Toulouse-Lautrec -  - E-Book

Toulouse-Lautrec E-Book

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Beschreibung

Toulouse-Lautrecs Anziehungskraft hat sich in einer Art und Weise erhalten, die ihn von vielen zeitgenössischen Pariser Künstlern unterscheidet. Dabei faszinieren nicht nur seine Werke, sondern auch die merkwürdigen Fakten in seiner Biographie, die ihn noch bekannter machten. In dieser aufwendig bebilderten E-Book-Monographie schildert die Autorin Toulouse-Lautrec nicht nur in Zusammenhang mit dem Paris des ausgehenden 19. Jahrhunderts – sie untersucht auch die Mythen, die um ihn herum ranken. Die Gemälde, die 1874 zum ersten Mal in der Öffentlichkeit präsentiert wurden, waren anfangs jedoch Zielscheibe derber Beleidigungen und harscher Kritik – heute zählen diese Werke zu dem Bedeutendsten und Kostbarsten, was die Kunst zu bieten hat. In diesem E-Book wird das Leben und Schaffen von Monet, Manet, Renoir, Degas, Sisley, Pissarro, Cezanne, Van Gogh, Gauguin, Liebermann und vielen weiteren Künstlern vorgestellt. Schönheit und Farbenpracht der abgebildeten 150 Gemälde erstrahlen durch die digitale Art der Darstellung in bisher nicht gekannter Brillans.

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TOULOUSE-LAUTREC

Toulouse-Lautrecs Anziehungskraft hat sich in einer Art und Weise erhalten, die ihn von vielen zeitgenössischen Pariser Künstlern unterscheidet. Dabei faszinieren nicht nur seine Werke, sondern auch die merkwürdigen Fakten in seiner Biographie, die ihn noch bekannter machten. In dieser herrlich bebilderten Monographie schildert die Autorin Toulouse-Lautrec nicht nur in Zusammenhang mit seiner Umgebung, dem Paris des ausgehenden 19. Jahrhunderts – sie untersucht auch die möglichen Gründe für seine körperliche Missbildung und die Mythen, die um ihn herum geschaffen wurden. Dabei greift sie immer wieder auf private Korrespondenz zurück, die den komplexen Charakter des Künstlers bestens enthüllt.

Das aristokratische Milieu, aus dem Toulouse-Lautrec stammte, sah für ihn eigentlich keine künstlerische Laufbahn vor. Er begann erst ernsthaft zu malen, als er sich von den Beinbrüchen in seiner Jugend erholte. Nach einer Ausbildung in Paris, wo er andere Avantgardemaler seiner Zeit kennenlernte – darunter auch Mitglieder der Impressionistengruppe und van Gogh –, wurde er Stammgast in den Nachtlokalen und volkstümlichen Tanzsälen der französischen Hauptstadt, die ebenfalls von einigen der faszinierendsten Persönlichkeiten jener Zeit besucht wurden. Gleichermaßen inspirierte ihn die Halbwelt zu Bildern über den Alltag im Bordell oder zu rührenden Darstellungen von Menschen am Rande der Gesellschaft. Er erhob außerdem den Druck zur Kunstform und leistete so einen erfolgreichen Beitrag zur Auslöschung des Unterschieds zwischen „hoher“ und „populärer“ Kunst.

Dieses Buch enthält hervorragende Reproduktionen von 126 Werken des Künstlers, die das gesamte Spektrum seines Œuvres umfassen: von Ölgemälden und Aquarellen bis hin zu Drucken und Plakaten; von den Cabarets und Cafés bis hin zu den Zirkusmanegen und Rennbahnen. Das Buch ist ein großartiges Porträt eines der berühmtesten französischen Künstler des 19. Jahrhunderts.

