Trail der Träume ...und Albträume - Savas Coban - E-Book
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Trail der Träume ...und Albträume E-Book

Savas Coban

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Beschreibung

»Seine Abenteuer fangen dort an, wo die meisten anderen aufhören.« ZDF Sportstudio Reportage 87 Tage am Stück, 230.000 Höhenmeter - mit seinem Ultramarathon durch Peru hat Savas Coban einen Weltrekord aufgestellt, den viele für unmöglich hielten. Was Savas dabei erlebt hat? Die Schönheit und Gewalt der Natur in drei Klimazonen, die reiche Geschichte Perus und die dramatische Gegenwart zwischen echter Gastfreundschaft und den brennenden Barrikaden eines Volksaufstands. Was er dabei gelernt hat? Dass es das Herz ist, dem man folgen muss und das uns über uns hinauswachsen lässt.

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Seitenzahl: 230

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Impressum

© eBook: 2023 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

© Printausgabe: 2023 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie Verbreitung durch Film, Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeglicher Art nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.

Autoren: Savas Coban mit Carsten Polzin

Redaktion und Projektmanagement: Melanie Loser, Wilhelm Klemm

Lektorat: Martin Waller, Werkstatt München – Buchproduktion

Kartengestaltung: Birgit Kohlhaas

Schlusskorrektur: Chris Tomas

Bildredaktion: Martin Waller

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur

eBook-Herstellung: Pia Schwarzmann

ISBN 978-3-8464-1003-5

1. Auflage 2023

GuU 4-1003 06_2023_02

Bildnachweis

Coverabbildung: ravir film/Javier Sobremazas und Lucía Venero

Illustrationen: Getty Images/antori; Getty Images/Enn Li Photography; Getty Images/Eric Herrera/EyeEm; Getty Images/Marcos Granda P; Getty Images/tobiasjo; Look/Michael Boyny; ravir film; ravir film/Alexander Estrada; ravir film/Javier Sobremazas; ravir film/Javier Sobremazas und Lucía Venero; ravir film/Jonas Haubold; ravir film/Lucía Venero; ravir film/Robert Koschitzki; Savas Coban; Shutterstock

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Leserservice

GRÄFE UND UNZER Verlag

Grillparzerstraße 12, 81675 München

www.graefe-und-unzer.de

Die Polyglott-Homepage finden Sie im Internet unterwww.polyglott.de

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Wichtiger Hinweis

Die Daten und Fakten für dieses Werk wurden mit äußerster Sorgfalt recherchiert und geprüft. Wir weisen jedoch darauf hin, dass diese Angaben häufig Veränderungen unterworfen sind und inhaltliche Fehler oder Auslassungen nicht völlig auszuschließen sind. Für eventuelle Fehler oder Auslassungen können Gräfe und Unzer und die Autoren keinerlei Verpflichtung und Haftung übernehmen.

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in diesem Buch bei Personenbezeichnungen das generische Maskulinum verwendet. Es gilt gleichermaßen für alle Geschlechter.

Prolog

»Ich bin auf einem Weg, und ich liebe es, ein Reisender zu sein.«

Ein Gebirgspass in den Anden/Peru, Mitte Dezember

Das ist kein Laufen, das ist ein Taumeln quer über die Straße. Ich weiß auch gar nicht mehr, wo sie beginnt und wo sie endet, alles ist längst unter Schnee begraben und im Whiteout verschwunden.

Ich zwinge mich einen weiteren Schritt nach vorne. Keuche. Dann komme ich zum Stehen.

Ich kann nicht weiter.

Seit Stunden ging es unablässig bergauf. Auf 4000 Metern Höhe fielen die ersten zarten Schneeflocken. Das kommt mir vor wie eine andere Welt. Inzwischen bin ich kurz vor dem höchsten Punkt der Passstraße. 4800 Meter über null. Die Luft ist so dünn, dass ich das Gefühl habe, durch eine Plastikfolie zu atmen. Wenn ich überhaupt Sauerstoff in meine Lungen bekomme, geht es nur mit größter Kraftanstrengung. Und von Kraft ist bei mir gerade nicht mehr viel übrig. Dennoch darf ich nicht stoppen. In Bewegung zu bleiben ist bei dieser Kälte das Mittel zum Überleben.

