Traumprinz nach Rezept - Claudia Siegmann - E-Book

Traumprinz nach Rezept E-Book

Claudia Siegmann

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Beschreibung

Manchmal hätte Feli gern ein ganz normales Leben. Aber mit einer Hexe als Mutter und einem sprechenden Staubsauger als Zimmermädchen kann sie sich das abschminken. Wenigstens konnte sie die magischen Fähigkeiten ihrer Familie geheim halten - bis zu dem verhängnisvollen Mädelsabend. Da kommt zufällig eine Backmischung mit Magie in Berührung und plötzlich steht er leibhaftig vor: Adam, der absolute Traumprinz. Bezaubernde Romantasy

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Seitenzahl: 299

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Als Ravensburger E-Book erschienen 2016 Die Print-Ausgabe erscheint in der Ravensburger Verlag GmbH© 2016 Ravensburger Verlag GmbH Copyright © 2016 by Claudia Siegmann-GabrielDieses Werk wurde vermittelt durch die Michael Meller Literary Agency GmbH, München.Lektorat: Kathrin BeckerUmschlaggestaltung: Maria Seidel, TeisingVerwendete Fotos von © oneinchpunch/Thinkstockphotos und © 578 foot/ThinkstockphotosInnenlayout: Daniela GöpffarthVerwendetes Motiv von © Alice Vacca/ShutterstockAlle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg.ISBN978-3-473-47712-8www.ravensburger.de

So, das war’s dann! Unser gesellschaftlicher Abstieg war nun endgültig besiegelt. Kathinka Bergmann hatte offenbar den kompletten Jahrgang und einige ältere Schüler zu ihrer Geburtstags-Poolparty eingeladen, nur Lena und mich nicht. Sogar der komische Junge, dessen Namen sich niemand merken konnte, hatte eine Einladung bekommen. Und das garantiert nur, damit wir uns noch mieser fühlten.

»Mist«, murmelte Lena und warf das Geschichtsbuch regelrecht in ihre Tasche. »Feli, weißt du, was das bedeutet? Sarah kann sich auf Kathinkas Party ungehindert an Leon ranschmeißen. Ich seh die beiden schon im Pool rumknutschen. Und wie sie mit Margaritas darauf anstoßen, dass ich nicht dabei bin.«

»Quatsch! Die werden auf einem fünfzehnten Geburtstag doch keine Cocktails bekommen«, sagte ich und fühlte mich schuldig, weil ich nichts Besseres erwidern konnte. Lena war bis über beide Ohren in Leon verknallt. Und das, obwohl ich der Meinung war, dass sie sich einen Jungen mit einem anderen Vornamen aussuchen sollte, weil sie ansonsten nur noch LeLe genannt würden. Von mir zumindest. »Und Leon wird gar nicht auffallen, dass du nicht dabei bist, weil ihm auch nicht auffällt, wenn du dabei bist.«

»Ey!«, motzte Lena, blickte mich finster an, ließ dann ihren Kopf ein paarmal auf die Tischplatte dotzen und sagte niedergeschlagen: »Du hast ja Recht. Ich bin ein Nichts. Ein unwürdiges, klitzekleines Nichts ohne Einladung zur Poolparty.«

»Ja. Genau wie ich. Und jetzt reiß dich zusammen«, sagte ich streng, erhob mich und zeigte zur Tür. »Wir haben gleich Mathe. Da brauchen wir unsere geballte Konzentration.«

»Konzentration, Felicitas. Wo bist du nur mit deinen Gedanken?«, mahnte Lena im Tonfall unseres Mathelehrers, den wir nur Hochzwei nannten.

Als ob das eine Frage der Konzentration wäre. Lustlos verließen wir den Geschichtsraum und begaben uns in unser Klassenzimmer. Ich war schlecht in Mathe, gruselig schlecht. Immer wenn ich eine Rechenaufgabe lange genug ansah, begann irgendwo in meinem Kopf eine Stimme zu summen und die Zahlen legten ein Tänzchen zwischen den Kästchen hin. Das war hübsch, aber mathematisch gesehen absolut nutzlos. Lena meinte sogar, ich säße dann immer wie weggetreten da, und zwar mit offenem Mund, ein bisschen wie ein Dorftrottel.

Und jetzt war wieder eine Doppelstunde Dorftrottelzeit. Zum Glück begann Hochzwei heute mit einem neuen Thema. Das versetzte ihn nämlich immer so sehr in Verzückung, dass nichts hinter der ersten Strebersitzreihe zu existieren schien und wir nur mucksmäuschenstill von der Tafel abschreiben mussten.

Wir hatten unsere Plätze noch nicht ganz eingenommen, da drehte sich Kathinka zu uns um und lächelte gehässig. »Sagt mal, ihr beiden, was werdet ihr denn Samstag machen?«

Sarah, die neben ihr saß, kippelte mit dem Stuhl und meinte abschätzig: »Was sollen die schon machen? Langweilen werden die sich. Wie immer.«

»Nein, das werden wir bestimmt nicht«, sagte Lena und wurde ganz rot vor Ärger. »Feli und ich geben selbst eine Party.«

Ich dachte gerade darüber nach, wann wir das beschlossen hatten, da hörte Sarah auf zu kippeln und drehte sich nun ebenfalls zu uns um. Ihre getuschten Wimpern stießen beinahe an die Brauen, so sehr riss sie die Augen auf. »Aber alle, die ihr kennt, sind am Samstag bei Kat.«

»Wir feiern allein«, erwiderte Lena, und ich machte mir nun ernsthaft Sorgen um ihren Gesundheitszustand. Dieses Lila im Gesicht sah gar nicht gut aus.

»Das ist doch keine Party, Dummchen. Zwei sind zu wenig für eine Party«, meinte Sarah herablassend. »Wenn ihr nur nicht so schrecklich kindisch wärt und ein kleines bisschen mehr Style hättet, hätte Kat euch vielleicht sogar eingeladen.«

»Ach, halt die Klappe, fiese Giftspritze«, sagte ich, doch Sarah und Kathinka hatten bereits das Interesse an unserem Austausch von Beleidigungen verloren und folgten wieder Hochzweis Ausführungen.

