Triple Six - Erica Spindler - E-Book

Triple Six E-Book

Erica Spindler

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Beschreibung

Das Böse hat noch lange nicht genug.

Drei Monate ist es her: Die Nacht, in der Micki fast gestorben wäre. Körperlich ist sie geheilt, doch Albträume halten sie wach und sie wird das Gefühl nicht los, dass Zach ihr nicht die ganze Wahrheit erzählt. Zum Glück bleibt nicht viel Zeit zum Grübeln, denn eine Reihe brutaler Einbrüche erschüttert New Orleans. Je tiefer Micki und Zach in den Fall vordringen, desto klarer wird ihnen, dass sie es nicht mit normalen Dieben zu tun haben. Die Bande scheint etwas Bestimmtes zu suchen. Oder jemanden. Und diese Person steht Micki sehr nahe...

Micki und Zach ermitteln weiter! Triple Six ist der zweite Band der spannenden Lightkeeper-Serie. Mit THE FINAL SEVEN ist der erste Teil bereits als eBook bei beTHRILLED erschienen.

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EPUB

Seitenzahl: 507

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumPrologKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Kapitel 32Kapitel 33Kapitel 34Kapitel 35Kapitel 36Kapitel 37Kapitel 38Kapitel 39Kapitel 40Kapitel 41Kapitel 42Kapitel 43Kapitel 44Kapitel 45Kapitel 46Kapitel 47Kapitel 48Kapitel 49Kapitel 50Kapitel 51Kapitel 52Kapitel 53Kapitel 54Kapitel 55Kapitel 56Kapitel 57Kapitel 58Kapitel 59Kapitel 60Kapitel 61Kapitel 62Kapitel 63Kapitel 64

Über dieses Buch

Drei Monate ist es her: Die Nacht, in der Detective Michaela Dare fast gestorben wäre. Körperlich ist sie geheilt, doch Albträume halten sie wach und sie wird das Gefühl nicht los, dass ihr Partner Zach ihr nicht die ganze Wahrheit erzählt. Zum Glück bleibt nicht viel Zeit zum Grübeln, denn eine Reihe brutaler Einbrüche erschüttert New Orleans. Je tiefer Micki und Zach in den Fall vordringen, desto klarer wird ihnen, dass sie es nicht mit normalen Dieben zu tun haben. Die Bande scheint etwas Bestimmtes zu suchen. Oder jemanden. Und diese Person steht Micki sehr nahe …

Über die Autorin

Erica Spindler wuchs in Rockford, Illinois, auf und studierte an der Delta State University und der University of New Orleans. Sie war als Malerin tätig, ehe sie sich der Schriftstellerei zuwandte. Zuvor erschienen die Thriller der New-York-Times-Bestsellerautorin im Knaur Verlag und bei Mira. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von New Orleans.

Erica Spindler

Triple Six

Tödliche Zeichen

Aus dem Amerikanischen von Kerstin Fricke

beTHRILLED

Deutsche Erstausgabe

»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2016 by Erica Spindler

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Triple Six«

Originalverlag: Double Shot Press

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Sandra Lode

Lektorat: Eileen Sprenger

Covergestaltung: Christin Wilhelm, www.grafic4u.de unter Verwendung von Motiven © © shutterstock/RomarioIen | © shutterstock/kephoto

eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-3649-8

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Prolog

New Orleans, Louisiana

Montag, 22. Juli

15:00 Uhr

Lost Angels Ministries. Zach Harris stand am gusseisernen Tor und starrte das Schild an, das im Wind schwankte. Der Eisenzaun umgab das Grundstück, auf dem ein viktorianisches Haus aus längst vergangenen Zeiten stand, das heute ein Zentrum für verlorene Jugendliche war. Einzigartige Jugendliche.

Die Haustür ging auf, ein Teenager kam herausgelaufen und rief noch »Tschüss« über die Schulter. Das Mädchen war klein, hatte einen fransigen Kurzhaarschnitt und die Haarspitzen knallgrün gefärbt. Sie sah ihm in die Augen, als sie zum Tor kam. Ihre Augen waren wunderschön und von einem strahlenden Grün, das zu ihren Haaren passte.

War sie wie er ein Halblicht? Das Ergebnis einer Beziehung zwischen einem Menschen und einem Lichthüter? Oder war sie gar ein Licht und gehörte zu den wenigen dieser immer kleiner werdenden Schar?

»Hey«, sagte sie und huschte an ihm vorbei.

»Hey«, erwiderte er, ging durch das Tor und auf das Haus zu. Es war irgendwie immer noch komisch für ihn, sich vorzustellen, dass er kein ganzer Mensch war, sondern zum Teil Licht in einer menschlichen Hülle, ausgeschickt, um die Menschheit zu leiten; zum Teil sterblicher Engel, gefangen in einem Kampf um Leben und Tod gegen ein uraltes Übel.

Das kam ihm völlig verrückt vor und machte ihn wütend. Aber auch wenn er es selbst nicht wirklich glauben konnte – zumindest noch nicht –, blieb ihm keine andere Wahl. Ob es ihm nun gefiel oder nicht, ihm waren die Augen geöffnet worden.

Hinter ihm war das Rumpeln einer Straßenbahn zu hören. Er schaute über die Schulter zu dem glänzend roten Wagen hinüber, der mit geschlossenen Fenstern fuhr, um die Hitze auszusperren. Als er vor der Tür ankam, sah er direkt in die Sicherheitskamera und wurde umgehend hereingelassen.

Eli kam ihm im Foyer entgegen. Der Mann sah völlig unbeeindruckt aus, als wären das Retten von Leben und der Kampf gegen die Mächte der Finsternis vergleichbar mit einem entspannenden Wellness-Tag.

»Zach, Kumpel …« Er klopfte ihm auf den Rücken. »Schön, dich zu sehen. Komm rein, sie sind im Konferenzraum.«

Sie gingen in diese Richtung. Eli sah ihn mit seinen außergewöhnlichen Augen an. »Warst du im Krankenhaus bei Michaela?«

»Ja, ich komme direkt von dort.«

»Wie geht es ihr?«

»Sie erholt sich schnell. Sehr schnell.«

»Ich bin eben gut.«

Diese Großspurigkeit ging ihm gehörig auf die Nerven. »Sie sagt, sie erinnert sich daran, von einem wunderschönen heilenden Licht umgeben gewesen zu sein. Es war, als hätte sie in den Armen eines Engels gelegen.«

Eli blieb stehen und legte den Kopf schief. »Wirklich? Das ist ja interessant. Und was hast du ihr erzählt?«

»Dass sie sehr viel Blut verloren hat und unter Schock stand oder halluziniert hat.«

»Sehr gut. Da wären wir.«

»Warte.« Zach legte ihm eine Hand auf den Arm und hielt ihn auf. »Hattest du nicht gesagt, sie würde sich an nichts erinnern?«

»Das ist ja das Interessante daran.« Eli lächelte ihn an. »Mir ist nicht ganz klar, ob ich mir deswegen Sorgen machen muss.«

Berühmte letzte Worte, dachte Zach, als sie den Konferenzraum betraten. Am Tisch saßen nur zwei Personen: sein Sixers-Kontaktmann Parker und Professor Lester Truebell.

»Zachary.« Truebell stand auf und reichte ihm lächelnd die Hand.

Zach schüttelte sie. »Professor.«

»Sie scheinen die Sache ja ganz gut überstanden zu haben.«

»Erzählen Sie das mal jedem Muskel, Gelenk und Knochen in meinem Körper.« Er deutete auf die anderen. »Sind das alle?«

»Für heute schon.«

»Kommt Angel nicht?«

»Sie ist noch nicht bereit.«

Er ärgerte sich über den Kommentar. Noch mehr Geheimnisse. Weiterer Blödsinn, der nur bei Bedarf weitergegeben wurde. »Dann hat sich ja seit dem letzten Mal, als ich Ihnen gegenübergesessen habe, nichts geändert.«

Der elfenhafte Truebell schüttelte den Kopf. »Es hat sich alles geändert, Zachary. Setzen Sie sich bitte.«

Das tat er, und Parker ergriff das Wort. »Werde ich denn gar nicht begrüßt, Zach?«

Zach starrte ihn an und versuchte gar nicht erst, sich seine Wut nicht anmerken zu lassen. »Ich muss dummerweise mit Ihnen zusammenarbeiten, Special Agent Parker, aber mögen muss ich Sie nicht. Und ich muss Sie erst recht nicht respektieren.«

Parker lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ist das nicht ein bisschen übertrieben? Und was soll die förmliche Anrede, wir sind doch eine Familie?«

»Seit unserer ersten Begegnung war alles, was aus Ihrem Mund gekommen ist, entweder eine Lüge oder eine Manipulation. Oder beides.« Zach zog die Augenbrauen hoch. »Daher würde ich es auch nicht als übertrieben bezeichnen.«

»Das mit den Sixers war keine Lüge. Hinter der Geschichte steckt nur noch mehr.«

»Das tut es immer, und genau das ist das Problem.« Zach sah wieder Truebell an. »Warum bin ich heute hier?«

»Sie kennen den Grund dafür.«

»Ach wirklich?«

»Sind Sie dabei«, wollte Truebell wissen, »oder nicht?«

Zach hätte zu gern geantwortet, dass er nicht dabei war, dieses ganze Erlebnis vergessen wollte und das Leben fortsetzen, das er vorher geführt hatte. Aber dieses Leben war für immer vorbei. »Seit Samstag bin ich ein wahrer Gläubiger.«

Truebell nickte. »Jetzt kennen Sie die Zerstörungskraft unseres Gegners und wissen, wie wichtig unsere Arbeit ist.«

Bei diesen Worten erinnerte sich Zach an die Macht, die gegen ihn eingesetzt worden war, und wie hilflos er sich gefühlt hatte. »Ja.«

»Und nun kennen Sie auch Ihre Kräfte.«

Die Vereinigung der Hüter des Lichts. Die Explosion des Lichts. Das zornige Heulen, als der Dunkle Bote ausgetrieben worden war.