Also habe ich mich bis hierhin vorangeschleppt, während die Kopfschmerzen im Rhythmus meiner Schritte wie Hammerschläge durch den Körper fuhren. Ich verkrieche mich tiefer in mein Halstuch, aber wo mein Gesicht ungeschützt ist, brennt die Haut wie Feuer.

Der höchste Punkt ist nicht mehr weit entfernt.

Doch nun geht es nicht mehr.

Aus meinen Lungen dringt ein hektisches, flaches Keuchen. Die Mischung aus Schneesturm und Sauerstoffmangel verursacht regelrechte Panik in mir.

Es ist ein furchtbares Gefühl des Ausgeliefertseins, der Hilflosigkeit.

Eigentlich kann man in diesen Bedingungen nicht weiterlaufen.

Eigentlich.

Ich weine, ich lache, ich brülle mir selbst zu, dass es nicht mehr weit ist.

Und dann setze ich mich wieder in Bewegung.

Let’s gooooo!

Ein Monat zuvor

Lima bei Nacht. Eine Flut von Lichtern.

Auf der Fahrt zum Hotel ist es sehr still. Ich starre einfach nur aus dem Fenster des Taxis, um alles in mich aufzunehmen. 20 Stunden sind vergangen, seit ich an einem nasskalten Novembertag in Deutschland ins Flugzeug gestiegen bin. Doch diesen Augenblick habe ich viel länger herbeigesehnt, seit mehr als einem Jahr. Immer wieder habe ich mir vorgestellt, was ich sehen werde, wie es sich anfühlen wird, wenn ich endlich in Lima ankomme. Und jetzt entstehen die ersten Bilder im Kopf. Die Häuser, die Straßen: alles fremd, neu und aufregend. Auch die Luft, das habe ich auf dem Weg vom Terminal zum Taxistand gemerkt, schmeckt anders. Süßlich und ein wenig nach Meer. Nach Verheißung eines Abenteuers.

Ich bin erschöpft und aufgekratzt zugleich. In wenigen Tagen werde ich zur bislang größten Reise meines Lebens aufbrechen: 5000 Kilometer in Laufschuhen durch Peru, mit Distanzen von bis zu 90 Kilometern pro Tag. Ich werde ungefähr drei Monate auf einer langen Schleife unterwegs sein. Die Strecke ist bewusst nicht bis ins kleinste Detail geplant, das wäre gar nicht möglich. Denn ich kann noch nicht voraussehen, was mich alles auf dem Weg erwarten wird. Ich weiß nur, ich werde spontan und flexibel bleiben müssen, wenn die Bedingungen schwierig werden.

Und davon ist auszugehen. Nach dem Start in Lima wird mich die Route die Küste hinunter bis nach Tacna führen, durch die Wüste und vorbei an historisch bedeutsamen Orten wie Pisco, Ica und Nazca. Dann geht’s hinauf zum Titicacasee, einem der höchstgelegenen Binnengewässer der Welt auf fast 4000 Metern Seehöhe, dem Ort, an dem der Legende nach die Sonne geboren wurde. Was folgt, ist Dschungel. Welche Wege ich vorfinden oder einschlagen werde, davon habe ich noch keine rechte Vorstellung. Dass die Regenzeit dann Hochsaison hat, wird die Sache nicht einfacher machen. Jedenfalls möchte ich Machu Picchu einen Besuch abstatten und dann weiter nach Norden vordringen. Erst in der Wüste halb ausgetrocknet, dann im Dschungel dauerhaft durchnässt, und schließlich werde ich mich auf die Kälte des Gebirges einstellen müssen. Die Anden mit ihren Pässen, die mich bis auf 5000 Meter hochklettern lassen werden, liegen ebenso auf meinem Weg wie die Städte Huaraz und Huancayo. Schließlich kehre ich in einem großen Bogen zurück nach Lima.

Motivationsdrink

Doch zunächst geht es erstmal ins Hotel. Dort erwartet mich eine Überraschung, die mich schmunzeln lässt: Der lokale Ableger eines großen Getränkeherstellers hat mir zwei Paletten beflügelnder Dosen ins Zimmer gestellt. Ich freue mich darüber, werde aber nicht alle mitnehmen können. Da ich ohne Support unterwegs bin und mich komplett selbst versorgen muss, trage ich alles in meinem 25-Liter-Laufrucksack. Und der verspricht schon ziemlich voll zu werden.

