Toni - Ute Wegmann - E-Book

Toni E-Book

Ute Wegmann

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Beschreibung

Eine herzerwärmende Oma-Enkelin-Geschichte Ferien bei Oma auf dem Land. Toll, aber leider wohnt da niemand in Tonis Alter. Doch dann lernt sie einen Jungen kennen, der auch fremd ist im Dorf. Mit ihm kann sie Boot fahren. Und es gibt nebenan den brummigen Nachbarn. Immer, wenn der wegfährt, besucht Toni seine Tiere. Als Toni zufällig ein Telefonat mithört, denkt sie, der Bauer wolle seine Hühner schlachten. Ganz klar, eine solche Bluttat muss verhindert werden! Die nächtliche Hühnerentführung zum totsicheren Versteck gelingt. Anfänglich. Aber dann endet alles in einem Desaster mit großem Feuerwehreinsatz. (Zum Glück ohne Verletzte.) Dumm gelaufen! Vor allem, weil der Bauer gar nicht daran gedacht hatte, seine Tiere in den Hühnerhimmel zu schicken ...  

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Seitenzahl: 126

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Ute Wegmann

Toni

dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

Mit Hühnern von Rotraut Susanne Berner

 

 

 

 

 

 

Für Dela und Marie, meine beiden Großmütter

Die sind dabei

Toni (tierlieb, Rechtsaußen-Spielerin stark und mit vielen Geheimnissen)

Grossi, Großmutter, Oma (gute Brotbäckerin und sehr gute Autoscooterfahrerin, raucht Zigarillos und trinkt Rotwein, fuscht beim Kartenspielen)

Vater Sebastian (Apfelkuchenliebhaber und Kinderuntertaucher)

Mutter Milena (ob Perücke oder Tuch – sieht immer super aus)

Der Muffkopf (muffeliger Bauer mit bärig schöner Stimme)

Die Emmi (Schnecken- und Zwetschgensammlerin und Kräuterfrau)

Der Lorenz (mit einem tollen Laden für alles)

Die Trudi (Gedichteschreiberin auf dem Berg)

Antonio (bester Wacholderdrosselkenner, nicht so guter Fußballer, erstklassiger Pasta-Vernichter)

Die Schafe (dusselig)

Fräulein Limonade (die süßeste Ausnahme, verrückt auf »Superjeile Zick«)

Die Enten Quock und Quack (immer am Brunnen)

Die Hühner Onkel Braun und Tante Bruhn (pickend, gern auf der Stange hockend, fieberanfällig)

Hahn Redaktör (zu früh am Start)

Ein Pony (taucht nicht auf)

Bienen, Vögel, Blumen (überall)

Mücken und Fliegen und Wespen (überall nervend)

Riesen (die eigentlich Bäume sind)

Die Wolken (dick, weiß, rosa, orange)

Der See (moorig und schlammig)

Die Berge (hinten und vorne und rundherum)

Das Leben (schön)

Mörder

»Mörder! Ihr seid Mörder!«, schrie Toni und stürzte aus dem Zimmer. Die Eltern schauten auf das Huhn, das braun gegrillt auf dem Tisch stand und dampfte. Eine Tür fiel ins Schloss, der Schlüssel wurde herumgedreht.

»Man wird doch wohl noch einen Witz machen dürfen!«, sagte der Vater.

»Aber nicht unbedingt den Witz vom Hühnerhimmel, wenn so ein Tier auf dem Tisch steht«, antwortete die Mutter.

 

Toni wollte schreien und das Kissen zerbeißen und alles umwerfen. Sie hörte das Lachen ihrer Eltern, hielt sich die Ohren zu und drückte ihr Gesicht ins Kopfkissen.

Wenige Minuten später Schritte, die vor der Tür stoppten. Die Klinke wurde heruntergedrückt. Erfolglos.

»Toni, mach auf! Papa meint das nicht böse.« Dumpf drang die Stimme der Mutter durch die Tür.

Toni schluchzte.

»Er wollte witzig sein.«

»Ist er aber nicht!« Sie hob den Kopf, die Brillengläser nass und beschlagen.

»Du musst kein Huhn essen, wenn du nicht willst, aber setz dich bitte zu uns.«

»Ich will nicht mit Mördern an einem Tisch sitzen.« Toni nahm die Brille ab.

