Trojanische Pferde - Peter Schmidt - E-Book

Trojanische Pferde E-Book

Peter Schmidt

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Beschreibung

"Sie erklärten mir, ich solle einen Laden ausheben, der mit Thai-Mädchen handele, irgendein finsteres Etablissement am Rande der Stadt, wo die Fassaden immer grauer werden, die Toreinfahrten dunkler und die Straßenlaternen so aussehen, als seien sie auf halbe Kraft geschaltet. Sie sagten: 'Ihre schmierige kleine Detektei wirft doch kaum genug ab, um sich über Wasser zu halten, Winger. Also setzen Sie mal Ihre Fäuste für uns ein. Ihr Verstand ist dabei nicht gefragt, wir brauchen jemanden, der kräftig zupacken kann und keine Angst vor blauen Flecken hat.'" – Schnelles Geld für Privatdetektiv Winger? Doch dann kommt ein rätselhafter Mord ins Spiel. Der erste Verdächtige, Keißen junior, stand schon immer unter der Fuchtel seines strengen Vaters, eines zurückgezogen lebenden, etwas verschrobenen Häusermaklers. Vor seinem frühen Tode war sein Sohn Schwimmchampion und pflegte ein merkwürdiges Hobby: Er zog Hunde, die er in sein Übungsbecken lockte, an den Hinterpfoten unter Wasser, bis sie ertrunken waren … "Keißen juniors Verhältnis zu Frauen war genauso zwiespältig wie zum Wasser", so sein enger Freund Marten. "Er hatte Angst vor ihnen, trotzdem zogen sie ihn magisch an." – Könnte sein nächstes Opfer ein Frau gewesen sein? Privatdetektiv Winger ahnt nicht, dass er einem Komplott auf der Spur ist, das die Republik in ihren Grundfesten erschüttert …

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Peter Schmidt

Trojanische Pferde

Detektivroman

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

ZUM BUCH

PRESSESTIMMEN

1

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WEITERE TITEL

Impressum neobooks

ZUM BUCH

Privatdetektiv Winger auf den Spuren eines der größten Coups der Nachkriegsgeschichte …

"Sie erklärten mir, ich solle einen Laden ausheben, der mit Thai-Mädchen handele, irgendein finsteres Etablissement am Rande der Stadt, wo die Fassaden immer grauer werden, die Toreinfahrten dunkler und die Straßenlaternen so aussehen, als seien sie auf halbe Kraft geschaltet.

Sie sagten: 'Ihre schmierige kleine Detektei wirft doch kaum genug ab, um sich über Wasser zu halten, Winger. Also setzen Sie mal Ihre Fäuste für uns ein. Ihr Verstand ist dabei nicht gefragt, wir brauchen jemanden, der kräftig zupacken kann und keine Angst vor blauen Flecken hat.'”

Schnelles Geld für Privatdetektiv Winger? Doch dann kommt ein rätselhafter Mord ins Spiel …

Der erste Verdächtige – Keißen junior – stand immer unter der Fuchtel seines strengen Vaters, eines zurückgezogen lebenden und etwas verschrobenen Häusermaklers. Vor seinem frühen Tode war sein Sohn Schwimmchampion und pflegte ein merkwürdiges Hobby:

Er zog Hunde, die er in sein Übungsbecken lockte, an den Hinterpfoten unter Wasser, bis sie ertrunken waren …

„Keißen juniors Verhältnis zu Frauen war genauso zwiespältig wie zum Wasser“, so sein enger Freund Marten. „Er hatte Angst vor ihnen, trotzdem zogen sie ihn magisch an.”

Könnte sein nächstes Opfer ein Frau gewesen sein? Privatdetektiv Winger ahnt nicht, dass er einem Komplott auf der Spur ist, das die Republik in ihren Grundfesten erschüttert …

Ungekürzte, überarbeitete Neuausgabe der Hardcover-Fassung im Rasch und Röhring Verlag, Hamburg

Copyright © 2013 Peter Schmidt

PRESSESTIMMEN

http://autor-peter-schmidt-pressestimmen.blogspot.de/

Der Westfale Peter Schmidt ist als erster deutscher Autor erfolgreich ins angloamerikanische Thriller-Monopol eingebrochen.

(Capital)

Und ein besonderes Lesevergnügen sind die spitzen Bemerkungen von Detektiv Ralf Winger, seine Seitenhiebe und erfrischenden Analysen unserer manchmal so skurrilen gesellschaftlichen Missstände. Darin ist er nicht nur seinen klassischen Vorgängern wie Chandler und Hammett ebenbürtig, sondern übertrifft sie bisweilen – wie auch schon im Thriller „Winger“ – an Wortwitz deutlich.

(Hans Walther über Trojanische Pferde)

Peter Schmidt hat hierzulande den Polit-Thriller salonfähig gemacht und ohne sonderliche Mühe einen Standard erreicht, der internationale Maßstäben standhalten kann.

(Krimikritiker Rudi Kost)

Thriller mit Tiefgang

(Rheinischer Merkur)

Auffallend an Schmidts dramaturgisch raffinierten Agenten-Storys sind – neben der Detailtreue – die skeptische Weltanschauung und eine geradezu undeutsch klare kühle Prosa.

(stern)

Deutschlands einziger (jedenfalls einziger ernst zu nehmender) Autor im Agenten-Genre.

(Vorwärts)

Durchdachte Analysen, um die Konfrontation einzelner Menschen mit politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse darzustellen.

(Welt der Arbeit)

Schmidt hat es geschafft, in eine angloamerikanische Domäne einzubrechen.

(Westdeutsche Allgemeine).

ÜBER DEN AUTOR

Peter Schmidt, geboren in Gescher, Schriftsteller und Philosoph, gilt selbst dem Altmeister des Spionagethrillers, John le Carré, als einer der führenden deutschen Kriminalautoren des Genres. Außerdem veröffentlichte er zahlreiche Medizinthriller, Wissenschaftsthriller, Psychothriller und Detektivromane.