Dennoch zeigt mir diese Geste, dass es immer mehr Menschen gibt, die meinen Weg verfolgen und an mich glauben. Das ist gerade jetzt, kurz vor dem Start, eine riesige Motivation für mich.

Aufwärmspaziergang durch Lima

Am Morgen wandere ich erst einmal ein paar Stunden bei bewölktem Himmel und milden Temperaturen um die 20 Grad durch die Stadt, um mir richtig bewusst zu werden, wo ich bin. Ich liebe das Fremde, andere Kulturen, Menschen, Sprachen. Miraflores, der reiche, herausgeputzte Stadtteil ist das Hauptziel der Touristen. Kolonialvillen stehen Seite an Seite mit ultramodernen Hochhäusern, es gibt unzählige schöne Plätze, Alleen und natürlich Strände.

Ich bin ein großer Tagträumer und visualisiere sehr oft die Dinge, die mir bevorstehen, bis ins kleinste Detail, so intensiv, dass ich manchmal Gänsehaut bekomme. Und so geht es mir gerade. Ich weiß schon jetzt, dass es die richtige Entscheidung war. Was wird mich in diesem Land erwarten?

Wüste, Urwald, Gebirge: Die Landschaft wird mich erfüllen mit neuen Eindrücken. Die geografischen und klimatischen Extreme werden mich herausfordern, jeden Tag aufs Neue.

Ich werde in eine jahrtausendealte Kultur eintauchen und so vieles lernen, über die Menschen hier und über mich selbst. In den kommenden Wochen werde ich mir so nah sein wie nie zuvor. Ich werde Stunden des Glücks erleben und Tage der Verzweiflung. Ich werde einsam sein.

Und das alles wird mich verändern.

Meine Packliste für Peru

Trailrunning-Schuhe (6 Paar Schuhe habe ich durchgelaufen!)

Laufbekleidung für jede Klimazone (u.a. eine wasserdichte Daunenjacke)

Ultraleichter Schlafsack

Aufblasbare Thermo-Isomatte

Hängematte mit Moskitonetz im Dschungel, Tarp im Gebirge und später ein ultraleichtes Zelt

Notfall-Rettungsdecke

GoPro-Kamera und Zubehör

Handy

Ladegeräte, Powerbank

Stirnlampe

GPS-Uhr

Kleiner Kompass

Landkarte

Medikamente

Zahnbürste, Zahnpasta

Wasserfilterflasche und Wasserfiltertabletten

Dokumente

Wasser und Nahrung für die Versorgung am Tag

Flagge von Peru

Zwei Fotos meiner kleinen Neffen (zur Motivation in schweren Zeiten)

Das volle Programm

In den Tagen vor dem Start bin ich indes alles andere als einsam. So vielen verschiedenen Menschen begegne ich: Ein Mann und eine Frau, die an mir vorübergehen, unterhalten sich auf Deutsch. Ich spreche sie an und erzähle, dass ich ebenfalls aus Deutschland komme. Der Mann stammt aus Hamburg und wohnt gar nicht weit weg von der Straße, in der ich gelebt habe. Wir unterhalten uns lange über mein Projekt, in den kommenden Wochen Peru zu durchqueren. Die Dame vermittelt mir einen Kontakt im Dschungel, der mir später auf meiner Reise möglicherweise helfen kann. Die beiden möchten meinen Fortschritt jedenfalls auf Instagram mitverfolgen.

Mit Uwe und Jonny von ravir film, die meinen Lauf in eindrücklichen Bildern festhalten, bespreche ich die wichtigsten Details. Sie mieten einen Pick-up und ein Fahrrad, um mich ein Stück begleiten zu können. Außerdem treffe ich Luis Felipe, einen jungen Läufer, den ich über Social Media kennengelernt habe. Wir verabreden uns zum Laufen durch den Park in Miraflores – eine willkommene Abwechslung nach so viel Herumsitzen im Flieger.

Am Nachmittag ruft mich José Miguel an, der Vater eines Freundes aus Bremen, den ich durch meine Vorbereitung auf mein Projekt kennengelernt habe. José ist über 70, aber wir verstehen uns so gut, dass im Nu eine Art Freundschaft zwischen uns entsteht. Er ist immens hilfsbereit und fährt mich durch die halbe Stadt, um eine peruanische SIM-Karte zu besorgen. Danach besuchen wir spontan Josés Vater, der bereits stolze 99 Jahre alt ist. Zum 100. Geburtstag im März nächsten Jahres wird groß gefeiert. Auch sein Enkel, mein Kumpel aus Bremen, wird dabei sein.

