Inhaltsverzeichnis
Titel
Widmung
Vorwort
Sophias Brief
Einleitung
Die Beziehung zu meinem Kind und welche Rolle die Träume dabei spielen
Zeit für Kinderträume?
Copyright
Markus Salhab ist Diplom-Psychologe und beschäftigt sich im Rahmen seiner Beratungstätigkeit intensiv mit der Traumdeutung. Er arbeitet als Psychologe mit Kindern und Jugendlichen und leitet Seminare zur Traumdeutung. Markus Salhab lebt in Villingen im Schwarzwald und hat einen Sohn. www.markussalhab.de
Bianca Jäger unterrichtet nach einem Studium der Erziehungswissenschaften und Sozialen Verhaltenswissenschaften an einer Berufsfachschule Pädagogik und Psychologie. Sie leitet Elterngruppen und betreut verhaltensauffällige Kinder im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe. Bianca Jäger ist verheiratet und hat zwei Töchter.
Für Eduard.Für Theresa.Für Vera.
Vorwort
Wenn ich so aus dem Fenster blicke, dann staune ich über die Hektik und Rastlosigkeit der Menschen. Was treibt sie wohl an, was denken sie bloß und wonach streben sie?
Wo man auch hinsieht, Menschen verwenden ihre Zeit darauf, ihr Leben, ihre Kinder und ihre Familien zu optimieren. Aber was ist ein optimales Leben? Was macht mein Leben und das anderer Menschen wirklich wertvoll? Wer bin ich und wer möchte ich sein?
Die Antworten tönen so laut und beharrlich aus allen Kanälen, dass sie niemand überhören kann: Wer zur richtigen Zeit das verheißungsvollste Produkt kauft, sich die neuesten Infos so schnell wie möglich beschafft und die coolste und beste Dienstleistung in Anspruch nimmt, dem ist das Lebensglück gewiss. Und obwohl wir uns stets darüber im Klaren sind, dass dem nicht so ist, halten wir uns - die Kinder an der Hand - im Hamsterrad gesellschaftlicher Konventionen und Verpflichtungen am Laufen, unermüdlich den modernen Heilsversprechungen folgend. Wollen wir das? Und vor allem, was wollen wir für zukünftige Generationen - was wollen wir für unsere Kinder?
Bianca Jäger und Markus Salhab scheinen etwas anderes im Sinn zu haben, wenn sie mit Kindern über deren Träume sprechen. Sich Zeit nehmen, einfühlsam und mit ganz großen Ohren den Traumerlebnissen der Kinder lauschen. Nicht gerade zeitgemäß, und trotzdem folgen die Autoren einer großen inneren Bedürftigkeit unserer Kinder. Markus Salhab und Bianca Jäger halten in Ihren Traumgesprächen die Zeit an und führen uns in die sakralen Räume kindlicher Spiritualität. Das wunderbare an der Botschaft dieses Buches: Väter wie Mütter können mit einfachen Mitteln in die zauberhafte und manchmal bedrohliche Traumwelt ihrer Kinder hinabsteigen und mit Dingen in Berührung kommen, die unter dem Verpackungsmüll moderner Lifestyleprodukte vergraben liegen.
Michael Hertweck Vater
Sophias Brief
Liebe Mama, lieber Papa
wegen heute Morgen bin ich richtig traurig. Da war es blöd. Ich wollte euch doch erzählen, was ich geträumt hab. Und da bist du ganz böse geworden, Mama, und hast gesagt, ich soll damit aufhören, so Geschichten zu erzählen. Lieber soll ich Schuhe binden und meinen Schulranzen zusammenpacken. Weil ihr meinen Traum also nicht hören wollt, schreib ich das jetzt auf, und dann könnt ihr es lesen.
Ich habe nämlich geträumt, dass ich fliegen kann. Ich war in Evas Zimmer, da hat sich auf einmal der Sessel bewegt. Ich bin dann die Kellertreppe hinunter geflüchtet. Papa hat mich überholt, da habe ich noch mehr Angst gehabt. Im Keller war die kaputte Dusche, die Papa immer noch nicht repariert hat. Dann ist das Wasser ausgelaufen und ist immer höher und höher gestiegen. Ich bin einfach davon geflattert, weil vorher hatte ich fliegen geübt und bin über das Hausdach geflogen. Das war mein Traum.