Ich fand unseren Style ganz okay, Jeans und T-Shirt passten immer. Im Vergleich zu Kathinkas und Sarahs täglichen Outfitorgien wirkte das natürlich jämmerlich. (Mich wunderte, dass Kathinka nicht gleich einen eigenen Umkleideraum in der Schule anmietete, dann könnte sie sich für jede Stunde neu umziehen. Für Geschichte ein Glitzertop, für Mathe etwas Kariertes und für den Französischunterricht ein gediegenes Ensemble in Bleu.) Wir konnten da nicht mithalten. Das Gleiche schien auch Lena zu denken, denn sie murmelte wieder »Mist«. Für einen Augenblick befürchtete ich, sie würde ihren Kopf erneut auf der Tischplatte aufschlagen lassen. Um sie zu trösten, sagte ich schnell: »Ich komme Samstag zu dir und wir feiern selbst.«

»Das geht nicht.« Lena sah mich unglücklich an. »Jonas ist krank.«

»Oh, das tut mir leid.« Das tat es wirklich. Aber nicht um Lenas kleinem Bruder Jonas, sondern weil Lena dann zu mir würde kommen müssen.

Es gab zwei Regeln, die es zu beachtet galt, wenn wir bei uns zu Hause Besuch empfingen. Erstens: niemals unangemeldete Gäste hereinlassen. Zweitens: Samstag ist Putztag. Samstags zählt Erstens gleich doppelt. Und das bereitete mir nun Kopfschmerzen. Jeden Samstag wird unser Haus von einem gewissen Major auf der Suche nach Staub regelrecht auf den Kopf gestellt. Der Major ist sehr gewissenhaft. Der Major hält sich infolge mehrerer unaufgeklärter Missverständnisse für einen echten Major. Der Major ist ein Staubsauger.

Meine Mutter hatte ihn von ihrer Mutter, und wahrscheinlich glaubte sie, sie könnte diesen Putzteufel irgendwann an mich loswerden.

Lena schien mein Zögern nicht zu bemerken und strahlte. »Also komme ich zu dir und wir gucken uns ein paar Vampirfilme an. Das wird super!«

»Das wird dem Major aber gar nicht gefallen«, murmelte ich.

»Wem wird das nicht gefallen?«

»Unserem Staubsauger.« Ich biss mir auf die Zunge. »Egal, Samstag bei mir. Vampire und Werwölfe. Da sind wir zumindest in besserer Gesellschaft als auf dieser blöden Poolparty zwischen all den hochnäsigen Schminkzombies und hohlen Modemumien.«

Wir kicherten und gingen gleich darauf hinter unseren Heften in Deckung, als Hochzwei sich umdrehte.

»Was ist denn da los? Konzentration, bitte!«

Den restlichen Tag versuchten Lena und ich zu ignorieren, dass alle nur noch von der Party sprachen.

»Ich dreh durch, wenn mich noch jemand fragt, ob ich auch komme«, sagte Lena und schlug ihr Französischbuch auf. »Ehrlich, dann gibt es Tote.«

»Mach dir nichts draus«, nuschelte ich, obwohl ich mich mindestens genauso sehr darüber ärgerte. Leon, dieser Angeber, erzählte gerade, dass er von seinem Vater eine extra teure, exakt auf das Tausendstel einer Sekunde gehende Taucheruhr bekommen hatte. Die würde er auch beim Schwimmen in Kathinkas Pool nicht ablegen müssen. Von mir aus konnte er gleich ganz im Pool bleiben und wie das Vögelchen einer Kuckucksuhr zu jeder halben und vollen Stunde die exakte Uhrzeit herausschreien. Ich hatte noch nie verstanden, was Lena an diesem Schnösel fand. Zugegeben, er sah ganz gut aus, aber so toll, wie er glaubte, war er nun auch wieder nicht.

Mein Schulweg führte mich, wenn ich zwei Straßen als Umweg in Kauf nahm, an Lenas Haus vorbei. Abgesehen von dem einen Mal, als wir einen Tag lang nicht miteinander geredet hatten (woran Kathinka und Sarah schuld waren, weil sie behauptet hatten, ich hätte etwas Gemeines über Lena gesagt), holte ich Lena jeden Morgen ab und trat auch den Heimweg gemeinsam mit ihr an.

So hatte ich sie auch an diesem Tag abgesetzt und ging nun langsam durch unsere Straße auf unser Haus zu. Von außen hatte der alte Kasten den Namen Haus gar nicht verdient. Er stand mit durchhängendem Dach etwas traurig da. Die schmutzig graue Fassade fiel noch mehr auf, weil Ma die Fensterrahmen gestrichen hatte, und zwar jeden Einzelnen in einer anderen, knallbunt leuchtenden Farbe. Man wäre gar nicht auf die Idee gekommen, wie gemütlich es im Innern aussah. Aber das war volle Absicht.

In den anderthalb Jahren, die wir nun hier wohnten, hatte ein Baum unter dem Einfluss meiner Mutter ein mehr als ordentliches Wachstum gezeigt. Er sorgte verlässlich dafür, dass niemand von der Straße aus zum Küchenfenster hineinsehen konnte.

Dafür war ich dem Baum sehr dankbar. Die Küche meiner Mutter war, sagen wir, recht speziell, so wie meine Mutter selbst auch. Ma braute dort ihre Tränke zusammen und stellte allerlei Pulver und Salben her, ging also für Hexen durchaus gewöhnlichen Tätigkeiten nach. Wie mir der dunkelviolette Qualm verriet, der gemächlich aus dem Schornstein emporstieg, tat sie das auch in diesem Augenblick. Mir blieb aber auch nichts erspart.

Ich seufzte, umklammerte die Träger meines Rucksacks und ging hinein.

