Train the Trainer - Birkenbihl Michael - E-Book

Train the Trainer E-Book

Birkenbihl Michael

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Beschreibung

Michael Birkenbihl liefert in seinem Klassiker der Ausbildungsliteratur wertvolle und wissenschaftlich fundierte Einblicke in die Psychologie, Pädagogik und Praxis der Erwachsenenbildung. Sein Meisterwerk Train the Trainer erscheint nun bereits in 23. Auflage: Es gibt Ausbildern, Dozenten und Schulungsleitern geeignete Werkzeuge an die Hand, um Seminare fesselnd gestalten und erfolgreich umsetzen zu können. Ein aktionsbezogenes Grundlagenwerk für Anfänger, Quereinsteiger und Profis, das mit hunderten praxistauglichen Tipps und Tricks, Rollenspielen und Fallstudien angereichert ist. So kann man einfach und kompakt vom Erfahrungsschatz des Altmeisters der deutschen Trainingsszene profitieren und die eigenen Lehrfähigkeiten perfektionieren.

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Seitenzahl: 571

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Michael Birkenbihl

TRAINTHE TRAINER

Michael Birkenbihl

TRAINTHE TRAINER

Das Arbeitshandbuch für Ausbilder und Dozenten

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

[email protected]

25. Auflage 2023

© 2018 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

Türkenstraße 89

D-80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Die vorherigen Auflagen erschienen im mi-Verlag.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlaggestaltung: Maria Wittek, München

Umschlagabbildung: Shutterstock.com/Rawpixel.com

Satz: HJR, Sandra Wilhelmer, Landsberg am Lech

Druck: Florjancic Tisk d.o.o., Slowenien

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print 978-3-86881-719-5

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96267-049-8

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96267-050-4

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.redline-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Dem Andenken meines Vaters,

Prof. Dr. Michael Birkenbihl,

der ein hinreißender Pädagoge warund mir die Freude am Lehren hinterließ

Inhalt

Vorwort zur 20. Auflage

Vorwort zur 12. Auflage

Vorwort zur 1. Auflage

1 Vom Individuum und seinem Verhalten

Test-Aufgabe 1

2 Das Individuum in der Gruppe

Test-Aufgabe 2

3 Kommunikation im Seminar

4 Vom Lernen und Lehren

Anatomische Voraussetzungen des Lernens

Gehirnforschung – und deren Konsequenzen für die pädagogische Praxis

5 Lernzielbestimmung

Anhang 1: Wie man einen Test erstellt

Anhang 2: Das »Gefühlsrad«

6 Wie man ein Seminar plant und durchführt

7 Rollenspiele und Fallstudien

Die Praxis des Rollenspiels und seine Bedeutung

Das Soziodrama – noch effektiver als das Rollenspiel!

Wesen und Wert von Fallstudien

Anhang 3: Training mit dem Video-Recorder

8 Das Lemniskate-Training

Zur Einführung: ein neues Paradigma

Die theoretischen Grundlagen des Lemniskate-Trainings

Beispiele zur Visualisierung einzelner Unterrichtsthemen

Umsetzung in die Praxis

In eigener Sache: Credo

Lösungen

Literatur

Rollenspiele, Soziodramen und Fallstudien

Autoreninformation

Vorwort zur 20. Auflage

Als ich dieses Buch zum ersten Mal in Händen hielt, hatte es noch einen weißen Einband und entsprach seinem damaligen Untertitel: Arbeits-BÜCHLEIN für Ausbilder und Dozenten. Mein Vater hatte es seinem Vater (Professor Michael Birkenbihl) und dessen didaktischem Talent gewidmet. Das war Ende 1972 – ich war nach sieben Jahren USA gerade heimgekehrt und hatte mein erstes eigenes Buch angefangen. Damals begannen einige wenige wie Jan WAAGE (aus Holland), Heinz GOLD-MANN, Nikolaus ENKELMANN, mein Vater und ich, die deutsche Seminarszene aufzubauen. Noch kannte man Schulungen kaum. Psychologische Schulungen (Verhandlungstaktik, Einstellung zum Erfolg, Motivationsfragen etc.) waren in den USA entwickelt worden, und wir waren beide »drüben« gewesen (ich, um zu studieren; er 18 Monate lang, um sich in puncto berufsbegleitende Weiterbildung umzusehen). Denn hier gab es damals nur rudimentäre Produktschulungen. Mein Vater erzählte aus dieser Zeit gern ein Beispiel von einem fleißigen, aber völlig »unfähigen« Wachmaschinenvertreter: Tagsüber machte er Termine für abends, damit er dem Ehepaar gemeinsam die Maschine vorführen konnte. Diese schleppte er dann persönlich in die Wohnung, oft auch Treppen hinauf (Lifte gab es kaum), und wusch die Wäsche des Hauses. An jenem denkwürdigen Abend merkte er zu spät, daß der Ehemann ein Kumpel aus dem Kohlebergbau war, dessen Kleidung dementsprechend aussah, während sein Waschmittelvorrat bereits auf die Hälfte der laut Hersteller geforderten Menge zusammengeschrumpft war. Er war völlig verzweifelt. Da das Wasser aber schon in der Maschine war (damals ein umständlicher Prozess), gab es kein Zurück mehr. Also lief der Waschgang ab. Als dieser nun vorbei war, nahm er das erste Kleidungsstück, setzte es in die Wringe ein und begann, die Kurbel zu drehen. (Damals war gerade eine Deluxe-Variante auf den Markt gekommen mit zwei Holzrollen, durch die man die Kleidungsstücke pressen konnte, so daß die meiste Feuchtigkeit ohne Auswringen in die Maschine zurückfloss.) Er hatte solche Angst vor dem Ergebnis, daß er WEGSCHAUEN mußte. Da hörte er die Frau rufen: »Schau mal, so sauber waren deine Kleider noch nie!« Später wurde dieser Verkäufer erst Gebietsleiter, dann oberster Verkaufschef für Deutschland. Die Moral der Geschichte für die TeilnehmerInnen meines Vaters war natürlich, daß man nichts verkaufen kann, an das man nicht selbst glaubt.

Wir entnehmen der Geschichte hingegen die miese Qualität sogenannter Produktschulungen, bei denen die Betreffenden oft die wahren Stärken ihrer Produkte überhaupt nicht kennenlernen. Wenn mein Vater diese Story aber im Management-Seminar erzählte, dann immer, um klarzustellen, daß Firmen den dringenden Bedarf an Training nicht wahrhaben wollen, weshalb in jeder Krise als erstes an diesem Budget herumgestrichen wird. Und das Schlimme ist: Diese klassische Einstellung des Industrie-Zeitalters beginnt erst jetzt, 40 Jahre später, ein wenig aufzuweichen. Einige Firmen haben inzwischen begriffen, daß das Wissenszeitalter begonnen hat und daß die Bedingungen zukünftig ganz andere sein werden. Gute Kopfarbeiter brauchen Schulung. Darum ist die Erwachsenenschulung eine »aufsteigende« Branche und, wenn Sie etwas zu »bieten« haben, auch eine sichere. In Krisenzeiten wird nämlich die Spreu hinausgeblasen, während der Weizen bleibt. Dieses Buch kann Ihnen helfen, »Weizen« zu werden, wie die bisher über 50.000 verkaufte Exemplare zeigen!

Osterholz-Scharmbeck, Februar 2011

Vera F. Birkenbihl

Vorwort zur 12. Auflage

Von diesem Buch, das sich vom kleinen »Arbeitshandbuch« zum Standardwerk im deutschsprachigen Raum gemausert hat, sind mittlerweile über 33.000 Exemplare verkauft worden, vorwiegend durch Empfehlung von Trainer zu Trainer. Daneben gibt es bisher drei spanische Ausgaben. Dieser Verkaufserfolg wäre nicht zustande gekommen, wenn das Buch nicht einen echten Bedarf abdecken würde.

Der Grund für die überregionale Verbreitung dieses Trainer-Handbuches hat vermutlich zwei Wurzeln: Zum einen gehen immer mehr Großunternehmen dazu über, Fachleute als »Trainer« einzusetzen. Das sind Menschen, die bereits eine Funktion in der Firma haben, und »nebenbei« schulen sie mehrmals pro Jahr und mit großem Enthusiasmus neue Mitarbeiter; oder sie werden für die Fortbildung der Stammbelegschaft in Spezialbereichen eingesetzt, z. B. über den Zugang zum Internet.

Zum anderen wird »das Trainieren« immer schwieriger. Heutzutage finden kaum noch allgemeine Führungs- oder Verkaufsseminare statt. Deshalb kann man als Trainer keine 08/15-Seminare mehr »abspulen« wie in den »goldenen 60er Jahren«. Die Regel ist in diesen Zeiten des Umbruchs und des immer härter werdenden Wettbewerbs, daß es in einer Firma eine ganze Reihe von psychologischen Problemen gibt. Und Teilnehmer, die in ein Seminar geschickt werden, erwarten vom Trainer auch eine Lösung ihres speziellen (menschlichen) Problems. D. h. im Klartext: In einer Zeit, in der als Folge der »Rationalisierung« immer weniger Mitarbeiter ständig steigende Leistungen erbringen müssen, ist einfach keine Zeit mehr übrig, um Seminare zu besuchen, die außer »allgemeinem Führungs- und Verkaufs-Blabla« nichts bringen. Vor allem deshalb nicht, weil längst erwiesen ist, daß es weder ein Führungsstil- noch ein Verkaufsgesprächs-Modell gibt, das allen Situationen gerecht wird. Menschen, die wir führen, motivieren oder überzeugen wollen, sind nun mal keine Roboter. Deshalb kann man ihnen, ganz speziell als Trainer, auch nicht gegenübertreten, als hätte man ein »Programm« parat, nach dessen Eingabe Seminarteilnehmer sich so verhalten, wie man es als »der große Guru« vorausgesagt hat. Wer dies als (angestellter oder freiberuflicher) Trainer erkannt und akzeptiert hat, sollte sich auch über die daraus resultierenden Konsequenzen klar sein:

● »Training« entwickelt sich immer mehr über das Vermitteln von Wissen hinaus zu einem »psychischen Aufbaukurs«.