»Ich möchte, dass du jetzt rauskommst und Gemüse isst.«

»Geh weg!« Toni schmiss ihr Kopfkissen durchs Zimmer, knapp vorbei an der Schreibtischlampe und der offenen Wasserflasche. Der Papierkorb kippte um. Die Mutter begann zu zählen. Erst leise, dann lauter.

»Geh weg!« Toni war wütend. »Und hör auf zu zählen! Ich komm gleich.«

 

Die Schritte entfernten sich. Toni wischte die Brillengläser trocken und mit der Hand die Rotze weg. Sie stellte den Papierkorb wieder auf und schob zerknüllte Taschentücher und Schnipsel mit dem Fuß zusammen. Dann ging sie zurück in die Küche. Mit gesenktem Kopf setzte sie sich an den Tisch. Links die Mutter, rechts der Vater, dazwischen das Huhn. Die Wut kehrte zurück.

Da sitzen sie, die Bestimmer, die alles bestimmen: was ich essen soll, wann ich aufstehen soll, wo ich meine Ferien verbringe.

All diese Gedanken flogen durch Tonis Kopf, während sie den Fenchel und die Kartoffeln betrachtete, die die Mutter auf ihren Teller schaufelte.

Totes Huhn

Das Huhn dampfte nicht mehr. Der Zitronen-Knoblauch-Duft erfüllte die Küche. Toni saß schweigend vor ihrem Teller.

Als der Vater zur Geflügelschere griff, drehte sie den Kopf weg und schaute auf die Fußleisten.

»Es riecht köstlich. Wie in Apulien! Weißt du noch, Milenchen, als wir in der Gasse vor der Trattoria saßen …«

Die Mutter antwortete nicht, gedankenverloren schob sie eine Haarsträhne hinter die Ohren. Der Pony verrutschte leicht nach hinten. Lächelnd zupfte der Vater die Ponyhaare wieder in ihre Position.

Toni drehte den Träger ihrer Latzhose. Mit der anderen Hand hielt sie das Messer und stocherte im Fenchelgemüse. Die Kartoffeln lagen zerquetscht am Tellerrand. Der Vater legte den abgegessenen Knochen in eine Schale.

»Hol mal bitte Wasser«, wandte er sich an seine Tochter.

Toni ließ das Messer auf den Teller fallen.

»Immer ich!«

»Oft genug nicht du!«, erwiderte die Mutter.

Seitdem ihre Mutter krank war, musste Toni immer Sachen holen, bringen, aufheben, in den Schrank stellen, drüberheben, drunterschieben. Toni blieb sitzen. Die Stimmung am Tisch sank weiter.

»Das reicht jetzt, Toni.« Der Vater sprach leise.

Sie starrte auf das zerschnittene Gemüse.

»Schau mich an!«

In Zeitlupe hob sie den Kopf.

»Hast du gehört, was ich gesagt habe.«

Sie kniff die Lippen zusammen, und an ihren Wangen sah man, dass sie die Zähne fest aufeinanderpresste. Ihre Kieferknochen malmten. Die Mutter zupfte an ihrem Haar und zog den Pony zu weit in die Stirn.

»Gut, Toni, du redest nicht mehr mit uns. Vielleicht redest du ja mit deiner Großmutter.« Der Vater sprach ganz ruhig. »Ich fahre dich schon am Samstag hin, dann können wir hier in Ruhe packen!«

Stille.

Toni zog die Wangenhaut nach innen und kaute darauf herum.

»Warum am Samstag? Ihr habt versprochen, dass wir ins Kino gehen.«

»Ich muss Sonntagnachmittag ins Krankenhaus, deshalb ist es besser, Papa fährt dich vorher in die Berge.«

Toni stand auf.

»Wohin gehst du jetzt bitte?«, fragte der Vater.

»Wasser holen!«, antwortete sie wenig freundlich.

 

Toni stellte die Flasche auf den Tisch. Am Skelett des Huhns hingen dünne Sehnen und Fleischreste. Sie spürte einen wütenden Ekel. Ein Gefühl, das sie noch nie hatte.

Sie bringen mich einfach zu Grossi, weil ich unbequem bin, dachte sie.