Dunkelheit kann im Licht nicht existieren, Zach.

Aber sie konnte einem ganz schön zusetzen.

»Wie viele von uns waren in dieser Nacht dort?«, fragte Zach. »Ein Dutzend?«

»Mehr. Vierzehn.«

»Vierzehn, nur um einen zu besiegen? Dann stehen die Chancen für uns aber verdammt schlecht.«

»So ist es auch. Sind Sie nun, da Sie ein Gläubiger sind und die Chancen kennen, auf unserer Seite, Zachary?«

Er hielt dem Blick des Professors stand. »Ja, das bin ich. Vorerst zumindest.«

Professor Truebells Lippen umspielte ein Lächeln. »Das war zwar nicht die begeisterte Antwort, die ich mir erhofft hatte, aber damit kann ich leben. Eine letzte Sache wäre da noch.« Er verschränkte die Hände auf dem Tisch und beugte sich zu Zach vor. »Sie müssen mir Ihr Wort darauf geben, dass Sie in Bezug auf Michaela tun werden, was Sie tun müssen.«

Das konnte er am allerwenigsten leiden. Sie war seine Partnerin und geriet durch diese Heimlichtuerei nur in Gefahr.

Nein, Zach. Dadurch wird sie geschützt.

Er starrte Eli an. Verschwinde aus meinem Kopf.

Du musst uns vertrauen.

Ich vertraue ihr.

»Zachary? Ihre Antwort?«

»Ja, ich werde ihr nichts von den Hütern erzählen und ihr auch verschweigen, was in jener Nacht wirklich passiert ist.«

»Sie werden es nicht bereuen.«

Er bereute es jetzt schon. »Was kommt als Nächstes?«

»Wir warten.«

»Worauf.«

»Dass ein Dunkler Bote zuschlägt.«

Kapitel 1

New Orleans, Louisiana

Freitag, 16. Oktober

23:25 Uhr

»Und es ist wirklich okay, wenn ich gehe?«

Angel Gomez lächelte ihre Kollegin im Café an und scheuchte sie zur Tür. »Geh nur, Süße. Viel Spaß.«

Ginger zögerte. »Micki wird mich in Stücke reißen, wenn sie rausfindet, dass ich ohne dich gegangen bin.«

»Ich werde es ihr nicht erzählen, daher wird sie es nie erfahren. Und du musst zugeben, dass Micki es mit ihren Regeln ganz schön übertreibt. Das ist schon ziemlich albern, wenn man bedenkt, dass ich mehrere Jahre allein gelebt habe, bevor ich zu ihr gezogen bin.«

»Trotzdem …« Ginger sah auf die Uhr. »Es ist doch nur eine halbe Stunde …«

»Und ich hab einen Heimweg von fünf Blocks, mein Handy, mein Pfefferspray und ein verdammt lautes Organ. Also verschwinde. Und sag Bryan, er soll nett zu dir sein.«

Ginger lachte und schnappte sich ihren Rucksack. »Das ist er doch immer.«

»So hab ich das nicht gemeint …«

Im nächsten Augenblick war Ginger weg. Angel war allein. Sie beschäftigte sich, indem sie alles aufräumte und für den nächsten Tag vorbereitete. Komischerweise war der Freitagabend der ruhigste Abend der Woche im Sacred Grounds. Da sich das Café in der Nähe der Tulane und der Loyola University befand, kamen unter der Woche ständig Studenten her, um bei einem Kaffee für Tests zu lernen oder sich danach zu entspannen. Aber freitags um diese Zeit ließen alle Dampf ab, feierten, gingen aus, schauten Filme oder zockten. Die Woche war vorüber, und das Wochenende wurde ausgekostet.

Angel musste lächeln. Seit dieser schrecklichen Nacht vor drei Monaten hatte sich so vieles geändert. Vieles war besser geworden, und sie war so glücklich wie niemals zuvor.

Fast hätte sie vergessen können, wie es gewesen war, einen Dunklen Boten in ihrem Kopf zu haben und ihm hilflos ausgeliefert zu sein.

Nein, dachte sie. Der Albtraum ist vorbei. Eli, der Professor und die anderen Hüter haben ihn vertrieben.

Angel hatte niemandem davon erzählt, dass er in ihrem Kopf gewesen war, nicht Micki, nicht Zach und auch nicht Eli. Sie sollten es nicht wissen, denn sonst würden sie sie vielleicht mit anderen Augen ansehen und denken, sie wäre doch keine von ihnen. Dass man ihr nicht vertrauen konnte. Aber sie hatte sich fest vorgenommen, ihnen reinen Wein einzuschenken, wenn er jemals wiederkommen sollte.

»Haben Sie noch geöffnet?«

Sie sah über die Schulter. Seltsamerweise hatte sie gar nicht gehört, wie die Tür geöffnet wurde oder wie die Glocke darüber einen neuen Gast ankündigte.

Wow. Der Mann, der in der Tür stand, sah umwerfend aus. Dunkles, lockiges Haar. Ein strahlendes Lächeln. Wunderschöne haselnussbraune Augen, die sie quer durchs Café erkennen konnte. Er raubte ihr den Atem.

»Ich habe Sie erschreckt«, stellte er fest. »Entschuldigen Sie bitte.«

»Nein, ich …« Sie räusperte sich. »Ich wollte gerade Feierabend machen. Was kann ich Ihnen bringen?«

Klang ihre Stimme etwa hoffnungsvoll? Mann, sie war wirklich erbärmlich.

»Was Sie noch dahaben.«

»Ich könnte Ihnen einen Filterkaffee machen, wenn Sie was Warmes wollen. Die Maschinen wurden schon geleert und gereinigt …«

»Und was ist mit einem Kaltgetränk?«

»Eistee? Eiskaffee? Eine Flasche Wasser oder Saft?«

»Ein Wasser wäre super.«

Sie nahm die Flasche aus dem Kühlschrank hinter sich. »Ich habe Sie hier noch nie gesehen.«

»Ich bin auch zum ersten Mal hier.«

»Sind Sie Student?«, fragte sie und reichte ihm das Wasser.

Er schüttelte den Kopf und nahm einen großen Schluck. Angel merkte, dass sie seinen Hals anstarrte und beobachtete, wie sich seine Muskeln beim Trinken bewegten.

»Das hab ich hinter mir«, antwortete er. »Ich gehöre jetzt der arbeitenden Klasse an.«

»Was machen Sie denn?«

»Ich arbeite im Verkauf.«

»Und was verkaufen Sie?«

Er lachte. »Sie sind ganz schön neugierig, was?«

Angel errötete. »Entschuldigung. Das ist nicht gerade höflich.«

»Wie alt sind Sie?«, erkundigte er sich.

Bei der Frage setzte ihr Herz einen Schlag aus. Zuerst wollte sie »alt genug« sagen, aber das wäre zu unhöflich gewesen. »Fast neunzehn.«

»Ich bin zweiundzwanzig.« Er zückte seine Brieftasche. »Was bin ich Ihnen schuldig?«

»Das Wasser geht auf mich.«

»Sie haben die Kasse für heute schon abgeschlossen, was?«

»Ja, aber das war mein Fehler. Machen Sie sich deswegen keine Sorgen.«

Er nahm einen Fünfdollarschein aus seiner Brieftasche und steckte ihn in die Trinkgeldkasse. »Ich muss weiter. Danke … wie heißen Sie eigentlich?«

»Angel.«

»Angel«, wiederholte er. »Ich bin Seth.«

Da war wieder dieses Lächeln. Eine Sekunde lang bekam sie keine Luft mehr. Danach erwiderte sie es. »Hi, Seth.«

»Man sieht sich, Angel.«

Sie sah ihm hinterher, als er das Café verließ, und verspürte auf einmal ein gewaltiges Verlustgefühl, das mit dem Drang einherging, ihm hinterherzulaufen und nach seiner Nummer zu fragen.

Doch sie holte stattdessen ihr Handy aus der Tasche und schickte Ginger eine Nachricht.

Du hast eben einen echt süßen Typen verpasst. Er ist grade raus.

Hast du seine Nummer?

Nur seinen Namen. Er heißt Seth.

Du hättest ihn fragen sollen, ob er mit dir ausgeht.

Angel stellte sich das bildlich vor und lachte. Ja, klar. Als ob sie so etwas tun könnte.

Ich mach jetzt Feierabend. Bis morgen.

Sie steckte das Handy weg und erledigte alles, was noch zu tun war. Fünf Minuten später drehte sie das Neonschild um, auf dem »Geöffnet« stand, und schloss die Tür ab.

Die kalte, feuchte Nachtluft umgab sie wie eine Wolke. Angel erschauderte und machte sich auf den Heimweg, wobei sie an Seth denken musste. Hätte sie ihn um ein Date bitten sollen? Um seine Nummer? Die linkische, ungewollte Angel Gomez und ein Typ wie er? Das war doch mehr als unwahrscheinlich.