● Deshalb ist das psychologisch richtige Verhalten eines Trainers im Seminar viel wichtiger und folgenreicher als die Präsentation seines Wissens.

● Der Trainer ist in erster Linie Motivator und Moderator; d. h., der Seminarteilnehmer muß überzeugt werden, daß er primär zu seinem eigenen Vorteil etwas Neues hinzulernt. Und lernen muß er alleine – das kann kein Trainer für ihn besorgen …

● Die didaktische Methode läßt sich, als Folge der Ergebnisse der Gehirnforschung, auf das »gehirn-gerechte« Darbieten des Stoffes reduzieren. D. h., der Stoff muß beiden Hemisphären gleichzeitig in Worten und Bildern angeboten werden.

Zu diesen Forderungen findet jeder Leser dieses Buches, auch jener »blutige Laie«, der ohne Ahnung von Pädagogik zu schulen beginnt, wissenschaftlich fundierte und praxiserprobte Hinweise. Wie viele wertvolle Tips in diesem Buch stehen, merkt man erst, wenn man zum wiederholten Male suchend darin blättert.

Die Trainingsvariante des 8. Kapitels auf esoterischer Grundlage wurde mit professionellen Trainergruppen im Seminar erprobt und darüber hinaus als Manuskript-Druck an weitere 60 Kollegen verkauft. Die Aufnahme war positiv. Wer diese Variante für seine Seminare übernehmen will, muß sein bisheriges Konzept bis zu einem gewissen Grade ändern. Und zu einer Verhaltensänderung sind immer nur wenige bereit. Aber wem sage ich das …

Den Abschluß des 8. Kapitels bildet mein »Credo«, in dem ich darzulegen versuche, wie in meinen Augen der Trainer des Wassermann-Zeitalters, der »Über-Trainer«, aussehen sollte. Das bedeutet aus meiner Sicht: Man muß sich sehr hohe Ziele stecken, um beruflich erfolgreich zu werden und zu bleiben; und man sollte über all dem Erfolgs- und Gewinnstreben nicht aus den Augen verlieren, daß wir auch eine Psyche haben, die ständiger Aufmerksamkeit bedarf. Das verstehe ich unter der Lemniskate-Balance. Denn: Ein Trainer ohne innere Harmonie kann bei den immer härter werdenden Berufsbedingungen kein Identifikationsobjekt sein!

Ich wünsche mir, daß mein Train the Trainer auch künftig »Einsteigern« in diesen schönen Beruf eine gute Starthilfe sein möge und daß dieses »Arbeitsbuch« darüber hinaus auch »alten Hasen« neue Anregungen vermitteln möge. Denn es gibt kein Gebiet des Lebens, dem man nicht, aus wechselnden Perspektiven, immer wieder neue »Spiel-Nuancen« abgewinnen könnte!

Odelzhausen, Februar 1993

Michael Birkenbihl

PS zur 16. Auflage

Auf den Wunsch meines Vaters werde ich seine Werke weiterhin betreuen. Deshalb halten Sie jetzt die aktualisierte 16. Auflage dieses Werkes in Händen. Es hätte ihn sehr gefreut, daß dieser Longseller nach wie vor Menschen helfen kann, die den Auftrag verspüren, andere Menschen weiterzubilden. Seines Erachtens ist dies eine der schönsten Aufgaben, die ein Mensch übernehmen kann. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg und Ihren Teilnehmern viel »Wachstum«.

Aufgrund der hohen Nachfrage nach Literatur für Trainer im europäischen Raum sei an dieser Stelle angemerkt, daß dieses Buch auch in Spanisch (Formación de Formadores) erhältlich ist.

Odelzhausen, Januar 2001

Vera F. Birkenbihl

PPS zur 17. Auflage

Es wird manche LeserInnen stören, daß mein Vater durchgängig vom Trainer (und nicht von dem/der TrainerIn) spricht. Da die korrekte Schreibweise sich nicht leicht liest und immer noch die »mehreren« Trainer Trainer sind, haben wir die alte Schreibweise beibehalten. Ich bitte alle »…Innen« um Verständnis.

Odelzhausen, März 2002

Vera F. Birkenbihl

Vorwort zur 1. Auflage

Dies ist das Buch eines Praktikers für Menschen der Praxis. Geschrieben für all jene, die als Schulungsleiter, Seminarleiter oder Dozenten arbeiten, ohne unbedingt speziell dafür ausgebildet zu sein. Ihre Zahl ist stattlich …

Denken wir nur einmal an all jene, die in der Industrie eine Schulungsfunktion ausüben. Da werden Auszubildende, Meister, Verkäufer geschult und Führungskräfte »trainiert«. In der Regel von Menschen, die sich zunächst einmal »im Feld« ihre Sporen verdient haben. Aber besteht auch nur die geringste Gewähr dafür, daß ein ehemaliger »Star-Verkäufer« Neulinge zu erstklassigen Verkäufern umschulen kann? Die Praxis verneint diese Frage eindeutig.

Unbestritten ist der Idealismus, der gerade unter Schulungsleitern anzutreffen ist. Sie sind oft durchdrungen von ihrer Aufgabe, anderen »etwas beizubringen«. Und sie machen sich das Leben nicht leicht. Sie bereiten sich sorgfältig auf ihre Schulungsaufgaben vor, und vor jedem neuen Seminar haben sie Lampenfieber wie ein Bühnenschauspieler. Und trotz dieses konzentrierten Einsatzes bleibt ihnen oftmals der durchschlagende Erfolg versagt. »Unser Schulungsleiter? Ach ja, ein netter Mensch …«

Haben sie ihren Beruf verfehlt? Sind sie Versager? Nein! In den meisten Fällen wäre ein so hartes Urteil ungerecht. Wo liegen denn aber die Ursachen hierfür? Ganz einfach: Diese Menschen machen Fehler, ohne es zu wissen. Fehler, die sich ohne weiteres vermeiden ließen, wenn man nur wüßte, daß man Fehler macht und welche … Hier, genau an diesem neuralgischen Punkt, setzt dieses Buch an.

Was Ihnen hier vorliegt, ist eine »psychologische Pädagogik«. Keine Angst vor Fachausdrücken! Ich habe versucht, nur die unbedingt nötigen zu gebrauchen – nachdem sie eingeführt worden sind, versteht sich. Das Gelehrten-Chinesisch sei jenen überlassen, die nur für promovierte Fachkollegen schreiben. Es muß doch möglich sein – und es ist es in der Tat –, auch schwierige psychologische Zusammenhänge so darzustellen, daß sie jeder Laie begreift! Wobei ich unter einem »Laien« einen Menschen verstehe, der intelligent genug ist, das Lesen und Schreiben erlernt zu haben, und der irgendeine Berufsausbildung erfolgreich hinter sich gebracht hat. Wenn Sie bisher dazu in der Lage waren, für Ihre Firma hohe Umsätze zu erzielen, einer Gruppe vorzustehen oder aus Ihren Ideen Kapital zu schlagen, dann sind Sie auch intelligent genug, um dieses Buch mit Gewinn zu lesen!

Vielleicht hatte der eine oder andere von Ihnen beim Überfliegen des Inhaltsverzeichnisses den Eindruck, da sei »zu viel Psychologie« drin. Allein diese Meinung würde erweisen, daß Sie die Lektüre der folgenden Seiten nötig haben! Zuviel kann man über Psychologie überhaupt nicht wissen … Und während viele Pädagogen sich auch heute nur darüber den Kopf zerbrechen, wie sie den Stoff möglichst geschickt vermitteln können, vergessen sie darüber das Wesentliche: daß der »Schüler« in erster Linie ein Mensch ist. Ein Mensch mit Bedürfnissen, Erwartungen, Hoffnungen, Ängsten. Jeder für sich ein Individuum – und dennoch an eingefahrene Verhaltensnormen gebunden!

Doch was heißt denn das: »Unterrichten«? Unterrichten heißt, einen Mitmenschen zu bewegen, alte Verhaltensmodelle zugunsten neuer aufzugeben. Nur wenn mir das gelingt, kann ich sagen: Die Schulung war von Erfolg gekrönt. Der Teilnehmer, der mein Seminar verläßt, ist nicht derselbe, der es betreten hat. Aus dieser Einsicht in das Wesen des Unterrichtens ergab sich der Aufbau dieses Buches zwangsläufig.

Wenn ich das Verhalten anderer Menschen beeinflussen will, muß ich zunächst einmal Klarheit über eine Grundfrage gewinnen: Was ist das überhaupt, »Verhalten«? Wodurch wird es bedingt? Wieso verhalte ich mich eigentlich so, wie ich mich verhalte? Wieso verhalte ich mich als einzelner anders als im Rahmen der Gruppe? Und wenn ich es mir schon zur Aufgabe gesetzt habe, andere zu beeinflussen, andere, die mir niemals alleine gegenüberstehen, sondern stets nur als Gruppe: Müßte ich da nicht auch wissen, nach welchen Gesetzen eine Gruppe agiert und reagiert?

Vielleicht hatten Sie beim Lesen dieses Fragenkatalogs bereits Ihr erstes »Aha-Erlebnis«! Vielleicht ist Ihnen schon klargeworden, warum Sie als Schulungsleiter nicht immer so erfolgreich waren, wie Ihnen dies als Wunschbild vorschwebte. Ja, ja – es ist schon so: »Wissen ist Macht!« Macht über andere in unserem konkreten Fall. Macht, deren Wurzeln aus Autorität, d. h. aber aus Überlegenheit und Überzeugungskraft, gespeist werden. Wohlan – werden Sie eine Autorität! Fangen Sie an zu lesen! Und fragen Sie sich bei jedem Satz: Inwieweit trifft dies auch auf mich zu? Habe ich mich bisher als Dozent so verhalten, wie es in diesen Zeilen empfohlen wird? Wenn nein – warum nicht? Wo lagen die Wurzeln meines Fehlverhaltens? Ich garantiere Ihnen schon jetzt: Sie werden das Buch nicht als derselbe aus der Hand legen, als der Sie es aufgeschlagen haben!

