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Dann sagte Hetty an Isa gewandt: „So, und nun sollen wir dich in unsere Geheimnisse einweihen.“ Sie lachte leise. „Einen Teil kennst du ja schon. Wir können dank der Tore sehr schnell reisen.“ Isa sah auf: „Der Tore? Es gibt mehr als eines?“ Hetty schenkte Tee nach: „Oh ja, es gibt so einige. Das in Hamburg, das Hanna hütet, ist eine Art Knotenpunkt, von dem aus man zu den anderen Toren kommt. Dieses Tor hier führt in die Welt aus der ich stamme, und in der auch du geboren bist.“ Isa schrie fast: „Die Welt aus der du … es gibt mehrere Welten? Das glaube ich nicht.“ Annik nahm ihre Hand. „Es ist aber so. Unsere Familie hat dieses Tor hier seit Jahrtausenden gehütet. Und was die Welten betrifft: Ja, es gibt mehrere, obwohl ich sie eher Ebenen nennen würde. Das Problem ist, dass du es mir nicht glauben wirst, bis du es erlebst.“
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Tore & Wölfe – ISA
Karin Braun
KABRAS CROSSROADS
Klappentext
Dann sagte Hetty an Isa gewandt: „So, und nun sollen wir dich in unsere Geheimnisse einweihen.“ Sie lachte leise. „Einen Teil kennst du ja schon. Wir können dank der Tore sehr schnell reisen.“
Isa sah auf: „Der Tore? Es gibt mehr als eines?“
Hetty schenkte Tee nach: „Oh ja, es gibt so einige. Das in Hamburg, das Hanna hütet, ist eine Art Knotenpunkt, von dem aus man zu den anderen Toren kommt. Dieses Tor hier führt in die Welt aus der ich stamme, und in der auch du geboren bist.“
Isa schrie fast: „Die Welt aus der du … es gibt mehrere Welten? Das glaube ich nicht.“
Annik nahm ihre Hand. „Es ist aber so. Unsere Familie hat dieses Tor hier seit Jahrtausenden gehütet. Und was die Welten betrifft: Ja, es gibt mehrere, obwohl ich sie eher Ebenen nennen würde. Das Problem ist, dass du es mir nicht glauben wirst, bis du es erlebst.“
Die Autorin:
Karin Braun, Jahrgang 1957, geboren in Pinneberg. Floh die Kleinstadt schnell. Es folgten kurze Ausflüge in verschiedene Berufe, um schließlich beim Schreiben zu landen. Karin Braun lebt in Kiel und arbeitet als Autorin, Literaturbloggerin, Herausgeberin, Übersetzerin – kurz: Sie macht was mit Büchern … und mit Fotos.
Für Selena und Melinda
1. Kapitel
„Lauf Isa, schnell ins Haus!“ Isa hörte die Stimme ihrer Mutter, blickte sich irritiert um und sah nicht Annik, sondern zwei ganz in Schwarz gekleidete Männer, die auf sie zusteuerten. Obwohl sie nicht sagen konnte warum, wirkten die beiden bedrohlich. Vielleicht lag es an der Dringlichkeit in Anniks Stimme oder aber daran, dass die Schwarzen es ganz offensichtlich auf Isa abgesehen hatten. Jedenfalls zögerte sie nicht und rannte über die Kreuzung, obwohl die Ampel noch auf Rot stand. Es folgte ein Hupkonzert und die Verfolger waren gezwungen zu warten, bis die Ampel umsprang. Isa warf einen suchenden Blick über ihre Schulter und entdeckte, dass ihre Mutter die Straße ein Stück weiter unten überquert hatte und auf sie zulief. Schnell fummelte sie ihren Schlüssel heraus und gerade als sie die Tür geöffnet hatte, hatte Annik sie erreicht ... dummerweise auch einer der Männer, der nach Anniks Arm griff und sie zu sich herumriss. Die nutzte den Schwung und trat nach ihm, während sie mit der anderen Hand zuschlug. Er ließ sie überrascht los und dieser kurze Moment genügte ihr um ins Haus zu kommen und die Tür hinter sich zuzuziehen. Durch die geriffelte Scheiben sahen sie, dass nun auch der andere Mann aufgeholt hatte und gegen die Tür hämmerte. Auch wenn keine Gefahr bestand, dass die Verfolger es ins Haus schafften, griff Annik nach ihrer Tochter und keuchte: „Komm, nach oben zu Hanna. Ich hoffe Wolf hat gesehen, was los ist und das Geschäft verriegelt, nicht; dass sie darüber versuchen ins Haus zu kommen.“
Isa hielt sich die Seite und rang nach Luft: „Mum, was war das ... was wollten die?“
Annik antwortete nicht sofort, sondern lief weiter die Treppe hinauf. Erst als sie im zweiten Stock angekommen waren, wandte sie sich zu ihrer Tochter. „Sie wollten dich, mein Schatz und wenn möglich uns beide.“ Sie sank auf die obere Treppenstufe und vergrub ihr Gesicht in den Händen. „Und wenn ich daran denke, dass es purer Zufall war, dass ich noch einmal raus bin, sie sehen und dich warnen konnte, wird mir übel.“
Isa setzte sich eine Stufe weiter unten hin und fragte, noch immer außer Atem: „Und wer sind die?“
Annik nickte nur. „Keine Zeit für Erklärungen. Wir müssen dich so schnell wie möglich hier wegbringen.“
Isa schrie fast: „Was? Ich soll hier weg? Spinnst du? Ich muss doch ...“, sie wollte sagen, ich muss doch Roman sehen, doch hatte sie ihrer Mutter noch nichts von Roman erzählt, da sie sich denken konnte, dass die nicht begeistert wäre, dass sie einen so viel älteren Freund hatte. Besonders, da Annik in letzter Zeit immer so misstrauisch war, wenn sie neue Leute kennenlernte. Also neue Leute, die nicht durch unmittelbare Freunde oder Familie zu ihnen kamen. Überhaupt hatte Isa die ganzen Geheimnisse um sie herum satt. Nachfragen wurden meistens mit, darüber reden wir später, wenn du älter bist, weggewischt und doch war ihr klar, dass sie nicht in einer „normalen“ Familie lebte, und nun sollte sie wieder, ohne weitere Erklärungen fort von dem Stückchen eigenen Lebens, dass sie sich erobert hatte. Annik seufzte: „Ich verspreche dir, alles zu erklären und nichts zurückzuhalten. Ehrenwort, keine Ge-heimnisse mehr. Aber wir haben keine Zeit. Du - wir beide sind in Gefahr.“
Isa zögerte, dann jedoch nickte sie und folgte ihrer Mutter in die Wohnung im dritten Stock. Hanna stand bereits in der Tür und wartete auf sie. „Annik, Isa, wie konnte das passieren? Woher wussten sie?“ Annik unterbrach sie: „Das weiß ich auch nicht. Jedenfalls sind wir alle hier nicht mehr sicher. Isa und ich gehen zu Hetty und von dort sehen wir weiter.“
Hanna sah besorgt zu Isa und sagte leise: „Wenn du sie mit zu Hetty nimmst, kommst du nicht drum herum ...“ Annik unterbrach sie: „Ja, das weiß ich. Aber zum einen wird es lang-sam Zeit, dass sie die Geschichte unserer Familie erfährt und zum anderen ... hast du eine bessere Idee?“
Hanna schüttelte bedächtig den Kopf: „Nein, du hast recht.“
In dem Moment öffnete sich die Tür der Feuertreppe und Wolf Rickerts große Gestalt erschien in der Tür. Er ging sofort zu Isa und nahm sie in den Arm: „Alles klar, Lütte?“ Dann wandte er sich an Annik: „Die beiden Pfeifen sind nicht rein, aber ein dritter kam in den Laden und sah sich um, allerdings nicht nach Büchern. Als ich fragte, ob ich helfen könnte, ist er abgehauen.“
Hanna zog sich ihren Schal fester um die Schultern und raufte sich die Haare. „Wir müssen packen, wir müssen die Sicherungen verstärken, wir müssen ...“
„Wir müssen essen, was immer du da auf dem Herd hast, riecht verdammt lecker, altes Mädchen.“ Wolf lächelte sie durch seinen grauen Bart an, legte seine langen Arme um Anniks und Isas Schultern und schob sie in die Küche. „Soviel Zeit ist noch, ihr könnt danach packen, über den kurzen Weg verschwinden und morgen oder übermorgen bringe ich euch eure Sachen zu Hetty, denn dahin geht ihr ja wohl.“
Annik seufzte und sah besorgt zu Isa, die aussah, als würde sie jeden Moment explodieren.