TOULOUSE-LAUTREC

LESLEY STEVENSON

Toulouse Lautrec

Lesley Stevenson

Digitalisierte Neuausgabe 2020

Hrsg. Heinz Hermann Serges

© Originalausgabe by Royal Smeets Offset B.V., Weert, Niederlande

© by Media Serges B.V., Weert, Niederlande

© by Serges Medien, 42659 Solingen

Alle Rechte vorbehalten.

Für Werke von Bildenden Künstlern, angeschlossen bei einer CISAC-Organisation (oder vergleichbaren Organisationen) sind die Urheberrechte geregelt mit Beeldrecht Amsterdam, Niederlande

© 1996 c/o Beeldrecht

Realisierung der Digitalausgabe: Zeilenwert GmbH., 07407 Rudolstadt und Ingenieurbüro Müller, 76228 Karlsruhe

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Chronologie

Vorwort

Dichtung und Wahrheit

Kapitel 1

Auf nach Paris!

In Paris

Kapitel 2

Montmartre und Aristide Bruant

1886 – Modelle – Les XX

Kapitel 3

1889 – die Weltausstellung

Der Zirkus Fernando

Kapitel 4

Das Moulin Rouge

Die Plakate – Lithographie

Kapitel 5

Werbung für die Stars

Jane Avril –La Goulue und Valentin le Désossé – Yvette Guilbert – Marcelle Lender – May Belfort

Kapitel 6

Der Jardin de Paris

Loïe Fuller – Die Revue Blanche – Napoleon

Kapitel 7

Die „Maisons closes"

Elles – Die Bilder von lesbischen Frauen – Die Darstellung von Frauen – Der Einfluss Manets – Cha-U-Kao

Kapitel 8

Die Krise von 1899

Der Gefangene – Die Kritiker – „Ich habe mir mit meinen Zeichnungen die Freiheit erkauft"

Kapitel 9

Die letzten Jahre

Pferderennen – Bordeaux – Messalina

Bibliographie

Personenverzeichnis

CHRONOLOGIE

1864

Am 24. November erblickt Henri-Marie-Raymond de Toulouse-Lautrec-Monfa als Sohn von Adéle-Zoë, geborene Tapié de Céleyran (1841–1930), und Graf Alphonse-Charles de Toulouse-Lautrec-Monfa (1838–1912) das Licht der Welt im Château du Bosc in Albi.

1872

Geht mit seiner Mutter, der Gräfin, nach Paris und besucht dort das Lycée Fontanes. Bekanntschaft mit Maurice Joyant.

1875

Rückkehr nach Albi, wo er fortan von Privatlehrern unterrichtet wird.

1878

Bricht sich das linke Bein.

1879

Bricht sich das rechte Bein.

1881

Fällt im Juli durch die Reifeprüfung, besteht jedoch im November.

1882

Geht mit René Princeteau nach Paris, um Malerei zu studieren. Im März wird er Schüler von Léon Bonnat. Als dieser sein Atelier im September schließt, wird er Schüler von Fernand Cormon, bei dem er Louis Anquetin, René Grenier, Emile Bernard und 1886 auch Vincent van Gogh trifft.

1883

Die Gräfin kauft das Schloss Malromé.

1884

Toulouse-Lautrec wohnt bei den Greniers in Paris.

1885

Wird Stammgast in Aristide Bruants Cabaret Le Mirliton. Lernt Suzanne Valdon kennen.

1886

Seine Arbeiten werden im Le Mirliton ausgestellt. Er nimmt sich ein Atelier Ecke Rue Caulaincourt und Rue Tourlaque. Die Besuche in Cormons Atelier werden seltener.

1887

Lebt bei Dr. Henri Bourges. Lernt Theo van Rysselberghe kennen.

1888

Stellt elf Gemälde und eine Zeichnung mit der Gruppe Les XX in Brüssel und im Salon des Indépendants in Paris aus.

1889

Weltausstellung in Paris. Lautrec zeigt im Cercle Volney und im Salon des Indépendants sein Bild Moulin de la Galette.