Ihr sagt immer, dass ihr gar nichts träumt, aber das stimmt überhaupt nicht. Selbst mein Hase träumt, wenn er die Augen zu hat. Tiere sind gar nicht so anders, denn mein Hase schläft auch so wie wir, deswegen kann er auch was träumen. Sicher glaubt ihr mir das nicht, aber das stimmt. Ich weiß es. Es wär sooo langweilig ohne träumen. Nur manchmal, da träum ich was Blödes. Aber das geht wieder weg, wenn ich an was Schönes denk.
Gefällt euch jetzt mein Traum?
Eure Sophia - ich hab euch ganz arg lieb.
Einleitung
Kinder überraschen Eltern meistens ganz ohne Vorwarnung mit ihren sonderbaren Traumgeschichten - oft genug gerade dann, wenn sie weder Zeit noch Lust haben, um sich damit zu beschäftigen. Selbst noch im Halbschlaf, liegt einem erst einmal nur daran, die Kleinen zu beruhigen: »Schau, der Wolf ist gar nicht mehr da, du hast nur schlecht geträumt.«
Oder am Frühstückstisch zwingt uns die 5-Jährige in mehrmaligen Anläufen dazu, doch endlich wach zu werden, wenn sie von ihrem Traum mit dem riesigen Elefanten erzählen will. Ob sich der Dickhäuter den nötigen Platz verschaffen kann? Normalerweise hört man als Mutter oder Vater mit halbem Ohr zu, freut sich über die lebhafte Fantasie der Kleinen und achtet darauf, dass alles seinen gewohnten Gang nimmt. Und wenn es dann im Haus ruhiger geworden ist, hören Eltern manchmal ihre neugierige innere Stimme, die so viele Fragen stellt: Was bedeutet es eigentlich, wenn Kinder von Spinnen oder anderen Tieren träumen? Ist es bedenklich, wenn die Träume der Kinder von Ungeheuern, Monstern oder bösen Hexen bevölkert sind? Können das auch Mütter und Väter herausfinden - oder sollte man dies in jedem Fall Fachleuten überlassen? Und weil sich Eltern meistens die Antworten darauf schuldigbleiben, beruhigen sie diese neugierige Stimme, indem sie den Sinn des Ganzen infrage stellen: Ist es überhaupt lohnend, Träume von Kindern zu beachten, oder sollte man sie besser dorthin zurückschicken, woher sie gekommen sind: In das private Seelenreich des Kindes mit seiner komplizierten Architektur aus Wünschen, Fantasien und unausgesprochenen Verletzungen?
Es mag verschiedene Gründe geben, warum Sie sich diesen Leitfaden gekauft haben: Vielleicht möchten Sie wissen, wie Sie auf die Traumerzählungen Ihres Kindes eingehen sollen, oder Sie suchen nach konkreten Tipps und Hilfe für Kinder, die unter Alpträumen leiden. Möglicherweise hat Ihr Kind immer wieder den gleichen Traum. Vielleicht wurde Ihnen dieses Buch auch von einer Freundin empfohlen und nun blättern Sie neugierig darin. Oder Sie haben selbst intensive Erfahrungen mit Ihren Träumen gemacht und möchten nun auch Ihr Kind in die Geheimnisse der menschlichen Seele einweihen. Was auch immer Sie dazu bewogen hat, dieses Buch zu kaufen, es wird Ihnen helfen, den Träumen und ganz besonders den Träumen Ihrer Kleinen neu zu begegnen: Selbstbewusst und voll Vorfreude, statt irritiert und befremdet, das ist unser Anliegen. Wir möchten Sie zum Experten der Träume Ihrer Kinder machen, denn wer könnte einen besseren Zugang dazu finden als Sie. Mama und Papa sind es, denen das Kind am Morgen seinen Traum erzählen will und die es abends zum Erinnern eines Traums ermutigen. Vor allem aber können Eltern einen Traum schon deshalb leichter als andere verstehen, weil sie die Lebensumstände ihrer Kinder am besten kennen. Was Sie jetzt noch brauchen, um zu wirklichen Traumexperten zu werden, können Sie sich mit Hilfe des Leitfadens leicht erarbeiten.