„Vielleicht sollten wir gleich ...“, doch Wolf unterbrach sie: „Nee, solltet ihr nicht.“ Dann wandte er sich an Isa: „Lütte, ich weiß du möchtest am liebsten sofort alles aus Annik rausschütteln, doch glaub mir, es ist besser, wenn du wartest.“
Isa schüttelte seinen Arm ab: „Mir doch egal, was sie will. Ich bleibe hier.“
Hanna, Wolf und Annik sahen sich besorgt an. Dann sagte Hanna: „Vielleicht hat Wolf recht und wir sollten erst einmal essen.“
Nachdem sie gegessen hatten, wollte Isa sich in ihr Zimmer verkrümeln und Roman von ihrer Abreise erzählen, denn sie machte sich keine Illusionen, dass sie mit ihrer Weigerung durchkommen würde. Aber immerhin hatte sie ein wenig Zeit gewonnen, die Schwierigkeit war allerdings, dass es hier im Haus keinen Empfang gab ... und eine weitere war, dass ihre Mutter nicht einmal wusste, dass sie ein Handy hatte. Roman hatte ihr sein altes I-Phone geschenkt, damit sie in Verbindung bleiben konnten. Viel gebracht hatte es nicht, denn sie musste sich immer rausschleichen, wenn sie mit ihm sprechen wollte. Natürlich konnte sie das auch jetzt versuchen, aber wenn sie ehrlich war, traute sie sich nicht, denn die Attacke hatte sie ganz schön erschreckt. Auf alle Fälle aber würde sie das Telefon mitnehmen und ihn von Abseits aus anrufen, dann konnte er sie vielleicht besuchen. Immerhin hatte er ein eigenes Auto, sogar so einen richtig coolen Jeep. Annik stupste sie an und riss sie aus ihren Gedanken. „Isa-Schatz wir müssen nun. Komm, wir packen die Sachen zusammen, die Wolf uns zu Hetty bringen soll.“ Isa seufzte: „Na gut, wenn es denn sein muss komme, ich mit. Aber ich bin sauer auf dich.“
Annik lachte: „Du bist fünfzehn und natürlich bist du sauer auf mich. Das ist sozusagen deine Aufgabe, wenn ich dich aber schützen kann, dann nehme ich deinen Groll gerne in Kauf.“
Isa verschwand in ihr Zimmer und überlegte, wo sie das Handy am Besten verstecken konnte, und schließlich kam ihr die Idee. Der Stoffwolf, den Wolf ihr einmal geschenkt hatte, hatte auch eine Tasche. Sie öffnete den Reißverschluss, schaltete das Gerät aus und stopfte es, samt Ladegerät, hinein. Dann ging sie ins Zimmer ihrer Mutter. Die war nun auch fertig und sah genervt auf das Kuscheltier in Isas Arm: „Muss das sein? Kann das nicht mit den anderen Sachen gebracht werden?“
Isa schüttelte den Kopf: „Nein! Mr. Wolf kommt mit oder ich bleibe hier!“
Annik rieb sich die Schläfen: „Also gut, dann eben mit Kuscheltier. Aber nun los!“
Sie gingen in die Küche, wo Wolf und Hanna noch am Tisch saßen und diskutierten. Als Annik und Isa eintraten, unterbrachen sie ihr Gespräch und Hanna kam zu Isa und nahm sie in den Arm. „Also dann, mein Herz. Ich hoffe wir sehen uns bald wieder.“ Isa umarmte sie fest und sah, dass Hannas braune Augen verdächtig feucht waren. Sie gab ihr einen Kuss und flüsterte: „Wir kommen doch sicher wieder zurück, wenn Mum sich beruhigt hat.“
Hanna sah weg und sagte: „Sicher Kind!“ Isa wusste sofort, dass es gelogen war und das machte ihr erst klar, dass ihre Mutter nicht hysterisch war, sondern dass sie wirklich in Gefahr waren. Bevor sie etwas sagen konnte, kam Wolf zu ihr und wuschelte ihr durch die rotblonden Locken. „Denn man los, meine Lütte. Ich denke es wird dir bei Hetty gefallen und wir sehen uns dann in ein paar Tagen.“
Annik umarmte die beiden ebenfalls, dann ging sie zur Tür und Isa folgte ihr. Im Treppenhaus wandte Isa sich zu den Stufen, doch Annik hielt sie zurück: „Wir nehmen den kurzen Weg“, und ging zum Fahrstuhl. Isa riss die Augen auf. Sie hatte sich noch nicht überlegt, wie sie reisen würden, denn Annik hatte kein Auto, also hatte sie wohl an Bahn und Bus gedacht. Jedenfalls hatte sie sich keine Gedanken über den kurzen Weg gemacht und was ihre Mutter am Fahrstuhl wollte, konnte sie sich schon gleich gar nicht erklären, denn der Fahrstuhl war doch schon immer außer Betrieb. Annik lächelte: „Tja Tochter, du wolltest doch immer all unsere Geheimnisse entdecken.“
Damit drückte sie auf den Knopf und die Fahrstuhltür öffnete sich. Annik zog Isa in die Kammer, nahm das Lederband mit dem Lochstein ab, den sie immer trug, und drückte den Stein auf die Schaltfläche.
2. Kapitel
„Scheiße, was ist das denn?“, japste Isa, als sich die Tür wieder öffnete und vor ihnen ein mit Fackeln erleuchteter Raum lag, dessen Boden aus festgestampftem Lehm bestand und dessen Wände in verschiedenen Farben schimmerten. Annik lachte. „Das ist der Torraum, mein Herz, doch nun wollen wir zu Hetty ins Haus gehen.“ Sie ging zu einer Wendeltreppe, die ungefähr zehn Meter nach oben führte. Sie bewegten sich vorsichtig, denn die Stufen waren feucht. Je höher sie stiegen, um so mehr veränderten sich die Materialien, die Holzstufen wurden zu Metall und die Wände zu Beton. Als sie schließlich das Ende der Treppe erreicht hatten, standen sie in einem runden, kalten, düsteren Raum. Während Isa noch versuchte, irgendetwas zu erkennen, bewegte sich Annik sicher und öffnete die Tür. Isa folgte ihr zügig, denn hier fühlte sie sich unbehaglich. Als sie sich noch einmal umwandte, sah sie, dass sich eine weitere Treppe in dem Raum befand, deren Absatz sich von der, die sie benutzt hatten, unterschied und die eindeutig nach oben führte. Dann standen sie auf einer kleinen Halbinsel, die nur wenige Meter vom Strand entfernt lag, und sahen das zweistöckige Haus, das sich an den Deich schmiegte. Annik legte den Arm um Isa. „Dort ist es, das Torhaus. Komm, hier sind wir erst einmal sicher.“ Das Torhaus, natürlich kannte Isa es, denn sie waren öfters im Sommer hier gewesen und ihre Großmutter hatte sie auch in Hamburg besucht. Immer wenn über das Haus gesprochen wurde, wurde es als Torhaus bezeichnet, nur hatte Isa sich nie groß Gedanken darüber gemacht, warum.
Als sie an der Terrasse ankamen, ging die Tür auf, Hetty trat heraus und umarmte Annik. Isa stand ein wenig verlegen daneben. Das Verhältnis zwischen Annik und ihrer Mutter war immer recht freundschaftlich gewesen und auch hatte sie sich immer für Isa und ihr Leben interessiert, allerdings waren sie sich nie wirklich nahegekommen. Hetty in Hamburg wirkte immer wie eine Besucherin aus einer anderen Welt. ‚Was sie ja vielleicht auch ist‘, dachte Isa, während auch sie umarmt wurde. Hetty schob sie ins Haus, sie gingen durch das Wohnzimmer mit den vielen Bücherregalen in die Küche, wo sie sich auf die mit Schaffellen ausgelegte Eckbank setzten und Tee eingeschenkt bekamen. Nachdem Annik ihrer Mutter berichtet hatte, was geschehen war, schwiegen sie einen Moment. Dann sagte Hetty an Isa gewandt: „So, und nun sollen wir dich in unsere Geheimnisse einweihen.“ Sie lachte leise. „Einen Teil kennst du ja schon. Wir können dank der Tore sehr schnell reisen.“
Isa sah auf: „Der Tore? Es gibt mehr als eines?“
Hetty schenkte Tee nach: „Oh ja, es gibt so einige. Das in Hamburg, das Hanna hütet, ist eine Art Knotenpunkt, von dem aus man zu den anderen Toren kommt. Dieses Tor hier führt in die Welt aus der ich stamme und in der auch du geboren bist.“
Isa schrie fast: „Die Welt aus der du ... es gibt mehrere Welten? Das glaube ich nicht.“
Annik nahm ihre Hand. „Es ist aber so. Unsere Familie hat dieses Tor hier seit Jahrtausenden gehütet. Und was die Welten betrifft: Ja, es gibt mehrere, obwohl ich sie eher Ebenen nennen würde. Das Problem ist, dass du es mir nicht glauben wirst, bis du es erlebst.“
Hetty war aufgestanden und hatte etwas aus einer Schublade geholt. Es war ein Lochstein an einem Lederband, wie auch sie und Annik einen trugen. Sie legte ihn vor Isa und sagte: „Der gehört dir.“ Isa hauchte ein Danke und fragte misstrauisch: „Was bedeuten diese Steine?“
Annik und Hetty griffen fast synchron nach ihren Anhängern. Hetty sagte: „Sie sind der Schlüssel, aber auch ein Kommunikationsmittel. Allerdings keines, das auf dieser Ebene viel nützt.“
Hector Siefers betrat das Lokal und sah sich suchend um. Sein Sohn Roman winkte und Hector ging zu dem kleinen Ecktisch und sagte: „Nun, hast du etwas von der Kleinen gehört?“
Der junge Mann, der wie eine jüngere Ausgabe seines Vaters wirkte, schüttelte den Kopf: „Nein, aber ich bezweifele nicht, dass die kleine Kröte sich melden wird.“
Er brach ab, als die Kellnerin sich näherte. Sie bestellten, dann sagte Roman: „Das haben deine Jungs fein vermasselt!“
Hector passte die Kritik zwar nicht, wusste aber, dass sie durchaus berechtigt war.