Bereits dreimal erhielt er den DEUTSCHEN KRIMIPREIS („Erfindergeist“, „Die Stunde des Geschichtenerzählers“ und „Das Veteranentreffen“). Für sein bisheriges Gesamtwerk wurde er mit dem Literaturpreis Ruhr ausgezeichnet.

1

Sie erklärten mir, ich solle einen Laden ausheben, der mit Thai-Mädchen handele, irgendein finsteres Etablissement am Rande der Stadt, wo die Fassaden immer grauer werden, die Toreinfahrten dunkler und die Straßenlaternen so aussehen, als seien sie auf halbe Kraft geschaltet …

Sie sagten: “Ihre schmierige kleine Detektei wirft doch kaum genug ab, um sich über Wasser zu halten, Winger. Also setzen Sie mal Ihre Fäuste für uns ein. Ihr Verstand ist dabei nicht gefragt, wir brauchen jemanden, der kräftig zupacken kann und keine Angst vor blauen Flecken hat.”

Ich sah mir an, wie die beiden in meinem Büro standen: zwei ehrenwerte Vertreter der ehrenwerten Gesellschaft in unauffälligen grauen Anzügen, die langen Wintermäntel über dem Arm, weil es draußen schon empfindlich kalt war und die Eiszapfen von den Dachrinnen zu fallen drohten.

Es hätten Geschäftsleute mit untadeligem Leumund oder Anwälte sein können.

Der eine strich sich durch sein gescheiteltes weißes Haar, und der andere war ins Nebenzimmer gegangen, eine Hand in der Jackentasche, um sich mein Klappbett aus lackiertem Stahlrohr anzusehen.

Er verzog keine Miene beim Anblick der durchgelegenen Matratze. Er hatte kurze, stämmige Beine und einen wohlgenährten Nacken mit kleinen roten Schwären, als sei seine Verdauung nicht in Ordnung.

“Sie wissen ja, dass Menschenhandel bei uns verboten ist, Winger”, sagte er so leise, dass ich ihn kaum verstehen konnte. “Das weiß schließlich jedes Kind. Die Polizei kann der Inhaberin dieses komischen Ladens nichts nachweisen, weil ihre Mädchen ein Haufen eingeschüchterter Gänse sind.

Die würden zu allem nicken und Ja und Amen sagen, was sich irgendwie wichtig anhört.”

“Wenn es nur mit drohender Stimme vorgetragen wird”, ergänzte der andere.

“Aber wir können es ihnen nachweisen, Winger. Und Sie können den Burschen Beine machen, ganz legal. Was halten Sie davon, wenn wir mal in den Wagen steigen und uns das Etablissement ansehen?”

“Jetzt gleich?”, fragte ich und schüttelte unschlüssig den Kopf.

Meine Freundin war wegen ihrer Magersucht mit einem Koch – einem Experten für kalorienarme Ernährung – auf und davon. Sie hatte mich verlassen, weil ich zum Frühstück Schweinshaxen mit fetten Bratkartoffeln aß und allergisch gegen Dressing light und Magermilchjoghurt war, und jetzt wartete ich auf den Anruf eines fülligen brünetten Mädels, das am Theater als Souffleuse arbeitete.

“Sie haben doch seit vier Wochen keinen Auftrag mehr gehabt.”

Er öffnete meinen Kühlschrank und sah sich die leeren Fächer und das vereiste Tiefkühlfach an. “Sie sind pleite. Sie haben das Revier gewechselt, weil Ihr Vermieter Ihnen einen Zahlungsbefehl geschickt hat und weil Sie wieder mal im Restaurant Ihre Rechnungen schuldig geblieben sind. Sie hatten ein Abonnement für Mittag- und Abendessen beim Griechen Athene, aber der hat Ihnen zwei Kassierer auf den Hals gehetzt.”

“Hören Sie auf …”

“Sie haben einem der beiden, einem Sinti, das Nasenbein gebrochen, als er zu Ihnen in den Wagen steigen wollte, und das hat seiner Sippe gar nicht …”

“Ich sagte: Lassen Sie’s gut sein …”

“Nun bleiben Sie mal ruhig an Ihrem Schreibtisch sitzen und legen Sie wieder Ihre Stiefel auf die Platte, wie's sich für einen guten Cowboy gehört, Winger.”

“Einen braven berittenen amerikanischen Rinderhirten”, sagte der andere so freundlich lächelnd, dass sich nicht mal ein streitsüchtiger Psychopath über irgendeine Spur von Bösartigkeit bei ihm hätte beklagen können. “Falls Sie dasselbe noch mal auf deutsch hören wollen?”

Die beiden waren echte Witzbolde.

Vermutlich spielten sie auf meine amerikanisch aussehenden Stiefel an. Die Dinger stammten aus einer Schuhfabrik in Oberitalien und waren mir von einem Klienten mit Zahlungsschwierigkeiten übereignet worden.

Aber ich hatte keine Lust, mir an diesem schönen Wintertag die Laune verderben zu lassen. Deshalb tat ich einfach, was sie sagten.

Ich lehnte mich zurück, und während ich meine auf Hochglanz polierten Stiefelspitzen betrachtete, dachte ich an die Worte von Bischof Braun, der im Park von der Polizei aufgegriffen worden war, als er sich den Mädchen gezeigt hatte:

Ich nehm's den Kleinen gar nicht übel, dass sie sich über mein Ding lustig machen, doch dann lassen Sie mir auch mein Vergnügen, es an die Luft zu halten.

“Haben Sie was dagegen, wenn wir uns ein wenig von Ihrer Seriosität überzeugen, bevor wir endgültig zur Sache kommen?”, erkundigte sich der eine und deutete vage auf meine Büroeinrichtung.

