Transparenz im Gesundheitswesen -  - E-Book

Transparenz im Gesundheitswesen E-Book

0,0
69,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Aus Sicht von Patientinnen und Patienten erscheint das Gesundheitswesen oft undurchsichtig. Wer ist eigentlich wofür zuständig? Soll ich mich wirklich operieren lassen? Was kann ich überhaupt selbst entscheiden und woran soll ich mich dabei orientieren? Die Komplexität des Systems und die strukturelle Informations-Asymmetrie überfordern und verunsichern viele Menschen und führen nicht selten zu einem Gefühl der Ohnmacht. Zwar ist der Zugang zu medizinischem Wissen über digitale Medien heute leicht, die Menge der Informationen aber riesig und unübersichtlich. In dieser Informationsflut können viele nicht mehr zwischen relevant und unwichtig, zwischen wissenschaftlich fundiert und irreführend unterscheiden. Auch die Leistungserbringer leiden unter der Intransparenz des Gesundheitswesens. Fehlende Informationen und der nicht funktionierende Datenaustausch kosten nicht nur viel Zeit, sie erschweren auch Diagnostik und Therapieentscheidungen und gefährden im schlimmsten Fall die Gesundheit und das Leben der Patientinnen und Patienten. Mehr Transparenz und der Zugang zu vollständigen, strukturierten Patientendaten für die Behandelnden könnten zahlreiche Menschenleben retten, die Behandlungsqualität steigern und zugleich die Effizienz der Versorgung verbessern. Für Patientinnen und Patienten sind der Zugang zu wissenschaftlich fundierter und verständlicher Information sowie die Transparenz über Abläufe und Zuständigkeiten eine wesentliche Voraussetzung für mündige Entscheidungen. Dieses Buch beleuchtet das Ziel größerer Transparenz von verschiedenen Seiten: Beiträge aus Medizin und Gesundheitswissenschaften, aus Ökonomie, Philosophie und Politikwissenschaft beschreiben das weite Feld der Transparenz in Gesundheit und Gesellschaft. Wesentliche Defizite im Gesundheitssystem werden aufgedeckt und die daraus resultierenden Herausforderungen für Behandelte, Behandelnde, Kostenträger und Gesundheitspolitik dargestellt. Darauf aufbauend werden wichtige Handlungsfelder und verschiedene Lösungsansätze behandelt. „Transparenz im Gesundheitswesen“ ist Begleiter und Orientierungshilfe im unabdingbaren Transformationsprozess hin zu mehr Transparenz, Evidenz und Qualität im deutschen Gesundheitswesen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 434

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Christoph Straub (Hrsg.)

Transparenz im Gesundheitswesen

Vertrauen. Wissen. Partizipation.

mit Beiträgen von

M. Albrecht | V. August | S.J. Becker | M. Böttcher | A. Brink | I. Cichon | S.-C. Ernst | T. Esch | M. Fritsche | T. Gamstätter | F. Geiger | J. Graf | D. Grandt | L. Grundmann | M. Hallek | H. Haneke | I. an der Heiden | M. Hinz | D. Höffner | M. Hübner | M. Jansky | J. Jünger | K. Koch | O. Kumpf | M. Leyck Dieken | U. Marschall | S. Melin | I. Mühlhauser | K.-M. Müller | A.T. Nemat | R. Riessen | J.U. Rüffer | F. Rüter | M. Rydzewski | C. Schaefer | F. Scheibler | S. Schellong | K. Schneider | M. Schrappe | S. Schwartze | U. Schwenk | M. Shaffi | J. Strotbek | C. Thomeczek | C. Uhle | J. Wangler | L. Watzinger | O. Wegwarth | H. Wehling | T. Weichert | B. Wiegard

Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft

Der Herausgeber

Prof. Dr. med. Christoph Straub

Vorstandsvorsitzender der BARMER

Axel-Springer-Straße 44

10969 Berlin

MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG

Unterbaumstr. 4

10117 Berlin

www.mwv-berlin.de

ISBN 978-3-95466-838-0 (eBook: PDF)

ISBN 978-3-95466-839-7 (eBook: ePub)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Informationen sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Berlin, 2024

Dieses Werk ist einschließlich aller seiner Teile urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten.

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.

Im vorliegenden Werk wird zur allgemeinen Bezeichnung von Personen nur die männliche Form verwendet, gemeint sind immer alle Geschlechter, sofern nicht gesondert angegeben. Sofern Beitragende in ihren Texten gendergerechte Formulierungen wünschen, übernehmen wir diese in den entsprechenden Beiträgen oder Werken.

Die Verfassenden haben große Mühe darauf verwandt, die fachlichen Inhalte auf den Stand der Wissenschaft bei Drucklegung zu bringen. Dennoch sind Irrtümer oder Druckfehler nie auszuschließen. Der Verlag kann insbesondere bei medizinischen Beiträgen keine Gewähr übernehmen für Empfehlungen zum diagnostischen oder therapeutischen Vorgehen oder für Dosierungsanweisungen, Applikationsformen oder ähnliches. Derartige Angaben müssen vom Leser im Einzelfall anhand der Produktinformation der jeweiligen Hersteller und anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit hin überprüft werden.

Eventuelle Errata zum Download finden Sie jederzeit aktuell auf der Verlags-Website.

Produkt-/Projektmanagement: Anna-Lena Spies, Berlin

Copy-Editing: Monika Laut-Zimmermann, Berlin

Layout, Satz und Herstellung: zweiband.media, Agentur für Mediengestaltung und -produktion GmbH, Berlin

Cover: © Adobe Stock: fujiwara

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH, Rudolstadt

Zuschriften und Kritik an:

MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Unterbaumstr. 4, 10117 Berlin, [email protected]

Vorwort

Patientinnen und Patienten erleben das Gesundheitswesen mitunter wie eine undurchsichtige Black Box: Wer ist eigentlich wofür zuständig? Soll ich mich wirklich operieren lassen? Was kann ich überhaupt selbst entscheiden? Das deutsche Gesundheits- und Sozialsystem ist eines der besten der Welt. Trotzdem stehen gerade schwer erkrankte Menschen mitunter vor unüberwindlich erscheinenden Hürden: Je größer ihr Hilfebedarf ist, desto weniger sind sie in der Lage, sich selbst um diese Hilfe zu kümmern. Das Sozialsystem ist komplex, unübersichtlich und an vielen Stellen intransparent. Das überfordert viele. Und das darf so nicht sein.

Intransparenz im Gesundheitswesen hat verschiedene Facetten. Die Medizin im Speziellen, aber auch das Gesundheitswesen insgesamt sind gekennzeichnet von einer strukturellen Informationsasymmetrie. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter habe ich zu patientenzentrierter Versorgung geforscht. Das ist mehr als 30 Jahre her. Schon damals wurde diskutiert, dass sich die ärztliche Profession das Teilen von Wissen viel stärker zur Aufgabe machen muss. Unter der Intransparenz im Gesundheitswesen leiden aber nicht nur Patientinnen und Patienten, sondern auch diejenigen, die behandeln, pflegen und beraten.

Dieses Buch beleuchtet systematisch, welche Formen von Intransparenz im Gesundheitswesen existieren, welche Folgen sie haben und welche Ansätze es gibt, mehr Orientierung zu ermöglichen. Doch ist maximale Transparenz immer und überall wünschenswert? Sicher nicht. Deshalb befasst sich das Werk auch mit möglichen negativen Auswirkungen und den Grenzen von Transparenz.

Danken möchte ich meinem Verleger Dr. Thomas Hopfe, der seit unserem ersten Gedankenaustausch zu diesem Buch von der Idee begeistert war und dieses Projekt intensiv unterstützt hat. Mein herzlicher Dank gilt auch dem Team der Medizinisch Wissenschaftlichen Verlagsgesellschaft, insbesondere Anja Faulenbach und Anna-Lena Spies, sowie Claudia Schulte, Nicole Osterkamp und Nikolaus Schmitt vom BARMER Institut für Gesundheitssystemforschung sowie Dr. Herbert Flath, Tina Führ, Katharina Günther und Lukas Haß. Sie alle haben die Entstehung des Buches eng begleitet, haben koordiniert, redigiert und ihre Ideen in dieses Werk eingebracht. In erster Linie aber danke ich den Autorinnen und Autoren für ihre sehr gelungenen und lesenswerten Beiträge.

Ich wünsche mir, dass dieses Buch einen kleinen Beitrag leistet, um mehr Aufmerksamkeit auf die oftmals unnötige Intransparenz im Gesundheitswesen und die teils gravierenden Folgen zu lenken – für Patientinnen und Patienten, für all jene, die dort arbeiten, und auch für die Qualität und Effizienz des Systems insgesamt. Zugleich zeigt das Werk anhand von Erfahrungs- und Projektberichten, wie mehr Orientierung und ein transparenteres Gesundheitswesen gelingen können.

