Du bist raus! - Karin Braun - E-Book
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Karin Braun

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Beschreibung

Wie hatte es eigentlich angefangen? Wo war der Punkt, an dem sich alles veränderte? Ich kann es nicht mehr genau festmachen. War es der Tag, an dem ich das erste Mal über Nacht blieb? Nein, es begann früher. Vor ungefähr einem halben Jahr begann es, am ersten schönen Maitag des Jahres. Ich hatte bei IKEA gefrühstückt. Eigentlich nichts Ungewöhnliches, das Essen dort ist gut und billig. Außerdem sitzt man nett und kann Menschen sehen, ohne sich unterhalten zu müssen. Ich hasse es, mich unterhalten zu müssen. Also, ich hatte gefrühstückt, und als ich das Geschäft verlies, sah ich in der Gartenausstellung diesen Stuhl. Ein Stahlrohrgestell, an dem sich eine Art Netz als Sitzfläche und Lehne spannte. Um es gleich zu sagen: Ich interessiere mich nicht für Möbel! Mein Zimmer ist klein, ich wohne möbliert, und bin ohne unnötigen Schnickschnack eingerichtet. Aber dieser Stuhl sprach mich an. Wahrscheinlich war es seine ungewöhnliche Form, jedenfalls setzte ich mich hinein und fand es wundervoll. Herrlich bequem. Durch die Federung und die Nachgiebigkeit von Sitzfläche und Lehne passte er sich jeder Bewegung an. Hatte ich wirklich nicht vermutet, so merkwürdig wie der aussah. Dazu noch die Sonne und das Treiben auf dem Parkplatz. Es war so angenehm, dass ich bald eine halbe Stunde dort sitzen blieb. Dann ging ich nach Hause und selbst dort ging mir der Stuhl nicht mehr aus dem Kopf. Zwei Tage später besuchte ich das Geschäft erneut, und wieder setzte ich mich nach dem Frühstück in die Sonne in dieses wunderbare Sitzmöbel. Diesmal hatte ich mir sogar eine Zeitung mitgebracht und blieb fast zwei Stunden dort. So ging es einige Wochen. (aus "Lebst du noch oder wohnst du nur?)

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Veröffentlichungsjahr: 2021

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DER CHEF
Das Angebot
Die letzten Tage im alten Leben
Teamsitzung
Typberatung
Generalprobe
Die ersten Wochen
Freude und Frust
Angstbewältigung
Backen mit Martin
Auf der Flucht
EPILOG
Baba Yaga
Fräulein Timm
Inhaltsverzeichnis

 

 

 

 

 

Klappentext:

Wie hatte es eigentlich angefangen? Wo war der Punkt, an dem sich alles veränderte? Diese Fragen können sich alle Protagonisten der Geschichten stellen. Eine kleine Zäsur und alles ist auf einmal ganz anders.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Über die Autorin:

Karin Braun, Jahrgang 1957, geboren in Pinneberg. Floh die Kleinstadt schnell. Es folgten kurze Ausflüge in verschiedene Berufe, um schließlich beim Schreiben zu landen. Karin Braun lebt in Kiel und arbeitet als Autorin, Literaturbloggerin, Herausgeberin – kurz: Sie macht was mit Büchern.

 

Du bist raus!

 

1 Novelle & 3 Kurzgeschichten

 

Von Karin Braun

 

 

 

 

 

 

Writresscorner

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

2. Auflage, 2021

© alle Rechte vorbehalten

Autorin: Karin Braun

Coverbild: Viktor Braun

Vertrieb: E-Publi

Writresscorner, Karin Braun, Von-der-Tann-Str. 13. 24114 Kiel

 

 

 

 

 

 

Für Jenni, Selena und Melinda

 

 

 

Lebst du noch oder wohnst du nur?