»Ah, Felicitas.« Der Major kam angerollt. Er war ein altmodischer Staubsauger, dessen Staubbeutel sich je nach Gemütslage blähte. Irgendjemand hatte ihm als Kopf einen Zinkeimer aufgesetzt, wodurch seine Stimme stets ein wenig blechern klang. Zwei kleine Ovale waren als Augen draufgemalt und ein zackiger Oberlippenbart als Mund. Diese minimalistische Kritzelei hielt ihn jedoch nicht davon ab, eine ausgeprägte Mimik zur Schau zu stellen.

Der Stiel eines Wischmopps war so angebracht, dass er zu gleichen Teilen rechts und links überstand und die Arme des Majors bildete. Die Fransen des Mopps waren seine linke Hand, als rechte Hand diente ihm ein Schweizer Taschenmesser mit Premiumausstattung.

Der Major ließ das Messer geschickt aufschnappen, griff nach einer Taschenuhr, die wie ein goldener Orden an seiner Staubbeutelbrust baumelte, und schüttelte mit einem Blick auf die Uhrzeit missbilligend den Eimerkopf. »Es ist fünfzehn null neun Uhr. Du hättest bereits um fünfzehnhundert eintreffen sollen.«

Wer war nur auf die bekloppte Idee gekommen, einem Staubsauger mit Kontrollzwang eine Uhr zu geben?

»Seit wann bist du mein Kindermädchen?« Genervt verpasste ich dem Major im Vorbeigehen einen leichten Schlag auf den Eimer, wodurch dieser sich scheppernd drehte und falsch herum stehen blieb.

»Also, das ist doch … Ich darf doch wohl sehr bitten«, beschwerte sich der Major, während ich die Küche betrat.

Ma war tatsächlich mit der Durchführung irgendeines Zaubers beschäftigt. In einem ihrer Kessel brodelte eine zähe Flüssigkeit. Dicke Blasen stiegen wie fette, fliegende Kröten in die Höhe und zerplatzten schmatzend auf halbem Wege zur Decke. Auf dem Boden lag eine aufgerissene Pappschachtel. Ich hob sie auf und betrachtete das Bild darauf. Es zeigte einen gut aussehenden Jungen, der sich mit Sprühsahne das Wort Backprinz auf die nackte Brust geschrieben hatte. Das i-Tüpfelchen war ein Herz.

»Eine Backmischung?«, fragte ich verblüfft.

»Ja«, gab Ma zu. »Ich benutze sie zum Andicken.«

Mein Argwohn war geweckt. »Was dickst du denn damit an?«

Ma schob die Ärmel ihres Pullovers mit orangerotem Ringelmuster zurück, ein für ihre Verhältnisse dezentes Kleidungsstück. »Keine Sorge. Nichts davon ist im Gemüseeintopf gelandet.« Sie nahm mir die Packung aus der Hand und warf sie in den Müll. »Es ergibt eine ganz großartige Pampe.«

Ma zog einen Topf von der hinteren Herdplatte, und als sie ihn auf den Küchentisch stellte, rollte der Major heran. Seinem nach unten gezogenen Schnauzbart nach zu urteilen war er schwer beleidigt.

»Felicitas hat sich verspätet, Stella«, petzte er. »Neun Minuten.«

Ich ignorierte ihn und setzte meinen allerbesten Dackelblick auf. »Darf Lena am Samstag hier schlafen? Bitte!«

Der Major fuhr vor Schreck ein Stück rückwärts. »An unserem Putztag?«

Auch Ma schien nicht begeistert zu sein. »Feli, mein Engel, du weißt, samstags wird hier geputzt.«

Meine Augen suchten die Küche vergeblich nach Schmutzbergen ab, die den Putztag so dringend erforderlich gemacht hätten. »Einmal können wir ihn doch ausfallen lassen.«

»Ausfallen lassen?« Der Major wedelte mit seinen Wischmoppfransen vor meinem Gesicht herum, als befürchtete er, ich hätte den Verstand verloren. »Stella, es ist nicht auszuschließen, dass Felicitas dem Feind in die Hände gefallen ist und einer Gehirnwäsche unterzogen wurde.«

Energisch schob ich die Fransen beiseite. »Oder wir fangen früher an. Dann sind wir fertig, bevor Lena kommt, niemand muss auf den Putztag verzichten und alle sind glücklich.«

Es folgte eine Rede, in der ich stichhaltig darlegte, weshalb es so wichtig für Lena und mich war, eine Party zu feiern, und warum es nicht bei Lena zu Hause ging.

Ma überlegte, knickte aber schließlich unter meinem Dackelblick ein. »Ausnahmsweise. Wir fangen früher an. Aber nur, wenn du mithilfst.«

»Abgemacht«, rief ich zufrieden und setzte mich zum Essen hin.

Doch der Major gab sich noch nicht geschlagen. »Und was soll ich den restlichen Tag über machen?«

»Andere Staubsauger stehen die ganze Woche in der Besenkammer und beschweren sich nicht«, sagte ich mit vollem Mund.

»Andere Staubsauger sind einfache Soldaten. Ich hingegen …«

»Du bist ein waschechter Major«, unterbrach ihn Ma, ehe er sich in Rage reden konnte. »Und wir wissen das sehr zu schätzen. Du machst es dir am Samstag einfach im Arbeitszimmer bequem. Was hältst du davon?«

Das Arbeitszimmer war der einzige Raum, den der Major nicht betreten durfte, seit er vor einem Jahr während eines Putztages ein uraltes, fleckiges Pergament von unschätzbarem Wert entsorgt hatte, weil es ihm suspekt erschienen war.

