles, was sich zwischen den beiden Kontinenten Amerika und Afrika auf der wogenden See bewegt, zumindest kräftig durchzuschütteln.
Während sich ein Zufallsreisender bei solchen Wind- und Wetterverhältnissen auskotzen würde, sind sich die achtzehn Männer auf der Seastar stürmisches Gewässer gewohnt. Wer nicht mit seinen Pflichten und Aufgaben an Bord des riesigen Containerschiffes beschäftigt ist, hockt entweder in der Kombüse oder schläft seinen Rausch aus. Für sie ist das ständige auf und ab dieses Kolosses kein Hindernis, um die Mahlzeiten ruhig einzunehmen. Sie sind schon lange auf dem Meer und sie freuen sich darauf, in wenigen Tagen den Golf von Guineazu erreichen. Ein Meer, das in der Regel eine ruhige Fahrt in Richtung der Azoren verspricht.
Die Seastar, welche unter norwegischer Flagge fährt, hat vor 38 Tagen den Hafen von Yokohama in Japan verlassen und ist auf dem Weg nach Cherbourg, wo die Ladung gelöscht werden soll. Hi-Tech und andere Ersatzteile aus Asien werden in Europa erwartet. Artikel in Grossauflage, die nur mit dem Schiff transportiert die günstigste Variante für den Handel darstellt.
An den Philippinen vorbei ging die Fahrt zuerst nach Singapur, wo der restliche Teil der Ladung aufgenommen wurde. Danach ging es weiter zur Südspitze Afrikas, eben auch Kap der Guten Hoffnung genannt, die sie vor ein paar Tagen passiert hatten. Sie kommen gut vorwärts, denn bereits halten sie sich auf der Höhe vom westafrikanischen Staat Sierra Leone auf. Etwa 170 Meilen von der Küste entfernt.
Die Männer auf der Seastar sind bunt zusammen gewürfelt und stammen aus allen Herren Ländern. Obwohl sie während mehrerer Wochen auf engstem Raum zusammenleben, so werden sie sich niemals richtig kennenlernen. Denn vielmals wird nach Löschen der Ladung auch die Crew ausgewechselt. Die Seemänner bleiben dann entweder im Zielhafen hängen und heuern auf einem andern Schiff wieder an, sobald sie ihren Seemannslohn in den vielen Kneipen rund um den Hafen versoffen haben. Oder sie lassen sich auf einem anderen Schiff sofort wieder verpflichten, um möglichst rasch wieder nach Hause zu kommen.
Anders ist es bei den Offizieren. Der Kapitän des Schiffes ist ein alter Seebär und hat während seiner über dreissig Jahre langen Ausübung seines Berufes so ziemlich alle Weltmeere befahren. Die Seastar hat er vor drei Jahren übernommen und sie wird - so Gott und auch sein Auftraggeber will - sein letztes Schiff sein. Wie sehr seinen Wünschen Rechnung getragen wird, kann Kapitän Knut Jörgensen im Moment aber nicht wissen. Andere Mächte treten ins Spiel und tragen so zu einer dramatischen Wende in seinem Leben bei.
Er steht - zusammen mit dem Zweiten Offizier, Holger Svenson und dem Ersten Steuermann Sven Kastersund - auf der Brücke und sieht mit kontrollierendem Blick über die hundertfach gestapelten Container zum Bug des Schiffes. Obwohl rundherum Dunkelheit herrscht, sieht man immer wieder, wie die Gischt am mächtigen Bug hochpeitscht und das Wasser auf das Deck klatscht. Keiner der Männer spricht ein Wort.
Dann ertönt plötzlich ein akustischer Pfeifton und eine kleine Lampe, die sich an einem Schaltrelais der schiffseigenen Telefonanlage befindet, beginnt auf der Brücke zu blinken.
Svenson nimmt den Anruf entgegen, der offensichtlich aus der Kombüse kommt. Das geht daraus hervor, dass er sich danach erkundigt, woraus denn das Menu heute bestehe. Nach wenigen Sekunden drückt er den Telefonhörer wieder in die Halterung zurück und wendet sich an den Kapitän.
„Abendessen ist bereit“, teilt er seinem Vorgesetzten mit, der daraufhin das Fernglas ablegt, womit er kurz zuvor noch in die Ferne zu spähen versuchte.
Er konsultiert dann seine Armbanduhr und stellt fest, dass der Koch wieder die Pünktlichkeit in Person ist.
Dann dreht er sich aber doch zu Svenson um.
„Und wo ist unser Schlitzauge?“
Mit Schlitzauge ist der Erste Offizier an Bord namens Li Lao Pengsong gemeint, der auf dieser Fahrt das erste Mal in der Crew von Jörgensen dabei ist. Er wurde von der Reederei von einem Tag auf den anderen auf dieses Schiff versetzt, da sein bisheriger Erster Offizier kurz vor dem Start in Japan bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist. Es ist ein weiterer Grund, weshalb auf der Brücke so wenig gesprochen wird. Denn auch Svenson und der Steuermann schwelgen hin und wieder in den Erinnerungen an den verunfallten, äusserst beliebten Offizier und Seekameraden.
In diesem Augenblick geht die Türe zur Brücke auf und der Erste Offizier betritt den Kommandoraum. Korrekt stellt er sich vor den Kapitän auf und steckt seine Mütze unter den Arm.
„Ich habe mich verspätet. Ich bitte um Entschuldigung“, sind seine Worte. Offensichtlich betrübt über sein Fehlverhalten blickt er mit gesenktem Kopf zu Boden.
Jörgensen, der mindestens einen Kopf grösser als der Chinese ist, winkt ab.
„Schon gut, Pengsong. Hauptsache, Sie sind da. Svenson und ich gehen essen. Die Wachablösung ist in sechs Stunden. Dann wird Svenson Sie wieder ablösen.“
Abermals korrekt quittiert das Schlitzauge die Anordnungen des Kapitäns und verbeugt sich nochmals.
„Mensch, Pengsong...“, äussert sich Jörgensen, „verbeugen Sie sich nicht jedes Mal. Wir sind hier auf einem verdammten Containerschiff und nicht auf der Queen Elisabeth!“
Schon zum dritten Mal will sich nun der Offizier verbeugen und damit bekunden, dass er die Anordnung seines Kapitäns verstanden hat. Im letzten Moment jedoch belässt er es an einer Bauchrein-Brustraus-Kopfhoch-Haltung.
Kastersund, der Zweite Steuermann, bleibt nichts anderes übrig, als zu lächeln. Auch Svenson kann sich im Hintergrund ein Lachen nicht verkneifen.
Jörgensen blickt seinen Ersten Offizier nochmals an.
„Und nehmen sie den Kleiderbügel aus der Jacke...“
Nun sieht Li Lao Pengsong den Kapitän doch noch fragend an.
„Den Kleiderbügel...?“
Während Holger Svenson ganz genau verstanden hat, dass der Kapitän mit seiner Anordnung ausdrücken wollte, sein Erster Offizier solle nicht so stramm stehen, kann wohl das Schlitzauge nichts mit dieser Äusserung anfangen.
Jörgensen verzichtet darauf, eine Erklärung abzugeben. Mit einem Seufzer geht er an seinem Pengsong vorbei und verlässt zusammen mit Holger Svenson die Brücke.
