TranSa(n)ktionen, Regulierung, Krypto- & Klepto: Neue und alte Phänomene auf dem Kapitalmarkt -  - kostenlos E-Book

TranSa(n)ktionen, Regulierung, Krypto- & Klepto: Neue und alte Phänomene auf dem Kapitalmarkt E-Book

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Beschreibung

Entdecken Sie in diesem Tagungsband einen tiefen Einblick in die dynamischen Entwicklungen und Herausforderungen der globalen Finanzmärkte, präsentiert im Rahmen der 18. EIZ-Tagung „Kapitalmarkt – Recht und Transaktionen“. Die geldpolitische Schwemme, ausgelöst durch die Pandemie, hat den Kapitalmarkt nachhaltig beeinflusst und zu einer Neubewertung etablierter Paradigmen geführt. Inmitten globaler politischer Unruhen und dem Ukrainekonflikt zeichnen sich transformative Veränderungen ab. Von der Renaissance überholter Finanzinstrumente bis zu innovativen Blockchain-Produkten reflektieren die Expertenbeiträge die Vielfalt des Wandels. Ein unverzichtbares Werkzeug für alle, die die Zukunft der Kapitalmärkte verstehen wollen.

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TranSa(n)ktionen, Regulierung, Krypto- & Klepto: Neue und alte Phänomene auf dem Kapitalmarkt Copyright © by Thomas U. Reutter und Thomas Werlen is licensed under a Creative Commons Namensnennung-Nicht kommerziell-Keine Bearbeitung 4.0 International, except where otherwise noted.

© 2024 – CC BY-NC-ND (Werk), CC BY-SA (Text)

Herausgeber: Thomas U. Reutter / Thomas Werlen – Europa Institut an der Universität ZürichVerlag: EIZ Publishing (eizpublishing.ch)Produktion, Satz & Vertrieb:buchundnetz.comISBN:978-3-03805-659-1 (Print – Softcover)978-3-03805-660-7 (PDF)978-3-03805-664-5 (ePub)DOI: https://doi.org/10.36862/eiz-659Version: 1.01 – 20240315

Das Werk ist als gedrucktes Buch und als Open-Access-Publikation in verschiedenen digitalen Formaten verfügbar: https://eizpublishing.ch/publikationen/transanktionen-regulierung-krypto-​klepto-neue-und-alte-phaenomene-auf-dem-kapitalmarkt/.

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Vorwort

Die vorliegende Publikation gibt einen tiefgehenden Einblick in die aktuellen Herausforderungen und Entwicklungen auf den globalen Finanzmärkten.

Die geldpolitische Schwemme, die als Reaktion auf die Pandemie die Finanzmärkte befeuerte, führte zu einer Überprüfung bisheriger Selbstverständlichkeiten. Im Schatten globaler politischer Tendenzen und Konflikte, insbesondere des Kriegs in der Ukraine, kehrt die Realität mit aller Härte zurück.

Transaktionen sehen sich neuen Herausforderungen gegenüber. Sanktionen und politische Unsicherheiten zwingen dazu, Strukturen zu überdenken und alternative Wege zu finden. Unternehmen suchen vermehrt nach neuen Jurisdiktionen und Foren, um Kapital zu akquirieren, was zu einer Renaissance überholter Finanzinstrumente wie den Global Depository Receipts (GDRs) führt.

Der Kapitalmarkt bleibt zudem von einem unaufhaltsamen technologischen Wandel geprägt. Innovationen, insbesondere im Bereich der Blockchain-basierten Finanzmarktprodukte, setzen neue Massstäbe. Während die nationale und internationale Regulierung weniger intensiv als in den Vorjahren voranschreitet, stehen dennoch bedeutende Vorhaben in der EU und den USA an oder sind bereits in der Umsetzung. Auf nationaler Ebene sind grössere Veränderungen in der Versicherungsaufsicht geplant, deren Auswirkungen sich auf Kapitalmarkttransaktionen erstrecken werden.

Die vorliegenden Beiträge in diesem Tagungsband spiegeln die Vielfalt und Dynamik dieser Themen wider. Fachleute und Experten haben ihre Erkenntnisse zu lombardgesicherten Krediten, Margin Calls, den Auswirkungen politischer Konflikte auf Transaktionen, Blockchain-Innovationen und regulatorischen Entwicklungen.

Mit diesem Tagungsband können die Beiträge einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden. Petra Ginter widmete ihre Fachkompetenz der intensiven Auseinandersetzung mit der Revision des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG). Annette Weber beleuchtete in ihrem Beitrag die mögliche Wiederbelebung von Global Depository Receipts (GDRs). Jonas Hertner analysierte  „Sanktionen und ihr Einfluss auf den Kapitalmarkt – von Risiken und Nebenwirkungen“. Cédric Remund und Mathias Portmann präsentierten im Beitrag „Insiderstrafrecht – Update 2.0“ eine umfassende Aktualisierung zu den neuesten Entwicklungen im Insiderstrafrecht. Philip Spoerlé widmete sich der Analyse von gemeinsamen Absprachen im Kapitalmarktrecht. Benjamin Leisinger hat „Krypto- und Blockchain-basierte Finanzprodukte – Krypto ETPs“ tiefgründig analysiert. Lukas Roesler setzte sich eingehend mit der Restrukturierung von Bonds auseinander, beleuchtete Herausforderungen und Strategien und bot fundierte Einblicke in die rechtlichen Aspekte dieses komplexen Bereichs des Kapitalmarktrechts.

Die Tagung richtete sich wie seit nunmehr 18 Jahren an Rechtsanwälte, Unternehmensjuristen und juristisch interessierte Kapitalmarktpraktizierende. Der Fokus lag wie jedes Jahr auf der Vermittlung von praktischem Know-how und dem interaktiven Austausch.

Für das gute Gelingen der Tagung und der Veröffentlichung dieses Bandes möchten wir herzlich danken: den Referenten und Verfassern von Beiträgen, sowie dem gesamten EIZ-Team für die Organisation und Abwicklung der Tagung und dieses Tagungsbandes.

Zürich im Dezember 2023 Thomas U. Reutter / Thomas Werlen

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Inhaltsübersicht

Revision des VAG: Ausgewählte kapitalmarktrechtliche Aspekte

Dr. Petra Ginter, Rechtsanwältin, Head Legal Capital Markets Finance, Swiss Re, ZürichRebecca Paumgartner-Schori, Rechtsanwältin, Legal Counsel, Swiss Re, Zürich

(Re‑)naissance von Global Depository Receipts (GDRs)?