Sie ahnen sicher, dass wir Ihnen kein Nachschlagewerk an die Hand geben, mit dem Sie bestimmte Traumsymbole entschlüsseln können. Die Hoffnung, die Erklärung von Symbolen und Traumbildern in einem Lexikon zu finden, hat sich erstaunlicherweise - trotz des ungebrochenen Glaubens an Aufklärung und Fortschritt - bis heute fast unverändert erhalten. Aber gehen Sie einmal in eine Buchhandlung und vergleichen Sie die Symbolerklärungen zu ein und demselben Symbol in verschiedenen Büchern. Sie werden selten übereinstimmende Erläuterungen zu den Traumbildern finden.
Unsere Traumpraxis zeigt, dass das Nachschlagen von Symbolen wenig hilfreich ist, wenn Sie etwas über die Träume Ihrer Kinder erfahren wollen. In der Tat würde ein solches Vorgehen auch unseren Überzeugungen zuwiderlaufen, zu denen wir aus eigenen Erfahrungen und infolge der Kenntnis der neueren wissenschaftlichen Traumforschung gelangt sind: Der Traum ist neben den Erfahrungen im Wachen eine weitere bedeutsame Ausdrucksform des menschlichen Erlebens und nur eine von verschiedenen möglichen Bewusstseinsarten. Träume sind darüber hinaus aber auch ganz individuelle Geschehnisse, deren Themen sich aus den Tageserlebnissen und den damit verbundenen kindlichen Gedanken und Empfindungen speisen. Träume zu verstehen bedeutet schließlich, diese Brücken zwischen den Traum- und Wacherfahrungen benennen zu können. Aber wie kann uns das gelingen? Es klingt ganz einfach: Über den Dialog mit dem Kind. Unser wichtigstes Anliegen ist es, Sie für den Verstehensprozess selbst - also das Gespräch über Träume - zu begeistern.
Mit diesem Buch laden wir Sie und Ihr Kind dazu ein, miteinander auf eine Erkenntnisreise zu gehen: Ungeahnte Stärken des Kindes aufzustöbern, seinen Umgang mit Konflikten näher kennenzulernen oder die eigene Sensibilität zu erfahren, die wir oft in der Hektik des Wachlebens unterschätzen. Bizarre, fantastische Traumlandschaften bleiben uns so lange fremd, bis wir uns vor die Tür unseres bewussten Denkens wagen. Bei der Suche nach den Quellen der Traumbilder tasten wir uns an den Bereich der unbewussten Bedürfnisse und den damit verbundenen Gefühlen unseres Kindes heran. Wie beim Wandern in unwegsamem Gelände besteht der Lohn des manchmal anfänglichen Zauderns darin, trittsicherer zu werden und Neues bestaunen zu können. Als Lohn der Anstrengung stellen Kinderträume überaus hilfreiche Antworten bereit auf eine von Eltern am häufigsten gestellte Frage: »Was braucht mein Kind?« In der Erziehung macht uns häufig nicht das sicherer, was andere uns raten. Sicherer und zufriedener können wir vor allem dann werden, wenn wir uns immer wieder mit der Frage befassen: Was bewegt dieses einzigartige Wesen?
Jeder Traum gibt eine höchst individuelle Antwort auf diese Frage. Aber noch in vielerlei anderer Hinsicht sind die Träume Ihres Kindes bereichernd - ja wahre Schatzkammern:
• An allererster Stelle unterstützen Traumgespräche die Fähigkeit des Kindes zur Selbstreflexion.
• Traumgespräche können eine Qualität entfalten, die Sie mit Ihrem Kind intensiver ins Gespräch kommen lässt als sonst.
• Ein Traum kann uns dabei helfen, Glaubenssätze über unser Kind zu überdenken und besondere Stärken zu entdecken: »Ich wusste gar nicht, dass mein Kind so selbstbewusst sein kann, im Traum hat es sich nichts gefallen lassen …«
• Wir haben die einzigartige Chance, uns selbst aus der Sicht des Kindes wahrzunehmen: »War die Hexe genauso streng, wie ich es manchmal bin?«
• In Gesprächen - auch und gerade über belastende Träume - können Kinder zu einem kreativen Umgang mit Problemen angeregt werden. Indem Kinder selbstständig zu Lösungen finden, gewinnen sie an Selbstvertrauen.
• Mit Träumen helfen wir Kindern auf natürliche Weise und ohne Extraaufwand, eine Vielzahl wichtiger Fähigkeiten zu entwickeln. Um nur einige zu nennen: Im Sprechen über Träume trainieren Kinder ihr Erinnerungsvermögen und ihre sprachliche Ausdrucksfähigkeit. Die besondere Gesprächssituation schafft aber vor allem die besten Bedingungen dafür, dass Kinder wichtige emotionale und soziale Kompetenzen entwickeln.