Prof. Dr. Christoph Straub

Berlin, im Januar 2024

Inhalt

ITransparenz: Grundlagen und Perspektiven

1Transparenz – ein Begriff im WandelLea Watzinger

2Zwischen Transparenz und Vertrauen – eine sozialphilosophische BetrachtungChristian Uhle

3Transparenz in der Demokratie – über Rationalität und Nebenfolgen einer NormVincent August

EXKURS:Eine Frage des Vertrauens – Transparenz in der GesundheitskommunikationOdette Wegwarth

IITransparenz und Orientierung aus Patientensicht

1Public Reporting – Transparenz und Orientierung im „Versorgungsdschungel“Johannes Strotbek, Hannah Wehling und Uwe Schwenk

EXKURS:Selbstbehandlung und Dr. Internet – Durch Online-Informationen zu mehr Patient-Empowerment?Malte Fritsche

EXKURS:Mündige Patient:innen: Empowerment oder Überforderung?Ingrid Mühlhauser

2Mehr Orientierung und Effektivität durch Disease Management – Zusammenschau einer multimethodischen Studienreihe zur hausärztlichen VersorgungJulian Wangler und Michael Jansky

EXKURS:Krankenkasse als LotseMichael Hübner und Daniel Höffner

3Orientierung durch PatienteninformationCorinna Schaefer und Christian Thomeczek

EXKURS:Wie können evidenzbasierte Gesundheitsinformationen die Orientierung im Gesundheitswesen erleichtern? Erkenntnisse aus einer BedarfsanalyseBeate Wiegard und Klaus Koch

IIITransparenz im Arzt-Patienten-Verhältnis

1Informationsasymmetrie in der Arzt-Patienten-Interaktion im Kontext der DigitalisierungSophie-Christin Ernst und Hannah Haneke

2Transparenz, Ehrlichkeit und Empathie im PatientengesprächJana Jünger

3Shared Decision Making fördert Transparenz im Gesundheitswesen – und umgekehrtFriedemann Geiger, Jens Ulrich Rüffer und Fülöp Scheibler

4Klug entscheiden – eine Initiative der Deutschen Gesellschaft für Innere MedizinThomas Gamstätter, Katja-Melanie Müller, Sebastian Schellong und Michael Hallek

5Transparenz als Voraussetzung von Patienten-Compliance und Partizipation am Beispiel von OpenNotesTobias Esch

IVTransparenz und Qualität im Gesundheitswesen

1Die Qualitätslandschaft in Deutschland und die Rolle der SARS-CoV2-EpidemieMatthias Schrappe

EXKURS:Transparenz und PatientensicherheitStefan Schwartze

2Transparenz in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung – Grundlagen für eine informierte ArztwahlLuisa Grundmann, Martin Albrecht und Iris an der Heiden

3Qualitätstransparenz im KrankenhausKyra Schneider und Jürgen Graf

EXKURS:Lassen sich Versorgungsdefizite mit Routinedaten von Krankenkassen sichtbar machen?Ursula Marschall

4Qualitätstransparenz in der IntensivmedizinReimer Riessen und Oliver Kumpf

EXKURS:Schafft Ergebnistransparenz mehr Behandlungsqualität?Florian Rüter

5Transparenzberichterstattung der KrankenkassenMarc Shaffi

VTransparenz und Digitalisierung

1Transparenz durch digitale PatientenaktenMarkus Leyck Dieken

EXKURS:Warum wir ein gutes Gesundheitsdatennutzungsgesetz brauchenThilo Weichert

2Der Weg zum digital gestützten Medikationsmanagement – patientenorientiert, sicher, sektorenübergreifendMarcel Böttcher und Daniel Grandt

3Gesundheit aktiv mitgestalten – digitale Gesundheitskompetenz und Datennutzung aus Sicht der Bürgerinnen und BürgerIrina Cichon und Susanne Melin

EXKURS:Transparenz und Nachvollziehbarkeit von KI und algorithmischen Systemen in der MedizinSarah J. Becker und André T. Nemat

4Hippokratischer Eid – Transparenz als Grundlage einer digitalen EthikAlexander Brink

EXKURS:Digitale Ethik in der Krankenkasse – wie die BARMER Verantwortung in der Digitalen Transformation übernimmtMaria Hinz und Marek Rydzewski

ITransparenz: Grundlagen und Perspektiven

1Transparenz – ein Begriff im Wandel

Lea Watzinger

Transparenz ist ein Schlagwort unserer Zeit: eine beinahe magische Formel, mit der einerseits mehr Demokratie, Partizipation und Nachvollziehbarkeit ermöglicht werden soll. Andererseits wird jedoch auch das Individuum zunehmend transparent und durch all die digitalen Daten durchschaubar, wir verlieren unsere informationelle Privatsphäre. Transparenz führt zu Überwachbarkeit – was im Falle des Staates oder von Institutionen wünschenswert ist, im Falle der Bürger:innen jedoch kaum. Der Transparenzbegriff ist also durchaus ambivalent zu bewerten und löst allein nicht jedes Problem, das sich auf politischer, organisationaler oder auch moralischer Ebene ergibt. Einer digitalen Medienlogik folgend handelt es sich um einen Konsensbegriff unserer Zeit von beinahe universaler Geltung, auch weil er für zahlreiche Fachbereiche, Stakeholder und Akteure anschlussfähig ist – und so auch für das Gesundheitswesen.

Transparenz ist ein Schlagwort unserer Zeit.

In diesem Beitrag wird ein kurzer Überblick über die wichtigsten Aspekte des Begriffs der Transparenz gegeben und dieser in einen ideengeschichtlichen Bedeutungskontext gesetzt. In Kapitel 1.1 werden die Begriffsgeschichte und die reichhaltige Metaphorik anhand eines exemplarischen Blicks in die Architektur kurz erläutert. Kapitel 1.2 schließt hieran an und ordnet Transparenz in die Demokratietheorie ein, wo sie als Nachfolgebegriff von Öffentlichkeit und als Gegenbegriff zur Geheimhaltung fungiert, durchaus aber auch widersprüchliche Eigenschaften entwickeln kann. Kapitel 1.3 stellt dieser staatlichen Transparenz die individuelle Transparenz gegenüber, die im Zusammenhang mit Überwachung und im Gegensatz zur Privatheit steht. Kapitel 1.4 diskutiert in Form eines Ausblicks, ob Transparenz zu einer Ideologie geworden ist und inwiefern der Begriff für die Medizin und das Gesundheitswesen relevant ist.

1.1Sichtbarkeit/Unsichtbarkeit

1.1.1Etymologie und Bedeutung

Was bedeutet Transparenz? Intuitive, im alltäglichen Sprachgebrauch verankerte Bedeutungen von Transparenz sind zunächst einmal „Durchsichtigkeit“ und „Lichtdurchlässigkeit“: So steht das deutsche Adjektiv ‚transparent‘ übersetzt mit „durchsichtig“, „durchscheinend“ im Wörterbuch, wobei es als Lehnwort aus dem französischen transparent Anfang des 18. Jahrhunderts ins Deutsche übernommen wurde. Zunächst meint es „durch-sichtig“ in Bezug auf durchsichtige Materialien, wie z.B. Glas oder Stoffe, die den Blick auf ein dahinterliegendes Objekt freigeben. Das französische Wort wiederum hat seine Wurzeln im Mittellateinischen transparēre, was mit „durchscheinen, durchsichtig sein“ übersetzt werden kann. Das Substantiv ‚Transparenz‘ im Sinne einer Eigenschaft oder eines Zustands der transparenten Beschaffenheit lässt sich erst etwa Anfang des 19. Jahrhunderts im Deutschen nachweisen, als Ableitung vom Adjektiv ‚transparent‘, wobei die Substantivierung auch im Französischen und Mittellateinischen aufkommt (transparence beziehungsweise transparentia, was je „Durchsichtigkeit“ bedeutet). Doch bezieht sich ‚Transparenz‘ nur noch zum Teil auf materielle Erscheinungen im Sinne einer Lichtdurchlässigkeit, sondern wird meist übertragen im Sinne von „Klarheit“, „Deutlichkeit“ oder „Verständlichkeit“ gebraucht (DWDS 2023).

Transparenz stammt also ursprünglich als Fachbegriff aus der Optik, der sodann verallgemeinert wurde, was seine besondere Anschlussfähigkeit an Metaphern von Licht und Erkenntnis nahelegt, die den Begriff derart gebräuchlich und anschlussfähig und zu etwas im allgemeinen ‚Guten‘ macht. Doch so erhält der Begriff, der Sichtbarkeit auszudrücken scheint, zugleich eine deutliche Ambivalenz und ist gerade nicht mehr vollkommen klar, sondern auf paradoxe Weise mehrdeutig (Rowe u. Slutzky 1963, S. 45): Was transparent ist, wird unsichtbar. In unserem alltäglichen Sprachgebrauch benutzen wir Transparenz jedoch für nicht weniger als das Gegenteil von Unsichtbarkeit – im Sinne von Sichtbarkeit, in einem metaphorischen Sinn. Diese abstrahierte Bedeutung bezieht sich auf soziale Sachverhalte und Institutionen.

Die etymologischen Wurzeln und der metaphorische Gehalt von Transparenz vermischen sich und kreisen um die Verbindungen von Licht, Erkenntnis und Moralität, denn Licht und Sehen werden zu bildhaften Synonymen für Wahrheit, Erkenntnis und Integrität. Es kommt zu einer Moralisierung von Transparenz und einer Metaphorik von ‚hell und dunkel‘, von ‚sichtbar‘, ‚rein‘, ‚wahr‘ und im Gegensatz dazu stehend ‚unsichtbar‘, ‚verwegen‘ und ‚betrügerisch‘: Transparenz wird zu etwas Wünschenswertem, das Sichtbarkeits-Annahmen auf Politik und Demokratie überträgt, wobei sie stets zwischen bildlicher und abstrakter Bedeutung changiert.