Annette Weber, Rechtsanwältin, Partnerin bei Advestra AG, Zürich

Sanktionen und ihr Einfluss auf den Kapitalmarkt – von Risiken und Nebenwirkungen

Jonas Hertner, Associate, Quinn Emanuel Urquhart & Sullivan (Schweiz) GmbH, Zürich

Insiderstrafrecht – Update 2.0

Dr. Cédric Remund, Rechtsanwalt, Staatsanwalt des Bundes, Bundesanwaltschaft (BA), Bern Dr. Matthias Portmann, Rechtsanwalt, LL.M., Staatsanwalt des Bundes, Bundesanwaltschaft (BA), BernMichael Schneitter, Rechtsanwalt und Notar, a.i. Staatsanwalt des Bundes, Bundesanwaltschaft (BA), Bern

Gemeinsame Absprachen im Kapitalmarktrecht

Dr. Philip Spoerlé, Rechtsanwalt, Partner bei Niederer Kraft Frey AG, Zürich

Krypto- und Blockchain-basierte Finanzprodukte – Krypto ETPs

Dr. Benjamin Leisinger, Rechtsanwalt, LL.M., Partner bei Homburger AG, Zürich

Restrukturierung von Bonds

Lukas Roesler, Rechtsanwalt, Partner bei Bär & Karrer AG, Zürich

Revision des VAG: Ausgewählte kapitalmarktrechtliche Aspekte

Petra Ginter und Rebecca Paumgartner-Schori

Inhalt

EinleitungZiel und aktueller Stand der VAG TeilrevisionWichtige Neuerungen für die schweizerische VersicherungsindustrieNeue GläubigerhierarchieEinführung einer neuen Gläubigerklasse für VersicherungsnehmerNeue Gläubigerhierarchie im europäischen KontextKonsequenzen der neuen GläubigerklasseAnforderungen an das regulatorische KapitalRegulatorisches Kapital für Versicherer und RückversichererÄnderungen bei den verschiedenen Kapitalpositionen aufgrund der RevisionRisikoabsorbierende KapitalinstrumenteNeue Kategorie der Tier 1 InstrumenteNeuregelung des Tier 2 KapitalsWichtige Neuerung bezüglich Anrechnung der Tier 2 InstrumenteExplizite Regelung für Emissionen innerhalb der VersicherungsgruppeDas revidierte Recht im Vergleich zur Solvency II-RichtliniePraktische Relevanz der NeuregelungNeues SanierungsrechtSanierungsfähigkeit und Bail-inRangordnung von Kapitalinstrumenten in der SanierungNeues Sanierungsrecht im europäischen KontextAusblick und FazitAusblickFazitLiteraturverzeichnis

Einleitung

Ziel und aktueller Stand der VAG Teilrevision*

Stand der zitierten Materialien (abgesehen von expliziten Updates) und Literatur per 31. Juli 2023.

Das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) wurde im September 2016 vom Bundesrat damit beauftragt, in Zusammenarbeit mit anderen Behörden sowie der Versicherungsbranche eine Revision des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG)[1] zu erarbeiten. Es soll unter anderem eine rechtliche Grundlage geschaffen werden, um im Insolvenzfall eine Versicherung sanieren zu können, anstatt diese in Konkurs gehen zu lassen. Weiter soll eine Kundenkategorisierung und damit verbunden eine Erleichterung von der Aufsicht eingeführt werden. Neben weiteren Revisionspunkten sollen auch die Bestimmungen zur Gruppenaufsicht und zum Versicherungsvertrieb überarbeitet werden.[2]

Die Botschaft zum Entwurf des teilrevidierten VAG hat der Bundesrat am 21. Oktober 2020 publiziert. Als Ziel der Teilrevision wird dabei die Schaffung eines differenzierten Regulierungs- und Aufsichtsrahmen, der gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit des schweizerischen Versicherungssektors stärkt und den Kundenschutz verbessert, genannt.[3]

National- und Ständerat haben am 18. März 2022 in der Schlussabstimmung der Teilrevision des VAG (E-VAG) zugestimmt. Die Referendumsfrist ist am 7. Juli 2022 verstrichen.[4]

Am 17. Mai 2022 hat das EFD den Entwurf zur Änderung der Versicherungsaufsichtsverordnung (AVO)[5] publiziert. Die Anpassungen der AVO sind primär eine Folge der Revision des VAG. Die öffentliche Konsultation zur revidierten AVO ist am 7. September 2022 abgelaufen.[6] Die finalen Fassungen der revidierten AVO (E-AVO) sowie des Erläuterungsberichtes wurden am 2. Juni 2023 publiziert und werden, zusammen mit dem E-VAG, per 1. Januar 2024 in Kraft treten.[7]

Die Revisionen des VAG und der AVO bedingen eine Revision der nachgelagerten Regulierungen der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (FINMA). Es handelt sich dabei um verschiedene Rundschreiben, in welchen die FINMA ihre Aufsichtspraxis konkretisiert, sowie um bestimmte Verordnungen, soweit die FINMA die Befugnis zur Rechtssetzung vom Gesetz- oder Verordnungsgeber ausdrücklich erhalten hat. Unter Letztere fällt auch die für das neue Sanierungsrecht relevante Versicherungskonkursverordnung-FINMA.[8] Zum heutigen Zeitpunkt ist allerdings noch unklar, ob diese in eine spezifische Versicherungsinsolvenzverordnung-FINMA über- oder allenfalls mit der Bankeninsolvenzverordnung-FINMA zusammengeführt wird.

