Totes Zen - Jasper Nicolaisen - E-Book

Totes Zen E-Book

Jasper Nicolaisen

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Beschreibung

Den Abschluss in Barbarei und Berserkertum in der Tasche und das magische Schwert Brudi in der Faust, stürzt sich Krass ins Abenteuer. Das Echtjuwel der Zwerge befindet sich tief unter dem Berg in den Klauen des Gelichters, das sich in den Minen eingenistet hat. Auf seiner Fahrt trifft Krass auf den fliegenden Teppich Staubvogt und seine Herrin, die schlafwandelnde Prinzessin Manzani, sowie den Eulenmenschenzombie Kräcki. Gemeinsam nehmen sie es mit hungrigen Pilzmenschen, Grußgnollen dem Kurtisanenkaiser Kang, dem kosmischen Horror der Klarovollen und den Gefahren des Landes unter den Fingernägeln auf. Je tiefer sie in den Berg vordringen, desto mehr wird Krass von seiner Vergangenheit eingeholt. Denn sein Vater ist ein leibhaftiger Gott und gebietet über die Macht des Toten Zen -- die alles, selbst die Zuhörer*innen dieser Geschichte, in seinen Bann zieht… "Totes Zen" ist ein irrer, wirbelnder Reigen quer durch die Fantasy-Klischeekiste, rasant, komisch und irgendwie doch eine berührende queere Liebes- und Familiengeschichte. Für alle Fans von Walter Moers, Adventure Time und Sigmund Freud!

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Jasper Nicolaisen

 

Totes Zen

 

 

„Den Feind zu erschlagen ist der Weg der Strategie. Es gibt keinen Grund, dies weiter auszuführen.“

Miyamoto Musashi

 

„Ich wollte, mein Vater oder auch meine Mutter, oder eigentlich beide – denn es wäre wirklich Beider Pflicht und Schuldigkeit gewesen – hätten sich ordentlich zu Gemüte geführt, was sie tun wollten, als sie mich zeugten.“

Laurence SterneTristram Shandy

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Wenn ich mir die Karte des Berges mit seinen Verliesen und Minen, mit seinen Tunneln und Fallgruben, mit den Luftschächten und Lavakanälen, mit den endlosen Treppen und bodenlosen Abgründen anschaue, denke ich die Schrecken, die darin hausen. Wenn ich mir die Karte des Berges ansehe, sehe ich meinen Vater.

1

Das mag am taubenblauen Licht dieses Wintermorgens liegen.

2

An der Abenteurerakademie zwang man mich, absolut alle Werke des elfischen Existenzialisten Frantisek Fafner zu lesen. Alle seine Texte sind gleich, sodass ich mich in den Klassenarbeiten meist auf Variationen der Wörter „Bürokratie“, „Sinnlosigkeit“ und „Schuld“ beschränkt habe. Manchmal kam auch noch ein „absurd“ dazu. Sein berühmter „Brief an den Vater“ hätte mich vielleicht interessieren sollen. Allerdings war er mir zu lang – meinem Vater hätte ich nie einen Brief geschrieben, der ein ganzes Buch in Anspruch nimmt. Einer von den Zaubererbrillis, die ich zwang, meine Hausaufgaben zu machen, hat mir erzählt, dass Fafner von seinem Vater, einem Gemischtwarenhändler aus dem Elfenghetto von Arg, damit gedroht wird, er werde ihn „zerreißen wie einen Goblin“. Oder Gobelin, das weiß ich nicht mehr so genau. Wenn ich gut mit Wörtern wäre, hätte ich nicht an der Abenteurerakademie von Ha´wat einen Abschluss in Berserkertum und Barbarei gemacht. Ich hätte auch gar nicht gewusst, wohin ich den Brief hätte senden sollen. Mein Vater war ja unter dem Berg verschollen. Auf der Suche nach dem sagenumwobenen Echtjuwel der Zwerge. Das war der andere Grund, warum ich Barbar werden wollte und unter den Berg ziehen. Jedenfalls gab es nur einen Text von Fafner, der es mit wirklich angetan hat. Es ist die „Anekdote über die Resignation“.