Der Major straffte die Wischmoppschultern und sagte feierlich: »Ich werde das in mich gesetzte Vertrauen nicht enttäuschen, Stella.«

Die Woche war irgendwie vorübergegangen. Noch länger hätte ich es auch nicht ertragen. Egal, wohin man in der Schule auch ging, Kathinkas Party war das Thema. Und irgendwie hatte ich zunehmend den Eindruck gewonnen, dass man begann, Lena und mich wie zwei Aussätzige zu behandeln, nur weil wir nicht auf der Gästeliste standen. Selbst der komische Junge, dessen Namen sich niemand merken konnte, hatte uns auf dem Pausenhof einen mitleidigen Blick zugeworfen.

Aber jetzt war Samstag und ein mit dem Geruch von Putz- und Möbelpflegemitteln angefüllter Vormittag lag hinter mir. Lena ahnte ja nicht, welches Opfer ich für unsere Party hatte bringen müssen.

Ma hatte alles besorgt, was man für einen gelungenen Abend so braucht. Wir hatten Zutaten für Sandwiches, Getränke und was zum Knabbern. Meine DVDs, Filme mit Schmachtvampiren und Dahinschmelzwerwölfen, hatte ich bereitgelegt. Da sich der Major im Arbeitszimmer befand und Ma mir versprochen hatte, sich nur im Notfall blicken zu lassen, hatte der Abend gar keine andere Chance, als perfekt zu werden.

»Danke, Ma«, sagte ich, als sie mit mir die Schlafcouch im Wohnzimmer auszog, damit Lena und ich es uns dort so richtig gemütlich machen konnten. »Das werde ich dir nie vergessen.«

»Ach«, sagte Ma und strich das Laken glatt. »Ich war doch auch mal jung.«

»Wieso war?« Ich betrachtete meine Mutter. Sie war kein bisschen alt, sondern wunderhübsch und – wenn man mal ausblendete, dass sie eine Hexe war – ein echt guter Fang. Aber das auszublenden, war eben schwer. Sie liebte die Magie und all ihren Zauberplunder, wozu insbesondere auch der Major zählte. Einmal waren Ma die Vorräte des Persönlichkeitspulvers ausgegangen und so war der Major für eine wundervolle Woche nichts weiter als ein gewöhnlicher Staubsauger gewesen. Was ich so richtig genossen hatte, war für Ma einer Katastrophe gleichgekommen. Sie war mit dem Major aufgewachsen und hatte ihn vor drei Jahren von ihrer Mutter geerbt. Seitdem war er mir mit seinen Putzsamstagen und dem militärischen Führungsstil ein echter Dorn im Auge.

Ma gab die Hoffnung nicht auf, irgendwann meine Begeisterung für Magie wecken zu können, und präsentierte mir gelegentlich die Zauberzeitschrift Kesselwirtschaft heute, die ich höchstens gelangweilt durchblätterte. Wenn alles so lief, wie ich es mir vorstellte, käme ich nicht nach der Familie meiner Mutter und bliebe von der Magie verschont. Das Leben war auch ohne unberechenbare Zauber schon kompliziert genug.

Ich stopfte gerade ein Kissen in einen Bezug, da klingelte Lena. Als ich ihr die Haustür öffnete, trat sie mit ihrer riesigen geblümten Strandtasche ein. Den Weg ins Wohnzimmer kannte Lena, und während ich die Tür schloss, hörte ich schon, wie sie meine Mutter begrüßte. Ich folgte ihr ins Wohnzimmer, wo Ma eine frisch bezogene Decke aufschüttelte.

»Echt total klasse, dass ich heute bei Feli schlafen darf.«

»Du bist uns doch immer willkommen, Liebes«, antwortete Ma und lächelte Lena an.

Ma mochte Lena richtig gern. Sie hatte sie mal als »erfrischend unanstrengend« beschrieben. Da war ich ganz ihrer Meinung. Lena war eine richtige Freundin. Man konnte sich immer auf sie verlassen und sie mitten in der Nacht auf ihrem Handy anrufen. Sie machte auch kein Drama daraus, wenn wir mal unterschiedlicher Meinung waren. Lenas größter Pluspunkt allerdings war, dass sie, wenn mal etwas Seltsames bei mir zu Hause passierte, meine nicht immer plausiblen Erklärungen ohne Misstrauen schluckte.

»Ich mach euch ein paar Sandwiches«, sagte Ma und ging in die Küche.

Lena ließ sich in die Kissen auf dem ausgezogenen Sofa fallen und prüfte die Sicht auf den Fernseher. »Perfekt. Wollen wir gleich den ersten Teil gucken?«

»Glitzer-Edward?«

»Was denn sonst?«, fragte Lena und fischte die Twilight-DVDaus dem Stapel. Wir hatten die Filme bestimmt schon hundertmal gesehen, fieberten aber immer noch mit, wenn Bella herumtollpatschte und Glitzer-Edward sie wieder einmal retten musste. Deshalb war es auch nicht ganz so schlimm, dass Ma die erste Szene mit der Bitte, uns die Schuhe auszuziehen, verpatzte. Außerdem brachte sie Sandwiches.

»Wenn Edward an unserer Schule wäre, hätte er bestimmt nur Augen für dich«, sagte Lena mit vollem Mund.

Sie behauptete immer, ich sei sehr hübsch. Kathinka und Sarah behaupteten das Gegenteil. Was aber daran lag, glaubte Lena zu wissen, dass sie neidisch auf meine langen, gewellten braunen Haare waren. Lena zumindest beteuerte beinah täglich, wie gern sie meine Haare hätte. Dabei musste sie gar nicht neidisch sein; ihre dunkelblonde Mähne war traumhaft.

»Ich glaube, Edward wäre eher hinter Kathinka oder Sarah mit ihren Modelmaßen her.« Die beiden waren groß, schlank und echt gut aussehend. Natürlich waren sie sich dessen auch bewusst und dementsprechend eingebildet.

Als ich Lenas betroffenen Blick sah, wünschte ich, ich hätte nicht über Sarahs Figur gesprochen. Immerhin befürchtete Lena ja, dass sich Sarah auf der Poolparty Leon angeln würde.