Und vergessen Sie bitte nicht: Dies ist das Buch eines Praktikers für Menschen der Praxis. Das Buch eines sogenannten »freien Dozenten«, der sich bei jedem Seminar in einer anderen Firma aufs neue bewähren muß. Die Erkenntnisse und Ratschläge, die ich Ihnen auf den folgenden Seiten vermittle, sind allesamt in der Praxis erprobt. Und nun viel Erfolg!

Michael Birkenbihl

1. Kapitel

Vom Individuum und seinem Verhalten

Wir leben in einer Welt, zu deren hervorstechendsten Merkmalen die Kommunikationsschwäche gehört. In guter deutscher Umgangssprache heißt dies: es gelingt dem einzelnen immer weniger, eine fruchtbare Verbindung zu seinen Mitmenschen herzustellen. An diesem Zustand ist nicht etwa die oft bemühte Reizüberflutung durch die Massenmedien schuld, sondern eine Schwäche in der Persönlichkeitsstruktur jedes einzelnen. Denn wenn ich meiner selbst nicht sicher bin und nichts mit mir anzufangen weiß, dann kann ich mich auch nicht für andere engagieren. Da aber gerade das Lehren ohne ein starkes Engagement für die Lernenden undenkbar ist, kann man nicht über Pädagogik reden, ohne deren psychologische Grundlagen erarbeitet zu haben.

Psychologie heißt wörtlich übersetzt »Lehre von der Seele«. In der Psychologie unserer Tage handelt es sich praktisch um einen zweiteiligen Fragenkomplex, und zwar: um den Aufbau der Persönlichkeitsstruktur des Menschen und um seine daraus resultierenden Verhaltensweisen gegenüber seinen Mitmenschen. Dem Aufbau der Person widmet sich die sogenannte »Individual-Psychologie«. Mit ihr wollen wir uns in diesem Kapitel beschäftigen.

Wir haben uns daran gewöhnt, die menschliche Seele in zwei Abteilungen zu gliedern: das Ober- und das Unterbewußtsein. Obwohl natürlich innerhalb einer Person diese Zweiteilung nicht strikt stattfindet, weil Ober- und Unterbewußtsein sich wechselseitig bedingen, so hat sich doch diese Einteilung für pädagogische Zwecke ausgezeichnet bewährt. Uns geht es ja im Zusammenhang mit diesem Buch und im Hinblick auf seine Zielsetzung nicht darum, mit wissenschaftlicher Akribie spitzfindige Definitionen zu erarbeiten; vielmehr sollen die wesentlichen psychologischen Zusammenhänge so dargestellt werden, daß sie von jedem intelligenten Laien erfaßt und in die Praxis des Berufsalltags übernommen werden können.

Das Oberbewußtsein ist jene Kategorie der menschlichen Persönlichkeit, die vor allem durch die Denkprozesse bedingt wird. Etwas überspitzt und sehr vereinfacht können wir auch formulieren: Das Oberbewußtsein ist mit dem Denken identisch. Und obwohl wir uns alle auf unsere Intelligenz und unser Vermögen zum logischen Denken sehr viel einbilden, spielt das Oberbewußtsein im Ablauf des menschlichen Lebens eine recht bescheidene Rolle. Gesteuert werden wir durch unser Unterbewußtsein. Ihm wollen wir uns zunächst zuwenden, weil es in erster Linie für den charakteristischen Aufbau unserer Persönlichkeit zuständig ist.

Im Unterbewußtsein (oder wie manche Autoren sagen: im Unbewußten) sind die Triebe und Antriebe lokalisiert. Ein Trieb ist psychologisch definiert als ein Bedürfnis, dessen Nichtbefriedigung zum Tode führt. Derartige Bedürfnisse kennt der Mensch drei: Hunger, Durst und Schlaf. Wobei, nebenher bemerkt, der Schlafentzug am schnellsten zum Exitus führt. Die sogenannten Antriebe sind jene Kräfte, die uns treiben, etwas ganz Bestimmtes zu »wollen«. Es seien hier nur einige wesentliche hervorgehoben: Selbsterhaltungstrieb, Geschlechtstrieb, Mutter- beziehungsweise Bruttrieb, Machttrieb, Herrschsucht, Habgier. Schließlich entstehen im Unterbewußtsein auch die sogenannten »Aggressionen«. Auf sie kommen wir später noch zurück.

Ein ganz wesentlicher Tatbestand sei in diesem Zusammenhang ausdrücklich hervorgehoben, und zwar deshalb, weil er in der Praxis viel zu wenig berücksichtigt wird: Jeder Trieb beziehungsweise Antrieb ist mit Energie besetzt! Man kann den Menschen somit als lebendes Energiepotential betrachten. Und jeder, der einmal Gelegenheit hatte zu beobachten, wie ein Tobsüchtiger von mehreren kräftigen Männern gebändigt werden mußte, oder wer einen epileptischen Anfall bei einem Mitmenschen erlebte, hat eine schwache Vorstellung davon erhalten, wie ungeheuer groß dieses Energiepotential in uns ist! Dieses Potential hat der menschlichen Rasse (im Verein mit den Leistungen des Gehirns) nicht nur das Überleben auf diesem Planeten ermöglicht. Es stellt auch eine Garantie dafür dar, daß wir die Zukunftsaufgaben meistern werden – wenn wir diese Energie sinnvoll einsetzen! Tatsache ist jedenfalls, daß die meisten Menschen von ihrer seelischen Energie nur zu einem Bruchteil Gebrauch machen. Und das ganze Gejammere über den Leistungsdruck unserer Industriegesellschaft wirkt einfach lachhaft, wenn man weiß, welches Potential wir brach liegenlassen!

Energie hat, wenn sie erst einmal entstanden ist, die Tendenz, sich in Bewegung umzusetzen. Es gibt keine »ruhende Energie«. Deshalb treiben uns die mit Energie besetzten Triebe, etwas zu tun. Und dieser jedem Physiker selbstverständliche Tatbestand macht uns das Leben mit den Trieben so schwer. Denn alles, was im Unterbewußtsein angesiedelt ist – Triebe, Antriebe, Verdrängtes etc. – hat die Tendenz, sich rücksichtslos durchzusetzen – ganz gleich, wie unsere äußere Gesamtsituation beschaffen ist! Wir werden auf diese Gegebenheit noch zurückkommen.

Alles menschliche Handeln läßt sich durch folgendes Schema versinnbildlichen:

D. h.: Der Mensch hat ein Motiv (oder mit einem deutschen Wort: ein Bedürfnis); jedes Motiv ist aber zielorientiert. Und danach richtet sich dann unser Verhalten.

Dazu ein paar ganz einfache Beispiele:

● Der Mensch hat Hunger (das ist sein Motiv); sein Ziel heißt: Sättigung; sein Verhalten: Er wird essen.

● Oder: Ein Mensch hat ein sehr ausgeprägtes Geltungsbedürfnis; sein Ziel: Anerkennung durch seine Mitmenschen; sein Verhalten: besondere Leistungen auf irgendeinem Sektor.

Wenn wir also mehr über das menschliche Verhalten wissen wollen, über unser eigenes so gut wie über das unserer Mitmenschen; wenn wir, was ja noch wesentlicher ist, das Verhalten anderer Menschen richtig einschätzen, voraussagen oder verändern wollen – dann müssen wir mehr über die Bedürfnisse wissen. Ganz konkret gefragt: Welche Bedürfnisse hat der Mensch?

Wir können die menschlichen Bedürfnisse zunächst einmal grob in drei Kategorien einteilen:

● physische Bedürfnisse,

● soziale Bedürfnisse,

● psychische Bedürfnisse.

Zu den physischen Bedürfnissen zählen jene Triebe und Antriebe, die unser Leben und die Erhaltung der Art sicherstellen: Hunger, Durst, Schlaf, Selbsterhaltungstrieb, Geschlechtstrieb.

Zu den sozialen Bedürfnissen zählen jene Antriebe, die dem Menschen das Leben mit seinen Mitmenschen, speziell in einer Gruppe, ermöglichen. Auf dieses Thema werden wir im 2. Kapitel näher eingehen.

Zu den psychischen Bedürfnissen zählen jene »höheren« Bedürfnisse, die der Mensch befriedigen muß, um sein Selbstwertgefühl zu steigern. Hierher gehören vor allem das Geltungsbedürfnis und der Drang nach Selbstverwirklichung.

Der amerikanische Psychologe A. H. MASLOW hat sich lange und eingehend mit den menschlichen Bedürfnissen beschäftigt. Seine Forschungsergebnisse schlugen sich in einer sogenannten »Bedürfnispyramide« nieder, die in vereinfachter Form wie folgt dargestellt wird:

MASLOW – und das ist das Interessanteste an seiner Theorie – spricht von einer Bedürfnis-Hierarchie. D. h., die Stufen seiner Pyramide, von unten nach oben betrachtet, symbolisieren gleichzeitig die Reihenfolge, in der diese Bedürfnisse befriedigt werden müssen.

Demnach hat für den Menschen zunächst einmal das Überleben absolute Priorität: Er braucht zu essen und zu trinken, muß eine Schlafgelegenheit haben und die Möglichkeit, sich fortzupflanzen. Dann strebt er danach, seine Existenz abzusichern. Früher tat er das, indem er sich in Höhlen oder Baumkronen einnistete, Pfahlbauten über dem Wasser errichtete oder feste Burgen auftürmte. Heute geschieht diese Absicherung vorwiegend in monetärer Weise: Der Mensch spart sich einen »Notgroschen« und schließt Versicherungen ab. Wenn nun die Existenz abgesichert ist, geht der Mensch daran, seine sozialen Bedürfnisse zu befriedigen: Er baut sich einen Freundes- und Bekanntenkreis auf, tritt Vereinen bei oder betätigt sich politisch. D. h., er betont seine Zugehörigkeit zur Gesellschaft, er integriert sich in sie.

