Traktor "Hano" erzählt... - Horst H. Dörr - E-Book

Traktor "Hano" erzählt... E-Book

Horst H. Dörr

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Beschreibung

Ein starkes Team. »Hano« der Traktor (Bj. 1950), ein Schäferwagen und »Heinrich« begaben sich auf Reisen. Sie lassen den Stau hinter sich. Heinrich will die Natur genießen. Mit Menschen sprechen, ihre Handlungen studieren und ihnen aufs »Maul« schauen. Traktor Hano erzählt aus seiner Sicht. Von früher, vom Dorf. Er schildert die Vorbereitungen mit praktischen Tipps für ihre abenteuerlichen Fahrten. Nicht die Menge der gefahrenen Kilometer, nicht die Grenzen der Leistungsfähigkeit - schneller und weiter - waren die Kriterien. Heinrich wollte entspannen. Nachdenkliche, spannende, lustige, besinnliche, dramatische und enttäuschende Erlebnisse flankieren die unterhaltsamen Exkursionen. Manches endete im Chaos. Heinrich studierte unterwegs sich selbst, die Natur mit ihren Launen, die Menschen und die Grenzen der Technik in fast aussichtslosen Situationen. Abends saß Heinrich im Klappstuhl vor dem Schäferwagen, schaute in die Sterne und dachte über sich, den Sinn des Lebens nach. Er wollte seinen Kopf aufräumen, seinen Lebensstandort, seinen Lebensweg und sein Lebensziel, überprüfen. Die Realität wich oft gewaltig von der Zielvorstellung ab. Heinrich suchte während seiner Reisen. Wonach? Fand er es? Im Anhang findet man umfangreiche Tipps und Checklisten.

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Seitenzahl: 335

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Buchbeschreibung:

Traktor »Hano« erzählt von seinem Eigentümer »Heinrich« und gemeinsamen Reisen zusammen mit ihrem Schäferwagen.

Nicht die Menge der gefahrenen Kilometer, nicht die Grenzen der Leistungsfähigkeit - schneller und weiter - waren die Kriterien. »Heinrich« wollte entspannen. Schöner, ruhiger, unterhaltsamer. Oft kam es anders.

Er studierte unterwegs sich selbst, die Natur mit ihren Launen, die Menschen und die Grenzen der Technik in fast aussichtslosen Situationen.

Abends im Klappstuhl vor dem Schäferwagen, dachte »Heinrich«, über sich, den Sinn des Lebens nach.

Im Anhang findet man umfangreiche Tipps und Checklisten.

Über den Autor:

Horst Heinrich Dörr, geboren 1943 in Frankfurt am Main, wuchs vierzehn Jahre lang in dem nordhessischen Dorf Sachsenhausen auf, nahm sich 1950 einen Lebenstraum vor:

»Wenn ich groß bin, kaufe ich mir einen Traktor«

Mit 65 Jahren war er »groß«! Der Wirtschaftsingenieur war bis dahin am Flughafen Frankfurt beschäftigt, engagierte sich in seiner Freizeit vor Ort in Zaire / Kongo in der Entwicklungshilfe. Wollte nun mit dem Traktor auf Reisen entstressen.

»Die schönste Freude erlebt man immer da, wo man sie nicht erwartet«.

Antoine de Saint-Exupéry Französischer Schriftsteller und Flieger 1900 – 1944

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Hanos erste Reise von Passau nach Bad Homburg

Abschied ins Ungewisse

Bremsen üben

Ein klitzekleines Blinzeln

Den Sinn für die Zeit verloren

Fassungsloses Chaos

Vorgeschichte

Wenn ich groß bin, kaufe ich mir einen Traktor

Traktor und Schäferkarren gesucht

Rhön/Rennsteig

Vorbericht Rennsteigfahrt

Testtag

Ein Gang langsamer

Bauer springt auf die Straße

Nutzloses Gerede

Die Dame am Hang

Mer habbe an Dach überm Kopp

Gemütlicher Schäferwagen

Wasserkuppe, Weidenröschen, Wunderland

Durch die Drachenschlucht zur »Hohen Sonne«

Hilfe, Hilfe, warum hilft mir denn keiner

Einen Stein zur Saale bitte

Für heute reichte es

Eine göttliche Zeit

Treffen mit J. W. von Goethe

An den Bäumen hängen die Wanderschuhe

Gleiches Recht auf der Straße

Großen Scheiß gebaut

Hessen Nord

Arbeit am rauen Stein

Quellensuche

Vorwärts in die Vergangenheit

Nichts, gar nichts, überhaupt nichts, nur sitzen

Einhundert Jahre Wasserkraft

Wenn der Po streikt

Duftgeheimnis

Herausragende Tat – Eiche gefällt

Schicksalsberg

Wo Flüsse sich küssen

Lücke im Zaun

Ein Dieselölcocktail im Regen

Hanos Zwischenbericht, Reparatur

Mit dem Kugelzugmaul den Weg gepflügt.

Besser als der Neuzustand

Konfusität am Fluss

Wegen 70 Eurocent

Ursprung und Quellen

Sti

llstand in der Sommerhitze

Unbarmherziges vom Himmel

Murmelndes Gewässer

Verdächtiger Dieselgeruch

An der Kirche über den Friedhof

Drei Halbe aus einem Hahn

Der unheimliche Putzlappen

Unverhofftes Ende

Kleine Rhein- und Moseltour

Schuhabsatz im Morast

Vor Steingeschossen in Deckung

Botanisches Opfer, eine Irrfahrt

Aufsteigende Nebelschwaden

Fränkische Saale, Rhön

Die Qual der Wahl

Tohuwabohu

Qualvolle Radtour am Main

Harmonisch Saale

Alle abspringen

Der Fremde mit der Maske

Verschlammt

Ein Marterl am Weg

Bis zum Gipfel

Nie wiederkommende Momente

Abgemurkst

Lausekalt

Technische Erkenntnis

Hanos Schlussüberlegungen

Was sagt Heinrich zum Schluss

Unausweichliche Veränderung

Anhänge:

1 Checkliste für längere Fahrten (vieles ist sicher bekannt)

0.1 Allgemein

0.2 Sicherheit

0.3 Traktor

0.4 Schäferwagen

0.5 Technik: Werkzeug, Ersatzteile etc.

0.6 Kleidung

0.7 Medizin und Hygiene

0.8 Papiere, Dokumente

0.9 Fahrrad

0.10 allg. Ausrüstung

0.11 Haushalt und Verpflegung

0.12 Büroausstattung (die schreiben möchten)

0.13 Informationssysteme

0.14 Fachbücher

0.15 Fachzeitschriften wie z.B.

0.16 Werkstätten, Ersatzteile, Reparaturen

2 Schäferwagen Konstruktion

3 Der Traktor ist zu klein

4 ADAC Pannenhilfe für Traktor und Schäferwagen

Prolog

Ein kurzer Stop in einer steilen Auffahrt, umgeben von Weinreben. Es regnete noch. Die Mosel floss in ihrem Bett in himmlischer Ruhe sanft vorbei.

Ich, Traktor Hano, der euch alles berichtet, wartete geduldig auf meinen Fahrer. Heinrich startete zur Weiterfahrt meinen Motor. Vorglühen nicht nötig. Nur eine winzige Drehung des Starters.