Aber sie fragte sich trotzdem, was er eigentlich an sich hatte. Das war das erste Mal gewesen, dass sie sich derart für einen Mann interessiert hatte, dabei war sie nicht etwa lesbisch oder so, doch bisher hatten die Männer sie eher kalt gelassen. Bis sie ihm begegnet war. Heute. Und sein Lächeln gesehen hatte. Außerdem war da etwas in seinen Augen gewesen. Als sich ihre Blicke begegnet waren, hatte sie das Gefühl gehabt, sie wären irgendwie … miteinander verbunden.

Auf einmal merkte sie, dass jemand hinter ihr ging. Sie schaute sich um. Es war ein Junge in einem Kapuzenpullover, der mit gesenktem Kopf und den Händen in den Taschen lief. Sie ging weiter nach rechts und wurde etwas langsamer, damit er an ihr vorbeigehen konnte.

Doch stattdessen passte er sich an ihr Tempo an und lief neben ihr her. »Hast du Lust auf ’ne Party?«

Ein Junge. Ungefähr sechzehn. Sie dachte an Gingers Nachricht und musste lachen. Dieser Typ hatte anscheinend nicht ihre Probleme. »Mit dir?«

»Warum nicht?«

»Du bist zu jung, Kleiner.«

»Willst du dann vielleicht Gras kaufen?«

»Kein Interesse. Verschwinde.«

Er folgte ihr. »Irgendwas anderes? Hasch oder Koks?«

Sie blieb stehen und drehte sich zu ihm um. »Ich nehme keine Drogen und kann es nicht leiden, wenn man mir welche andrehen will. Also sieh zu …«

In dem Augenblick packte er ihre Handtasche und zerrte daran. Die Riemen rissen, und er rannte los.

»Nein!«, schrie sie und stürmte hinter ihm her. Ihr Handy war in der Tasche, ihr Ausweis und das Trinkgeld, das sie heute bekommen hatte.

Ebenso wie das Pfefferspray.

Den anderen Jungen sah sie nicht mal kommen. Er sprang hinter einem Truck hervor und stieß sie zur Seite in die Büsche. Angel stürzte, und ihr Hinterkopf knallte schmerzhaft auf den Boden.

Obwohl sie Sterne sah, hielt sie das nicht davon ab, sich zu wehren. Sie trat um sich und kratzte. »Geh runter von mir, du Drecksack!«

Der erste Junge war wieder da und warf ihre Handtasche neben ihrem Kopf auf den Boden.

»Hilf mir mal«, verlangte der Kerl, der sie festhielt.

»Was hast du für ein Problem? Wirst du nicht mal mit einem Mädchen fertig?«

»Sie ist stärker, als sie aussieht, okay? Gib mir deinen Pulli.«

»Wieso denn …«

»Damit sie nicht schreien kann!«

Schon wurde ihr ein Sweatshirt ins Gesicht gepresst. Aber Angel wehrte sich. Sie wand sich. Trat zu. Als der Pulli verrutschte, konnte sie die beiden Jungen sehen. Wie jung sie noch waren. Warum taten sie ihr so was an?

Sie holte tief Luft und schrie los. Dann machte sie es gleich noch mal.

»Scheiße!« Der Junge, der auf ihr hockte, jaulte auf. »Bring sie zum Schweigen!«

»Verdammt, Pong, wie soll ich …«

»Drück ihr den Pulli auf den Kopf, du Trottel!«

Wieder wurde ihr der Stoff ins Gesicht gepresst, dieses Mal so fest, dass sie keine Luft mehr bekam. Der Geruch nach Schweiß, kaltem Rauch und etwas widerlich Süßem drang ihr in die Nase. Sie glaubte, ihren Namen zu hören. Eli?, antwortete sie. Bist du das? Ich brauche dich!

»Lasst sie in Ruhe!«

Im nächsten Moment wurde der Junge auch schon von ihr heruntergezerrt. Sie hörte einen Schlag, einen Schmerzensschrei und Schritte, die immer leiser wurden.

»Ganz recht. Seht zu, dass ihr verschwindet!«

Sie schob den Pulli beiseite und schnappte nach Luft. Da begriff sie auch, dass es Seths Stimme war, die sie gehört hatte.

Er kniete neben ihr. »Geht es Ihnen gut?«

Angel blinzelte. »Ihre Nase blutet.«

Er lachte leise. »Und Ihre läuft.«

Sie wischte sich mit dem Handrücken übers Gesicht und stellte fest, dass er recht hatte. »Anscheinend tut sie das«, sagte sie und brach in Tränen aus.

Er nahm sie in die Arme, hielt sie fest und ließ sie einfach weinen. Hin und wieder tätschelte er ihr unbeholfen den Rücken.

Nach einer Minute riss sie sich zusammen und wischte sich die Tränen von den Wangen. »Tut mir leid, dass ich geweint habe.«

»So ein Quatsch! Diese Typen haben Sie überfallen. Wenn Sie nicht geweint hätten, wäre mir das sehr komisch vorgekommen.«

Sie versuchte sich an einem Lachen, das sich jedoch eher wie eine Mischung aus Wimmern und Schluckauf anhörte. »Was machen Sie denn hier?«

»Ich hab Sie schreien gehört.«

»Aber wo …«

»Ich bin zum Café zurückgegangen, in der Hoffnung, Sie wären noch da und würden mir Ihre Telefonnummer geben.«

»Wirklich?«

Er lachte. »Warum klingen Sie denn so überrascht?«

»Ist das Ihr Ernst?«

Die Frage schien ihn zu verwirren. »Können Sie aufstehen?«

Sie nickte, und er half ihr auf die Beine.

»Wir sollten lieber die Polizei rufen.«

»Nein«, widersprach sie ihm kopfschüttelnd. »Keine Polizei.«

»Aber diese Kerle …«

»Meine Mitbewohnerin ist Polizistin. Ich werde es ihr erzählen.« Er sah nicht überzeugt aus. »Bitte. Ich möchte nur noch nach Hause.«

»Wo wohnen Sie?«

»Ein paar Blocks weiter in der Dante.«

»Schaffen Sie das zu Fuß?«

Sie nickte, obwohl sich ihre Beine noch immer wie Gummi anfühlten. »Es geht mir gut. Danke für Ihre Hilfe.«

Er zog die Augenbrauen hoch. »Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass ich Sie jetzt allein nach Hause gehen lasse?« Anscheinend hatte man es ihr ansehen können, da er die Stirn runzelte. »Nein, Angel, das werde ich nicht tun.«

Er legte ihr einen Arm um die Schultern. »Gehen wir es langsam an.«

Sie nickte. Nachdem sie einige Schritte gegangen waren, blieb sie abrupt stehen. »Meine Handtasche! Der erste Junge hat sie mir weggerissen …«

»Und Sie sind ihm hinterhergelaufen.«

»Ja.«

»Und der andere hat schon gewartet und Sie zu Boden gestoßen. Die klassische Vorgehensweise.«

Allerdings. Und sie war dumm genug gewesen, darauf reinzufallen. Dabei war sie doch sonst immer so clever.

»Da ist sie«, sagte er und deutete auf einen buschigen Rhododendron. »Ich hol sie.«

Als er ihr die Tasche reichte, schaute sie sofort hinein und seufzte erleichtert. »Sie haben überhaupt nichts rausgenommen.«

»Vermutlich hatten sie keine Zeit dazu«, meinte er und legte erneut den Arm um sie. »Dann bringe ich Sie jetzt mal nach Hause.«

Kapitel 2

Samstag, 17. Oktober

1:16 Uhr

Vor ihr lag ein gefallener Engel. Entzweigeteilt, aber mit intakten Flügeln. Micki starrte das engelsgleiche Opfer an und ließ den Blick dann über die apokalyptische Landschaft schweifen. Alles sah trostlos und zerstört aus. Dies war ein Ort, an dem es nichts Gutes mehr gab, sondern nur noch den widerlichen Geruch nach Tod und Verderben.

Nach ihrem Tod. Ihrem unausweichlichen Verderben.

Hier würde sie heute Nacht sterben.

Während dieser Gedanke durch ihr Unterbewusstsein trieb, fiel ein Schuss. Eine Kugel drang in ihre Brust ein und explodierte dort mit einem gewaltigen Knall, der sie bis ins Mark erschütterte. Sie taumelte am Rand einer Klippe entlang, die so steil abfiel, dass sie nichts als Schwärze sehen konnte.

Eine zweite Detonation ertönte, schien sie zu zerreißen, in eine Million Stücke zu zerfetzen. Sie stürzte über den Rand und in den Abgrund. Es war Blut, begriff sie. Ihr Blut. Es rauschte. Quoll blubbernd heraus. Versiegte, als ihr Herz immer langsamer schlug.

Aber sie fiel weiter und kam der Dunkelheit unter sich immer näher.

Ihr war so kalt. So schrecklich kalt.

Auf einmal erstrahlte ein grelles Licht, fiel auf sie und zog sie in seinen warmen Schein. Jemand war bei ihr … Sie versuchte, ein Gesicht zu erkennen. Es war ein wunderschönes Gesicht, das wusste sie, obwohl sie es nicht sehen konnte. Wegen der Stimme, die so rhythmisch war wie das Rauschen der Meereswellen und ebenso beruhigend.

»Noch nicht, Michaela«, flüsterte derjenige, der bei ihr war. »Noch nicht …«

Keuchend schlug Detective Micki Dare die Augen auf. Sie griff nach ihrer Waffe, die unter dem Rand der Matratze lag. Während sie die Finger um den Griff legte, schaute sie auf die Uhr auf dem Nachttisch.