»Besser bei Grossi in den Bergen als mit Mördern in einer Wohnung!«

Sie schob die Wörter einzeln durch die zusammengepressten Zähne.

»Hör mit diesem blöden Mördergerede auf!«, sagte der Vater.

Das Wut-Ekel-Gefühl wurde größer und größer. Sie stand auf und riss den Teller mit. Kartoffel und Gemüse klatschten auf den Fußboden. Mit der Hand schob sie alles zurück. Auf dem Holzboden blieb ein dunkler Fleck, den Teller mit dem Matsch stellte sie auf den Tisch.

Minuten später schlug die Zimmertür zu.

»Unnötig!« Milena sah betrübt aus.

»Absolut notwendig!«, antwortete Sebastian.

»Wir hätten ihr nichts von der Operation erzählen sollen.«

»Nein, Milena, das sehe ich anders. Sie ist zehn Jahre alt. Sie verkraftet das.«

»Ich weiß ja nicht mal, ob ich das verkrafte.«

Sebastian nahm Milena in den Arm.

»Du hast ja noch meine ganze Kraft. Ein kleiner Eingriff, dann hast du es überstanden, und ich freue mich auf deine neuen kurzen Haare.«

Milena strubbelte durch Sebastians Locken und küsste ihn.

Judy

»Die sind blöd!«, flüsterte Toni und drückte das Kuscheltier an die Brust. Niemand durfte wissen, dass sie manchmal mit ihm redete oder mit ihm einschlief. Aber jemanden im Arm halten war ein echter Trost, wenn man sich alleine fühlte.

»Er hätte mich fragen müssen. Er kann doch nicht einfach alles bestimmen, nur weil ich das Kind in der Familie bin. Toni, mach dies, Toni, mach das. Jetzt sagen sie, es sei wegen Mamas Krankheit. Aber als sie gesund war, war das auch nicht anders.«

Toni küsste den Affen mit der roten Latzhose.

»Und Selma? Ich muss mich mit ihr vertragen, schließlich sind wir beste Freundinnen. Wir wollten doch zusammen in den Fußballverein.«

Sie schaute den Affen an. »Kann ich was dafür, dass Paul in meine Mannschaft wollte? Nein! Das muss sie doch verstehen.«

 

Einige Jungs fanden es peinlich, mit Mädchen Fußball zu spielen. Toni kapierte das nicht. Es ging doch um Fußball und nicht um Knutschen oder so Liebeszeugs.

Ihr Vater hatte festgestellt, dass sie richtig gut dribbeln konnte, so gut wie der Fußballer mit den krassen O-Beinen. Sie hatte den Namen vergessen. O-Beine, tolles Kompliment, Papa!

Toni stellte sich vor den Spiegel. Ein Mädchen mit schwarzen Haaren in Latzhose und rosa T-Shirt schaute sie an.

»Meine Haare sind dick, aber der Rest ist Zucchini, guck mal, Judy. Zucchini ist zwischen Spargel und Blumenkohl.« Sie nickte ihrem Spiegelbild zu, nahm den Affen auf ihren Schoß und setzte sich aufs Bett.

»Schade, dass du nicht lebendig bist. Sonst könntest du die Sachen für mich erledigen: A wie Abfall wegbringen, M wie Milch holen, T wie Tisch decken, U wie … keine Ahnung.«

Toni schaute aus dem Fenster auf die Straße. »Und immer halten sie zusammen.«

Zum Glück lebte die Großmutter alleine. Bei ihr war sowieso alles anders. Sie war vor allem anders als alle Menschen, die Toni kannte. Sie wusste ganz viel über Bäume, Kräuter und Blumen und über Autos. Sie reparierte sogar ihren alten Sportwagen manchmal selber.

»Stell dir vor, sie kennt deutsche und englische Fußballvereine, obwohl sie schon alt ist«, sagte Toni zu Judy.

Je länger Toni zu ihrem Affen redete, umso mehr gefiel ihr die Idee, zwei Wochen bei Oma in den Bergen zu sein. Vielleicht konnte sie ihr was über Motoren beibringen? Abends würde Karten gespielt, und Toni wollte die Großmutter beim Fuschen erwischen. Schließlich sollte sie nicht immer gewinnen.