Wichtige Neuerungen für die schweizerische Versicherungsindustrie

Zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des schweizerischen Versicherungssektors sehen das E-VAG und die E-AVO unter anderem Erleichterungen in der Aufsicht für kleinere Versicherungsunternehmen sowie für innovative Geschäftsmodelle[9] und eine liberalere Handhabung von versicherungsnahem und versicherungsfremden Geschäft vor.[10] Darüber hinaus bezweckt die Revision eine Abstufung der Versicherungsaufsicht, in Abhängigkeit des Schutzbedürfnisses der Gegenpartei (sog. Kundenschutzbasierte Aufsicht). Entsprechend muss bspw. für die Versicherung mit professionellen Gegenparteien kein gebundenes Vermögen mehr bestellt werden[11] und ist die FINMA angehalten, die Anforderungen bei der Rückversicherung differenziert auszugestalten.[12]

Weiter soll mit der Einführung eines bis dato nicht vorhandenen eigenständigen Sanierungsrechts als Alternative zum Konkurs eines Versicherungsunternehmens eine Lücke im VAG geschlossen und der Kundenschutz gestärkt werden.[13] Die neuen Sanierungsbestimmungen lehnen sich teilweise an die schweizerische Bankenregulierung an, enthalten aber branchenspezifische Abweichungen.[14]

Vgl. zu den Kernpunkten der Revision auch die Ausführungen von Birgit Rutishauser Hernandez Ortega in ihrem Vortrag zum Thema „Ziele und Kernpunkte der VAG / AVO Revision“ anlässlich der EIZ Tagung „VAG/AVO Revision – Evolution oder Revolution?“[15]

Obschon mit der Revision ursprünglich nicht anvisiert, hat sich im Zuge der Arbeiten in den Expertengruppen ergeben, dass auch die risikoabsorbierenden Kapitalinstrumente gewissen Änderungen zu unterziehen sind.

Im Folgenden werden die neue Gläubigerhierarchie (siehe unten, II.), die Anforderungen an das regulatorische Kapital (siehe unten, III.), die risikoabsorbierenden Kapitalinstrumente (siehe unten, IV.) sowie das neue Sanierungsrecht (siehe unten, V.) als die für die Kapitalmarktaktivitäten am relevantesten erscheinenden Themengebiete der Revision näher behandelt.

Neue Gläubigerhierarchie

Einführung einer neuen Gläubigerklasse für Versicherungsnehmer

Unter dem heute geltenden Versicherungsaufsichtsrecht rangieren Versicherungsforderungen als Drittklasseforderungen nach Art. 219 Abs. 4 SchKG,[16] d.h. pari passu mit anderen nicht subordinierten Gläubigern (wie bspw. Gläubiger von nicht-subordinierten Anleihen (sog. Senior Debt)). Eine Ausnahme besteht, wenn die (Direkt‑)Versicherungsforderungen mit gebundenem Vermögen gedeckt sein müssen.[17] Soweit das gebundene Vermögen solche Forderungen auch tatsächlich deckt, ist das gebundene Vermögen eine Art Sondervermögen und fällt nicht in die Konkursmasse.[18]

Mit dem E-VAG wurde die Privilegierung auf Versicherungsforderungen, für welche kein gebundenes Vermögen zu stellen ist bzw. das gebundene Vermögen zur Befriedigung der Forderungen nicht ausreicht, ausgeweitet.[19]

Art. 54a E-VAG regelt die Gläubigerhierarchie im Konkurs und stellt klar, dass Versicherungsforderungen aus Versicherungsverträgen der zweiten Klasse nach Art. 219 Abs. 4 SchKG zugeordnet werden, aber erst nach Erfüllung aller anderen Forderungen der zweiten Klasse aus der Konkursmasse befriedigt werden. Damit wird eine neue Gläubigerklasse 2b für Versicherungsforderungen eingeführt. In diese neue Kategorie 2b fallen auch die Rückversicherungsforderungen.[20]

Unter den ungedeckten Versicherungsforderungen werden zuerst diejenigen befriedigt, für welche gebundenes Vermögen nach Art. 17 VAG zu bilden ist. Somit ergibt sich die in der nachfolgenden Abbildung widergegebene neue Gläubigerklasse 2b.

Gläubiger-Hierarchie – neue Gläubigerklasse(n)

Art. 52d Abs. 4 E-VAG regelt den Wasserfall für die Forderungsreduktion bzw. Wandlung von Fremdkapital in Eigenkapital als eine von verschiedenen möglichen Massnahmen, welche die FINMA im Rahmen der Sanierung anordnen kann (siehe unten, V.2.). Auch in der Sanierung muss die neue Gläubigerhierarchie eingehalten werden, ansonsten die Sanierung dem Grundsatz no creditor worse off than in liquidation nicht standhält.[21] Die Reihenfolge der Forderungsreduktion bzw. Wandlung von Fremdkapital in Eigenkapital erfolgt entsprechend in entgegengesetzter Reihenfolge zum Konkurs.

Neue Gläubigerhierarchie im europäischen Kontext

Zwar verlangt die Richtlinie 2009/138/EG (Solvency II-Richtlinie) ebenfalls eine Privilegierung von Versicherungsforderungen über andere nicht subordinierte Forderungen.

Diese kann auf verschiedene Weise von den EU-Mitgliedstaaten implementiert werden:

sowohl als absolute Privilegierung ähnlich unserem System des gebundenen Vermögens, wo bestimmte Aktiven für bestimmte Gläubiger ausgesondert werden; oderals relative Privilegierung über das Gesamtvermögen des Versicherers, wobei gewisse Forderungen wie Arbeitnehmer‑, Sozialversicherungs- oder Steuerforderungen oder sachenrechtlich geschützte Forderungen den Versicherungsforderungen vorgehen.[22]

Dabei ist aber wichtig zu wissen, dass wenn die Solvency II-Richtlinie von Versicherungsforderungen spricht, Rückversicherungsforderungen nicht notwendigerweise mitumfasst werden müssen.[23] Diesbezüglich geht die Schweizer Lösung in der Privilegierung von Versicherungsforderungen klar weiter als die Vorgaben an die EU-Mitgliedstaaten unter der Solvency II-Richtlinie.

Konsequenzen der neuen Gläubigerklasse

Die generelle Privilegierung für Versicherungs- und Rückversicherungsforderungen dient dem Schutz der Versicherten, die im Konkurs und in der Sanierung gegenüber Drittklassegläubigern bevorzugt werden. Die Privilegierung kann auch die Sanierungsfähigkeit eines (Rück‑)Versicherers erleichtern, indem zuerst in die Rechte der Drittklassegläubiger, und erst subsidiär in die Rechte der Versicherungsnehmer eingegriffen werden kann.[24]

Allerdings muss damit gerechnet werden, dass die neue Gläubigerhierarchie negative Auswirkungen auf das Rating von nicht-subordinierten Darlehens- oder Kapitalmarktforderungen, die neu hinter alle Versicherungsforderungen zurückfallen, haben wird. Diese Auswirkungen sind wahrscheinlich und würden höherrangiges Fremdkapital für Schweizer Rückversicherer entsprechend verteuern.[25] Für Schweizer Direktversicherer, welche die Forderungen aus Direktversicherungsverträgen mit gebundenem Vermögen bedecken müssen, sollte die Gesetzesänderung keine Auswirkungen auf nicht-subordinierte Darlehens- oder Kapitalmarktforderungen haben, da die Forderungen aus Direktversicherungsverträgen schon heute privilegiert sind, und nicht-subordinierte Darlehens- oder Kapitalmarktforderungen entsprechend schon heute ein tieferes Rating aufweisen.