“Wenn Sie dabei kein Geld aus der Porto- oder Kaffeekasse mitgehen lassen?”

“Comme il faut”, sagte der andere, nachdem er meinen Blechschrank aufgezogen hatte, um sich das Hängeregister meiner Kundenkartei anzusehen. Dabei warf er mir einen Blick zu wie jemandem, für den Französisch bestenfalls ein teures Extra im Bordell war. “Das heißt soviel wie mustergültig. Von uns können Sie noch was lernen, Winger.”

“Im Ernst?”, fragte ich. “Wieso denn ausgerechnet von Ihnen? Wir sind doch alle nur arme Halbblinde, die über die Steine stolpern auf diesem verlorenen Planeten.”

Sein Blick wurde trübe, und er sah mich an, als wenn ich ihm philosophisch auf die Sprünge helfen wollte.

Vielleicht litt er ja schon seit seiner Geburt daran, dass ihm noch keiner hatte erklären können, weshalb er auf die Welt gekommen war, und das machte ihn allergisch gegen jede Art von Tiefsinn. Aber dann gab er sich seufzend einen Ruck.

“Bleiben wir lieber beim Thema, Winger. Es geht um ein paar Mädchen, mit denen man nicht so nett umspringt, wie’s sich für ausländische Besucherinnen gehört. Die armen Dinger werden unter Vorspiegelung falscher Tatsachen aus Thailand nach Europa gelockt.

Wenn sich kein Käufer findet, geht's ab in die Bordelle von Frankfurt oder Hamburg. Oder man bringt sie dazu, durch billige Peepshows zu tingeln. Sie werden eingeschüchtert und in Abhängigkeit wegen der Unterstützung ihrer notleidenden Familien gehalten. Sie sind hochverschuldet, und wenn das alles als Druckmittel noch nicht ausreicht, findet sich immer ein wohlmeinender Schläger, der ihnen Manieren beibringt.”

“Die Sache scheint Ihnen ja mächtig an die Nieren zu gehen?”, erkundigte ich mich. “Was rechnen Sie sich denn dabei aus? Dass Mutter Theresa Ihnen demnächst ein Zertifikat über Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe ausstellt? Von denen, die solche Mädchen ausnutzen, gibt's Tausende, und wenn wir einen von ihnen verjagen, machen wir bloß seinem Nachfolger Platz.”

“Das lassen Sie mal unsere Sorge sein.” Er zog einen Umschlag aus der Innentasche seines Mantels, schob ihn mit den Fingerspitzen auseinander und ließ mich den Inhalt sehen. “Was halten Sie denn davon?”

Es waren so nagelneue Zweihundertmarkscheine, dass man ihre Farbe riechen konnte – schwer zu sagen, ob sie aus dem Farbkopierer oder von der Bundesbank stammten.

“Das reicht gerade mal für die Anzahlung.”

“Na, na, halblang bitte. Dies hier ist ein hübsches Sümmchen. Soviel haben Sie im ganzen letzten Monat nicht auf einem Haufen gesehen, höchstens im Traum.” Er zog drei Scheine heraus und ließ sie zwischen meine Beine auf die Tischplatte flattern. “Hier sind sechshundert Anzahlung. Die behalten Sie, auch wenn Sie nach unserer harmlosen kleinen Besichtigungsfahrt das Handtuch werfen.”

Ich sah mir die Scheine an – sie schienen echt zu sein –, schob sie mit dem Unterarm in die Schreibtischschublade und goss mir aus der Kanne neben meinem rechten Knie etwas kalt gewordenen Kaffee ein.

“Eines will ich Ihnen gleich sagen: Ich arbeite nicht für anonyme Auftraggeber. Ich will Namen hören – überprüfbare Namen und Adressen.”

“Kein Problem.” Der Weißhaarige reichte mir seine Visitenkarte. Everding& Kranz – Anwälte. “Ich bin Kranz, das ist mein Kompagnon Everding.”

“Also gut”, meinte ich an Everding gewandt. “Dann sagen Sie mir mal, wie Sie ausgerechnet an mich geraten sind. Dieser sogenannte Kassierer vom Athene ist mir nur ganz zufällig vor die Wagentür gelaufen.”

“Ausgerechnet in dem Moment, als sein Nasenbein in der richtigen Position war?”

“Er hat sich vorgebeugt, um an meinem Wagen herumzufummeln. Was weiß ich? Vielleicht war er ja gerade dabei, meine Reifen durchzustechen?”

“Und den zweiten Mann, den man Ihnen auf den Hals gehetzt hat, haben Sie kurzerhand in die geschlossene Abteilung des nächsten Hospitals einliefern lassen?”

“Weil er eine etwas zu lockere Hand bei den Nullen auf meiner Rechnung hatte. So was fällt bei den Seelenklempnern nun mal unter die Rubrik ‘krankhafte Phantasie’. Das sind keine Kassierer, sondern Burschen, die von den Restaurantbesitzern Schutzgelder erpressen. Diesmal hatte unser lieber Amaxos vom Athene endlich mal ‘nen Grund, sich tatsächlich von ihnen beschützen zu lassen.”

“Was ist mit dem Blutgerinnsel an seinem Hinterkopf?”

“Nur der Türrahmen meines Wagens.”

“Und vor den ist er genauso zufällig geknallt wie der andere mit dem Nasenbein gegen Ihre Wagentür?”

“Ich mag früher mal ein Draufgänger gewesen sein, aber im Alter stellt man sich schnell die Frage, ob das Faustrecht zur Regelung unserer Angelegenheiten wirklich die angemessenste Methode ist. Wenn Sie einen Auftrag für mich haben, der etwas mehr Kopf als Muskeln verlangt, werden wir uns vielleicht handelseinig. Alles andere würde mir unweigerlich das Gefühl verschaffen, ich hätt's lieber mit einem Job als Sparringspartner versuchen sollen.”