Sie alle lauschen mit Spannung meinen Plänen. Ich kann endlich meine Spanischkenntnisse einbringen und bekomme sogar Komplimente dafür. Ich werde aber auch gewarnt: Peru sei ein gefährliches Reiseland, und ich solle vor allem nachts und in einsamen Gegenden vorsichtig sein. Ich bin dankbar für jeden Hinweis und weiß zugleich, dass ich gar nicht werde verhindern können, in der Dunkelheit in der Wildnis unterwegs zu sein. Ich möchte auch nicht groß darüber nachdenken, ändern kann ich es ohnehin nicht.

Der Tag bietet das volle Programm, denn José Miguel kennt noch jemanden, den er mir vorstellen will: Gonzalo Rodriguez Larrain, den Gründer der Peru Runners. Diese Vereinigung von Laufbegeisterten nimmt seit 1984 das Land unter die Füße.

Mit Gonzalo Rodriguez Larrain von Peru Runners

Ultraläufer im Inka-Reich

Und sie befindet sich damit in einer alten Tradition: Bereits die Inka nutzten extreme Ausdauersportler, um auf schnellstem Wege wichtige Botschaften in alle Winkel ihres riesigen Reiches zu transportieren, das ja weit größer war als das heutige Peru. Die Boten, Chasqui genannt, rannten kreuz und quer über die Inka-Straßen, durch Wüsten, Regenwald und Gebirge. Dabei wechselten sie sich etwa alle 20 Kilometer an speziell dafür eingerichteten Stationen ab und übergaben in diesem frühmittelalterlichen Staffellauf die Nachrichten jeweils an einen frischen Läufer. So erreichten die Botschaften in beeindruckender Geschwindigkeit ihr Ziel.

Von den ursprünglich 30.000 Kilometern des Inka-Wegenetzes im Westen Südamerikas sind heute noch weite Strecken erhalten. Steingepflasterte Straßen führen in Peru in großer Höhe durchs Gebirge oder in den tiefsten Dschungel. Der berühmte Inka-Pfad nach Machu Picchu ist ein Teil davon. Und überall dort wandern und laufen noch heute Sportbegeisterte und halten damit einen Teil der Kultur am Leben, die Peru geprägt hat.

Als Gonzalo mir mit leuchtenden Augen davon erzählt, wird mir noch einmal bewusst, wie sich das, was ich vorhabe, immer mehr zu einem Mosaik zusammenfügt.

Gonzalo schenkt mir zwei Laufshirts seines Vereins und eine peruanische Flagge. Das freut mich besonders, denn ich möchte in drei Monaten mit einer solchen Flagge wieder in Lima einlaufen. Sie bekommt einen Ehrenplatz in meinem Rucksack und muss einfach noch reinpassen, da gibt es gar keine Diskussion.

Am Samstag stehe ich zum ersten Mal auf dem Platz, den ich als Startpunkt auserkoren habe: die Plaza de Armas, auch Plaza Mayor genannt – der älteste Platz Limas und Mittelpunkt der Altstadt. Der beeindruckende Regierungspalast sowie eine prachtvolle Kirche und andere Kolonialbauten reihen sich um diesen herrschaftlich anmutenden Ort. Und das Beste: Er ist vollständig autofrei, was in einer Stadt wie Lima, die von dauerndem Verkehrschaos geprägt ist, etwas heißt.

Hier, am historischen Springbrunnen in der Mitte des Platzes, werde ich morgen früh anfangen zu laufen. Und hier möchte ich in drei Monaten wieder ankommen.

Auf der Plaza Mayor zu stehen lässt mir die Tränen in die Augen steigen. Es war wahrlich ein sehr weiter Weg bis hierher.

Was ich immer gesucht habe

Ich bin in Bremen aufgewachsen. Mein Vater lebte schon nicht mehr bei uns, als ich geboren wurde. Meine Mutter stammt aus der Türkei und kam mit der Heirat nach Deutschland, wo alle ihre Kinder geboren wurden: meine große Schwester Hülya, mein Bruder Baris und ich. Von Beginn an musste meine Mutter hart arbeiten, um uns durchzubringen. Aber sie wollte uns ein gutes Leben in Deutschland ermöglichen, uns die Voraussetzungen mitgeben, es in diesem Land zu etwas zu bringen. Dafür tat sie alles.