Es gibt keinen Zweifel darüber, daß die meisten Menschen zufrieden sind, wenn sie die ersten drei Stufen der Bedürfnispyramide hinter sich gebracht haben. Wer so viel verdient, daß er sich den Lebensstandard leisten kann, der ihm seiner Ansicht nach zusteht, ein Auto vor der Tür hat und jedes Jahr eine Urlaubsreise nach Spanien oder Nordafrika machen kann, will in der Regel nicht mehr. Und nichts fürchtet er mehr, als daß in dieses System Unordnung, d. h. Unsicherheit, kommen könnte. Deshalb wählt auch der größte Teil unseres Volkes eine Partei, die unter dem Motto: »Keine Experimente!« verspricht, daß alles so bleibt, wie es ist. Denn Experimente auf politischer Ebene, wie z. B. Reformen aller Art, tragen stets das Risiko des Scheiterns in sich. Und ein derartiges Risiko möchten nur wenige eingehen. Die kleine »heile Welt«, bestehend aus Familie, Freundeskreis und gesichertem Arbeitsplatz, möchten die meisten ungefährdet sehen. Vom Standpunkt der Psychologie aus absolut verständlich.

Nun sieht MASLOW die 2. und 3. Stufe unter dem übergeordneten Aspekt »Liebe«. Und zwar einmal als Liebe im Sinne von »Geborgenheit«, zum andern als Liebe im Sinne von »Zuwendung« (siehe Graphik Seite 20!). Diese Betrachtungsweise führt uns wieder in die frühkindliche Entwicklung zurück. Der Säugling (und das Kleinkind) empfindet die mütterliche Liebe in diesem doppelten Sinne: Er braucht gleichermaßen das Gefühl des Geliebtwerdens wie das der Geborgenheit. Hat nun ein Mensch auf diesem Gebiet ein Defizit, d. h., ist er als Kind auf diesem Sektor zu kurz gekommen, agiert er mit zunehmendem Alter immer heftiger auf der 4. Stufe. Hier geht es um die Bedürfnisse des äußeren Ich. D. h., alles, was mit dem Status zusammenhängt, gewinnt erhöhte Bedeutung. Das Geltungsbedürfnis wird zum wesentlichen Motor unserer Handlungen! Ein Mensch, der ein zu großes Auto fährt, viel Geld in seine Wohnung (oder sein Haus) steckt, seine Kinder auf exklusive Internate schickt und im Berufsleben großen Wert auf ein eigenes Vorzimmer legt, versucht, das Defizit an Liebe durch äußere Erfolge wettzumachen. Ein Tatbestand, den der Volksmund durch den lapidaren Satz ausdrückt: »Wer angibt, hat’s nötig!«

Schließlich gibt es eine verschwindend geringe Anzahl von Menschen, die nach Befriedigung der vierten Bedürfniskategorie den Aufstieg in höchste Höhen planen: Sie verschreiben sich der Selbstverwirklichung, d. h. der Verwirklichung des inneren Ich. Auf dem Fuße einer kritischen Selbstanalyse verwirklichen sie sukzessive das Goethewort: »Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen!« Mit anderen Worten: Wer seine ererbten Anlagen und Dispositionen nicht gebraucht, läßt sie verkümmern. Was nützt einem Menschen angeborene Musikalität, wenn er nie ein Instrument spielt? Ein gutes Gedächtnis, wenn er nie eine Fremdsprache erlernt? Oder eine künstlerische Begabung, wenn er niemals zeichnet oder modelliert? Hinzu kommt der Aufbau eines ethischen Systems, das fürderhin zur Richtschnur allen Handelns wird. Es ist völlig klar, daß ein Mensch, der die Selbstverwirklichung auf seine Fahne geschrieben hat, damit niemals zu einem Ende kommt; er arbeitet an sich bis zum letzten Atemzug.

Zwei Erkenntnisse MASLOWs sind besonders relevant. Zum ersten: Der Mensch muß die Stufen dieser Pyramide der Reihe nach hinter sich bringen; d. h., er kann keine Stufe überspringen. Und zum zweiten: Wenn es dem Menschen schlechtgeht, fällt er zunächst auf die unteren Stufen zurück. Er verzichtet auf die psychischen und möglicherweise auch auf die sozialen Bedürfnisse. Erst wenn er die Stufen 1 und 2 von neuem bewältigt hat, interessiert er sich für »höhere« Motive (wenn überhaupt!).

»Ausnahmen bestätigen die Regel!« Denken wir an einen Künstler, der vom »Schöpferwahn« durchdrungen ist. Er arbeitet fanatisch, um der Welt »unsterbliche Werke zu schenken«. Es ist ihm völlig gleichgültig, was er ißt – solange er nur die Kraft hat, weiterzuarbeiten; es ist ihm gleichgültig, wie seine Behausung beschaffen ist; und es schert ihn den Teufel, was seine Mitmenschen über ihn denken – ob sie ihn für einen begnadeten Künstler oder schlicht für einen »Spinner« halten. Mit anderen Worten: Es wird immer Menschen geben, die vorwiegend von psychischen Bedürfnissen motiviert sind. Doch ist ihre Zahl – statistisch gesehen – so irrelevant, daß wir unter tausend Personen nur eine finden, die so vollkommen in MASLOWs 5. Stufe lebt.

Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei eine weitere Bemerkung angefügt: Es ist nicht so, daß ein Mensch kontinuierlich von Stufe zu Stufe steigt. Vielmehr befindet sich der Mensch gleichzeitig in mehreren Stufen der Pyramide: je nachdem, wie seine Bedürfnisse gerade liegen beziehungsweise befriedigt sind. D. h., es müssen die Bedürfnisse einer Stufe nicht hundertprozentig befriedigt sein, ehe ich mich der nächsthöheren Stufe zuwende. Wenn ich beispielsweise ausgehungert bin, ist mein ganzes Trachten danach gerichtet, satt zu werden. Bin ich indessen zu – sagen wir – 70 bis 80 Prozent gesättigt, wende ich mich anderen Dingen zu. Wäre ich zu 100 Prozent gesättigt, hätte ich mich vermutlich überfressen und wäre so träge, daß mich ebenfalls nichts anderes interessiert (»Plenus venter non studet libenter«). Ist mein Sicherheitsbedürfnis zu einem großen Teil befriedigt, indem ich genügend verdiene, ein Dach über dem Kopf und eine kleine Reserve auf der Bank habe, wende ich mich der nächsten Stufe zu. Ich kann aber sehr wohl auch zu einer Zeit sehr starke soziale Kontakte haben, in der mein Sicherheitsbedürfnis weitgehend unbefriedigt ist: Dann schließe ich mich möglicherweise mit anderen »Habenichtsen« zusammen, weil wir uns in der Gemeinschaft sicherer fühlen und uns in unserem Elend wenigstens gegenseitig trösten können. Doch auch dies ist nicht durchwegs der Fall. Wir wissen gerade von Getto-Bewohnern, daß diese Elenden absolut nicht wie ein Block zusammenstehen, sondern ängstlich darauf bedacht sind, sich statusmäßig von anderen zu unterscheiden. (»Meine Tochter arbeitet als Bedienung in einem anständigen Lokal und ist nicht so eine Schlampe wie Ihre Tochter!«) Man sieht also: Die Übergänge sind fließend.

Wer immer andere Menschen motivieren will, d. h., wer seine Mitmenschen dazu bringen will, eine bisher geübte Verhaltensweise zugunsten einer neuen Verhaltensweise aufzugeben, kommt ohne die Kenntnis der MASLOWschen Pyramide nicht zurande. Wir werden auf diese wichtige These im Kapitel über Pädagogik erneut zu sprechen kommen.

Nun haben wir weiter oben festgestellt, daß alles, was im Unterbewußtsein lokalisiert ist, die Tendenz hat, sich rücksichtslos durchzusetzen. Aus diesem Tatbestand ergibt sich folgerichtig die Frage: Wer setzt eigentlich diesen unterbewußten Energien Widerstand entgegen? Oder anders formuliert: Wer hindert unsere Triebe daran, sich schrankenlos durchzusetzen?

Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir uns zunächst mit zwei weiteren wesentlichen psychologischen Kategorien vertraut machen: mit dem »Ich« und dem »Über-Ich«. Eine symbolische Darstellung mag uns helfen, die Zusammenhänge besser zu durchschauen: Der Mensch lebt, bildlich gesprochen, in drei verschiedenen Motivationsebenen. Die erste Ebene ist das »Es«. Das Es ist ein von SIGMUND FREUD eingeführter Sammelbegriff für alles, was im Unterbewußtsein beheimatet ist: die Triebe, die Antriebe, das Verdrängte, die Aggressionen etc.

Nun scheidet sich, normalerweise während des dritten oder vierten Lebensjahres, von diesem unterbewußten Potential ein Teil ab, der zur Grundlage einer neuen seelischen Instanz wird: das »Ich«. Jeder von uns weiß um diesen Vorgang, da er ihn oft an Kindern beobachten konnte. Dazu ein Beispiel: Nehmen wir an, ein Vater besucht mit seinem dreijährigen Söhnchen Thomas einen Rummelplatz. Am Rande der Budenstadt steht ein Soft-Eis-Verkäufer, und Thomas bekommt eine Waffeltüte voll der begehrten Schleckerei. Wenn die Tüte leer ist, sagt der Junge zu seinem Vater: »Thomas will noch ein Eis!« Der Vater weiß aus Erfahrung, daß zwei Tüten Eis hintereinander seinem Sohne nicht guttun. Er lenkt ihn von diesem Wunsche ab, indem er ihn auf das hölzerne Pferd eines Kinderkarussels setzt. Nach Beendigung der Tour, wenn der Vater den Kleinen wieder herunterhebt, sagt dieser: »Thomas will noch mal fahren!« Einige Monate später wird indessen der Junge in der gleichen Situation sagen: »Ich will noch ein Eis! Ich will nochmals Karussell fahren!« Jetzt weiß der Vater, wenn er psychologisch beschlagen ist, daß sich das Ich als selbständige Instanz in der Seele seines Sohnes etabliert hat. Von diesem Augenblick an empfindet sich der kleine Thomas als Individuum und damit als eine »Persönlichkeit«, die Distanz zur Umwelt hat. Und nachdem das Kind seiner Eigenständigkeit gewahr geworden ist, will es sie auch erproben: Es beginnt die erste Trotzphase. Wenn also ein Kind zwischen dem dritten und vierten Lebensjahr keine Trotzphase hat, ist dies ein Signal dafür, daß mit seiner seelischen Entwicklung etwas nicht normal verläuft!