2

Während der Fahrt zum Klub fragte ich Everding, für wen sie arbeiteten. Er sah mich so überrascht an, als sei der Gedanke, er könne außer für sich selbst noch für jemand anders arbeiten, völlig neu für ihn.

Das Haus war ein alleinstehender, windschiefer Kasten aus dunklem Backstein, an dessen Holzläden sich ein Liebhaber süddeutscher Bauernmalerei mit etwas zu grobem Pinsel und zuviel roter Lackfarbe versucht hatte.

An der einen Seite hing eine rostige Feuerleiter, deren zernagte Bolzen aussahen, als würden sie beim Husten des nächsten Passanten herausfallen.

Vier der Eisenstufen fehlten, aber dafür gab es am Ende der Leiter eine solide, neu eingesetzte Tür aus ungestrichenem Eisenblech.

Das Etablissement nannte sich Thailändischer Freundschaftsverein – GÄSTE HERZLICH WILLKOMMEN! – und war so was wie ein Zwitter aus Nachtbar und buddhistischer Begegnungsstätte, in dem thailändische Mädchen einzelnen unerträglich einsamen Herren Gesellschaft leisteten.

Wir hielten auf dem Parkplatz in der Deckung einer freistehenden Plakatwand.

Über uns jagte eine Herde Marlborogäule durch den Nebel. Sie kamen niemals an. Aber vielleicht fand ich das ja nur deswegen so bemerkenswert, weil Unzufriedenheit inzwischen zu unserem zweiten Naturell geworden ist.

“Also gut”, sagte Kranz. “Sie haben schließlich ein Recht darauf, zu erfahren, für wen wir arbeiten, Winger. Hat er doch, oder?”, erkundigte er sich an Everding gewandt.

Everding nickte und betastete nachdenklich die Schwären in seinem Nacken.

“Wir arbeiten im Auftrage einer Vereinigung gegen den fortschreitenden Verfall der Sitten in der Stadt”, sagte er, immer noch nicht viel lauter. “Leider gibt es keine rechtliche Handhabe, die Arbeit des Klubs zu unterbinden.”

“So was existiert hier? Ich meine, seit wann machen Vereine denn in Moral?”

“Was glauben Sie, was es hier in der Region alles gibt. Dieser Moloch von Städten, die an allen Ecken zusammenwachsen, ist mittlerweile genauso in der Hand der Ost-Mafia wie unsere ehrenwerte Hauptstadt. Da bleibt nur noch die Selbsthilfe des mündigen Bürgers.”

“Selbstjustiz, wollen Sie sagen?”

“Gewalt ist nicht unsere Sache, Winger. Wir wollen keine Prügel und teilen selber keine aus.”

“Aber Sie haben doch irgendein faules Ding ausgebrütet, um den Burschen das Handwerk zu legen?”

“Na, sagen wir mal, wir haben einen Weg gefunden, der zwar nicht illegal ist, aber auch nicht ganz koscher.”

“Sie müssen wissen, dass in dem Laden zwischen ‘Klubmädchen’ und ‘Ware’ unterschieden wird. Klubmädchen sind gewöhnliche Bardamen aus Thailand, Ware jene Mädchen, die unter der Hand zum Kauf angeboten werden”, erklärte Kranz.

“Und was ist meine Aufgabe dabei? Wofür brauchen Sie meine Hilfe?”

“Wir sind zu bekannt in dieser Stadt, wir sind Anwälte, Winger. Man würde sofort Verdacht schöpfen.”

“Wir schlagen Ihnen vor, regelmäßiger Besucher des Klubs zu werden”, sagte Everding. “Auf unsere Kosten. Das ist doch auch schon was, oder? Neben Ihren Spesen, meine ich? Der Laden ist recht gut bestückt, was den Spirituosenschrank anbelangt. Und mit Ihren Spesengeldern können Sie dann der Brünetten im Souffleurkasten ein paar schöne Stunden machen.”

“Sie kennen Silvia?”

“Silvia ist ein nettes Mädchen, aber den Leuten vom Theater brennen zu leicht die Sicherungen durch. Die sind nichts für Leute von Ihrem Kaliber, Ralf. Das wäre, als würde man Feuer ins Öl schütten.”

“Na, herzlichen Dank für die Charakteranalyse.”

Everding machte eine ungeduldige Handbewegung. “Ihre Privatangelegenheiten interessieren uns nicht. Versuchen Sie das Vertrauen der Geschäftsleitung zu gewinnen. Und nach einiger Zeit fangen Sie an, sich für eine der Damen zu interessieren.

Wählen Sie ein Mädchen, das Ihnen vom Typ her liegt. Sie sollen ja nicht über Ihren eigenen Schatten springen …

Sobald Ihnen ein Angebot wegen des Kaufpreises gemacht wird, lehnen Sie ab! Sie hätten sich in das Mädchen verliebt. Geld käme nicht in Frage. Also versuchen Sie beide den Klub zu verlassen, notfalls mit Gewalt. Für diesen Zeitpunkt haben wir Ihnen am anderen Ende der Stadt ein Hotelzimmer reservieren lassen, wo Sie erst mal mit der Kleinen untertauchen können.”

“Auf wessen Kosten?”

“Auf unsere, versteht sich.”

“Hm, hört sich ganz plausibel an. Aber damit sind Sie und Ihre hochmoralischen Auftraggeber doch noch längst nicht am Ziel angelangt?”

“Aber wir liegen schon ganz gut im Rennen. Später werden Sie dann noch mal allein den Klub aufsuchen und der Inhaberin und ihren Hintermännern klarmachen, das Mädchen sei jetzt bereit, vor der Polizei auszusagen. Sie selbst würden ihre Aussage bestätigen können.”

“Damit wäre zum ersten Mal eine gesetzliche Handhabe zur Schließung des Klubs gegeben”, meinte Kranz. In seine müden Schultern war etwas Haltung gekommen, als richte der Gedanke ihn innerlich auf.