Der Stuhl

Wie hatte es eigentlich angefangen? Wo war der Punkt, an dem sich alles veränderte? Ich kann es nicht mehr genau festmachen. War es der Tag, an dem ich das erste Mal über Nacht blieb? Nein, es begann früher. Vor ungefähr einem halben Jahr begann es, am ersten schönen Maitag des Jahres. Ich hatte bei IKEA gefrühstückt. Eigentlich nichts Ungewöhnliches, das Essen dort ist gut und billig. Außerdem sitzt man nett und kann Menschen sehen, ohne sich unterhalten zu müssen. Ich hasse es, mich unterhalten zu müssen. Also, ich hatte gefrühstückt, und als ich das Geschäft verließ, sah ich in der Gartenausstellung diesen Stuhl. Ein Stahlrohrgestell, an dem sich eine Art Netz als Sitzfläche und Lehne spannte. Um es gleich zu sagen: Ich interessiere mich nicht für Möbel! Mein Zimmer ist klein, ich wohne möbliert und bin ohne unnötigen Schnickschnack eingerichtet. Aber dieser Stuhl sprach mich an. Wahrscheinlich war es seine ungewöhnliche Form, jedenfalls setzte ich mich hinein und fand es wundervoll. Herrlich bequem. Durch die Federung und die Nachgiebigkeit von Sitzfläche und Lehne passte er sich jeder Bewegung an. Hatte ich wirklich nicht vermutet, so merkwürdig wie der aussah. Dazu noch die Sonne und das Treiben auf dem Parkplatz. Es war so angenehm, dass ich bald eine halbe Stunde dort sitzen blieb. Dann ging ich nach Hause, und selbst dort ging mir der Stuhl nicht mehr aus dem Kopf. Zwei Tage später besuchte ich das Geschäft erneut, und wieder setzte ich mich nach dem Frühstück in die Sonne in dieses wunderbare Sitzmöbel. Diesmal hatte ich mir sogar eine Zeitung mitgebracht und blieb fast zwei Stunden dort. So ging es einige Wochen. Nicht jeden Tag, aber so oft ich konnte, ging ich im besagten Restaurant essen und setzte mich anschließend in „meinen“ Stuhl. Mit der Zeit passierte etwas, womit ich niemals gerechnet hätte. Ich begann mich glücklich zu fühlen. Ein Gefühl, das ich seit Jahren nicht mehr kannte. Wenn ich es recht überlege, nie gekannt hatte. Es war nicht so ein überschäumendes Glück, sondern eher eine tiefe Zufriedenheit. Nun, um es kurz zu machen, meine Theorie, dass ich grundsätzlich Pech habe, sollte sich nicht bestätigen. Alles war bestens, bis zu dem Tag, an dem es, kaum dass ich aus dem Restaurant wollte, in Strömen zu regnen begann. Meine Stimmung sank sofort auf den absoluten Nullpunkt: Da freute ich mich auf einen gemütlichen Nachmittag mit „meinem“ Stuhl, und nun das. Schon der Gedanke, dass ich zurück in meine Wohnung müsste, ohne das übliche Ritual, machte mich wütend. Es war ja nicht so, dass es viel Schönes in meinem Leben gab. Ich war fast fünfzig Jahre alt, alleinstehend, arbeitslos mit kleinem Zuverdienst und einsam. Es gab keine Verwandten und keine Freunde. Natürlich habe ich Verwandte, aber keinen Kontakt zu ihnen. Ich hasse meine Familie, erst einmal, weil sie Leute sind und ich Leute hasse, und dann noch, weil sie Spießer sind und immer etwas von mir erwarten. Folglich war ich alleine. Hobbys hatte ich auch keine. Seit der Digitalisierung des Netzes hatte ich meinen alten Fernseher stillgelegt, da dieser mit der neuen Technik überfordert war. Wie ich im Übrigen auch. Im Radio lief eh nur Müll und für Reisen oder Ausflüge gab es kein Budget bei meinem knapp bemessenen Einkommen. Ich hatte nur diesen Stuhl.