Als Kinder hatten wir gute und weniger gute Zeiten. Ich spürte vor allem, dass ich, im Unterschied zu vielen anderen, die ich kannte, keinen vermeintlich einfachen Weg einschlagen wollte. Als wir mit der Schule fertig wurden, erlernten die meisten meiner Freunde und Bekannten das, was man als »solide Berufe« bezeichnet. Doch ich fühlte mich in dieser Welt der Büros und geregelten Arbeitszeiten, der vorgezeichneten Karrieren immer außen vor. Es war nicht so, dass ich es nicht versuchte, mich für einen »normalen« Job zu begeistern. Ich saß sogar am PC und scrollte mich durch alle denkbaren Tätigkeitsbereiche von A bis Z, in der Hoffnung, etwas zu finden, das zu mir passte. Ich sah mich nirgendwo.

Ich wusste, ich wollte mich verwirklichen. Sport war von Beginn an ein extrem wichtiger Teil in meinem Leben, und der Traum, daraus einen Beruf zu machen, spukte in meinem Hinterkopf wie eine ferne Sehnsucht. Doch ich konnte sie noch nicht ganz fassen.

Es war ein langer Weg, bis ich hier in Lima stehen konnte, bereit für den Start.

Rückschläge einstecken … und danach doppelt so stark weiterkämpfen!

Wenn ich gefragt wurde: »Was willst du eigentlich, Savas?«, hatte ich keine Antwort darauf. Ich wusste nur, dass ich es eines Tages vor Augen haben würde, klar und deutlich, und dass ich diesen Weg dann gehen würde, egal wie schwierig er wäre. Ich war bereit, alles auszuprobieren und Dinge anzugehen, die mich möglicherweise weiterbrachten. Das brachte mir bei meinen Freunden den Ruf ein, ein Macher zu sein.

Bis ich erkannte, wohin mich meine Beharrlichkeit führen würde, musste ich vor allem geduldig sein. Das war mir noch nie schwergefallen: Geduld haben, warten, verzichten. Diese Dinge haben mich seit meiner Kindheit geprägt. Ich hatte mich längst an sie gewöhnt und erkannt: Es macht mich stärker, dass ich die Fähigkeit dazu besitze.

Sportverrückt war ich schon immer. Schon der Kinderarzt und eine Erzieherin im Kindergarten hatten meiner Mutter nahegelegt, mich in Sportvereinen anzumelden, damit ich meine Energie loswerde. Dieser Savas, das sahen alle, war ein äußerst aktiver Junge. Das Training im Verein allein reichte mir nicht, und so nutzte ich jede Gelegenheit, mich auch sonst draußen auszupowern, selbst wenn ich eigentlich Stubenarrest hatte. Ich begann, mit Leidenschaft Fußball zu spielen, später auch Krafttraining und Mixed Martial Arts (MMA) zu betreiben. Inzwischen, mit Anfang 20, war ich nach Hamburg gezogen und trat regelmäßig in Wettkämpfen an. Ich bildete meinen Körper und Geist immer mehr aus, härtete mich innerlich und äußerlich ab und spürte längst, dass Hochleistungssport mir etwas gab, nach dem ich lange gesucht hatte.

Zudem wollte ich schon immer viel von der Welt sehen. Mit 23 Jahren beschloss ich spontan, mich für einen achtmonatigen Auslandsaufenthalt bei einer Gastfamilie im Sevilla zu bewerben. Es war eine großartige Zeit dort, in der ich nicht nur das Land, sondern auch die Sprache kennenlernte. Spanisch zu können sollte mir im Leben noch sehr nützlich werden.

Später besuchte ich spontan mit einem One-Way-Ticket ein MMA-Trainingscamp auf Phuket in Thailand. Drei Monate unter tropischen Bedingungen zu trainieren und mich mit anderen zu messen war eine besondere Erfahrung. Es trieb mich aus der Komfortzone und war gleichzeitig ein Riesenspaß.