Noch etwas verwirrt bleibt Li Lao Pengsong stehen und sieht dabei den Ersten Steuermann an. Auch Sven Kastersund hat verstanden, was der Kapitän meinte und schmunzelt. Genüsslich zieht er dabei an seiner Pfeife. Dann meint er, dass er dem Offizier noch eins drauf geben muss.
„Keine Angst, Li! Sie haben das Gesicht nicht verloren. Hängt immer noch an der gleichen Stelle!“
Eine Anzüglichkeit auf das Verhalten der asiatischen Völkergruppe. Zwar haben die Chinesen weniger mit diesem Ausspruch zu tun, als die Japaner. Aber dennoch verfehlt diese Bemerkung ihre die Wirkung nicht.
Denn plötzlich kapiert auch er, was der Kapitän vorhin meinte. Wiederum sieht Pengsong ein wenig beschämt zu Boden, während Kastersund seinen Blick wieder auf den Bug des Schiffes richtet.
Hätten der Kapitän und seine übrigen Vertrauten geahnt, dass die Korrektheit des Ersten Offiziers nur gespielt ist, so würden sie sich ihm gegenüber vermutlich anders verhalten...
Nach dem Abendessen sitzen der Kapitän und der Zweite Steuermann immer noch am Tisch und geniessen den herrlich duftenden Kaffee. Das Essen bestand aus Spaghetti an einer pikanten Tomatensauce und dazu wurde den Seemännern auch noch ein Steak serviert. Wer glaubt, dass sich auf so einem Containerschiff nicht gut leben lässt, der täuscht sich. Abgerundet wurde das ganze Menu mit einer feinen Schokocrèmesauce à la Seiko. Seiko ist der Spitzname des Koches, der ebenfalls schon mehrere Jahre in Jörgensens Crew ist. Ein Rumäne, der sich bei seinen Landaufenthalten vor allem in Südostasien immer wieder Uhren der Marke Seiko kauft. Ein Spleen von ihm, aber jedem das Seine, denkt sich der Kapitän. Hauptsache, er kocht gut und das kann er.
Jörgensen und Svenson unterhalten sich über den vergangenen Tag, der eigentlich ohne Probleme verlaufen ist. Sieht man mal von der schlechten Wetterzone ab, in der sie sich derzeit befinden. Aber auch der Sturm sollte spätestens um Mitternacht an seiner Wirkung verlieren, darf man den meteorologischen Mitteilungen via Satellit vertrauen.
Während sie sich unterhalten, betreten zwei weitere Personen den Raum, die augenscheinlich vom gleichen Erdteil stammen, wie der Erste Offizier. Zwei Chinesen, welche sich für wenig Geld die Überfahrt von Indonesien nach Europa erkauft haben. Dies ist absolut nicht unüblich, denn die Seastar weist zusätzlich fünf Gästekabinen auf, was gesetzlich erlaubt ist.
Angeblich handelt es sich bei den beiden Passagieren um Studenten, die an der Universität von Paris ein Studium antreten wollen. Wie sich Jörgensen vor der Fahrt vergewissert hat, sind die Papiere der beiden etwa zwanzig Jahre alten Schlitzaugen in Ordnung. Sie haben die Passage bar bezahlt, weshalb er sich gegen ihre Anwesenheit auf dem Schiff nicht sträubte.
Dennoch hegt er ein gewisses Unbehagen in ihrer Nähe. Er kann es sich auch nicht erklären. Ist es einfach Antipathie? Liegt es an der Muttersprache, die er nicht versteht und doch immer so tönt, als hätte man eine Quietschente verschluckt? Jörgensen weiss es nicht. Wenigstens sprechen die beiden so viel englisch, dass er sich mit ihnen verständigen kann. Aber trotzdem kommt er seinen Pflichten als Kapitän und sozusagen als Gastgeber nach und bittet die beiden mit einer entsprechenden Handbewegung an seinen Tisch.
Svenson hat in der Zwischenzeit seinen Kaffee ausgetrunken und steht auf.
„So, wird wohl Zeit, dass ich mich noch ein wenig aufs Ohr haue, bevor ich Pengsong wieder ablöse.“
Jörgensen, dessen Kaffeetasse immer noch bis zur Hälfte gefüllt ist, gibt keine Auskunft, sondern nickt lediglich mit dem Kopf. Er ist einen Moment lang auf die beiden Chinesen fixiert.
Meint er es nur, oder sind die beiden Schlitzaugen beim Namen von Pengsong kaum merklich zusammengezuckt? Nur eine Zehntelsekunde lang sehen sie sich an und wenden sich dann ebenfalls wieder ihren Spaghetti zu. Sie jedoch haben auf die köstliche Tomatensauce verzichtet.
Leise und in kurzen Sätzen unterhalten sich die beiden angeblichen Studenten untereinander. Jörgensen kann aus verständlichen Gründen nichts von diesem Gespräch verstehen.
Scheinbar desinteressiert bleibt er aber doch sitzen und nippt hin und wieder an seinem Kaffee. Weiterhin beobachtet er die beiden jungen Männer. Dann fällt ihm plötzlich auf, dass der eine am linken Handgelenk eine auffallende Tätowierung trägt. Einen kleinen Tigerkopf mit einem Stern. Eigentlich nichts Aussergewöhnliches, denkt sich Jörgensen. Automatisch betrachtet er nun die Handgelenke des anderen Chinesen und siehe da - auch er trägt eine Tätowierung. Jörgensen meint, es sei die gleiche wie beim anderen Typen.
Im asiatischen Raum ist es bald eine Schande, wenn man keine Tätowierung trägt. Es gibt sogar Menschen, auf deren Körper man noch ein Fleckchen unbemalte Haut richtiggehend suchen muss, will man noch eines finden. Gut möglich, so denkt Jörgensen, dass die beiden Chinesen auch noch an anderen Stellen ihres Körpers Tätowierungen aufweisen.
„Seid ihr beide Blutsbrüder, oder so was?“, will er nun von seinen beiden Tischnachbarn wissen. Dabei zeigt er mit seinem Zeigefinger auf sein eigenes Handgelenk.
Die beiden Asiaten unterbrechen ihr Entengespräch und sehen den Kapitän einen Augenblick irritiert an. Dann versucht einer der beiden ein gequältes Lächeln auf sein Gesicht zu zaubern und sieht seinen Kumpan kurz an. Gleichzeitig zieht er den Ärmel seines Hemdes über die Tätowierung.
„Nein, nein. Das ist nur so ein Symbol in China. Gleiche Schule...“
Nochmals blickt er kurz zum anderen vermeintlichen Studenten und wendet sich dann wieder seinem Essen zu.
„Aha..“, ist Jörgensens einzige Bemerkung. Er glaubt ihm zwar nicht, was aber auch nicht von Bedeutung ist. Sollen sie doch ihre Tätowierungen haben, welche und wo sie wollen.
In der Zwischenzeit ist Seiko mit einem halbvollen Krug mit Kaffee an den Tisch getreten und erkundigt sich beim Kapitän, ob er noch nachgeschenkt haben wolle. Aber Jörgensen winkt ab.