1:16 Uhr.

Erst dann sah sie sich um und nahm ihre Umgebung wahr. Das Mondlicht drang an den Seiten der Jalousie herein. Alles war ruhig und friedlich.

Sie legte sich eine zitternde Hand an die Brust, doch da war keine klaffende Wunde, und es quoll auch kein Blut heraus. Da waren weder der Schmerz noch der Verwesungsgeruch.

Kein strahlendes Licht. Keine engelsgleiche Stimme, die sie rief.

Micki umklammerte die Waffe nicht mehr ganz so fest, ließ sie aber auch nicht los – sie konnte es nicht. Noch nicht.

Sie setzte sich auf, legte die Waffe in ihren Schoß und ließ den Kopf in die Hände sinken. Atme, sagte sie sich. Durch die Nase einatmen, durch den Mund ausatmen. Langsam und tief. Sie folgte ihren eigenen Anweisungen, bis das Zittern nachließ und sich ihr Herzschlag wieder verlangsamte.

Du hast die Kontrolle, Micki. Du schaffst das.

Sie setzte sich gerade hin und schaltete die Nachttischlampe ein. Sofort war sie von Licht umgeben, das bis in die letzte Ecke und den letzten Winkel reichte. Denselben Albtraum hatte sie auch schon einige Nächte zuvor gehabt.

Nachdenklich runzelte sie die Stirn. Sie verstand es. Diese Nacht, in der sie angeschossen worden war, zählte zu den schrecklichsten ihres Lebens. Sie wäre beinahe gestorben. Das, was sie gesehen und gehört hatte, brachte ihren Glauben an das, was sie für richtig und falsch, für Wahrheit und Fiktion hielt, ins Wanken.

Das Böse existierte. Nicht nur durch die Taten von Menschen, sondern als eigenständige Wesen. Sie hatten sogar einen Namen.

Dunkle Boten.

Und er hatte sie gekannt. Ihre Vergangenheit. Er hatte gewusst, wen sie liebte und wer ihr wehgetan hatte.

Reiß dich zusammen, Micki. Denk doch mal darüber nach. Wäre es denn so überraschend, wenn du unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leidest? Eigentlich war doch damit zu rechnen. Die Albträume und die Selbstzweifel, der verstärkte Sinn für Schönheit und die Vergänglichkeit des Lebens sprachen doch Bände.

Was sie jedoch nicht begriff, war, wieso es jetzt passierte. Es waren drei Monate vergangen. Das Leben war gut. Ihre Verletzungen waren geheilt. Ihre Partnerschaft mit Zach war zu einer lockeren Kameradschaft geworden. Sie bearbeiteten keine besonders komplizierten Fälle, sie war nicht erneut auf YouTube gelandet oder angeschossen worden, und der Nova war noch immer ganz. Kein weiterer Dunkler Bote hatte sich blicken lassen.

Micki griff nach dem Zopfgummi, den sie immer auf dem Nachttisch liegen hatte, und band ihr schulterlanges dunkelblondes Haar zu einem schiefen Pferdeschwanz zusammen. Sie war eine Kämpferin. Sie würde so lange und so clever kämpfen, wie sie nur konnte. Wenn das nicht ausreichte, dann war das eben so – aber dann würde sie sich wenigstens nichts vorwerfen können.

Aber was war das hier? Das war keine Reue. Keine Angst, kein Zögern. Es glich eher dem Gefühl, dass da noch etwas unerledigt geblieben war, dass die nächste Hiobsbotschaft nicht mehr lange auf sich warten lassen würde.

Dass da noch etwas kam.

Dass ein Puzzleteil fehlte.

Sie schüttelte den Gedanken ab und grübelte über Zach, ihre Partnerschaft und das Sixers-Programm nach. Es fiel ihr schwer zu glauben, dass Chief Williams sie erst im vergangenen Juli über die neue FBI-Initiative informiert hatte, für die sie ausgewählt worden war und bei der Agenten mit besonderen Fähigkeiten die Straßenkriminalität bekämpfen sollten. Nachdem man sie davon überzeugt hatte, dass man sie nicht nur auf den Arm nehmen wollte, hatte man gleich die nächste Bombe platzen lassen: Sie sollte die Partnerin eines dieser Rekruten werden.

Seitdem sie nicht mehr krankgeschrieben war, hatten sie erstaunliche Erfolge gefeiert. Raubüberfälle waren innerhalb von Stunden aufgeklärt worden. Fälle von häuslichem Unfrieden ließen sich rasch bereinigen. Streits konnten ohne Blutvergießen beendet werden. Alles lief wie am Schnürchen.

Diese Erfolge hatten sie vor allem Zach zu verdanken. Seine besonderen Fähigkeiten machten ihre stinknormalen überflüssig – solange es nicht darum ging, sich Prügel oder Kugeln einzufangen oder ihm auf eine andere Art den Arsch zu retten.

Sie hatte ihren Job gemacht. Sie hatte dafür gesorgt, dass er am Leben blieb. Das war ihre oberste Priorität. Es war nicht immer einfach, da einen dieser Mann ziemlich auf die Palme bringen konnte. Einige Male war sie kurz davor gewesen, ihm eigenhändig den Hals umzudrehen.

Trotz ihrer Erfolge – oder möglicherweise gerade deswegen – bestand die Möglichkeit, dass er versetzt wurde. Sie spürte, dass er bereit dafür war. Was nicht hieß, dass er sich langweilte, aber mental schien er stets irgendwo anders zu sein. Der Job und ihre Partnerschaft waren für ihn nicht das Ende der Fahnenstange. Zach Harris war kein Mann, der sich mit dem Alltagstrott zufriedengab.

Action. Abenteuer. Aufmerksamkeit. Das war es, was er brauchte.

Aus dem vorderen Teil des Hauses war ein Geräusch zu hören. Das Quietschen der Fliegengittertür. Schritte. Eine gedämpfte Stimme. Eine Männerstimme. Wie viele waren es? Sie spitzte die Ohren. Mehr als einer.

Mit dem beruhigenden Gewicht ihrer Waffe in der Hand stieg sie aus dem Bett. Nur in ihrem zerschlissenen »Crescent City Classic«-T-Shirt und den Sportshorts ging sie zur Schlafzimmertür, zog sie auf und spähte hinaus.

Eine Gestalt am Ende des dunklen Flurs. Groß. Breitschultrig. Er hatte etwas in der Hand. Eine Waffe?

Jetzt wird’s ernst, Mad Dog.

Sie stürmte auf den Flur und richtete die Waffe auf die Brust des Eindringlings. »Bleib da stehen, wo du bist, du Wichser! Hände hoch!«

»Warten Sie! Das ist ein …«

»Hände hoch!«

Er riss die Hände hoch. »… Irrtum.«

»Und wie du dich geirrt hast! Es war ein verdammt großer Fehler, mein Haus …«

»Micki!« Angel kam aus dem Wohnzimmer in den Flur gerannt. »Nein! Er gehört zu mir!«

Micki ließ die Waffe nicht sinken. »Was soll das heißen?«

»Wir haben uns nur unterhalten. Auf der Veranda.«

»Das sieht mir aber nicht nach der Veranda aus.«

»Er musste mal auf die Toilette.«

Micki schaltete mit einem Ellbogen das Licht an und musterte ihr Gegenüber. Zu alt für Angel, beschloss sie. Zu gut aussehend. Er passte überhaupt nicht zu ihr. Sie dachte darüber nach, ihn einfach zu erschießen, und ließ die Waffe nicht sinken.

»Ma’am, ich habe Ihr Badezimmer noch nicht mal betreten, und wenn Sie weiterhin die Waffe auf mich richten, macht das die Sache nicht besser, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

Sie nahm die Glock herunter und machte ein finsteres Gesicht. »Das Badezimmer ist da vorn. Aber Beeilung, und danach verschwinden Sie.«

Angel stieß ein entrüstetes Keuchen aus. »Micki!«

»Das geht schon in Ordnung, Angel.« Er sah Micki wieder an. »Ich muss mich für mein Eindringen entschuldigen. In zwei Minuten bin ich wieder weg.«

Mit diesen Worten verschwand er im Badezimmer. Sobald die Tür ins Schloss gefallen war, wirbelte Angel zu ihr herum. »Du hattest kein Recht, so mit ihm zu reden.«

»Ich hatte jedes Recht der Welt. Das hier ist mein Haus, und soweit es mich betrifft, ist er ein ungebetener Gast.«

»Du bist so uneinsichtig!«

»Es ist fast zwei Uhr früh, Angel.«

»Na und?«

»Du hast die Regeln gebrochen. Es war abgemacht, dass du nach der Arbeit entweder sofort nach Hause kommst oder mir Bescheid sagst. Zu deiner eigenen Sicherheit.«

»Das ist doch nichts als Blödsinn.«

»Ich muss sicherstellen, dass dir nichts passiert, darum hab ich zu deinem Schutz diese Regeln …«

»Ich bin achtzehn Jahre alt.«

»Und wie alt ist er?«

»Zweiundzwanzig«, antwortete er und trat wieder auf den Flur. Dabei sah er Angel an. »Hast du es ihr erzählt?«

»Was soll sie mir erzählt haben?«

Angel verschränkte die Arme vor der Brust. »Nichts.«

Micki wandte sich an den jungen Mann. »Was?«

Doch er nahm den Blick nicht von Angel. »Du musst es ihr schon selbst sagen.«

Nach kurzem Zögern stieß Angel die Luft aus. »Auf dem Heimweg haben mich zwei Jungs überfallen, und Seth hat mir geholfen.«

Micki erstarrte. »Augenblick mal. Du wurdest angegriffen?«

»Ja.«

»Geht’s dir gut?«

»Mir ist nichts passiert. Es war nicht weiter wild.«

»Blödsinn. Wenn Seth nicht gekommen wäre, hätte die Sache vermutlich anders ausgesehen.«

»Mir geht’s gut«, wiederholte Angel.