„Es war auch nicht damit zu rechnen, dass die Mutter zu der Zeit auf der Straße ist. Nils war einfach nicht schnell genug, um sie zu erwischen, und die Kleine hat gut reagiert.“
Die Kellnerin kam mit ihrem bestellten Wasser. Als sie außer Hörweite war, sagte Roman: „Meinst du wir sollten uns das Haus, in dem sie wohnten, noch einmal ansehen, oder den Buchladen?“
Hector schüttelte bedächtig den Kopf: „Nein, jedenfalls nicht sofort. Lass sie erst einmal glauben, dass wir kein Interesse mehr haben. Wenn die Göre sich nicht meldet, ist es immer noch Zeit genug, uns um den Alten im Buchladen zu kümmern. Sicherheitshalber lasse ich das Haus beobachten.“
Roman trank sein Wasser aus und stand auf: „Okay, ich halte dich auf dem Laufenden.“ Er griff nach seinem I-Phone, als ihm noch etwas einfiel: „Übrigens hat Orla angerufen und gefragt, ob sie und ich nicht einmal essen gehen wollen.“
Hector sah seinen Sohn prüfend an: „Ich hoffe, du hast gesagt, aber gerne doch meine Liebe, ich kann mir nichts Schöneres vorstellen.“
Roman setzte sich wieder: „Nein, jedenfalls nicht direkt. Ich habe gesagt, sehr gerne, aber zur Zeit habe ich viel zu tun.“
Hector seufzte: „Hör mal Roman, ich weiß, Orla ist keine Schönheit, darum geht es auch nicht. Sie ist eine wünschenswerte Verbindung und würde die Stellung unserer Familie enorm stärken. Kastorf sagt, sie sei bereits jetzt soweit, dass sie weite Teile seiner Arbeit übernimmt, und er will sie beim nächsten Thing als seine Nachfolgerin benennen. Ich hoffe, ich muss dir nicht erklären, wie wichtig eine Verbindung zur zukünftigen Trankmeisterin ist?“
Roman stand auf und schnappte: „Nein, musst du nicht. Und wenn es nur ihr Aussehen wäre, damit könnte ich leben, nur ist sie eine entsetzliche Klugscheißerin und arrogant.“
Hector winkte ab: „Das spielt keine Rolle. Ruf sie an und sag ihr, dass du demnächst mal nach Kiel kommst und am Nachmittag Zeit hättest. Dann kommt sie nicht nach Hamburg und das Problem, wo und mit wem sie übernachtet, stellt sich nicht.“
Roman nickte: „Okay, warum heiratest du sie eigentlich nicht? Es wäre doch eine noch mächtigere Verbindung.“
Hector zögerte: „Natürlich habe ich auch daran gedacht, doch müsste ich deine Mutter von einer Scheidung überzeugen, was nicht ganz einfach wäre.“
Roman grinste: „Aber machbar. Okay, wenn ich also das Opfer sein soll, dann ist es so. Ich hoffe, der Vertrag sieht nicht absolute Treue vor.“
„Treue schon, aber das betrifft nicht das körperliche. Du wirst schon weiter Spaß haben, Kleiner und nun sei brav.“
Roman ging zur Tür und verbarg seinen Unmut. Er wollte keine Frau, die mächtiger war als er. Sicher, wenn Hector ihn endlich zur nächsten Initiation zuließe, dann wäre es etwas anderes. Aber davon war nicht die Rede. Im Grunde war ihm bewusst, dass sein Vorankommen davon abhing, wie er die Sache mit Isa handhabte. Also blieb nur zu hoffen, dass die kleine Schlampe sich meldete.
Im Hamburger Torhaus saßen Wolf und Hanna Rickerts zusammen und überlegten, wie es denn nun weitergehen sollte. Hanna ging schließlich zum Kühlschrank, griff sich die Weinflasche und schenkte ihnen beiden ein: „Lass uns mal runterkommen. Ich kann noch gar nicht fassen, was passiert ist und wie dicht es dran war, dass Isa erwischt wurde.“ Sie trank, dann fügte sie hinzu: „Und Annik natürlich. Ich hoffe sie sind nun in Sicherheit.“
Wolf spielte mit seinem Glas, trank aber nicht. Schließlich sagte er bedächtig: „Wie kommt es, dass wir nicht mit einem Angriff gerechnet haben? Wir hätten uns doch denken können, dass diese Odin-Bande früher oder später auf eines der Torhäuser hier aufmerksam wird. Ist ja nicht das erste Mal, dass sie versuchen ein Tor unter Kontrolle zu bekommen. Denk nur daran, was vor zehn Jahren in Detroit geschehen ist. Damals haben sie es fast geschafft. Sie sind zwar nicht durch das Tor gekommen, aber die Ordensleute sind immer noch im dortigen Torhaus und machen ihre Experimente. Falls irgend-jemand auf der anderen Seite nun komische Ambitionen hat, dann ist das Tor offen. Uns war doch immer klar, dass sie eines Tages irgendwas entdecken, was auf den Standort anderer Tore weist. Wir haben uns einfach zu sicher gefühlt und sind nachlässig geworden. Allerdings kann ich mir nicht erklären, wie sie auf Annik und Isa kamen.“
Hanna schüttelte bedächtig den Kopf, dann sagte sie leise: „Die letzte Zeit hatte ich manchmal das Gefühl, dass Isa verliebt ist. Du weißt schon, verträumter Blick und immer mal rausschleichen. Kann da was dran sein?“
Wolf zuckte die Achseln: „Wäre schon normal, aber auch gefährlich für den Liebhaber. So sehr ich die Lütte liebe, Annik hätte sie nie hier aufwachsen lassen dürfen, sie wäre besser in Wannaheim geblieben, bei ihrem Vater. Oder wenn nicht dort, denn wenigstens bei Hetty.“
Hanna lachte trocken: „Annik war so sauer, dass Ragnar nicht zumindest teilweise auf Midgard leben wollte, dass sie dem nie zugestimmt hätte. Im Grunde hat sie doch immer gehofft, dass er sich besinnen würde. Doch lassen wir das mal. Wir hätten uns doch sowieso bald von Isa verabschieden müssen, denn die Versiegelung ihrer Gaben wird nicht ewig halten. Die Völva hat Annik schon vor einigen Tagen eine Warnung geschickt.“
Sie schenkte sich noch einmal nach: „Doch das ist jetzt nicht wichtig. Wie machen wir weiter? Meinst du, wir können das Haus halten?“
Wolf seufzte: „Wir beide alleine nicht. Mir fällt schon seit einiger Zeit auf, dass kaum noch Leute von den anderen Seiten kommen. Die, die hier in den letzten Monaten aufgetaucht sind, waren schon öfter auf Midgard unterwegs.“
Er stierte vor sich hin, dann sagte er: „Wir machen erst einmal weiter. Ich fahre am Samstag nach Abseits und vielleicht kann ich von Hetty erfahren, was los ist; oder vielleicht sogar mit der Völva sprechen. Allerdings lasse ich dich nur ungern alleine hier zurück, und daher schlage ich vor, dass wir die Sicherungen ums Haus verstärken.“
Hanna stand auf und räumte die Gläser zusammen: „Mehr können wir wohl nicht tun. Also los, gehen wir zu Bett. Heute habe ich schon einen weiteren Kreis gezogen.“
3. Kapitel
Isa schwirrte der Kopf, als sie am nächsten Morgen erwachte. Himmel, in was war sie da nur hineingeraten? Sie hatte ja immer gewusst, dass ihre Mutter ihr vieles nicht erzählte, aber das hier war ja wie in einen Fantasyfilm. Tore zu anderen Welten, sorry Ebenen, Lochsteine, die ein Schlüssel sein konnten, oder halt eine Art Telefon. Sie stand auf und sah sich im Zimmer um. Es war dasselbe, das sie auch bei früheren Besuchen bewohnt hatte, gemütlich, aber sparsam eingerichtet. Holzmöbel, ein breites Bett, ein Schreibtisch, eine Kommode und ein Schrank. Der Boden bestand aus Holzdielen, die sauber geschrubbt waren. Sie ging zum Fenster und lehnte sich hinaus. Das war allerdings etwas, das sich mit Hamburg nicht vergleichen ließ. Der Blick auf die Ostsee, über der gerade die Sonne aufging, war einfach nur schön. Sie sah zum Leuchtturm und schauderte und doch wollte sie sich dort ein wenig umschauen und wenn sie schon einmal draußen war, auch gleich Roman anrufen. Eigentlich wollte sie das bereits gestern Abend, aber Hetty und Annik hatten sie kaum aus den Augen gelassen. Kurz hatte sie überlegt, ob sie sich rausschleichen könnte, hatte sich dann aber nicht getraut. Doch jetzt, wo die anderen noch schliefen, war eine gute Gelegenheit. Sie zog sich an, nahm das Handy aus der Wolfstasche und schlich die Treppe hinunter. So kurz nach Sonnenaufgang war es frisch und der Steg zu der Aufschüttung, auf der der Leuchtturm stand, war frei. Bei ihrer Ankunft war er leicht von Wasser bedeckt gewesen.
