Treue und edle Nacht - Louise Glück - E-Book

Treue und edle Nacht E-Book

Louise Glück

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Beschreibung

Louise Glück ist eine der wichtigsten Lyrikerinnen Amerikas und wurde 2020 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet.

»Endlich umfing mich die Nacht / ich schwebte auf ihr, vielleicht in ihr / oder sie trug mich, wie ein Fluss / ein Boot trägt …«

Wir betreten die Welt dieses Buches durch eines ihrer vielen traumartigen Tore. Wir gelangen immer an denselben Ort, doch jedes Mal erscheint er anders. Wir entdecken ihn als Frau, als Mann, als Kind oder Greis. Eine einzige Geschichte in fließenden Teilen. Es ist die Geschichte eines Abenteuers, einer Begegnung mit dem Unbekannten, der mutigen Reise des treuen und edlen Ritters ins Königreich des Todes. Als Fortsetzung der Welt unserer Kinderbücher ist sie uns zutiefst vertraut. Nur beginnt das Vertraute sich zu wandeln, geheimnisvoll zu glänzen wie die Umrisse eines Traums, wie die Sterne der »treuen und edlen Nacht«.

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Seitenzahl: 105

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Inhalt

Wir betreten die Welt dieses Buches durch eines ihrer vielen traumartigen Tore. Wir gelangen immer an denselben Ort, doch jedes Mal erscheint er anders. Wir entdecken ihn als Frau, als Mann, als Kind oder Greis. Eine einzige Geschichte in fließenden Teilen. Es ist die Geschichte eines Abenteuers, einer Begegnung mit dem Unbekannten, der mutigen Reise des treuen und edlen Ritters ins Königreich des Todes. Als Fortsetzung der Welt unserer Kinderbücher ist sie uns zutiefst vertraut. Nur beginnt das Vertraute sich zu wandeln, geheimnisvoll zu glänzen wie die Umrisse eines Traums, wie die Sterne der »treuen und edlen Nacht«.

Autorin

LOUISEGLÜCK hat bisher dreizehn Gedichtbände, zwei Essaysammlungen und ein Prosakurzstück veröffentlicht. 2020 wurde sie mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet »für ihre unverkennbare poetische Stimme, die mit strenger Schönheit die individuelle Existenz universell macht«. Glück erhielt u. a. auch den Pulitzerpreis, den Bollingen Prize und den National Book Award. Sie lehrt an der Yale und der Stanford University und lebt in Cambridge, Massachusetts.

Übersetzerin

UTAGOSMANN, geb. 1973 in Bochum, lebt in New Haven, Connecticut. Sie ist Lyrikerin, Literaturwissenschaftlerin, Psychoanalytikerin und hat Werke von Louise Glück, Susan Howe und Ellen Hinsey übersetzt.

Louise Glück

TREUE UND EDLE NACHT

Aus dem amerikanischen Englisch von Uta Gosmann

Luchterhand

INHALT

Parable

Gleichnis

An Adventure

Ein Abenteuer

The Past

Die Vergangenheit

Faithful and Virtuous Night

Treue und edle Nacht

Theory of Memory

Erinnerungstheorie

A Sharply Worded Silence

Ein spitzes Schweigen

Visitors from Abroad

Besuch aus der Fremde

Aboriginal Landscape

Ursprüngliche Landschaft

Utopia

Utopie

Cornwall

Cornwall

Afterword

Nachwort

Midnight

Mitternacht

The Sword in the Stone

Das Schwert im Stein

Forbidden Music

Verbotene Musik

The Open Window

Das offene Fenster

The Melancholy Assistant

Der melancholische Assistent

A Foreshortened Journey

Eine verkürzte Reise

Approach of the Horizon

Anflug des Horizonts

The White Series

Die weiße Reihe

The Horse and the Rider

Pferd und Reiter

A Work of Fiction

Eine Erzählung

The Story of a Day

Die Geschichte eines Tages

A Summer Garden

Ein Sommergarten

The Couple in the Park

Das Paar im Park

PARABLE

First divesting ourselves of worldly goods, as St. Francis teaches,

in order that our souls not be distracted

by gain and loss, and in order also

that our bodies be free to move

easily at the mountain passes, we had then to discuss

whither or where we might travel, with the second question being

should we have a purpose, against which

many of us argued fiercely that such purpose

corresponded to worldly goods, meaning a limitation or constriction,

whereas others said it was by this word we were consecrated

pilgrims rather than wanderers: in our minds, the word translated as

a dream, a something-sought, so that by concentrating we might see it

glimmering among the stones, and not

pass blindly by; each

further issue we debated equally fully, the arguments going back and forth,

so that we grew, some said, less flexible and more resigned,

like soldiers in a useless war. And snow fell upon us, and wind blew,

which in time abated – where the snow had been, many flowers appeared,

and where the stars had shone, the sun rose over the tree line

so that we had shadows again; many times this happened.