»Wo war Ginger? Sie sollte dich doch nach Hause fahren.«

»Das war nicht ihre Schuld. Sie war verabredet, und ich hab ihr gesagt, dass sie ruhig schon gehen kann.«

»Na großartig.«

»Hören Sie«, schaltete Seth sich ein. »Es geht ihr gut. Und ich bin mir sicher, dass sie nächstes Mal vorsichtiger sein wird.«

»Danke für Ihre Hilfe … Seth. Aber ich denke, Sie sollten jetzt gehen.«

Angel schnappte nach Luft. »Das ergibt doch keinen Sinn! Warum muss er jetzt gehen?«

»Weil es zwei Uhr früh ist, reicht dir das nicht? Weil ich deine Aussage aufnehmen und einen Bericht schreiben muss?«

»Sie hat recht, Angel.« Seth ging zu ihr und gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Ich bin jedenfalls sehr froh, dass dir nichts passiert ist.«

Angel sah aus, als stünde sie kurz davor, in Ohnmacht zu fallen. »Es war sehr schön.«

»Ja, das fand ich auch. Man sieht sich.«

Nachdem die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war, starrte Micki Angel entgeistert an. »Hast du eben wirklich gesagt: Es war schön?«

***

Anderthalb Stunden später hatte Micki Angels Aussage aufgenommen und weitergeleitet. Angel hatte ihr die beiden Jungen genau beschrieben und ihr die Namen genannt, aber trotzdem bezweifelte Micki, dass man sie finden würde. Momentan wartete sie auf einen Rückruf wegen des Kapuzenpullovers.

Sie saßen am Küchentisch. Angel hatte die Hände um eine Tasse mit warmer Milch gelegt. »Das hätte in einer Vergewaltigung enden können«, sagte Micki leise.

»Ich weiß.« Angel ließ kurz den Kopf sinken und sah ihr dann in die Augen. »Das mit vorhin tut mir leid. Ich weiß nicht, was da über mich gekommen ist.«

Micki wusste es hingegen sehr gut: Sie hatte einen älteren, sehr attraktiven Mann beeindrucken wollen. Doch sie sagte ihr lieber nicht, dass sie durch diese widerspenstige Haltung nur jünger statt älter gewirkt hatte. Ihrer Meinung nach hatte die junge Frau in dieser Nacht schon genug durchgemacht.

»Mach dir deswegen keine Gedanken«, erwiderte sie. »Hattest du dein Pfefferspray nicht dabei?«

»Das war in meiner Handtasche. Ganz schön blöd, was?«

»Manchmal muss erst was Schlimmes passieren, damit wir begreifen, wie verletzlich wir sind.«

»Er war so nett. Seth, meine ich.«

»Es machte ganz den Eindruck.«

»Wenn ich nicht überfallen worden wäre, hätte ich ihn nie kennengelernt.«

»Ich dachte, er wäre vorher schon im Café gewesen?«

»Das war er auch, aber wir hätten uns nicht richtig kennengelernt.«

Micki wollte schon einwenden, dass der Mann zu alt für Angel war, sah dann aber lieber davon ab. Sie erinnerte sich noch genau daran, wie sie in diesem Alter gewesen war und wie sehr sie sich über so einen Kommentar von einem Erwachsenen geärgert hätte.

Ihr Handy klingelte. »Dare«, meldete sie sich.

»Detective, hier ist Officer Collins. Wir haben kein Sweatshirt gefunden. Entweder sind die Täter noch mal zurückgekommen, oder jemand anderes hat es eingesteckt.«

»Danke«, erwiderte sie. »Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie noch was rausfinden.«

Sie legte auf und sah Angel an. »Der Pulli wurde nicht gefunden.«

»War ja klar.« Angel schlang sich die Arme um den Bauch. »Warum warst du noch auf?«

»Was?«

»Als ich Seth gezeigt hab, wo das Bad ist, hab ich Licht in deinem Schlafzimmer gesehen.«

»Ich musste an diese Nacht denken.«

Angel brauchte nicht nachzufragen, was Micki damit meinte. Es schien immer wieder auf dieses Ereignis hinauszulaufen.

»Du hattest also wieder einen Albtraum.«

»Wie kommst du darauf?«

Angel zog eine Augenbraue hoch. »Ich hab dich letzte Nacht gehört. Du hast geschrien.«

»Hab ich das?« Micki runzelte die Stirn. »Was hab ich denn geschrien?«

»›Nein!‹ und ›Lass mich gehen!‹« Angel trank einen Schluck Milch. »Aber ich hab dich schon öfter gehört. Du hast nach Hank gerufen.«

Ihrem besten Freund und Mentor. Sie vermisste ihn noch immer und dachte jeden Tag an ihn. Micki schluckte schwer und wollte eigentlich gar nicht darüber reden. »Warum hast du bisher nie was gesagt?«

»Wäre das nicht unhöflich gewesen?«

Angel war auf die für sie typische Weise direkt. Micki hatte schon längst gemerkt, dass der jungen Frau die Geduld für Nettigkeiten fehlte. Außerdem hatte sie recht, und es wäre tatsächlich unhöflich gewesen, wenn man ihre Beziehung bedachte: Zwischen ihnen bestand weder aufgrund einer Verwandtschaftsbeziehung oder einer gemeinsamen Geschichte eine Verbindung. Sie kannten einander kaum, waren allerdings durch etwas anderes aneinandergebunden – die dunkle Macht, die ihnen beiden nach dem Leben getrachtet hatte.

»Du siehst müde aus. Warum gehst du nicht ins Bett?«

Angel nickte und stand auf. »Was ist mit dir?«

»Ich werd noch eine Weile aufbleiben.«

»Okay.« Angel trug ihre leere Tasse zum Spülbecken, wusch sie aus und stellte sie in die Spülmaschine.

»Angel?«

Die junge Frau drehte sich um. Hinter ihr war finstere Nacht, während sie vorn im Hellen stand.

Licht und Dunkelheit. Gut und Böse. Zwei Seiten derselben Medaille.

Doch dann bewegte sich Angel, und der Eindruck war dahin. »Kann ich dich was fragen?«

»Ja, sicher.«

»Hast du mir alles über diese Nacht erzählt? Alles über das, was passiert ist?«

»Alles, woran ich mich erinnere.«

»Erzähl es mir noch mal.«

Angel runzelte die Stirn. »Ich bin ohnmächtig geworden, Micki, und erinnere mich …«

»Ich muss es noch mal hören. Was ist dir im Gedächtnis geblieben?«

»Putnam und Miller haben geschrien. Ich hab die Tür eingetreten, um sie zu retten. Dann wurde ich von hinten angegriffen und zu Boden geworfen. Ich hatte Schmerzen. Hab mich gefürchtet. Zach hat uns gerettet.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Der Dunkle Bote war in meinem Kopf und hat mich verspottet.«

»Was hat er gesagt?«

»Dass ich sterben werde.«

Angel zögerte nicht mit ihrer Antwort und blinzelte zweimal. Da gab es noch etwas, das sie nicht erzählen wollte – etwas, das noch weitaus schlimmer war als diese Todesdrohung.

»Okay. Danke. Schlaf gut, Angel.«

»Du auch.« Sie ging zur Tür, blieb dort aber noch einmal stehen. »Du solltest mit Zach über diese Nacht reden. Er weiß garantiert mehr als ich.«

Diese Worte gaben Micki ebenso zu denken wie der betont beiläufige Tonfall. »Glaubst du, er verschweigt mir was?«

»Das hab ich nicht gesagt. Aber anders als wir beide war er die ganze Zeit bei Bewusstsein.«

Kapitel 3

Samstag, 17. Oktober

6:15 Uhr

Micki kurbelte das Fenster auf der Fahrerseite herunter, um die kühle, herbstliche Morgenluft hereinzulassen. Die aufgehende Sonne tauchte den Horizont in Pink und Orange, und die Wettervorhersage war vielversprechend. Der Oktober in New Orleans war immer etwas ganz Besonderes, fast so, als würde den Bewohnern dafür gratuliert, dass sie den Sommer überstanden hatten.

An diesem Morgen brauchte sie die kühle Luft, um wach zu werden. Nachdem Angel ins Bett gegangen war, hatte Micki noch lange über die Ereignisse aus jener Nacht nachgedacht, jeden Moment noch einmal durchlebt und sich dann den Kopf über ihren Traum und dessen Bedeutung zerbrochen.

Immer wieder kehrte sie zu den Worten zurück, die Angel direkt vor dem Zubettgehen gesagt hatte: Du solltest mit Zach über diese Nacht reden. Er weiß garantiert mehr als ich.

Allein die Wortwahl kam ihr schon höchst verdächtig vor. Sie grübelte immer wieder darüber nach. Ihr rechtes Auge begann zu zucken. Da war etwas … irgendetwas, das sich in ihrem Unterbewusstsein befand und an die Oberfläche dringen wollte.

Die Fakten passten nicht zusammen, weil sie nicht alle Fakten kannte.