Anforderungen an das regulatorische Kapital

Regulatorisches Kapital für Versicherer und Rückversicherer

Das Versicherungsaufsichtsrecht behilft sich des Mittels des Schweizerischen Solvenztests (SST), um das erforderliche Mass an regulatorischem Kapital festzulegen. Beim SST handelt es sich um ein prinzipien- und risikobasiertes ökonomisches Prüfsystem. Dabei werden verschiedene Risiken (wie Markt‑, Kredit- und Underwriting-Risiken), denen der Versicherer ausgesetzt ist, quantifiziert. Das SST-Prüfsystem beruht auf einem Gesamtbilanzansatz, wonach der Versicherer sämtliche Aktiven und Passiven marktkonsistent bewerten muss. Darüber hinaus werden die möglichen Veränderungen dieser Bilanzpositionen über den Zeithorizont von einem Jahr modelliert.[26]

Die Kapitalisierung ist ausreichend, wenn der Versicherer seinen Verpflichtungen den Versicherten gegenüber auch unter ungünstigen Umständen mit genügend hoher Wahrscheinlichkeit nachkommen kann. Gestützt darauf kann das geforderte Kapital bzw. das Zielkapital ermittelt werden. Die Solvenzanforderung ist erfüllt, wenn das verfügbare Kapital (sog. risikotragendes Kapital) grösser ist als das geforderte Kapital (Zielkapital). Das Verhältnis von risikotragendem Kapital und Zielkapital wird als SST-Ratio ausgedrückt. Der SST-Quotient sollte immer über 100% liegen.[27]

An diesen Grundsätzen ändert sich aufgrund der Revision nichts.

Änderungen bei den verschiedenen Kapitalpositionen aufgrund der Revision

Das risikotragende Kapital eines (Rück‑)Versicherers setzt sich aus dem Kernkapital und dem ergänzenden Kapital zusammen.[28] Unter der bisherigen AVO besteht das Kernkapital aus den SST Nettoaktiven und dem Mindestbetrag (bekannter unter dem englischen Begriff der Market Value Margin (MVM)).[29] Die MVM entspricht dem minimalen Betrag an risikotragendem Kapital, den es benötigt, um das existierende Portfolio von Aktiven und Passiven zu liquidieren.[30]

Unter der E-AVO besteht das Kernkapital aus den SST-Nettoaktiven[31] und den Tier 1 risikoabsorbierenden Kapitalinstrumenten (Tier 1 Instrumente). Letztere können mit bis zu 20% an das Kernkapital angerechnet werden.[32] Die MVM wird nicht länger zum Kernkapital hinzugerechnet (aber weiterhin bei der Berechnung des marktkonsistenten Wertes der Verpflichtungen berücksichtigt).[33] Damit wird die Berechnung des Zielkapitals einfacher und vergleichbarer mit anderen Solvenz-Regimes, wie bspw. unter der Solvency II-Richtlinie.[34]

Für die Berechnung der SST-Nettoaktiven werden neue Begriffe verwendet. Unter dem alten Regime waren die SST-Nettoaktiven das Resultat der Differenz zwischen dem marktnahen Wert der Aktiven und dem marktnahen Wert der Passiven,[35] plus der MVM.[36] Neu sind die SST-Nettoaktiven das Resultat der Differenz zwischen dem marktkonsistenten Wert der Aktiven und dem marktkonsistenten Wert der Passiven, inkl. der anrechenbaren risikoabsorbierenden Kapitalinstrumente, unter Ausschluss der eigenen Unternehmenssteuern.[37]

Die unterschiedliche Terminologie hat u. E. aber keine praktischen Auswirkungen. In beiden Fällen werden alle relevanten Aktiven und Passiven auf Marktwertbasis berücksichtigt.[38] Auch die Abzüge bleiben mehrheitlich gleich.[39]

Risikoabsorbierende Kapitalinstrumente

Neue Kategorie der Tier 1 Instrumente

Neu ist die eigenständige Kategorie der Tier 1 Instrumente, welche mit bis zu 20% an das Kernkapital angerechnet werden können. Diese Neuregelung lehnt sich an die Solvency II-Richtlinie an, welche diese Kategorie von Instrumenten innerhalb des Kernkapitals ebenfalls kennt.

Tier 1 Instrumente unterscheiden sich dahingehend von Tier 2 Instrumenten (siehe unten, IV.2.), als dass Tier 1 Instrumente, zusätzlich zu den Trigger-Ereignissen für Tier 2 Instrumente (siehe unten, IV.2), in ihren vertraglichen Bedingungen unwiderruflich festlegen müssen, dass sie vollständig abgeschrieben oder in statutorisches Eigenkapital gewandelt werden, sofern die vertraglich vereinbarten Trigger-Ereignisse eintreten, jedoch mindestens, wenn der SST unter die Schwelle von 80% fällt, bei Insolvenzgefahr oder bei Entzug der (Rück‑)Versicherungslizenz.[40]

Sowohl das alte wie auch das neue Recht erlauben dem Versicherer, das Kernkapital mit sog. ergänzendem Kapital zu komplementieren.[41]

Neuregelung des Tier 2 Kapitals

Unter dem neuen Recht wird das ergänzende Kapital als Tier 2 Kapital bezeichnet. Tier 2 Kapital bzw. Tier 2 risikoabsorbierende Kapitalinstrumente (Tier 2 Instrumente) geben dem Versicherer mehr Flexibilität bei der Zahlung von Zinsen bzw. der Rückzahlung der Instrumente. Tier 2 Instrumente geben dem Versicherer in ihren vertraglichen Bestimmungen das unwiderrufliche Recht und im Falle des Eintretens eines Triggers-Ereignisses, mindestens jedoch bei Unterschreitung der Schwelle von 100% SST (und bei Insolvenzgefahr), die Pflicht, die Zahlung der Kapitalforderungen und fälliger Schuldzinsen aufzuschieben.[42]