Doch bald zeigte mir der Kampfsport etwas auf, das ich noch nie leiden konnte – Grenzen. Die Trainer und anderen Sportler mischten sich immer mehr ein: Ich müsse dies so und das auf jene Weise machen, dies ginge nicht und das andere ohnehin nicht. Das war jedoch genau das, was ich nicht wollte: von anderen Menschen limitiert zu werden. Ich war sehr ehrgeizig und wollte eigene Entscheidungen treffen. Ich verlor die Liebe zu diesem Sport.

Und entdeckte dafür einen neuen.

Mit dem Rad von Hamburg nach Sevilla

Der Wendepunkt kam pünktlich mit Corona. Im Nachhinein muss ich sagen, dass diese Zeit auch in positiver Hinsicht zum Schicksal für mich wurde. Denn noch mehr als sonst war ich nun allein mit meinen Gedanken: Was wollte ich aus meinem Leben machen? Was war möglich? Alles, sagte ich mir dann. Es gibt so viele Faktoren, die dich ausbremsen wollen, auch die Pandemie, aber sie können dir nur schaden, wenn du es zulässt.

Die Lust am Kampfsport war mir vergangen, Wettkämpfe gab es ohnehin nicht mehr, doch gleichzeitig war ich war körperlich so fit wie noch nie und bereit für alle Herausforderungen.

Ich wollte etwas tun, das ich noch nie getan hatte. Wollte herausfinden, wozu ich fähig war, wenn ich selbst vollständig ins kalte Wasser sprang. Also kaufte ich mir ein Fahrrad und fuhr von Hamburg nach Sevilla, um meine Gastfamilie zu besuchen. Es war mein erstes großes Abenteuer, das ich ohne besondere Vorbereitung oder Erwartung antrat und das zu einer intensiven Erfahrung wurde, von der ich bis heute zehre.

Eine ganz neue Welt von Herausforderungen hatte sich aufgetan.

Und dann begann ich zu laufen. Ich meine, wirklich zu laufen. Schon im Fußballverein hatte ich stets als »der Läufer« gegolten, denn ich rannte besonders gern über den Platz und war berüchtigt dafür, auch am Ende eines Spiels noch einen Sprint über das ganze Feld hinzulegen. Außerhalb des Rasens hatte ich das Laufen jedoch nicht ernsthaft betrieben.

Bis heute bin ich bei keinem einzigen offiziellen Laufwettkampf gestartet. Man wird meinen Namen auf keiner Startliste eines Marathons oder 10-Kilometer-Wettkampfes finden. Nicht einmal bei einem Volkslauf um die Alster bin ich angetreten. Es hat mich nie gereizt.

Stattdessen zog ich meine Turnschuhe an, setzte mir die Basecap auf und lief von Hamburg nach Bremen, zur Wohnung meiner Familie. Meine Mutter und meine Schwester reagierten mit Unverständnis, als ich ihnen ankündigte, dass ich diesmal nicht den Zug nehmen würde. 100 Kilometer am Stück, das war einer meiner ersten langen Läufe. Ich machte mich vollständig kaputt auf dieser für mich ungewohnten und neuartigen Reise, aber es war der Beginn einer viel größeren. Denn nun hatte ich Feuer gefangen.

Wenn ich zu Fuß von Hamburg nach Bremen kam – wie weit konnte ich noch kommen?

Im Sommer 2021 lief ich in 45 Tagen von München nach Istanbul. Mit 2246,21 Kilometern in den Beinen hatte ich am Ziel eine absolute Gewissheit: Das ist es, was du tun willst. Du hast so lange Geduld bewiesen, deinen Weg zu finden. Nun liegt er vor dir.

Und jeder Läufer weiß: Wenn du die eine Strecke hinter dich gebracht hast, träumst du schon von der nächsten.

Wenn ich zu Fuss von Hamburg nach Bremen kam – wie weit konnte ich noch kommen?

Ein unbekanntes Land

Nach diesem Lauf sollte es ein Projekt werden, das mich in ein Land fühen würde, das ich noch nie gesehen hatte. Es sollte landschaftlich, kulturell und historisch aufregend und abwechslungsreich sein. Wenn ich mein Spanisch dabei auffrischen könnte, umso besser. Und vor allem sollte der Lauf nach Istanbul dagegen wie ein Aufwärmtraining wirken: Denn diesmal wollte ich die 5000-Kilometer-Marke knacken.