1890

Erneute Ausstellung mit der Gruppe Les xx. Er reist nach Biarritz und San Sebastian. Joyant wird in Goupils Galerie der Nachfolger von Theo van Gogh.

1891

Lautrec beginnt Lithographien zu produzieren. Zidler gibt bei ihm das Plakat Im Moulin Rouge: La Goulue in Auftrag. Ausstellungen im Salon des Indépendants, im Cercle Volney und im Le Barc de Boutteville. Sein Cousin Gabriel Tapié de Céleyran kommt nach Paris, um dort Medizin zu studieren.

1892

Ausstellungen mit der Gruppe Les XX, im Cercle Volney, im Salon des Indépendants und im Le Barc de Boutteville. Reise nach London. Dekoriert den Salon des Bordells in der Rue d'Ambroise.

1893

Ausstellungen mit der Gruppe Les XX, im Boussod Valadon (durch Joyant), und im Indépendants. Nach Bourges' Heirat zieht Lautrec bei seiner Mutter ein. Er arbeitet für den Figaro Illustre, der von Valadon herausgegeben wird, für die Revue Blanche und für L'Escarmouche.

1894

Reisen nach Belgien, Holland und London. Ausstellungen bei Durand-Ruel und im Royal Aquarium in London.

1895

Ausstellung mit der Gruppe La Libre Esthétique in Brüssel. Reise nach London, wo er Whistler und Oscar Wilde trifft. Ausstellung im Royal Aquarium. In Paris Ausstellungen im Indépendants, im Salon de la Société Nationale des Beaux-Arts, im Centenaire de la Lithographie, im Salon des Cent und in der Manzi-Joyant-Galerie. Von Le Havre aus fährt Lautrec nach Arcachon. Mit Maurice Guibert reist er nach Lissabon und Madrid.

1896

Ausstellungen mit der Gruppe La Libre Esthétique, im Indépendants, im Salon des Cent und in der Manzi-Joyant-Galerie. Reisen nach San Sebastian, Burgos, Madrid und Toledo.

1897

Ausstellungen mit La Libre Esthétique und im Indépendants. Reise nach London. Umzug in ein Atelier in der Avenue Frochot.

1898

Stellt in Goupils Londoner Galerie 78 Werke aus.

1899

Wird wegen Alkoholismus in Dr. Sémelaignes Sanatorium in Neuilly eingewiesen. Nach seiner Entlassung geht er im Mai nach Albi, macht eine Seereise von Le Havre nach Bordeaux und besucht dann seine Mutter in Malromé. Im Oktober fungiert er bei der Weltausstellung als Mitglied der Jury für die lithographische Abteilung.

1900

Besuch in Malromé und Aufenthalt in Bordeaux.

1901

Erneuter Aufenthalt in Bordeaux und in Malromé. Nachdem er in Paris alles Geschäftliche geregelt hat, geht er zu seiner Mutter nach Malromé und verstirbt dort am 9. September.

Selbstporträt, 1880

Karton, 40,3 x 32,4 cm

Albi, Musée Toulouse-Lautrec

Vorwort

Dichtung und Wahrheit

Die Anziehungskraft von Toulouse-Lautrec, einem der berühmtesten französischen Künstler des 19. Jahrhunderts, hat die Zeiten in einer Weise überdauert, die ihn von anderen zeitgenössischen Pariser Malern unterscheidet. Faszinierend sind jedoch nicht allein seine Werke, sondern auch die seltsamen Fakten in seiner Biographie, die erheblich zur Vergrößerung seines Ruhms beitrugen. Leider werden viele wichtige Begebenheiten in seinem Leben heute verzerrt wiedergegeben und gereichen seinem Schaffen deshalb zum Nachteil. In John Houstons preisgekröntem cineastischen Werk über Lautrecs Leben von 1953, Moulin Rouge, – wurden zum Beispiel die romantischen Affären des Künstlers vor dem malerischen Hintergrund der Cabarets in Montmartre verfilmt. Die Rolle des Lautrec spielte José Ferrer auf den Knien, um den Unterschied zwischen dem Maler und den „normalen" Leuten hervorzuheben. Eigentlich ist Lautrecs Andersartigkeit das eigentliche Hauptthema dieses Films – sowohl die körperliche als auch die geistige. Vier Jahre nach der Entstehung dieses Films machte Vincente Minelli in Lust for Life dieselbe archetypische Beziehung zwischen Künstler und Gesellschaft zum Thema seines Films, diesmal jedoch drehte es sich um das Leben van Goghs.