Ein furchterregender Knall erschütterte den bis dahin schlummernden Weinberg. Der Motor blockierte, schüttelte sich kurz und stand. Reglosigkeit. Unheimliche Stille. Nur ein: »Hano, verdammt, das kenne ich vom Edersee«, zischte scharf zwischen Heinrichs Lippen hervor. Heinrich rutschte das Herz vor Schreck unter die Gürtelregion.

Peinlich, dass ich, wie so oft, Verdruss bereitete. Ich war doch unschuldig!

Mein Fahrer kontrollierte Komponenten, die mit dem Schlag in Zusammenhang stehen konnten. Keilriemen in Ordnung. Er untersuchte alles um den Motor herum. Oberflächlich nichts Verdächtiges! Ob das Ritzel vom Anlasser abgerissen, ein Kolben blockiert, ein Ventil gebrochen war? Keine äußeren Anzeichen erkennbar.

Heinrich, zu feige, meinen Motor erneut zu starten, bevor er die Ursache des Defektes nicht eingrenzen konnte. Der arme Kerl tat mir leid, wie er im Regen jede einzelne Äußerlichkeit untersuchte. Hilfe von mir, unmöglich.

Ende! Aus! Ein unglückliches Finale einer Moselreise? Sollte die Reise nun schon zu Ende sein? Unfassbar!

Nach einer halben Weile entdeckte Heinrich den Auslöser. Der Umschalthebel für den Antrieb der Seilwinde war verstellt. Nicht von selbst. Heinrich hatte beim Absteigen mit dem Fuß den mechanischen Hebel angestoßen und verschoben. War dadurch die Hakenbefestigung auseinandergerissen, geborsten? Der Grund des Schlags?

Der Traktorist brachte den Hebel zurück in die Ausgangsstellung. Gang raus, Handgas auf Starten, gewaltig durchatmen, den Anlasshebel drehen.

In die Ruhe hinein hüpfte mein Motor. Drehte seine Runden, als sei nichts passiert. Ein Fahrerfehler! Liebevoll streichelte Heinrich über mein Lenkrad. Ihm fielen tonnenschwere Steine vom Herzen. Meine Gewissensqualen entflohen. Was ein Glück.

Die nächsten Kilometer standen unter einer Restunsicherheit. Nicht die erste Panne seit Heinrich mich in Passau erworben hatte.

Ich erinnere mich noch daran, wie ich jahrelang abgeschoben hinter der Scheune verrottete.

»Autsch, was soll das?«, zitterte ich. Zwei ölverschmierte Blaumänner, derb beschuht, kämpften sich durch den verwilderten Garten und traten gegen meine platten Reifen. Sie öffneten die Motorhaube, ich die Augen.

»Komm ich jetzt in die Schrottpresse?«, stotterte ich verängstigt, während die Männer das Gestrüpp niedertrampelten. Ihre Gesichter ausdruckslos wie die Miene einer Kuh. Sie rümpften die Nasen ob der Ablagerungen von Laub, verfaulter Äpfel und Ausscheidungen der über mir nistenden Spatzenfamilie.

Die Ereignisse überschlugen sich. Ein Abschleppwagen, ein Tieflader holte mich ab.

»Schrottplatz?« Ungewissheit, ich weinte. Man brachte mich in eine Werkstatt. Ich hörte alle sagen:»Den bekommen wir nicht mehr hin, das kann ich nicht.« Da kam einer, der wusste das nicht und packte es einfach an.

Man demontierte mich, entrostete mein Blechkleid, befreite mich von den schäbigen Lackresten. Grundierte, lackierte was das Zeug hielt. Sie ersetzten die Frontscheibe, den Scheibenwischergummi. Meinen Dieselmotor zerlegten sie komplett in Einzelteile, bauten ihn von Grund aus neu auf. Hört her: fabrikneue Zylinder, Kolben, Ventile, Einspritzdüsen und was noch alles. Wie ein Ziegenbock wollte ich in der Werkstatt vor Vergnügen springen. Ich bekam nagelneue Schuhe, wundert euch: frische Keilriemen. Aus Gründen der Sicherheit erneuerten sie meine Bremsen. Zum Schluss, damit ich mehr arbeiten kann, verpassten sie mir noch eine Seilwinde.

Da stand ich abfahrtbereit, hochglänzend, auf dem Hof in Witzmannsberg in Bayern, ausharrend, abgeholt zu werden. Drei Tage hatte ich vor Herzeleid nicht geschlafen. Mein zukünftiges Lebensumfeld wird Hessen sein. Was mich dort erwartete, erahnte ich nicht. Mein Äußeres glänzte. Frisch geölt, gefettet, extra fein herausgeputzt, schaute ich gespannt die Dorfstraße hinunter. Während ich wartete, quälten mich Gedanken, wie es weitergehen würde. Vier Jahre lang baute man mich auf, es gelang ihnen, mir etwas von meinem lädierten Selbstbewusstsein zurückzugegeben. In den letzten 24 Monaten steckten sie mich in einen Schuppen zusammen mit fremden altgedienten Zugmaschinen. In meinem Meister reifte der Entschluss, mich zu verkaufen.

Nach der Restaurierung reinigten sie mich, jedes Stäubchen wischten sie weg. Fotos aus allen Perspektiven. Die Bilder und Texte erschienen in der »Schlepperpost«. Ich will ja nicht protzen, aber ich sah ausgezeichnet aus. Ein Traktorfreund, Heinrich von Homburg, das liegt endlos weit weg, interessierte sich für mich. Aufregung stieg in mir auf. Wenn der unbekannte Herr Heinrich, unverhofft das Interesse an mir verlor? Muss ich zurück in die Scheune, unter Umständen retour in den Matsch unter dem Apfelbaum?

Ich bekam mit, was mir alles bevorstand. Waldarbeit, Ofenholz transportieren(...). Mit Heinrich verreisen. Aber nicht nur wir zwei. Heinrich, sein Schäferwagen und ich. Das hörte sich ausgezeichnet an! Auf Reisen, durch Wiesen und Wälder in einer Welt, die sich mir bisher nicht erschloss. Ich hüpfte hin und her, konnte nicht abwarten bis es losging. Auf nach Westen.

Heinrich ließ sich alle Funktionen, Hebelchen und Eigenarten erklären, sein Wunsch: Probe fahren.

Er wollte mich auf den steilsten Wegen im Dorf testen. Mein Werkstattmeister empfahl, in niedrigen Gängen zu fahren. Nur mit der Fußbremse das Tempo zu drosseln langte nicht, der Motor musste mitbremsen. Heinrich fuhr los. Ich hörte Worte wie: » ...vom Kaufvertrag zurücktreten, Bremsen mangelhaft. Intensive Getriebegeräusche waren nicht nur gewöhnungsbedürftig.«

Heinrich verglich mich mit modernen PKWs. Dem hielt ich logischerweise nicht stand. Aber muss man dann gleich so misstrauisch sein?

Trotz der Unwägbarkeiten war er bereit, mit mir ein Abenteuer einzugehen.

»Wuff, gut gegangen.«

Wir starteten in Richtung Bad Homburg. Reizvolle Strecken für unterwegs suchte er im Voraus heraus. Nicht immer die kürzeste Route.