• Die Arbeit mit Träumen eröffnet Wege, um spirituelle Bedürfnisse zu befriedigen. Kinder erfahren, dass Lebenszufriedenheit und Glück nicht von Zufällen oder äußeren Bedingungen abhängen.
Bevor Sie die Schatzkammer öffnen, bevor wir Ihnen also ganz konkret verraten, wie Sie Traumgespräche führen können, haben wir diesem Buch zwei einführende Kapitel vorangestellt. Im ersten Kapitel, in dem es um die Beziehung zu Ihrem Kind und die Rolle der Träume geht, stellen wir die unschätzbaren Vorzüge von Traumgesprächen heraus. Im zweiten Kapitel betrachten wir das Wesen der Träume aus einer modernen Perspektive. Im dritten Kapitel erhalten Sie schließlich einen Leitfaden, anhand dessen wir Sie in klar nachvollziehbaren Schritten darauf vorbereiten, wie Sie mit Ihrem Kind so über seinen Traum sprechen können, damit daraus ein erhellendes Erlebnis wird. Dazu stellen wir Ihnen verschiedene Gesprächsund Fragetechniken vor, die Sie leicht umsetzen können. Mit den anschließenden Gesprächsbeispielen bekommen Sie einen guten Eindruck davon, wie man Traumgespräche führen kann, welche erstaunlichen Erkenntnisse sie hervorbringen und wie man diese praktisch verwerten kann.
Worauf gründet dieses Buch? Alle unsere Erfahrungen entspringen der täglichen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in Schulen und Beratungsstellen. Wir fördern, stärken und begleiten Eltern, Kinder und Jugendliche, arbeiten mit Familien und bilden ErzieherInnen aus. Darüber hinaus führen wir Traumseminare für Erwachsene und Kinder durch. Unsere beruflichen Erfahrungen in allen diesen Bereichen zeigen immer wieder, wie sehr Kinder in ihrer Entwicklung darauf angewiesen sind, als Person mit allen Stärken, Schwächen, widersprüchlichen Gefühlen und manchmal seltsamen Bestrebungen gesehen zu werden. Jede positive Veränderung beginnt nach unserer Auffassung mit diesem uneingeschränkten »Ja« zum Kind. Das mag uns sonnenklar vorkommen und doch wissen Eltern, wie schwer es sein kann, diesem Anspruch im Alltag gerecht zu werden. Oftmals wissen wir nicht, was unser Kind gerade umtreibt, oder wir sind so sehr mit unseren eigenen Zielen beschäftigt, dass wir darüber wichtige Beziehungsbedürfnisse vernachlässigen. Träume und Traumgespräche helfen, uns zu »erden«, immer wieder das uneingeschränkte »Ja zum Kind« zu pflegen. Der Schlüssel zu diesem »Ja« führt über das Verstehen.
Was meinen wir damit? Nicht nur Kinder, wir alle brauchen andere Menschen, die uns von Zeit zu Zeit dabei behilflich sind, Ordnung in unserem Inneren zu schaffen. Unordnung äußert sich bildlich gesprochen vor allem in dem, was uns im Moment stört, was nicht zu dem passt, was wir schon besitzen oder wofür wir in unserem Leben gerade keinen Platz haben. Auch Kinder werfen so manches lästige Thema erst einmal in die Ecke, um nicht darüber zu stolpern: Gefühle wie Neid und Eifersucht auf den kleineren Bruder; Angst davor, als schwächlich, dumm oder faul zu gelten, wenn man das Sportabzeichen nicht schafft; oder die Ohnmacht, wenn sich Mama und Papa streiten. Solche bedeutenden Seelenbewegungen sind häufig der Stoff, aus dem die Träume sind. In Traumgesprächen erfahren Eltern viel über die Hintergründe und die Entstehung solcher Gefühle. Sie können leicht nachvollziehen, was in ihrem Kind vor sich geht und können dies deshalb authentisch zum Ausdruck bringen: »Jetzt ist es mir klar: Die Maus im Traum sitzt ganz ängstlich unter dem Bett und rührt sich nicht vom Fleck. So ergeht es dir auch immer, wenn ich mich mit Papa streite. Es muss wirklich schlimm für dich sein, nichts dagegen tun zu können.« Mit einem solchen verstehenden »Ja« helfen Eltern ihrem Kind, regelmäßig Ordnung in ihren Seelenhaushalt zu bringen und damit »Ja« zu sich selbst zu sagen.