 

Oma lebte schon elf Jahre in Goldegg, länger, als Toni auf der Welt war, zwischen der Emmi und einem Bauern, den alle Muffkopf nannten, weil er immer schlechte Laune hatte.

Das Dorf war ihr neues Zuhause geworden. Hier konnte sie spazieren gehen, fotografieren, und im Herbst, wenn sie mehr Zeit im Haus verbrachte, machte sie Collagen, die sie auf dem Weihnachtsmarkt verkaufte. Als vor zwei Jahren die Bäckerin starb und der Laden geschlossen wurde, waren die alten Leute verzweifelt, weil der Weg zur nächsten Bäckerei zu weit war, vor allem im Winter. Da hatte Großmutter eine geniale Idee. Sie würde den Alten das Brot backen. Alle waren begeistert. Außer einem. Der wollte sich nicht helfen lassen. Der sture Bauer von nebenan.

»Die Oma ist ein richtig guter Mensch«, sagte Tonis Mama immer.

Plötzlich fühlte sich Toni ganz winzig und klein und traurig. Wegen ihrer Eltern, und weil sie doch nicht sicher wusste, ob sie zwei Wochen alleine von zu Hause weg sein wollte und weil Menschen keine Tiere essen sollten und weil die Mutter schnell wieder gesund werden musste.

»Man kann viele Menschen gern haben«, sagte Toni zu Judy. »Grossi, die Emmi und Vivi und Paul und Selma und meine Eltern. Jeden anders. Aber einige, das kannst du mir glauben, machen es einem ganz schön schwer.«

Erinnerungen

Streiten ist blöd, dachte Toni. Streit fühlt sich an wie zerbrochenes Glas. Auch zusammengeflickt, sieht man sofort die kaputten Stellen. Nie ist etwas wie vorher.

Toni strich mit den Fingern über die Narben an ihrem Bein. Das war auch zusammengeflickt, und die Narben erinnerten sie an schlimme Schmerzen und eine lange Zeit mit Krücken. Nie wieder würde sie bei Regen so hoch in einen Baum klettern. Obwohl Dinge manchmal ähnlich waren, konnte man einen Streit nicht mit einem gebrochenen Bein vergleichen. Sie wollte einfach ihre Meinung sagen können, auch wenn sie anders war als die ihrer Eltern. Vielleicht das nächste Mal weniger wütend, das würde sie sich vornehmen.

Seit der Sache mit dem Huhn gab es mittags Gemüse, meistens Blumenkohl, Möhren, Rote-Beete-Salat, Bohnen, Rührei oder Kartoffelbrei, selten mal Pizza oder Fischstäbchen.

 

Beim Haustüröffnen erkannte sie heute aber einen besonderen Duft: Spinatkuchen mit Blätterteig.

»Mama, lecker, mit Schafskäse?«, rief sie.

Milena küsste sie auf die Wange. »Bevor du am Samstag fährst, gibt es noch einmal dein Lieblingsessen.«

Toni konnte es kaum erwarten, dass die Mutter die heiße Form aus dem Backofen auf die Steinplatte stellte.

Es roch köstlich. Toni beobachtete ihre Mutter, die mit einem scharfen Messer den Kuchen in zwölf Stücke teilte.

Toni suchte das größte und stach ihre Gabel hinein, während die Mutter Wasser in die Backform laufen ließ. Sie trug ein buntes Tuch um den Kopf und sah wunderschön aus.

Plötzlich erinnerte sich Toni an ihr erstes Schuljahr und ihre erste Schulfreundin. Mira war die Schnellste beim Laufen und ein Sportass. Alles lernte sie von ihren drei älteren Brüdern. Als Mira stolz den Pokal vom 400-Meter-Lauf nach Hause trug, stand ein Krankenwagen vor der Tür. Ihre Mutter kam nie mehr zurück. Mira wurde ganz still und lief nicht mehr. Kurze Zeit später ist der Vater mit den Kindern weggezogen.

»Mama, du wirst doch wieder gesund, oder?«

»Aber natürlich, mein Herz, wer soll dir sonst diesen Kuchen backen? Dein Vater sicherlich nicht.«

»Und deine Haare?«

»Warte ab, die wachsen ganz schnell, dann kann ich wieder einen Zopf flechten wie du.«

Die Mutter setzte sich an den Tisch. »Du guckst aber ernst!«

Toni versuchte zu lächeln, aber es verrutschte.