„Nein, danke, Seiko. Ich habe noch einiges zu erledigen.“
Tatsächlich muss er noch sein Logbuch nachführen und auch sonst noch einigen Pflichten als Kapitän nachkommen. Er trinkt deshalb in einem Zug den Rest des Kaffees aus und steht auf. Als er die Kombüse verlassen hat, geht ihm doch nochmals das sonderbare Verhalten der beiden Chinesen durch den Kopf, als sie den Namen seines Ersten Offiziers hörten. Nachdenklich zündet er sich auf dem Weg zu seiner Kabine eine Zigarette an. Je länger er jedoch darüber nachdenkt, kommt er zu keinem Ergebnis und meint gar am Ende, dass er sich wohl getäuscht haben muss. Dass ihm sein Gefühl keinen Streich gespielt hat, wird ihm erst in zwei Tagen bewusst werden. Aber dann, ja dann, wird es schon zu spät sein....
Die Seastar hat bereits wieder eine enorme Distanz in nördlicher Richtung zurückgelegt und wie angekündigt wurde, hat sich der Sturm in der Zwischenzeit ebenfalls verabschiedet. Nun gleitet der Riesenkoloss, angetrieben durch die etwa 28000 PS starken Dieselmotoren, mit der wertvollen Fracht scheinbar gemächlich durch die Wogen der See. Es herrscht sogar eine Vollmondnacht und fast traumhaft schön ist nun der Ausblick von der Kommandobrücke auf die Spiegelung im Wasser, welche vom Vollmond hervorgerufen wird.
Wieder ist Sven Kastersund zu dieser Stunde für den Dienst als Steuermann eingeteilt. Seine Aufgabe besteht jedoch nicht darin, das Steuerruder zu halten, so wie man es von alten Piratenfilmen kennt. Längst schon hat die Technik alles überholt und Kastersund überwacht eigentlich nur noch den Autopiloten des Schiffes, der den Koloss sicher an ihr Ziel führen soll.
Auch der Erste Offizier hat wieder Dienst und steht mit dem Fernglas in der Hand ebenfalls auf der riesigen Kommandobrücke des Schiffes.
Der Steuermann gewinnt den Eindruck, dass Pengsong auffällig oft das Fernglas an die Augen führt, um gleich darauf die Oberfläche des Meeres abzutasten. Er bemerkt auch, dass der Offizier häufig auf seine Armbanduhr sieht.
„Ist was?“, will nun Kastersund vom Schlitzauge beiläufig wissen.
Pengsong erschrickt über die plötzliche Frage, denn er ist ein wenig nervös. Tatsächlich sucht er die Weite des Meeres nach etwas Bestimmten ab. Aber das dürfen weder der Steuermann noch andere Leute wissen. Er versucht sich selber zu beruhigen.
„Nein, nein. Ich sehe nur hinaus...“, stammelt er.
Wiederum mit der obligaten Pfeife im Mund wendet sich Kastersund daraufhin seinen Instrumenten zu. Insbesondere dem Radar, worauf dessen Kreiselbewegungen ausdauernd und unentwegt auf dem grünleuchtenden Bildschirm verfolgt werden können.
Beiläufig nimmt er zur Kenntnis, dass sie sich nun etwa auf der Höhe von Sierra Leone befinden. Einem westafrikanischen Staat, den er hingegen kaum kennt. Nur einmal in seinem Leben hat er den Hafen in Freetown angelaufen. Damals war er jedoch noch für ein italienisches Reedereiunternehmen tätig.
Aber noch etwas fällt ihm auf. Ein weiteres Schiff ist in der Nähe aufgetaucht.
Kastersund schätzt, dass dieses Schiff etwa 30 Seemeilen entfernt ist und im Kielwasser der Seastar, also in gleicher Richtung fährt. Eine Gefahr besteht keine. Auch das andere Schiff wird mit Radar ausgerüstet sein und das Containerschiff auf dem Bildschirm haben. Ausserdem ist der Ozeanriese mit ausreichenden Positionslichtern versehen.
Der Steuermann nimmt nun ebenfalls das Fernglas in die Hand und blickt damit etwa in die Richtung, wo er das zweite Schiff vermutet. Er kann aber nirgends irgendwelche Positionslichter erkennen.
„Komisch...“, murmelt er, während er das Fernglas wieder absetzt.
Pengsong sieht ihn nur an, sagt aber nichts.
Kastersund hingegen stellt sich wieder vor das Kommandopult und weist mit dem Daumen über seine Schulter.
„Noch’n Dampfer! Etwa 30 Seemeilen hinter uns. Ich kann seine Positionslichter aber noch nicht sehen.“
Pengsong antwortet nicht, sondern hebt nun ebenfalls wieder sein Fernglas an die Augen. Auch er blickt nun in die Richtung, in die der Steuermann gedeutet hat. Aber auch er kann noch nichts erkennen. Dann sieht er ein weiteres Mal auf seine Uhr und ein kleines Lächeln huscht über sein Gesicht.
Von diesem Zeitpunkt an beruhigt sich der Erste Offizier wieder und er verzichtet darauf, immer wieder das Fernglas zu benutzen. Ruhig steht er da und blickt auf die spiegelblanke See hinaus...
Zur gleichen Zeit halten sich die beiden Fahrgäste der Seastar in einer ihrer Kabinen auf. Auf dem kleinen Tisch, der mit dem Boden fest verankert ist, liegen die beiden Reisetaschen, welche die Chinesen mit an Bord gebracht haben. Daraus entnimmt nun soeben einer der Schlitzaugen eine Maschinenpistole und mehrere Magazine. Der andere Chinese hat bereits einen Gürtel um seine Hüften geschnallt, woran eine Pistolentasche befestigt ist. Aus dem Pistolenhalfter lugt der Griff einer Pistole hervor. Aber auch er greift nun in die andere Reisetasche und behändigt ebenfalls eine Maschinenpistole. Wortlos überprüfen die beiden ihre Waffen und stecken die Reservemagazine in ihre Hosentaschen.
Als das Mobiltelefon klingelt, das auf dem Bett liegt, verharren die beiden Chinesen einen Augenblick und sehen sich wortlos an. Dies dauert aber gerade einmal zwei Sekunden, woraufhin einer der beiden zum Bett eilt.
Auf dem Display erkennt er, dass es sich um den Anruf handelt, den sie bereits seit einiger Zeit erwarten. Um die Verbindung müssen sie sich hier auf hoher See keine Sorgen machen, denn diese wird via Satellit aufrechterhalten.
Mit einem Knopfdruck nimmt er den Anruf entgegen und meldet sich mit einem bestimmten Namen. Einige Zeit lang hört er nur dem Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung zu. Dann quittiert er in chinesischer Sprache den Inhalt des Gesprächs, ohne alles nochmals zu wiederholen. Es waren sowieso Anordnungen, die bereits vor einigen Wochen in Indonesien abgesprochen worden sind. Dann drückt er die rote Taste am Telefon, woraufhin das Gespräch unterbrochen wird.
Während er wieder zum Tisch zurückgeht, steckt er das Handy in seine Brusttasche und gibt seinem Partner nur ein Kopfzeichen. Dieser erwidert das Zeichen.
Noch ein letztes Mal zieht er den Verschluss der Maschinenpistole zurück, so dass die Waffe nun geladen ist. Gleich darauf verlassen die beiden angeblichen Studenten die Gästekabine und gehen, beide bekleidet mit einer halblangen Windjacke, durch die Gänge im Schiff. Die Waffen halten sie dabei unter der Jacke versteckt...
Sven Kastersund hat bemerkt, dass das Schiff im Schlepptau offensichtlich schneller fährt, als die Seastar. Der Abstand dürfte nun etwa noch zehn Seemeilen betragen. Aber noch immer hält es die gleiche Richtung. Abermals nimmt er sein Fernglas zur Hand und blickt damit in die vermeintliche Richtung, wo er das fremde Schiff vermutet.