Als sie vor dem Leuchtturm stand, war sie versucht, die Tür zu öffnen und sich drinnen umzusehen, dann traute sie sich doch nicht. Sie ging um das Gebäude herum und fand eine kleine Bank, auf die sie sich setzte. Sie zog das Handy heraus und überlegte kurz, konnte sie ihn wirklich schon wecken? Sie beschloss, es zu riskieren, schon weil sie nicht sicher sein konnte, dass sich später eine Gelegenheit ergeben würde. Wenn er nicht ranging, konnte sie ihm eine Nachricht auf der Mailbox hinterlassen. Sie startete das Gerät und lauschte auf das Freizeichen. Als sie schon glaubte, dass es zu früh war, kurz bevor ihr Anruf auf die Voicemail ging, nahm er ihn an und ein verschlafenes „Hallo“ erklang.
„Roman, ich bins, Isa.“ Das Herz schlug bis zum Hals. Hoffentlich war er nicht sauer, dass sie sich gestern nicht gemeldet hatte. Doch seine Antwort klang eher erleichtert: „Isa Süße, wo bist du? Warum hast du dich gestern nicht gemeldet? Ich habe mir Sorgen gemacht!“
Er war so ein Schatz. „Meine Mutter musste zu meiner Großmutter und wollte mich nicht alleine zurücklassen. Kam alles ein wenig plötzlich und ich denke, wir müssen erst einmal hierbleiben.“
„Das ist ja ein Mist, musst du denn nicht in die Schule?“
„Nein, ich bin freigestellt.“ Das einzig Gute an dem ganzen Schlamassel war, dass sie nicht in die Schule musste, wo sie als der Freak galt, weil sie immer in diesen Hippieklamotten herumlief, kein Handy hatte und auch sonst als komisch angesehen wurde. Als ihr das durch den Kopf ging, wurde ihr klar, dass sie nie mehr in die Schule musste, schon deshalb nicht, weil eine Rückkehr ausgeschlossen war, und selbst wenn es in diesem Wannaheim eine Schule gäbe, konnte die kaum so schlimm sein wie ihre alte. Nicht zurück nach Hamburg bedeutete allerdings auch, dass sie Roman nicht wiedersehen würde. Sie spürte, wie ihr die Tränen kamen. Verärgert wischte sie sich über die Augen. Alles nur, weil ihre Mutter am Durchdrehen war und sie zu jung, um sich gegen ihre Entscheidungen zu wehren. Selbst wenn sie versuchte, zurück nach Hamburg zu gehen, so bezweifelte sie doch, dass Hanna und Wolf sie bei sich wohnen lassen würden. Sie wäre schneller wieder in Abseits, als sie gucken könnte.
„Wie lange bleibt ihr denn?“, fragte Roman und Isa wusste einen Moment nicht, was sie antworten sollte. Schließlich sagte sie: „Ich weiß nicht, meine Mum überlegt, ganz hierher zu ziehen.“ Sie hasste es, ihn zu belügen, aber wie sollte sie ihm erklären, dass die Leute in ihrer Schule recht hatten und sie wirklich so ein Freak war, wie alle dachten? Schlimmer noch, dass sie aus einer Familie voller Freaks stammte? Nee, das nicht. Nun ließen sich die Tränen nicht mehr zurückhalten. Roman ließ sie einen Moment weinen, dann sagte er leise: „Nicht traurig sein, Süße, ich kann dich überall besuchen. Schon vergessen? Ich habe den Jeep, und wenn es ganz hart kommt, entführe ich dich.“
Sie lachte zittrig, als sie daran dachte, dass das Auto, immer vorausgesetzt Hetty und Annik logen nicht, dort, wo sie hinging, ihm nichts nützen würde. Dann fiel ihr ein, dass sie ja noch nicht heute nach diesem Wannaheim wechseln würden und dass sie ihn wenigsten noch einmal sehen musste. Also fragte sie: „Kannst du heute kommen?“
Er lachte: „Schon unterwegs, gib mir nur deine Adresse.“
Nachdem sie aufgelegt hatte, wurde sie unsicher. Was nun, wenn sie sich zur verabredeten Zeit nicht wegstehlen konnte? Dann dachte sie ‚egal‘ und machte sich zu einem Strandspaziergang auf.
Roman Sartorius ließ sich in die Kissen zurückfallen. Endlich hatte die Göre sich gemeldet. Er überlegte kurz, ob er seinen Vater informieren sollte, damit der Leute schicken konnte, die sie sich am verabredeten Ort schnappten. Aber nein, er würde fahren und sie zu einer Spazierfahrt überreden, die dann im Keller des Ordenhauses enden würde. Wenn er das alleine hinbekam, bekäme er endlich die Anerkennung, die er verdiente. Er zog sich an und machte sich auf den Weg.
Isa war ein ordentliches Stück gegangen, sie hatte sich den Parkplatz angesehen, auf dem sie sich mit Roman in drei Stunden treffen sollte. Zum Glück konnte man nicht direkt am Haus parken, denn an dessen Rückseite lag der Strand und an der Vorderseite ein schmaler Weg hinter dem der Wald be-gann. Am liebsten wäre sie draußen geblieben und hätte sich bis zu Romans Ankunft versteckt, aber besser war es, wenn sie sich erst einmal drinnen sehen ließ. Ein weiterer Grund, der dafür sprach: Sie hatte Hunger.
Als sie fast wieder am Haus war, tauchte wie aus dem Nichts, auf selber Höhe, neben ihr im Wasser ein Junge auf und schnappte nach Luft. Als er sie sah, lachte er: „Sei gegrüßt, Kusinchen, schon so früh unterwegs?“
Isa schrak zurück und stammelte: „Wo kommst du denn auf einmal her?“ Er lachte: „Durchs Tor, ich war neugierig, dich kennenzulernen.“ Er paddelte ans Ufer, und einen Moment befürchtete sie, dass er komplett nackt wäre, doch er trug eine Art Lendentuch und schien erstaunlicherweise nicht zu frieren, während sie eine dicke Jacke und eine Wollmütze an hatte.
Der Junge, er war wohl etwas älter als sie, schüttelte sich wie ein Hund und einige Tropfen Wasser spritzten ihr ins Gesicht. „Eh lass das!“, schrie sie. Er lachte wieder: „Stell dich nicht so an, Kusinchen.“
„Was soll eigentlich dieser Kusinchen-Mist? Wir sind doch sicher nicht verwandt?“
Er ging in Richtung Haus: „Ach irgendwie, um ein paar Ecken bestimmt. Komm, ich habe Hunger, und vielleicht hat Hetty Pfannkuchen gemacht.“
Langsam folgte sie ihm ins Haus, und mehr denn je hoffte sie, dass sie gleich aufwachen würde und alles nur ein Traum war. Doch als sie das Haus betrat, hörte sie Stimmen aus der Küche. Hetty sagte gerade zu dem Jungen: „Zieh dir was an Katz, du bist die reinste Landplage.“ Ihre Mutter fragte: „Hast du Isa gesehen? Sie war nicht in ihrem Zimmer.“ Er rief: „Die kommt gleich, sie war sich ein wenig die Beine vertreten.“
Im Flur, wo sie ihre Jacke an den Haken hängte, kam er ihr entgegen: „Deine Mutter vermisst dich.“ Damit verschwand er die Treppe hinauf, rief aber noch vom Treppenabsatz: „Lass mir ein paar Pfannkuchen übrig!“
Isa betrat die Küche gerade, als Hetty zu Annik sagte: „Du kannst sie nicht dauernd bewachen solange ihr hier seit. Es ist doch alles schon schwer genug für sie.“ Als sie Isa bemerkte, brach sie ab, lächelte sie an und sagte: „Setz dich zu deiner überfürsorglichen Mutter und iss was.“
Annik warf ihrer Mutter einen bösen Blick zu, was die ignorierte und freundlich sagte: „Guten Morgen Schatz, war es schön am Strand?“ Isa lächelte traurig: „Es war kalt, aber ich wollte ein wenig nachdenken.“
Dann sah sie fast gierig auf die Pfannkuchen: „Oh lecker, darf ich schon anfangen?“
Hetty lachte: „Wenn du satt werden willst, lang zu, bevor der kleine Vielfraß wieder da ist.“
Isa nahm sich Pfannkuchen und Gelee: „Wer ist der Typ überhaupt und warum nennt er mich Kusinchen?“
Annik seufzte: „Irgendwie, frag mich nicht wie, sind wir verwandt, was in Wannaheim keine große Rolle spielt, aber Katz lernt gerade Midgard kennen und verbringt deswegen viel Zeit bei Hetty. Dabei versucht er sich sicher an Midgarder Genealogie und versucht, diese mit Wannaheim zu verknüpfen.“
Sie schenkte sich Kaffee ein und roch genussvoll an der schwarzen Flüssigkeit: „Den werde ich vermissen!“
Isa wollte gerade fragen, wieso sie denn keinen Kaffee in diesem Wannaheim haben konnte, als Katz hereinkam und sich zu ihnen setzte.