Fast wollte ich schon wieder gehen und erst den nächsten Tag wiederzukommen, doch mochte ich mich nicht so schnell geschlagen geben. Also besorgte ich mir noch eine Tasse Kaffee und wartete. Vielleicht war es ja nur ein Schauer, bestimmt würde es wieder aufklaren. Ich setzte mich direkt ans Fenster, obwohl der einzige Tisch, der noch frei war, in der Nähe der Kinderecke stand. Ich kann diese nervigen kleinen Biester nicht ausstehen. Doch von hier konnte ich wenigstens sehen, wann der Regen aufhörte. Nach der dritten Tasse wurde mir klar, dass das heute nicht mehr geschehen würde. Wütend und traurig ging ich nach Hause und legte mich ins Bett. Während ich da lag und mich fragte, warum mir nicht mal dieses kleine Glück gegönnt wurde, durchfuhr es mich siedend heiß, heute hatte es geregnet und war ein wenig kalt gewesen, der Sommer war noch nicht vorbei und es konnten noch ein paar schöne Tage kommen, aber was sollte ich im Herbst, und erst recht im Winter machen? Zitternd setzte ich mich auf und sah mich in meinem Zimmer um. Muffig, kalt und feucht, mit hässlichen grauen Wänden, wirkte es kalt und abweisend. Und einsam! Wie gesagt ich mag keine Menschen, jedenfalls nicht, wenn sie mit mir reden, oder etwas von mir erwarten. Die Leute erwarten immer etwas von einem, das ist nun mal so, und was konnte ich ihnen schon geben? Hatte nichts erreicht! Lebte vom Staat! Näherte mich langsam dem Rentenalter! Mich wollte ja doch niemand und ich wollte auch keinen. Mehrmals hatte ich daran gedacht, mich umzubringen, hatte dann aber davon die Finger gelassen. Wenn das schief gegangen wäre, hätte ich ja mit dem Wissen leben müssen, dass ich nicht einmal das richtig hinbekam. Nein, dann lieber noch die paar Jahre, die mir noch blieben, so ruhig wie möglich verbringen. Schlafen konnte ich in dieser Nacht vergessen. Nachdem ich mich Stunde um Stunde herumgewälzt hatte, stand ich um sieben auf und fuhr wieder zum Möbelhaus. Der leere Parkplatz erschien mir fremd. Die verschlossenen Türen gaben mir das Gefühl, ausgeschlossen zu sein. „Mein“ Stuhl stand jedoch im Foyer. Ich wartete bald zwei Stunden, bis geöffnet wurde, dann ging ich ins Restaurant. Immer noch war ich traurig bei dem Gedanken, dass mein einziges Vergnügen mit dem Herbst zu Ende gehen sollte. Dann, während ich mir mein Brötchen schmierte, kam mir ein Gedanke: Warum sollte es zu Ende gehen? Hier gab es doch genug Möbel. Warum sollte es nicht möglich sein, hier einen Platz zu finden? Gleich nach dem Essen würde ich in die Ausstellung gehen und mich umsehen. Um es sofort klar zu stellen: Essen ging ich hier seit einiger Zeit, aber außer dem Restaurant hatte ich noch nichts von dem Geschäft gesehen. Ich mag keine Kaufhäuser! Egal ob Kleidung oder Möbel. Es ist öde, sich Dinge anzusehen, die man sich nicht kaufen kann und die man ja auch nicht wirklich braucht. Aber diesmal hatte ich ein Ziel, und so aß ich hastig auf und machte mich auf den Weg durch die Abteilungen. Es war toll. Da waren die verschiedensten Möglichkeiten aufgebaut. Gemütliches Wohn-, Arbeit- und Schlafzimmer. Kleine und große Küchen und alles mit Accessoires versehen. Eine unendliche Reihe von Möglichkeiten. Mir gefiel besonders ein in dunklen Tönen gehaltenes Arbeitszimmer mit vielen Bücherregalen und einem schweren Ledersessel, aber das schien doch sehr leicht einsehbar, und daher entschied ich mich dagegen. Zwei Nischen weiter fand ich dann das Ideale; ein Hochbett mit Namen Tromsø, unter dem eine kuschelige Couch stand. Hier setzte ich mich hin und das Gefühl war gut, nicht so entspannt wie in meinem Stuhl, aber doch gut. Interessanterweise bestätigten sich meine Befürchtungen nicht. Ich hatte damit gerechnet, dass die Kunden komisch gucken würden oder dass das Personal mich auffordern würde zu gehen. Doch nichts dergleichen passierte. Wenn jemand in die Kulisse kam und guckte, nickte er mir freundlich zu. Einmal sagte eine Frau sogar: „Gemütlich haben Sie es hier,“ und schien nicht einmal eine Antwort zu erwarten. Es war toll. Ich beschloss, hier den nächsten Regentag zu verbringen. Heute war das Wetter jedoch zu schön und ich wollte noch ein wenig nach draußen auf meinen Stuhl.