Der Vergleich zwischen diesen zwei Künstlern, die sich 1886 kurz begegnet waren, ist eine nähere Betrachtung wert, da beide durch die Filmindustrie sozusagen öffentliches Eigentum wurden. In bei den Filmen wird die Mythologisierung des Künstlers bis zum Äußersten betrieben. Der romantische Kult um den Künstler, der bereits im frühen 19. Jahrhundert begann, misst seinem Privatleben genauso viel Bedeutung bei wie seiner Arbeit, wobei im Film die Arbeit mit der Persönlichkeit gleichgesetzt wird. Es ist kein Zufall, dass man beiden Künstlern geistige Verwirrung nachsagte (was ihren angesehenen Familien ziemlich zu schaffen gemacht haben dürfte) und dass die traurigen Seiten ihrer Persönlichkeiten von Filmemachern und Biographen regelrecht ausgeschlachtet wurden, um ihr künstlerisches Martyrium zu betonen. Oftmals werden eher nebensächliche Begebenheiten fürchterlich aufgebauscht, so dass sich in der Erinnerung des Zuschauers oder Lesers kaum etwas anderes als Toulouse-Lautrecs deformierter Körper und van Goghs Selbstverstümmelung festsetzen kann. Viele Filmdramen zehren von diesen persönlichen Tragödien. Beide Künstler werden stets völlig entfremdet von ihren Familien und ihren Freunden dargestellt (entweder wegen ihres Wahnsinns oder wegen ihres Genies), und diese Entfremdung wird für sie schließlich zu einer Art Eintrittskarte in avantgardistische Künstlerkreise.

Wenn man sich jedoch die Mühe macht, die Korrespondenz von van Gogh oder Toulouse-Lautrec zu lesen, erhält man einen ganz anderen Eindruck. Beide fühlten sich eng mit ihren Familien verbunden, und ihre Briefe reflektieren eher die monotone Realität des Alltags im 19. Jahrhundert als irgend welche großartigen künstlerischen Erfolge. Kurz vor ihrem vierzigsten Lebensjahr waren beide Künstler noch finanziell von ihren Familien abhängig (wenngleich auch aus verschiedenen Gründen), und ihre liebevollen Briefe enden oft mit der dringenden Bitte um Geld. Es leuchtet ein, dass sowohl van Goghs Bruder als auch Toulouse-Lautrecs Mutter häufig nur allzu glücklich gewesen sein mussten, wenn sie sich durch ihre finanzielle Unterstützung die gesellschaftlich etwas anrüchigen Künstler vom Leibe halten konnten.

Das Rennen von Chantilly, 1879

Leinwand, 47 x 58 cm

in Privatbesitz

Reiterin, gefolgt von ihrem Stallburschen, 1880

Holz, 14,1 x 23,4 cm

Albi, Musée Toulouse-Lautrec

Theo van Gogh, ein angesehener Pariser Kunsthändler, erkaufte für seinen Bruder in Arles Gauguins Begleitung. Die Gräfin de Toulouse-Lautrec floh aus Paris, als das Benehmen ihres Sohnes immer unerträglicher wurde, nicht ohne ihm jedoch einen Betrag von 1000 Francs zurückzulassen. Kein Wunder, dass beide Künstler sich den Ruf erwarben, sowohl durch ihre Kunst als auch durch ihren Lebensstil mit der bourgeoisen Etikette auf Kriegsfuß gestanden zu haben.