Langsam schüttelt er ungläubig den Kopf. Er ist davon überzeugt, dass er das Schiff nun eigentlich sehen müsste, obwohl es Nacht ist. Der helle Mondschein sollte reichen, um ein Schiff in der Ferne entdecken zu können. Zumindest sollten die Positionslichter zu sehen sein.
Li Lao Pengsong steht in der Zwischenzeit ein wenig abseits. In der Nähe des Einganges zum Kommandoraum. Er beobachtet nun natürlich das Verhalten des Steuermannes genau.
„Was ist?“
Kastersund lässt das Fernglas wieder sinken, sieht aber immer noch auf die offene See hinaus.
„Der olle Dampfer hinter uns kommt näher. Aber ich kann ihn noch nicht sehen. Komisch. Die Positionslichter müssten eigentlich zu erkennen sein. Bei diesen Sichtverhältnissen!“
Der Erste Offizier versucht, den Steuermann zu beruhigen.
„Wird ein kleines Boot sein. Vielleicht eine Yacht. Vielleicht sind die Lichter kaputt.“
Nochmals führt Kastersund sein Fernglas an die Augen und schüttelt dabei leicht den Kopf. Seine Erfahrung als alter Seemann sagt ihm etwas anderes.
„Nein, das glaube ich nicht. Das kann keine Yacht sein, über hundert Meilen vor der Küste. Militär kreuzt hier draussen vermutlich auch keines. Die würden sich zu erkennen geben und hätten sicher keine kaputten Positionslichter.“
Obwohl sich der Steuermann auch jetzt noch keine Sorgen darüber macht, wonach das fremde Schiff möglicherweise zu nahe kommen und daraus eine Kollisionsgefahr entstehen könnte, kommt ihm die Sache ein wenig suspekt vor.
Kastersund legt sein Fernglas wieder an die alte Stelle und greift zum Bordtelefon.
„Ich werde wohl lieber mal den Kapitän orientieren...“
Er bemerkt nicht, dass sein Vorgesetzter auf der Kommandobrücke inzwischen unbemerkt in die Tasche gegriffen hat und nun eine Pistole in der Hand hält. Ausserdem kehrt er ihm in diesem Augenblick den Rücken zu. Er meint sich deshalb auch verhört zu haben, als er von Pengsong eine Antwort auf seine kurz vorher gemachte Äusserung erhält.
„Das würde ich nicht tun...“
Irritiert über diese Äusserung dreht sich Kastersund nun zu Pengsong um und will erklären, dass es doch wohl besser sei...
In diesem Augenblick bemerkt er die Pistole, deren Lauf nun auf ihn zielt.
Kastersund ist nicht so leicht aus der Fassung zu bringen. Aber nun nimmt er doch seine Pfeife aus dem Mund, während er noch immer den Telefonhörer auf Kopfhöhe hält.
„Was soll das, Pengsong? Sind Sie verrückt geworden?“
Dann jedoch geht bei Kastersund ein Licht auf. Er ist schon zu lange in diesem Geschäft und hat natürlich auch schon von anderen Schiffsbesatzungen gehört, wie ein Überfall auf hoher See ablaufen kann.
Dennoch versucht er nochmals den Ersten Offizier zur Vernunft zu bringen.
„Machen Sie keinen Scheiss, Pengsong! Legen Sie die Waffe weg und ich vergesse das Ganze!“
Langsam senkt er den Arm und drückt nun den Telefonhörer in die Halterung zurück.
Dann wird die gefährliche Situation auf der Kommandobrücke unterbrochen, denn die beiden angeblichen Studenten betreten blitzschnell den Raum. Ohne ein Wort zu sagen entledigen sie sich ihrer Windjacken. Kastersund verfolgt perplex dieses Vorgehen. Er muss auch verdutzt zur Kenntnis nehmen, dass Pengsong den beiden Chinesen nun einige Anweisungen gibt. Sofort begibt sich eines der Schlitzaugen an das Kommandopult und öffnet die Türchen in dessen Unterbau.
Kastersund hält noch immer seine Hand auf dem Telefonhörer. Er glaubt, einen Augenblick lang unbeachtet zu sein, weshalb er den Hörer hochreisst und die Taste zur Kapitänskabine drücken will.
Sein Finger gelangt jedoch nicht mehr bis zur Taste. Pengsong ist wohl doch nicht der überaus freundliche und zuvorkommende Chinese, wie alle geglaubt haben. Denn ohne mit der Wimper zu zucken, drückt er zweimal auf den Abzug seiner Waffe und die Kugeln erreichen ihr Ziel.
Sven Kastersund nimmt nicht mehr wahr, wie sein Körper auf dem Boden des Kommandoraumes aufschlägt. Denn zu diesem Zeitpunkt ist er bereits tot, weil ihm eine der Kugeln in den Kopf eingedrungen ist...
„Sie sollten vielleicht besser auf die Kommandobrücke kommen. Wir haben da ein kleines Problem.“
Diese Worte tönen Jörgensen ans Ohr, nachdem er den Anruf über das Bordtelefon entgegengenommen hat. Seit dem Vorfall auf der Kommandobrücke ist ungefähr eine halbe Stunde vergangen. Der Anruf stammt von seinem Ersten Offizier Pengsong.
„Okay, ich komme.“
Jörgensen sieht auf seine Armbanduhr. 21 Uhr 40.
Bevor er die Kabine verlässt, sieht er noch zum Bullauge hinaus. Die See ist spiegelglatt und der Himmel sternenklar. Also kann seitens der Wetterlage kein Problem entstanden sein. Auch die schweren Dieselmotoren, die in der Ferne ein notorisches Brummen verursachen, verüben weiterhin vertrauensvoll ihren Dienst.
Rasch hat sich Jörgensen seine Jacke übergeworfen und seine Mütze aufgesetzt. Danach verlässt er nicht gehetzt, aber doch rasch seine Kabine. In zwei Minuten würde er die Kommandobrücke erreicht haben...
Als Knut Jörgensen noch die letzten Stufen hinauf zum Kommandoraum der Seastar steigt, deutet nichts darauf hin, dass etwas nicht stimmen könnte. Die Mannschaft befindet sich unter Deck, da keine Arbeiten zu verrichten sind. Auch die See ist weiterhin ruhig.
Kopfschüttelnd öffnet er die Türe und tritt in den Kommandoraum. Er wäre ein schlechter Kapitän, würde er nicht sofort feststellen, dass der Steuermann nicht an seinem Platz steht. Nur Pengsong steht vor dem Kommandopult und beugt sich soeben über das Radargerät.
Jörgensen tritt ohne Bedenken ganz in den grossen Raum und begibt sich nun in die Nähe seines Ersten Offiziers.
„Wo ist Kastersund?“, will er wissen, wobei er sich nochmals umsieht.
Noch immer steht Pengsong beim Radargerät und wendet ihm den Rücken zu.
„Kastersund? Der ist heimgegangen.“
„Heimgegangen? Was reden Sie da für einen Blödsinn, Mann!“
Dann dreht sich Pengsong um und Jörgensen sieht, dass er eine Pistole in der Hand hält.
Wie der Steuermann noch einige Minuten vorher ist nun auch der Kapitän über die Situation erstaunt. Auch er meint, die Angelegenheit regeln zu können.