Wir sind davon überzeugt, dass Menschen grundsätzlich alle Fähigkeiten besitzen, um anderen dabei zu helfen, mehr Klarheit über sich selbst und ihre Beziehung zu anderen zu erlangen - um nichts anderes geht es in Gesprächen über Träume. Sie brauchen weder Therapeutin noch Seelsorger zu sein, denn fast jeder Mensch hat von Geburt an erfahren, wie wohltuend und stärkend es ist, wenn sich uns eine vertraute Person - anfangs die Mutter, später Freunde, Geschwister oder der Partner - einfühlsam zuwendet. Diese Erfahrungen bilden eine Art »emotionales Gedächtnis«, das als Wegweiser in der Gestaltung guter Beziehungen fungiert. Es ist gleichzeitig die Basis dafür, dass Traumgespräche zwischen Eltern und Kindern gelingen können. Eltern mögen aus verschiedenen Gründen zeitweise vom Weg abkommen und vergessen haben, wie sich der intensive Kontakt zu ihrem Kind anfühlt und wie sie ihn wieder pflegen können. Doch üblicherweise müssen sie die dafür notwendigen Fähigkeiten nicht von Grund auf neu lernen, sondern nur wiederbeleben und anwenden. Warum nicht nach dem Weg fragen oder sich von jemandem ein Stück begleiten lassen? Wir werden Sie in diesem Buch eine Zeit lang an die Hand nehmen, bevor Sie schließlich ganz alleine mit Ihren Kindern die ersten Traumausflüge starten und interessante Entdeckungen machen.
Wir wünschen Ihnen viel Spaß dabei!
Die Beziehung zu meinem Kind und welche Rolle die Träume dabei spielen
Über unsere Familienbeziehungen denken wir meistens erst dann nach, wenn es Probleme gibt. Wenn die Kinder unsere Bitten schon länger nicht mehr hören und wir meinen, nur noch mit Strafen und Drohungen durchzukommen. Wenn sich die 12-Jährige gleich nach dem Essen für den Rest des Tages vor den Computer verzieht und man sich nur noch angesprochen fühlt, wenn es dringend etwas zu erledigen gibt, das alleine nicht zu bewerkstelligen ist. Dabei sind die eigenen Sorgen, über die man auch gerne mal mit jemandem sprechen würde, noch nicht mitgerechnet. Irgendwie fühlt man sich ausgelaugt, zu wenig beachtet und in dem, was man tagtäglich leistet, nicht genügend anerkannt. Das ist bei Kindern wohl kaum anders als bei Erwachsenen. Schließlich ist die Familie der Ort, von dem die meisten Menschen erwarten, dass er ihre Bedürfnisse nach Zugehörigkeit, Wärme und Vertrauen am ehesten erfüllt. Doch was macht das Zuhause eigentlich zu einer Art Tankstelle, an der wir den richtigen Treibstoff für das manchmal raue Leben da draußen nachfüllen können? Sicher gibt es auf diese Frage mehr als eine Antwort, je nachdem aus welchen Erfahrungen und Erlebnissen Eltern und Kinder besonders viel Kraft schöpfen. Doch ganz egal, ob man gerne zusammen Sport treibt, ins Kino geht oder kocht - immer wird es darauf ankommen, sich dabei wieder einmal genauer anzuschauen, positive Seiten und Besonderheiten am anderen neu oder wieder zu entdecken. Und das ganz ohne Druck und äußere Not, ganz einfach indem man miteinander spricht.
Ganz klar, wie es uns in der Familie geht, hängt sehr davon ab, ob wir uns regelmäßig Zeit für gute Gespräche nehmen. Sie sind sozusagen das Kraftfutter für ein entspanntes Familienleben. Doch nicht jedes Gespräch macht auch seelisch satt. Bei manchen scheinen wir sogar zu verhungern. Selbst wenn Eltern und Kinder viel und gerne reden, heißt das nicht, dass sie wirklich miteinander sprechen. Man redet oft genug eher aneinander vorbei als miteinander. Papas Vortrag beim Mittagessen über die neuesten politischen Ereignisse, die uns vielleicht alle irgendwie etwas angehen. Das interessiert aber im Moment niemanden. Und Mama? Sie fragt jeden Tag, wie es in der Schule war, aber nur, weil man das eben so macht oder um schnell das Nötigste zu erfahren. Mit einem knappen »ganz okay« ist sie einverstanden, denn sie ist schon zufrieden, wenn es keinen Ärger gab. Natürlich sagt sie das nicht, aber man sieht, dass sie es denkt. Ein wirkliches Gespräch ergibt sich selten aus klugen Vorträgen. In wertvollen Gesprächen geht es nicht darum, sein aufgestautes Erzählbedürfnis zu stillen und andere dazu zu benutzen, alles aufzunehmen, was einem gerade einfällt.