Wenden wir uns nunmehr der dritten Instanz zu, ehe wir die Wechselwirkungen aller Motivationsebenen studieren: dem »Über-Ich«. Auch das Über-Ich ist ein von S. FREUD erfundener Terminus, der die Summe aller Gebote und Verbote umschreibt, denen der Mensch unterworfen ist. Betrachten wir uns diese Ge- und Verbote näher, so läßt sich feststellen, daß sie eine dreifache Wurzel haben. Da sind zunächst die ethischen Gebote, die uns in der Regel durch die Religion vermittelt werden, z. B.: »Du sollst nicht töten!« Dann gibt es die moralischen Gebote, die sich die Gesellschaft auferlegt hat, um das Zusammenleben in geordneten Konventionen ablaufen zu lassen, z. B.: »Mit seiner Schwester schläft ein Junge nicht!« Weil sich aber die meisten Menschen freiwillig weder an ethische noch an moralische Gebote halten, hat der Staat, in dem wir leben, Gesetze mit Strafandrohung erlassen, z. B.: »Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, die Menschenwürde anderer angreift … wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft.«

Werfen wir nochmals einen Blick auf unsere Zeichnung, so wird sofort offenbar, daß das Ich zwischen den beiden anderen Ebenen steht, gewissermaßen als Pufferzone. Das Ich hilft uns, Wünsche hinauszuschieben, sie auf andere Ziele auszurichten oder auf ihre Erfüllung zu verzichten. Dieser Verzicht wird dem Menschen durch einen Vorgang erleichtert, den man mit »Internalisierung«, d. h. mit »Verinnerlichung«, bezeichnet. Auch dazu ein kleines Beispiel:

Setzt man in ein Aquarium eine Handvoll kleiner Fische und anschließend einen Hecht dazu, so passiert logischerweise folgendes: Der Hecht stürzt sich auf die kleinen Fische und verschlingt sie. Wiederholt man diesen Versuch in einer geänderten Anordnung, indem man das Aquarium durch eine Glasscheibe in zwei Hälften teilt, und setzt wiederum kleine Fische ein, dann wird sich der Hecht von neuem auf die Fische stürzen. Bei jedem Angriff schwimmt er natürlich gegen die Scheibe; und nach einiger Zeit gibt er die Jagd auf. Nun kommt das Erstaunliche an diesem Experiment: Entfernt man die Glasscheibe, wird der Hecht trotzdem keinen Angriff mehr auf die kleinen Fische unternehmen. Er hat das ihm von außen (mit Hilfe der Glasscheibe) auferlegte Verbot »internalisiert«. Mit anderen Worten: Das Verbot wurde von ihm verinnerlicht und hat dadurch die Struktur seiner »Persönlichkeit« verändert. Der Hecht ist jetzt anders motiviert; er hat eine Verhaltensweise zugunsten einer neuen aufgegeben; er unterläßt nunmehr »freiwillig«, was er nicht tun darf!

Genau das gleiche ereignet sich bei der Erziehung eines Kindes. Die Eltern vermitteln ihm die Ge- und Verbote des Über-Ichs. Durch die ständige Wiederholung und die Verstärkung beziehungsweise Abschwächung des kindlichen Verhaltens durch Lob oder Tadel wird das Es bis zu einem gewissen Grade unterdrückt. Daher haben beispielsweise viele Erwachsene Schwierigkeiten mit der Sexualität: Durch eine repressive Erziehung, in der alles Sexuelle als sündig, schmutzig und schädlich apostrophiert wurde, hat sich die Struktur ihres Unterbewußtseins so verändert, daß sie sich ihrem Sexualtrieb nie mehr mit Lust überlassen können. Versuchen sie es dennoch, verderben ihnen die anschließenden Schuldgefühle jeden Spaß. Hier kann nur ein Psychotherapeut unterstützend eingreifen.

Wir sehen also, daß das Ich einen außerordentlich schweren Stand hat. Es wird einerseits vom Es bedrängt, andererseits vom Über-Ich, und, last not least, von der Umwelt, in der ein Mensch lebt. Denn von der Umwelt her wird der Mensch ständig in Konflikte gestürzt, die Entscheidungen von ihm fordern. Aus dieser dreifachen Bedrängnis des Ichs ergibt sich die Tatsache, daß es so vielen Menschen nicht gelingt, ein starkes Ich zu entwickeln. Und aus einer rein psychologischen Sicht ist deshalb die Frage nach dem Glück ganz einfach zu beantworten: Glücklich ist jener Mensch, dem es gelungen ist, trotz der Bedrängnisse durch Es, Über-Ich und Umwelt eine harmonische und ausbalancierte Mitte zu entwickeln!

Die Entwicklung des Ichs, die ein Mensch erreicht hat, manifestiert sich in seinem »Selbstwertgefühl«. Wer ich-schwach ist, fühlt sich minderwertig. Wir müssen uns deshalb mit dem Selbstwertgefühl und seinem Gegenspieler, dem Minderwertigkeitsgefühl, noch eingehender auseinandersetzen.

Das Selbstwertgefühl ist kein »Ding an sich«, sondern ein außerordentlich komplexes Gebilde. Um ein gesundes Selbstwertgefühl entwickeln zu können, müssen etliche Voraussetzungen erfüllt sein, von denen hier nur einige ganz wesentliche besprochen werden sollen:

1.Ein optimales Verhältnis zwischen Ich und Ideal-Ich. Um diese Fordesrung verstehen zu können, müssen wir zunächst Klarheit über den Begriff »Ideal-Ich« gewinnen (manche Autoren sagen auch: Ich-Ideal). Das Ideal-Ich wird uns zunächst einmal von den Eltern vermittelt, genau wie das Über-Ich. In jeder (intakten) Familie gibt es Personen, die als beispielhaft apostrophiert werden: ALBERT SCHWEITZER, MAHATMA GANDHI, ROBERT F. KENNEDY, ALBERT EINSTEIN und so weiter. Aus den Eigenschaften dieser Idole und anderer, die man aus Büchern, Filmen etc. kennenlernt, formt sich der Mensch sein Ideal-Ich. Mit anderen Worten: Jeder von uns möchte kühn, mächtig, wahrheitsliebend, hilfsbereit und edel sein! Wenn nun dieses Wunschbild unserer Persönlichkeit, wie wir uns in unseren Tagträumen sehen, von dem Bild unseres realen Ichs gar zu weit entfernt ist, geraten wir in eine Krise; dies ist stets in der Pubertät der Fall, wo wir uns von alten Idolen, z. B. einem maßlos überschätzten und idealisierten Vater, ablösen. Wenn es uns nicht gelingt, uns neuen Idolen zuzuwenden und gleichzeitig das Ideal-Ich auf ein vernünftiges Maß zu reduzieren, ist unser Selbstwertgefühl bedroht.

2.Übereinstimmung mit dem Gewissen. Das Gewissen ist der innere Spiegel der gesellschaftlichen Moral. Und da sich die Moral immer wieder ändert, ist auch das Gewissen nichts Konstantes. Außerdem ist die Moral sehr stark von dem Kulturkreis beeinflußt, in dem ein Mensch lebt. Die Moral ändert sich also nicht nur von Jahrzehnt zu Jahrzehnt, sondern auch mit den Kontinenten unserer Erde. Auch die Moral wird uns – als Bestandteil des Über-Ichs – zunächst von den Eltern übermittelt. Doch irgendwann beginnt der denkende Mensch, die übernommene Moral in Frage zu stellen. So wird sich beispielsweise ein junges Mädchen eines Tages die Frage vorlegen, ob es den § 218 als für sich bindend anerkennen will. Ob es, mit anderen Worten, das »Recht auf den eigenen Bauch« für sich in Anspruch nehmen oder dem Staat die Verfügungsgewalt darüber überlassen will. Oder, um ein Problem der sechziger Jahre anzureißen: Ein junger Mann mußte sich entscheiden, ob er einen ungerechtfertigten Angriffskrieg à la Vietnam mitmachen oder als Kriegsdienstverweigerer ins Gefängnis wandern wollte. Das bedeutet aber: Jeder kritische junge Mensch wird sich seine eigene Moral zusammenzimmern, gewissermaßen auf seine Persönlichkeit »maßgeschneidert«. Hat er diesen Prozeß hinter sich, so hat er ein für allemal definiert, was sein »Gewissen« ausmacht; es sei denn, es ergeben sich irgendwann neue gravierende Fakten, die ihn zu einer Modifizierung bewegen. Die Übereinstimmung mit diesem Gewissen macht einen Menschen weitgehend unempfindlich gegen Reaktionen seiner Umwelt; es ist ihm gleichgültig, was andere über ihn denken. Solange er sich an diese freiwillige Normierung seiner Verhaltensweisen hält, schläft er ruhig. Und diese Menschen sind es denn auch, deren ausgeprägtes Selbstwertgefühl durch Luthers Worte gekennzeichnet ist: »Hier stehe ich, ich kann nicht anders!«

3.Erfolg aus der Arbeit. Man sagt, jeder Mensch habe drei Lebensaufgaben: die Arbeit, die Liebe, die Gemeinschaft. Ohne Arbeit kann der Mensch nicht leben. Nun genügt es einem Menschen nicht, nur zu arbeiten und gute oder sogar überdurchschnittliche Leistungen zu erbringen. Er will für diese Leistung gelobt werden! Eine gute berufliche Leistung »an sich« ist ohne die Anerkennung durch die Umwelt wertlos! Deshalb drückt vorenthaltene Anerkennung auf das Selbstwertgefühl.

4.Die Wertschätzung anderer. Der Mensch möchte nicht nur als guter Arbeiter anerkannt sein. Er will vielmehr stets von seiner Mitwelt hören, was für ein »feiner Kerl« er doch ist: hilfsbereit, kameradschaftlich, edel, sympathisch … Er möchte als Person geschätzt werden, nicht nur als Mitarbeiter oder als Ernährer seiner Familie. Dieses Motiv ist einer der Beweggründe, warum so viele Menschen öffentlich wohltätig werden: Sie wünschen ihren Edelmut und ihre Hilfsbereitschaft plakatiert zu sehen! Was natürlich nicht ausschließt, daß Menschen aus ethischen Gründen Gutes tun; aber dies geschieht dann in der Stille!