„Was soll das, Pengsong. Sind Sie verrückt geworden? Legen Sie sofort die Pistole weg!“
Pengsong lächelt den Kapitän nur an.
In diesem Moment bemerkt Jörgensen einen Blutfleck auf dem sauber gebohnerten Fussboden. Er ahnt, was passiert sein könnte, kann es aber nicht glauben.
„Was ist mit Kastersund?“
Verärgert will er nun zu seinem Ersten Offizier hingehen und ihm einfach die Pistole wegnehmen. Er ist ja schliesslich hier der Kapitän. Pengsong jedoch fordert ihn sofort auf, stehenzubleiben.
„Bleiben Sie stehen, Jörgensen, oder ich blase Ihnen auch den Schädel weg!“
In diesem Augenblick tauchen auch wieder die beiden chinesischen Studenten auf, die sich bis zu diesem Augenblick hinter einem riesigen Schaltschrank versteckt hielten. Jörgensen bemerkt, dass die beiden bis an die Zähne bewaffnet sind.
Unvermittelt kommt er der Aufforderung seines Ersten Offiziers nach und bleibt stehen. Fassungslos sieht er nochmals auf den Fussboden, wo die Blutlache Realität ist. Dann sieht er zuerst zu den beiden Chinesen, die bis über beide Ohren lachen und anschliessend wieder zu Pengsong.
Dieser gibt in diesem Augenblick in chinesischer Sprache wieder einen Auftrag an die beiden anderen Kumpane. Sofort macht sich dann einer davon abermals am Kommandopult zu schaffen.
Jörgensen muss sich zusammennehmen, dass er die Übersicht nicht verliert.
„Sagen Sie mir jetzt endlich, was hier los ist, Pengsong?“
Nun lächelt auch er. „Das sehen Sie doch. Ich habe soeben das Schiff übernommen!“
Jörgensen weiss nicht, was Pengsong eigentlich vorhat.
„Sind Sie verrückt...“
Er spricht nicht weiter, denn nun dämmert es auch ihm, worum es hier geht. Ein sogenannter Überfall auf See, wovon er schon öfters gehört hat. Dies geschieht aber vielfach in den Gewässern der Südsee und weniger hier, in diesen Breitengraden.
„Sie werden in keinen Hafen mit der Seastar einlaufen können. Man würde zu früh merken, wenn wir unsere Route verlassen!“
Pengsong lächelt weiter.
„Lassen Sie das mal unser Problem sein, Jörgensen.“
Im gleichen Augenblick meldet sich der Chinese zu Wort, der sich unter dem Kommandopult zu schaffen machte. Während er wieder hervorkriecht, hält er einen kleinen Metallkasten in der Hand, dessen elektrische Zuleitung weiterhin in das Kommandopult führt.
Jörgensen weiss, worum es sich bei diesem Kasten handelt. Das Ortungssystem über Satellit.
Damit kann nicht nur an Bord der Seastar jederzeit die genaue Position berechnet werden, sondern auch via Internet von der Reederei und den übrigen Schifffahrtsbehörden.
Etwas süffisant wendet er sich an Pengsong und weist dabei mit einer Kopfbewegung auf den Chinesen, der die Satellitenortung ausgebaut hat.
„Ist offenbar kein Student?“
Pengsong gibt bereitwillig Auskunft.
„Ciau war Student. Er hat eine Ausbildung als Schiffselektroniker hinter sich.“
„Und was will er nun mit dem Ding da?“
Jörgensen weist auf den Metallkasten.
Überraschend bereitwillig gibt der Verbrecher Auskunft.
„Natürlich haben Sie recht damit, dass wir mit der Seastar in keinen Hafen einlaufen können. Aber das wollen wir ja schliesslich auch nicht.“
„Und wieso demontieren Sie dann die Satellitenortung?“
„Wir demontieren sie nicht, sondern wollen nur ein wenig damit spielen.“
Jörgensen sieht, wie einer der Studenten einen Laptop aus dem Rucksack nimmt und diesen mittels eines Kabels am Gerät der Satellitenortung verbindet. Nach wenigen Sekunden befindet sich der geschulte Schiffselektroniker im Betriebssystem der Satellitenortung.
Der Kapitän sieht nur einen kurzen Augenblick zu Pengsong, der damit errät, was sein ehemaliger Vorgesetzter überlegt.
„Was man heute nicht alles mit der lieben Technik anstellen kann? Übrigens habe ich vergessen zu erklären, dass sich Ciau auch grundlegende Kenntnisse im Bereich der Informatik angeeignet hat. Er wird nun eine vordefinierte Route eingeben - sagen wir einmal, ja zum Beispiel die Nordostküste Brasiliens - und die aktuelle Satellitenortung deaktivieren. Anschliessend aktiviert er seine Datei und übermittelt so die gespeicherte Route an den Satelliten.“
Jörgensen ist sich sofort bewusst, was das bedeutet. Während sich die Seastar offiziell weiterhin auf dem vorgeschriebenen Kurs befindet und dieser Verlauf auch von der Reederei oder den Behörden über das Internet abgerufen werden kann, wird das Schiff in Tat und Wahrheit eine ganz andere Route befahren.
„Und wozu das alles? Ich nehme an, Sie wollen einen Teil der Ladung und verschwinden dann.“
Pengsong lächelt den Kapitän der Seastar überlegen an.
„Reine Vorsichtsmassnahme, Herr Jörgensen.“
Mit der gesamten Wahrheit seines Planes rückt er zu diesem Zeitpunkt noch nicht heraus.
„Und wie bringen Sie die Ware von Bord?“
„Ganz einfach. Wir laden um!“
Der chinesische Rädelsführer deutet links vom Kapitän zum Fenster hinaus. Dort ist unterdessen ein zweites Schiff neben der Seastar aufgetaucht, das jedoch keine Positionslichter aufweist. Ein sogenanntes Stückgutschiff, das in den Laderäumen Zwischendecks aufweist, um den vorhandenen Platz optimal ausnützen zu können. Hingegen ist das Schiff weniger für die Lagerung von Containern geeignet. Dafür verfügt das Schiff über Ladegeschirr, was wiederum die Seastar nicht hat. Nur einen Brückenkran.
Jörgensen kann nun auch beobachten, dass soeben zwei Schlauchboote vom fremden Schiff ablegen, die jeweils mit mehreren Männern besetzt sind.
Nun ist es Jörgensen, der ein Lächeln aufsetzt.
„Da kriegen Sie keine zehn Container unter. Das Schiff ist nicht für Container geeignet.“
„Oh, wir wollen ja auch nicht alle Container. So unverschämt sind wir nun auch nicht. Nur ein paar Bestimmte. Und dann wollen wir auch nicht die Container selbst. Die können Sie behalten. Wir wollen nur deren Inhalt!“
Auf der Stelle verschwindet nun das Lächeln aus dem Gesicht des Ersten Offiziers. Sein Gesicht verwandelt sich in eine brutale Fratze.
„So, und nun haben wir genug geplaudert!“
Pengsong nimmt den Hörer des Bordtelefons in die Hand und streckt ihn dem Kapitän des Schiffes entgegen.
„Sie werden nun die Crew zusammenrufen, Jörgensen! Sie sollen sich alle unverzüglich im Essraum versammeln!“
„Und, wenn ich es nicht tue?“, erkundigt sich Jörgensen.