1.1.2Metaphorik: Architektur

Anwendung finden diese Überlegungen in der Architektur. Transparenz ist in der Architektur eng verbunden mit dem Anspruch auf Zugänglichkeit und Demokratie. Seit dem 19. Jahrhundert fasziniert Glas Architekt:innen, wobei die so hergestellte Durchsichtigkeit Zeichen der Moderne wurde und gerade auch im 21. Jahrhundert eine erneute Popularität erfährt. Glas ist der Baustoff der Transparenz, da es durchsichtig ist und zu Sichtbarkeit verhelfen kann: Das Versprechen einer demokratischen Öffentlichkeit verbindet sich so mit der Ästhetik und der Materialität von Glas. Am Deutschen Bundestag und seinen Gebäuden wird dieses Verhältnis von Transparenz und Architektur intensiv verhandelt, wie etwa die transparente Reichstagkuppel, das dadurch offene Plenum oder die Abgeordnetenhäuser und Nebengebäude zeigen (Deutscher Bundestag 2023). Transparent zu bauen wird dabei zu einer Ausdrucksform – angestrebter oder proklamierter – politscher und gesellschaftlicher Offenheit, die von verschiedenen Akteuren gesellschaftlich anschlussfähig ist – für demokratische wie weniger demokratische Staaten (Barnstone 2005), aber auch Unternehmen.

In der Architektur ist Transparenz eng mit dem Anspruch auf Zugänglichkeit und Demokratie verbunden.

Der architektonische Diskurs greift dem demokratietheoretischen Zugriff auf Transparenz sozusagen vorweg, indem er sie als Erfordernis des demokratischen Staates materialisiert. Damit rückt Transparenz in eine Linie mit dem politischen Vorläuferbegriff Öffentlichkeit. Der Blick in die Architektur verdeutlicht die Normativität von Transparenz und ihre metaphorische Verquickung mit Sichtbarkeit und Demokratie.

1.2Institutionelle Transparenz

1.2.1Nachfolgebegriff von Öffentlichkeit und Gegenbegriff von Geheimhaltung

Transparenz als demokratietheoretischer Begriff und demokratische Anforderung bezieht sich maßgeblich auf den Staat, und, in einem weiteren Sinne, kollektive Akteure und Institutionen, und richtet sich gegen Geheimhaltung. In diesem Gegensatz zur Geheimhaltung folgt sie wiederum einer langen politischen Ideengeschichte: von Immanuel Kants (1724–1804) Prinzip der Publizität über Jürgen Habermas’ (*1929) deliberative Öffentlichkeit und Hannah Arendts (1906–1975) Öffentlichkeit als Handeln. Alle drei Autor:innen haben enorm einflussreiche normative Konzepte für Öffentlichkeit entwickelt und damit Vorstellungen und Diskurse geprägt: Von Kants Philosophie der Aufklärung geht die Rechtfertigungsbedürftigkeit von staatlicher Geheimhaltung aus. Er legt das Vernunftkriterium und vernünftige Nachvollziehbarkeit an sein Prinzip der Publizität an. Habermas schließt hieran an und begreift sodann die Öffentlichkeit als Sphäre des argumentativen Austausches und Aushandelns vernünftiger Argumente. Damit steht Habermas einerseits in der Tradition Kants, und schließt andererseits an Arendt an. Diese wiederum legt den Fokus auf das gemeinsame Handeln, wofür nicht unbedingt und allein liberale demokratische Strukturen notwendig sind. Sie stellt einen starken Handlungsbezug der Bürger:innen ins Zentrum. Allen drei Ansätzen gemeinsam ist eine ausgeprägte Normativität und eine Zentrierung auf den Menschen als Bürger:in, der Zugang zu staatlichen Vorgängen und Politik haben muss, um so – zumindest theoretisch – beteiligt zu sein oder sein zu können (Watzinger 2022b).

1.2.2Transparenzparadox

Kann es auch zu viel Transparenz oder Transparenz an der falschen Stelle geben? Ist Transparenz immer erstrebenswert?

„Transparenz ist zunächst einmal eine merkwürdige Metapher: Der transparente Körper wird, insofern er durchsichtig ist, selbst unsichtbar. Er verschwindet im Blick des Betrachters. Genau dies könnte die praktische Wirkung von Transparenz in der Politik sein. Schuld ist ein epistemologisches Paradoxon: Je schärfer ein Detail betrachtet wird, desto mehr geraten die Strukturen aus dem Blick.“ (Baumann 2014, S. 405)

Kann es auch zu viel Transparenz geben?

Transparenz kann zum Widerspruch werden: Wenn zwar alles verfügbar ist, doch nicht politisch gehandelt wird und keine Öffentlichkeit entsteht. Was durch Transparenzpraktiken ans Licht kommt, erfordert eine politische Reaktion und politisches Handeln. Bleibt das Transparent-Werden von politischen Vorkommnissen ohne Kontextualisierung und politischen Sinn, zeitigt das Offenlegen keine demokratischen Effekte. Daher stellt Transparenz selbst keinen Wert an sich dar, sondern scheint zu einer Art Platzhalterbegriff für andere komplexe und umstrittene Werte zu werden. Für die diskursiven Anforderungen einer zeitgenössischen Gesellschaft im digitalen Wandel stellt Transparenz möglicherweise einen passenden Begriff für Öffentlichkeit dar, da er flexibel auf unterschiedliche Akteure anwendbar und offen interpretierbar ist. Der Kern der Demokratie liegt jedoch nicht in einer bloßen Sichtbarkeit, sondern im Austausch und Abwägen von vernünftigen Argumenten. Dies ist eine gesamtgesellschaftliche und nicht zu unterschätzende komplexe Leistung, wie der Blick in die politische Philosophie zeigt. Gleichwohl überträgt sich der Transparenzbegriff nicht nur aus Optik und Architektur auf die Demokratie, sondern zugleich auch auf das Individuum.

1.3Individuelle Transparenz

1.3.1Überwachung und Gegenbegriff von Privatheit

Praktiken der Individualisierung von Transparenz lassen sich dabei besonders deutlich im Rahmen von Self-Tracking Praktiken beobachten, bei denen Körperdaten über das Smartphone oder andere tragbare Kleingeräte wie Uhren oder Armbänder und verbundene Apps aufgezeichnet werden. Dabei ermöglicht die Verfügbarkeit mobiler digitaler Anwendungen eine noch nie dagewesene Beobachtung und Überwachung persönlicher Daten, von körperlichen Werten über Gewohnheiten bis hin zu emotionalen und mentalen Zuständen. Im Zentrum von Self-Tracking steht in aller Regel ein Wunsch nach (vermeintlicher) datafizierter Selbsterkenntnis, also sich selbst, den eigenen Körper oder Gewohnheiten zu durchschauen und daran anschließend fitter, effizienter oder gesünder zu werden. Die Optimierung des Selbst spielt eine zentrale Rolle. Solche Datensammlungen erfolgen zwar in aller Regel freiwillig und intendiert, aus einer Perspektive der Privatheit erweisen sie sich trotzdem als problematisch, da durch Aufzeichnungspraktiken die Grenzen der Privatsphäre aufgelöst werden, die eine autonome Selbstdarstellung in unterschiedlichen sozialen Kontexten ermöglichen (Lanzing 2016). Insofern stellt eine derartige Übertragung der Transparenznorm auf das Individuum eine ethische Herausforderung dar. In Bezug auf das Individuum wird Transparenz zum Gegenbegriff von Privatheit, die zentral ist für mündige und freie Bürger:innen, denn sie ermöglicht Selbstreflexion und Austausch in einem geschützten Rahmen und ist „Ermöglichungsbedingung“ (Seubert 2017, S. 126) demokratischer Praxis. Gleichzeitig wohnt der Privatsphäre ein deutlich ambivalentes Potenzial inne, denn was als privat gilt, kann kaum öffentlich diskutiert werden und muss insofern auch nicht gerechtfertigt werden (Hagendorff 2018). Diese Ambivalenz und Spannung zwischen Offenlegung und Schutz vor ebendieser Offenlegung verbindet Transparenz und Privatheit als Antipoden. Mit Blick auf eine digitale Transparenz des Individuums steht die Privatheit als Schutz vor und Freiheit von Beobachtung im Gegensatz zu freiwilligen wie unfreiwilligen Datafizierungspraktiken. Der Mensch wird so im Digitalen gläsern und durchschaubar, wobei Self-Tracking Anwendungen besonders präsent und populär sind.

Dabei ergeben sich zwei Ebenen der individuellen Transparenz:

Auf horizontaler Ebene transparent wird eine Person z.B., wenn sie ihren digitalen Kontakten ihre Profildaten zugänglich macht und diese teilt.

Gleichzeitig wird die Person dabei auch auf einer vertikalen Ebene transparent, da Akteure wie Diensteanbieter, Unternehmen oder auch staatliche Institutionen die Daten sammeln und verarbeiten (können).

Eine solche horizontale wie vertikale Transparenz ermöglicht Kontrolle und Überwachung, wobei eben nicht nur Daten des Einzelnen für sich selbst generiert und genutzt werden, sondern auch für die Anbieter. So kommt es zu einer Kommodifizierung der Nutzer:innen, d. h. der Mensch und seine Daten werden zur Ware (Rössler 2017).

Die grundsätzliche Gefährdung und Auflösung der Privatsphäre durch digitale Anwendungen und Daten betrifft alle Nutzer:innen, doch sind unterschiedliche User:innen unterschiedlich vulnerabel gegenüber Privatheitsverlusten. Es ist daher zentral, sowohl beim Anwendungsdesign als auch bei der wirtschaftlichen Nutzung und politischen Regulierung den Schutz der Privatheit und damit verbundene besondere Bedürfnisse im Blick zu behalten und bei der Konzeption von Privatheit die Lebens- und Kommunikationssituation von besonders vulnerablen Gruppen zu berücksichtigen (Watzinger 2022a).