Aber sie, Zach und Angel waren nicht die Einzigen am Tatort gewesen, und genau das war der Grund für diesen frühmorgendlichen Ausflug.

Die Rettungssanitäter hatten sich ebenfalls dort aufgehalten. Micki hatte in der Zentrale angerufen, und wie es der Zufall wollte, hatte eine der beiden, die sich in jener Nacht um sie gekümmert hatten, gerade das Gebäude verlassen, während die Schicht des anderen demnächst endete. Sie hatte darum gebeten, dass er auf sie wartete, da sie mit ihm sprechen wollte, und sich sofort auf den Weg gemacht.

Micki erreichte das Gebäude der New Orleans Emergency Medical Services, parkte und meldete sich am Empfang. »Paul hat gerade Feierabend gemacht«, teilte die Frau hinter dem Tresen ihr mit. »Das ist er, der Mann am Wasserspender.« Sie deutete auf einen Mann mit einer Saints-Kappe. »Sie sind gerade rechtzeitig hergekommen.«

Micki eilte zu ihm hinüber. »Paul Cleary?«, erkundigte sie sich.

Er drehte sich um. Wenn sie die tiefen Falten um seine Augen und seinen Mund richtig deutete, hatte er eine harte Nacht hinter sich. »Micki Dare, NOPD. Sie waren damals …«

»Ich erinnere mich an sie.« Er lächelte sie an. »Sie sehen gut aus, Detective. Auf jeden Fall sehr viel besser als bei unserer letzten Begegnung. Freut mich, dass die Genesung voranschreitet.«

»Danke. Ich höre immer wieder, dass es fast schon eine Wunderheilung ist.«

Seine Miene wurde misstrauisch. »Was kann ich heute für Sie tun?«

»Ich hatte gehofft, dass Sie mir einige Fragen über diese Nacht beantworten können.«

Er sah auf die Uhr. »Ich bin völlig erschlagen, Detective, und hab eine harte Schicht hinter mir.«

»Es geht auch ganz schnell. Versprochen.«

Daraufhin nickte er. »Aber Sie sollten wissen, dass ich manchmal Einsätze durcheinanderbringe, auch wenn mir diese Nacht deutlich besser im Gedächtnis geblieben ist als viele andere.«

»Mein Partner sagte, er hätte gehört, dass Sie eingetroffen waren, und mich dann verlassen, um die Gefangenen zu befreien. Haben Sie ihn gesehen?«

»Nein.«

Sie runzelte die Stirn. »Er hat gesagt, er hätte Ihnen noch etwas zugerufen.«

»Ich hab ihn nicht gehört. Tut mir leid.«

»War sonst noch jemand da?«

»Abgesehen von dem Mann, der es nicht geschafft hat? Nicht, dass ich wüsste.«

»Was haben Sie gesehen?«

»Zwei Opfer, eins männlich, eins weiblich: Sie. Beide angeschossen.« Er hielt kurz inne, als müsste er nachdenken. »Ich wusste sofort, dass der Mann tot war, hab aber trotzdem seinen Puls gecheckt, was meine Vermutung bestätigt hat.«

»Woher wussten Sie, dass er tot war?«

Er sah sie überrascht an. »Wie bitte?«

»Sie haben gesagt, Sie hätten sofort gewusst, dass der Mann tot war. Das impliziert auch, dass Sie wussten, dass ich noch am Leben war. Wieso?«

Er zögerte. »Sie hatten einen Puls und haben geatmet, wenn auch nur schwach.«

»Dann wussten Sie es also erst, nachdem Sie mich untersucht hatten.«

Er zuckte mit den Schultern und verzog betreten das Gesicht. »Ja, kann schon sein.«

Das irritierte sie. Verschwieg er ihr etwas? »Ich habe die Tatortfotos gesehen. Ich hatte sehr viel Blut verloren.«

»Das stimmt.«

»Der Arzt hat mir gesagt, dass die Kugel meine Lunge durchbohrt hat.«

»Ja. Das konnte ich sofort am Klang Ihrer Atmung hören.«

»Eine saugende Thoraxwunde.«

»Genau. Wir haben die Thoraxwand mit einem Pneumothoraxventil verschlossen. Das ist immer eine schwere Entscheidung, ob man den Patienten einladen und ins Krankenhaus bringen oder vor Ort behandeln soll. Bei Ihnen war ich aufgrund Ihrer Atmung sehr besorgt, und es war zu befürchten, dass ein Transport Ihren Zustand nur noch verschlimmert. Daher war eine Nadeldekompression gefolgt von einer Pleutradrainage meiner Meinung nach ratsamer.«

»Wie lange hat es gedauert, bis Sie und Ihr Partner vor Ort waren?«

»Länger als üblich, was bei der Lage aber auch kein Wunder war. Ich schätze, es hat zwanzig bis fünfundzwanzig Minuten gedauert.«

»Ziemlich lange, vor allem für eine derartige Situation.« Da er nichts erwiderte, fuhr sie fort. »Was schätzen Sie, wie lange Sie insgesamt vor Ort gewesen sind?«

»Etwa zehn Minuten. Weitere acht hat es gedauert, Sie in die Unfallklinik zu bringen.« Er zupfte am Schirm seiner Kappe. »Das steht auch alles in den Unterlagen, Detective.«

»Ich befürchte, dass das, wonach ich suche, nicht drin steht. Mich interessiert das, was Sie mir nicht erzählen.«

Er blinzelte. »Welchen Grund sollte ich haben, Ihnen etwas zu verschweigen?«

»Sagen Sie’s mir.« Wieder erwiderte er nichts, daher sah sie ihm in die Augen. »Ich versuche herauszufinden, warum ich noch am Leben bin.«

»Könnte es nicht sein, dass Sie einfach Glück gehabt haben? Seien Sie dankbar, und akzeptieren Sie es.«

Er klang beinahe wie Zach. Sie wusste, dass die beiden recht hatten, aber sie konnte die Sache einfach nicht auf sich beruhen lassen. Noch nicht. »Woher wussten Sie, dass ich am Leben war und der Mann nicht?«

Kurz sah es so aus, als hätte er endgültig genug, aber dann zuckte er mit den Achseln. »Manchmal sehe ich Dinge. Das muss nichts zu bedeuten haben.«

»Was genau meinen Sie damit?«

»Sie waren von Licht umgeben, der Mann nicht.«

Wie in ihrem Traum. Ihr Herz schlug schneller. »Ich war von Licht umgeben?«

»Ja.« Das Wort kam ihm wie eine Herausforderung über die Lippen.

»Hat Ihre Kollegin …«

»Nein, hat sie nicht. Und wir reden auch nicht mehr darüber.«

»Sah es aus wie eine Art Kraftfeld oder …«

»Das war’s.« Er erhob sich.

»Warten Sie!« Sie sprang ebenfalls auf. »Ich mache mich nicht über Sie lustig. Ich möchte es einfach wissen. Ich muss es wissen.«

»So was sehe ich manchmal. Eine Art Leuchten. Ich weiß nicht, ob es die Energie dieses Menschen ist, seine Aura oder Lebenskraft, die ich da wahrnehme, aber das geht nur mir so. Ich kann es sehen. Mir ist noch kein anderer begegnet, dem das möglich ist.«

»Manchmal, haben Sie gesagt. Wie häufig passiert das?«

»Vielleicht einmal im Monat. Warum ist das wichtig, Detective?«

Mit einem Mal sah er sehr erschöpft aus. Als könnte er auf der Stelle einschlafen. Sie bekam ein schlechtes Gewissen, weil sie ihn aufhielt, doch sie sprach leise weiter.

»Ich habe von dieser Nacht geträumt. In meinem Traum war ich von Licht umgeben. Es war hell, aber nicht grell. Stimmt das ungefähr mit dem überein, was Sie gesehen haben?«

Er nickte.

»Ich hab das Gefühl, dass ich nur dank dieses Lichts noch am Leben bin. Dass es dafür einen Grund gibt und ich ihn kennen sollte.«

»Vielleicht war Ihre Zeit einfach noch nicht gekommen? Haben Sie schon mal darüber nachgedacht?«

»Das ist nicht gerade eine wissenschaftliche Erklärung.«

»Da haben Sie recht, aber ich sehe jeden Tag alle möglichen wundersamen Dinge, Detective. Dinge, die sich wissenschaftlich nicht erklären lassen, aber dennoch passieren. Ich kann sie nicht begründen, und ich habe auch aufgehört, das zu versuchen.«

»Wundersame Dinge?«

»Ja. Dadurch bin ich zu einem Gläubigen geworden.«

»Woran glauben Sie denn? An eine göttliche Macht?«

»An etwas außerhalb unserer Welt. Es ist unerklärlich, wie ich bereits gesagt habe.«

»Und wenn Sie das Licht sehen, dann ist die Person jedes Mal noch am Leben?«

»Ja. Aber ich bin wirklich total k. o. Sind wir hier fertig?«

Sie nickte und reichte ihm die Hand. »Danke, dass Sie Zeit für mich hatten. Und dass Sie mir das Leben gerettet haben.«

Er wollte schon weggehen, blieb dann aber noch mal stehen. »Detective Dare?«

Micki stellte fest, dass er sie sehr ernst ansah.