Auch die Tatsache, dass beide Künstler bereits mit 37 Jahren starben, erweckt den Eindruck künstlerischen Märtyrertums (ein Hauptmerkmal für Genialität scheint stets ein früher Tod zu sein). Zum Zeitpunkt ihres Todes waren beide jedoch völlig zerstört von den Geißeln der Bohemiens im 19. Jahrhundert: Alkohol und Syphilis. Im Grunde war Toulouse-Lautrec sogar nur 36 Jahre alt geworden.

Natürlich unterschieden sich ihr Leben und ihr Schaffen in vielen wichtigen Dingen. Lautrec litt niemals unter echten finanziellen Schwierigkeiten. Er stammte aus einer reichen, adeligen Familie, und nur seine Spendierfreudigkeit zwang ihn, sich manchmal von Freunden und Familie Geld zu borgen. Im Gegensatz zu van Gogh oder anderen Künstlern, wie zum Beispiel den Impressionisten, fand er mit seiner Kunst in der Öffentlichkeit großen Anklang. Dies war wahrscheinlich auf die wachsende Beliebtheit der Druckkunst zurückzuführen, derer sich Lautrec mit großem Talent bediente, sowie auf seine für alle leicht zugängliche Sujetwahl und seinen relativ konservativen Malstil. Dieser Stil war weniger das Resultat einer bahnbrechenden Neuerung, Lautrec orientierte sich darin vielmehr an seinen künstlerischen Vorgängern und an der japanischen Kunst.

Sowohl in Moulin Rouge als auch in Lust Jor Life spielt die romantische Freiheitsliebe des Künstlers eine große Rolle, wobei diese als Symbol für die Freiheitsliebe einer ganzen Gesellschaft verstanden werden kann. Beide Filme entstanden zur Zeit des Kalten Krieges und enthüllen genauso viele Nachkriegsemotionen wie Tatsachen über das Leben im Frankreich des 19. Jahrhunderts. Die Welt, die in diesen Filmen präsentiert wird, strotzt vor Nostalgie und Dekadenz. Die Künstler müssen sich in einer fremden Umgebung behaupten. Toulouse-Lautrec, der Aristokrat aus Südfrankreich, der den Dialekt der Gascogne fließend beherrscht, findet sich wieder in den anrüchigen Vergnügungsetablissements der Landeshauptstadt und in einem politischen Milieu, das seine konservative Familie schockieren würde. Er verkehrt mit Prostituierten und anderen Halbweltfiguren und wird von deren freizügigem Lebenswandel inspiriert. Zwar sind beide Filme – wenn auch manchmal etwas naiv – darum bemüht, die Künstler fest eingebunden in ihrer Epoche darzustellen; dennoch scheint sich das dargestellte Image der Maler irgendwie selbständig gemacht zu haben, so dass man heute die Legende nicht mehr von der Wahrheit trennen kann.

Aber Lautrecs Leben ist nicht nur von den modernen Biographen und Kritikern verdreht wiedergegeben worden. Ein Großteil seines posthumen Rufes wurde schon zu seinen Lebzeiten etabliert. Zeitgenössische Beobachter stellten bereits 1899 fest, dass sowohl der Künstler als auch sein Werk den gegenwärtigen Trend in einer Weise verkörperten, die ihn von seinen Kollegen unterschied. Viele seiner Drucke und Gemälde haben aktuelle Themen zum Gegenstand, besonders die Szenen aus Cafés und Bordellen, aber sie sind keinesfalls einzigartig. Er griff in seinen Werken niemals andere brisante Probleme auf, und deshalb darf man ihn auch nicht (wie zum Beispiel Courbet oder Manet) als Kommentator sozialer Zustände bezeichnen. Bestenfalls kann man aus Lautrecs Werken einen gewissen Hedonismus herauslesen – in einer Zeit, als Frankreich die Schwelle zu einem neuen Jahrhundert überschritt. Er war auch nicht der einzige, dem es gelang, den Zeitgeist einzufangen. Es scheint, dass Lautrec nur deshalb zu dem Archetypus eines Fin-de-siècle-Künstlers wurde, weil ihn eher sein Lebenslauf als sein Schaffen für diese Art des künstlerischen Märtyrers prädestiniert hatte.

