Weit weg ... nach Hause - Ute Wegmann - E-Book

Weit weg ... nach Hause E-Book

Ute Wegmann

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Beschreibung

Luisa läuft weg. Und merkt gerade noch rechtzeitig, wie sehr sie das vermisst, wovor sie die Flucht ergriffen hat. Luisa läuft weg. Und merkt gerade noch rechtzeitig, wie sehr sie das vermisst, wovor sie die Flucht ergriffen hat. Wenn ihre Familie nicht so anstrengend wäre, sie endlich eine Freundin finden und den Alltagkram besser geregelt bekäme, wäre das Leben für Luisa schön. Das Leben ist aber nicht schön. Weil Luisa verträumt und ein Schusselkopf ist: die Hausaufgaben vergisst, beim Einkaufen trödelt, bis die Geschäfte geschlossen haben, und auch gerne mal patzige und genervte Kommentare abschießt. Probleme über Probleme! Also wird zuerst das »Projekt Freundin« angepackt. Bietet sich an, weil Luisas Geburtstag bevorsteht. Alle Mädchen der Klasse lädt Luisa ein – und keine kommt! Doch, eine: die Klassensprecherin, aber nur aus Mitleid und nur ganz kurz. Und mit diesen Mädchen soll sie für eine Woche auf Klassenreise, mit ihnen in einem Zimmer schlafen? Das kann sie nicht. Völlig unmöglich, findet Luisa. Ihre Eltern finden das sehr wohl möglich: Luisa soll mit! Na gut, die Eltern sollen ihren Willen haben, Luisa geht auf Reisen, aber nicht mit der Klasse ins Schullandheim, sondern als blinder Passagier eines Lastkahns auf dem Rhein, immer Richtung Schweiz...

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Seitenzahl: 116

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Ute Wegmann

Weit weg ... nach Hause

Mit Vignetten von Rotraut Susanne Berner

Deutscher Taschenbuch Verlag

Originalausgabe 2007

© Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlags zulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.Rechtlicher Hinweis §44 UrhG: Wir behalten uns eine Nutzung der von uns veröffentlichten Werke für Text und Data Mining im Sinne von §44 UrhG ausdrücklich vor.

eBook ISBN 978-3-423-40464-8 (epub)

ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-62299-8

Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Bücher finden Sie auf unserer Website

www.dtv.de

Inhaltsübersicht

»Megadämlich!«

Butterblumen und fliederfarbener Klee

Bauchnabelpiercing

Überall Wörter

Schokoladenkuchen und ein schöner Traum

Auf so einen Geburtstag kann man verzichten

Alarmstufe Dunkelorange!

Eine geniale Idee

Hafengelände – Betreten verboten!

Blinde Passagierin

Gefährlicher Streifen

Mindestens Doppelglück!

Für alle Träumer:

Ihr bereichert unsere Welt

»Megadämlich!«

Die Wörter prallen wie ein Echo von den Wänden ab, scheppern durch die Räume. Alle Türen sind geschlossen, der Flur ein fensterloser Tunnel. »Megadämlich!« Luisa drückt die Hände auf die Ohren, aber die Wörter werden nicht leiser. »Zu blöde!« Eine Hitze wie in der Wüste. Ihre Haare kleben auf der Stirn. Sie muss weg, ins Kühle, Kalte, Frische. Oder irgendwohin, wo mehr Platz ist, wo die Wörter sich in der Weite verlieren sollen.

Ihre Turnschuhe quietschen auf dem Steinboden, als sie Stockwerk um Stockwerk die Treppe herunterläuft. Das doppeltürige Holztor zum Hinterhof wiegt schwer in den Angeln. Blitzschnell schiebt sie ihr Fahrrad auf die Straße. Es wird immer heißer. Die Wörter klingen jetzt leiser, aber es scheinen unendlich viele. Geflüstert dringen sie an ihr Ohr: »Megadämlich, megadämlich! Zu blöde!« Wie junge Katzen purzeln sie übereinander und bilden ein undurchdringliches Knäuel.