»Möglicherweise stellen Sie die falschen Fragen. Anstatt sich darüber den Kopf zu zerbrechen, wie Sie überlebt haben, sollten Sie vielleicht darüber nachdenken, warum Ihre Zeit noch nicht gekommen war.«

»Sie denken, ich hätte noch was zu erledigen?«

»Oder Sie dienen einem höheren Zweck.«

»Paul?«

»Ja?«

»Haben Sie noch was anderes gesehen? Abgesehen von dem Licht, meine ich.«

»Was denn?«

Wie sollte sie das ausdrücken? Ob er den Schnitter oder den Sensenmann gesehen hatte? Das inkarnierte Böse höchstpersönlich?

Sie befand sich schon jetzt auf sehr dünnem Eis. »Ach, vergessen Sie’s.«

Kapitel 4

Montag, 19. Oktober

8:20 Uhr

Mit einem vollen Becherhalter in der Hand lief Zach die Treppe hoch und betrat das Revier im achten Distrikt. Das neoklassische Gebäude an der Ecke Royal und Conti Street im Herzen des French Quarter war für die Nutzung durch das Achte umfunktioniert worden. Da so viele Besucher hereinkamen und Fotos schießen – oder die Verkaufsautomaten benutzen – wollten, hatte man das Erdgeschoss herausgeputzt, das jetzt sauber und klassisch aussah.

Im ersten Stock erwartete einen jedoch ein anderer Anblick: morsche Wände, abbröckelnde Farbe, Schimmel und riesige Klimageräte. Zach hatte bald gelernt, dass man das hier in New Orleans als »Atmosphäre« bezeichnete.

Zach arbeitete bei der coolsten Truppe der Einheit. Offiziell war es die Ermittlungseinheit des achten Distrikts, das Zentrum des Geschehens, das das French Quarter, Marigny und den Innenstadtbereich umfasste. Inoffiziell gehörte er zu den Sixers, einer geheimen FBI-Initiative, bei der besonders »begabte« Rekruten mit einheimischen Polizisten zusammenarbeiteten.

Seine besonderen Gaben waren eine bunte Mischung: ein wenig Psychometrie, ein wenig Hellsichtigkeit und Telepathie, garniert mit einer Prise Retrokognition. Lauter schöne Worte, mit denen seine seltsamen Gene beschrieben wurden und die ihn in diesem Job so gut machten.

Also ja, als supergeheimer Spezialagent hatte er definitiv den coolsten Job innerhalb der Truppe.

Solange er sich nicht auf pulsierende Schatten konzentrierte, die einen töten konnten. Oder die Tatsache, dass ihn diese Dunklen Boten wegen seiner Vielzahl an Fähigkeiten umbringen wollten, dank derer er sie nicht nur sehen, sondern ihre Energie auch noch aufspüren konnte.

Das verdarb ihm dann doch ein bisschen den Spaß an der Sache.

Die Polizistin am Empfang wurde gerade von mehreren aufgeregten Touristen in ein Gespräch verwickelt. Die Menge wurde immer lauter, und sie sah aus, als würde sie gleich in die Luft gehen. Einige Menschen sollte man lieber nicht reizen, insbesondere nicht schon vor dem Mittagessen an einem Montag.

Sobald sie ihn jedoch sah, hellte sich ihre Miene auf. »Was haben Sie denn da, Hollywood?«

»Etwas, das diesen Morgen erträglicher macht.«

Sie starrte die Gruppe an. »Geht zur Seite, Leute, und lasst den Detective durch.«

Er stellte ihr den weißen Schoko-Mokka auf den Tisch, und sie griff danach, als wäre das Getränk ihr Lebensretter, und beugte sich vor. »Sie haben möglicherweise gerade jemandem das Leben gerettet, das ist Ihnen doch klar, oder?«

Zach zwinkerte ihr zu und ging weiter zu seiner Abteilung. Bei der Rezeptionistin blieb er erneut stehen, gab ihr ihren Kaffee und ließ sich seine Nachrichten aushändigen. »Ist Mad Dog schon da?«

Sue richtete ihre hochtoupierte Frisur. »Schon seit einer Weile. Und sie hat vielleicht eine Laune.«

Er lachte. »Hat sie die nicht immer.«

»Ich würde Ihnen ja raten, dass Sie heute Morgen lieber auf Ihren Arsch aufpassen sollten, aber die Aufgabe kann ich auch gern übernehmen.«

»Sie sind ganz schön ungezogen, wissen Sie das?«, entgegnete er grinsend.

»Sie haben ja keine Ahnung, Süßer.« Sie zwinkerte ihm zu. »Wenn Sie mir eine Chance geben, dann zeig ich’s Ihnen.«

»Sie sind viel zu heiß für mich, Sue«, erwiderte er ebenso schelmisch. »Außerdem werde ich mich ganz bestimmt nicht mit Ihrem Freund anlegen.«

Ihr Telefon klingelte, bevor sie noch etwas erwidern konnte, und er machte sich auf die Suche nach Mick. Er entdeckte sie dort, wo er sie auch erwartet hatte: Sie saß an ihrem Schreibtisch und begutachtete den Inhalt eines Aktenordners, der aufgeschlagen vor ihr auf dem Tisch lag. Während sie mit gesenktem Kopf dasaß, zwirbelte sie geistesabwesend einige Haarsträhnen zwischen den Fingern, die aus ihrem Pferdeschwanz gerutscht waren.

Zach legte den Kopf schief und musterte sie. Manchmal war sie einfach nur Mick. Sein Partner, die knallharte Mad Dog Dare, die keine Gefangenen machte.

Dann wieder, so wie jetzt beispielsweise, musste er sie nur ansehen und schon hatte er wieder die Frau aus dem Klub vor sich, die sich im Takt der hämmernden Musik bewegte und die gierigen Blicke aller Männer in der Nähe auf sich zog – ihn eingeschlossen.

Die Frau, deren Lippen sein Blut in Wallung gebracht hatten. Er konnte sich noch sehr genau daran erinnern, wie sie sich an ihn gedrückt hatte, wie er ihren Herzschlag an seiner Brust und ihren Atem an seinem Ohr gespürt hatte.

Diese Frau existierte eigentlich gar nicht. Jener Augenblick war nur gespielt gewesen, Teil der Undercoveroperation, die sie beinahe das Leben gekostet hatte.

Als hätte sie seinen Blick gespürt, sah sie auf und runzelte, typisch für Mick, die Stirn. »Was ist?«

Die Erinnerung verblasste. Er lächelte und trat auf sie zu. »Morgen, Partner.« Dann stellte er den Becherhalter und eine weiße Papiertüte vor sie auf den Tisch. »Ich hab Frühstück mitgebracht.«

Sie beäugte die Tüte skeptisch. »Was ist da drin?«

»Zimtkuchen.«

»Klingt gut. Wo ist der Haken?«

»Wieso muss es da einen Haken geben?«

Sie schnaubte. »Du weißt ganz genau, was ich meine. Die letzte ›Leckerei‹, die du mir mitgebracht hast, schmeckte nach Dreck.«

»Du scheinst ja zu wissen, wie Dreck schmeckt. Aber dieses Mal passiert das nicht, versprochen.«

Sie zog das Kuchenstück heraus und schnüffelte daran. »Was ist da drin?«

»Wenn ich dir das sage, ist es doch keine Überraschung mehr.«

Als sie ihn misstrauisch beäugte, fügte er hinzu: »Hast du etwa Angst, Mad Dog?«

Sie schob den Kuchen zurück in die Tüte. »Bitte sag mir, dass die Thermostasse für mich ist. Sag mir, dass darin mein heiß geliebter Latte mit drei Espressi und genau der richtigen Menge Vanillesirup ist.«

»Nein. Der andere Becher ist für dich.«

»Das Zeug sieht aus wie Kotze.«

»Es ist ein grüner Smoothie aus Kohl, Mango und …«

»Vergiss es, das Zeug trinke ich nicht. Außerdem hab ich schon gefrühstückt.«

»Käsecracker und Donuts mit Puderzucker?«

»Beides. Arschloch.«

Er lachte, zog sich einen Stuhl heran und nahm sich den grünen Smoothie und den Kuchen. »Ich dachte mir, dass du das sagen würdest, darum hab ich noch nichts gegessen. Nimm du den Kaffee.«

Sie nippte daran und seufzte, während er einen Bissen von dem glutenfreien Vollkornteilchen nahm. »Sue hat gesagt, du wärst schon eine Weile hier. Was ist denn los?«

»Ich konnte nicht schlafen.«

»Wie kommt’s?«, wollte er wissen und trank von seinem Smoothie.

»Mich beschäftigt was.«

»Das ist ja ’n Ding.«

Sie klappte den Ordner auf ihrem Schreibtisch auf. Darin waren Tatortfotos. Aus jener Nacht. Sie breitete sie aus.

Es fiel ihm schwer, sich die Bilder anzusehen. Auf dem ersten lag Kenny auf dem Rücken in einer Lache aus seinem eigenen Blut. Und Micks.

Das zweite Foto zeigte die Stelle, an der sie gelegen hatte. Wo sie fast verblutet wäre.

Obwohl Zach es nicht wollte, starrte er das Bild an. Alles stürzte wieder auf ihn ein: der Klang des Schusses, dicht gefolgt vom zweiten. Mick und Kenny, die zu Boden gingen. Wie er sie auf den Rücken gedreht hatte, um zu sehen, wie schlimm sie verletzt war, und feststellte, dass er Gefahr lief, sie zu verlieren.