3

Auf seinem Feldherrenhügel, hoch über den ineinander verkeilten Heeren senkt der General Wallenstein die Fahne, und schreitet, als gäbe es gar keinen Kampf, als wogten nur die Wellen eines schwarzen Sees um seinen Aussichtspunkt, über die Köpfe der Soldaten auf den Horizont zu. In diesem Augenblick tönen Tempelglocken aus der belagerten Stadt quer zur Laufrichtung des Feldherren. Die ihm die Köpfe nachwenden, rufen dem stetig kleiner werdenden Punkt am Ende des Himmels zu: „Dass du uns verlässt, können wir dir verzeihen. Aber dass du nicht den Glocken folgst in die Stadt, die manche von uns bis aufs Blut verteidigen und andere mit Blut erobern wollen, das bringt uns zum Weinen.“ Auf dem Hügel liegt das Feldzeichen und spricht für keine Wehrhaftigkeit.

4

Der revolutionäre Theaterdichter Wertwolf Kläfft bemerkt dazu in einem Brief aus dem Exil an den Kollegen Erik Plag: „Was ist das für ein Feldherr, der die Standarte selber trägt? Hat der denn keinen Standartenträger? Ich wünschte, er träte den ganzen Hügel um, dass er das eigene und das fremde Heer ersticke und die umkämpfte Stadt gleich dazu. Dann hätte er alles Recht, über den stummen Schlamm zu gehen, wohin er will.“

5

Ich wusste als Kind von all dem nichts. Ich stellte mir vor, dass mein Vater schweigend und brütend am Mittagstisch saß, und meine Mutter immer fahriger versuchte, die Stille zu füllen, und wir alle wussten, dass mein Vater etwas ganz anderes von uns erwartete – oder vielleicht auch nichts, dass es uns einfach nur nicht gäbe –, dass seine Resignation das gesenkte Feldzeichen nicht so deutlich zur Schau stellte. Ich konnte es weder anschauen und entziffern noch ignorieren. Es sagte immerfort: „Hier sitze ich stumm und kämpfe nicht mit all meinen waffenstarrenden Heeren, die ich, wer weiß zu welchem Zweck hier versammelt habe. Jede Sekunde kann ich es mir anders überlegen. Gleich, ob ich angreife oder nicht, es ist eure Schuld.“ Ich musste mir das Brüten und das Mittagessen vorstellen, denn mein Vater hatte meine Mutter schon vor meiner Geburt verlassen. Es war nichts von ihm auf mich gekommen, als ein magisches Schwert mit einem dämlichen Namen, eine Prophezeiung, der ich nicht gerecht werden konnte, und die hasserfüllten Schilderungen meiner Mutter von ihm. Anders als brütend und resigniert konnte ich ihn mir nicht vorstellen. Das war besser als nichts. Manchmal besuchte er mich in meinen Träumen. Aber dazu später mehr.

6

Wenn Sie jetzt sagen: Das ist ja gar kein richtiger Anfang für eine Geschichte, dann haben Sie zweifellos recht. Bitte lesen Sie noch einmal nach, was ich über meine Motivation für den Abschluss an der Akademie geschrieben habe. Ich fange gleich noch mal an. Ich erzähle Ihnen von der Akademie, von meiner Fahrt unter den Berg, von den Gefahren, die dort auf mich lauerten, von den Gefährten, die ich dort um mich versammelte, und von meinem Vater. Es wird ja in der Götter Namen nicht geradezu ein ganzes Buch in Anspruch nehmen. Und somit fange ich an.