Gelbe Dämpfe steigen aus den Abwasserkanälen. Luisa schwitzt wahnsinnig. Ihre Haare, ihr T-Shirt, alles liegt klatschnass auf ihrem Körper. In kleinen Bächen rinnt ihr der Schweiß den Rücken hinunter. Kein Wunder: Ihr Rad hat sieben Gänge und sie tritt in die Pedale, als wolle sie das gelbe Trikot holen. Weg, nur weg!

Die Allee mit den alten Linden hat sie bereits hinter sich gelassen, jetzt erreicht sie den Fasanenplatz. Eine Frau in Hausschuhen füttert Spatzen. Um diese Uhrzeit! Ist es eigentlich früh oder spät? Luisa rast über die Bodenschwellen, fährt Zickzack um die Ausbuchtungen mit den Blumenbeeten. Kein Auto, kein Motorrad. Niemand kreuzt ihren Weg. Plötzlich steht die Sonne hoch am Himmel und strahlt erbarmungslos. Der Schweiß rinnt ihr in die Augen und brennt. Sie wischt die Tropfen aus den Brauen. Jetzt hat sie den Rosenpark erreicht: keine Mütter mit Kindern, keine Hundebesitzer, keine Obdachlosen. In der Ferne pfeift ein Zug. Die Wörter wachsen wieder, werden lauter und nisten sich ein – in den Ohren, hinter den Schläfen, unter den Haaren.

Endlich erreicht Luisa den Aufstieg zur Eisenbahnbrücke. Die Fahrrinne ist schmal, und mühsam schiebt sie das Rad nach oben. Ein Güterzug mit Waggons voller Autos donnert direkt neben ihr über die Brücke. Luisa mag das leise Zittern und Schwingen der Stahlträger. Für einen Moment legt sie die Hand auf das kalte Eisen: Boden, Pfeiler, Geländer – alles vibriert. Die Wörter treiben sie weiter, sie steigt auf und fährt wieder los. Sie muss die Wörter abhängen. Einen stillen, kühlen Ort finden.

Die Brücke scheint endlos lang. Kräftiger Wind bremst ihr Tempo, jetzt hat sie die Mitte erreicht, stoppt plötzlich, steigt ab, das Fahrrad rutscht neben dem Geländer zu Boden, als sie sich weit über die Brüstung lehnt. Halbe Bäume, Gestrüpp und Plastikkanister treiben auf dem Fluss Richtung Holland. Der Rhein hat Hochwasser und nimmt hemmungslos alles mit, was sich ihm in den Weg stellt. Ein Containerschiff passiert die Brücke.

Auf einem Schiff muss es kühl sein. Luisa streckt die Hand aus, so nah erscheint ihr die Oberseite der riesigen Kästen, die dicht nebeneinanderstehen. Viele Boxen!

In der Ferne nähert sich ein zweiter Frachter, beladen mit feinem, weißem Quarzsand. Der Sandschlepper fährt flussaufwärts. Gemächlich walzt er durch das braune Wasser, Meter um Meter schiebt sich der Bug durch die dreckige Rheinbrühe. In Zeitlupe!

Ohne Zögern schwingt sich Luisa auf das Geländer, die linke Hand umklammert den Stahlträger. Das Schiff erreicht mit der Bugspitze den ersten Brückenpfeiler. Wenn sie sich bücken würde, könnte sie vielleicht in den Sandberg fassen, er scheint zum Greifen nah. Luisas Zehen krallen am Handlauf, sie spürt schon den Sand unter den Fußsohlen und… sie springt.

Die Luft kühlt ihre Schläfen. Die Sonne ist ein orangefarbener Ball und rundherum herrscht Stille. Stille! Keine donnernden Züge, keine hupenden Autos, keine brummenden Schiffsmotoren. Und vor allem keine Wörter.