Roman war gut durchgekommen und hatte noch ein wenig Zeit. Er hatte beschlossen sich ein wenig in Abseits und in der Nähe des Hauses, in dem Isas Großmutter lebte, umzusehen. Er traute sich aber auch nicht zu dicht heran. Es sah alles sehr normal aus. Ein langgestrecktes Haus, höchstens zwei Stockwerke, direkt am Ausgang der Kieler Förde. Es lag zwar abseits, doch war der Strand davor nicht abgesperrt, alles schien wie an jedem Strand um diese Zeit. Auf einer kleinen Halbinsel, eher einer Aufschüttung, stand ein alter weiß und grün gestrichener Leuchtturm, der sicher nicht mehr in Betrieb war. Trotz der selbst für März noch sehr kalten Temperaturen kreuzten einige Segler auf der Förde und von seewärts kam die Oslofähre auf dem Weg zum Kieler Hafen. Eine verdammt einsame Ecke, aber irgendwie schön. Am Strand waren nicht allzu viele Menschen unterwegs. Nur einige Hundebesitzer mit ihren Viechern. Plötzlich begann er sich unwohl zu fühlen, was ihn irritierte. Er ging noch einige Schritte auf das Haus zu und das Gefühl verstärkte sich, er drehte um und mit jedem Schritt in Richtung Parkplatz ging es ihm besser. Also war wohl doch nicht alles so normal um das Haus herum. Doch da konnten sich andere später drum kümmern. Fürs erste musste er sich die Kleine krallen. Er setzte sich wieder in den Wagen. In einer halben Stunde musste sie kommen.
Als das Frühstück sich hinzog, wurde Isa unruhig, doch da sich Hetty und Annik in erster Linie mit Katz unterhielten und er eine Menge zu erzählen hatte, beachtete man sie kaum. Schließlich stand sie auf, murmelte: „Ich muss mal“, und ging aus der Küche. Eigentlich hatte sie sich im Flur nur ihre Jacke von der Garderobe schnappen wollen, aber dann merkte sie, dass sie wirklich musste und huschte auf die Toilette. Als sie sich versichert hatte, dass sie noch immer niemand vermisste, verließ sie das Haus und lief in Richtung Parkplatz. Der war ungefähr zweihundert Meter vom Haus entfernt, von dort nicht einsehbar hinter einer Biegung des Weges, der wiederum auf dem Deich verlief. Als sie die Biegung erreicht hatte, entspannte sie sich etwas, und als sie Romans schwarzen Jeep sah, war sie erst recht erleichtert, ein wenig hatte sie befürchtet, dass er nicht kommen würde oder dass sie auf ihn warten müsste. Sie klopfte an die Scheibe der Fahrerseite und Roman sah auf. Er öffnete die Tür und sagte: „Komm steig ein, wir fahren irgendwo hin wo wir reden können.“ Isa zögerte, dann schüttelte sie den Kopf, später konnte sie nicht sagen, ob sie nicht mit ihm fahren wollte, weil er so etwas Drängendes im Ton hatte, oder weil sie, falls sie gefragt wurde, wenigstens aufrichtig sagen könnte, dass sie am Strand spazieren war. Jedenfalls blieb sie dabei, dass sie ein Stück laufen wollte. Er seufzte, gab aber nach, was sicher auch damit zu tun hatte, dass ein wenig vor ihnen ein weiterer Wagen parkte und ein Mann ausstieg, die Heckklappe öffnete, um zwei Dobermänner freizulassen, die sofort in Richtung Strand liefen. Also stieg auch er aus, legte den Arm um Isa und küsste sie: „Na gut Süße, geh‘n wir halt ein Stück. Dann können wir immer noch sehen, was wir als Nächstes unternehmen.“ Sie gingen nicht auf dem Deichweg, sondern unterhalb dessen, ein kleines Stück weiter am Waldsaum entlang, hinter dem sich ein größerer, mehr auf Tourismus eingestellter Strandabschnitt anschloss. Dort gingen sie zum Wasser hinunter und hielten an. Während sie aufs Wasser schauten, umarmte Roman sie und flüsterte in ihre feuchten rotblonden Locken: „Hier sollst du also versauern, mein Herz?“ Sie lehnte sich an ihn: „Ja und noch schlimmer ist, wir werden demnächst entfernte Verwandte besuchen gehen und ich weiß nicht, ob ich dich von dort anrufen kann.“
Er ließ sie los und sah sie prüfend an: „Das Phone, das ich dir gegeben habe, funktioniert über Satellit. Sag mir einen Ort auf dieser Welt, von dem du mit dem keinen Empfang hast?“
Isa sah auf den Boden, verbiss sich aber die Antwort: ‚Nun ja, der Ort ist ja auch nicht auf dieser Welt.‘
Roman versuchte es anders und sagte mit gespielter Wut: „Du hast mich also herbestellt, um mit mir Schluss zu machen!“
„Nein, natürlich nicht. Ich liebe dich doch.“
Er lachte bitter: „Klar und du vertraust mir total, darum willst du auch nicht zu mir ins Auto steigen, sondern lieber in diesem Nieselregen spazierengehen, und darum willst du mir auch nicht sagen, wohin deine Mutter dich als nächstes bringt.“
Isa wollte nichts lieber, als sich alles bei ihm von der Seele reden, doch die ganze Geschichte war zu abgefahren und ihre Angst, dass er sie für ein Monster halten würde, war einfach zu groß. Doch einen Beweis ihres Vertrauens musste sie ihm geben, also sagte sie: „Natürlich vertraue ich dir, aber ich weiß selbst nicht, wo die wohnen. Doch du hast recht, es ist kein schönes Wetter, lass uns wo hinfahren.“
Damit drehte sie sich um und ging zurück in Richtung Parkplatz. Er grinste, rief ihr aber gespielt beleidigt nach: „Aber nur, wenn du wirklich willst.“
Dann holte er zu ihr auf, legte ihr erneut den Arm um die Schultern und hauchte einen Kuss in ihr Haar: „Versprich mir aber, dass du dich sofort meldest, wenn du weißt, wo du gelandet bist.“
„Klar mache ich,“ sagte sie knapp. Sie hatte so gehofft, dass sie einfach eine schöne Zeit mit Roman haben würde, damit sie sich immer daran erinnern konnte, doch irgendwie schien alles quer zu laufen. Sie waren fast am Wagen und er hatte bereits die Türen mit dem Funkschlüssel entriegelt, als mehrere Sachen gleichzeitig geschahen. Vom Weg her hörte sie die Stimme ihrer Mutter, die ihren Namen rief. Sie wandte den Kopf und sah das Annik und Katz auf sie zu kamen. Auch Roman hatte es gesehen. Sein Griff um ihre Schultern verstärkte sich und er schob sie brutal in Richtung Auto: „Steig ein! Los!“
Isa wollte sich wehren, aber er holte aus, verpasste ihr eine Ohrfeige und schubste sie in den Wagen. Isa war weniger benommen, als er vermutet hatte. Er war gerade dabei auf die Fahrerseite zu wechseln, als sie die Tür schon wieder öffnete und versuchte auszusteigen. Sie sah Annik und Katz auf sich zu rennen. Katz war bereits die Böschung herunter, als plötzlich ein riesiger weißer Hund an den beiden vorbei schoss, direkt auf Roman zu lief und ihn ansprang. Einen Moment schienen Mensch und Tier miteinander zu ringen, dann fiel der Weiße von Roman ab und krümmte sich vor Schmerz, während Roman sich in den Wagen warf, startete und fort war, bevor Annik und Katz den Schauplatz des Geschehens erreicht hatten. Annik zog Isa fest an sich, während Katz sich um den Weißen kümmerte, der mühsam versuchte auf die Beine zu kommen. Annik fragte nur kurz: „Bist du verletzt?“, und als Isa verneinte, ging sie zu Katz und dem Weißen. Sie beugte sich zu ihm und Isa hörte, wie sie sagte: „Ragnar, du Idiot, was macht du denn hier?“ Der Weiße japste, was fast wie ein Lachen klang. Isa stand daneben und konnte noch nicht fassen, was gerade passiert war, als Katz zu ihr kam: „Komm Kusinchen, ich bring dich ins Haus. Hetty soll dir einen ihrer Tees machen, du hast einen Schock.“