Lena seufzte. »Meinst du, Leon steht auf superdünn und superätzend?«

Ich brachte nur ein halbherziges Kopfschütteln zustande. Leon war oberflächlich und arrogant. Natürlich stand er auf so was. Wenn er nicht bis vor Kurzem eine Freundin von einer anderen Schule gehabt hätte, wäre er wohl längst mit Sarah zusammengekommen. Aber das wollte ich Lena nicht sagen und so verfolgten wir den Rest des Filmes schweigend.

Lena wechselte gerade die DVD, da ging Mas Handy und ich hörte sie sagen: »… unmöglich. Jetzt? Hat das nicht Zeit … Eigentlich …« Mit den Worten »Also gut. Bin in einer halben Stunde da« kam sie ins Wohnzimmer und sah uns an. »Mädchen, ich muss leider noch mal weg. Ein dringender Notfall.«

»Kein Problem«, antwortete Lena.

»Ich bin in etwa zwei Stunden zurück. Und denk daran, Feli: Das Arbeitszimmer ist absolut tabu!«

Die Haustür war noch nicht zu, da griff Lena in ihre Strandtasche und zog mit einem verschwörerischem Lächeln ihr Handy heraus: »Showtime! Wie wär’s mit ein bisschen Musik?«

»Taylor!«, quietsche ich und beeilte mich, das Smartphone an unsere Anlage anzuschließen. »Blank Space«verdiente es, in voller Lautstärke dreimal hintereinander mitgegrölt zu werden. Wir tanzten so enthusiastisch, dass unsere Sportlehrerin stolz auf uns gewesen wäre.

Erschöpft, aber glücklich ließen wir uns wieder auf das Sofa fallen. Wir rangen nach Atem, und Lenas Grinsen nach zu urteilen sah ich mindestens genauso wild aus wie sie: knallrot und mit schlimm zerzausten Haaren.

»Gut, dass Leon uns so nicht sehen kann.«

»Pah!« Lenas Blick verfinsterte sich. »Soll er sich doch mit Sarah abgeben. Ich wette, die haben nicht halb so viel Spaß wie wir.«

»Aber das hier ist doch keine Party, Dummchen«, erinnerte ich Lena, woraufhin sie kicherte.

»Stimmt. Und Style haben wir auch keinen.«

Wir lachten und sagten uns immer wieder in Sarahs schneidendem Tonfall, wie kindisch wir doch seien.

Lena leerte ihr Glas und ich ging zur Küche, um Nachschub zu holen. Mein Weg führte mich am Arbeitszimmer vorbei. Die Tür stand einen Spaltbreit offen, wahrscheinlich, damit der Major uns besser belauschen konnte. Doch bevor ich sie verärgert zuziehen konnte, stand Lena hinter mir und raunte: »Wow. Das sind also die heiligen Hallen, die zu betreten bei Todesstrafe verboten ist?«

Obwohl ich laut und deutlich bejahte, schlüpfte Lena an mir vorbei ins Arbeitszimmer.

»Was macht deine Ma noch gleich beruflich?«

»Sie ist … Also, sie hilft …«, stammelte ich. Wie sollte ich auch erklären, was meine Ma machte? Meist half sie normalen Menschen, die versehentlich an Zaubergegenstände geraten waren, welche oft für großen Ärger sorgten. Letzte Woche zum Beispiel hatte eine Kundin in einem Antiquitätengeschäft eine wunderschöne spanische Wand aus dem frühen neunzehnten Jahrhundert erstanden. Sobald man hinter diesen Wandschirm trat, befand man sich in einer Theatergarderobe, und zwar circa hundertfünfzig Jahre in der Vergangenheit. Kam man wieder hervor, war alles beim Alten. Die Kundin hatte zwei Tage und Nächte lang verängstigt hinter dieser Wand gekauert, ehe sie sich getraut hatte, wieder hervorzukrabbeln. Dann hatte sie völlig aufgelöst den Antiquitätenhändler angerufen, der wiederum meine Mutter zu ihr geschickt hatte.

Ich ging jede Wette ein, dass die Kundin nie wieder hinter die spanische Wand treten würde, auch wenn diese dank meiner Mutter nun nichts weiter als eine harmlose, schöne Antiquität war.

An meiner letzten Schule war ich oft damit gehänselt worden, dass meine Mutter eine Scharlatanin und Schlimmeres wäre, deshalb sprach ich nicht gern über ihren »Beruf« und behauptete einfach, sie sei Inneneinrichterin.

»Sie ist Inneneinrichterin«, erklärte ich auch jetzt, während ich Lena einen Totenschädel aus der Hand nahm, den sie begeistert untersucht hatte.

»Der sieht aus wie echt«, sagte sie und zog ein Buch aus dem vollgestopften Regal. »Dämonologie – Ein praktischer Leitfaden für Beschwörungen der vierten Stufe.«

»Ja. Schräg, oder?« Ich entschied, so zu tun, als wäre es ein skurriles Hobby meiner Mutter, sich mit Dämonen zu beschäftigen. Um das zu unterstreichen, ließ ich meinen Zeigefinger neben der Schläfe kreisen und verdrehte die Augen. »Verrückt, für welchen Blödsinn sich Erwachsene so interessieren, was? Komm, lass uns noch einen Film gucken.«

Gurrend fügte ich »unglaublich attraktiver Werwolf« hinzu und hätte es beinahe geschafft, Lena aus dem Arbeitszimmer herauszulocken. Doch da fiel ihr Blick auf den Major. Der stand reglos in einer Ecke und wirkte sehr durchschnittlich und normal, von dem Zinkeimer mit den nervös zwinkernden Augen mal abgesehen.

»Warum habt ihr denn euren Staubsauger verkleidet?« Lena tippte dem Major gegen den Taschenuhr-Orden.

Ich wünschte wirklich, ich hätte eine Antwort darauf gehabt. Betont ungeduldig zuckte ich mit den Schultern. »Komm jetzt. Wir sollten gar nicht hier drin sein.«

»Weil wir sonst die Vorräte entdecken könnten?«, fragte Lena.