„Dann, mein lieber Freund. Dann werden Sie Ihrem Steuermann Gesellschaft leisten und ich gebe dann die Anordnung in Ihrem Namen durch.“
Jörgensen ist sich bewusst, dass Pengsong nicht spasst. Er muss zunächst einmal das machen, was ihm gesagt wird. Vielleicht ergibt sich irgendwann eine Gelegenheit, das Kommando über das Schiff wieder übernehmen zu können.
Weiter kann Jörgensen nicht überlegen, denn er wird plötzlich von einem der anderen Chinesen von hinten mit der Maschinenpistole in den Rücken gestossen. Auf diese Weise wird der Befehl des Ersten Offiziers untermauert.
Jörgensen nimmt den Hörer vom vormals so netten und dienstbeflissenen Ersten Offizier entgegen und will dann auf eine bestimmte Taste an der Telefonanlage drücken. Augenblicklich würde dann in allen erdenklichen Räumen des Schiffes ein Gong ertönen, womit signalisiert wird, dass eine wichtige Meldung von der Kommandobrücke verbreitet wird. Mann und Maus an Bord sind verpflichtet, den in der Meldung enthaltenen Befehlen unverzüglich nachzukommen.
In diesem Moment hält Pengsong dem Kapitän die Pistole an die Schläfe.
„Aber, ich warne Sie. Kommen Sie auf keine dummen Gedanken. Ich zögere keinen Augenblick lang, abzudrücken!“
Mit ruhiger Stimme drückt Jörgensen dann auf den Knopf und gibt die geforderte Anweisung an die Mannschaft weiter...
Dem Kapitän sind sprichwörtlich die Hände gebunden. Die einfachen Kabelbinder, mit denen seine kräftigen Handgelenke gefesselt wurden, drücken schmerzhaft in die Haut.
Er wurde auf das Ladedeck gebracht. Wie er nun feststellen kann, sind auch die Männer, welche mit dem Schlauchboot vom anderen Schiff herübergesetzt hatten, mit Maschinenpistolen bewaffnet. Ein Teil davon bewacht die Besatzungsmitglieder der Seastar im Essraum. Auch sie wurden in der Zwischenzeit gefesselt und mussten sich auf den Fussboden setzen.
Sein ehemaliger Erster Offizier hat die Lage vollends im Griff. Immer wieder gibt er den übrigen Verbündeten irgendwelche Anweisungen, die Jörgensen jedoch aufgrund der chinesischen Sprache nicht versteht. Hingegen kann er beobachten, wie sie offensichtlich einen ganz bestimmten Container suchen. Dabei stützen sie sich auf die Frachtbriefe und den Ladeplan, der von Pengsong zur Verfügung gestellt wurde.
Jörgensen steht immer noch in der Nähe des Mannes, der seinen Steuermann kaltblütig umgebracht hat. Gleichzeitig wird er aber von einem der chinesischen Studenten bewacht. Es interessiert ihn, was die Terroristen - und das sind für Jörgensen Terroristen - eigentlich suchen.
„Suchen Sie etwas bestimmtes, Pengsong?“
Der Angesprochene dreht sich zwar zum Kapitän der Seastar um; gibt jedoch keine Antwort. Er wendet sich wieder der Suchmannschaft zu.
Plötzlich vernimmt Jörgensen einen Ruf von einem der Chinesen, der die Frachtpapiere in den Händen hält. Vermutlich haben sie den gesuchten Container gefunden.
Bereits wird auch schon der Brückenkran der Seastar in Bewegung gesetzt und nach einigen Minuten steht ein blauer Container ebenfalls auf dem Vordeck.
Jörgensen weiss nicht, um was für einen Container es sich hier handelt. Er kennt auch dessen Inhalt nicht. Aber er weiss, aufgrund der Lagerung, dass dieser Container bei ihrem Zwischenhalt in Singapur zugeladen worden ist. Deshalb stand er auch irgendwo in vorderster Reihe und konnte schnell gefunden werden.
Der Container wird nun auf der Stelle aufgebrochen und die Flügeltüren geöffnet. Dann gibt Pengsong sofort ein Handzeichen, woraufhin ein Gabelstapler herangefahren wird.
Jörgensen kann nicht sehen, was sich in dem Container befindet, da ihm die Sicht verdeckt wird. Aber viele Waren können darin nicht gelagert sein, denn der Hubstapler fährt sogar hinein. Drei weitere bewaffnete Chinesen verschwinden dann ebenfalls im Innenraum des riesigen Transportbehälters. Nach wenigen Minuten wird der Hubstapler wieder herausgefahren.
Nun ist Jörgensen doch überrascht, als er sieht, was der Stapler aufgeladen hat. Etwa ein 1 Meter 50 Zentimeter hoher und etwa 80 Zentimeter breiter Safe wurde mit starken Halteseilen an einer Holzpalette derart befestigt, dass der Wertbehälter selbst bei grössten Erschütterungen nicht umkippen kann.
Jörgensen ist der Meinung, dass sich in diesem Safe wohl nicht so viel Geld befinden kann, wofür sich ein solcher Überfall lohnen würde. Einmal mehr versucht er einige Informationen zu erhalten.
„Na, Pengsong! Ihr Bankraub ist wohl ein bisschen klein ausgefallen! Mit den paar Dollars werden Sie und Ihre Leute wohl kaum lange ein sorgenfreies Leben führen können!“
Pengsong geht mit einem Lächeln im Gesicht auf seinen ehemaligen Vorgesetzten zu.
„So? Sie meinen also, dass 160 Millionen Dollar wohl nicht ausreichen?“
Jörgensen sieht Pengsong mit hochgezogenen Augenbrauen an.
„Sie wollen mir doch nicht weismachen, dass sich darin Bares im Wert von 160 Millionen Dollar befinden?“
„Geld nicht. Aber Tausende von klitzekleinen, funkelnden Steinchen, die man Diamanten und Edelsteine nennt. Und wenn man diese an der richtigen Stelle einwechselt, dann dürfte doch wohl genügend Kleingeld für ein sorgenfreies Leben herausspringen, oder nicht?“
Jörgensen kann darauf keine Antwort geben. An so etwas hat er natürlich nicht gedacht. Er weiss natürlich, dass sich in den Containern mitunter echte Kostbarkeiten befinden, die auf diese Weise von Asien nach Europa transportiert werden oder umgekehrt. Zum Beispiel Kunstgegenstände oder Bilder. Aber Diamanten? Und dann noch mit einem solch hohen Gegenwert?
Bereits wird der Safe an den Ladekran des fremden Schiffes gehängt, das, wie Jörgensen beiläufig sehen konnte, unter Algerischer Flagge fährt.
Wut kommt in Jörgensen auf, als er ansehen muss, wie der Safe am langen Stahlseil hängend langsam im Laderaum des Stückgutschiffes verschwindet.
Dann gibt Pengsong seinen Kumpanen eine weitere Anweisung, noch andere Container aufzubrechen. Wieder nimmt er dabei die Ladepapiere zu Hilfe und sucht sich damit die geeigneten Container aus.
Weiterhin machtlos muss Jörgensen dann mitansehen, wie aus diversen Containern noch riesige Mengen an Waren ausgeladen und auf das andere Schiff gebracht werden. Dabei handelt es sich zumeist um Artikel aus der Elektronikbranche. Mobiltelefone, Computer, Fernseher, usw.
Nach ungefähr drei Stunden ist der Spuk vorbei.
Pengsong wendet sich nochmals an den Kapitän der Seastar.