2

„Dann wären wir ja wohl fertig.“ Der Zwerg sah mich über die Goldrandbrille hinweg an, während er den Vertrag zusammenrollte. Ich rieb mir die schmerzende Stelle am Arm, wo er mich mit dem Ritualdolch geschnitten hatte, um mir das Blut für die Unterschrift zu entnehmen. Natürlich hatte ich im Lauf meines Abenteurerlebens bedeutend schwerere Verletzungen davon getragen, aber irgendwie tat diese ganz besonders weh. Die Augen des Zwergs wurden durch die Kristallgläser unnatürlich vergrößert. Ich musste an ein glubschäugiges Tier denken, das mir irgendein Gift injiziert hatte. Der Rauch aus den simmernden Kohlebecken verursachte mir Kopfschmerzen. „Klar“, sagte ich. Zum Glück klang es noch abgebrüht. Dabei konnte ich einfach bloß nicht mehr hervorpressen. „Schön.“ Das Pergament war verschwunden. Keine Ahnung wo. Ich stellte mir vor, wie es durch Rohrpostsysteme im zwergisch kontrollierten Teil des Bergs sauste, um irgendwo tausend Meilen unter der Erdoberfläche von einem Goblinsklaven abgeschrieben zu werden. Und wieder abgeschrieben. Und wieder. Zwerge waren für ihren analen Charakter bekannt, wenn es um Dokumente ging. Ob der Goblin sich für jede Kopie Blut aus dem Arm ziehen musste? Oder hatten die da unten Blutkonserven jeder Spezies auf der weiten Welt vorrätig? „… absolut tödlich.“ Der Zwerg, der gerade einen Satz beendet hatte, sah mich erwartungsvoll an. Mit den Händen machte er dieses Zeltdings, das mich schon bei meinen Lehrmeistern total wahnsinnig gemacht hatte. „Natürlich.“ Ich nickte und tat so, als hätte ich die ganze Zeit aufmerksam zugehört. Er stand auf und reichte mir die Hand. Ich blieb sitzen und schüttelte sie. Der Schreibtisch war verdammt wuchtig und der kleine Kerl musste sich ordentlich strecken. Wie um sich an mir für diese kleine Demütigung zu rächen sagt er mir direkt ins Gesicht: „Ich glaube nicht, dass wir uns wiedersehen. Wie gesagt, wenn Sie die Wirbelsturmtreppe überleben, haben Sie ganz gute Chancen. Und grüßen Sie den Eulenmenschen von mir.“ Der Eulenmensch war der Abenteurer gewesen, den sie vor mir in den Berg geschickt hatten. Ich kannte ihn flüchtig. Er war auf der Akademie zwei Jahrgänge über mir gewesen. Ein riesiger Bursche mit mörderischen Krallen, grausamem Schnabel und diesen gelben Augen, die diese Spezies so unheimlich macht. Meine Zimmergenossin Ashwanta hatte eine Cousine im Abschlussjahrgang, die wohl mal was mit ihm gehabt hatte und morgens immer total blutig und zerkratzt durchs Fenster stieg. Xenomorphe hatten es halt leichter beim Anbändeln. Leute wie ich waren natürlich auch ziemlich gefragt, aber meistens aus Gründen, die zumindest ich wesentlich weniger schmeichelhaft fand. Viele meiner Art haben anscheinend nichts gegen Fetischisten, aber ich gehöre zu der Minderheit – oder jedenfalls fühle ich mich da ziemlich in der Minderheit – die für andere Sachen scharf gefunden werden will als für die Fähigkeit, nach Belieben das Geschlecht zu wechseln. Diese komischen Details mit dem Eulenmenschen fielen mir vermutlich deshalb gerade jetzt ein, weil seine Leiche hier mit mir durch die Wirbelsturmtreppe trudelte. Ich sah schon ziemlich übel aus und hatte so die leise Ahnung, dass der Goblinsklave sich die dritte Abschrift auch sparen könnte. Verträge mit Toten gelten nicht mal mehr Zwergen was. Meine einziger Trost war, dass der Eulenmensch – ich kam nicht mehr auf den Namen, aber die waren auch immer so voller Krächz- und Gurrlaute – noch übler aussah. Große Humanoide wurden auf der Wirbelsturmtreppe anscheinend fast zwangsläufig gepackt und an die Felswände geschleudert. Bakterien, Pilze und anderes Kroppzeug flogen aber anscheinend so unbeschwert hier rum wie Schmetterlinge über irgendeine Sommerwiese, die Leiche war nämlich schon ganz schön zerfressen und verschimmelt. Trotzdem schlug sie jetzt die Augen auf. Die Augen leuchteten, aber nicht gelb wie ein Herbstwald, sondern rot wie etwas, was direkt aus den sieben Höllen kommt, um dich in den Arsch zu beißen. Der Eulenmenschzombie sperrte den Schnabel auf und kreischte. Es klang nicht gesund, aber das wunderte mich auch nicht mehr. Durch die Löcher in seinem Fleisch guckte etwas mit vielen Augen raus. In Dingsbums, mit dem die Cousine von Ashwanta mal rumgevögelt hatte, hockte ein Dämon und wollte raus. Und es war ihm offenbar am liebsten, wenn er dabei noch durch mich durch konnte. „Was lachst du, Sterblicher?“ Aus dem Eulenmenschenzombieschnabel drang eine Stimme, die sich anhörte wie Kreide aus rostigem Stahl auf einer Tafel aus gefrorener Säure. Das kriegen sie auf der Akademie bei den Dämonendummies nie hin, egal, wie viel Mühe sie sich geben. „Tschuldigung“, sagte ich und fummelte am Schwert auf meinem Rücken herum. Nicht gerade leicht, das klobige Familienerbstück zu ziehen, wenn man mit x Sachen von Höllenwinden m Kreis gewirbelt wird. Ich hätte mir ja eine moderne, leichte Waffe zugelegt, aber es hätte Mama das Herz gebrochen, wenn ich „Blutbruder“ abgelehnt hätte. Seit Papa nicht mehr war, neigte sie zur Sentimentalität, und er war immerhin schon seit einundzwanzig Jahren verschollen. „Rumgevögelt. Das fand ich irgendwie witzig.“ Die Augen pulsierten verständnislos. „Weil du doch ein Eulenmensch bist. Verstehst du? Rumgevögelt. Und du bist ein … ach, egal.“ Ich zog Brudi aus der Scheide und ruderte auf den Dämon zu.