Das bisherige Recht macht die Unterscheidung, dass nur bis zu 50% der Tier 2 Instrumente datiert sein müssen und der Rest ohne festen Rückzahlungstermin sein muss. Das neue Recht kennt diese Unterscheidung nicht mehr.[43]

Wichtige Neuerung bezüglich Anrechnung der Tier 2 Instrumente

Neu ist in Art. 51a Abs. 4 E-VAG eine zusätzliche Voraussetzung für die Anrechnung von Tier 2 Instrumenten im regulatorischen Kapital vorgesehen. Diese fand zu einem späten Zeitpunkt noch Eingang ins Gesetz. Hintergrund ist, dass die mit den AVO-Bestimmungen rund um die Solvenz beschäftigte Arbeitsgruppe, realisierte, dass die Tier 2 Instrumente unter dem bisherigen Recht bei drohender Insolvenz nicht wirklich risikoabsorbierend sind. Dies insbesondere, weil die Tier 2 Instrumente unter bisherigem Recht als Verbindlichkeiten in der Überschuldungsbilanz verbucht werden und entsprechend gerade selbst die Überschuldung herbeiführen oder beschleunigen können.

Entsprechend verlangt Art. 51a Abs. 4 E-VAG, dass Tier 2 Instrumente für ihre Anrechenbarkeit gewisse Voraussetzungen erfüllen müssen (wie die Subordination gegenüber allen anderen vorrangigen und nachrangigen Forderungen in der Liquidation, im Konkurs und in der Sanierung) mit der Folge, dass sie aus der Überschuldungsbilanz gemäss dem Schweizer Obligationenrecht (OR)[44] hinausgerechnet werden können.[45] Damit derogiert die lex specialis in Art. 51a Abs. 4 E-VAG mit einer Art qualifiziertem Rangrücktritt die lex generalis in Art. 725 Abs. 2 OR.

Schliesslich muss in den vertraglichen Bestimmungen von Tier 2 und Tier 1 Instrumenten unwiderruflich festgelegt sein, dass die FINMA den Eintritt der Trigger-Ereignisse mit einer Mitteilung an das (Rück‑)Versicherungsunternehmen endgültig festlegen kann und die Gläubiger sich mit dieser Feststellung sowie mit allfälligen von der FINMA angeordneten Massnahmen bei Insolvenzgefahr einverstanden erklären.[46]

Regulatorisches Kapital – aktuelle vs. neue AVORisikotragendes Kapital

Explizite Regelung für Emissionen innerhalb der Versicherungsgruppe

Innerhalb einer Schweizer Versicherungsgruppe werden risikoabsorbierende Kapitalinstrumente häufig aus einem nicht SST-pflichtigen ausländischen Emissionsvehikel heraus emittiert und von einer SST-pflichtigen, kapitalkräftigeren Schweizer Gruppengesellschaften garantiert. Diese Strukturierung von Kapitalinstrumenten wird insb. aufgrund der vom Volk abgelehnten Verrechnungssteuerreform weiterhin die vorherrschende Emissionsstruktur für Schweizer Versicherungsgruppen sein, da aus der Schweiz heraus emittierte Kapitalinstrumente weiterhin der Verrechnungssteuer unterliegen. Dies kann insb. für ausländische Investoren und Investorinnen unattraktiv und entsprechend für Schweizer Emittenten ein „no go“ sein.

Selbstverständlich muss auch die Garantie in einer solchen Struktur den Anforderungen der E-AVO genügen und entsprechend aus der Überschuldungsbilanz herausgerechnet werden. Die finale Version der E-AVO enthält eine diesbezügliche Klarstellung sowie die Anforderung, dass das Risiko allfälliger Doppelzahlungen aus Emission von risikoabsorbierenden Kapitalinstrumenten und Garantie angemessen limitiert werden muss.[47]

Das revidierte Recht im Vergleich zur Solvency II-Richtlinie

Unter der E-AVO nähern sich die Bestimmungen zu den risikoabsorbierenden Kapitalinstrumenten denjenigen der Solvency II-Richtlinie an, womit eine für die Industrie hilfreiche bessere Vergleichbarkeit einhergeht.[48] Eine wichtige Unterscheidung zwischen den Regimes besteht in den Limiten für Tier 2 Instrumente: Unter der Solvency II-Richtlinie wird diese basierend auf dem Zielkapital berechnet, d.h. bis zu 50% des Zielkapitals bzw. erforderlichen Kapitals kann mit Tier 2 Instrumenten gedeckt werden.[49] Unter der E-AVO wird die Limite für Tier 2 Instrumente demgegenüber auf den SST-Nettoaktiven berechnet, d.h. bis zu 100% der SST-Nettoaktiven können mit Tier 2 Instrumenten geäuffnet werden.[50]

Die Voraussetzungen für Tier 1 Instrumente sind unter der Solvency II-Richtlinie und der E-AVO weitgehend identisch. Eine wesentliche Unterscheidung besteht allerdings in der Bestimmung des Triggers für die Verlustabsorbierung: Unter der Solvency II-Richtlinie muss dies geschehen, wenn der Versicherer (1) 75% der Solvenzkapitalanforderung SCR unterschreitet (2) die Mindestkapitalanforderung (MCR) verletzt, oder (3) für länger als drei Monate unter einem SCR von 100 % liegt.[51] Die E-AVO setzt den Triggerpunkt bei der Unterschreitung von 80% SST fest.[52] Unter beiden Regimes muss die Verlustabsorbierung mittels automatischer Abschreibung oder Wandel in statutorisches Eigenkapital erreicht werden.

Praktische Relevanz der Neuregelung

Es ist fraglich, ob die neue Kategorie von Tier 1 Instrumenten zu einer Welle von Emissionen dieses Instrumentes führen wird. Anders als die Banken kennen die (Rück‑)Versicherer kein Tier 1 Kapitalerfordernis. Versicherer haben lediglich ein Gesamtkapitalerfordernis (Total Capital Requirement) und können dieses statt mit teuren Tier 1 Instrumenten mit günstigeren Tier 2 Instrumenten decken. Entsprechend ist derzeit keine Flut von Neuemissionen von Tier 1 Instrumenten zu erwarten. Dies könnte sich allerdings ändern, wenn Ratingagenturen (insb. S&P) einen höheren Kapitalkredit für Tier 1 Instrumente als für Tier 2 Instrumente geben würden, wie das Moody’s und Fitch bereits machen.