»Welche Vorräte?« Neugierig folgte ich ihrem Blick. Gleich hinter dem Major stapelten sich mehrere Kartons. Darin befanden sich unzählige Packungen der Backmischung, die ich neulich in der Küche gesehen hatte. Lena nahm sich eine Schachtel aus dem obersten Karton und las vor: »›Backprinz. Träumen Sie nicht von Ihrem Traummann, backen Sie ihn!‹« Sie ließ die Packung sinken und sah mich fragend an. »Backt deine Mutter gern?«

»Sie dickt damit an«, nuschelte ich und streckte die Hand aus, um Lena die Schachtel wegzunehmen. Sie war aber schneller und drehte sich einfach weg.

»Sieht ja nicht gerade vertrauenerweckend aus. Ein bisschen billig gemacht. So unseriös. Aber der Junge auf der Packung ist echt süß.«

Ja, das war mir auch schon aufgefallen. Endlich erwischte ich die Schachtel und warf sie schwungvoll in den Karton zurück. Dann griff ich nach Lenas Arm und zog sie mit zur Tür. Doch kaum hatten wir die erreicht, ließ uns ein dumpfes Geräusch herumfahren. Der Stapel mit den Kartons war umgefallen und die einzelnen »Backprinz«-Schachteln hatten sich über den gesamten Boden verteilt. Die blöde Pappe war so dünn, dass beinahe jede Schachtel aufgeplatzt war und sich ein Meer aus Mehl, Zucker und was weiß ich noch allem vor unseren Füßen ergoss.

»Mist«, sagte Lena.

Dem konnte ich nur aus ganzem Herzen zustimmen. Von der irrwitzigen Hoffnung getrieben, unseren unerlaubten Aufenthalt im Arbeitszimmer vertuschen zu können, rannte ich los, um Besen und Kehrblech zu holen. Ich hatte die Besenkammer noch nicht ganz erreicht, da hörte ich ein Geräusch, das mein Herz aussetzen ließ: das Brummen eines Staubsaugers.

Ich stürzte zurück ins Arbeitszimmer und blieb wie vom Blitz getroffen auf der Schwelle stehen. Lena hatte dem Major den Wischmopp herausgezogen, ihm den Eimer abgenommen und beides einfach auf den Schreibtisch gelegt. Die Augen des Majors wirkten starr und alles andere als lebendig. Kein Zwinkern, kein eifriges Schnurrbartzittern.

»O nein«, entfuhr es mir leise. Ich ging mit wackligen Schritten zum Schreibtisch, nahm den leblosen Eimerkopf und spürte einen Kloß im Hals.

Lena bekam von meiner Bestürzung offenbar nichts mit, denn sie schob den Staubsauger weiter über den Boden, bis alles Mehl im Staubbeutel verschwunden war. Sie drückte auf den Schalter und der Major, oder das, was von ihm übrig war, hörte auf zu brummen. Sein Staubbeutel fiel schlaff in sich zusammen, und bei diesem Anblick überkam mich echte Panik. Ma würde mir nie verzeihen, wenn ihm etwas zustieß.

»Fertig«, sagte Lena und strahlte mich an. »Komm, jetzt können wir weiterschauen.«

Sie ließ mich mit dem Eimer in den Armen stehen und ging zurück ins Wohnzimmer.

»Major?«, flüsterte ich und schüttelte den Eimer leicht. »Major, kannst du mich hören?«

Nichts. Mit einem unterdrückten Schluchzer schloss ich die Zimmertür. Ich ging zurück zum Staubsauger und setzte ihm den Eimerkopf wieder auf. Noch immer rührte er sich nicht. »Bitte, bitte, sag irgendwas«, flehte ich, »und wenn es nur ein Kommando ist.«

Doch der Major gab weiterhin keinen Mucks von sich. Verzweifelt ließ ich mich auf den Boden sinken und lehnte meine Stirn gegen den Beutel des Staubsaugers. In Gedanken wiederholte ich immer wieder die Worte »Bitte wach auf, bitte wach auf« und rüttelte leicht an dem alten Gerät. Ich stand kurz davor, zu hyperventilieren. Ein Kribbeln breitete sich bis in meine Fingerspitzen aus und mir wurde heiß. Was, wenn der Major nie wieder lebendig werden würde?

»Nein!«, sagte ich wütend und kämpfte mich auf die Beine. So einfach würde ich nicht aufgeben. Ich packte den Staubbeutel, knetete ihn wie bei einer Herzmassage und befahl mit fester Stimme: »Wach auf!«

Mit einem Stöhnen, das klang, als sei eine Katze in einen tiefen Brunnen gefallen, kehrte der Major zurück. »Sie hat meinen Stecker in die Steckdose gesteckt«, jammerte er.

Nie zuvor hatte ich mich so sehr gefreut, den Major zu sehen. Überschwänglich nahm ich ihn in die Arme und drückte ihm einen Schmatzer auf die Wange, bis sich sein Schnauzbart zu einem schiefen Lächeln verzog.

Ruckzuck rollte ich das Kabel auf und gab dem Major seine Arme zurück. Er wedelte und klapperte mit seinen Händen. Alles funktionierte einwandfrei.

»Danke!«, sagte der Major mit einem kleinen Rülpser. Verlegen schlug er sich mit der Wischmopphand vor den Mund. »Verzeihung, aber ich glaube, mir ist schlecht.«

»Kein Wunder«, sagte ich und dachte an die Menge Backmischung, die Lena mit ihm aufgesaugt hatte. »Wenn Ma zurückkommt, kann sie ja deinen Staubbeutel wechseln.«

Der Major rieb sich über den Bauch und sagte: »Hoffentlich ist sie bald da. Das Zeug geht auf wie Hefeteig im Turbogang.«

Es verging noch mehr als eine Stunde, bis Ma endlich zurückkehrte. Ich hatte mich nicht auf den Film konzentrieren können, weil aus dem Arbeitszimmer ohne Unterlass ein blechernes Stöhnen drang. Lena hatte ich davon überzeugt, dass es von einer alten Eule stammte, die im Baum vor unserem Haus lebte.