3

Wenn Sie sich jetzt fragen, ob ich meinen verschollenen Vater später irgendwo tief unter dem Berg wieder finden werde: Ja, so ist es. Aber dazu kommen wir später. Sie haben vielleicht Verständnis dafür, dass ich erst mal mit diesem Eulenmenschenzombie fertig werden muss. Eins kann ich aber schon mal verraten. Seine ersten Worte an mich werden lauten: „Einmal gut durch. Und mit viel Speck.“ Und das wird nicht halb so lustig sein, wie es sich jetzt anhört.

4

„Krackkrä. Oder Krackzack?“ Typisch. Der Name meines Gegenübers fiel mir immer erst dann wieder ein, wenn die Leute entweder gekränkt oder tot waren. Oder beides, wie vermutlich in diesem Fall. Ich wischte Brudi an der Leichen des Zombiedämonendings ab und stach mir zweimal in den Rücken, bevor ich den Versuch aufgab, das Schwert wieder in die Scheide zu stecken. Eigentlich hatte sich an meiner Situation nicht viel geändert. Ich wurde immer noch auf der Windtreppe in den Berg herumgeschleudert. Nur, dass ich jetzt zwei Schnabelwunden mehr hatte und der Eulenmensch, der mich umkreiste, sozusagen doppelt tot war.