Sie fliegt. Sie fällt. Bis sie hart aufprallt.

Luisa stöhnt auf, ihr linker Arm klemmt verdreht unter ihren Rippen, klamm pappen T-Shirt und Haare an ihrem Körper. Ein eisiger Windzug bläst durch das geklappte Fenster. Sie fühlt sich bleischwer und bewegungsunfähig. Vorsichtig öffnet sie die Augen: Sie liegt auf dem Fußboden und zittert.

Da klingelt der Wecker.

Butterblumen und fliederfarbener Klee

Tiefschwarze Nacht vor den Fenstern, aber in den Häusern auf der anderen Straßenseite brennt vereinzelt schon Licht. Kein Mensch ist zu sehen. Luisa schaut auf die Straße. Niemand ist unterwegs. Gegenüber, bei Familie Gök, läuft der Fernseher – wie jeden Morgen. Blaues Licht blinkt durch die dünnen Gardinen. Weiß schimmern die Dächer. Die Luft ist kalt. Luisa spürt den kühlen Hauch, der vom Fenster abstrahlt, an ihren nackten Armen.

»Luisa, wo bleibst du? Es ist Viertel nach sieben«, ruft Katja aus der Küche.

»Ich komm gleich!«

Luisa geht zum Kleiderschrank. Wo ist denn das blaue T-Shirt mit dem Blumenmuster? Das möchte sie heute bei der eisigen Kälte anziehen. Sie möchte sich an die letzten Ferien und die Wärme auf Mallorca erinnern.

»Luisa!« Scharf wie eine Rasierklinge streift Katjas Stimme ihr Ohr.

»Jaaa! Ich komme!«, ruft Luisa zurück und zieht das blaue T-Shirt aus dem Schrank. Sechs weitere fallen auf den Boden. Als Luisa sie vorsichtig hochheben will, rutschen sie in alle Richtungen weg. Vorher noch ein ordentlicher Stapel, fliegen sie wie ein Mückenschwarm zu Boden und lösen sich aus ihrer gefalteten Form. Ein chaotischer Haufen Baumwollstoff liegt vor ihren Füßen.

»Luisa, jetzt reicht’s! Brauchst du ’ne schriftliche Einladung für’s Frühstück?«, wütend steht die Mutter in der Tür.

Sie hat ihre Haare zu einem wurstigen Etwas auf dem Kopf zusammengefriemelt und trägt Trainingshose, dicke Wollsocken und eine ausgeleierte Strickjacke. Eine blasse Frau mit Brille und zwei strengen Falten, die von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln laufen. Die Lippen wirken ohne den üblichen Lippenstift blutleer.

So kann sie auch aussehen, meine Mutter, denkt Luisa und schaut in das zornige Gesicht. Die Hexen zur Walpurgisnacht können nicht furchterregender gewesen sein. Aber Luisa kennt ja diesen Gesichtsausdruck zur Genüge, steht ihm seelenruhig gegenüber und lässt das Gezeter an sich abprallen. Die Mutter hört sich gern reden und ist schnell in einem ihrer Grundsatzvorträge. Irgendwann reicht Luisa das nicht enden wollende Gemaule dann doch.

»Nerv mich nicht!«, antwortet sie frech. »Du hetzt mich schon wieder. Schließlich werde ich mich wohl noch in Ruhe anziehen dürfen, oder?«

»Ich hetz dich! Du kommst doch nicht aus dem Quark! Jetzt bist du schon eine Dreiviertelstunde wach und hast gerade mal Zähne geputzt.«

»Na und? Es ist immer noch früh genug!«

»Ist es nicht! Ich will, dass du was isst, bevor du zur Schule fährst!«

»Dafür ist auch noch Zeit!«

»Kannst du mal aufhören, mir ständig zu widersprechen? Du gehst mir auf den Wecker, Luisa! Mach jetzt voran, sonst ist dein Bus weg. Und ich fahr dich nicht wieder zur Schule.«

»Jajajaja!« Die Sätze wiederholen sich seit Jahren. Sie häufen sich, seitdem sich Katjas schlechte Stimmungen häufen.