1.3.2Eine digitale Medienlogik

Für das 21. Jahrhundert stellt Transparenz einen normativ starken und aufgeladenen Begriff dar, der auf den digitalen Wandel des 21. Jahrhunderts reagiert. Digitalisierung und Datafizierung verstärken Transparenzpraktiken sowohl im Bereich der staatlichen wie der individuellen Transparenz. Eine solche digitale Medienlogik zeichnet sich unter anderem durch Verdatung, Vernetzung und Partizipation und das Auflösen räumlich-zeitlicher Beschränkungen aus. Ihr ist die Veröffentlichung und Verbindung von Informationen und Daten inhärent, was Transparenz in einen Imperativ verwandelt – des Politischen, der Gesellschaft sowie des Individuums. Eine demokratische, zugängliche, Geheimhaltung entgegentretende Denkbewegung überträgt sich dabei auf den privaten Bereich des Individuums und eine Transparenznorm gilt auch im Privaten: So erscheint Transparenz als erstrebenswert, die Preisgabe von persönlichen Daten als selbstverständlich. Diese die digitale Sphäre charakterisierende Medienlogik verändert die Art und die Formen der Kommunikation und lässt eine Erwartungshaltung entstehen, stets und ubiquitär (fast) jede Information zu erhalten und diese vervielfältigen zu können.

1.4Ausblick

1.4.1Transparenz als Ideologie?

Der Transparenzbegriff beschreibt nicht nur digitale Öffentlichkeiten oder eine Erosion der Privatsphäre und ist auch nicht nur moralisch sowie normativ bedeutsam, sondern er erhält bisweilen ideologischen Charakter. Das bedeutet, er stellt eine gemeinschaftliche Überzeugung über die Welt dar, gibt normative Orientierung und ist kaum hinterfragbar. Transparenz zeichnet sich demnach aus durch die Verbindung eines demokratischen common sense der institutionellen Transparenz mit einer Medienlogik des Digitalen sowie einer freiwilligen Selbstvermessung und Datenpreisgabe. Solche Praktiken sind derart zur Selbstverständlichkeit geworden, dass Transparenz zu einer magischen Formel für Demokratie, Partizipation und Erkenntnis wird (Alloa 2018).

In Zeiten der Digitalen Transformation wird Transparenz zu einer Herausforderung für Demokratie und Privatheit.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Transparenz ein Konzept ist, das ideengeschichtlich seinen Ursprung in der Demokratietheorie hat, sich jedoch zu einer Ideologie wandelt, gemäß deren normativer Forderung das Individuum Informationen über sich selbst sichtbar und zugänglich macht. So wird Transparenz zu einer Herausforderung für Demokratie und Privatheit in Zeiten einer Digitalen Transformation (Watzinger 2022b). Transparenz fungiert daher im digitalen 21. Jahrhunderts als Schlüsselbegriff und Ideologie aus einer Verbindung von Technik und Zeitgeist und zeigt sich dabei selbst als facettenreich und widersprüchlich.

1.4.2Gesundheitswesen

Auch in der Medizin und im Gesundheitswesen spielt die Forderung nach Transparenz eine große Rolle, wie auch der vorliegende Sammelband zeigt.

So zeigt sich ganz grundsätzlich im Verhältnis von Ärztin und Patient eine komplexe Transparenz-Beziehung: einerseits entsteht eine vertikale Transparenz des Patienten gegenüber der Ärztin – durch ihr Fachwissen, die Daten, die sie erhebt und Geräte, mit denen der Patient sichtbar und transparent (gemacht) wird. Ihre Erkenntnisse muss die Ärztin wiederum transparent erklären, d.h. so, dass der Patient sie nachvollziehen kann. Gleichzeitig muss die Ärztin ihre Befunde vor Dritten geheim halten, um die Privatsphäre des Patienten zu schützen.

Was bedeutet Transparenz in der Anwendung von Technik im ärztlichen Handeln und welche Rolle spielt diese für die Akzeptanz sowohl seitens der Behandelten als auch seitens des medizinischen Personals? Welche Schlüsse lassen sich daraus für die Forderung nach Herstellung von Transparenz ziehen? Das besondere Spannungsfeld, das sich aus der besonderen Privatheit von Gesundheitsdaten und der notwendigen Transparenz gegenüber Ärztinnen und Akteuren aus dem Gesundheitssystem ergibt, wird auch an Debatten über die elektronische Patientenakte deutlich (Bader 2023). So steht das Gesundheitswesen einerseits vor hohen Anforderungen, transparent zu sein (und ggfs. zu werden), aber gleichzeitig die Privatsphäre und Autonomie der Patient:innen wie auch Ärzt:innen sicherzustellen.

Literatur

Alloa E (2018) Transparency: A Magic Concept of Modernity. Alloa E u. Thomä D (Hrsg.) Transparency, Society and Subjectivity. Critical Perspectives. 21–55. Cham Palgrave Macmillan

Bader A (2023) Wenn die Patientenakten digital sind. In: Tagesschau online vom 09.03.2023. URL: https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/elektronische-patientenakte-109.html (abgerufen am 28.06.2023)

Barnstone DA (2005) The transparent state. Architecture and politics in postwar Germany. Routledge London

Baumann M-O (2014) Die schöne Transparenz-Norm und das Biest des Politischen: Paradoxe Folgen einer neuen Ideologie der Öffentlichkeit. Leviathan 42/3, 398–419

Deutscher Bundestag (2023) Architektur. URL: https://www.bundestag.de/architektur (abgerufen am 28.06.2023)

DWDS – Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache (2023) Transparenz. URL: https://www.dwds.de/wb/Transparenz (abgerufen am 28.06.2023)

Hagendorff T (2018) Ambivalenz des Privaten. Friedewald M (Hrsg.) Privatheit und selbstbestimmtes Leben in der digitalen Welt. Interdisziplinäre Perspektiven auf aktuelle Herausforderungen des Datenschutzes. 13–32. Springer Wiesbaden

Lanzing M (2016) The transparent self. Ethics and Information Technology 18/1, 9–16

Rössler B (2017) Autonomie. Suhrkamp Berlin

Rowe C, Slutzky R (1963) Transparency: Literal and Phenomenal. Perspecta 8 45–54

Seubert S (2017) Das Vermessen kommunikativer Räume. Politische Dimensionen des Privaten und ihre Gefährdungen. Forschungsjournal Soziale Bewegungen 30/2, 124–133

Watzinger L (2022a) Self-Tracking als Praktik individueller Transparenz. In: Schöppner R, Hackel A (Hrsg.) Automat und Autonomie. 143–156. Zum Verhältnis von Mensch, Technologie und Kapitalismus. Alibri Aschaffenburg

Watzinger L (2022b) Transparenz als Herausforderung für Demokratie und Privatheit. Meiner Hamburg

Dr. phil. Lea Watzinger

Lea Watzinger ist derzeit akademische Rätin am Lehrstuhl für Politische Theorie der Universität Passau. Als Politologin und Philosophin beschäftigt sie sich mit begrifflichen Grundlagen und normativen wie praktischen Steuerungspotenzialen einer demokratischen Digitalisierung. Sie hat zum Begriff der Transparenz aus begriffsgeschichtlicher, politisch-philosophischer und medien-ethischer Perspektive promoviert (Meiner Verlag Hamburg 2022).

 

2Zwischen Transparenz und Vertrauen – eine sozialphilosophische Betrachtung

Christian Uhle

2.1Einleitung

Vor einiger Zeit traf ich einen Mann, der behauptete, eine Kiste zu besitzen, in der sich etwas ganz Besonderes befände: Ein Schatz, der seine, meine, ja, unser aller Probleme lösen würde. „Warum nutzt du ihn dann nicht?“, fragte ich oft. „Die Zeit ist noch nicht so weit“, sagte er dann, „vertraue mir.“ Eine Weile gab ich mich damit zufrieden, doch Woche um Woche begann ich unruhiger zu werden. Sprach er die Wahrheit? Ich zweifelte daran. „Wenn du mir nicht glaubst, dann öffne die Kiste und schau nach“, sagte er schließlich und hielt mir den Schlüssel entgegen.

Vertrauen ist dort erforderlich, wo etwas auf dem Spiel steht, aber keine Transparenz besteht. In der kurzen, erfundenen Geschichte ist mir undurchsichtig, was sich in der Kiste befindet. Ich kann dem Mann vertrauen oder misstrauen – in dem Moment aber, wo ich sein Angebot annehme und selbst nachschaue, werden diese Kategorien irrelevant. Ich lüfte den Schleier und weiß dann, ob er die Wahrheit gesagt hat und ob er wirklich über einen solchen Schatz verfügt.

Dieser Unterschied zwischen Transparenz und Vertrauen wird häufig übersehen oder sogar verdeckt. „Transparenz schafft Vertrauen“ lautet sowohl eine Kampagne von Transparency International wie auch das Motto einer Initiative der Caritas und ein Slogan des Verbands der pharmazeutischen Industrie Österreichs. Mehr als 28.000 Ergebnisse liefert Google zu genau dieser Wortkombination. Und es stimmt, tatsächlich können sich Transparenz und Vertrauen innerhalb von komplexen Systemen gegenseitig stärken – das werden wir später beleuchten. Zunächst aber ist es wichtig, sich den grundsätzlichen und einzelfallbezogenen Unterschied deutlich zu machen: Transparenz schafft kein Vertrauen, sondern ersetzt es. Denn dort, wo Transparenz besteht, wird Vertrauen überflüssig. Wenn ich das Wechselgeld an der Kasse zähle und mir insofern vollständige Transparenz verschaffe, dann brauche ich nicht mehr darauf zu vertrauen, dass es korrekt herausgegeben wurde. Vor diesem Hintergrund drängen sich eine Reihe von Fragen auf:

Was unterscheidet Transparenz von Vertrauen?