5

Wenn Sie sich fragen, wie ich vom Büro des Zwergs in diesen Wirbelsturm geraten bin: Ich bin die Treppe runtergefallen. Der Zwerg meinte, immer den Gang runter und die zweite links. Also bin ich den Gang runter und hab die zweite Links genommen. Mir war immer noch schwummrig vom Blutabnehmen und von dem ganze Rauch im Büro und außerdem versuchte ich die ganze Zeit mich zu erinnern, was er über diese Sache gesagt hatte, die angeblich schon ganz oben im Berg absolut tödlich war. Und dann war da ein gezacktes Loch im Boden und ich bin da reingefallen. Wenn Sie daraus irgendwelche Schlüsse über mich ableiten wollen, nur zu. Ich hab aufgehört, auf die Meinung anderer Leute irgendwas zu geben, seit ich bei der Abschlussprüfung in orkischer Logik an der Akademie nur bestanden habe, weil ich dem Prüfungsausschuss erklärt habe, es sei unlogisch, dass ich nicht bestanden hätte, weil ich damit ja meinen Abschluss nicht mehr schaffen könnte, und diese Möglichkeit sei ja nicht auszuschließen, wenn man in Betracht ziehe, dass ich die Prüfung ja ebenso gut bestanden haben könnte. Wenn Sie daraus irgendwelche Schlussfolgerungen über die Abenteurerakademie zu Ha´wat ziehen wollen, haben Sie vermutlich recht. Der Unterricht in den bewaffneten Disziplinen hatte, unter uns gesagt, auch nicht mehr Hirn. Und so bin ich halt in die das Loch gefallen.

6

Wenn Sie sich fragen, warum man überhaupt Abenteurer wird: Lesen Sie noch mal das, wo ich in ein Loch falle und dann gegen Eulenzombies kämpfe. Und das, wo ich die Logikprüfung bestehe. Dann zählen Sie eins und eins zusammen. Sie können das, da bin ich mir ganz sicher. Sie waren ja nicht auf der Abenteurerakademie zu Ha´wat.

7

Vor mir an der Wand des Felskraters, durch den die Wirbelsturmtreppe tobte, tauchten zwei rote Lichter auf. Hinter mir, wo der Eulenzombie gerade vorbeitrudelte, sagte eine Stahlrkreidestimme: „Karack-äk-ä. Mein Name ist Karack-äk-ä.“ „Du willst mich wohl verarschen“, sagte ich.

8

Was Brudi einmal umbringt, bringt er auch zweimal um. Ich will Sie jetzt nicht langweilen. Vor allem, weil der Eulenzombie wenig später noch ein drittes Mal zum Leben erwachte und die Sache auch nicht anders ausging. Mir schwante, dass ich einen Weg finden musste, diesen Dämon ein für alle mal in die Hölle zurückzuschicken. Mehr als fünf oder sechs Wiederbelebungen würde ich nicht mehr durchhalten. Zumal ich inzwischen auch ziemlich zerbeult war.

9

„Zweimal durch. Und mit viel Speck.“ Das war nicht mein Vater. Es war ein Zauberer, der schlafend auf einem fliegenden Teppich an mir und dem Eulenmenschenzombie vorbeitrudelte. Genauer gesagt war es der Teppich. Der Zauberer schlief ja.