5.Die angepaßte Aggressivität. Wir haben bereits festgestellt, daß der Mensch ein lebendes Energiepotential ist. Und da er von diesem Potential in der Regel nur zu einem verschwindend geringen Teil Gebrauch macht, besteht ein sogenannter »Triebüberschuß«. Dieser Überschuß trägt allein durch sein Vorhandensein stets die Gefahr in sich, in Aggressivität umzuschlagen. Das erweist sich immer wieder bei Demonstrationen oder in Paniksituationen. Nun muß der Mensch lernen, mit seiner Aggressivität umzugehen. Nämlich durch Einsicht in die Gefährlichkeit seiner latenten Aggressionsbereitschaft, eine klare Zielsetzung und Selbstdisziplin. Nur wer es durch ständiges Üben gelernt hat, seine seelischen Energien im Zaume zu halten oder sie in von der Gesellschaft tolerierte Kanäle zu lenken, wird zu einer ausgeglichenen Persönlichkeit.

6.Die erotisch-sexuelle Befriedigung. Wir wissen seit FREUD, eine wie große Rolle die Liebe für unser Selbstwertgefühl spielt. Wobei der Begriff »Liebe« von FREUD in einem viel umfassenderen Sinne gebraucht wurde, als von vielen Kritikern angenommen wird, die seine Lehre nur vom Hörensagen kennen. Wenn wir also von der erotischsexuellen Befriedigung sprechen, so heißt dies: Die seelischen Liebesbeziehungen zwischen zwei Menschen müssen genauso befriedigt werden wie die körperlichen. Wir alle kennen jene Don-Juan-Typen, die von Bett zu Bett eilen und bei willigen »Opfern« ihre Männlichkeit unter Beweis stellen. Trotzdem sind sie nicht glücklich. Denn nie widerfährt ihnen, wonach sie sich im Grunde ihrer Seele sehnen: daß sie um ihrer selbst willen geliebt werden! Umgekehrt aber gibt es Paare, die sich hervorragend verstehen; nur wenn sie intim werden, klappt es nicht.

Die Tiefenpsychologie hat offenbar gemacht, daß sexuelles Versagen auf dem Grunde einer Neurose entsteht. D. h., ein schwaches Ich scheut das bedingungslose Sichhingeben an ein anderes Ich. Denn wenn ich mich schon – wenn auch unbewußt – irgendwie zu kurz gekommen fühle, kann ich von dem Wenigen, das mir blieb, nicht noch etwas abgeben. Doch nur wer gibt, wird auch empfangen; deshalb ist Geben seliger denn Nehmen. So wird der »Liebe Suchende« stets von neuem enttäuscht, was wiederum sein Geltungsbedürfnis niederdrückt. Ein echter circulus vitiosus also; ein Teufelskreis, aus dem ein Mensch ohne fremde Hilfe in der Regel nicht mehr entfliehen kann.

Fassen wir zusammen: Das Selbstwertgefühl beziehungsweise seine Stärkung ist das zentrale Anliegen jedes Menschen! Was immer wir tun oder unterlassen, geschieht – unbewußt – in der einzigen Absicht, unser Selbstwertgefühl zu stärken beziehungsweise Angriffe auf unser Selbstwertgefühl abzuwehren! Wobei es für die Alltagspraxis unerheblich ist, ob derartige Angriffe real oder nur eingebildet sind! Ist unser Selbstwertgefühl unterentwickelt, so äußert sich dies unter anderem in folgenden Verhaltensweisen:

● in einer übermäßigen Abhängigkeit von der Umgebung (»Jawohl-Sager« ohne eigene Meinung und ohne Initiative);

● in einem quälenden Verlangen nach Sicherheit (keine Experimente, kein Risiko!);

● in einem fast zwanghaften Bedürfnis nach sexueller Befriedigung; dabei weicht man oftmals auf perverse Praktiken aus, weil ein »normaler Verkehr« nicht zur gewünschten Befriedigung führt;

● ein krankhaftes Geltungsbedürfnis und damit verbunden die Jagd nach Erfolgen; wobei man »Erfolge« oft auf sekundären Gebieten erstrebt, um nur überhaupt etwas vorweisen zu können.

Wenn wir abschließend überdenken, was hier über den Aufbau des Selbstwertgefühls erläutert wurde, so ergibt sich daraus eine Folgerung, die meistens ignoriert wird: Kein Mensch kann überhaupt ein Selbstwertgefühl aufbauen ohne die Resonanz seiner Mitmenschen. So, wie die ersten Objektbeziehungen zwischen dem Säugling und seiner Mutter die Grundstruktur seiner Persönlichkeit anlegen, genauso benötigt der Mensch während seines gesamten Lebens die Hilfe der anderen, um überhaupt zu einer Persönlichkeit, d. h. zu einem Menschen im Sinne des Wortes – als Gegensatzzum Tier –, werden zu können. Auch wenn der Mensch als Erwachsener eine ganz bestimmte – und jeweils einmalige – Persönlichkeit geworden ist, so bedarf er bis zu seinem Tode der ständigen Kommunikation mit anderen, um diese Persönlichkeitsstruktur zu bewahren; wird er isoliert, z. B. in jahrelanger Einzelhaft, so verfällt diese Struktur sukzessive, und der Mensch macht eine sogenannte »Regression« durch: Er fällt auf längst überwundene kindliche Verhaltensweisen zurück.

Die Grundforderung des christlichen Glaubens heißt: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst! D. h., ich soll meinen Nächsten nicht deshalb lieben, weil er so ist, wie er ist, weil er also bestimmte liebenswerte Eigenschaften hat, sondern ich soll ihn alleine deshalb lieben, weil er überhaupt da ist. In diesem Sinne dient sogar ein Verbrecher der Stärkung meines Selbstwertgefühls; weil er mir nämlich durch sein asoziales Verhalten die Gewißheit verschafft, selbst auf dem »richtigen« Wege zu sein. Und wie immer man zu einer Religion überhaupt stehen mag und woher immer man seine »letzten Weisheiten« bezieht, eines steht unwiderruflich fest: Ohne meine Mitmenschen bin ich ein Nichts!

Wir müssen nunmehr noch einen Blick auf den Gegenspieler des Selbstwertgefühls werfen, auf die Minderwertigkeitsgefühle. Denn abgesehen davon, daß auch Minderwertigkeitsgefühl ein Gefühl mit zweifacher Wurzel ist, steht es in enger Beziehung zu jener Macht, die vielen von uns das Leben unerträglich macht: der Angst.

Der Mensch leidet an zwei Arten von Minderwertigkeitsgefühlen: das angeborene und das erworbene.

Nehmen wir an, ein Säugling wird von der Mutter alle vier Stunden gestillt. Sein gesamter Organismus stellt sich auf diesen Rhythmus ein. Ist nun die Mutter einmal verhindert, die Stillzeit pünktlich einzuhalten, und verspätet sich beispielsweise um eine Stunde, so hat der Säugling sein erstes Trauma weg. Wobei wir unter Trauma eine seelische Verwundung verstehen, die nie mehr ausheilt; im Gegensatz zum Schock, der nach einiger Zeit überwunden wird. Der Säugling, wiewohl noch nicht in der Lage, seine Situation intellektuell zu bewältigen, fühlt zum ersten Male seine Abhängigkeit von der Umgebung. Im Laufe seiner Entwicklung macht der Säugling eine Reihe weiterer derartiger Erfahrungen; er kann nicht aus eigener Kraft stehen, geschweige denn laufen; es sind ihm keine Krallen gewachsen, mit denen er sich verteidigen könnte; es ist ihm kein Pelz oder Gefieder gewachsen, das ihn gegen Temperaturstürze schützt, und so weiter. Mit anderen Worten: Der Mensch ist ein Mängelwesen, physiologisch gesehen, und zwar im Vergleich mit anderen Säugetieren ist er eine Frühgeburt – er müßte etwa 22 Monate ausgetragen werden, um nach der Geburt ohne massive Unterstützung lebensfähig zu sein.

Dieses angeborene Minderwertigkeitsgefühl hat natürlich auch Vorteile. Es ist die Wurzel aller bedeutenden kulturellen Leistungen der Menschheit. Denn was dem Menschen von Geburt aus versagt bleibt, hat er durch seine geistigen Leistungen kompensiert: Weil er nicht so schnell und über weite Strecken laufen konnte wie viele Tiere, hat er Rad und Wagen erfunden; weil ihm keine Werkzeuge oder Waffen zugewachsen waren, hat er sie konstruiert; weil er nicht fliegen konnte wie die Vögel, hat er Flugzeuge gebaut, und so weiter. All diese Leistungen wären nicht möglich gewesen, wenn der Mensch nicht von seiner angeborenen Minderwertigkeit überzeugt wäre.

Nun gehört Versagen zum Menschsein. D. h., jeder von uns definiert Probleme falsch und löst Konflikte durch Fehlentscheidungen. Aufgrund dieser Fehlentscheidungen ist ein Mensch weniger erfolgreich als andere Zeitgenossen, und das stört ihn. Je öfter ein Mensch solche Fehlentscheidungen trifft oder Konflikte überhaupt nicht löst, sondern vor sich herschiebt, desto mehr verstärkt sich in ihm die Gewißheit, daß er – im Verhältnis zu anderen gesehen – minderwertig ist. Er wird mit etlichen Problemen seines Lebens nicht fertig. Diesen Tatbestand und das daraus resultierende depressive Gefühl nennen wir erworbene Minderwertigkeit.

Nun summieren sich diese beiden Minderwertigkeiten, und wir haben einen Minderwertigkeits komplex. Das Wort »Komplex« sagt ja schon aus, daß es sich um einen Tatbestand handeln muß, der aus mehreren Komponenten zusammengesetzt ist. Was aber bewirkt ein Minderwertigkeitskomplex? Er drückt auf unser Selbstwertgefühl. Und dieser Druck auf das Selbstwertgefühl löst eine Grundstimmung aus, die das Leben vieler Menschen essentiell bedroht: die Angst. Graphisch könnte man diese Zusammenhänge so darstellen (siehe Graphik Seite 32).