Sie nickte, ging aber zu ihrer Mutter, die den Weißen auf Wunden untersuchte. Sie fand nichts, außer ein wenig verbranntes Fell und murmelte: „Er hat dich getasert, du wirst ein bisschen wackelig sein, aber ich denke es ist nichts Ernstes.“
Dann wandte sie sich zu Isa um: „Geh mit Katz ins Haus!“ An Katz gewandt fuhr sie fort: „Wenn du Isa in Sicherheit gebracht hast, komm zurück, ich kann ihn nicht alleine tragen.“
4. Kapitel
Als Roman in den kleinen Ort kam, drosselte er das Tempo. Das hatte er ja gründlich vermasselt! Hätte er nicht die Beherrschung verloren und der kleinen Schlampe eine Ohrfeige verpasst, wäre es sogar möglich gewesen, einen zweiten Anlauf zu nehmen. Er fluchte, zu allem Überfluss auch noch dieses Riesenvieh, das ihn am Bein erwischt hatte. Sowie er den Ort hinter sich gelassen hatte, fuhr er rechts heran und untersuchte die Wunde, soweit es durch seine Jeans möglich war. Sie war nicht tief, musste aber verarztet werden, und zwar von jemandem, der diskret war und der sich mit solchen Verletzungen auskannte. Dafür kam hier in der Gegend nur Kastorf in Frage und der war ein hohes Tier im Orden. Doch es nützte nichts, er machte sich keine Illusionen darüber, dass das ein normaler Hundebiss war. Also griff er nach dem Telefon und rief bei Kastorfs an. Orla war am Apparat und schien sich zu freuen, von ihm zu hören. Nein, ihr Vater wäre unterwegs, den könne er jetzt nicht sprechen. Ob es denn wichtig sei. BlaBlaBla, als wenn er dort anriefe, wenn es nicht wichtig wäre. Schließlich gestand er, dass er verletzt war und Hilfe brauchte. Sie überlegte kurz, dann sagte sie knapp: „Komm zu mir in die Wohnung, ich habe dort alles was ich brauche, um dich zu verarzten.“ Was blieb ihm anderes übrig, als danke zu sagen und zu hoffen, dass sie ihn nicht verraten würde. Komischerweise war er sich relativ sicher, dass sie den Mund hielt. Sorgen machte ihm nur, was ihn dieses Schweigen kostete.
Im Torhaus hatte Hetty Isa kurzerhand ins Bett gesteckt und ihr einen Löffel sehr bitterer Medizin gegeben, nach der sie umgehend einschlief. Nicht, dass das Mädchen so sehr verletzt war, dass diese Maßnahme nötig wäre. Jedoch war es das Einzige, was Hetty einfiel, da sie Isa erst wieder einigermaßen stabil haben wollte, bevor sie ihr Ragnar vorstellten und wussten, wie sie weiter verfahren sollten. Das wäre der nächste Schock. Hetty war nie mit Anniks Entscheidung, Isa mit sich zu nehmen und sie fern ab von der Familie aufwachsen zu lassen, einverstanden gewesen. Doch sie war auch sauer auf sich selbst, dass sie Annik nicht konsequenter klargemacht hatte, welche Folgen diese Entscheidung nach sich ziehen würde. Erst war sie davon ausgegangen, dass Annik Isa spätestens, wenn sie eingeschult werden sollte, ins Torhaus brächte, doch dann gingen die Jahre ins Land und alle hofften, dass sich das Erbe von Isas Vater nicht so schnell bei ihr zeigte, und nun war es fast zu spät. Immerhin hatten sie bereits vor den Ereignissen der letzten Tage abgemacht, dass Annik Isa den Sommer über zu Hetty bringen würde, damit sie langsam lernte, was es mit den Toren auf sich hatte. Doch nun war alles sehr viel schneller gegangen. Sie seufzte und betrachtete ihre schlafende Enkelin. Es wurde Zeit, sie von hier fortzuschaffen.
Als sie die Treppe hinunterstieg, kamen gerade Annik und Katz ins Haus, sie trugen Ragnar zwischen sich. Annik sagte: „Nicht so schlimm, er hat ihn getasert. Er kann nicht laufen und muss sich ausruhen. Bringen wir ihn in mein Zimmer.“ Hettys Augen funkelten amüsiert, als sie ernst sagte: „Wir haben hier unten noch ein Gästezimmer, meine Liebe, aber wenn du meinst.“
Annik war leicht rot geworden, worüber sie sich ärgerte: „Ja, meine ich! Verdammt Mutter ...“, sie brach ab. Hetty nickte: „Stimmt Tochter, es wird Zeit, Frieden zu schließen. Isa braucht dich und ihn.“ In Gedanken fügte sie hinzu ‚und du brauchst ihn auch, denn ich habe es immer gewusst, dass es für dich nie einen anderen geben würde.‘
Nachdem sie Ragnar in Anniks Zimmer gebracht und sich davon überzeugt hatten, dass er außer Ruhe nichts brauchte, ging Annik nach Isa sehen, und Katz und Hetty setzten sich in die Küche. Katz war merkwürdig schweigsam. Obwohl Hetty ihrerseits erschöpft war, stupste sie ihn an und fragte: „Was ist los Katz? Du bist so still!“ Er zuckte die Achseln: „Ach nix, nur, warum wollte Isa mit diesem komischen Typen wegfahren, sie gehört doch zu uns?“
Hetty seufzte: „Natürlich tut sie das, doch da sie gerade erst erfahren hat, wer wir sind und so weiter, kann sie noch kein Zugehörigkeitsgefühl haben. Das wäre wahrlich ein wenig viel verlangt. Ich glaube auch nicht, dass sie für immer mit ihm verschwinden wollte. Schau mal, ihr altes Leben, ihre alte Welt, ist ihr so schnell genommen worden, dass sie sich verloren fühlt. Ich denke, sie wollte einen Abschied.“
Katz nickte, dann runzelte er die Stirn: „Der hat sie geschlagen. Richtig geschlagen, wie kann sie so jemanden mögen?“
Bevor Hetty etwas sagen konnte, trat Annik ein und ließ sich schwer auf die Eckbank sinken. Sie hatte Katz’ letzte Frage gehört und übernahm es zu antworten: „Es wird das erste Mal gewesen sein, Katz und vielleicht ist es gar nicht so schlecht, dass er die Kontrolle verloren hat. Das wird sie davon abhalten, erneut Kontakt aufzunehmen. Ich habe übrigens in ihren Sachen nachgesehen und das hier gefunden.“ Damit legte sie ein I-Phone 8 auf den Tisch: „Ich denke, wir sollten es entsorgen. Hat jemand eine Idee?“
Hetty griff danach: „Das Beste wäre, es im Meer zu versenken, aber das ist nicht gut für die Umwelt. Vielleicht sollten wir es ein gutes Stück weg von hier verlieren.“ Sie schob das Gerät zu Katz: „Das ist doch eine Aufgabe für dich. Geh zum öffentlichen Strand herunter und schmeiß es dort in einen der Abfalleimer.“ Er sprang sofort auf und griff nach dem Gerät. Sein sehr interessierter Blick entging Hetty nicht und so sagte sie: „Du darfst es auf keinen Fall einschalten! Hast du verstanden? Du sollst es nur entsorgen und sofort wieder zurückkommen.“
Enttäuscht sagte er: „Klar, ich gehe denn mal.“
Als er fort war, sagte Annik: „Und nun Mutter? Was sollen wir machen? Isa muss hier weg und zwar schnell, aber sie braucht einen Übergang. Hast du eine Idee?“
Hetty schüttelte bedächtig den Kopf: „Nicht wirklich, wenn wir ein wenig mehr Zeit hier auf Midgard hätten, um sie vorzubereiten, aber so?“
Die beiden schraken zusammen, als eine Stimme von der Tür her erklang: „Vielleicht kann ich da einen Vorschlag machen?“
Annik sah den Mann, der fast den Türrahmen ausfüllte, an. „Ragnar, du sollst dich doch ausruhen.“
Er winkte ab und setzte sich. Hetty füllte eine Tasse mit Tee und schob sie ihm zu.