Wie kann beides entstehen?

Welche unterschiedlichen Formen von Intersubjektivität und systemischen Strukturen werden dadurch geschaffen?

Und salopp ausgedrückt, was ist besser: Vertrauen oder Transparenz?

In der soziologischen Debatte um die Kategorie des Vertrauens nimmt Georg Simmel eine zentrale Rolle ein, der mit seinem 1908 erschienen Werk Über die Formen der Vergesellschaftung eine systematische Analyse der Vertrauenskategorie vorlegte (Simmel 1983). Simmel betonte bereits die eklatante Rolle des Vertrauens für das Gelingen zwischenmenschlicher Beziehungen, welche sonst brüchig würden. Jenseits der noch zu klärenden Detailfragen können wir auf dieser Perspektive aufbauend grundsätzlich Folgendes festhalten.

Sowohl Vertrauen wie auch Transparenz sind Ressourcen des sozialen Zusammenhalts – in privaten Nahbeziehungen wie auch im gesellschaftlichen Gesamtgefüge. Beide Ressourcen ermöglichen es Menschen, gelingend zu kooperieren, und sind für die Herausbildung komplexerer organisationaler Strukturen unabkömmlich.

Bevor wir das Wechselspiel beider sozialer Ressourcen untersuchen, sollen beide Kategorien getrennt voneinander betrachtet werden, um ein tieferes Verständnis zu ermöglichen.

2.2Vertrauen als Ressource gelingender Kooperation

Vom ersten Moment des Tages an müssen wir vertrauen: darauf, dass unser Herz nicht plötzlich stehenbleibt; dass die Dinge um uns herum real sind und wir nicht verrückt geworden sind; dass wir nicht plötzlich überfallen und angeschossen werden, sobald wir das Haus verlassen; dass unsere Mitarbeitenden uns nicht anlügen, wenn sie im Jour fixe ein Update geben. Ohne ein solches Vertrauen wären wir weder persönlich lebensfähig noch würde Zusammenarbeit und Gesellschaft möglich sein. Insbesondere weil eine umfassende Kontrolle nicht in allen Lebensbereichen möglich ist, bleibt die Herausbildung von Vertrauen unabdingbar.

Vertrauen ist nicht nur in vielen Bereichen schlicht notwendig, es hat gegenüber den alternativen Paradigmen von Transparenz und Kontrolle auch entscheidende Vorteile: Insbesondere senkt es die Transaktionskosten. Eine mündliche Absprache mit einer Person, der wir vertrauen, ist wesentlich einfacher und effizienter als jeden Punkt dezidiert zu verschriftlichen und doppelt unterschreiben zu lassen. Ähnlich gilt: Wenn man kein Grundvertrauen gegenüber den Mitarbeitenden hat und jede Aussage sorgfältig prüft, entsteht ein gewaltiger Kontrollaufwand. Und bezogen auf den Alltag wäre es mit hohen Kosten verbunden, wenn man jedem Menschen, dem man begegnet, misstraut, ob er nicht plötzlich eine Waffe zückt: Wir müssten aufwändige Vorsichts- und Verteidigungsmaßnahmen treffen.

Georg Simmel sah deshalb insbesondere in Gesellschaften – im Gegensatz zu Stammesgemeinschaften, in denen sich alle Mitglieder kennen – Vertrauen als Voraussetzung für Kooperation an. Niklas Luhmann (1968) griff diesen Gedanken auf und betonte die Relevanz gerade in modernen Gesellschaften. Ihm zufolge ist die Moderne gekennzeichnet durch eine zunehmende Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Subsysteme (ein Beispiel: die Ausdifferenzierung des Studiengangs Physik in Astrophysik, Bauphysik, Festkörperphysik usw.). Diese Ausdifferenzierung bedeutet eine permanente Erhöhung der systemischen Komplexität. Mit steigender Komplexität steigen wiederum die Kosten, um Transparenz und Kontrolle zu schaffen; häufig sogar überproportional. Vertrauen ist daher ein wichtiger „Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität“, so der Soziologe. Um diesen Zusammenhang auf das aktuelle Gesundheitssystem zu übertragen: Mit der Professionalisierung der Medizin rücken allgemein bekannte Hausmittel in den Hintergrund und weichen der Diagnostik und Behandlung durch Fachpersonal (Ausdifferenzierung → Komplexität). Aufgrund dieser eklatanten Wissensasymmetrie wird es umso wichtiger, dass die behandelte Person dem/der Ärzt:in vertraut, weil sie die Empfehlungen in der gebotenen Tiefe nicht nachvollziehen kann. Vertrauen ermöglicht es Menschen insofern auch in Situationen handlungsfähig und kooperationsfähig zu bleiben, in denen das vollständige Wissen oder die vollständige Kontrolle unerreichbar sind.

Vertrauen ist eine Grundvoraussetzung für das Funktionieren jeder komplexen, modernen Gesellschaft.

Die Annahme Luhmanns, dass Vertrauen eine Grundvoraussetzung für das Funktionieren jeder komplexen, modernen Gesellschaft ist, konnte auch empirisch validiert werden. So zeigt eine Metastudie von Balliet und Van Lange (2013), dass ein höheres Maß an Vertrauen zu mehr Kooperation führt, selbst in Konfliktsituationen. Das zahlt sich auch auf der Makroebene aus, so haben Länder, in denen ein stärkeres Vertrauen verbreitet ist, tendenziell auch eine höhere Wirtschaftsleistung (Algan u. Cahuc 2014; Bjørnskov 2012).

Aber ist es sinnvoll, blind zu vertrauen? Offenbar nicht. Vertrauen ist ebenso wichtig wie gefährlich. In der Philosophie existiert deshalb eine rege Debatte, wann Vertrauen rational gerechtfertigt ist. Diese teils sehr abstrakten Auseinandersetzungen entsprechen einer zentralen lebensweltlichen Frage: Wem kann ich vertrauen? – eine Frage, die für das Überleben im sozialen Kontext entscheidend sein kann. An dieser Stelle wird es konzeptuell interessant. Denn zwar kann Vertrauen nur dort existieren, wo nicht alle Informationen einsichtig sind; trotzdem kann Vertrauen mehr oder weniger begründet oder naiv sein. Wenn ich einer Person informell Geld leihe, habe ich zwar keine absolute Sicherheit, dass diese ihre Schulden begleichen wird – aber mein Vertrauen ist offenbar stärker gerechtfertigt, wenn es sich um eine gute Freundin handelt und wir uns bereits oft geholfen haben, als wenn es sich um eine wildfremde und vorbestrafte Person handelt. Genau auf dieses Verhältnis weist auch Simmel bereits hin:

„Vertrauen, als die Hypothese künftigen Verhaltens, die sicher genug ist, um praktisches Handeln darauf zu gründen, ist als Hypothese ein mittlerer Zustand zwischen Wissen und Nichtwissen um den Menschen. Der völlig Wissende braucht nicht zu vertrauen, der völlig Nichtwissende kann vernünftigerweise nicht einmal vertrauen.“ (Simmel 1983, S. 263)

Aus diesem Grund verfügt jede Gesellschaft über Institutionen zur Vertrauensbildung, insbesondere über ausgelagerte institutionelle Kontrollverfahren, auf die das Individuum idealerweise gerechtfertigt vertrauen kann. Ein simples Beispiel dafür ist das Approbationsverfahren von Ärzt:innen, das den Behandelten gute Gründe gibt, der Expertise und Diagnose eines/einer niedergelassenen Ärzt:in zu vertrauen. Wenn ein solches institutionelles Vertrauen verloren geht, etwa weil man davon ausgeht, dass alle Prüfenden der Studienleistungen sowieso korrupt sind, erodiert damit gleichsam auch der individuelle Vertrauensvorschuss in das Urteil des/der niedergelassenen Ärzt:in. Parallel zu solchen – funktionierenden oder dysfunktionalen – Institutionen existieren unzählige informelle Mechanismen der Vertrauensbildung. So kann ein selbstsicheres Auftreten vertrauenswürdiger wirken als dasjenige einer Person, die ihre Diagnose zögerlich formuliert. In psychologischen Studien konnte gezeigt werden, dass Vertrauen wesentlich von solchen oder ähnlichen Signalen abhängt (Siuda et al. 2022). Es ist offensichtlich, dass solche Mechanismen schnell zu Fehlurteilen führen und oft auch mit nichtrationalen Vorurteilen, etwa Rassismen oder Sexismen, verknüpft sind. Gleichzeitig sind wir in vielen Situationen darauf angewiesen, intuitiv zu vertrauen oder zu misstrauen, eben weil eine hundertprozentige Kontrolle und Transparenz nicht möglich sind. Umso wichtiger ist es daher, die persönlichen Strukturen des intuitiven Vertrauens zu reflektieren und auf ihre Ursprünge hin zu hinterfragen.

Vertrauen ist auch eine Bedingung für ein sinnerfülltes Dasein.

Vertrauen ist nicht nur alltagssprachlich, sondern auch in der Philosophie ein positiv besetzter Begriff. Als Grundvertrauen beschreibt er das Gefühl, in der Welt aufgehoben zu sein und sich darin entfalten zu können. Vertrauen ist damit auch eine Bedingung für ein sinnerfülltes Dasein, aus dem heraus die Welt nicht als fremd, unberechenbar, chaotisch und bedrohlich wahrgenommen wird, sondern als ein Lebensraum, mit dem man sich konstruktiv in Beziehung setzen kann. Anders ist es mit dem Begriff der Transparenz, der zunehmend auch kritisch diskutiert wird, wie wir im nächsten Abschnitt sehen werden.