„So, mein Lieber. Nun heisst es wohl, Abschied zu nehmen!“
„Was haben Sie vor, Pengsong? Wollen Sie uns nun alle umbringen?“
„Unsinn. Unser kleines Spielchen mit dem Satelliten wird in etwa 24 Stunden enden. Dann wird die aktuelle Ortung wieder ihren Dienst aufnehmen und man kann sofort feststellen, wo sich die Seastar befindet. Und da sich das Schiff zu diesem Zeitpunkt bereits weit abseits der vorgesehenen Route befindet, wird Ihre Reederei wohl den Grund dafür erfahren wollen und dementsprechende Massnahmen einleiten. Also, verhalten Sie sich einige Stunden lang ruhig und warten Sie die Ankunft des Suchflugzeuges ab.“
Weder Jörgensen noch die übrige Crew ahnt, welcher Teufel in dem Chinesen steckt. Denn nicht im Traum denkt Pengsong daran, irgendeinen Zeugen am Leben zu lassen. Sein verbrecherischer Bund mit dem Namen Black Tiger, dem er angehört, duldet keine Zeugen. Die Organisation, deren Mitglieder als Erkennungszeichen ihrer Zugehörigkeit alle einen kleinen Tigerkopf am linken Handgelenk eintätowiert haben. Auch Pengsong trägt ein solches Tattoo! Aber er trägt nebst dem üblichen Stern noch zwei weitere. Drei Sterne werden nur vergeben, wenn sich der Träger nicht nur äusserst loyal gegenüber seinem Herrn verhält, sondern wenn er auch noch äusserst brutal und ohne Kompromisse gegen seine Gegner vorgeht.
Keiner der Crewmitglieder hat bemerkt, dass während des Raubzuges durch die Terroristen an bestimmten Stellen der Seastar Sprengstoff angebracht wurde.
In militärischem Ton gibt Pengsong über ein Walkie-Talkie die Anweisung, dass nun alle Männer in einen der tiefer gelegenen Lagerräume gebracht werden sollen. Auch Jörgensen wird nun hart am Oberarm gepackt und über das Ladedeck getrieben.
Unter der Bewachung der Terroristen werden er und seine Crew zum untersten Ladedeck gebracht, wo sie sich auf den öligen Fussboden setzen müssen. Umringt von unzähligen Frachtgebinden, die nicht extra in Container untergebracht wurden.
Es handelt sich um einen riesigen, in sich geschlossenen Raum, der ausser der hydraulischen Ladeluke nur noch über einen Nebeneingang zu erreichen ist. Und die Türe zu diesem Laderaum besteht aus hartem Stahl, die unüberwindbar ist, hält man sich nicht auf der dahinterliegenden Seite auf.
Ohne Worte, aber mit einem Lachen auf dem Gesicht verlassen die Terroristen rasch den Laderaum und verriegeln die Türe von aussen.
Die Männer der Seastar werden ungefähr zehn Meter unterhalb der Wasserlinie ihrem mörderischen Schicksal überlassen...
„Na, das ist aber eine Überraschung!“
Tom Daenzer ist tatsächlich überrascht, nach so langer Zeit wieder einmal etwas von einem seiner ehemaligen Klienten und seinem Freund zu hören.
„Gregor, wie geht es dir?“
Gregor Heitzmann befindet sich am anderen Ende der Leitung in einem bequemen Ledersessel und sieht soeben durch das Fenster auf eine der stark belebten Strassen Frankfurts hinaus. Auch in der grössten Finanzmetropole Deutschlands ist der Frühling eingezogen und man erfreut sich bereits wieder an der kräftig scheinenden Sonne. Dennoch sind die Temperaturen noch ein wenig kühl.
„Danke der Nachfrage, Tom. Die Geschäfte könnten nicht besser gehen! Die Bankgeschäfte florieren, die Börse hält sich gut und auch meine Scherflein werfen genügend Zinsen ab. Und ausserdem, du weißt ja, Hauptsache, man ist gesund!“
Tom muss herzhaft lachen.
„Ja, das stimmt, Gregor. Das vergessen die meisten Leute immer wieder. Geld ist nicht alles. Die Gesundheit ist viel wichtiger!“
„Und dass ich heute noch so gesund bin, verdanke ich dir, lieber Tom!“
Gregor Heitzmann erinnert den Privatdetektiv an das gemeinsam erlebte Abenteuer im Berner Oberland. (Die Jagd nach dem Panther, ISBN 3-908730-34-1).
Obwohl der Bankdirektor am anderen Ende der Leitung es nicht sehen kann, vollführt der Privatdetektiv mit seiner Hand eine abwinkende Bewegung.
„Ach, das war ja nicht der Rede wert! Ich glaube, wir haben beide Glück gehabt.“
Nun wedelt auch der Bankdirektor mit seiner freien Hand in der Luft herum.
„Nein, nein, lieber Tom. Stell dich nicht derart unter den Scheffel. Du weißt ganz genau, dass da nicht nur Glück im Spiel war. Ich habe es schliesslich nur deiner Erfahrung und deiner Hartnäckigkeit zu verdanken, dass ich einerseits überhaupt noch lebe und andererseits nicht im Gefängnis sitze.“
„Na, na...“, erwidert Tom. „So ist es doch wohl auch nicht. Du hättest vielleicht ein bisschen länger in Untersuchungshaft gesessen, wärst dann aber schon wieder freigelassen worden.“
Heitzmann wirkt einen Augenblick lang nachdenklich.
„Also so einfach wäre es wahrscheinlich auch nicht gerade gewesen..., aber, was soll’s!“
Tom stimmt ihm zu.
„Ja, du hast recht. Was soll’s. Aber, geschätzter Freund, was verschafft mir denn die Ehre deines Anrufes?“
Gregor Heitzmann wendet sich vom Fenster ab und setzt sich wieder an seinen Schreibtisch. Dabei stützt er seine Arme auf der Tischplatte auf. Vor ihm liegt ein Dossier von einem seiner Kunden.
„Ja, genau, Tom. Also, ich hätte da was für dich! Sozusagen ein Auftrag, sofern du überhaupt daran interessiert bist?“
Tom ist immer für lukrative Aufträge zu haben. Zudem würde sich Gregor nicht bei ihm melden, hätte er nicht wirklich etwas Interessantes zu bieten.
„Dann lässt du am besten einmal die Katze aus dem Sack, Gregor. Soll ich etwa deinen Pool auf Mallorca reinigen?“
Gregor Heitzmann lacht laut heraus.
„Alter Witzbold! Ja, würdest du einen solchen Auftrag denn auch übernehmen?“
„Wenn genügend dabei herausspringt, wieso nicht?“
„Also, Tom. Ich kann dir versichern, dass bei der Sache, die ich dir anbieten will, garantiert mehr herausschaut, als wenn du nur meinen Pool reinigen würdest.“
„Was es auch ist, Gregor. Du kennst meine Konditionen. Fünfhundert im Tag plus Spesen. Bei Erfolgsbericht allenfalls noch einen kleinen Bonus.“
Gregor Heitzmann winkt ein weiteres Mal ab.
„Ja, ja. Ich weiss. Darüber brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Ich bin überzeugt davon, dass du sogar ein gewaltiges Honorar zu erwarten hast, solltest du auch nur den kleinsten Erfolg verbuchen können.“
Tom ist sonst die Ruhe in Person. Aber langsam interessiert es ihn schon, was der alte Fuchs im Bankwesen für ihn hat.