Endlich ging die Haustür auf und ich sprang sofort in den Flur. »Ma, kannst du bitte nach der Eule sehen?«

»Nach welcher Eule?« Ma stellte ihre Tasche aus bunten Stoffflicken ab und zog ihre Strickjacke mit dem riesigen Flauschkragen aus.

»Nach der im Baum«, sagte ich, während ich meinen Kopf in Richtung Arbeitszimmer rucken ließ, aus dem prompt ein leidendes Wimmern erklang.

»Ah, die Eule.« Ma begriff und sah mich alarmiert an. »Was ist mit ihr?«

»Eventuell hat sie zu viel … gefressen.«

»Ihr habt sie doch nicht etwa gefüttert?«

»Quatsch!« Lena war zu uns in den Flur getreten. »Warum sollten wir die Eule füttern? Und womit überhaupt?«

»Vielleicht«, schlug ich vor, »solltest du vorsichtshalber ihr Nest wechseln.«

»Verstehe«, sagte Ma und verschwand im Arbeitszimmer.

»Hä?« Lena sah mich verwirrt an. »Warum geht deine Mutter ins Arbeitszimmer, wenn der Eulenbaum vor dem Haus steht?«

»Sie klettert von dort übers Dach«, behauptete ich.

Lena zog die Augenbrauen zusammen. »Ihr wisst, dass ihr komisch seid, oder?«

Ich nickte und zog sie zurück ins Wohnzimmer. »Wollen wir uns noch einen Film ansehen?«

Lena und ich hatten bis spät in die Nacht gequatscht und waren irgendwann eingeschlafen. Wobei ich eher döste. Das Sofa war nicht halb so bequem wie mein Bett und Lena grunzte im Schlaf. Einmal seufzte sie sogar »Leon« und kicherte. Als ich auch noch leises Gemurmel aus der Küche hörte, war ich mit einem Schlag hellwach.

Vorsichtig kroch ich unter der Decke hervor. Um Lena nicht zu wecken, schlich ich auf Zehenspitzen über den Flur in Richtung Küche.

Ganz eindeutig, es war Mas Stimme, auf die eine nörgelige Antwort des Majors folgte. Das durfte doch nicht wahr sein! Sie wussten doch, dass ich Besuch hatte. Was, wenn Lena mitbekam, dass unser Staubsauger mehr als ein handelsübliches Haushaltsgerät war?

»Ma!« Ich schob die Küchentür auf und blieb wie angewurzelt stehen. Am Küchentisch saß ein Junge. Das allein war schon ungewöhnlich, immerhin war es mitten in der Nacht. Sein unzeitiges Erscheinen wurde aber locker durch die Tatsache in den Schatten gestellt, dass er Mas Bademantel mit dem Blümchenmuster trug.

»Oh. Feli, mein Engel.« Ma gab dem Major ein Zeichen, damit dieser zur Tür rollte und sie hinter mir schloss. Es verging ein Augenblick, in dem wir uns schweigend anstarrten. Ich meine Ma, meine Ma und der Major den Fremden, und der Fremde mich.

»Ma, wer ist das?«

Sie hob die Schultern. »Ich habe keine Ahnung.«

»Warum trägt er deinen Bademantel?«

»Er war nackt.«

»Ach so.« Ich musterte den Fremden. Er sah fantastisch aus, hatte dunkles Haar, strahlende grünbraune Augen und ein Lächeln, das meine Knie weich werden ließ. Irgendwo hatte ich ihn doch schon einmal gesehen …

»Er ist unbefugt eingedrungen«, klärte der Major mich zackig auf. »Das ist als feindlicher Akt zu verstehen.«

»Unsinn, Major. Dieser Junge führt bestimmt nichts Übles im Schilde«, sagte Ma beruhigend.

Der Major schien nicht überzeugt und ließ eine Demonstration seiner Fingerfertigkeit mit der Taschenmesserhand folgen, während Ma seelenruhig Teewasser aufsetzte. Warum um Himmels willen ließ sie zu, dass ein Wildfremder mitten in der Nacht in unserer Küche saß, ihren Bademantel trug und den Major in seiner ganzen Absonderlichkeit erleben durfte? Waren nun alle Regeln außer Kraft gesetzt? Der Fremde beobachtete mich noch immer, und so langsam ging mir sein Geglotze auf die Nerven.

»Kann mir jetzt bitte endlich jemand erklären, was hier los ist?«, platzte es aus mir heraus.

»Gut«, sagte Ma und griff sich an die Stirn, als wolle sie auf diese Weise ihre Gedanken ordnen. »Dieser junge Mann ist vermutlich das Ergebnis einer Kombination verschiedener magischer Vorgänge.«

»Aha.« Ich zog einen Stuhl zu mir heran und setzte mich möglichst weit von diesem gut aussehenden Ergebnis magischer Kombination hin. »Und das bedeutet?«

»Ihr habt vorhin im Arbeitszimmer die Backmischung aufgesaugt. Dabei kam die Mischung, jedenfalls erkläre ich es mir so, mit dem Persönlichkeitspulver des Majors in Berührung. Beides wurde beim Saugen kräftig durchgeschüttelt und … Tadaa!« Ma wies mit beiden Händen auf den Jungen, der sie dafür ganz hinreißend anlächelte.

Ich unterdrückte den Impuls, heftig zu widersprechen, denn zwei Dinge sprachen ganz eindeutig für diese These: Meine Mutter war eine Hexe, Magie war also garantiert mit im Spiel, und der Fremde war das Ebenbild des süßen Jungen auf der »Backprinz«-Schachtel. Deshalb war er mir auch so bekannt vorgekommen. Ich betrachtete ihn bestürzt. »Auweia.«

»Wir sollten ihn arretieren«, schlug der Major vor, aber niemand schenkte ihm Beachtung.