Neues Sanierungsrecht

Sanierungsfähigkeit und Bail-in

Die neue Gläubigerhierarchie hat auch Auswirkungen auf die Sanierungsfähigkeit eines (Rück‑)Versicherers und insbesondere auf das Instrument des Bail-in bzw. der Abschreibung oder der Wandlung von Fremdkapital in statutorisches Eigenkapital.

Einer der Hauptpunkte des E-VAG ist, wie eingangs erwähnt, die Einführung eines Sanierungsrechts, welches das Versicherungsaufsichtsrecht – anders als das Bankenaufsichtsrecht – bis dato nicht kennt. Das geltende VAG zwingt die FINMA, den Konkurs eines (Rück‑)Versicherers anzuordnen, sobald dieser überschuldet ist oder ernsthafte Liquiditätsprobleme hat.[53] Aus Sicht der Versicherten wäre eine Sanierung hingegen oft zu bevorzugen, da diese üblicherweise an der Weiterführung ihrer Versicherungsverträge interessiert sind; insbesondere dort, wo der Ersatz durch einen anderen Versicherer nicht ohne weiteres gegeben ist.[54]

Mit der Sanierung wird eine Alternative zur Eröffnung des Konkurses geschaffen mit denselben Triggern wie beim Konkurs, d.h. bei begründeter Besorgnis, dass ein (Rück‑)Versicherer überschuldet ist oder ernsthafte Liquiditätsprobleme hat.[55] Die FINMA kann gemäss Art. 52a Abs. 1 E-VAG bei begründeter Aussicht auf Sanierung des (Rück‑)Versicherers oder auf Weiterführung einzelner Versicherungsdienstleistungen ein Sanierungsverfahren einleiten.[56]

Der Bail-in stellt eine mögliche Sanierungsmassnahme dar, die dem Regulator zur Verfügung stehen wird, um den Versicherer zu sanieren.[57]

Gewisse Forderungen sind gegenüber dem (Rück‑)Versicherer vom Bail-in ausgeschlossen. So z.B. Forderungen, die mit gebundenem Vermögen sicherstellt werden müssen oder kollateralisiert sind.[58]

Die Regelung der Bail-in Kompetenz der FINMA unterscheidet nicht, ob es sich bei den Forderungen, in welche eingegriffen werden soll, um solche unter schweizerischem Recht mit Schweizer Gerichtsstand oder solche unter ausländischem Recht mit ausländischem Gerichtsstand handelt. Letztere sind entsprechend vermutungsweise auch mitumfasst. Es stellt sich allerdings die Frage, ob ein Eingriff durch die FINMA von einem ausländischen Gericht oder einem ausländischen Regulator akzeptiert würde. Entsprechend wird von Gläubigern für nach Inkrafttreten der Revision emittierte risikoabsorbierende Kapitalinstrumente eine ausdrückliche vertragliche Anerkennung der Bail-in Kompetenz der FINMA verlangt.[59]

Abgesehen davon muss der Bail-in in entgegengesetzter Reihenfolge zur Befriedigung im Konkurs erfolgen, da in der Sanierung das bekannte Prinzip des no creditor worse off than in liquidation gilt.[60]

Einführung statutorisches Bail-in Regime

Rangordnung von Kapitalinstrumenten in der Sanierung

Art. 52d Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 4 E-VAG befassen sich mit den Ausnahmen, der vorgängigen Abschreibung bzw. Wandlung von Forderungen und der Reihenfolge der Abschreibung bzw. Wandlung von Forderungen im Rahmen des Bail-in.

Abs. 2 stellt klar, dass (i) verrechenbare und gesicherte Forderungen, (ii) Forderungen aus Verbindlichkeiten, welche das Versicherungsunternehmen während der Dauer der Massnahmen nach Art. 51 Abs. 2 Bst. a, b, c, e und i E-VAG oder während eines Sanierungsverfahrens mit der Genehmigung der FINMA oder eines von ihr eingesetzten Untersuchungs- oder Sanierungsbeauftragten eingehen durfte sowie (iii) Forderungen aus Versicherungsverträgen, für die ein gebundenes Vermögen nach Art. 17 E-VAG vorgeschrieben ist, soweit dieses zur Sicherstellung der Ansprüche ausreicht, von der Wandlung und der Forderungsreduktion ausgenommen sind.

Bevor mit dem eigentlichen Bail-in begonnen werden kann, müssen gemäss Abs. 3 vorweg (i) das Gesellschaftskapital vollständig herabgesetzt sowie (ii) die risikoabsorbierenden Kapitalinstrumente, die bei Eintritt vertraglich definierter Trigger eine Wandlung in Eigenkapital oder eine Forderungsreduktion vorsehen, vollständig herabgesetzt bzw. in Eigenkapital gewandelt worden sein. Unter Letztere fallen die oben unter IV.1. erläuterten Tier 1 Kapitalinstrumente.

Schliesslich erläutert Abs. 4 die Reihenfolge der Abschreibung bzw. Wandlung der verbleibenden Forderungen im Bail-in. Zuerst müssen dabei die Kapitalforderung und Zinszahlungen von Fremdkapitalinstrumenten, die von der FINMA als risikoabsorbierende Kapitalinstrumente zur Anrechnung an das risikotragende Kapital oder zur Berücksichtigung im Zielkapital genehmigt sind, vollständig abgeschrieben oder in Eigenkapital gewandelt werden. Darunter fallen die oben unter IV.2. und IV.3. beschriebenen, unter der E-AVO emittierten Tier 2 Kapitalinstrumente, soweit diese die Anforderungen an die Anrechnung erfüllen. Danach kommen die weiteren subordinierten Forderungen an die Reihe, welche die Anforderungen an die Anrechnung nicht erfüllen. Die Reihenfolge innerhalb der Kategorie der subordinierten Forderungen ergibt sich aus der vertraglichen Ausgestaltung dieser Forderungen.

Mit der Regelung der Absätze 2, 3 und 4 von Art. 52d E-VAG ist die für Investoren und Investorinnen so wichtige Rechtssicherheit geschaffen, dass die FINMA im Rahmen der Sanierung nicht in die gesetzlich verankerte Gläubigerhierarchie eingreifen kann.[61] Da die FINMA die im E-VAG vorgesehen Sanierungsmassnahmen auch kombinieren kann, muss die Gläubigerhierarchie selbstverständlich nicht nur in Bezug auf eine einzelne Massnahme, sondern im Rahmen des Sanierungsplans für die Gesamtheit der Gläubiger beachtet werden.