 

Der erste Regentag und die erste Nacht

 

Als der erste Regentag kam, konnte ich erst zum Nachmittag im Möbelhaus sein, leider. Ich musste noch Zeitungen austragen, denn dieser kleine Nebenverdienst sicherte mir den Luxus, auswärts zu essen. Doch zurück zu diesem Tag. Ich hatte, wie gesagt, gearbeitet und mich dann schnell zu Hause umgezogen. Diesen Nachmittag wollte ich vollkommen genießen und nicht durchgeregnet und abgehetzt dort ankommen. Mit Walkman und einigen Zeitschriften gerüstet, gestärkt von einem Stück Preiselbeerkuchen im Café, ging ich in den IKEA-Shop und besorgte mir eine Tafel Schokolade. Dieser Tag sollte richtig gefeiert werden. In der Ausstellung sah ich mich erst einmal um. Heute wollte ich mir etwas ganz Besonderes zum Wohnen aussuchen, und wieder gefiel mir das Arbeitszimmer mit den Regalen und dem Ledersessel am besten. Erfreulicherweise stand der Sessel diesmal auch so, dass er nur von einer Seite einsichtbar war, zur anderen Seite hin wurde er von einem Raumteiler verdeckt. So konnte ich es wagen. Also arrangierte ich meine mitgebrachten Sachen auf den kleinen Beistelltisch und machte es mir bequem. Was für ein wunderbares Gefühl. Entgegen meiner Annahme, dass Leder hart sein müsse, schmiegte sich dieser Sessel perfekt an meinen Körper. Wenn ich mich zurücklehnte, schwang die Rückenlehne sanft mit und eine Fußbank klappte sich aus. Welcher Luxus! Verstehen Sie mich richtig, eigentlich hasse ich Luxus, aber wenn es nichts kostet, warum nicht? So verbrachte ich den ganzen Nachmittag bis zum frühen Abend dort und ging erst, als die Lautsprecherdurchsage verkündete, dass die offizielle Geschäftszeit in einer Viertelstunde endete.

Als ich das Möbelhaus verließ, regnete es wieder in Strömen. Nur schweren Herzens konnte ich mich aufraffen, nach Hause zu gehen. In meinem Zimmer, mit seinen Sperrmüllmöbeln und dem muffigen Gestank, packte mich eine tiefe Traurigkeit. Es war ein regelrechter Kulturschock.

Der nächste Tag war ein Freitag und ich hatte bis zum späten Nachmittag mit den Zeitungen zu tun. Schließlich kam ich total entnervt im Möbelhaus an. Sonst genieße ich es, mit dem Fahrrad zu fahren und die Zeitungen zu verteilen, doch diesmal war ich in Gedanken nur in meiner neuen Zuflucht. Ich konnte mich nicht konzentrieren und hatte tatsächlich eine ganze Straße vergessen. So musste ich nochmals los. Natürlich lag die Straße am äußersten Rand meines Bezirkes. Schließlich war ich nur noch müde und frustriert. Endlich in meiner neuen Heimat angekommen, ging ich gar nicht erst ins Café, sondern direkt in mein Zimmer. Diesmal streckte ich mich auf der Couch aus. Mir war es egal, ob ich entdeckt wurde, ich wollte nur eine Stunde meine Ruhe, dann würde ich ins Restaurant gehen, zu Abend essen und es mir dort ein wenig gemütlich machen. Nun, das mit dem Abendessen wurde nichts, als ich erwachte, war die Ausstellung leer und es brannte nur noch die Notbeleuchtung. Können Sie sich vorstellen, wie gespenstisch das ist? Mich jedenfalls packte die Furcht, einmal vor dieser ungewohnten Atmosphäre und dann vor der Entdeckung. So ein Objekt von der Größe wurde doch sicher überwacht. Den Rest der Nacht verbrachte ich hin und her gerissen zwischen Wut und Angst. Wenn ich nicht sauer auf mich war, legte ich mir Ausreden zurecht, warum ich die Nacht hier verbracht hatte. Es sollte mich ja schließlich niemand für einen Penner halten. Irgendwann am frühen Morgen musste ich doch eingeschlafen sein, denn ich schreckte durch die Begrüßungsrufe der Verkäufer hoch. Mir blieb fast das Herz stehen. Eigentlich hatte ich vorgehabt, mich kurz vor acht auf die Toilette zu verziehen und dortzubleiben, bis offiziell geöffnet wurde. Es war merkwürdig, unmittelbar an meinem Zimmer gingen zwei junge Frauen vorbei, sie sahen direkt zu mir und setzten ihren Weg fort ohne mich, außer durch ein kurzes Begrüßungsnicken, zur Kenntnis zu nehmen.