Hanos erste Reise von Passau nach Bad Homburg

Abschied ins Ungewisse

Die Nasen westlich ausgerichtet, verließen ich, Heinrich und sein mickriger Industrieanhänger um vier Uhr den Ort. Ab sofort Hilfe des Werkstattmeisters nicht mehr realisierbar. Er hatte sein Geld, wir eine lange Reise vor uns.

Meine Neugier zerriss mir beinahe die vier Zylinder. Wie wird mich Heinrich behandeln? Wird er mich jagen, hetzen, verkommen lassen? Wird er mich pflegen, hüten und lieben? Das zeigte sich bald. Jetzt saß er stolz und unsicher oben auf dem Sitz, beobachtete alle meine Bewegungen, Eigenheiten, testete jedes Detail. Sollte etwas nicht funktionieren, sähe es lausig um mich aus. Damit mich Heinrich nicht zurückbrachte, wollte ich perfekt sein.

Wie viel Kilometer wir heute noch schafften? Ich nahm an, Heinrich überblickte das nicht.

Zwingend für mich, weder Ausfälle noch Schwächen zeigen, nur fröhlich dahintuckern, die Erwartungen Heinrichs erfüllen. Über Tittling zog ich den Anhänger auf die landschaftlich ansprechende Bundesstraße 85.

Ich merkte, wie Heinrich penibel alle Einzelheiten an mir testete. Jeden Handgriff lernte er. Fragen kamen auf, die er vorher nicht klärte. Z.B. das Fassungsvermögen des Tanks? Für wie viele Kilometer reichte eine Tankfüllung? Ich verfügte weder über eine Tankanzeige, einen Kilometerzähler noch über einen Betriebsstundenzähler. Aber mein Motor liefgleichmäßig rund. Ich fühlte das Unbehagen Heinrichs. Vereinzelt murmelte er vor sich hin, öfters schimpfte er halblaut.

»Passt der Hanomag zu mir? Ein Gerät aus den Fünfzigerjahren lässt sich nicht harmonisch fahren. Oder muss ich das noch lernen?«

Er kritisierte Details:

»Die Vorglühzeit beträgt eine Minute, viel zu lange. Das Gaspedal viel zu flach, hat einen zu kurzen Hub. Es lässt sich schwer treten, ist nicht erschütterungsfrei in einer präzisen Position zu fixieren.« Bergab erweckte seine Kritik an meinen Bremsen Unruhe in mir.

Streckenweise hörte ich technische Details.

»Betriebsöldruck 2,5 bar, Wassertemperatur knapp 700C. Für ein druckloses System passt es.«

Heinrich richtete seine Gedanken mehr auf mich, kaum auf die Straße. Schlagartig, mitten auf der Bundesstraße, latschte er auf die Bremse. Ich bekam einen fürchterlichen Schrecken, hörte den Koffer im Anhänger an die vordere Bordwand schlagen. Just in diesem Moment stellte ich alle meine Fähigkeiten unter Beweis. Es gelang mir mühelos. Nach nur läppisch wenigen Metern stand ich. Geniale Leistung? Aber eine zufriedene Miene Heinrichs sah besser aus. Ob dem Brummkopf die Bremsleistung nicht ausreichte? Ich fand im Handumdrehen heraus, nicht ich war die Ursache seiner Missmutigkeit.

Heinrich jagte mich um Haaresbreite auf eine reine Autostraße. Eine Straße, auf der ich unerwünscht war. Die Verkehrsschilder, die dies regelten, standen meistens - kaum erkennbar - »hinter« den Straßenkreuzungen. Ein rechtzeitiges Abbiegen lag oft im Grenzbereich einer Verkehrsgefährdung nachfolgender Verkehrsteilnehmer. Manchem »Verkehrsplaner« fehlte offensichtlich die Erfahrung im Traktorfahren.

Was jetzt? Hinter uns staute der Verkehr. Rückwärts fahren unmöglich. Ohne Außenspiegel, den hohen Anhänger im Rücken, keine Chance. Am ersten Tag in eine solche Lage zu kommen, damit hatte er nicht gerechnet. Heinrich kannte mich noch nicht genau.

Er zögerte nicht lange, lenkte mich über eine steile Böschung von der Straße. Ich demonstrierte alles, was in mir steckte. Die Vorderachse schob hinab über die schiefe Ebene. Der Vorderbau senkte sich drehend um die eigene Achse, über die Grasnarbe hinunter. Das Gestrüpp streifte hart über meine glänzende Karosserie. Der Anhänger kam nicht so gut nach, er bäumte sein Hinterteil artistisch frech über die Straße in den Himmel.

Die Vorderräder schoben, nicht dem Lenkeinschlag gehorchend, sondern eher seitlich schlitternd den Hang hinunter. Einige Autofahrer hupten ängstlich über die waghalsige Akrobatik. Es gab kein Zurück mehr. Nicht notwendig, denn ich bewies Heinrich, dass ich mit Gefälle und mit Anhängern klar kam. Seine hochgezogenen Mundwinkel, die zusammengekniffenen Augen verrieten nicht bedingungsloses Vertrauen. Ein paar Meter, die Querstraße war erreicht. Ich bemerkte ein beglücktes, ein etwas überhebliches Grinsen im Gesicht Heinrichs. Wenn er auch kein Wort sprach, fühlte ich, dass er mit mir zufrieden schien.

Die Schnellstraße zwang uns, Nebenstraßen zu fahren. Über Grafenau, Riedlhütte, Spiegelau, ein lohnender Umweg, gelangten wir zurück auf die B85.

In der Ansiedlung Poschetsried fanden wir eine Pension nach dem Geschmack Heinrichs. Eine Unterkunft im Hotel Gutshof Falter, inmitten von Pferdekoppeln und Wiesen. Ich parkte direkt unter seinem Zimmerfenster. Heutige Fahrzeit etwa drei Stunden.

Mein Fahrer saß mit am Stammtisch. Pferdezüchter, Brauereieigentümer und Braumeister unterhielten sich bis in die Nacht. Bevor Heinrich zu Bett stolzierte, schaute er bei mir vorbei.

»Alter«, sagte er zu mir, »das war ein angenehmer Tag mit dir.«

Er verschwand im Haus. Ich sprang schlecht und recht in die Höhe, noch nie sprach jemand so mit mir. Ich senkte meine hervorstehenden Scheinwerfer und schlief zufrieden ein.

Bremsen üben

Fröhlich gelaunt verstaute Heinrich seine Habseligkeiten im Anhänger. Eine erholsame Nacht lag hinter uns.

Motor vorglühen! Der Glühüberwacher müsste knallrot leuchten. Des Fahrers Stirn zeigte Falten. Sechzig Sekunden lang, vernehmbar zählen. Ungeduld kam auf, überträgt sich hoffentlich nicht auf die Reise.

Ich sprang an, hüpfte etwas eitel vom Hof. Proportional der steigenden Motor-Betriebstemperatur stieg mein Wohlbefinden, auch das von Heinrich.

Wir fuhren durch die Stadt Regen, folgten der B85. Am Ufer des gleichnamigen Flüsschens pausierten wir. Heinrich meinte, unsere technische Ausrüstung sei spartanisch. Wirsteuerten unterwegs einen Baumarkt an. Er kaufte einen Werkzeugkoffer. Den Kasten befestigte er mit Gummibändern griffbereit auf dem Kotflügel, verstaute Landkarten, Schreibzeug, Wasserflasche, Mütze etc. darin. De luxe.