Zusammengefasst wird deutlich: Vertrauen ist in vielen Bereichen notwendig und eine unverzichtbare Ressource sozialer Kooperation; senkt die Transaktionskosten; ist in modernen, ausdifferenzierten Gesellschaften umso wichtiger; kann als hybrider Zustand zwischen Wissen und Nichtwissen mehr oder weniger rational gerechtfertigt sein; wird sowohl institutionell wie auch informell vermittelt; ist Bestandteil einer sinnerfüllten Weltbeziehung.

2.3Transparenz als Ressource gelingender Kooperation

Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser, besagt ein bekanntes Sprichwort. In der Philosophie wurde dieser Wunsch nach Sicherheit immer wieder auch kritisch beleuchtet. Insbesondere wurde hinterfragt, welche Grundeinstellung hinter dem Streben nach Transparenz, Kontrolle und Eindeutigkeit steht. So kontrastiert der Sozialtheoretiker Hartmut Rosa (2016) eine Grundhaltung der Weltanverwandlung mit einer Haltung der Weltbeherrschung. Erstere zielt darauf ab, sich der eigenen Welt gegenüber zu öffnen und sich berühren zu lassen; zweitere versucht, Dinge kontrollierbar zu machen und dem eigenen Willen zu unterwerfen.

Der Wunsch, transparente Verhältnisse zu schaffen, lässt sich verstehen als ein Streben danach, gesicherte Informationen einzuholen, Sachverhalte sichtbar und explizit zu machen und dadurch eine Form von Kontrollierbarkeit und Beherrschbarkeit der Situation herzustellen. Offenbar folgt dieser Ansatz tendenziell dem Paradigma der Beherrschung. Grundsätzlich ist das nicht problematisch, sondern nachvollziehbar und rational. Seit Jahrtausenden versucht der Sapiens, mithilfe von Werkzeugen seinen Aktionsradius zu erweitern, Dinge unter Kontrolle zu bringen und außerdem die Geschehnisse mithilfe von Mythen, Religionen oder Wissenschaften zu erklären. Seit der gesellschaftlichen Moderne werden allerdings solche Zugänge stärker, die wenig Raum für das Geheimnisvolle lassen. Der einflussreiche Positivismus versteht die Welt als einen mechanistisch strukturierten Ort, der prinzipiell vollständig mit den Mitteln der empirischen Forschung und Vernunft erklärt werden kann – der also vollständig transparent gemacht werden kann.

Schon recht früh wurden jedoch auch Probleme darin gesehen, die Welt vollständig erklären und beherrschbar machen zu wollen. So beklagt etwa der Soziologe Max Weber in einem Aufsatz von 1917 eine zunehmende „Entzauberung“ der Welt. Auch Hartmut Rosa entwickelt in seinen aktuellen Forschungen einen kritischen Blick und diagnostiziert eine innere „Entfremdung“ als Folge einer dominant gewordenen Haltung der Weltbeherrschung. Hinter diesen Diagnosen steht also die Auffassung, dass der Mensch letztlich einen Sinnverlust erleidet, wenn er zu stark danach strebt oder es ihm zu sehr gelingt, die Welt zu vermessen und in Zahlen zu fassen, zu erklären und in Theorien zu beschreiben, sie transparent und kontrollierbar zu machen. Der Blick für den Zauber und die Geheimnisse gehen verloren, das eigene Weltverhältnis ist kein atmendes mehr, sondern erstarrt unter dem mechanistischen Zugriff. Gerade durch die zunehmende Datafizierung wird suggeriert, dass die Welt vollständig beschreibbar vor uns liegt wie hinter einem transparenten Schaufenster. Doch wie der Philosoph Martin Seel (2009, S. 63) in einem oft zitierten Satz warnt:

„Die messbare Seite der Welt ist nicht die Welt; sie ist die messbare Seite der Welt.“

Mit anderen Worten, wenn wir uns nur auf dasjenige konzentrieren, was sich tatsächlich transparent machen lässt, gerät der Rest irgendwann völlig aus unserem Blick.

Deshalb darf Transparenz kein absolutistisches Paradigma werden und sich nicht zur Ideologie entwickeln. Genau dies wird aber immer wieder diagnostiziert, etwa von den Philosoph:innen Lea Watzinger (2022) und Emmanuel Alloa (2019). So beschreibt Watzinger Transparenz als einen „Schlüsselbegriff des 21. Jahrhundert“ (S. 7) und warnt:

„Der gegenwärtige Medienwandel lässt Transparenz zur Ideologie einer Zeit werden, die sich selbst gerne als post-ideologisch begreift: Transparenz nimmt dabei für sich in Anspruch, Neutralität zu verkörpern.“ (Watzinger 2022, S. 57)

Besonders wortgewaltig diagnostiziert der Philosoph Byung-Chul Han (2013) eine in dieser Hinsicht problematische gegenwärtige Entwicklung: „Der Imperativ der Transparenz verdächtigt alles, was sich nicht der Sichtbarkeit unterwirft. Darin besteht seine Gewalt“, schreibt er in seinem Essay Transparenzgesellschaft (S. 24). Die Folge sei eine „Hölle des Gleichen“ (S. 6), in der Menschen wie Dinge operationalisiert und in Zahlen gepresst würden und das Gespür für die eigene Intuition und das Gegenüber als ontologisch anderen verloren ginge.

Das sind dramatische Beschreibungen. Sind sie gerechtfertigt? Sind die gegenwärtig verbreiteten Forderungen nach mehr Transparenz fehlgeleitet? Sollten wir möglicherweise sogar weniger Transparenz anstreben?

Nicht nur Vertrauen, auch Transparenz ist eine zentrale Ressource sozialer Kooperation.

Das wäre offensichtlich Unsinn. Nicht nur Vertrauen, auch Transparenz ist eine zentrale Ressource sozialer Kooperation. Sachverhalte, in Bezug auf die ein hohes Maß an Transparenz für die beteiligten Akteure herrscht, können auf einer gemeinsamen Grundlage effektiver bearbeitet werden. Transparente Rollenverteilungen und Spielregeln ermöglichen eine effizientere Koordination, weil ein gemeinsamer Erwartungshorizont geschaffen wird. Auf solchen Feldern ist Intransparenz häufig hochgradig ineffizient und kann zu verwirrenden Prozessen führen, die dem Ergebnis schaden. Gerade eine Prozesstransparenz ist daher oft entscheidend.

In transparenten Systemen haben Menschen in der Regel leichteren Zugang zu Informationen, was wiederum ihre Fähigkeit verbessern kann, fundierte Entscheidungen zu treffen und zur Kooperation beizutragen. Dabei stärkt Transparenz nicht nur die personale Autonomie – als Gegenbeispiel denke man an den Protagonisten aus Kafkas Der Prozess, der handlungsunfähig ist, sich zu verteidigen, weil er überhaupt nicht weiß, weshalb er angeklagt ist. Auch kann so eine bessere Fairness gewährleistet werden – man denke an transparente Verfahren zur Notengebung.

Transparenz ist kein statischer Zustand, sondern ein kontinuierlicher Prozess.

Vor allem ist Vertrauen nicht immer gerechtfertigt oder auch möglich – transparente Verhältnisse und Kontrollmechanismen erlauben in solchen Fällen eine soziale Kooperation, die sonst zusammenbrechen würde. Auf diese Weise können außerdem neue Ideen und Innovationen entstehen, da mehr Menschen Zugang zu und die Möglichkeit zur Nutzung relevanter Informationen haben. Dabei ist Transparenz allein allerdings nicht ausreichend, sie muss auch verständlich sein: Informationen, die transparent gemacht werden, müssen nachvollziehbar und zugänglich sein, damit sie effektiv genutzt werden können. Dieses Prinzip kann durch eine ungefilterte Transparenz sogar gefährdet werden, wenn eine Informationsflut entsteht, die es schwierig macht, relevante von irrelevanten Informationen zu unterscheiden. Spätestens an dieser Stelle wird deutlich: Transparenz ist kein statischer Zustand, sondern ein kontinuierlicher Prozess.

Trotz der Notwendigkeit und der Vorteile von Transparenz haben die oben formulierten Kritiklinien einen berechtigten Kern. Um beiden Seiten gerecht zu werden, müssen wir die Fragestellung daher korrigieren:

Es geht nicht darum, ob Transparenz generell gut oder schlecht ist, sondern welche Transparenz zu einer gelingenden Kooperation beiträgt. Was beziehungsweise wer ist wem gegenüber in welcher Hinsicht transparent?

2.4Wechselspiel der Ressourcen

Wissen ist Macht. Das gilt schon im ganz Kleinen. Das Wissen darum, dass um die Ecke ein neues Restaurant eröffnet hat, vergrößert meinen autonomen Handlungsradius und ermächtigt mich dazu, mich für oder gegen einen Besuch zu entscheiden. In Bezug auf zwischenmenschliche und soziale Kontexte kann Transparenz ebenso positiv wie problematisch auf Machtverhältnisse wirken. Auf der positiven Seite des Spektrums steht beispielsweise das Ideal einer gläsernen Wertschöpfungskette, die Informationsasymmetrien zwischen Produzenten und Konsumenten abbaut und daher die marktwirtschaftliche Koordination stärkt. Auf der negativen Seite steht die von George Orwell verfasste Dystopie 1984, in der gläserne Menschen von einer totalitären und intransparenten Regierung kontrolliert werden.