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Dass es ein Zauberer war, erkannte ich am spitzen Hut, der bestickten Robe und dem Stab, den er wie ein Baby umklammert hielt. Er redete im Schlaf und murmelte eben Kochrezepte und Köstlichkeiten vor sich hin. Also, nicht der Stab war das Baby, sondern der Zauberer. „Hey“, rief ich durch den tosenden Wind. „Können Sie mir mal mit diesem Zombie helfen?“ „Was?“ Die Stimme, die zurückkam, klang nicht zauberermäßig. Ich kannte Zauberer aus der Akademie zu Ha´wat. Kampfzauberer mit dröhnenden Stimmen. Beschwörer mit rattigen Piepsstimmchen. Das hier war keins von beiden. Das hier war ein fadenscheiniger Teppich. Zauberteppiche kannte ich auch aus der Akademie. Fliegende Teppiche mit ätherischen Elfenstimmen, die immer klingen, als würden ganz viele Leute gleichzeitig reden. Rätselteppiche mit wahnsinnig machenden Stimmen, die immer klingen, als würden ganz viele Leute gleichzeitig reden. Klugscheißerteppiche, die zu lange in magischen Bibliotheken rumgehangen haben (Klugerscheißerteppiche sind fast immer Wandteppiche oder, wie sie selber gerne sagen, Gobelins. Bloß nicht mit Goblins verwechseln, das macht sie sauer!), und da allerhand aufgeschnappt haben, das sie jetzt immer nachplappern müssen. Bebrillte Stimmen haben die. So eine Stimme war das, die mit jetzt antwortete. „Bitte seien Sie still, der große Manzani schläft.“ Der große Manzani, das folgerte ich messerscharf, wie man es mir in orkischer Logik beigebracht hatte, das war der Kretin, der auf dem Staubfänger schnarchte. „Es ist aber eh schon ziemlich laut hier. Was stört da noch mein Schreien?“ Ich hörte mich an wie der Landvermesser F. aus einem der unverständlichen Romanfragmente des elfischen Großschriftstellers Frantisek Fafner, die sich mich an der Akademie zu lesen gezwungen hatten. Nach dem ersten hatte ich mir die Mühe gespart und in den Aufsätzen bloß noch was über Bürokratie und Hermetik gefaselt. Die Büchern waren alle gleich. Aber zurück zu dem Teppich und dem schlafenden Zauberer – kaum denke ich an Fafner, fange ich an, sinnloses Zeug zu brabbeln. „Da haben Sie auch wieder recht.“ Immerhin ein Teppich mit Vernunft. „Bitte, der Zombieeulenmensch hat irgendeinen bösen Geist in sich, der erwacht immer wieder. Ich brauche dringend magische Hilfe.“ Wir umwirbelten einander. Immer, wenn ich mit dem Teppich und dem darauf schlafenden Zauberer eine Linie bildete, streckte ich Brudi aus und angelte nach beiden. Der Wind entzog sie mir geschwind. „Das“, sagte der Teppich mit seiner Brillenschlangenstimme, „kann ich mir gut vorstellen, allein, der große Manzani, er schläft.“ Dieses Brillenschlangentypen haben immer einen Scheiß-Satzbau. Allein für das „allein“ hätte ich ihm schon auf die Fresse hauen können. Leider war er dafür zu weit weg. Und ich brauchte seine Hilfe. „Sie müssen ihn ja nicht gleich wecken. Machen Sie nur mal eine kurze Welle. Werfen Sie eine Falte. Schieben Sie ihm ein Sandkorn unter. Wenn er dann mit den Lidern flattert, flüstern Sie ihm ein, dass er was gegen Geister in Zombies spricht. Sie haben doch sein Ohr.“ Man musste mit denen genau so bescheuert sprechen, wie sie selber auch waren, das war das ganze Geheimnis. Wusste ich von der Akademie. Tausend Brillentypen hatten meine Hausaufgaben in orkischer Logik gemacht, nachdem ich ihnen ein Sonett geschrieben hatte. Ich war zwar kein Dichtertyp, aber strenge Formen lagen mir. Notfalls zwang ich einen anderen Brillentypen, mir aus der Bibliothek das Sonett irgendeines Elfenlyrikers abzuschreiben, das ich dann gegenüber dem anderen, der meine Hausaufgaben machen sollte, als meine eigenes ausgab. Natürlich hätte ich auch gleich den Sonettholer mit Prügelandrohung dazu zwingen können, aber jahrelanger Unterricht in orkischer Logik hatte mich völlig zerrüttet. Manchmal knabbere ich da heute noch dran. Dabei fiel mir was ein.

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