„Ich hatte zwei Gründe herzukommen. Der eine war, dass ich meine Tochter sehen wollte, und der andere, dass Jola eine Botschaft hat. Sie ist besorgt, dass Isas Wölfin bald durchkommt. Das darf nicht hier geschehen, und vor allem muss sie überhaupt erfahren, wer und was sie ist. Daher schlägt Jola vor, dass Isa und Annik mit zu mir kommen, also in den Wald.“
Annik sah ihn wütend an: „Das hast du dir ja gut zurecht gelegt. Ich soll mit dir zusammenleben?“
Bevor Ragnar antworten konnte, ging Hetty dazwischen: „Er hat recht Annik. Isa braucht euch jetzt beide und es ist an der Zeit, dass ihr das einseht. Es geht hier nicht um euch und eure verkorkste Beziehung, sondern um Isa, die sehr leicht an all dem zerbrechen kann. Annik, du hättest sie nie von allem fernhalten dürfen!“
Auch wenn sie wusste, dass der Vorwurf gerechtfertigt war, wollte sie sich nicht so schnell geschlagen geben: „Himmel, ich habe doch nicht geahnt, dass wir so lange auf Midgard bleiben müssten und alles wäre einfacher gewesen, wenn Ragnar …“ Hetty unterbrach sie: „Noch einmal, es geht hier nicht um Schuld. Wir waren alle nicht sehr klug. Auch ich hätte mehr insistieren müssen. Keiner von uns hat sich mit Ruhm bekleckert.“
Ragnar stand auf: „Ich muss mich wieder hinlegen, ich bin noch nicht ganz fit, und so kann ich nicht springen.“ Er warf Annik einen Blick zu: „Geschweige denn habe ich genug Kraft für einen Streit mit dir.“ Bevor sie zurückweichen konnte, hatte er sich vorgebeugt und ihr einen Kuss auf die Wange gegeben.
Ragnar war gerade die Treppe hinauf gegangen und Annik saß immer noch auf der Bank, die Hand an der Wange, wo Ragnar sie geküsst hatte, während Hetty sagte: „Ich werde mich mal ums Abendessen kümmern und etwas Passendens zum Anziehen für Isa heraussuchen.“
Katz, der gerade von seiner Mission zurück war, sah irritiert von einer zur anderen, dann zuckte er die Achseln und sagte nur: „Auftrag ausgeführt.“
Roman hatte Orlas Adresse in die Navigator-App seines Handys eingegeben. Er hatte immer vermutet, dass sie bei ihrem Vater lebte, doch anscheinend hatte sie sich eine eigene Wohnung verschafft. Er sah sich anerkennend um. Direkt an der Förde, ein zweistöckiges Appartementhaus. Sehr nobel. Nun ja, Geld war in ihren Kreisen kein Problem. Ein wenig steif stieg er aus dem Wagen, die Wunde schmerzte und er begann sich fiebrig zu fühlen. Orla schien ihn schon erwartet zu haben, denn sie kam zur Haustür, begrüßte ihn kurz, und während sie im Fahrstuhl zu ihrer Wohnung fuhren, sprachen sie nicht weiter. In der Wohnung sagte sie nur: „Also, dann zieh mal deine Hose aus, Roman!“ Er versuchte, so cool wie möglich zu bleiben und nicht zu zeigen, dass es ihm unangenehm war. Sie hingegen benahm sich wie eine gute Krankenschwester, sah sich die Wunde an, untersuchte sie genau unter einer Stirnlupe, nahm einen Abstrich, bevor sie Salbe aus einem Tiegel darauf strich. Nachdem sie den Verband angelegt hatte, schenkte sie ihm ein Glas Wein ein und sagte: „Das war kein Hundebiss. Ein Wolf, und ich möchte wetten, kein normaler, sondern ein Werwolf.“ Sie nahm das Röhrchen, in das sie den Spatel mit dem Abstrich gesteckt hatte, und sah es an: „Vielleicht können wir ein wenig DNA extrahieren. Zwar ist es nur eine geringe Wahrscheinlichkeit, aber einen Versuch ist es wert. Doch nun mein Guter, erzähl mal, wie du zu dem Biss gekommen bist und bitte verschone mich mit Lügen.“
Roman wollte schon auffahren, doch er nahm sich zusammen und sagte schließlich: „Also gut, durch Zufall habe ich ein Mädchen kennengelernt, die in dem Haus in Hamburg wohnt, von dem unser Informant sagt, dass es dort ein Tor gibt. Ich habe ein wenig mit ihr rumpoussiert und auf eine Ge-legenheit gewartet, sie in unsere Gewalt zu bekommen. Hector hatte Leute geschickt, die sich um sie kümmern sollten, wenn sie aus der Schule kommt. Durch einen blöden Zufall war ihre Mutter nicht auf der Arbeit, sondern auf der Straße, und alles ging schief. Sie konnte sich ins Haus retten und die Mutter auch. Wir haben das Haus sowohl von der Vorder- als auch von der Hinterseite her beobachtet, aber niemand hat sie es verlassen sehen. Nur der alte Buchhändler ging ein und aus. Keinem von uns war es möglich das Haus zu betreten. Wir beobachten es aber immer noch. Jedenfalls hat sie mich angerufen. Heute habe ich sie getroffen und überredet mit mir eine kleine Fahrt zu machen, doch dann brach die Hölle los. Wenn ich nicht einen Taser gehabt hätte, hätte es mich schlimmer erwischt, oder ich wäre festgesetzt worden.“
Orla sah ihn mit ihren blaugrünen Augen schweigend an. Schließlich sagte sie: „Du hast es also vermasselt. Warum hast du nicht unsere Einsatzkräfte geschickt, die sie sich gegriffen hätten, wenn sie zu eurem Rendezvous auftauchte?“ Er wollte sich rechtfertigen, aber sie winkte ab: „Ich weiß schon, du wolltest die Lorbeeren allein einstreichen.“
Roman gab sich geschlagen: „Okay, das war unüberlegt und nun muss ich sehen, wie ich aus diesem Schlamassel wieder rauskomme.“
Sie lachte: „Das ist nicht weiter schwer.“ Sie stand auf und begann den Tisch abzuräumen. Als sie zurückkam, setzte sie sich ihm gegenüber hin: „Hör zu, ich wollte mit dir essen gehen und du hast dich gedrückt. Wahrscheinlich weil du dachtest, ich hätte ein romantisches Motiv. Aber dem ist nicht so. Die Pläne unserer Väter kommen mir zwar gelegen, aber aus praktischen Erwägungen, denn wir beide könnten zu einem echten Machtfaktor innerhalb des Ordens werden und in Verbindung mit unseren Vätern wahrscheinlich sogar alles übernehmen.“
Roman sah sie interessiert, aber auch ein wenig beleidigt an. Sie lachte: „Mein lieber Roman, du bist nicht Odins Geschenk an die Frauen, auch wenn du das glaubst. Mir geht es um ein Arrangement, nicht um Liebe. Sicher wäre es gut, wenn wir befreundet sein könnten, aber mehr auch nicht. Sicher werden wir wohl zumindest ein Kind produzieren müssen, aber sollte das nicht auf natürlichem Wege klappen, versuchen wir es mit künstlicher Befruchtung. Aber ein- oder zweimal sollten wir uns wohl überwinden. Danach teilen wir uns einen Hausstand und nehmen an allen offiziellen Aktivitäten des Ordens als Paar teil. Ansonsten geht jeder seiner Wege.“
Er sah sie skeptisch an: „Wo ist der Haken, Orla?“
Sie kaute einen Moment an ihrer Unterlippe: „Mein Vater wollte eigentlich, dass ich und Hector ein Paar werden. Er hat es sehr übel genommen, dass er keine Anstalten macht sich von Debra zu trennen, und auch Orthaus ist nicht entzückt. Doch das lässt sich nicht ändern und ist auch in Ordnung. Ich mag Debra und in ihr steckt mehr, als sie sehen lässt. Besonders deshalb, weil sie Verbindungen zum Detroiter Tor hat. Wir beide, plus unsere Väter und Debra, könnten es schaffen, ein oder sogar zwei weitere Torhäuser unter unsere Kontrolle zu bekommen. Orthaus hat nicht mehr lange zu leben und dann sind unsere Familien ganz vorne dabei, um die Tore zu öffnen, und uns auf den neuen Ebenen Ressourcen zu sichern. Was meinst du?“
Roman sah sie voller Hochachtung an, war aber ein wenig unsicher: „Und du meinst, dass es klappt? Dass Hector und dein Vater ihren Eid Orthaus gegenüber vergessen?“
Sie lachte leise: „Nein, mein lieber Roman, sie haben auf das Wohlergehen des Ordens einen Eid geschworen, nicht auf Orthaus. Also warum deine Entdeckung eines weiteren Torhauses, denn das ist es doch, schon jetzt allgemein publik machen?“ Er wurde unruhig: „Wieso bist du sicher, dass es ein Torhaus ist?“