Transparenz ist kein Selbstzweck, sondern kann nur ein Mittel sein. Damit Transparenz als Ressource gelingender Kooperation wirksam werden kann und nicht zum Gegenteil führt, muss sie vor allem zur Kompensation bestehender Machtasymmetrien beitragen, anstatt diese noch weiter zu verstärken. Das gilt insbesondere in der ökonomischen und politischen Sphäre. In dieser Hinsicht ist es problematisch, dass Nutzende von digitalen Diensten immer transparenter für große Tech-Unternehmen werden, die umgekehrt in ihrem Gebrauch der Daten äußerst intransparent sind.

Transparenz muss daher fallabhängig betrachtet werden. Zentrale Frage sind dabei immer: Für wen gilt die Transparenz und wem nützt sie? Wenn sie konstruktiv wirkt und Machtasymmetrien reduziert – insofern also echte Kooperation stärkt – dann wird sie auch das Gesamtvertrauen innerhalb des sozialen Systems erhöhen. Dies stellt also eine Art Lackmustest dar: Stärkt die jeweilige Form von Transparenz das berechtigte Vertrauen im sozialen Zusammenhang oder wird es dadurch geschwächt?

Wir haben eingangs festgestellt, dass Vertrauen im Einzelfall durch Transparenz ersetzt wird und nicht etwa hergestellt. Denn im Moment der Transparenz wird das Vertrauen schlicht überflüssig. Bezogen auf ein Gesamtsystem gilt dies aber nicht. Elemente der Transparenz können das gerechtfertigte Vertrauen sogar stärken, weil sie das Nichtwissen um ein Wissen ergänzen und insofern also die Räume für einen konstruktiven „Zustand zwischen Wissen und Nichtwissen“ vergrößern. Wenn mir zum Beispiel transparent ist, dass der Mann mit der Kiste aus der anfänglichen Geschichte noch nie gelogen hat, werde ich ihm eher vertrauen. Auch sein Angebot, dass ich mir Transparenz verschaffe und in die Kiste schaue, macht ihn vertrauenswürdiger. Wir können die Feststellung von Simmel insofern auch umformulieren:

Wo vollständige Transparenz besteht, braucht man nicht zu vertrauen. Wo vollständige Intransparenz besteht, kann man vernünftigerweise nicht vertrauen.

Gleichwohl Transparenz und Vertrauen distinkte und prinzipiell alternative Ressourcen sozialer Kooperation sind, können sie sich also in konstruktiver Synergie befinden. In diese Richtung deuten auch etliche Studien. So zeigt etwa Rawlins (2008), dass Transparenz in Organisationen, insbesondere in Bezug auf die Kommunikation von Entscheidungsprozessen, das Vertrauen der Mitarbeitenden stärkt (ähnlich auch Schnackenberg u. Tomlinson 2016). Das zahlt sich auf der Mikro- wie auch auf der Makroebene aus, weil die Produktivität steigt und dadurch wiederum die Wirtschaftsleistung.

Damit sich beide Ressourcen gegenseitig stärken, dürfen sie nicht gegeneinander ausgespielt werden. Wenn Transparenz zu einem ideologischen Paradigma wird, kann die Fähigkeit zum Vertrauen verloren gehen. Das lässt sich manchmal in Liebesbeziehungen beobachten, in denen die Partner:innen sich gegenseitig sehr engmaschig auf dem Laufenden halten und geradezu Rechenschaft ablegen. Da wird es schnell beängstigend, wenn sich die andere Person mal einen Tag nicht meldet. Eine atmende Beziehung aber lebt vom Vertrauen, erst dadurch kann das Gefühl entstehen, im Miteinander aufgehoben zu sein. Hier schließt sich wieder der Bogen zu der bereits skizzierten Diagnose von Hartmut Rosa und Max Weber – Wenn Transparenz zum einzigen Leitprinzip wird, kann dies unser Sinnerleben untergraben. Im Anbetracht der Vermessung der Welt im Zeitalter des Internets der Dinge ist dieser Punkt nicht nur in Privatbeziehungen, sondern auch grundsätzlich bedenkenswert. Denn gerade durch die Digitalisierung wird Transparenz als Grundlogik unserer Gesellschaft noch dominanter.

Deshalb ist es umso wichtiger, dass die durch die Digitalisierung gesteigerte Transparenz dazu beiträgt, Machtasymmetrien zu verringern, die Autonomie der Patient:innen zu erhöhen und ihr gerechtfertigtes Vertrauen zu stärken. Eine solche Entwicklung unterstützt im Zusammenspiel mit anderen Bereichen die insgesamt gelingende soziale Kooperation und unterstützt damit die Grundlagen für eine handlungsfähige und auch sinnerfüllte Gesellschaft.

Literatur

Algan Y, Cahuc P (2014) Trust, Growth, and Well-Being: New Evidence and Policy Implications. Handbook of Economic Growth 2, 49–120

Alloa E (2019) Das Unbehagen in der Transparenz. Internationales Jahrbuch für Medienphilosophie 5(1), 155– 182

Balliet D, Van Lange PAM (2013) Trust, conflict, and cooperation: A meta-analysis. Psychological Bulletin 139(5), 1090–1112

Bjørnskov C (2012) How Does Social Trust Affect Economic Growth? Southern Economic Journal 78(4), 1346–1368

Han BC (2013) Transparenzgesellschaft. Matthes & Seitz Berlin

Luhmann N (1968) Vertrauen: Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. F. Enke Stuttgart

Rawlins B (2008) Measuring the relationship between organizational transparency and employee trust. Public Relations Journal 2(2)

Rosa H (2016) Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Suhrkamp Berlin

Schnackenberg AK, Tomlinson EC (2016) Organizational Transparency: A New Perspective on Managing Trust in Organization-Stakeholder Relationships. Journal of Management 42(7), 1784–1810

Seel M (2009) Theorien, S. Fischer Frankfurt/Main

Siuda S, Schlösser T, Fetchenhauer D (2022) Do We Know Whom to Trust? A Review on Trustworthiness Detection Accuracy. International Review of Social Psychology 35(1), 1–16

Simmel G (1983) Soziologie. Über die Formen der Vergesellschaftung. Gesamtausgabe Band 11. Suhrkamp Frankfurt/Main

Watzinger L (2022) Transparenz: Herausforderung für Demokratie und Privatheit. Felix Meiner Hamburg

Weber M (1930) Wissenschaft als Beruf. Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte. Heft 8. 3. Auflage. Duncker & Humblot München

Christian Uhle

Christian Uhle ist Philosoph und hat als Wissenschaftler gesellschaftliche Transformationen erforscht, insbesondere die Digitalisierung. Er hält zahlreiche Vorträge und hat 2022 sein Sachbuch „Wozu das alles?“ über die Suche nach Sinn im Leben und am Arbeitsplatz bei S. Fischer veröffentlicht. Sein nächstes Buch beleuchtet die Auswirkungen Künstlicher Intelligenz (ebenfalls S. Fischer). Christian Uhle berät Unternehmen und öffentliche Akteure, mit seinem Ansatz verkörpert er eine engagierte, junge Philosophie.

 

3Transparenz in der Demokratie – über Rationalität und Nebenfolgen einer Norm

Vincent August

Im alltäglichen Sprachgebrauch und selbst in der Forschung wird „Transparenz“ oft sehr allgemein verwendet: als „Zugang zu Informationen“ oder im Sinne von „öffentlich“ oder „nachvollziehbar“. In dieser Allgemeinheit lässt sich dann konstatieren, dass Demokratie auf Transparenz angewiesen ist, weil Demokratie auf Öffentlichkeit angewiesen ist. Aber Öffentlichkeit muss in konkrete Institutionen und Praktiken umgesetzt werden. Hier gehen die Vorstellungen sowohl in der Demokratietheorie als auch in der politischen Praxis stark auseinander. Es gibt daher unterschiedliche Regime von Öffentlichkeit, und hinter dem Begriff der Transparenz steht ein sehr spezifisches Arrangement von Überzeugungen, Praktiken und Institutionen, das im öffentlichen und privaten Management Anwendung findet. Dieses soll im Folgenden vorgestellt, historisch verortet und auf seine Nebenfolgen befragt werden.

3.1Die Rationalität von Transparenz

Die Norm der Transparenz wurde von dem britischen Juristen und Sozialreformer Jeremy Bentham am Beginn der 19. Jahrhunderts erstmals ins Zentrum einer Demokratietheorie gestellt. Bevor er Transparenz für die Demokratie ins Spiel brachte, hatte Bentham das transparent management principle für Organisationen unterschiedlichster Art empfohlen und in seinem berühmtesten Organisationsmodell, dem Panopticon, detailliert durchdacht. Transparenz war also von Anfang an mehr als ein Demokratieprinzip und zugleich ein sehr spezieller Ansatz, der von anderen zu unterscheiden ist.

Benthams Grundüberlegung beruhte auf einer Rezeption der Newton’schen Mechanik. Newtons Entdeckungen hatten den Eindruck erweckt, dass die Welt nicht nur erkennbar, sondern auch steuerbar wäre, wenn man die richtigen Hebel an den richtigen Stellen ansetzte. Bentham zielte darauf ab, diese mechanistische Grundidee auf den Bereich menschlichen Verhaltens zu übertragen. Menschen würden demnach grundsätzlich zwei „Herren“ (masters) gehorchen, nämlich Freude (pleasure) und Schmerz (pain). Sie würden daher stets versuchen, die eigene Freude zu maximieren und Schmerz zu vermeiden. Diese Formulierung ist die Geburtsstunde des liberalen Utilitarismus, der vom Menschen als einem Nutzenmaximierer ausgeht.