Luisa zieht ihren pinkfarbenen Gürtel durch die Rockschlaufen. Zum Glück hat Katja den T-Shirt-Haufen auf dem Boden nicht gesehen, sonst hätte es gleich die nächste Predigt gegeben.

Eigentlich dachte Luisa, das Gemecker wäre ihr mittlerweile egal. Aber offensichtlich ist sie noch nicht abgestumpft! Katja wird aber auch immer gleich laut. Schauspielerin eben! Jeder Text eine Szene! Pausenlos auf der Bühne, pausenlos öffentlich: ›Man muss die letzte Zuschauerreihe erreichen!‹ Aber zu Hause gibt es keine Zuschauer, das scheint die Mutter manchmal zu vergessen. Außerdem werden ihre Szenen in letzter Zeit heftiger. Einmal am Tag steht sie schreiend in irgendeiner Tür. Entweder kriegt Luisa eine Standpauke oder seltener ihr jüngerer Bruder Carlo. Früher hat es Thomas auch schon mal erwischt, aber der Vater kommt mittlerweile immer später nach Hause, dann schläft Luisa meistens schon. Warum arbeitet Thomas so viel und Katja so wenig? Oder kommt der Vater absichtlich später, weil er Katjas schlechte Laune nicht erträgt?

Luisa schaut nachdenklich aus dem Fenster und bürstet ihre Locken. Sie sieht Frau Gök am Esstisch, sie schmiert Brote und schneidet Äpfel. Ihr Kopftuch liegt ordentlich zusammengefaltet über der Stuhllehne, ihr schwarzes Haar fällt meterlang auf ihren Rücken und glänzt wie Seide. Jetzt packt sie das Butterbrot in eine Tüte, gibt es der jüngsten Tocher, nimmt deren Kopf in beide Hände und küsst sie auf die Stirn. Özlem kommt aus dem Flur ins Wohnzimmer. Sie ist die Älteste der vier Geschwister und war mit Luisa in einer Grundschulklasse. Özlem küsst die Mutter, schiebt liebevoll die Schwester zur Tür. Frau Gök verlässt hinter den Mädchen das Zimmer und löscht das Licht. Ende des schönen Films: Luisa starrt in die Dunkelheit der fremden Wohnung und wird plötzlich sehr traurig. Bei Familie Gök verläuft das Leben anders – viel leiser.

Luisa wünscht sich an einen Ort, an dem es still ist, wo man sie in Ruhe lässt. Vielleicht auf eine einsame Insel: ohne Schulbusse, ohne Wecker, ohne rauchende zeternde Schauspielerinnen-Mütter, ohne Mathearbeiten. Nur mit singenden Vögeln, mit Muscheln und Sand und Sonne. Und plätschernden Wellen.

Sie zieht den Reißverschluss der Strickjacke bis zum Kinn und geht in die Küche.

Carlo schlürft den letzten Rest seines Kakaos. Katja sitzt am Kopfende des Tisches, raucht, in der einen Hand eine Kaffeetasse, liest sie die Tageszeitung. Luisa denkt an Frau Gök, Özlem und die kleine Schwester.

»Das schaffst du nie!«, grinst Carlo sie an.

»Was?« Luisa schaut zu Carlo: Wovon spricht ihr Bruder.

»Den Bus zu kriegen!«, antwortet Carlo und steht auf.

»Ist mir doch egal! Dann nehm ich eben den nächsten!«, pampt sie und setzt sich auf ihren Platz.

»Dann kommst du aber zu spät!«, sagt Carlo und nimmt einen Apfel aus der Obstschale.

»Komm ich nicht! Wirst du sehen!« Luisas Ton wird merklich gereizter.