EinigeMeter entfernt eine Landmaschinenwerkstatt. Heinrich war es Leid, ohne Rückspiegel zu fahren, sich jeden Moment umzudrehen um nach hinten zu sehen.

Der Firmeneigentümer schwärmte von mir:

»Ich habe, lang, lang ist's her, viele Hanomag verkauft«, erzählte dieser.

Der sprach von mir mit leuchtenden Augen! Heinrich verfolgte die Worte aufmerksam aber skeptisch.

»Die miserablen Bremsen verursachen viel Lärm«, maulte Heinrich, »Beim Rückwärtsfahren funktionieren sie faktisch nicht, ich muss alles mit der Handbremse regeln«, nörgelte er herum.

»Das Dach dröhnt schrecklich. Das Getriebe lärmt. Es hat den Schein, Panzer wollten uns überrollen.«

Jetzt reicht es aber, sinnierte ich vor mich hin. Nur Genörgel! Aber es genügte noch nicht.

»Viele lautstarke Geräusche, die ich nicht identifizieren kann. Alles scheppert, vibriert und mahlt«, regte er sich auf. Das belastete mich erheblich, ich hoffte, wir entwickelten uns zu Freunden, stattdessen meckerte er ständig an mir herum.

Der erfahrene Werkstattfachmann widersprach nicht:

»Das Problem mit den Bremsen gab es bei Hanomag immer. Ja, man muss den Traktor fehlerfrei fahren können. Bergab rechtzeitig in einen niedrigen Gang schalten. Der Motor bremst mit. Das muss man beherzigen und vor allem üben.«

Der Meister gab es Heinrich jetzt aber gewaltig. Tipps, die er längst vom Verkäufer vernommen hatte.

»Das musst du üben«, spottete ich in Gedanken.

Meine praktizierte Offenheit gegenüber Heinrich wechselte in Reserviertheit.

Ich möchte jetzt nicht alles im Detail wiederholen, was er Negatives über mich erzählte.

Da schmeichelt es nicht, dass viele Traktorfabrikate noch ungünstiger in der Beurteilung des Meisters wegkamen. Der Dialog der beiden endete mit den übereinstimmenden Worten, so eine Art Gesang:

»Ein bisschen Blech, ein bisschen Lack und fertig ist der Hanomag.«

Das damit verbundene gehässige Lachen der zwei Männer versaute mir den Rest des Tages. Dieser Satz versetzte mich in eine Art Traurigkeit. Für heute buhlte ich nicht um Heinrichs Aufmerksamkeit.

Heinrich wurde wegen seiner Lästereien über mich bestraft. Er verfuhr sich. Wir endeten in Zenzing, einer Sackgasse an den Regentalhängen.

»Ein reizender Platz, ein Dorf wie in Masuren«, hörte ich Heinrich nuscheln.

Zurück zur Hauptstraße. Ich jauchzte innerlich, ließ mein Blechdach auf der hundsmiserablen Straße lautstark scheppern. Zugegeben ein nerviges Geräusch. Das hat er nun von seinem Spott.

Bisher ein paradiesischer Tag. Rundherum dunkle Wolken kündigten Unwetter an. Die Sonne brannte. Eine Traumfahrt von Nittenau bis Regenstauf am Regenflüsschen entlang sensibilisierte Heinrich derart, dass er nicht auf das heraufziehende Wetter achtete.

In Regenstauf, unweit von Regensburg, verließen wir den Fluss. Rabenschwarze Gewitterwolken zogen auf.

Schmidmühlen, die ersten Tropfen fielen. Ein Gasthof gab Heinrich Hoffnung auf ein trockenes Bett. Dienstag: »Geschlossen«. Heinrich steuerte den Ortskern an.

Glück, ein Zimmer im drei Sterne Hotel »Zum goldenen Lamm.« Beim Entladen bekam mein Chauffeur eine verdiente Wasserladung von oben verpasst, er, völlig durchnässt! Der Rest der Strafe fürs Herummeckern. Ich kicherte schadenfroh in mich hinein. Eine leckere Forelle verbesserte seine Stimmung. Aber Freunde, Kumpels wurden wir nicht. Da muss Heinrich die Einstellung zu mir noch wesentlich zum Besseren korrigieren.

Ein klitzekleines Blinzeln

Heinrich strahlte gut gelaunt. Das Wetter sonnig, nach dem Regen wurde es sehr kalt. Himmlisches Lauterachtal zwischen dem idyllischen Pfaffenhofen, mit seiner friedvollen Kirche und Brunn. Das malerische Flüsschen zog durch eine entzückende Landschaft bis zu einem wahren Glanzpunkt: Schlögelmühle. Ein Marterl aus dem Jahr 2003 schmückte den Weg, lud jeden Vorbeiziehenden auf einem Bankerl zum Verweilen ein. Heinrich hielt inne, bevor er mich erneut erbittert antrieb.

Traumlandschaften am Happurgerbach, bis zum Stausee und von dort bis Hohenstadt, entlang der Pegnitz bis Velden.

Abb. 1 Marterl

Heinrich übte zu schalten. Wenn er es einmal schaffte, das sonst weithin hörbare Krachen im Getriebe zu vermeiden, erfreute er sich an jedem eingelegten Gang.

Wir durchquerten den Veldensteiner Forst. Nach 145 km, Gremsdorf. Im ersten Landgasthof bekam er ein Zimmer. Ich stand in Sichtweite.

Ob Heinrich mich doch etwas mag? Duldete er mich nur, weil es blamabel wäre mit der Bahn nach Hause zu kommen?

An diesem Abend schaute er mich durch. Prüfte mein Öl, mein Wasser, diverse Schrauben und was noch alles unerlässlich schien. Erstmals meinte ich, ein klitzekleines Blinzeln in seinen Augen gesehen zu haben. Oder überkam ihn nur die Müdigkeit?

Den Sinn für die Zeit verloren

Geschlossene Wolkendecke verhüllte heute die Sonne. An der »Kleinen Weisach« entlang, eine unattraktive Strecke. Ich merkte, dass mein Treibstoff endete. Heinrich beachtete das zunächst nicht. Ohne Tankanzeige nicht idiotensicher, rechnen ist angesagt. Keine Tankstelle weit und breit. Auf der Landkarte nur lütte Dörfer. Geringe Hoffnung auf eine Tankmöglichkeit.

Unversehens setzte er den Blinker, wich von unserer Route ab. Aha, Richtung Autobahnauffahrt.

»Mein Gott, der wird doch nicht(…)!«

In weniger als zwanzig Kilometern Entfernung, an der Autobahn, tankte er. In Marktbreit gelangten wir an den Main, dem wir abwärts bis Ochsenfurt folgten.

Heinrich wollte den Weg nach Norden, die enorme Mainschleife über Würzburg und Schweinfurt, nicht fahren. Stattdessen holperten wir über enge Sträßchen, durch winzige Dörfer, bis wir die Tauber erreichten.

Tauberbischofsheim unsere nächste Station. Der bauhistorische Ort liegt an der »Romantischen Straße«. Die Fachwerkhäuser strahlten in ihren ursprünglichen Farben.