“Hübscher Plan”, bestätigte ich, “ außer, wenn man mir dabei den Schädel einschlägt, nicht wahr?”

“Sie sind doch auf solche Geschäfte spezialisiert”, sagte Everding. Wenn er jemals versucht hatte, verbindlich zu lächeln, dann musste ihm das gründlich misslungen sein. Jedenfalls seiner gegenwärtigen Grimasse nach zu urteilen. Er hatte keine Übung darin.

Ich zuckte die Achseln und stieg aus. Ich war auf die restlichen Scheine in Everdings Umschlag scharf, notgedrungen. So ist das nun mal im Leben, die Zeiten, in denen man auf die Jagd ging, um der Familie eine Gazelle fürs Abendessen zu schießen, sind leider schon seit ein paar Dekaden vorüber.

All die Ideale in meinem Gewerbe – von wegen heroischer Ritter der Großstadt und sprächen nicht meine Natur und meine Vorsätze dagegen, dann würde ich Ihnen jetzt eine runterhauen –, falls man sich dabei nicht ohnehin selbst was in die Tasche gelogen hatte, verflüchtigten sich auf der Stelle, wenn einem im Büro Heizung und Licht abgedreht worden waren.

Ich bedauerte die armen Dinger da drin, so wie ich alle auf der Welt bedauerte, denen es schlechter ging als mir, aber ich wäre kaum freiwillig für sie aus dem Wagen gestiegen.

Die Tür des Vereins war mit einer brandfleckigen Bügeldecke verhängt. Hinter dem provisorischen Vorhang – an der Stelle der Milchglasscheibe, wo er knapp über der Klinke ein kleines Dreieck freiließ – schimmerte rötliches Licht.

“Tut mir schrecklich leid ”, sagte eine rothaarige Alte in schwarzem Drachenkimono, die man wegen ihres verhärmten Gesichts leicht für die Reinemachefrau hätte halten können, wäre das goldene Gebammel an ihren Ohrläppchen nicht ein paar Pfund zu schwer dafür gewesen, “aber wir hatten eine Überschwemmung. Eines der Mädchen spielt verrückt – das Heimweh”, fügte sie mit mitleiderweckendem Augenaufschlag hinzu, als sei “Heimweh” eine Art Zauberformel für mein abgestumpftes Herz.

Der Boden war eine einzige große Lache, die sich aus dem Waschraum bis zum Eingang ergossen hatte.

“Kein Problem, werd' einfach ein wenig meine Hosenumschläge liften”, sagte ich und setzte mich auf einen Barhocker an der Theke, die Schuhe auf der Trittstange. “Wer von den Mädchen ist denn die Unglückliche?”

“Die Kleine mit der netten Stupsnase.” Sie zeigte auf ein Mädchen, dass apathisch an der gegenüberliegenden Wand saß und durch mich hindurchblickte. Ihre Kolleginnen waren damit beschäftigt, feuchte Aufnehmer auszuwringen und volle Wassereimer zur Toilette zu tragen. “Sum Nong, bitte komm zu uns herüber und leiste dem Herrn Gesellschaft.”

Sum beachtete uns nicht.

“Ich bin Helga”, sagte die Rothaarige, als seien Probleme beim Dressurakt nichts, was eine erfahrene Dompteuse wie sie aus der Ruhe bringen könnte. “Die Gründerin des Vereins. Sum ist etwas unpässlich, weil ihr das Klima nicht bekommt. Sie spricht kein Wort Deutsch, aber auf englisch kann sie sich ganz gut verständigen.”

Helga zischte ihr ein paar Worte in einer Sprache zu, von der ich annahm, es sei Thai. An ihrem Tonfall hätte man leicht mein Rasiermesser abziehen können.

Das Mädchen wurde so lebendig, als habe ihm jemand ein Lebenselixier eingeflößt, und zwar über den Gehörgang direkt ins Gehirn. Sie patschte durch die Wasserpfützen zu uns herüber, berührte mit der flachen Hand ungeschickt mein Knie und sah mich schicksalsergebener an als eine Kuh, die beim landwirtschaftlichen Leistungswettbewerb den ersten Preis machen sollte und das auf irgendeine sprachlose Weise auch verstanden hatte, in ihrer dumpfen Art …

Sum war etwa zwanzig Jahre alt, zierlich gebaut und unterschied sich wenig von den Mädchen, die man in ihrem Land an jeder Straßenecke antreffen konnte. Abgesehen vielleicht von ihren Augen, die plötzlich, wenn sie glaubte, niemand bemerke es, überraschend lebendig werden konnten.

Ihre Haut war so glatt und makellos, dass es einem den Atem verschlug, und manchmal lag in ihren Bewegungen genau jene Art von Geschmeidigkeit und Unterwürfigkeit, die vielleicht der eigentliche Grund dafür ist, dass so viele Männer glauben, thailändische Frauen seien von der Vermännlichung des weiblichen Geschlechts verschont geblieben.

Helga beobachtete das alles mit Wohlgefallen. Wenn jemand in einer völlig fremden Sprache, deren Betonung einem Europäer fast unüberwindliche Schwierigkeiten bereitet, so beachtliche Ergebnisse erzielt, dann ist das auch ein berechtigter Grund für Zufriedenheit.

Da Sum keine Anstalten machte, ihren Arm um meinen Hals zu legen, nahm ich ihre Hand von meinem Knie und küsste sie sanft auf die Wange.

“Ich lasse euch beiden Turteltäubchen jetzt allein”, sagte Helga liebenswürdiger als der Papst bei seinen Privataudienzen. “Und denkt immer an den Wahlspruch unseres Klubs: Völkerverständigung darf kein hohles Lippenbekenntnis bleiben.” Sie deutete auf ein Plakat neben meinem Kopf, das eine Gruppe Negerkinder mit weißen und asiatischen Altersgenossen zeigte, die unter einem Affenbrotbaum picknickten.