»Wir streiten nie mehr wegen so einem Hühnerkram!«, sagte die Mutter und strich Toni über die Haare. »Und jetzt guten Appetit.«

Das nächste Lächeln klappte.

Goldegg

Die Freude auf die Ferien in den Bergen stieg von Tag zu Tag.

Toni telefonierte schon zum dritten Mal mit ihrer Großmutter.

»Ich muss mich ein bisschen an dich gewöhnen, Grossi«, sagte sie.

»Hast du vergessen, wer ich bin?«

»Nö! Du bist groß und hast lange Arme und große Hände.«

Großmutter lachte: »Und einen großen Mund!«

»Stimmt! Das hast du auch, einen großen Mund mit vielen schönen Zähnen.«

 

Wie sollte man Oma und ihr Dorf vergessen: Grossi und Goldegg.

Als Toni noch ein Kindergartenkind war, nannte sie das Dorf Goldei, wie goldenes Ei. Gol-dei, Gol-deieiei, lief sie singend durch Omas Garten.

Goldegg, das waren wenige Häuser, ein paar Bauernhöfe, zwei Hotels, der See mit dem Naturschwimmbad, in Goldegg sagte man Badeanstalt, und dem Fünfmeter-Holzsprungturm, Berge und die drei Wes: Wiesen, Weiden, Wald. Über allem ragte das Schloss mit seinen zwei Wehrtürmen, daneben die Kirche mit Friedhof. Es gab jede Menge Gräber mit schwarzen Eisenkreuzen, darin ovale Medaillons mit Fotos von Verstorbenen. Auf dem Friedhof, direkt neben der Kirchenmauer, war auch der Großvater beerdigt. Toni konnte sich nicht so gut an ihn erinnern, aber in Goldegg besuchte sie ihn immer. Zusammen mit der Großmutter stellte sie Blumen auf sein Grab und zündete ein rotes Friedhofslicht an. Oma redete auch mit ihm über Neuigkeiten. Manchmal hatte sie Fragen, die Antworten musste sie sich selber geben.

Wenn ich mal tot bin, möchte ich auch neben einem Schloss beerdigt werden, dachte Toni. Und irgendjemand bringt mir Blumen. Vielleicht mein Kind.

In einem Dorf wusste jeder fast alles über jeden. Wie in einer großen Familie, die in einem Haus zusammenwohnte. Die Großmutter kannte sogar die Unterhosen und Unterhemden von Muffkopf und der Emmi, weil jeder seine Wäsche im Garten trocknete. Nirgendwo standen hohe Hecken, und über die Gartenzäune konnten sogar Kinder klettern. Vom See führte ein Trampelpfad zwischen zwei Gärten zum Dorfplatz. Links und rechts standen Holzzäune, an denen im Sommer Touristen lehnten und Tomaten bestaunten oder Emmis seltene Blumen.

Das Beste an Goldegg ist der Geruch, erinnerte sich Toni. Das Dorf riecht außergewöhnlich gut nach Tier, nach nassem Fell mit Schweiß und dazu ein bisschen Gülle. In Goldegg gibt es alles, was man braucht. Außer: Kinder in Tonis Alter.

 

»Soll ich mein Fahrrad mitbringen, Grossi?«, fragte Toni beim nächsten Telefonat.

»Goldegg liegt in den Bergen, Toni! Vergessen?«

»Nein! Hast du noch die Spiele?«

»Schon, aber wir brauchen keine Spiele. Wir haben einen Garten, den See, Berge, Tiere … Das reicht doch, oder?«

»Ich bring trotzdem meinen Fußball mit.«

»Wie du willst!«

»Man soll alles ausprobieren, sagst du doch immer.«

Die Großmutter lachte.

»Kind, bist du aufgeregt!?«

»Warum?«

»Du warst doch schon alleine hier und hast dich mit mir nicht gelangweilt. Es klingt, als wolltest du mit Umzugswagen anreisen.«

»Vielleicht bleib ich ja länger. Mama und Papa finden mich manchmal anstrengend. Ich bin nicht so, wie sie sich das vorstellen …«