Schlagartig verbesserte Stimmung. Im Gesicht Heinrichs stand ein vergnügliches Grinsen, das seinen Schnurrbart in die Breite zog. Heiter saß er oben auf dem Hochsitz unterm Blechdach, genoss die zauberhafte Tauber. Paradiesisch schlängelte sie sich hinunter zum Main. Wir fuhren gemütlich, mit gedrosselter Geschwindigkeit, verloren den Sinn für die Zeit. Bis Heinrich in Wertheim am Main abrupt, hektisch nach einer Unterkunft Ausschau hielt.

Fassungsloses Chaos

Nebel über dem Main. Nicht lange bis die Morgensonne die Nebeldecke durchstach. Ich träumte, Heinrich hätte mich auf ein Schiff geladen. Bequemeres Reisen! Nicht nur der Komfort reizte, sondern ebenso der Anblick von der Mitte des Mains auf die harmonisch bewachsenen Ufer.

In Miltenberg nahm der Verkehr merklich zu, verstärkte sich bis Aschaffenburg gewaltig.

Zu Hause in meinem bayrischen Dorf herrschte Behaglichkeit. Was sich hier auf den Straßen tummelte, unmengen Autos, Lastwagen, ängstigten mich. Endlos zog sich die Flucht aus dieser Stadt, übertraf das Zeitmaß Heinrichs. Zweitklassige Bremsen, unzureichende Übung, reichte der Anhalteweg vor einer Ampel kaum aus. Heinrich bremste frühzeitiger als nachfolgende Fahrzeuge. Die hupten, fuchtelten mit ihren Fingern herum. Wenn die Ampeln grün zeigten, fuhren wir, wie alle Verkehrsteilnehmer, los. Schafften es bis zur nächsten Rotphase gerade noch über die Kreuzung. Das passte den ungeduldigen Kraftfahrern nicht. In Luft auflösen funktionierte ebenfalls nicht. Heinrich reagierte nervös, gab Vollgas. Aber ich konnte doch nicht flotter. Hoffentlich lässt er mich nicht mitten auf einer Kreuzung stehen und sucht mit einem Taxi das Weite. Ich fürchtete mich – hier in der Fremde.

Das Chaos spitzte sich in Hanau, Dörnigheim und Maintal noch deutlicher zu.

Ob ich das preisgeben darf?

Heinrich verlor in dem Getümmel vermehrt die Fassung. Er kaufte mich, um zu Entstressen. Stattdessen regte er sich wie ein aufgeplusterter Truthahn auf. Er fluchte, was das Zeug hielt. Gott sei Dank nicht über mich, mehr wegen der teilweise bescheidenen Beschilderung und Wegeführung. Ich getraue mich mal, ein Beispiel wiederzugeben:

Da standen wir, nicht zum ersten Mal, vor einem Schild, das uns nicht erlaubte auf die vorausführende Straße zu fahren. Allen Autos wird das gestattet, aber mir nicht. Ein Traktor brachte nicht die gewünschte Höchstgeschwindigkeit auf die Fahrbahn, obwohl oft die Autoschlangen auch nicht zügiger unterwegs sind. Heinrich, mit seinem miserablen Kartenmaterial, beabsichtigte, diesen Straßenteil zu umfahren.

Wir schlichen durch eine Siedlung. Vor einer Schranke fand die Fahrt ein jähes Ende. Wir suchten einen Weg in die Natur, raus aus der Bebauung. Der Anblick gepflegter Felder, Wiesen und Gärten, trug zur Beruhigung Heinrichs kurzzeitig bei. Es belastete ihn nicht, dass einige Fußgänger uns durch Gesten und Zeichen zu verstehen gaben, dass wir sie störten.

Wir standen vor einem Bahndamm. Auf der gegenüberliegenden Gleisseite führte der Weg nach Hause. Keine Brücke in der Nähe. Wir fuhren an der Gleisböschung entlang, bis zueinem Erdhaufen, der uns den Weg zu einer Hauptverkehrsstraße versperrte. Mühsames wenden, retour, um hoffnungsvoll einen Ausgang zu finden.

Die Ansicht kannten wir. Nach einer Stunde Fahrt zurück in der Siedlung, vor derselben Schranke. Heinrich artikulierte sich nicht mehr manierlich. Unter meiner blauen Farbe lief ich purpurrot an.

Vorwärts. Wohin auch immer! Geradeaus in das nächste Chaos. Zwei Landstraßen, die uns erlaubten sie zu nutzen, verband ein autobahnähnliches vierspuriges Straßenstück. Heinrich, ein aufmerksamer Beobachter, erkannte, dass diese Verbindungsstraße weder den Rang einer Autobahn noch einer Schnellstraße trug. Überdimensionierte Fahrspuren ließen unser Gespann winzig erscheinen. Wir fuhren extrem weit rechts, was die Autofahrer offensichtlich als schlechtes Gewissen interpretierten. Ununterbrochenes Autogehupe untermalte die Fahrt auf dem paar hundert Meter langen Straßenstück, den Dränglern nicht bewusst, dass uns die Fahrt erlaubt war. Mit feuchten Händen, mit schwitzendem hochrotem Kopf, hetzte mich Heinrich, das Lenkrad umklammernd, mit Höchsttempo über den Beton.

»Ist das meine zukünftige Heimat?«, fragte ich mich.

»Ist das das Ziel eines arbeitsreichen Lebens? Mich auf meine alten Tage in dieser Form moppen und hetzen zu lassen?«

Mehr berichte ich nicht. Peinlich für Heinrich, zumal es noch einige gleichgeartete Verwirrungen gab bis wir die gepflegte Kurstadt Bad Homburg erreichten.

Das war also unsere erste Fahrt. Wir lernten schöne Landschaften, Gefahren, aber besonders auch uns kennen.

In dieser feinen Kurstadt fühlte ich mich mickrig und elend. Hoffentlich bekomme ich hier wegen fehlender Umweltplakette kein Fahrverbot. Bad Homburg ist ja allgemein bekannt für seine »Champagner Luft« und ich, ein alter Traktor vom Land, kann kein bisschen Umweltschonendes dazu beitragen. Aber Heinrich hat ja gesagt, dass wir oft verreisen.

Vorgeschichte

Wenn ich groß bin, kaufe ich mir einen Traktor

Angekommen in Bad Homburg, einem schönen Kurort. Erkennungszeichen: Kurhaus, Spielbank, Thermalbad, Gestüt. Das sah alles nicht nach Landwirtschaft aus. Weder der gepflegte Kurpark noch die Liegenschaft Heinrichs. Sein Grundstück in der Stadt besaß keinen Stall noch Scheune. Da läuft nicht ein Huhn, eine Kuh oder Schwein herum. Bad Homburg liegt im landschaftlich gepflegten waldreichen Vordertaunus. Wälder und Wiesen, zum Erholen. Hat aber nicht einen Misthaufen.

Eines Tages, ich war noch nicht lange hier zu Hause, belauschte ich Heinrich, der einem Freund die Vorgeschichte für sein Traktor-Abenteuer erzählte.

Heinrich plante, beginnend mit seinem siebten Lebensjahr, alles bis ins Kleinste. Ob ich das darf, das Gelauschte auszuplaudern, vermag ich nicht einzuschätzen. Ich bin kein Geheimnisträger. Den Mund zu halten, forderte Heinrich mir nie ab.

Ich möchte, der Reihe nach das Aufgeschnappte weitergegeben:

»Im März 1943 wurde Heinrich in Frankfurt am Main geboren. In den ersten Monaten seines Daseins gab es Bombenangriffe. Die Briten warfen eine Bombe auf den Wohnblock, in dessen Keller die Familie kauerte.