So wurde im Herbst 2021 die Idee geboren, durch Peru zu laufen. Anfangs war es nicht mehr als das Sondieren von Möglichkeiten, ein Blick auf die Landkarte, die ich auf meinem Bett ausgebreitet hatte. Ich war noch nie in Südamerika gewesen, doch je mehr ich über Peru las, desto stärker wurde das Gefühl, dass daraus genau das entstehen könnte, was ich suchte. Und in den folgenden Monaten nahm die Planung immer mehr Gestalt an.

Es war alles andere als eine einfache Zeit. Wie jeder Mensch muss auch ich von etwas leben, arbeiten, Geld verdienen. Mit meinem Job als Personal Trainer im Fitnessstudio kam ich zumindest durch. Aber ich hatte bereits viele Jobs ausprobiert und in keinem wirklich mein Zuhause gefunden. Der innere Drang nach Freiheit war stets stärker gewesen als die Vernunft. Schließlich gab ich sogar die Wohnung in Hamburg auf und zog zurück zu meiner Mutter und Schwester nach Bremen. Gleichzeitig plante ich wie ein Besessener ein Vorhaben, über das mein Umfeld nur den Kopf schüttelte.

Auf der Kippe

Meine Schwester ist eine starke Persönlichkeit, und ich respektiere sie sehr. Sie ist nur anderthalb Jahre älter als ich und dennoch das Oberhaupt unserer Familie. Nicht meine Mutter, sondern sie trifft die wichtigen Entscheidungen. Immer wieder führten wir Gespräche, in denen sie mich fragte, was ich denn nun aus meinem Leben machen wollte. Zu lange hatte sie mich unterstützt und zugesehen, wie ich immer neue Sachen begann und doch, meinte sie, meinen Weg nicht fand.

»Es geht so nicht weiter«, appellierte meine Schwester an mich.

»Du hast finanzielle Probleme, und dennoch verfolgst du deine beruflichen Perspektiven nicht. Savas, wir meinen es nicht böse, aber wir sorgen uns um dich! Du hast so viele Möglichkeiten. Es ist an der Zeit, dass du etwas Vernünftiges machst.«

»Was willst du mir damit sagen?«, fragte ich ruhig und ahnte schon, was kommen würde.

Hülya sah mir fest in die Augen. »Ganz einfach: Gib auf. Gib deinen Traum auf!«

Ich blickte von ihr zu meiner Mutter und wieder zurück. Wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte.

»Es sieht doch einfach nicht danach aus, als könntest du diese großen Pläne, die du hast, tatsächlich verwirklichen«, fuhr meine Schwester sehr bestimmt fort. »Und an einem Punkt ist es die einzig richtige Entscheidung, sich davon zu verabschieden.«

Ich atmete tief ein. »Aber noch nicht jetzt.« Meine Stimme zitterte. »Ich weiß, dass diese Reise nach Peru das ist, was mich nach vorne bringen wird. Was alles ändern wird! Versteht ihr? Ich weiß es!«

Lange herrschte Schweigen bei uns am Tisch. Dann schließlich nickte meine Schwester.

Ultimatum

Sie setze mir jedoch eine Frist: Wenn diese Idee mit Peru, wenn dieses ganze verrückte Vorhaben nicht klappen, wenn nicht endlich etwas darauf hindeuten würde, dass ich mit meinem Sport auch finanziell vorankäme und daraus ernsthaft einen Beruf machen könnte, müsse ich mir einen »normalen« Beruf suchen. Schließlich wolle ich einmal eine eigene Familie haben. Und das bedeute, Verantwortung zu übernehmen.

Auch wenn ich weiß, dass ich viele Menschen nicht von dem überzeugen kann, was ich tue, ist mir doch bewusst, dass ich Verantwortung für mich und andere Menschen trage. Und ich wollte meine Schwester nicht enttäuschen, denn zugleich hätte ich mich selbst enttäuscht. Was sie sagte, trieb mich noch mehr an, alles auf eine Karte zu setzen.

Ja, ich war inzwischen so weit, dass ich keinen Plan B mehr hatte. Plan A, der Lauf durch Peru, war nun nicht mehr nur ein großer Traum – es war das Einzige, was mir noch geblieben war.

Ich nutzte jede Gelegenheit, um zu laufen, auch im Hamburger Straßenverkehr.