Kein Mensch kann auf die Dauer mit der Angst leben. Das Schlimme an der Angst ist, daß sie so indifferent ist: Man weiß nicht, wovor man sich fürchtet. Und deshalb, weil diese Angst aus einer nicht auszulotenden Tiefe wirkt, gleicht ihre Wirkung einem »Holzhammereffekt«: Man ist, als ob man einen Schlag auf den Kopf erhalten hätte, nicht in der Lage, seine Situation klar zu sehen oder nach Auswegen zu suchen. Deshalb reagiert der Mensch seine Angst oft in aggressiver Weise ab: durch Zorn, Wut und Haß. Wobei sich die Aggressionen nicht nur gegen die Umgebung, sondern sehr wohl auch gegen die eigene Person richten.

Letzte Konsequenz: der Selbstmord. Oder der Mensch überkompensiert seine Angst durch eine pathologische Überhöhung seines Ich-Ideals. Dies führt zu angeberischem oder blasiertem Verhalten – immer ein sicheres Zeichen für ein angeschlagenes Selbstwertgefühl!

Bei allem, was das Verhalten eines Menschen vom Unbewußten her bestimmt, spielen die Emotionen eine große Rolle. Wir müssen also unbedingt noch untersuchen, was es mit den Gefühlen überhaupt auf sich hat und warum sie das Verhalten des Menschen so nachhaltig beeinflussen.

Man kann auch sehr intelligente Menschen in große Verlegenheit bringen, wenn man ihnen die simple Frage vorlegt: Was ist das eigentlich, ein Gefühl? Diese Frage kann man nur zufriedenstellend beantworten, wenn man berücksichtigt, daß auch die Gefühle eine Doppelfunktion erfüllen. »Fühlen« heißt zunächst einmal, Signale aus der Umwelt oder Innenwelt aufnehmen, und zwar durch unsere Sinnesorgane. Zugleich aber, und das ist das gravierende Moment, werden die aufgenommenen Gefühle gewertet. Der Parameter für diese Wertung ist wiederum das Selbstwertgefühl. D. h., ich werde von den Signalen, die ich aufnehme, entweder positiv oder negativ angemutet.

Werde ich positiv angemutet, so entstehen daraus Stimmungen wie Lust, Freude, Glück, Hoffnung, Zuversicht, Vertrauen und so weiter. Werde ich negativ angemutet, so ergeben sich daraus Stimmungen wie Trauer, Unglück, Verzweiflung, Mißtrauen, Furcht etc. Die Summe dieser Anmutungen, die ein Mensch im Laufe seines Lebens, vor allem aber in der Kindheit, erfährt, ergibt die sogenannte Gestimmtheit. Die Gestimmtheit ist also die gefühlsmäßige »Dauerspannung«, unter der ein Mensch steht. Und es ist völlig klar, daß ein Mensch, der im Laufe seiner Entwicklung vorwiegend positiv angemutet worden ist, dadurch fast zwangsläufig zum Optimisten wird. Er hat nicht die geringsten Zweifel daran, daß ein Unternehmen, das er plant, gelingen wird.

Nun können die Gefühle aber auch aktiv eingesetzt, d. h. im Sinne eines Werkzeuges benützt werden. Stellen Sie sich einmal folgende alltägliche Situation vor: Ihrer Sekretärin ist ein Fehler unterlaufen, der schwerwiegende Folgen hat. Sie hat beispielsweise in einem Angebot eine Null zuviel getippt. Ihnen als Chef ist das nicht aufgefallen, da Sie die Briefe stets ungelesen unterschreiben.

Als das Malheur offenbar wird, stellen Sie die Dame zur Rede. Sie sagen etwa: »Also Fr. Amann – jetzt erklären Sie mir einmal, wie das passieren konnte!« Die Sekretärin beginnt mit einer Erklärung – doch beim dritten Satz bricht sie in hemmungsloses Schluchzen aus! Sofort werden Sie als Chef einlenken: »Aber so beruhigen Sie sich doch, Fr. Amann! Ich weiß ja, daß Sie sonst die Zuverlässigkeit in Person sind!«

Was hat die Sekretärin getan? Sie hat – natürlich unbewußt – eine Situation, die rational nicht zu bewältigen war, auf die Ebene der Gefühle verschoben. Denn Gefühle wirken unmittelbar auf das Unterbewußtsein des Gesprächspartners und erreichen dadurch die gewünschte Wirkung. Auch Trauer, Zorn, Mitleid oder Enttäuschung werden oft nur »vorgespannt«, um damit etwas ganz Bestimmtes zu erreichen. Wobei sich Männer dieser Methoden genau so erfolgreich bedienen wie Frauen …

Es ist jedem einsichtigen Menschen klar, daß es keine Objektivität gibt. Sie ist, genau wie die Freiheit, eine Fiktion. Wir können nur versuchen, in unserem Verhalten dieser Fiktion so nahe wie möglich zu kommen. Das Studium der Gefühle demonstriert uns überzeugend, daß der Mensch gar nicht objektiv sein kann! Jeder von uns hat diesen Tatbestand schon festgestellt, wenn z. B. drei Personen dieselbe Situation beobachten und anschließend über ihre Eindrücke berichten.

Drei Touristen, die von einem Berggipfel ins Tal schauen, werden dieselbe Landschaft ganz anders schildern. Aufgrund seiner »Gestimmtheit« sieht der eine das Farbenspiel von Hellrosa bis Dunkelviolett; dem zweiten imponiert die Perspektive; der dritte berauscht sich am grandiosen Panorama und wird davon an die Kleinheit und Vergänglichkeit des Menschen erinnert. Oder, um an ein weiteres alltägliches Beispiel zu erinnern: Von den sich widersprechenden Zeugenaussagen nach Unfällen weiß jeder Verkehrsrichter ein Lied zu singen!

Zusammenfassend können wir also feststellen: Jedes Signal, das der Mensch aus der Umwelt – oder aus seiner körperlichen Innenwelt – aufnimmt, wird gefühlsmäßig eingefärbt! Das gilt z. B. auch für Schmerzen: je nachdem wie ich gestimmt oder motiviert bin, werde ich Schmerzen bagatellisieren oder dramatisieren! Der Vollständigkeit halber sei hier angemerkt, daß die Objektivität des Menschen weiterhin durch sein Unterbewußtsein eingeschränkt wird. Jeder von uns hat seinen »blinden Fleck«; d. h., es gibt bestimmte Ereignisse, die ich nicht wahrhaben will und deshalb übersehe beziehungsweise in meiner Wahrnehmung verfälsche. Ein Tatbestand, den eine alte chinesische Weisheit so ausdrückt: »Keiner ist so blind wie einer, der nicht sehen will!« (Näheres darüber besprechen wir im 3. Kapitel!)

Haben wir uns bisher vorwiegend mit der Persönlichkeitsentwicklung des Individuums beschäftigt, so gilt es nunmehr zu untersuchen: Wie verhält sich der einzelne als Gruppenmitglied? Diese Frage wird uns im nächsten Kapitel beschäftigen. Doch vorher empfehle ich Ihnen, die folgende kleine Test-Aufgabe Nr. 1 zu studieren. Denn Sie wollen doch aus diesem Buch Hinweise für die Praxis erhalten, oder nicht?

Test-Aufgabe 1

Der Wert eines Seminarleiters erweist sich spätestens in jenem Augenblick, in dem der erste Teilnehmer ein Problem aus der Praxis auf den Tisch wirft; mit der Bitte an Sie, verehrter Trainer-Kollege: »Wie soll ich mich diesem Mitarbeiter gegenüber in Zukunft verhalten? Was würden Sie an meiner Stelle tun?«

Hier ist die Erzählung eines Seminarteilnehmers, die sich vor der »Ölkrise« ereignete:

»Ich bin Hauptabteilungsleiter in einer Automobilfirma, und zwar im Sektor T2, d. h. in der Motorenkonstruktion. Einer meiner Abteilungsleiter, ein gewisser Herr Friedrich, macht mir seit etwa zwei Monaten Sorgen. Friedrich ist mit 34 Jahren einer unserer jüngsten und begabtesten Konstrukteure. Er kam vor drei Jahren zu uns, nachdem er die ersten zwei Jahre nach dem Studium in der Konstruktionsabteilung einer angesehenen Zahnradfabrik gearbeitet hatte. Seit etwa 18 Monaten haben wir ihn mit einer Sonderaufgabe betraut, nämlich mit der Verbesserung der Brennkammer im Zylinderkopf. Friedrich, der ungeheuer ehrgeizig ist, stürzte sich kopfüber in die Arbeit. Er ist übrigens unverheiratet und scheint nicht mal eine Freundin zu haben, obwohl er gut aussieht und bei uns exzellent bezahlt wird. Er verbrachte einen großen Teil seiner Freizeit im Werk, oft machte er bis abends zehn Uhr Überstunden, die ihm auch von mir immer kommentarlos genehmigt wurden. Ich war sicher, bei Friedrichs Arbeit kommt eines Tages etwas heraus. Und so war es auch: Elf Monate nach Beginn dieser Sonderaktion brachte mir Friedrich den Entwurf eines abgeänderten Zylinderkopfes, der bei einem Vier-Zylinder die PS-Leistung um 10 Prozent erhöhte, ohne erhöhten Kraftstoffverbrauch! Mittlerweile laufen mehrere Test-Motoren, und Friedrichs Behauptungen haben sich voll bestätigt: Die Leistungssteigerung schwankt zwischen 9,4 und 9,8 Prozent.

Als Friedrich dieser erste Durchbruch gelungen war, bat er mich, an diesem Projekt weiterarbeiten zu dürfen. Ihm unterstehen insgesamt neun Herren, davon zwei Konstrukteure mit Hochschulbildung, drei Detailkonstrukteure und vier technische Zeichner. Als Chef wird Friedrich von seinen Mitarbeitern einzig wegen seiner außerordentlichen konstruktiven Begabung geschätzt. Sie nennen ihn »Dandy«, weil er nur in Maßanzügen geht und einen teuren italienischen Sportwagen fährt.