Sein Vater im Krieg, die Mutter siedelte mit ihm in ein friedvolles Dörfchen, Sachsenhausen bei Treysa, unweit des Schwalmflüsschens, um. Ein Leben unter eingeengten Verhältnissen im Schulhaus, nur ein Zimmer mit einem Holzofen. Wenn die einfachverglasten Fenster im Winter mit einer dicken Eisschicht zufroren, legte die Mutter im Backofen aufgeheizte Ziegelsteine ins Bett.

Heinrich durfte eine herrliche Kindheit in der kleinen Gemeinde erleben.

Die Kinder rannten über Stoppelfelder, lernten die Natur mit ihren Kräutern kennen, kannten jeden Baum und Strauch nicht nur beim Namen. Nur die Akazie war ihm nicht bekannt. Sie sammelten vom Frühjahr bis zum Herbst Essbares. Pilze, Beeren, Nüsse, Bucheckern, Walderdbeeren, Heidelbeeren und vieles mehr. Umgängliche Bauern erlaubten, nach ihrer eigenen Ernte, den Armen, die auf den Äckern liegen gebliebenen Kartoffeln und Getreideähren aufzusammeln. Die Jugend schaute sich diese Lebensweise von den Alten ab.

Vom Frühjahr bis zum Schneefall brauchten die jungen Menschen keine Schuhe. Wenn die Sohlen nach dem Winter durchgelaufen waren, reparierten sie sie mit aufgenagelten alten Gummireifen.

Heinrich war vom Wagner und Schmied fasziniert. Er hat heute noch den bestialischen Gestank, wenn der Hufschmied die Eisen in die Hufe der Pferde brannte, in der Nase. Kaum etwas, was dieser nicht reparierte. Universalgenie. Für Heinrich ein Platz zum Wohlfühlen. Seiner Mutter bereitete das keine Hochstimmung, wenn er abends stinkend nach Steinkohlefeuer, Wagenschmiere und verbranntem Horn heimkam. Es gab weder Dusche noch moderne Badewannen, null fließendes warmes Wasser, dies erhitzten sie bei Bedarf auf dem Kochherd. Baden nur am Samstag in einer auf zwei sich gegenüberstehenden Stühlen aufgestellten Zinkwanne. Beine ausstrecken unmöglich. Heute kaum vorstellbar wie die Erwachsenen darin kauerten. Das Wasser musste für mehrere Personen reichen, ab und zu gossen sie heißes nach.

Die Jugend ritt die Pferde sattellos, klammerte sich stattdessen in deren Mähne. Wenn sie öfters im Graben auf dem Hosenboden landeten, scherte sich der Gaul nicht darum, im Gegensatz zur Mutter. Sie musste ohne Waschmaschine und Trockner die vor Dreck stehenden Kleider waschen.

Automobile gab es im Ort noch nicht. Nur ein Motorrad lärmte durch das geräuscharme Dorf. Hinterließ eine trübe stinkende Wolke des unvollkommen verbrannten, aus Benzin und Öl bestehenden Zweitakter-Gemischs. Für die Buben roch es nach moderner Technik, Zukunft und Fortschritt. Sie rannten, sobald sie das Geräusch vernahmen, hin zur Straße und schauten dem Vehikel wehmütig hinterher. Heute flüchten die Leute vor diesem Mief, Gestank und Feinstaub.

Lange vor Heinrichs Zeit, Mitte der Dreißigerjahre, so erzählten die in Ehren Ergrauten, kamen motorgetriebene Ackerschlepper auf den Markt. Für Kleinbauern und Landwirte war die zukunftsweisende Technik meist unbezahlbar. Sie leistete das Mehrfache als die Stalltiere. Die Kuh, das Pferd fraßen eigenerzeugtes Heu und Getreide. Der Traktor schluckte Dieselöl. Hatte hohe Anschaffungskosten. Aber nicht nur das: In kurzen Intervallen musste abgeschmiert, das Motoröl gewechselt und aufwendige Inspektionen durchgeführt werden. Reifen zu erneuern. Das kostete oft viel Geld.

Auf den Höfen sah man nach Regenfällen zunehmend, in allen Regenbogenfarben schillernde, ölverschmutzte Pfützen. Auf dem bäuerlichen Betrieb eines »reichen« Landwirts roches nicht nur nach Misthaufen und Heu, fortgesetzter nach Dieseltreibstoff und Staucherfett.

Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich im Dorf die Moderne durch. Neben dem Milchauto, das jeden Morgen um 6:00 Uhr seine Runde durch die Ortschaften drehte, die Milchkannen abholte, rollten jetzt vereinzelt Zugmaschinen hinaus aufs Feld. Sie trieben Dreschmaschinen über lange Flachriemen an.

Wenn in den Jahren zuvor die Knirpse die Kühe auf die Äcker führten, gestatteten die Landwirte ihnen, auch mal einen Traktor zu bewegen. Heinrich erinnerte sich noch deutlich an diese Zeit. Der Bauer erlaubte ihm eine Fahrt von zehn Metern. Von Rübenhaufen zu Rübenhaufen. Die Rüben luden die Landwirte mit den Händen auf die hohen Wagen. Wie das mit dem Fahren technisch funktionierte, schaute Heinrich sich ab. Aber seine Körpergröße und sein Bruttogesamtgewicht reichten nicht aus, um das Kupplungspedal mit einem Fuß zu betätigen. Er katapultierte sich mit beiden Füßen auf den »Fußhebel«, drückte den Gang hinein und sprang genauso flott wieder herunter.

Der Traktor bäumte auf. Die Vorderräder verließen den Boden. Die Kupplungsscheibe kreischte in den höchsten Tönen. Der schwere Anhänger mit seiner Rübenlast ächzte. Die Zugmaschine vollzog eine leichte Rückwärtsbewegung. Heinrich sprang blitzschnell voller Panik wieder auf das Kupplungspedal, zerrte den Gang raus. Brach damit den unvorhersehbaren Vorgang ab. Starr stand der Traktor da, Heinrich ebenfalls.

Bevor Bewegung in die regungslosen bäuerlichen Helfer kam, erfasste der Bub die Gesamtlage rascher als jene. Das Beste, was in diesem Moment nötig erschien, er verschwandblitzschnell. Rannte, was das Zeug hielt, quer über die Felder, kerzengerade nach Hause. Nur so entging er einer gebührenden Tracht Prügel.

Schlau gehandelt?! Ich stelle mir das vor. Ein Lümmel steht oben auf mir, zum Sitzen zu klein, springt vom Kupplungspedal. Die mechanischen Teile zwischen Motor und Fahrgestell würde es zerreißen. Die Kupplungsscheibe qualmte, die Zahnräder kreischten und mein Vorderbau hing schräg nach oben in der Luft. Gefährlich, leichtsinnig, unvorstellbar tragisch! Aber Heinrich erzählt das, als sei das das urkomischste Erlebnis seiner Kindheit.

Erste Erfahrung mit einem Traktor mit sieben Jahren, anno 1950. Der Lausbub hatte zunehmend Respekt vor den Zugmaschinen, die Bauern Angst vor Defekten, Ausfällen und hohen Kosten.

Zu dieser Zeit entstand Heinrichs innigster Lebenswunsch:

»Wenn ich groß bin, kaufe ich mir einen Traktor«.