Alles fügt sich

Peru wurde zu einer existenziellen Reise für mich, noch bevor sie begonnen hatte. Ich trainierte wie ein Besessener, lief kreuz und quer durch Hamburg, Bremen und alle weiteren Orte, in die ich einen Fuß setzte. Wenn ich nicht lief, unterzog ich mich dem Impfmarathon, um gegen Gelbfieber, Tollwut und alle weiteren möglichen Krankheiten gefeit zu sein. Und ich zog mir alles an Literatur über Peru rein, was ich in die Finger bekam, während ich weiter über der ausgebreiteten Karte eine ungefähre Route ausbrütete.

Dennoch gestaltete sich vieles schwieriger, als ich geahnt hatte. Die Sponsorensuche verlief praktisch im Nichts. Und damit stand auch die Finanzierung auf der Kippe. Denn auch wenn ich plante, viele Nächte draußen im Schlafsack zu verbringen, so standen doch erhebliche Flug-, Ausrüstungs- und Übernachtungskosten im Raum, abgesehen davon, dass ich auch noch ab und zu etwas würde essen wollen. Mehrere Monate sah es danach aus, als würde das ganze Vorhaben scheitern, und ich hätte so ziemlich alles bereits im Vorfeld verspielt.

Ich war inzwischen ziemlich allein mit der trotzigen Gewissheit, dass das, was ich tat, einen Sinn ergeben würde. Ich hatte inzwischen in jeder Hinsicht alles in dieses Vorhaben investiert, was ich hatte.

Dann, im Sommer 2022, ging alles plötzlich ganz schnell: Wenige Wochen vor meinem Abflug ergab sich, dass aus meinem Lauf ein Dokumentarfilm entstehen würde. Ein Buchvertrag kam hinzu, einige Medien zeigten Interesse, und auch in den sozialen Medien stieg die Aufmerksamkeit für mein Vorhaben. Nach einem Jahr Vorbereitung und einem wilden, überaus fordernden Auf und Ab der Gefühle konnte ich im November 2022 endlich ins Flugzeug steigen.

Viele Menschen befragen mich über meine Pläne. Auch die kleine Alessandra will genau wissen, was ich vorhabe.

Am Vorabend

Und hier stehe ich nun, mit feuchten Augen und Gänsehaut inmitten des Gewusels auf einem Platz in Lima. Nur eine Nacht trennt mich vom Start in ein dreimonatiges, einzigartiges Abenteuer, für das ich alle gebe und das mir so viel zurückgeben wird.

Das ist es, was ich immer gesucht habe. Ich kann es nicht erwarten, bis es endlich losgeht.

Auf Instagram poste ich am Tag vor der Abreise:

»Ich fasse es nicht, wie lange ich auf diesen Moment gewartet habe. Seit über einem Jahr habe ich mich mit nichts anderem beschäftigt. Mein ganzes Leben hat sich danach gerichtet. Es war eine meiner schwierigsten Zeiten. Ich war am Boden, ganz allein mit meinem Traum. Er war das Einzige, was ich noch hatte. Doch diese Zeit hat mich noch stärker gemacht.

Ich bin heute nicht mehr der, der ich vor einem Jahr war. Nächstes Jahr werde ich ein anderer sein, als ich heute bin. Die Weiterentwicklung und Erfahrungen, das ist es, was mich reizt. Ich habe sehr viel Geduld gebraucht und wusste: Irgendwann kommt meine Zeit. Deswegen habe ich sehr hart dafür gearbeitet, um genau jetzt bereit zu sein. Auf so einem Extremabenteuer kommt es mehr auf die Psyche an als auf körperliche Höchstleistung. Das meiste findet im Kopf statt. Die mentale Stärke und das Mindset werden den Unterschied machen. Ich habe meine Bestimmung gefunden in dem, was ich tue. Das ist das, wonach ich mein ganzes Leben gesucht habe. Ich bin auf einem Weg, und ich liebe es, ein Reisender zu sein. Der Weg wird immer das Ziel bleiben. Derjenige, der den Weg liebt, wird weiter kommen als der, der nur das Ziel liebt. Wenn du das tust, was du liebst, dann wirst du vieles erreichen, ohne es zu bemerken.

Auf geht’s!«

1. Durch die Wüste

»Je steiniger der Weg, desto wertvoller das Ziel.«

1312 Kilometer

22 Tage

50.426 Höhenmeter

Lima – Tacna

Endloses Lima