Alte Frau auf einer Bank in Céleyran, 1882

Leinwand, 55 x 46 cm

Albi, Musée Toulouse-Lautrec

Sitzender Akt, 1882

Leinwand, 55 x 46 cm

Albi, Musée Toulouse-Lautrec

Die Mutter des Künstlers beim Frühstück, 1881

Leinwand, 93,5 x 81 cm,

Albi, Musée Toulouse-Lautrec

Kapitel 1

Auf nach Paris!

Henri-Marie-Raymond de Toulouse-Lautrec-Monfa wurde am 24. November 1864 im Chateau du Bosc, dem Familiensitz seiner Mutter in Albi (Südwestfrankreich), geboren. Seine Mutter Adèle-Zoë Tapié de Céleyran (1841–1930) hatte am 9. Mai 1863 seinen Vater Alphonse-Charles de Toulouse-Lautrec-Monfa (1838–1912) geheiratet. Sie waren Cousin und Cousine.

Die Position der französischen Aristokratie während des Zweiten Reiches und der Dritten Republik war durch die Industrialisierung und das Streben nach Demokratie etwas wackelig geworden. Zwar erfreute sie sich nach wie vor an Reichtum und Privilegien, aber ihre politische Macht wurde zusehends schwächer. Eine Auswirkung dieser unsicheren Existenz war die inzestuöse Ehe, durch die sich die aristokratischen Familien ihren Wohlstand und Status sichern wollten. Lautrecs Vater war ein begeisterter Reiter und verbrachte die meiste Zeit im Sattel. Die Jagd wurde zu seinem Lebensinhalt, und es scheint, als hätte er das Interesse an seinem Sohn in dem Moment verloren, als erkennbar wurde, dass dieser seine Leidenschaft nicht teilte.

Trotz Industrialisierung und verbesserter Kommunikationsmöglichkeiten war Frankreich noch weit davon entfernt, ein geeintes Land zu sein. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Regionen traten nach wie vor überdeutlich zutage.

Wie auch Cézanne und Bazille war Toulouse-Lautrec stolz auf seine südliche Herkunft; sein Stammbaum ließ sich bis in Mittelalter zurückverfolgen. Oft schrieb und sprach er im Gascogner Dialekt. Dies alles kam in seinem künstlerischen Werk jedoch nie zum Ausdruck.

Lautrecs Familie war in politischer Hinsicht konservativ. Trotz der wachsenden Säkularisierung wurde der kleine Henri streng katholisch erzogen, wahrscheinlich jedoch eher wegen des Bestrebens seiner Familie, den Status quo und die royalistischen Sympathien aufrechtzuerhalten, als aus echter Frömmigkeit. In Briefen an seine Patin schrieb er über seine Eindrücke von Feiertagen und von seiner Erstkommunion 1876 in Paris. Nur wenig weist darauf hin, dass er jemals von der rechtsgerichteten, nationalistischen und monarchistischen Gesinnung, die in seiner Familie herrschte, abgewichen wäre. 1892 berichtete er seiner Mutter von einer sehr wohlmeinenden Kritik in einem Journal: „Die ‚Paris‘, eine äußerst republikanische Zeitung (erzähl davon nichts der Familie) …" Zur selben Zeit mischte er sich jedoch in Montmartre fröhlich unter Republikaner und Anarchisten, auch während der Dreyfus-Affäre, die Frankreich zwischen 1894 und 1906 in zwei Lager teilte.