Mitten im kalten Winter zogen Heinrich und seine Eltern ins Eigenheim nach Bad Homburg. Obwohl sie oft nach Kriegsende ihren Sommerurlaub in Frankfurt am Main verbrachten, wo die Buben in den Trümmern spielten, überwältigte den Bub der lebhafte Straßenverkehr. Aber der absolute Hit, die Druckspüler an der Wassertoilette.

In Sachsenhausen befand sich die Toilette unter der Außentreppe. Bei hohen Minusgraden war die Benutzung nicht zu empfehlen. An dem direkt über der Jauchegrube befestigten Holzring hätte man mit dem Po anfrieren können. Also, Abstand halten. Dafür gab es in den kalten Jahreszeitenweder Geruch noch Fliegen. Wenn es zur Nachtzeit im Winter »drückte«, »machte« man in den »Nachttopf«.

In Bad Homburg vermisste Heinrich die Landwirtschaft, die Gespräche mit den Alten, mit den Nachbarn, die den Hof hüteten. Menschen, die noch dösen und träumen konnten, die noch Zeit hatten ihren Gedanken nachzuhängen.

Auf dem Dorf saßen sie vor der Scheune, genossen die Sonne. Heinrich lauschte den Berichten, die die Vorderen aus den beiden Weltkriegen, auch von ihrem Leben im Jetzt erzählten. Fernsehen gab es noch nicht. Die regionale Zeitung erschien wöchentlich.

Fünfzig Jahre nach den Dorferzählungen erfuhr Heinrich, dass sein Großvater Franz im Ersten Weltkrieg in Verdun gefallen war. 1916, 29 Lebensjahre alt. Er sah sein zu Hause nie mehr. Die Alten in Sachsenhausen ersetzten dem kleinen Heinrich den Opa.«

Da drückte er aber auf die Tränendrüsen. Ohne Opa! Mit den unnötigen Kriegen, die nur Unglück über die Menschen brachten, hatte er recht. Wie viele Kampfhandlungen gibt es im Moment auf der Welt? Unendliches Leid! Wir Maschinen kämen nie auf solche Gedanken uns zu bekriegen! Noch nicht?

Die Technik ließ Heinrich nicht mehr los.

Wie oft sann er über die nützliche Technologie der Traktoren. Sie sollte den Bauern das Leben vereinfachen. Sein Berufsleben führte ihn mannigfach im Maschinenbau umher. Schließlich als Wirtschaftsingenieur zumAirport Frankfurt am Main.

In 43 Jahren Flughafen erlebte Heinrich, wie die Technik immer zukunftsweisender, rasender, leistungsstärker, effizienter wurde, am Boden wie in der Luft. Es bereitete ihm Freude, konstruktiv und mit frohgemutem Herzen, mit dunklem Anzug,blütenweißem Hemd, Fliege um den Kragen, mitten dabei zu sein.

Auch während seiner Entwicklungshilfetätigkeit im afrikanischen Kongo war er nicht unglücklich, wenn er handwerkliche Arbeiten ausführte, das schwarze Öl nicht mehr unter den Fingernägeln wegbekam. Sehnsüchtig erinnerte er sich im afrikanischen Busch zurück an seine Kindheit, den alten Schmied, das Kohlefeuer und die stinkenden verbrannten Pferdehufe.

Erworbene Erfahrungen wollte er der Allgemeinheit zur Verfügung stellen. Über Jahre hinweg, im Urlaub, in der Entwicklungshilfe vor Ort in Zaire. Er half Pater Richard Stark, Wasserversorgungen, Kliniken, Brücken etc. zu bauen. In der Politik, als Stadtverordneter, engagierte er sich in Bad Homburg. Erlebnisse, die er nicht vergisst, die ihn prägten.

Heinrich sehnte sich immer mehr nach Endstressen, einer Entschleunigung. Der Masse entrückt die Ruhe. Die Zeit wirkt wie ein Nadelkissen, der Mensch liegt reglos, starr darauf, jede Änderungsaktion drückt ihn noch tiefer in die Spitzen der Ruhelosigkeit. Um das zu vermeiden, verharren sie bewegungslos wie die Kaninchen vor der Schlange.

Aber wenn sie nicht versuchen, ihre Verhältnisse umzugestalten, wer tut das dann für sie? Wer sorgt und träumt von Selbstbestimmung? Nur wir für uns selbst.

Im Berufsleben durfte Heinrich dies nicht von fremden Leuten erwarten. Frührente kam nicht in Frage. Aber in Gedanken baute er in Demut einen Plan »nach der Zeit«. Immer im Bewusstsein, für jeden Tag, den er auf diesem Planeten überdauern durfte, dankbar zu sein.

Nur einmal im Leben geht man in Rente. Planlos oder voller Visionen und Ideen. Es fehlt die Erfahrung. Man glaubt, dass man in wenigen Monaten alles aufholen kann, was man während seines Arbeitslebens vernachlässigte.

»Wenn ich Rentner werde, dann ist dies und jenes flott weg erledigt, ich muss ja nicht mehr arbeiten!« Wohl dem, dessen Planung und Realisierung ihn erfüllt, oder sitzt er weiterhin in der Zeitfalle?

Bei Heinrich war das wie folgt, er nahm sich viel vor: Wollte Bücher schreiben und lesen. Wandern, Fahrrad fahren, Urlaub gestalten, Garten pflegen, nichts tun, verreisen. Oldtimer restaurieren, seine Entwicklungshilfe auf neue Beine stellen. Im Wald Brennholz schlagen, Freunde besuchen, bestehendes Filmmaterial schneiden, Filme aufnehmen, ein Studium zum Regisseur absolvieren. Fotografieren intensivieren, kistenweise Familienbilder sortieren, archivieren und scannen. Familienstammbaum erforschen und erstellen, täglich in Ruhe die Zeitung lesen, sich mehr um seine Familie kümmern, Sport treiben.

Die Liste ist noch erweiterbar. Primär wollte er eine geistige und körperliche Runderneuerung, Regeneration, »runter kommen«, beweisen genügsamer leben zu können. Die Aufzählung ist mehr eine Verdichtung als eine Entspannung seiner Planung geworden.

Aber der Traum des kleinen Dorfjungen: ›wenn ich groß bin, kaufe ich mir einen Traktor‹, blieb immer in der Prioritätenliste an der Spitze.«

Rente muss erquicklich sein. Aber was Heinrich sich da in den Kopf gesetzt hatte, spottet jeder Realität. Wie kann er die zahlreichen Vorhaben als einzelner Mensch in einem Leben meistern? Nur ein oder zwei dieser Tätigkeiten reichten. Allesandere artet in »Stress« aus, erhöht noch das Lebenstempo. Fröhlicher Ruhestand!

Mit dem Näherrücken der Rente, er wollte mit preußischer Disziplin bis 65 Jahre arbeiten, besuchte er Traktorenausstellungen.

Wie könnte er eine Entscheidung zum Kauf eines Schleppers treffen? Von verkommenen Schrotthaufen für 800 Euro bis hin zu neuwertigen Lanz Bulldogs für über 100.000 Euro. Ein breites Spektrum an Zugmaschinen auf dem Markt.