Orla sah in erstaunt an: „Aber das ist doch offensichtlich. Deine Kleine und ihre Mutter verschwinden in Hamburg ohne dass ihre Abfahrt bemerkt wird, und dann tauchen sie 100 km nördlich auf und sind in einem Haus, von dem aus du kein Signal ihres Handys bekommst. Natürlich ist es ein Torhaus. Außerdem hat Debra von einer Karte aus dem Detroiter Tor-haus berichtet, die ein Tor hier in der Nähe verzeichnet, nur ließ es sich nicht klar lokalisieren.“
Er sah sie an. Sie hatte recht. „Und wie gehen wir vor?“
„Erst einmal bleiben wir ruhig. Wir teilen unseren Vätern mit, dass du mich heute besucht hast und wir uns einig geworden sind. Dann erklären wir ihnen unseren Plan.“ Als er sie skeptisch ansah, lachte sie: „Ich bin mir sicher, sie stimmen zu.“
5. Kapitel
Im Torhaus hatte sich Annik in ihr Zimmer zurückgezogen, wo Ragnar auf dem Bett lag. Sie war wütend auf ihn, vielleicht gerade deshalb, weil er recht hatte. Vielleicht weil er einfach so aufgetaucht war und alles verkompliziert hatte. Vielleicht aber auch, weil sie sich danach sehnte, einfach dort weiterzumachen, wo sie vor sechzehn Jahren aufgehört hatten. Sie wusste es nicht und sie wünschte, er würde es ihr leichter machen, doch danach sah es nicht aus. Also begann sie sinnlos Sachen hin und her zu räumen, bis er schließlich leicht amüsiert sagte: „Soll ich ins Gästezimmer gehen oder bringst du es über dich, zu mir ins Bett zu kommen?“
Sie funkelte ihn wütend an: „Du glaubst also wirklich, es reicht, hier nach all den Jahren aufzutauchen, und alles ist wieder gut?“
Er schüttelte bedächtig den Kopf: „Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube nur, wir sollten uns mit der jetzigen Situation abfinden, und die ist nun mal so, dass wir die nächste Zeit miteinander leben müssen, damit Isa sich zurechtfindet. Es dauert nicht mehr lange und ihre Wölfin bricht durch. Ich kann sie förmlich riechen. Bevor das geschieht, möchte ich sie sicher auf der anderen Seite wissen, wo ich ihr helfen kann und wo sie andere hat die sind wie sie.“
Annik setzte sich auf die Bettkante: „Du meinst also, dass wir ein paar Wochen glückliche Familie spielen, bis Isa klarkommt, und dann gehst du wieder deiner Wege?“
Er griff nach ihrer Hand, sie wollte sie zurückziehen, doch er hielt sie fest: „Annik, du weißt was meine Aufgabe ist, ich muss ihr nachkommen. Ich werde also nicht immer bei euch sein können. Nur ist deine Mission auf Midgard beendet und wir alle wissen, wie hart dein Leben weit ab von deinem Clan war und wie gut du sie erfüllt hast. Dass ich nicht auf Midgard leben konnte, schon gar nicht in einer Großstadt, ist nun mal so. Aber meinst du, ich habe dich und Isa nicht vermisst? Dass es mich nicht verletzt hat, dass du unsere Tochter nicht in un-serer Welt aufwachsen lassen hast?“
Annik biss sich auf die Unterlippe, schließlich sagte sie: „Nutzt du gerade aus, dass ich mich so verdammt schuldig fühle?“
Er lachte und zog sie zu sich aufs Bett: „Genau das, mein Herz.“
Sie murmelte: „Nun gut, dann lass uns schlafen.“
„Oh, das eilt nicht,“ flüsterte er, während seine Hand unter ihr T-Shirt glitt.
Als Isa am nächsten Morgen erwachte, fühlte sie sich noch immer leicht benommen. Sie konnte einfach nicht fassen, was gestern geschehen war. Konnte nicht begreifen, dass Roman sie geschlagen hatte. Bei all dem Seltsamen, was danach kam, hatte sie das am meisten verstört. Alles andere ging so schnell, dass sie sich kaum erinnern konnte, schon gar nicht daran, woher der große weiße Hund auf einmal gekommen war und wieso ihre Mutter ihn zu kennen schien. ‚Jedenfalls schien sie um ihn besorgter als um mich‘, dachte sie. Sie musste pinkeln und dann etwas essen.
Auf dem Weg zur Toilette begegnete ihr Hetty: „Isa, du solltest noch ein wenig ausruhen.“
„Nee, ich bin nicht mehr müde und ich muss auf Klo.“ Sie huschte ins Bad und als sie die Tür schloss, hörte sie Hetty noch sagen: „Dann mache ich mal Frühstück, sicher bist du hungrig.“
Nachdem sie gepinkelt hatte, ging Isa unter die Dusche und putzte sich die Zähne. Wieder in ihrem Zimmer, zog sie sich eine leichte Baumwolljogginghose und eines der T-Shirts über, die Annik ihr aus dem Schrank in ihrem Zimmer gegeben hatte. Vielleicht sollte sie noch mal im Zimmer ihrer Mutter nachsehen, ob sie dort einen Pullover finden könnte. Ihr war kalt und sie fühlte sich ein wenig fiebrig. Doch als sie Tür zu Anniks Zimmer öffnete, blieb sie auf der Schwelle stehen. Annik war nicht alleine, sondern lag in den Armen eines großen blonden Mannes und schlief fest. Der Mann musste sie gehört haben, denn er sah ein wenig verschlafen auf und nuschelte: „Guten Morgen, Isa.“ Sie knallte die Tür zu und rannte die Treppe hinunter. Seit vorgestern Abend stand die Welt kopf. Noch nie hatte sie einen Mann in Anniks Bett vorgefunden. In der Küche war Hetty dabei Eier zu braten. Sie wollte gerade fragen, ob Isa Kaffee oder Tee möchte, als sie den verstörten Ausdruck im Gesicht ihrer Enkelin bemerkte: „Was ist los?“
Isa zögerte, aber schließlich sprudelte es aus ihr heraus: „Wer ist der Mann in Mums Bett?“
Hetty stöhnte innerlich, antwortete aber ruhig: „Das ist Ragnar, du wirst ihn gleich kennenlernen, und ich denke nach dem Frühstück werden deine Mutter, Ragnar und du ein ernstes Gespräch führen.“
Isa ließ ihren Kopf resigniert auf die Tischplatte sinken. Sie wollte nicht mehr reden, sie wollte ihr altes Leben zurück. Das war sicher nicht perfekt gewesen, aber wenigstens hatte sie dort Mittel und Wege gefunden, halbwegs klarzukommen, und da gab es Roman ... obwohl es den wohl nicht mehr gab. Hetty nahm die Pfanne vom Herd und setzte sich zu ihr. „Ganz ruhig Kind, komm iss erst einmal etwas.“ Sie schenkte ihr Tee ein und schnitt ihr Brot ab. Isa wollte eigentlich am liebsten so liegen bleiben, aber ihr Magen knurrte und egal, was der Tag noch bringen würde, alles war satt besser zu ertragen. Als sie nach der Marmelade griff, kamen Annik und Ragnar zur Tür herein. Beide sahen ein wenig betreten aus, taten aber so als wäre es nichts Besonderes, dass sie zusammen in einem Bett gefunden wurden. Annik und Ragnar setzten sich auf die Eckbank, und Annik legte den Arm um Isa: „Schatz ich möchte dir jemanden vorstellen, der dich schon lange kennenlernen wollte. Das ist Ragnar ...“, sie zögerte kurz, dann fügte sie hinzu, „und er ist dein Vater.“ Isa sah fassungslos von einem zu anderen, dann sagte sie das Erste, das ihr einfiel: „Ach ja, und wo kommt er auf einmal her?“
Ragnar lachte leise: „Aus Wannaheim, Tochter. Ich bin gekommen, um dich und deine Mutter abzuholen.“
Isa war hin und her gerissen, einerseits wollte sie mehr wissen, andererseits, war sie sauer auf die beiden. All die Jahre hatte sie sich nach einem Vater gesehnt, jedenfalls seit sie bemerkt hatte, dass die meisten Kinder einen hatten, auch wenn der nicht immer bei ihnen lebte. Die ganze Zeit war Annik ihren Fragen ausgewichen und nun servierte sie ihr ihren Erzeuger so nebenbei beim Frühstück. Bevor sie sich entscheiden konnte, wie sie reagieren sollte, sagte Annik: „Isa, bevor du etwas Verletzendes zu Ragnar sagst; dass er nicht für dich da war, war in erster Linie meine Schuld.“
Ragnar sah sie überrascht an: „Nun nicht ganz. Doch können wir nun erst einmal essen und dann reden?“
„Eine gute Idee,“ sagte Hetty und von der Tür her erklang plötzlich eine Isa sehr vertraute Stimme: „Höre ich Essen? Ich habe einen Wolfshunger!“ Damit kam Wolf in den Raum und umarmte sie nacheinander. Als er zu Ragnar kam, lachte er: „Weißer wer hätte gedacht, dass wir dich einmal auf Midgard treffen würden.“
Ragnar grinste nur: „Wolf, du bist fett geworden. Vielleicht solltest du öfters mal nach Hause kommen, dort musst du mehr laufen als hier.“