Carlo lacht ungläubig: »Ich guck mal um neun aus dem Fenster und winke dir zu, wenn du über den Schulhof hetzt!«

»Kümmer dich um deinen Kram, du Arsch!«, zischt Luisa. Ihre Augen sind vor Zorn schmal wie Kartenschlitze von Geldautomaten.

Plötzlich steht Thomas in der Küchentür.

»Luisa? Was soll das? Wie redest du mit deinem Bruder?«

»Arsch bleibt Arsch!«, erwidert Luisa unerschrocken und nimmt eine Scheibe Brot aus dem Korb.

»Hör bitte auf damit! Ich möchte solche Wörter nicht hören. Nicht hier, nicht jetzt, nicht beim Frühstück!«, erwidert der Vater ruhig. Mit Bestimmtheit hat Thomas die Tochter angeschaut und gießt sich jetzt einen Kaffee ein, als wäre nichts vorgefallen.

Carlo geht grinsend aus der Küche, während Katja die Szene ignoriert und weiterliest. Luisa ist froh, dass sich die Mutter mit ihrem Zeitungsartikel beschäftigt und sie nicht von drei Seiten zurechtgewiesen wird, wie bei dem Streit um ihr Zimmer. Da waren sich nämlich alle drei mal ausnahmsweise sehr einig, und zwar gegen sie.

Luisa würde so gern das Gästezimmer beziehen, damit sie nicht immer durch Carlos Zimmer gehen muss. Aber Katja behauptet, sie brauche den Raum, um ihre Rollen einzustudieren, und habe schon den Glaser für eine Spiegelwand bestellt. Carlo meckert, dass Luisa zwei Quadratmeter mehr Platz haben könnte, und Thomas argumentiert mit nicht vorhandenem Geld für Renovierungsarbeiten. Trautes Heim, und Luisa bleibt auf der Strecke. Sie kapiert nicht, warum sie für alles kämpfen muss und warum keiner sie versteht. Ist es so unbegreiflich, wenn sich ein elfdreivierteljähriges Mädchen Abstand zu seinem neunjährigen Bruder wünscht?

Die Erinnerung an den Streit macht sie noch zorniger auf alle und sie schmiert die Butter drei Zentimeter dick aufs Brot. Zwischen ihren Augenbrauen bilden sich Falten, und ihre Augenlider zucken. Ungerecht! Thomas weiß doch gar nicht, worum es bei dem Streit mit Carlo ging. Sie beißt sich auf die Unterlippe, um keine weitere Antwort zu geben. Eigentlich mag sie ihren Vater gern und er war auch früher immer total gerecht. Früher! Früher hatte Luisa auch schon mal Krach mit anderen, aber sie war nicht so aufbrausend. Früher lebte die Oma noch, mit der sie über alles sprechen konnte und die sie immer in Schutz genommen hat, wenn es Ärger gab. Früher war alles leichter, irgendwie besser. Obwohl sie früher auch schon ziemlich oft was vergessen hat.

Als Luisa noch klein war, sind sie an sonnigen Samstagen stundenlang mit dem Fahrrad am Rhein entlanggefahren und Thomas hat von den Häusern erzählt, die er bauen würde. Schöne Häuser, in denen Menschen sich wohl fühlen: mit vielen Fenstern und viel Licht, mit Gärten oder Terrassen. Damals war er gerade mit seinem Architekturstudium fertig und immer gut gelaunt. Jetzt ist er reichlich oft gestresst. Mit dem Häuserbauen, das hat er verschoben, sagt er, wenn ihn jemand fragt. Er arbeitet als Bauleiter in einer riesigen Firma und hat ›megatotale‹ Verantwortung. Alle Arbeiter tanzen nach seiner Pfeife.

»Nur weil alle Arbeiter nach deiner Pfeife tanzen, muss ich das ja nicht auch, oder?«, brüllt Luisa, dann presst sie ihre Lippen aufeinander und schaut erschrocken zu ihrem Vater.