Heinrich kaufte einen kleinen formschönen Kramer Schlepper, KA 110, Baujahr 1957. Der Ein-Zylinder Dieselmotor leistete 11 PS, gab dem Traktor einen maximalen Vortrieb von 20 km/h. Die angetriebene Hinterachse verfügte über ein Sperrdifferential. Der Preis stimmte.

Nur mit Vollkabriolett durchs Land zu touren reichte nicht. Man benötigte Gepäck, Werkzeug, was zu lesen, Karten und Essensreserven. Wohin damit? Einen Anhänger besaß Heinrich. Zum Übernachten aber nicht geeignet. Kommen entweder Hotels, Pensionen, Jugendherbergen oder mit Zelt auf Campingplätzen infrage.

Traktor und Schäferkarren gesucht

Heinrich suchte einen Schäferkarren Baujahr Anfang 1900. Er wollte spartanisch leben wie ehemals die Schäfer.

Eine Deichsel zum Ziehen, zwei Räder, ein Holzkasten mit Tür und hoch liegenden kleinen Fenstern. Im Inneren ausgestattet mit einem Bretterrost, darauf eine Matratze, darunterein Platz für den Schäferhund. Ein Stuhl und ein winziges Tischchen. Das ist die Charakterisierung eines originalen Schäferwagens.

Heinrich wollte eine Karre um durchs Land zu fahren. Er wünschte ein Bett, das man an die Zugmaschine anhing.

Dies gelang nicht wie gewünscht. Heraus kam eine extra angefertigte Sonderkonstruktion. Ein Einbaubett, ein Einbauschrank, eine Eckbank und für die Enkel noch ein Klappbett.

Ein original antiker Ofen diente zum Heizen und ggf. eine Kleinigkeit zu kochen.

Die Entwicklung erfahrt ihr in Anhang: »Schäferwagen Konstruktion und Beschaffung.«

Heinrich hatte alles für die erste Tour zusammen. Einen Traktor, einen Schäferwagen und notwendiges Zubehör. Dann bekam er bedenken. Kurzum, seine Gedanken quälten ihn, dass der kleine Kramer dem großen Schäferwagen unterlegen sei. Er stellte sich vor, auf einem steil abfallenden Feld- oder Waldweg, etwas feucht, bemoost, schiebt der Schäferwagen den Kramer vomWeg ab, bestenfalls noch ins Gebüsch.

Heinrich zermarterte sich den Kopf mit Pro- und Kontra-Argumenten. Der Schäferwagen wog nur 750 kg. Zulässig für den Kramer. Wenn man vor dem großen Kasten stand, kam einem der Schlepper wie ein Spielzeugmodell vor. Technisch, physikalisch unproblematisch, vomGefühl her unpassend.

Seine Bedenken nahmen zu, als er sich in Gedanken einem heftigen Regenschauer auf dem dachlosen Kramer ausgesetzt sah. Das war das entscheidende Argument, eine leistungsfähigere »überdachte« Zugmaschine zu kaufen.

Wie Heinrich vom Kramer zu »Hano« – also zu mir - kam, ist im Anhang: »Der Traktor ist zu klein« beschrieben.

Rhön/Rennsteig

Vorbericht Rennsteigfahrt

Kann Heinrich nicht simpler planen? Wohin wollte er fahren? Beruflich sah er viel von der Welt. Was fehlte da noch?

Ach ja, Heimatkunde! Was gab es für ausgezeichnete Landschaften in Deutschland. Jetzt lief ein gewaltiger Analyseprozess an, wohin der Weg führe.

Attraktive Regionen gab es genug. Entfernte Landstriche haben lange Anfahrtszeiten. Generalstabsmäßige Planung. Am meisten korrigierte er die Checkliste (Anlage). Für jede Fahrt gestaltete er sie neu.

Abschmieren aller meiner Nippel, Öl, Wasser kontrollieren. Bis zur letzten Minute vor der Abfahrt herum gewurstelt. Für mich das Wichtigste, ein Ersatzkanister mit Dieselöl. Den nahm er mit!

Bei mir: Verunsicherung. Soweit fuhr ich noch nie. Die Fahrt von Passau nach Bad Homburg, nur eine Testfahrt. Ich erfüllte immer meine Pflicht auf dem Acker. Wenn die Nacht nahte, tuckerten wir nach Hause. Dieser Tage wollte er mit mir einige Wochen übers Land ziehen. Das ängstigte mich!

Testtag

Aufbruch. Viel zu lange dauerten Heinrichs Vorbereitungen. Das heutige Ziel, der Campingplatz am Nidda-Stausee bei Schotten. Etwa 50 bis 60 Kilometer. Der Testtag, um die Ausrüstung zu prüfen.

Abschied von der Familie. Wir befuhren die Saalburgstraße in Richtung Ferien, Ausspannen, der Ruhe entgegen. Einige hundert Stunden lagen vor uns: nur ich, der Schäferwagen und Heinrich.

Wir durchquerten das Rotlaufgebiet, eine der reizvollsten, noch ursprünglichen Flächen von Bad Homburg. Erhöhte Sicht bis zu der greifbaren Hochhaus-Skyline von Frankfurt am Main. Das Wetter warm. Wir tauchten, aus den Wiesen kommend, in den kühlen schattigen Buchenwald ein. Auf gepflegtem Waldweg tuckerten wir Friedrichsdorf entgegen.

Noch keine Stunde unterwegs, die erste Umleitung. Weitläufig umfuhren wir Köppern, erreichten die Kreisstadt Friedberg am Rande der Wetterau.

Heinrichs Gedanken führten ihn zurück in die Zeit, in der Elvis Presley seinen Wehrdienst hier ableistete. Alle Mädels waren verrückt nach ihm. In der Nachbargemeinde Bad Nauheim errichtete man ihm ein Denkmal. Heute noch ein Versammlungsort von Jung und Alt.

Auf der »Deutschen Fachwerkstraße« bis Bad Salzhausen kamen wir mühelos voran. Dieser kleine Kurort mit einem großräumigen Kurpark, altem Baumbestand und botanischen Kostbarkeiten, hat ein ausgefallenes Flair. Für technisch Interessierte sehenswert: Der Rest einer großen Anlage, die durch Wasserkraft aus der Nidda, über einen Hügel mittels kunstvollen Gestänge mechanische Kraft bis zu den Quellen in Bad Salzhausen brachte. Heute erfolgt dies nur noch über ein behelfsmäßiges Wasserrad und Stangen quer durch den Kurpark zum Betrieb einer Pumpe. Aus der drehenden Bewegung des Riesenrades wird eine horizontale Kraft geschaffen, die über eine Balkenanlage an die weit entfernte Solepumpe weitergegeben wird.

Goldfarbene Getreidefelder bis Nidda. Das frisch geschnittene Korn duftete, erzeugte in Heinrich ein Gefühl von Urlaub, Ungezwungenheit und Freiheit. Wir blieben am Rande eines Feldes stehen. Heinrich schaute den Landwirten zu.

Erinnerungen an seine Kindheit in Sachsenhausen kamen hoch, als damals die Bauern das Getreide kräftezehrend mit der Sense mähten. Die Garben von Roggen, Weizen und Gerste auf den Äckern zum Nachreifen aufsetzten. Mit hochbeladenen Wagen fuhren sie das wertvolle Lebensmittel zur Scheune, wo sie es unter wüstem Getöse, in undurchsichtigem Staub, mit der Dreschmaschine droschen. Lungenschädliche Knochenarbeit.