„Also, dann mal los. Worum geht es?“
„Okay. Also, meine Bank ist an einem Reedereiunternehmen beteiligt, das mit ihren Schiffen im Internationalen Handel tätig ist. Transport von Gütern über alle Weltmeere. Du weißt schon, was ich meine. Also, die Reederei Van Holsten hat ihren Sitz in Luxemburg und...“
Tom unterbricht den Bankdirektor schnell.
„In Luxemburg? Also soviel ich weiss, grenzt Luxemburg an kein Meer?“
„Stimmt, das hast du recht. Aber das hat auch nichts zu sagen. Van Holsten regelt sein Geschäft von dort aus. Luxemburg ist äusserst steuergünstig und viele wichtige Konzerne leiten ihre Unternehmen von dort aus. Etwa so ähnlich wie bei euch in der Schweiz in Zug.“
Ohne weiter auf eine Reaktion seines Gesprächspartners zu warten, führt der Bankdirektor weiter aus.
„Also, wie gesagt. Van Holsten ist ein alter Freund von mir und ich habe ihn vor einigen Tagen ganz zufällig in Hamburg getroffen. Wir sind dann zusammen essen gegangen und er hat mir dabei erzählt, dass vor etwa zwei Wochen eines seiner Containerschiffe mit dem Namen Seastar im Atlantik untergegangen sei. Beziehungsweise, seit ungefähr 18 Tagen fehlt von dem Dampfer jede Spur. Und die letzte Ortung war im Atlantischen Ozean, etwa auf der Höhe von Sierra Leone...“
Wieder unterbricht Tom seinen Freund.
„Sierra Leone? Afrika?“
„Ganz richtig. Ich sehe, du kennst dich nicht nur in den Schweizer Alpen, sondern auch andernorts aus.“
Selbstverständlich war die letzte Äusserung von Gregor Heitzmann als witzige Bemerkung gedacht, was Tom auch so realisiert.
„War ja schliesslich mal in der Schule...“, ist die ebenfalls zynische Antwort des Privatdetektivs.
„Aber was soll ich bei der ganzen Sache? Soll ich das Schiff suchen?“
„Nein, natürlich nicht, Tom. Selbstverständlich hat man nach dem riesigen Koloss dort gesucht, wo letztmalig die Satellitenortung noch funktionierte. Aber am Abend des 5. April brach nicht nur die Ortung plötzlich ab, sondern konnte die Seastar auch über Funk oder Kurzwelle nicht mehr erreicht werden. Am nächsten Morgen hat man Suchflugzeuge und andere Schiffe losgeschickt, um die Seastar zu suchen. Erst nach drei Tagen hat ein Flugzeug der Navy, ungefähr 700 Kilometer westlich vor der Küste Afrikas eine grössere Öllache entdeckt. Alle Suchschiffe wurden dann in diese Region entsandt, wo sie dann schliesslich auf dem Wasser treibende Bestandteile eines Schiffes geborgen haben. Es handelt sich dabei eindeutig um Material der Seastar…“
„Ich nehme an, dass in diesem Bereich der Atlantik wohl ein wenig tiefer ist als ein Planschbecken?“
„So ist es, Tom. Bis geeignete Tauchmittel vor Ort zur Verfügung stehen, werden vermutlich noch Wochen, wenn nicht sogar Monate vergehen. Und wie es aussieht, gibt es keine Überlebende.“
„Das ist schlimm“, bemerkt Tom bedrückt.
Der Detektiv weiss aber immer noch nicht, für welche Rolle er in diesem Spiel vorgesehen ist.
„Und weiter? Was hat das alles mit mir zu tun?“
Gregor Heitzmann wendet sich während dem Telefonat wieder dem Fenster zu und führt weiter aus.
„Also, Folgendes. Die Internationale Seeschifffahrtskommission hat natürlich eine Untersuchung eingeleitet. Aber wie ich bereits erklärte, bis man zum Schiff abtauchen kann, wird noch eine Weile vergehen. Und dann steht noch nicht fest, ob die Ursache für den Untergang überhaupt geklärt werden kann. Was nun aber bereits aktuell wird, sind die Versicherungsfragen.“
„Ja, das ist klar.“, antwortet Tom knapp.
„Aber jetzt, Tom, halt dich fest. Aus diesem Grund war Van Holsten auch in Hamburg, wo er vor einem weiteren Untersuchungsausschuss einige Aussagen zu machen hatte. Denn vor einigen Tagen gelangten in Casablanca, das liegt ja auch in Afrika, genauer gesagt, in Marokko, diverse Waren auf den Schwarzmarkt, die offensichtlich von der Seastar stammen. Es handelt sich dabei grösstenteils um Artikel aus der Elektronikbranche. Computer und dergleichen. Nun fragt man sich natürlich, wie diese Waren sozusagen in den Handel kommen konnten, obwohl das Schiff, das die Waren transportierte, ja gesunken ist.“
Tom runzelt die Stirn.
„Ja, das stimmt. Das ist wirklich sonderbar. Und da gibt es keinen Zweifel, dass sich die Waren vorher auf diesem Containerschiff befunden haben?“
Gregor Heitzmann schüttelt den Kopf, was sein Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung natürlich nicht sehen kann.
„Nein, offensichtlich nicht. Man hat die Registraturnummern der Geräte mit denjenigen verglichen, die in den Ladepapieren und Verträgen hinterlegt waren. Und die dementsprechenden Container wurden in Japan aufgeladen.“
„Und dazwischen wieder ausgeladen?“ Tom denkt natürlich bereits wieder einige mögliche Varianten durch, um solche Begebenheiten erklären zu können.
„Nein, das war offensichtlich nicht der Fall.“
„Und wieso nicht?“
„Weil die Container sich noch an Bord befanden, als die Seastar in Singapur wieder ablegte. Da gibt es gar keinen Zweifel. Und einen weiteren Zwischenhalt hat der Containerriese nicht eingelegt. Das kann eindeutig aufgrund der protokollierten Fahrroute des Schiffes nachgewiesen werden.“
Tom kann sich im Moment auch keinen Reim darauf machen.
„Und was soll ich nun dabei?“
„Na ja. Ich habe mir gedacht, dass es vielleicht nicht schlecht wäre, wenn du einmal ein paar Recherchen anstellen würdest. Ich habe das mit Van Holsten bereits soweit eingefädelt, dass er dir freie Hand lässt. Es liegt natürlich nun auch in seinem Interesse, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Und eben, die Bezahlung wäre mehr als gut. Ich verfüge da nämlich noch über eine andere Adresse, die ziemlich interessiert am Schicksal der Seastar und ihrer Ladung ist.“
„Und um wen handelt es sich dabei?“
„Sagt dir der Begriff Lloyds etwas?“
„Lloyds? Lloyds? Meinst du etwa die britische Versicherungsgesellschaft mit Sitz in London?“
„Genau die“, antwortet Heitzmann stolz.
„War denn die Seastar bei Lloydsversichert?“
„Die Seastar selbst nicht. Die war bei einer anderen Gesellschaft versichert. Dafür aber ein spezieller Container, der in Singapur dazu geladen worden ist.“
„Und, was befand sich in diesem Container? Gemälde oder andere Kunstgegenstände?“
Der Detektiv ist auf dem richtigen Weg. Wenn jemand schon eine bestimmte Ladung eines Transportes bei Lloyds