Neues Sanierungsrecht im europäischen Kontext

Die Europäische Kommission hat am 22. September 2021 im Rahmen der Überarbeitung der Solvency II-Richtlinie einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen publiziert.[62] Gemäss Pressemitteilung vom 14. Dezember 2023 haben der Rat und das Parlament eine vorläufige Einigung über die IRRD erzielt. Die vorläufige Einigung wird zur Zeit abschliessend überarbeitet und den Vertretern der Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament zur Billigung vorgelegt.[63]

Der Entwurf IRRD hat zum Ziel, ein harmonisiertes Recovery und Resolution Regime zu schaffen, welches für in der EU domizilierte (Rück‑)Versicherer und Holdinggesellschaften Geltung hätte. Auch der Entwurf IRRD sieht den Bail-in vor.[64] Interessanterweise schliesst die aktuelle Fassung den Bail-in für Versicherungsforderungen jedoch generell aus.[65] Wie gezeigt, sind demgegenüber im E-VAG nur Versicherungsforderungen, welche mit gebundenem Vermögen sichergestellt sein müssen (und dieses auch ausreichend ist), vom Bail-in befreit.[66]

Ausblick und Fazit

Ausblick

Inkrafttreten des E-VAG und der E-AVO wurde, wie gesagt, auf den 1. Januar 2024 festgesetzt. Verschiedene Folgeregulierungen, insb. die Versicherungsaufsichtsverordnung-FINMA (AVO-FINMA) und verschiedene FINMA-Rundschreiben, wurden der Öffentlichkeit zur Kommentierung bis zum 22. November 2023 unterbreitet (siehe oben, Fn. 8).

Unter dem alten Recht emittierte Tier 2 Instrumente unterstehen bis zu ihrer Maturität, längstens aber für maximal 10 Jahre nach Inkrafttreten der Revision, dem sog. Grandfathering. D.h. sie sind, auch wenn sie die neuen Anforderungen an Tier 2 Instrumente nicht erfüllen, als ergänzendes Kapital anerkannt und anrechenbar.[67] Dieses Prinzip, bzw. dass nicht nachträglich in die Bedingungen von Kapitalinstrumenten eingegriffen wird, ist aus Sicht der Investoren und Investorinnen dieser Instrumente essentiell und es ist begrüssenswert, dass es in der E-AVO ausdrücklich verankert wurde.

Fazit

Mit der Teilrevision des VAG und der AVO sollen u.a. die Wettbewerbsfähigkeit des schweizerischen Versicherungssektors und die Innovations- und Zukunftsfähigkeit des Finanzplatzes Schweiz gestärkt werden. Dies ist generell zu begrüssen. Der Rechtssicherheit kommt dabei eine wesentliche Rolle zu. Insb. mit der Einführung des auf (Rück‑)Versicherungen zugeschnittenen Sanierungsrechts und von Tier 1 Instrumenten sowie der Klarstellung der Gläubigerhierachie im Versicherungsbereich soll u.a. auch das Vertrauen von Anlegern gefestigt und damit die Kapitalmarktfähigkeit von Versicherungen gefördert werden. An dieser Stelle sei mit Nachdruck unterstrichen, dass das Geschäftsmodell von Versicherungen und Banken sich fundamental unterscheiden. Ein drastisch steigender Vertrauensverlust mit unmittelbarem Effekt auf die Liquidität (d.h. Bank Run) ist unter dem traditionellen Versicherungsgeschäftsmodell nicht denkbar. Die zwecks Abwendung einer solchen Notlage in jüngerer Vergangenheit im Grossbankenbereich kraft Notrechts (und damit Tangierung der Rechtssicherheit) erfolgten staatlichen Massnahmen und regulatorischen Interventionen im Bereich risikoabsorbierender Kapitalinstrumente sind geschäftsmodellbedingt für Versicherungen entsprechend auch nicht denkbar. Wünschenswert wäre, dass diese Auffassung von offizieller Seite bestätigt würde, um das Vertrauen von Investoren und Investorinnen bezüglich des schweizerischen Kapitalmarktes, welches jüngst gelitten hat, zu festigen.

Neben dem nach wie vor andauernden Solvency-II-Review, welcher wichtige Anpassungen der Solvency II-Richtlinie nach sich ziehen wird, sind Reformbestrebungen rund um den Globus (z.B. in Australien, China, Grossbritannien, Japan und den USA) im Gange.[68] Die in der Schweiz bisher angestossenen Reformen sind damit u.E. eher eine logische Konsequenz der Entwicklungen auf internationaler Ebene, um die nationale Versicherungsregulierung entsprechend auf den aktuellen Stand zu bringen. Die Rolle einer Vorreiterin hat die Schweiz in diesem Zusammenhang bisher leider noch nicht eingenommen.

Literaturverzeichnis

Appenzeller Hansjürg/Isler Vanessa, Risk-Absorbing Capital Instruments under the Revised Insurance Regulations, Caplaw 22, 2 ff.

Birgit Rutishauser Hernandez Ortega, Ziele und Kernpunkte der VAG/AVO Revision, in: Hansjürg Appenzeller/Monica Mächler (Hrsg.), VAG/AVO Revision – Evolution oder Revolution?, Tagungsband 2022, Europa Institut an der Universität Zürich, 24 ff.

Petra Ginter/Dan Bell, Capital Resources (Kapitalausstattung), in: Hansjürg Appenzeller/Monica Mächler (Hrsg.), VAG/AVO Revision – Evolution oder Revolution?, Tagungsband 2022, Europa Institut an der Universität Zürich, 95 ff.

Monica Mächler, VAG/AVO-Reform im internationalen Kontext, in: Hansjürg Appenzeller/Monica Mächler (Hrsg.), VAG/AVO Revision – Evolution oder Revolution?, Tagungsband 2022, Europa Institut an der Universität Zürich, 9 ff. (zit. Mächler, VAG/AVO-Reform im internationalen Kontext).

Monica Mächler,New Regulatory Regime for Financially Distressed Insurance Companies, Caplaw 2021, 15 ff. (zit. Mächler, New Regulatory Regime).

Peter Ch. Hsu, Sanierung – eine Einordnung, in: Hansjürg Appenzeller/Monica Mächler (Hrsg.), VAG/AVO Revision – Evolution oder Revolution?, Tagungsband 2022, Europa Institut an der Universität Zürich, 125 ff.