Friedrichs Abteilung kostet mich an Gehältern rund 230.000 Mark pro Jahr. Das Problem für mich lautete also: Übertrage ich Friedrich eine neue Aufgabe – und wir haben an derlei technischen Problemen keinen Mangel –, oder lasse ich ihn mit seiner Abteilung ein weiteres Jahr das Brennkammerproblem bearbeiten? Ich entschied mich für die zweite Lösung – und das war mein Fehler. Warum?

Friedrich überraschte mich nach weiteren sechs Monaten mit einer geradezu revolutionären Idee in der Umgestaltung von Zylindern, Brennkammern und Kolbenprofilen, die den Kraftstoffbedarf dieses Motors auf 50 Prozent drosseln würde! 50 Prozent weniger Kraftstoff bei gleicher Leistung!

Ich muß zugeben, daß mich dieses Projekt zunächst faszinierte; vor allem deshalb, weil ich ja selbst einmal Motorenkonstrukteur war. Aber ich mußte Friedrich diese Idee madig machen. Ich sagte ihm wörtlich, daß dieser Motor nie gebaut würde. Der Hauptaktionär unserer Gesellschaft sei gleichzeitig der größte Aktionär der neuen bayerischen Erdölraffinerien, auf die wiederum unser Wirtschaftsminister besonders stolz sei … Kurz gesagt: Die wirtschaftlichen Interessen und die Macht der Erdölkonzerne würden den Bau eines derartigen Motors auf jeden Fall verhindern.

Friedrich meinte, dann würde er seine Idee eben einer anderen Firma, z. B. einer japanischen, anbieten. Ich wies ihn darauf hin, daß er laut Anstellungsvertrag jede im Haus gemachte Erfindung erst anderweitig verwenden dürfe, wenn die Firma fünf Jahre lang keinen Gebrauch davon gemacht hätte. Diese fünf Jahre müsse er erst mal abwarten … Mittlerweile habe ich Friedrich mit einer neuen Aufgabe betraut. Äußerlich hat er sich ein glattes, höfliches, dabei aber unpersönliches Benehmen zugelegt. Innerlich kocht es bei ihm, das ist mir klar. Und vergangene Woche hatte ich bei der routinemäßigen Montag-Besprechung aller Abteilungsleiter erstmalig den Eindruck, als ob der übermüdet wirkende Friedrich eine leichte Alkoholfahne mit sich führte.

Und nun frage ich Sie: Was könnte ich tun, um diesen erstklassigen Konstrukteur so zu motivieren, daß er weiterhin mit Volldampf für unsere Firma arbeitet?«

Welche Antwort würden Sie – aufgrund der im ersten Kapitel erworbenen psychologischen Kenntnisse – diesem Teilnehmer geben? (Meine Antwort finden Sie auf Seite 433. Aber bitte schlagen Sie nicht gleich dort nach!)

Zusammenfassung

1. Das Oberbewußtsein ist jene Kategorie der menschlichen Persönlichkeit, die vor allem durch die Denkprozesse bedingt wird.

2. Im Unterbewußtsein können wir uns die Triebe beziehungsweise Antriebe lokalisiert vorstellen. Sie sind mit Energie besetzt, weshalb wir den Menschen auch als Energiepotential betrachten können. Tatsache ist, daß wir von diesem Potential nur einen Bruchteil aktivieren.

3. Jedes menschliche Handeln läßt sich durch folgendes Schema versinnbildlichen:

4. Wenn wir das Verhalten des Menschen besser verstehen oder wenn wir es verändern wollen, müssen wir mehr über seine Bedürfnisse (Motive) wissen. Grob gesehen gibt es drei verschiedene Arten: physische Bedürfnisse, soziale Bedürfnisse, psychische Bedürfnisse.

5. Die tiefsten Einblicke in das System menschlicher Bedürfnisse verdanken wir dem amerikanischen Psychologen A. H. MASLOW. In seiner »Bedürfnispyramide« legte er dar, daß es im wesentlichen fünf Bedürfnisstufen gibt, nämlich

– physiologische Bedürfnisse,

– Sicherheitsbedürfnisse,

– soziale Bedürfnisse,

– Ich-Bedürfnisse,

– Bedürfnis nach Selbstverwirklichung.

6. MASLOWs Pyramide legt folgende Konsequenzen nahe:

– Die Bedürfnisse sind hierarchisch angeordnet, d. h., sie haben den Charakter von Prioritäten und müssen in einer bestimmten Reihenfolge befriedigt werden.

– Der Mensch hält sich stets gleichzeitig in verschiedenen Stufen auf.

– Defizite in den Stufen 2 und 3 bedingen besondere Aktivität in der Stufe 4.

– Nur etwa ein Promille der Menschheit strebt die Stufe 5 überhaupt an beziehungsweise befindet sich mehr oder weniger total in ihr.

7. Der Mensch bewegt sich – bildlich gesprochen – ständig in drei sogenannten »Motivationsebenen«: dem »Es«, dem »Ich« und dem »Über-Ich«. Es und Über-Ich sind Antagonisten: Fast immer, wenn das Es etwas »will«, verbietet ihm dies das Über-Ich. Das Ich steht zwischen diesen »feindlichen Brüdern« und muß ihrem Druck standhalten; außerdem wird es noch von der Umwelt bedrängt.

8. Ob der Mensch ein »gesundes« Ich entwickeln kann, hängt im wesentlichen von den Verhältnissen ab, die er in seinen ersten fünf Lebensjahren vorfindet. Insofern ist das Verhalten der Eltern für das Kind ausgesprochen schicksalhaft.

9. Ein »gesundes« Ich manifestiert sich in einem ausgeprägten Selbstwertgefühl. Es ist die zentrale Instanz unseres Seelenlebens, um die sich alles dreht, was wir tun oder lassen.

10. Um ein »gesundes« Selbstwertgefühl entwickeln zu können, müssen mindestens sechs Prämissen erfüllt sein:

– ein optimales Verhältnis zwischen Ich und Ideal-Ich;

– Übereinstimmung mit dem Gewissen;

– Erfolg aus der Arbeit;

– die Wertschätzung anderer;

– eine angepaßte Aggressivität;

– die erotisch-sexuelle Befriedigung.

11. Ein Mensch kann ein Selbstwertgefühl nicht ohne die Resonanz seiner Mitmenschen aufbauen. D. h., ohne unsere Mitmenschen sind wir ein Nichts. Wir bedürfen deshalb auch der ständigen Kommunikation mit anderen. Wird diese Kommunikation zwangsweise unterbrochen, baut der Mensch seine Persönlichkeitsstruktur ab und erlebt eine sogenannte »Regression«: Er fällt in kindliche Verhaltensweisen zurück.

12. Der Gegenspieler des Selbstwertgefühls ist das Minderwertigkeitsgefühl. Wird es übermächtig, bekommt der Mensch Angst. Und zwar eine indifferente Angst: Er weiß nicht, wovor er sich fürchtet. Da kein Mensch auf die Dauer mit der Angst leben kann, reagiert er sie (auf meist aggressive Art) ab: Wir nennen ihn dann einen »Neurotiker«.

13. Emotionen (Gefühle) spielen eine dominierende Rolle in unserem Leben. Alles, was wir aus der Außen- oder Innenwelt wahrnehmen, wird gefühlsmäßig eingefärbt. Zuweilen werden Gefühle auch aktiv eingesetzt, um Situationen zu meistern, die rational nicht bewältigt werden können.

2. Kapitel

Das Individuum in der Gruppe

Der Gruppenpsychologie beziehungsweise Gruppendynamik wird im neueren psychologischen Schrifttum immer breiterer Raum gewidmet; wobei teilweise ein theoretisches Fachchinesisch produziert wird, das jedem Praktiker die Haare zu Berge treibt. Ich habe in den vergangenen Jahren einige Psychologen scheitern sehen, die sich als freie Trainer versuchten. Alle kamen sie aus dem Stall jener lupenreinen Schulpsychologen, die jeden zweiten Satz mit den Worten »Wir Gruppendynamiker …« beginnen. Sie können mangels Praxis in der Wirtschaft nicht wissen, daß man die Ergebnisse aus sogenannten Laborgruppen nicht auf die Praxis einer Arbeitsgruppe (oder einer Seminargruppe von Teilnehmern aus der Industrie) übertragen kann. Hier wird wieder einmal offenbar, daß man bestimmte Probleme nicht intellektuell erfassen, sondern nur erfahren kann. Wer nie in einer Arbeitsgruppe steckte, nie im Gruppenakkord gearbeitet hat, nie den Kampf um die Führung erlebte oder selbst dem Gruppendruck ausgesetzt war, weil er die etablierten Normen der Gruppe nicht akzeptieren wollte – der weiß einfach nicht, was »Gruppendynamik« in der industriellen Praxis bedeutet. Und wer sich als Trainer, gleichgültig ob als »selbständiger« oder als angestellter »Schulungsleiter«, sein Brot in Industrie und Wirtschaft verdienen will, der muß gruppendynamische Prozesse in diesem Milieu am eigenen Leibe erlebt haben!

Wenn man über Gruppendynamik sprechen will, so besteht die wesentliche Schwierigkeit darin, daß sich die damit befaßten Wissenschaftler bis heute noch nicht einigen konnten, was eine »Gruppe« eigentlich ist. MANFRED SADER demonstriert in seinem Buch Psychologie der Gruppe diesen fatalen Zustand mit eindrucksvollen Beispielen (Seiten 33/34). Ich zitiere:

»LINDGREN definiert in seiner Einführung in die Sozialpsychologie: Wenn zwei oder mehr Personen in irgendeiner Beziehung zueinander stehen, bilden sie eine Gruppe.

OLMSTED definiert in einer Einführung in die Kleingruppenforschung: Eine Gruppe kann definiert werden als eine Mehrheit von Individuen, die in Kontakt miteinander stehen, aufeinander reagieren und in wesentlichen Punkten Gemeinsamkeiten erleben.

Und schließlich McDAVID & HARARI, ebenfalls in einem Lehrbuchtext: Eine sozialpsychologische Gruppe ist ein organisiertes System von zwei oder mehr Individuen, die so miteinander verbunden sind, daß in einem gewissen Grade gemeinsame Funktionen möglich sind, Rollenbeziehungen zwischen den Mitgliedern bestehen und Normen existieren, die das Verhalten der Gruppe und aller ihrer Mitglieder regeln.