Ziel ist es auch nicht, sich mal schnell im Vorbeigehen nach der Befindlichkeit des anderen zu erkundigen. Gute Gespräche leben mehr vom Zuhören als vom Sprechen und brauchen Zeit, um sich zu entwickeln. Man erkennt sie wohl am ehesten daran, dass sich die Gesprächspartner aufeinander beziehen. Das geschieht dann, wenn wir uns offen und neugierig auf andere zubewegen. Wir merken das bereits an der Art, wie wir fragen. Aus dem »Wie war’s in der Schule?« wird dann vielleicht ein »Magst du erzählen, wie es gerade mit den Projektarbeiten läuft?« Erst wenn wir miteinander sprechen, können wir uns wirklich verständigen.
Über Traumerzählungen von Kindern gelingt es besonders gut, mit Kindern so zu sprechen, dass jeder dem anderen ein gutes Stück näherkommt. Das klappt natürlich nicht von selbst sondern nur, wenn Eltern mit einer besonderen Haltung und innerlich überzeugt an die Arbeit mit Träumen herangehen. Damit dies besser gelingt, möchten wir Sie in den folgenden Kapiteln mit den zahlreichen Vorteilen und Möglichkeiten bekanntmachen, die in Traumgesprächen enthalten sind. So viel aber schon jetzt: Wenn Kinder einen Traum erzählen wollen, ist es so, als schenkten sie ihren Eltern eine Eintrittskarte, die ihnen gleich in zwei Richtungen Zutritt verschafft: Zum einen zur Bühne des Traums, auf der ein Stück aus dem kindlichen Seelenleben uraufgeführt wird. Und zum anderen zu einem Workshop, bei dem man lernt, mit Kindern so zu sprechen, dass dabei jeder richtig satt wird.
Zeit für Kinderträume?
Es ist Montagmorgen, 7.30 Uhr, bei Familie K.: »Schnell, schnell wir müssen in den Kindergarten - ich komme sonst zu spät zur Arbeit. Luisa, kannst du denn deine Schuhe immer noch nicht alleine binden? Ja und Maaartin: Kaufst du heute mal ein - ich war letztes Mal dran.«
Ein Ausschnitt aus dem Familienalltag, wie ihn sicher viele Eltern kennen. Beruf, Haushalt, Kinder, Ansprüchen von Chefs, Partnern und Eltern gerecht werden und versuchen, alles unter einen Hut zu bringen. Da drängt sich die Frage auf, ob es nichts Wichtigeres gibt, als mit Kindern über ihre Träume zu sprechen. Die Hausaufgaben, Hamsterkäfige sauber machen, danach das Turnzeug richten, bevor es zum Sport geht. Eigentlich halten einen Traumgeschichten doch nur auf und meistens verstummen sie auch unter dem lauten Tönen des Sollens und Müssens. Natürlich steckt keine böse Absicht dahinter, wenn Mama oder Papa die Traumerzählerin vertrösten: »Schön, dass du was geträumt hast, aber ich muss dringend noch telefonieren. Vielleicht erzählst du mir deine Geschichte nachher auf der Fahrt zum Einkaufen.« Kinder entnehmen solchen Äußerungen oft mehr: Sie bekommen mit, dass bestimmte Anliegen für Ihre Eltern nicht interessant sind - und dazu gehören offensichtlich ihre Träume. Ist die Beschäftigung mit Träumen tatsächlich Zeitverschwendung oder reiner Luxus angesichts von Terminstress und wichtigeren Dingen, die es zu erledigen gibt? Sicher
Originalausgabe 06/2010
Copyright © 2010 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Umschlaggestaltung: Werkstatt München, unter Verwendung eines Bildes von mauritius images/dieKleinert
eISBN : 978-3-641-04685-9
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