Er merkte, dass sie ihn musterte, und sah ihr in die Augen. »Das sind nicht gerade schöne Erinnerungen«, sagte er betont lässig. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass du dir das gern ansiehst. Gibt es einen Grund dafür, dass du die Akte rausgeholt hast?«

»Genau deswegen: Erinnerungen.« Sie ließ den Blick über die Fotos schweifen. »Ich hab sehr viel Blut verloren.«

»Das hast du allerdings, Mick.«

»Es ist ein Wunder, dass ich noch am Leben bin. Das sagen alle.«

Er konnte sich denken, worauf sie hinauswollte, hoffte jedoch, dass er sich irrte. »Das ist es.«

»Wie?«, fragte sie und sah ihm direkt in die Augen.

Er hatte richtig vermutet. Doch er wandte den Blick nicht ab. »Was meinst du?«

»Wie hast du mich gerettet?«

»Ich war das nicht, das waren die Rettungssanitäter.«

»Du hast sie gerufen.«

»Ja.«

»Bist du bei mir geblieben, bis sie am Tatort waren?«

»Mick …«

»Meine Brustverletzung.« Ihre Stimme wurde ein wenig tiefer. »Hast du Druck darauf ausgeübt?«

Er wollte sie nicht anlügen und gab sich die größte Mühe, das zu vermeiden. »Mir ist völlig schleierhaft, worauf du hinauswillst.«

»Das ist die übliche Vorgehensweise. Ständige Druckausübung, um den Blutverlust zu verringern.«

»Du bist am Leben, Mick. Warum reicht dir das nicht?«

»Das Opfer warmhalten«, fuhr sie fort. »Sicherstellen, dass es atmet. Ansonsten künstlich beatmen. Hast du das gemacht?«

»Mick«, sagte er leise, streckte einen Arm aus und legte seine Hand auf ihre, »als die Rettungssanitäter eingetroffen sind, bin ich zu Angel und den anderen beiden gegangen.«

»Sie haben dich nicht gesehen.«

»Wer?«

»Die Rettungssanitäter. Ich hab mit einem von ihnen gesprochen. Mit Paul.«

»Wann?«

»Heute Morgen.« Ihre Miene wurde weicher und verletzlicher. »Dann warst du also noch bei mir, als sie dort angekommen sind?«

Er würde sie nicht anlügen. Das hatte sie nicht verdient. »Nein. Ich habe sie kommen gehört und bin gegangen, um Angel zu helfen. Die anderen haben geschrien, Mick. Es tut mir leid, dass ich dich allein gelassen habe, aber ich musste es einfach tun.«

»Das ist es doch gar nicht, sondern …« Sie zog ihre Hand unter seiner weg. »Wie lange hat es gedauert, bis die Rettungssanitäter da waren?«

»Das weiß ich nicht. Ich hab nicht auf die Uhr gesehen.«

»Länger als eine Stunde?«

»Nachdem du angeschossen wurdest?«

»Ja.«

»Kann schon sein. Ich hab wie gesagt nicht auf die Zeit geachtet.« Er suchte ihren Blick. »Was ist los, Mick?«

»Vielleicht gar nichts. Ich hab nur … Hast du schon mal von der ›Golden Hour‹ gehört?« Er schüttelte den Kopf. »Dieser Arzt hat im Grunde genommen festgestellt, dass die Überlebenschancen eines Unfallopfers deutlich größer sind, wenn es innerhalb von sechzig Minuten nach der Verletzung im Krankenhaus eintrifft. Das hat er als die ›Golden Hour of Shock‹ bezeichnet.«

»Okay. Und?«

»Ich hab mich gefragt, ob das auch auf mich zutrifft.«

»Warum ist das wichtig, Mick? Du hast überlebt.«

»War noch jemand bei dir?«

Er bekam einen trockenen Mund.

»Geh nur, Zach. Ich kümmere mich um sie.«

Sie hätte sich überhaupt nicht daran erinnern dürfen. Man hatte ihm versichert, dass sie es nicht tun würde. Genauso wie sie ihn davon überzeugt hatten, dass die Zeit, um Mick in alles einzuweihen, noch nicht gekommen wäre. Es sei zu ihrem eigenen Besten, hatte es geheißen.

»Wer hätte denn bei mir gewesen sein sollen?«

»Ich hatte schon mehrmals diesen Traum …«

»Und?« Er hielt den Atem an.

»Da war jemand bei mir. Er hat sich um mich gekümmert. Dieser Mann ist der Grund dafür, dass ich noch am Leben bin, und nicht die Rettungssanitäter.«

»Wie hat er ausgesehen?«

»Ich konnte ihn nicht sehen«, antwortete sie. »Da war nur …« Dann schüttelte sie den Kopf. »Ach, vergiss es. Es war nur ein Traum, oder?«

»Genau.«

»Hey, Hollywood!«

Sie drehten sich beide in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Sue kam in ihren Schuhen mit den lächerlich hohen Keilabsätzen auf sie zu und sah ziemlich sauer aus. »Haben Sie Ihr Telefon denn nicht gehört?«

»Ich bin nicht an meinem Schreibtisch.«

»Sie haben Glück, dass Sie so heiß sind, denn Sie sind eine echte Nervensäge.«

»Das hat er schon öfter gehört«, kommentierte Micki grinsend. »Von so gut wie jedem.«

»Von jedem?« Er sah sie erstaunt an. »Dann findest du mich also auch heiß?«

»Nein, ich finde, du bist eine Nervensäge.« Sie drehte sich wieder zu Sue um. »Was gibt’s denn?«

»Der Major will Sie beide in seinem Büro sehen, und zwar sofort.«

Kapitel 5

Montag, 19. Oktober

9:01 Uhr

Major Nichols, ein ehemaliger Footballspieler, überragte sie beide. Auch wenn sein Körper weich und sein Haar grau geworden war, flößte er einem allein durch sein Erscheinungsbild Respekt ein.

»Setzen Sie sich.«

Er reichte jedem von ihnen einen Umschlag. »Haben Sie von den vermehrten Wohnungseinbrüchen innerhalb der letzten Wochen gehört, die über die ganze Stadt verteilt sind? Letzte Nacht kam wieder einer dazu, dieses Mal in Lake Vista.«

Micki trommelte mit den Fingern auf einem Oberschenkel herum. »Damit wären es jetzt vier. Alle in verschiedenen Vierteln.« Sie ging die Liste durch. »Der erste in Gert Town. Dann Treme, gefolgt von Hollygrove.«

»Und jetzt Lake Vista«, fügte Zach hinzu. »Wo ist die Verbindung?«

»Es scheint keine zu geben. Die vier Stadtviertel, die Häuser und die Familien, die darin leben, haben auf den ersten Blick nicht viel gemeinsam.«

Micki blätterte in der Akte herum und verschaffte sich schnell einen ersten Eindruck. Dann hob sie den Kopf. »Sie haben alle Kinder.« Der Major starrte sie an. »Das ist schon mal eine Gemeinsamkeit. Es sind zwar unterschiedlich viele Kinder, und sie sind auch nicht im gleichen Alter, aber in allen Familien gibt es Kinder.«

»Zwischen vier und zwölf Jahre alt«, ergänzte Zach.

»Das ist doch schon mal was«, meinte Nichols.

»Was ist mit den Tätern?«, fragte Zach. »Gehen wir davon aus, dass es immer dieselben waren?«

»Da sind wir uns auch nicht sicher. Das erste Verbrechen wurde von drei maskierten Männern begangen, von denen zwei bewaffnet waren. Beim zweiten Einbruch waren es vier Männer und wieder zwei Bewaffnete. Beim dritten sechs Männer, zwei Bewaffnete. Gestern waren sie wieder zu sechst. Es ist nicht erwiesen, dass es immer dieselben bewaffneten Männer waren.«

»Aber sehr wahrscheinlich«, vermutete Micki.

»Ja, das ist die Theorie.«

»Alles Männer?«

»Ja, und sehr jung.«

Micki merkte auf. »Ich dachte, ihre Identität wäre unbekannt?«

»So ist es auch. Alle trugen Kapuzenpullover und irgendwelche Masken. Aber sie konnten ihre Stimmen nicht verstellen, und man sah, dass sie, bis auf die beiden Bewaffneten, eher eine schmale Statur hatten. Wir schätzen, dass sie zwischen vierzehn und zweiundzwanzig sind.«

»Vierzehn?« Zach schüttelte den Kopf. »Wow, das ist jung.«

Micki blätterte den Bericht erneut durch. »Die Opfer derartiger Überfälle werden oft ausgewählt, weil sie einen teuren Wagen fahren, auffälligen Schmuck tragen oder was in der Art. Aber keine der Familien scheint in dieses Profil zu passen.«

»Das ist korrekt«, bestätigte Nichols. »Und es wurde auch nie etwas mitgenommen, daher kann Raub auch kein Motiv sein.«

»Was ist es dann?«

»Der Chief möchte, dass Sie das herausfinden.« Der Major sah zwischen ihnen hin und her. »Gestern Abend wurde außerdem zum ersten Mal jemand verletzt. Bisher hatte man die Opfer nur eingeschüchtert und einige ihrer Einrichtungsgegenstände zerstört, sie jedoch nicht angetastet.«

»Das ist es, was Ihnen Sorgen macht, richtig?«, murmelte Micki. »Wenn diesen Mistkerlen das Einschüchtern zu langweilig ist, gehen sie zu Folter, Vergewaltigung und Mord über. Letzte Nacht haben sie den ersten Schritt in diese Richtung gemacht.«

Der Major verschränkte die Finger vor sich auf dem Schreibtisch. »Ganz genau.«

»Das fällt alles nicht in unsere Zuständigkeit«, erkannte Micki. »Da werden wir einigen Leuten auf die Füße treten.«