Bundesgesetz betreffend die Aufsicht über Versicherungsunternehmen vom 17. Dezember 2004 (Versicherungsaufsichtsgesetz, VAG, SR 961.01). Die Änderungen wurden vom Parlament am 18. März 2022 genehmigt und sind in der BBI 2022, 704 publiziert. ↵Abrufbar unter <https://www.sif.admin.ch/sif/de/home/dokumentation/medienmitteilungen/medienmitteilungen.msg-id-80800.html>. ↵Botschaft des Bundesrates vom 21. Oktober 2020 zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG), BBl 2020, 8967 ff, 8970. ↵Abrufbar unter <https://www.sif.admin.ch/sif/de/home/dokumentation/medienmitteilungen/medienmitteilungen.msg-id-80800.html>. ↵Verordnung über die Beaufsichtigung von privaten Versicherungsunternehmen vom 9. November 2005 (Aufsichtsverordnung, AVO, SR 961.011). Der Entwurf zur Teilrevision ist publiziert unter Bundesrat, Privatversicherungen: EFD eröffnet Vernehmlassung zur Änderung der Aufsichtsverordnung, 17. Mai 2022, abrufbar unter <https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-88844.html>. ↵Abrufbar unter <https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-88844.html>. ↵<https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen/bundesrat.msg-id-95538.html>. ↵Abrufbar unter <https://www.finma.ch/de/news/2023/08/20230822-mm-anh-avo-finma/>. ↵Art. 2 Abs. 5 lit. b E-VAG; Art. 1c ff. E-AVO. ↵Art. 11 E-VAG; Art. 5b f. E-AVO. ↵Art. 30a ff. E-VAG; Art. 111c E-AVO. ↵Art. 35 Abs. 3 E-VAG; Art. 181a E-AVO. ↵Art. 51a ff. E-VAG; vgl. hierzu auch ausführlich Mächler, New Regulatory Regime, 15 ff. ↵Art. 48 f. der Verordnung der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht über die Insolvenz von Banken und Wertpapierhäusern vom 30. August 2012 (Bankeninsolvenzverordnung-FINMA, BIV-FINMA, SR 952.05; die spezifischen Bestimmungen befinden sich derzeit ebenfalls in Revision). ↵Rutishauser Hernandez Ortega, 24 ff. ↵Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs vom 11. April 1889 (SchKG, SR 281.1). ↵Art. 17 und Art. 54a Abs. 2 VAG. ↵Gemäss Art. 26 Abs. 1 der Verordnung der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht über den Konkurs von Versicherungsunternehmen (Versicherungskonkursverordnung-FINMA, VKV-FINMA) werden Forderungen gemäss Art. 17 VAG, die durch gebundenes Vermögen sicherzustellen sind, vor der ersten Klasse gemäss Art. 219 Abs. 4 SchKG unter einem separaten Titel und unter Verweis auf das gebundene Vermögen gemäss Inventar kolloziert. Der ungedeckte Betrag wird in der Rangordnung gemäss Art. 219 Abs. 4 SchKG kolloziert. ↵Art. 54a Abs. 1 E-VAG. ↵Vgl. auch BBl 2020, 9032. ↵Art. 52j Abs. 1 lit. c E-VAG. ↵Art. 275 Abs. 1 der Richtlinie (EG) 2009/138 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II), ABl L 335 vom 17. Dezember 2009, 153 ff. ↵Art. 268 Abs. 1 (g) Richtlinie (EG) 2009/138. ↵Vgl. BBl 2020, 9055. ↵Ginter/Bell, 95 f. ↵Weitere Ausführungen abrufbar unter <https://www.finma.ch/de/ueberwachung/versicherungen/spartenuebergreifende-instrumente/schweizer-solvenztest-sst/>. ↵Weitere Ausführungen abrufbar unter <https://www.finma.ch/de/ueberwachung/versicherungen/spartenuebergreifende-instrumente/schweizer-solvenztest-sst/>. ↵Art. 47 Abs. 1 AVO; Art. 32 Abs. 1 E-AVO. ↵Art. 48 Abs. 1 AVO; Art. 41 Abs. 3 und Anhang 3 AVO. ↵Art. 41 Abs. 3 AVO. ↵Art. 32 Abs. 3 E-AVO. ↵Art. 32 Abs. 2 E-AVO; Art. 34 Abs. 5 E-AVO. ↵Art. 30 Abs. 4 E-AVO. ↵Vgl. den Erläuternden Bericht des Eidg. Finanzdepartements EFD zur Änderung der Aufsichtsverordnung („Aufsicht, Solvenz, gebundenes Vermögen, Verhaltensregeln und Versicherungsvermittlung“) vom 2. Juni 2023 („Erläuternder Bericht“), 23, abrufbar unter <https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/79175.pdf>. ↵Anhang 3 AVO. ↵Art. 48 Abs. 1 AVO. ↵Art. 32 Abs. 3 E-AVO. ↵Art. 48 Abs. 2 AVO; Art. 32 Abs. 3 E-AVO. ↵Art. 48 Abs. 1 AVO; Art. 32 Abs. 4 E-AVO; vgl. auch „Erläuternder Bericht“, 23. ↵Art. 37 Abs. 1 lit. c Ziff. 2 E-AVO; Erläuternder Bericht, 27 f. ↵Art. 47 Abs. 2 AVO; Art. 32 Abs. 2 lit. b und Abs. 5 E-AVO. ↵Art. 22a Abs. 1 lit. d AVO; Art. 37 Abs. 1 lit. c Ziff. 1 E-AVO. ↵Art. 47 Abs. 2 AVO. ↵Bundesgesetz betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht) vom 30. März 1911 (OR, SR 220). ↵Art. 37 Abs. 1 lit. c Ziff. 1 E-AVO; für eine detailliertere Analyse der Änderungen zum Ergänzenden Kapital, vgl. Appenzeller/Isler; „Erläuternder Bericht“, 28 f. ↵Art. 37 Abs. 1 lit. c Ziff. 3 und 4 E-AVO. ↵Art. 37 Abs. 5, 6 und 7 E-AVO. ↵Richtlinie (EG) 2009/138. ↵Art. 98 der Richtlinie (EG) 2009/138. ↵Art. 34 Abs. 6 E-AVO. ↵