Also rain, also flooding sometimes, also avalanches, in which

some of us were lost, and periodically we would seem

to have achieved an agreement, our canteens

hoisted upon our shoulders; but always that moment passed, so

(after many years) we were still at that first stage, still

preparing to begin a journey, but we were changed nevertheless;

we could see this in one another; we had changed although

we never moved, and one said, ah, behold how we have aged, traveling

from day to night only, neither forward nor sideward, and this seemed

in a strange way miraculous. And those who believed we should have a purpose

believed this was the purpose, and those who felt we must remain free

in order to encounter truth felt it had been revealed.

GLEICHNIS

Nachdem wir uns von weltlichem Gut getrennt hatten, wie der heilige Franziskus lehrt,

damit unsere Seelen sich nicht

um Gewinn und Verlust bekümmerten und auch damit

unsere Körper sich an den Bergpässen

frei bewegen könnten, mussten wir besprechen,

woher oder wohin wir reisen wollten, wobei die zweite Frage war,

ob wir eine Bestimmung haben sollten, wogegen

viele von uns empört einwandten, dass solch eine Bestimmung

weltlichem Gut entspräche, Begrenzung und Verengung wäre,

während andere sagten, dass erst dieses Wort uns nicht zu Wanderern,

sondern wahren Pilgern mache: In unseren Augen wies das Wort auf

einen Traum, ein Ersehntes, das, wenn wir uns konzentrierten,

wir zwischen Steinen vielleicht glänzen sähen und nicht

blind daran vorübergingen; alle

weiteren Fragen besprachen wir ebenso gründlich, reichten Argumente hin und her,

sodass wir, sagten manche, unbeweglicher und mutloser wurden

wie Soldaten in einem sinnlosen Krieg. Und Schnee fiel auf uns nieder, und Wind blies,

der mit der Zeit nachließ – wo Schnee gelegen hatte, wuchsen viele Blumen,

und wo zuvor die Sterne leuchteten, schob die Sonne sich über den Waldkamm,

sodass wir wieder Schatten hatten; viele Male geschah dies.

Und auch Regen und manchmal Überschwemmungen und Lawinen, in denen

mancher von uns verloren ging, und zuweilen schienen wir uns

fast geeinigt zu haben, schulterten schon

unsere Feldflaschen; doch zog der Moment stets vorüber, sodass

wir (nach vielen Jahren) immer noch am Anfang waren, immer noch

den Aufbruch planten. Trotzdem fanden wir uns verändert;

wir sahen es einander an; wir hatten uns verändert, obwohl

wir uns nie bewegt hatten, und einer sagte, ach, seht doch, wie alt wir geworden sind,

die wir nur vom Tag zur Nacht reisten, nicht vorwärts noch seitwärts, und dies schien

ein Wunder auf seltsame Weise. Und wer glaubte, wir sollten eine Bestimmung haben,

glaubte, dies sei die Bestimmung, und wer meinte, wir sollten frei bleiben,

um die Wahrheit zu erfahren, meinte, sie habe sich offenbart.

AN ADVENTURE

1.

It came to me one night as I was falling asleep

that I had finished with those amorous adventures

to which I had long been a slave. Finished with love?

my heart murmured. To which I responded that many profound discoveries

awaited us, hoping, at the same time, I would not be asked

to name them. For I could not name them. But the belief that they existed –

surely this counted for something?

2.

The next night brought the same thought,

this time concerning poetry, and in the nights that followed

various other passions and sensations were, in the same way,

set aside forever, and each night my heart

protested its future, like a small child being deprived of a favorite toy.

But these farewells, I said, are the way of things.

And once more I alluded to the vast territory

opening to us with each valediction. And with that phrase I became

a glorious knight riding into the setting sun, and my heart

became the steed underneath me.

3.

I was, you will understand, entering the kingdom of death,

though why this landscape was so conventional

I could not say. Here, too, the days were very long

while the years were very short. The sun sank over the far mountain.

The stars shone, the moon waxed and waned. Soon

faces from the past appeared to me:

my mother and father, my infant sister; they had not, it seemed,

finished what they had to say, though now

I could hear them because my heart was still.

4.

At this point, I attained the precipice

but the trail did not, I saw, descend on the other side;

rather, having flattened out, it continued at this altitude

as far as the eye could see, though gradually

the mountain that supported it completely dissolved

so that I found myself riding steadily through the air –

All around, the dead were cheering me on, the joy of finding them

obliterated by the task of responding to them –

5.

As we had all been flesh together,

now we were mist.

As we had been before objects with shadows,

now we were substance without form, like evaporated chemicals.

Neigh, neigh, said my heart,

or perhaps nay, nay – it was hard to know.

6.

Here the vision ended. I was in my bed, the morning sun

contentedly rising, the feather comforter

mounded in white drifts over my lower body.