Weiß Gott, ja. So ganz unrecht hatte sie damit nicht. Aber wie säh's denn auf der Welt wohl aus, wenn alles, was gut und richtig ist, in die Tat umgesetzt würde? Wir wären nicht mehr wiederzuerkennen. Es würde uns in die größte Identitätskrise unseres kurzen Lebens stürzen.

“Lady, you're a real pain”, sagte ich, während ich Helga hinterher blickte. Doch damit konnte ich bei Sum Nong keinen Blumentopf gewinnen. “Gibt's irgend etwas, was dich aufheitern könnte?”, erkundigte ich mich auf englisch.

“Bitte bringen Sie mich hier raus …”, sagte sie in einwandfreiem Deutsch.

“Nanu, wenn ich Helga richtig verstanden habe, sprichst du doch gar kein …?”

“Ich möchte nicht, dass jemand im Klub davon erfährt”, sagte sie leise.

“Und womit habe ich soviel Vertrauen verdient?”

“Sie sind Winger. Ihr Bild war mal in der Zeitung – als Sie dem stellvertretenden Bürgermeister bei der Einweihung der neuen Rennbahntribüne eine runtergehauen haben.”

“Dazu habe ich mich nur verleiten lassen, weil mir ein paar seiner Handlanger in den Ämtern aus purem Übermut das Leben schwer machen wollten. Aber einverstanden – du bleibst hier und wartest auf mich. Ich muss nur mal kurz vor die Tür, um ein paar Dinge zu regeln.” Die Sache bahnte sich schneller an, als ich erwartet hatte, und das konnte mir nur recht sein. Everdings Umschlag hatte nicht so ausgesehen, als wenn sein Inhalt für mehr als drei Besuche gutgewesen wäre.

3

Als ich wieder neben den beiden im Wagen saß, versuchte ich mir erst mal mit ungelenken Fingern eine Javaanse Jongens zu drehen. Ich war nie sehr begabt im Drehen gewesen, aber diesmal stellte ich mich noch ein wenig ungeschickter an, als ich war.

Ich ließ die halbfertige Zigarette auf den Wagenboden fallen und begann von vorn. Dann wischte ich die gelbbraunen Tabakkrümel von meinen Hosenbeinen zusammen und ließ sie, sparsam, wie ich war, aus der hohlen Hand in die Frischhaltepackung zurückgleiten.

“Herrgott noch mal, was ist passiert, Winger?”, erkundigte sich Everding. “Was haben Sie herausgefunden?”

“Ich bin bereit, auf Ihren Vorschlag einzugehen. Trotz der Schwierigkeiten. Fürs doppelte Honorar. Die Sache ist nicht so einfach, wie Sie vorgeben.”

“Also gut, einverstanden”, seufzte er und zog den Briefumschlag und einen größeren braunen Versandumschlag, der etwa die dreifache Summe des Betrags enthielt, aus der Innentasche seines Jacketts, als wenn er schon mit weiteren Forderungen gerechnet hätte. Er zählte das Geld ab und reichte mir den Umschlag.

“Sorgen Sie jetzt für unser Hotelzimmer.”

“Was denn, sofort?” Everding warf mir einen ungläubigen Blick zu, kramte aber folgsam die Visitenkarte des Hotels aus der Tasche. Er reichte sie mir, und ich steckte sie ein.

“Ich werde gleich rübergehen und mit einem der Mädchen wiederkommen. Das wird nicht länger als höchstens eine halbe Stunde dauern. Dann sollte hier ein Taxi auf uns warten. Und von Ihnen beiden dürfen nicht mal mehr die Rücklichter zu sehen sein … haben sie mich verstanden?”

“Welches von den Mädchen denn?”

“Spielt das irgendeine Rolle?”

“Kommt ganz darauf an. Mein Kollege Kranz hat Ihnen ja schon gesagt, dass in dem Laden zwischen ‘Klubmädchen’ und ‘Ware’ unterschieden wird. Klubmädchen sind gewöhnliche Bardamen aus Thailand, Ware jene Mädchen, die unter der Hand zum Kauf angeboten werden. Wir brauchen eine aus der Rubrik ‘Ware’.”

“Bekommen Sie. Ich glaube, ich habe genau die Richtige für sie aufgegabelt.”

“Wie heißt das Mädchen?”

“Sum Nong.”

“Hm …” Everding warf Kranz einen überraschten Blick zu. “Hört sich ganz so an, als wenn es keines der Mädchen vom Personal wäre, oder?”

“Falls es wirklich echte Ware ist, liegen wir genau richtig”, bestätigte Kranz.

“Ich bin gespannt, wie Sie das bewerkstelligen wollen, Winger”, sagte Everding. “Sie müssen das Mädchen mit seinem vollen Einverständnis herausbringen, aber gegen den Willen der Geschäftsleitung. Alles andere hätte keinen Sinn, wenn wir den Laden dichtmachen wollen.”

Ich nickte, ließ wortlos die Wagentür hinter mir zufallen und kehrte in den Klub zurück.

Sum Nong saß noch immer auf ihrem Barhocker, ihre für europäische Augen etwas dünnen Beinchen übereinandergeschlagen und einen Pfirsichsaft aus dem Pappkarton vor sich. Sie lächelte sichtlich erfreut darüber, dass meine Worte keine hohle Versprechung gewesen waren.

Das übriggebliebene Wasser auf dem Fußboden hatte angefangen zu verdunsten und erzeugte in dem überheizten Laden eine Treibhausatmosphäre, als würden dort tropische Pflanzen gezüchtet. Ich legte meinen Zeigefinger vor die Lippen; dann ging ich nach hinten, wo Helgas Büro lag, und schob die angelehnte Tür auf.