Weil aber diese Nutzenmaximierung dazu führen würde, dass die Nutzenmaximierung des Einen auf Kosten aller anderen passiert, benötige man ein Steuerungssystem, das genau diese beiden Hebel – pleasure und pain – verwendet, um das Verhalten der Menschen in die richtigen Bahnen zu lenken. Mit Transparenz hatte Bentham aus seiner Sicht den Mechanismus für eine effiziente, indirekte Verhaltenssteuerung gefunden: Wenn Menschen annehmen müssen, beobachtet zu werden, würden sie sich automatisch dem allgemein akzeptierten Verhalten anpassen, meistens ohne dass dafür überhaupt interveniert oder gar Zwang angewendet werden müsste.

Transparenz stellt demnach also sicher, dass sich die Menschen an bekannte Kriterien guten Verhaltens halten. Wenn sie diesen ‚transparenten Kriterien‘ folgen, dann bekomme man auch verlässliche Informationen. Die Akkumulation solcher ‚reinen‘ Informationen würde letztlich zu einem besseren Urteil in der Sache führen. Transparenz verhindere also gleichzeitig Fehlverhalten (insbesondere Machtmissbrauch) und führe zu rationalen, optimierten Entscheidungen. Sie stelle in doppelter Weise vom Eigeninteresse der Einzelnen auf das „universelle Interesse“ (Bentham) um – und das alles durch einen wenig aufwändigen Mechanismus potenzieller Inspektion.

Damit hat man die normative Rechtfertigung und die unterstellte Wirkungsweise von Transparenz. Man kann das auch noch einmal etwas abstrakter formulieren: Bei Transparenz handelt es sich um einen mechanistischen Steuerungsansatz. Er reagiert auf eine wahrgenommene Unsicherheit, die für die Individuen bedrohlich sein könnte. Um diese Unsicherheit abzubauen, setzt Transparenz auf soziale und sachliche Kontrolle: Sie soll Fehlverhalten reduzieren, indem das Verhalten unter Aufsicht gestellt, dadurch manipuliert und im Zweifel sanktioniert wird. Wenn sich das Verhalten in den prämierten und sanktionierten Bahnen abspielt, dann sind die Informationen, die Transparenz generiert, zugleich von persönlichen Interessen und Verzerrungen gereinigt. Sie akkumulieren sich zu einem neutralen, bestmöglichen Urteil. Transparenz erhöhe so die Qualität der Entscheidungsfindung, weil Effizienz (Beschleunigung der Informationsverarbeitung) und Effektivität (Wirksamkeit der Entscheidung) gleichermaßen gesteigert werden.

Auch der Klappentext dieses Buches folgt dieser Rationalität. Er ruft eine bedrohliche Unsicherheit auf, denn die Undurchsichtigkeit des Systems erzeuge Leid, gefährde Patientenleben und lasse die Menschen ohnmächtig zurück. Transparenz wird dann auch hier zum Problemlöser, um die Sicherheit und Autonomie der Menschen zurückzugewinnen und gleichzeitig die Qualität und Effizienz des Gesundheitssystems zu steigern. Die Frage ist freilich, ob Transparenz diese Versprechen halten kann.

3.2Die Versatilität der Transparenzidee – vom 18. Jahrhundert zur Digitalisierung

In jedem Fall hat das Begründungsmuster der Transparenz viele überzeugt. Dies liegt maßgeblich an dem modernistischen Denkmodell von Transparenz: Es verbindet ein mechanistisches Steuerungsdenken (lineare, kausale Verhaltenssteuerung) mit dem typisch modernen Hygienediskurs („Reinigung“ von Informationen und Diskursen) und lädt dieses Vorgehen dann mit einem automatisierten Fortschrittsglauben auf. Dieser Satz an Überzeugungen und Semantiken machte Transparenz anschlussfähig: Sie ist ein Modernisierungsprogramm, das zwar von einem liberal-ökonomischen Reformer erstmals politisch in Anschlag gebracht wurde, aber ebenso in sozialistischen und sozialdemokratischen Projekten aufgenommen werden konnte.

Und sie ist ein Managementprinzip, das sich sowohl für politische Systeme als auch für unterschiedlichste Organisationen anwenden ließ – so wie es bereits Bentham angedacht hatte. Dementsprechend gibt es in der Forschung auch Studien zur Transparenz bei Automobilherstellern und ihren Zulieferern, in Journalismus und Wissenschaft, bei der Arbeitsvermittlung, der Arbeit mit Drogenkonsument:innen und vielem mehr. Die Logik der Transparenz ist also vielfältig einsetzbar und muss sich keineswegs immer auf den Staat richten. Auch Louis Brandeis, dessen berühmter Spruch heute oft als Motto für Transparenz gewählt wird, richtete sein Augenmerk weniger auf die Kontrolle des Staates als auf die staatliche Kontrolle von Banken – und nahm dabei genau jene Motive von Hygiene und Kontrolle auf, die oben beschrieben wurden:

„Sunlight is said to be the best of disinfectants [Hygiene]; electric light the most efficient policemen [Kontrolle]“ (Brandeis 1914, S. 92).

Die enorme Ausbreitung des „Transparenz-Imperativs“ (August u. Osrecki 2019) seit den 1970er- und 1980er-Jahren wurde dann durch zwei Entwicklungen besonders angetrieben. Die erste ist der Aufstieg des Neoliberalismus, genauer gesagt des New Public Managements (NPM). Auch im Gesundheitssektor verbreitete sich dieses Verwaltungsleitbild und inspirierte zentrale Elemente des aktuellen Systems. Transparenz im Gesundheitssystem ist auch in dieser Hinsicht gar nicht neu (Reilley 2019).

Der Aufstieg des Neoliberalismus und des NPM beginnt mit den Krisen der 1970er- und 1980er-Jahren, in denen das vorherige Steuerungsleitbild drastisch an Unterstützung verlor. Aufbauend auf Rational-Choice- und Public-Choice-Theorien präsentierte das NPM einen Lösungsvorschlag, der letztlich eine Wiederaufnahme von Benthams Vorschlägen darstellt (Hood 2001). Beide beruhten auf einem grundsätzlichen Misstrauen, weil auch Menschen in Leitungspositionen als Nutzenmaximierer stets ihr eigenes Wohl im Sinn hätten. Daher müsse man Politik und Verwaltung neu denken: Die Agenten in Politik und Verwaltung müssen an die Interessenpräferenz des Prinzipals (z.B. „der“ Öffentlichkeit) gebunden werden. Dafür müssten sie permanent beobachtet und zur Rechenschaft gezogen werden. Transparenz wird hier zum Schlüssel, und eine markante Folge des NPMs ist dann auch die Explosion von Audit-Verfahren, Benchmarking-Tools und Monitoring-Prozessen.

Die zweite Entwicklung, die den Transparenz-Trend der jüngeren Vergangenheit trägt, ist die Digitalisierung. Einerseits ermöglichte die (Weiter-)Entwicklung des Internets, dass immer mehr zivilgesellschaftliche „watchdogs“ von Blogs bis zu Whistleblower-Plattformen neben den klassischen Massenmedien entstanden. Andererseits ging mit der Digitalisierung technisch ein enormer Sprung hinsichtlich der Archivierbarkeit, Vernetzbarkeit und Prozessierbarkeit von Daten einher (Berg et al. 2020, S. 14). Daran kann die typisch moderne Utopie einer perfekten Steuerung durch Informationsakkumulation anschließen. Dabei geht es wohlgemerkt nicht um die Vorteile digitalisierter Verwaltung, sondern um die insgeheime Überzeugung, dass man nur mehr Informationen schneller verarbeiten müsse, um automatisch zur bestmöglichen, rationalen Entscheidung zu kommen. Diese Utopie perfekter, rationaler Steuerung, die die Transparenz-Idee seit jeher beflügelte, erschien nun auch technisch machbar.

3.3Transparenzmaßnahmen

Trotz dieser historisch unterschiedlichen Wiederaufnahmen und Anverwandlungen des Transparenz-Imperativs blieb das Repertoire zur Herstellung von Transparenz über Zeit und soziale Felder hinweg erstaunlich stabil. Grundlegend trifft man immer wieder auf vier Kategorien, in denen dann natürlich schon allein wegen technischer Veränderungen immer neue konkrete Praktiken entstanden sind (August 2018; 2019):

Transparente Architektur: Was heute nur eine symbolische Relevanz zu haben scheint, war zu früheren Zeiten material relevant. Bentham etwa argumentierte nicht nur, dass nur mit Licht und Luft bestimmte Hygienemaßstäbe erreicht werden könnten, sondern auch, dass transparente Architektur dafür sorgen würde, die Verwaltungsangestellte und Abgeordneten tatsächlich beobachtet und so kontrolliert werden können, z.B. durch die Presse im Plenarsaal. Die Einsehbarkeit des Plenarsaals, die Sichtbarkeit der Tagesordnung und viele weitere Elemente ziehen sich bis in die Gegenwart.

Umfängliche Dokumentations-, Veröffentlichungs- und Monitoring-Systeme. Die technischen Möglichkeiten haben sich hier offensichtlich deutlich verändert, aber der Grundgedanke ist geblieben: Ein entscheidender Teil bei der Herstellung von Transparenz besteht darin, dass sowohl die Institutionen als auch dritte Parteien das Geschehen nach bestimmten, „transparenten“ Kriterien dokumentieren und veröffentlichen müssen – und dass es dann Verfahren und Institutionen gibt, die diese Informationen sichten, etwa die „freie Presse“. Im Alltag bedeutet diese Dokumentationspflicht natürlich, dass die Menschen in den Organisationen permanent damit beschäftigt sind, Formulare, Fragebögen oder Protokolle auszufüllen.

Formalisierung und Standardisierung von Sprechen und Handeln.