Säuberlich legte ich die Decken zusammen und packte meine Sachen. Dann ging ich auf die Toilette, um mich frisch zu machen. Obwohl mir das Herz noch immer in der Hose steckte, zwang ich mich, im Restaurant frühstücken zu gehen. Schließlich wollte ich mich verhalten wie immer. Mit meinem Frühstücksteller und einer Tasse Kaffee an einem der hinteren Tische begann ich mich bereits ein wenig sicherer zu fühlen. Jedenfalls zitterten meine Knie nicht mehr.

Die nächsten zwei Tage traute ich mich nicht in das Möbelhaus. Immer noch konnte ich es nicht fassen, dass ich dort geschlafen hatte und nicht erwischt worden war. Doch am allermeisten irritierte mich, dass die beiden Verkäuferinnen mir zugenickt hatten, als wenn ich dazu gehörte. Das ließ mir keine Ruhe. Je mehr ich darüber nachdachte, umso merkwürdiger kam es mir vor. Und plötzlich dachte ich: Wenn es einmal geklappt hat, warum dann nicht noch mal? Warum nicht gleich ein Wochenende? Es packte mich Abenteuerlust. So lebendig hatte ich mich schon seit Jahrzehnten nicht gefühlt. Erst plante ich das Wochenende bei IKEA nur theoretisch, stellte mir vor, welchen Proviant ich bräuchte und welche Bücher ich mitnehmen würde. Auch fragte ich mich, ob vielleicht einer der Fernseher in der Ausstellung angeschlossen wäre? Zuhause hatte ich ja nur diesen kleinen Schwarz-Weiß-Briefmarken-Schirm, der seit der Digitalisierung des Empfanges überflüssig war und auch vorher nicht das reine Sehvergnügen gewährleistet hatte. Wäre schon etwas anderes, mal auf einem großen Bildschirm zu gucken. Jedenfalls ging mir die Sache nicht aus dem Kopf, und als der Freitag kam und wieder ein einsames, langweiliges Wochenende vor mir lag, welches diesmal, dank des merkwürdigen Tag der Deutschen Einheit, noch länger als sonst sein würde, beschloss ich, es zu wagen. Am Freitag kaufte ich mir meinen Proviant ein und fuhr schon mal in mein Wochenend-Domizil. Dort verstaute ich einige Saft- und Seltersflaschen unter dem Bett und stellte einige meiner Bücher in den Schrank. Bevor ich wieder ging, schaltete ich den Fernseher ein, nur so probehalber. Er funktionierte tatsächlich. Das war ja besser als erwartet. Die Nacht bis zum Samstag fand ich kaum Schlaf, trotzdem erwachte ich am nächsten Morgen frisch und munter. Es war toll, diese Vorfreude gemischt mit der Angst vor Entdeckung. So vital hatte ich mich das letzte Mal gefühlt ... ja wann eigentlich? Genau genommen nicht mehr, seit ich als 12-jähriger von zu Hause weggelaufen war. Zwei Tage hatte ich die absolute Freiheit genossen. Doch dann wurde ich gefunden und nach Hause gebracht. Trotz der Tracht Prügel, die es setzte, war es die Sache einfach wert gewesen. Wie ich so an diese alte Geschichte dachte, kam doch eine leichte Angst in mir hoch. Was wäre, wenn ich dieses Mal erwischt würde? Welche Strafe würde mich erwarten? Wäre sie das Erlebnis auch wert? Ich sah mein Gesicht im Spiegel, vergrämt und ängstlich. Mich packte die Wut. Ich hatte es satt. Nie hatte ich mich so aktiv gefühlt wie in den letzten Tagen, während ich mein Wochenende plante. Meine Laune war derart gut, dass ich sogar meine Nachbarin gegrüßt hatte.

---ENDE DER LESEPROBE---