»Ich bin nicht sicher, wie lange der Zauber anhält. Ich habe noch nie gehört, dass es jemandem gelungen wäre, mit Persönlichkeitspulver etwas anderes zu beleben als einen mit Strom betriebenen Gegenstand.« Ma sah rasch zum Major hinüber, der plötzlich engagiert seine Taschenuhr mit den Wischmoppfransen polierte. Dieses Thema war ihm immer sehr unangenehm. »Wir können so viel dabei lernen, mein Engel.«

»Soll das heißen, du willst ihn behalten?« Meine Stimme klang viel höher als sonst und war somit dem Grad meiner Empörung angemessen. »Alles, was ich möchte, ist ein normales Leben. Und was passiert? Erst bekommen wir einen Staubsauger, der mir Vorschriften macht, und jetzt eine Backmischung, die mal eben so, mir nichts, dir nichts zu einem Jungen wird?« Mein Stuhl fiel um, so heftig sprang ich auf. »Ich werde nicht mit einem Teigdings zusammenwohnen. Das kannst du voll vergessen!«

Ich war mit zwei Schritten an der Tür, riss sie auf und blickte geradewegs in Lenas kreidebleiches Gesicht. Sie winkte mir unbeholfen zu, verdrehte die Augen und sank filmreif zu Boden.

Jeder, der mal versucht hat, eine ohnmächtige Person vom Boden hochzuheben, weiß, wie schwer das ist. Lena hatte ihr Gewicht scheinbar verdoppelt und so gelang es mir nur mit Mas Unterstützung, sie aufzurichten.

Statt zu helfen, kommentierte der Major das Geschehen pausenlos, bis ich ihm einen zornigen Blick zuwarf.

»Was …«, murmelte die zu sich kommende Lena und unternahm einen Versuch, allein zu stehen. Sie sah erst Ma an, dann mich. »Was ist denn passiert?«

Meine Hoffnung, mit einer schwammigen Aussage über den Kreislauf und schlechtes Essen etwas Zeit zu gewinnen, wurde zunichtegemacht, als ein Scheppern Lenas Aufmerksamkeit auf sich zog.

Der Major und der Teigjunge rangelten darum, wer zuerst durch die Tür treten durfte. Der Major gab alles, blähte sogar seinen Staubbeutel auf, konnte jedoch nicht verhindern, dass der Junge sich an ihm vorbeischummelte.

Praktischerweise standen Ma und ich noch neben Lena und konnten sie auffangen.

Wir hatten Lena auf einen Küchenstuhl gesetzt und sie mit einer Tasse Tee versorgt. Ma hatte ihr einen bunten Strickponcho mit vielen kleinen Bommeln umgelegt, der Lenas finstere Miene wohltuend relativierte. Dennoch ließ sich nicht leugnen, dass sie mehr als aufgebracht war. Sie schaute zwischen dem Major und dem Teigjungen hin und her, bis sich ihr Blick anklagend auf mich richtete. »Warum hast du mir nicht gesagt, dass du eine Hexe bist?«

»So ein Quatsch! Ich bin doch keine Hexe«, stieß ich fassungslos aus. Ich straffte die Schultern und zwang mich, ruhig zu sprechen. »Hör zu: Ich bin keine Hexe, ich will auch keine sein und ich wünschte, meine Mutter wäre auch keine.«

Ma schlürfte übertrieben laut an ihrem Tee und der Major schnappte entrüstet nach Luft. Der Einzige, der vollkommen gelassen blieb, war der Teigjunge im Bademantel. Er beobachtete alles aufmerksam und formte tonlos vereinzelte Worte mit seinen schönen Lippen nach.

»Sie sind also eine Hexe?« Lenas Mund wurde schmal, als Ma nickte. »So eine richtige Hexe?«

»Das kommt darauf an, was du unter einer richtigen Hexe verstehst.«

»Jemand, der zaubern kann«, erklärte Lena und unterstrich ihre Aussage mit einer unbestimmten Handbewegung.

»Dann bin ich wohl eine richtige Hexe.«

»Sie haben keine Warze auf der Nase.«

»Zum Glück«, lachte Ma. »Ich fresse auch keine kleinen Kinder und besitze kein Pfefferkuchenhaus.«

»Das wäre ja noch schöner«, mischte ich mich ein. Ich schob das Bild meiner Ma, die mit einem schwarzen Kater auf dem Buckel im Wald hockte und unschuldige Kinder anlockte, energisch beiseite. »Ma setzt ihre magischen Fähigkeiten ein, um anderen Menschen zu helfen.«

»Wenn das so ist«, sagte Lena argwöhnisch, »warum willst du dann keine Hexe sein?«

»Weil ich so etwas«, ich zeigte erst auf den Major, dann auf den Teigjungen, »auf jeden Fall vermeiden möchte. Ich will ein normales Leben führen und ein normales, unauffälliges Mädchen sein.«

Lena lachte auf. »Nimm es mir nicht übel, Feli, aber du bist so ziemlich das schrägste Mädchen, das ich kenne.« Sie wandte sich wieder an Ma. »Und jetzt? Wie geht es jetzt weiter? Werden Sie mein Gedächtnis löschen?«

Ma legte die Stirn in Falten. »Warum sollte ich das tun?«

»Damit ich nicht herumerzähle, was hier vor sich geht.«

»Ach!« Ma winkte ab. »Da mache ich mir keine Sorgen. Ich habe dich mit einem sehr wirksamen Zunge-ab-Zauber belegt.«

Lena riss die Augen auf. »Wie bitte? Zunge-ab? Soll das heißen, ich verliere meine Zunge?«

»Versuch besser nicht, das herauszufinden«, murmelte Ma geheimnisvoll. Doch da Lena nach diesen Worten offenkundig einer erneuten Ohnmacht entgegenstrebte, rief Ma eilig: »Das war ein Scherz! Natürlich habe ich das nicht getan.«