Helga sah sich einen Videofilm mit dem Titel “Schlacht der Galaxien” an. Nach dem Vorspann kam ein schwarzglänzendes Monster mit Scherenzangen und eingebauter Sauerstoffmaske aus den Tiefen des Universum geschossen und versuchte sich eine Gruppe Prinzessinnen einzuverleiben, die in einem defekten Miniraumschiff dahintaumelten.

“Wer von uns ist das Monster?”, fragte ich. Und als Helga auf ihrem schwarzen Patchwork-Lederdrehstuhl herumfuhr: “Ich entführe die Prinzessin, aber ich fresse sie nicht.”

“Wie bitte?” Sie sah mich verständnislos an.

“Sung Nong und ich, wir beide haben uns schrecklich ineinander verknallt.”

“So schnell?”

“Muss Liebe auf den ersten Blick sein”, bestätigte ich. “Ich würde Sum gern mitnehmen.”

“Was heißt mitnehmen?”, fragte Helga. “Dies hier ist ein thailändischer Freundschaftsverein und kein Bordell …”

“Sum legt großen Wert darauf, sofort mit mir zu gehen.”

“Sum hat große Verpflichtungen dem Verein gegenüber. Wir haben ihr den Flug nach Deutschland ermöglicht und ihrer Familie, die drüben in Thailand in bitterer Armut lebte, zu einem menschenwürdigen Dasein verholfen. Ist Ihnen eigentlich klar, was diese Menschen in Asien durchmachen, um überleben zu können? Sie dürfen sich nicht von den hübschen bunten Bildchen in den Reisekatalogen täuschen lassen, von den weißen Stränden und den Palmen. Ko Samui, Phuket, Pattaya … das sind nicht die wahren Verhältnisse.”

“Der einfache Thailänder ernährt sich von Chili und Zitronengras, und sonntags kommt allenfalls mal ein Stück gebratener Vietnamese auf den Tisch. Aber Spaß beiseite. Wussten Sie, dass Thailand für Asien so was wie die Schweiz für Europa ist?”

“Sie können Sie nicht einfach mitnehmen, es sei denn …”

“Ja?”

“Dass Sie für unsere Auslagen aufkommen.”

“Und wie hoch ist ihr Preis?”

“Sie meinen die Auslösesumme für Sum Nongs Schulden?”

“Wenn Sie's so nennen wollen? Kommt wohl auf dasselbe heraus, oder?”

“Der Verein hat im Rahmen seines humanitären Programms achtzehntausend Mark investiert. Es gibt eine Verpflichtungserklärung Sum Nongs für diesen Betrag. Wenn Sie soviel Geld für sie aufbringen, können Sie sie mitnehmen.”

“Ich werde den Teufel tun”, sagte ich. “Ich werde nicht mal achtzehn Mark für Sum Nong bezahlen. Was Sie mir anbieten, ist getarnter Menschenhandel.”

Helga gehörte zu dem Typ von Frauen, an denen Unterstellungen oder Beschimpfungen abprallen wie Hartgummibälle von einer Stahlbetonwand.

“Sum Nong ist außer der ständigen Crew des Vereins leider momentan unser einziges Mädchen. Ich erwarte neue Gäste aus Thailand in etwa einer Woche. Darunter werden auch ein paar sein, deren Auslösesummen wir aus humanitären Gründen etwas niedriger halten konnten – sechstausend Mark. Wenn Sie so lange warten wollen?”

“Mir geht’s nicht um irgendein beliebiges Mädchen, sondern um Sum Nong.”

“Sum hat ihren Preis.”

“Und wenn Sie mir das Mädchen einfach kostenlos überlassen?”, fragte ich.

“Sums Auslösesumme ist achtzehntausend”, wiederholte sie genervt; dabei kämpften Ekel und Langeweile in ihrem verhärmten Putzfrauengesicht einen vergeblichen Kampf miteinander. Vielleicht würde der Ekel irgendwann siegen, aber im Moment sah es nicht danach aus.

“Sie haben sicher nichts dagegen, mir Ihr Angebot schriftlich zu unterbreiten, Helga?”

Soweit hätte ich nicht gehen sollen. Sie schien plötzlich zu kapieren, woher der Wind wehte und lehnte sich entgeistert im Fernsehsessel zurück. “Wie war das gerade? Habe ich Sie richtig verstanden?”

“Na, im Geschäftsleben ist es schließlich üblich, seine Angebote schriftlich zu unterbreiten. Erst recht, bei einer so hohen Auslösesumme, wegen der rechtlichen Formalitäten.”

“Rechtliche Formalitäten? Von welchen rechtlichen Formalitäten reden Sie eigentlich, verdammt noch mal?”

Helga hatte den Fernseher abgeschaltet, und war aufgestanden, aber ihre Hände – faltige, blaugeäderte Altfrauenhände – begannen genauso nervös umherzufuchteln wie die Scherenzangen des schwarzen Monsters eben auf dem Bildschirm. “Jetzt aber raus”, sagte sie mit überraschend fester Stimme. “Sonst lass ich Ihnen Beine machen …”

Ich tat, als hätten ihre Worte tiefverwurzelte Ängste vor alten Frauen in schwarzen Drachenkimonos in mir geweckt, die mich schon seit der Kindheit plagten. Also kehrte ich achselzuckend zur Theke zurück und nahm Sum Nongs Hand.

“Komm mit”, flüsterte ich. “Wir verlassen jetzt diese ungastliche Etablissement. Die Inhaberin hat zu viele blutrünstige Monsterfilme gesehen …”

Als ich mich mit ihr der Tür näherte, hörte ich Helga aufgeregt im Büro über die Sprechanlage Befehle erteilen. Ihre Worte klangen wie Dumdumgeschosse, und jedes der abgeplatteten Projektile sollte mich genau zwischen die Augen treffen, dem Klang ihrer Stimme nach zu urteilen.