You had been with me –

there was a dent in the second pillowcase.

We had escaped from death –

or was this the view from the precipice?

EIN ABENTEUER

1.

Eines Nachts, ich schlief schon fast, wurde mir klar,

dass ich abgeschlossen hatte mit den amourösen Abenteuern,

denen ich lang verfallen war. Abgeschlossen mit der Liebe?,

raunte mein Herz. Worauf ich erwiderte, dass noch viele große Entdeckungen

auf uns warteten, und gleichzeitig hoffte, sie nicht

benennen zu müssen. Denn nennen konnte ich sie nicht. Doch zu glauben, dass es sie gab –

sicher zählte das?

2.

Die Nacht darauf kam mir derselbe Gedanke,

betraf diesmal das Dichten, und in den Nächten danach

wurden weitere Leidenschaften und Empfindungen in gleicher Weise

für immer beiseitegelegt, und jede Nacht erwehrte sich mein Herz

seiner Zukunft wie ein kleines Kind, dem man sein liebstes Spielzeug nimmt.

Diese Abschiede, sagte ich, sind doch der Lauf der Dinge.

Und noch einmal wies ich auf den weiten Raum,

der sich mit jedem Lebewohl vor uns auftat. Und mit jenem Satz wurde ich

zum glorreichen Ritter, der in die untergehende Sonne reitet, und mein Herz

wurde unter mir zu meinem Ross.

3.

Ich trat, du weißt es wohl, ins Reich des Todes ein,

doch warum die Landschaft so gewöhnlich war,

konnte ich nicht sagen. Auch hier waren die Tage sehr lang,

die Jahre aber sehr kurz. Die Sonne versank hinter dem fernen Berg.

Die Sterne leuchteten, der Mond nahm zu und ab. Bald

erschienen mir Gesichter der Vergangenheit:

Mutter und Vater, meine kleine Schwester; sie hatten wohl

nicht ausgesprochen, doch jetzt

konnte ich sie hören, denn mein Herz war still.

4.

An dieser Stelle erreichte ich die Klippe,

doch der Pfad, wie ich sah, führte jenseits nicht hinab;

er flachte vielmehr ab und lief, so weit das Auge reichte,

auf gleicher Höhe weiter, wobei

der Berg, der ihn trug, nach und nach verschwand,

sodass ich mich in einem fort auf Luft reitend fand –

Ringsum spornten mich die Toten an, doch die Freude, sie zu finden,

wurde von der Pflicht, ihnen zu antworten, erstickt –

5.

Wie wir gemeinsam einmal Fleisch waren,

waren wir nun Nebel.

Wie wir in Gestalt einmal Schatten hatten,

waren wir nun Substanz ohne Form, wie verdampfte Chemikalien.

Es wieherte mein Herz,

vielleicht weigerte es sich auch – es war schwer zu sagen.

6.

Hier endete die Vision. Ich lag in meinem Bett, die Morgensonne

ging gemächlich auf, die Daunendecke

bauschte sich in weißen Wellen über meinem Körper.

Du warst bei mir gewesen –

das zweite Kissen lag noch eingedrückt.

Wir waren dem Tode entronnen –

oder tat sich hier der Blick in den Abgrund auf?

THE PAST

Small light in the sky appearing

suddenly between

two pine boughs, their fine needles

now etched onto the radiant surface

and above this

high, feathery heaven –

Smell the air. That is the smell of the white pine,

most intense when the wind blows through it

and the sound it makes equally strange,

like the sound of the wind in a movie –

Shadows moving. The ropes

making the sound they make. What you hear now

will be the sound of the nightingale, chordata,

the male bird courting the female –

The ropes shift. The hammock

sways in the wind, tied

firmly between two pine trees.

Smell the air. That is the smell of the white pine.

It is my mother’s voice you hear

or is it only the sound the trees make

when the air passes through them

because what sound would it make,

passing through nothing?

DIE VERGANGENHEIT

Kleines Licht am Himmel scheint

plötzlich zwischen

zwei Kiefernzweigen, ihre feinen Nadeln

jetzt auf die strahlende Fläche graviert

und darüber dieser

hohe, federleichte Himmel –

Atme die Luft. Das ist der Duft der Seidenkiefer,

am intensivsten, wenn der Wind durch sie weht,

und der Klang, der entsteht, ebenso fremd

wie der Klang des Winds in einem Film –

Schatten regen sich. Die Seile

haben ihren Klang. Was du jetzt hörst,

ist der Gesang der Nachtigall, chordata,

das Männchen lockt das Weibchen –

Die Seile rutschen. Die Hängematte

wiegt im Wind, befestigt

an zwei Kiefern.

Atme die Luft. Das ist der Duft der Seidenkiefer.

Meiner Mutter Stimme ist es, die du hörst,