Eines der Mädchen kam hinter der Garderobe hervor. Es war einen ganzen Kopf größer als Sum, resoluter, mit längeren Armen. Ihr Gesicht hatte diesen unschuldigen Ausdruck, der mir immer höchste Wachsamkeit signalisiert, und ihre nackten Füße steckten in weißen Turnschuhen, deren Schnürsenkel auf dem Boden schleiften, als sei sie gerade dabei gewesen, sich hinter der Garderobenwand umzuziehen.

Während ich die Türklinke drückte und feststellte, dass die Tür verschlossen war – vielleicht durch einen elektrischen Drücker, den man umschalten konnte –, nahm das Mädchen Sums Arm und begann heftig in ihrer Sprache auf sie einzureden. Sum machte sich gereizt los. Sie schrie etwas auf Thai und versetzte dem Mädchen einen Stoß. Ich ging um die Theke der Garderobe und suchte unter der Platte nach dem Türdrücker.

Das Mädchen fiel mir in den Arm, als ich den Doppelschalter gefunden hatte; aber ich stieß es weg und rief Sum zu: “Aufpassen jetzt …” Es gab ein summendes Geräusch, als ich den Knopf drückte.

Sum Nong blieb in der offenen Tür stehen, um auf mich zu warten.

4

Wir waren gerade ins Taxi auf der anderen Straßenseite gestiegen, da erschien Helga im Eingang. Sie hielt etwas in der Hand, das verteufelte Ähnlichkeit mit einem elektrischen Schlagstock aus schwarzem Hartgummi besaß.

Sie winkte uns damit zu, und ich winkte dezent zurück. Während wir abfuhren, sah ich aus den Augenwinkeln, dass oben am Ende der Feuerleiter die Eisentür aufging und ein langer Lulatsch seinen Kopf heraussteckte.

Er hatte kurzes weißes Haar, das über den Ohren etwas zu hoch ausrasiert war, und dicke goldene Ringe an den Fingern. Dem Gesicht nach zu urteilen hätte es Helgas Sohn sein können.

Ich wäre gar nicht abgeneigt gewesen, auszusteigen, und ihn zu fragen, ob er für das doppelläufige Jagdgewehr in seinen Händen einen Waffenschein besaß. Aber Sums ängstliche Blicke hielten mich davon ab. Ich wartete auf das Geräusch eines aufheulenden Motors hinter uns oder einen Schuss, der von der Straßenecke aus unsere Heckscheibe zertrümmert. Doch wir bogen langsam in die Hauptstraße ein. Oder was sich in diesem Viertel Hauptstraße nannte …

Die Fassaden waren wegen der paar Leuchtreklamen nur unwesentlich heller als in den Seitenstraßen, aber die Straßenlaternen sahen immer noch so aus, als seien sie auf halbe Kraft geschaltet.

Sum warf einen ängstlichen Blick in den Rückspiegel.

“Keine Angst, wenn jetzt nicht gleich einer von Helgas Ballermännern auf seinem Rennmotorrad um die Ecke biegt, sind wir überm Berg …”

“Das wäre wirklich phantastisch.”

“Warum hast du dich überhaupt von dem Laden anheuern lassen, wenn du so wild darauf bist, ihn möglichst schnell wieder loszuwerden?”

Sum zuckte die Achseln und schwieg.

Ihr Schweigen klang, als wolle sie mir damit zu verstehen geben: Es hat einen Grund, Winger. So wie alles auf der Welt einen Grund hat, die abgeplatteten Felskuppen im Gebirge und die Risse am Meeresboden. Aber ich kann Ihnen jetzt noch nicht verraten, welchen. Es ist ein schreckliches Geheimnis. Es könnte uns beide ins Unglück stürzen.

Zumindest las ich das in ihrem verängstigten Gesicht. Vielleicht aber las es mein übernächtigtes Gehirn auch nur in dem Buch, das es selber aufgeschlagen hatte, weil mir mein Instinkt sagte, an der Geschichte, in der wir momentan steckten, sei wieder einmal etwas faul.

Unser Hotel lag nahe beim Spielkasino und war eines von der kleinen, aber feinen Sorte, die Spieler bei Laune halten sollen, Gewinner und Verlierer gleichermaßen, und bei den Verlierern ist das sicher kein ganz kleines Kunststück. Zwischen den Stämmen des Waldhang schimmerte der Stausee. Rechts davon befand sich der Parkplatz mit dem Kasinoeingang, und wenn man wollte, konnte man leicht die Auffahrt im Auge behalten.

Der Portier behandelte uns mit jener freundlichen Umsichtigkeit, die man eigentlich nur erwarten durfte, wenn man nach einem langen, sündenfreien Leben an der Himmelspforte angelangt war. Er hatte makellose Zähne, makellose Manschetten und manikürte Finger. Die Farbe seines Jacketts war auf das Tapetenmuster der Rezeption abgestimmt.

Er fragte nicht nach Sums Pass, obwohl das wahrscheinlich seine Pflicht gewesen wäre, sondern trug nur meinen Namen und den Vermerk “mit Begleitung” ein.

Er war die perfekte Verkörperung der Diskretion und zwinkerte nicht mal mit den Augen dabei.

Man sah seinem Gesicht an, dass er glaubte, ich hätte mir das Mädchen in Thailand unter den Nagel gerissen, weil mir unsere Emanzen eine Nummer zu groß waren für ein harmonisches Sexualleben. Oder weil nach seiner Überzeugung niemand so artistisch vom Kleiderschrank in die Lampe sprang wie diese Asiatinnen.

Am Fahrstuhl wandte ich mich noch einmal nach ihm um und machte das Siegeszeichen. Aber das war ihm schon etwas zuviel der Kumpanei, und er beugte sich ohne irgendein Anzeichen von Lächeln über seine Papiere.

Unsere Zimmer besaßen eine Verbindungstür. Ich platzierte Sum Nong in einen Sessel vor dem Fernseher und bat sie, sich nicht von der Stelle zu rühren, während ich ihr im Ort ein paar Sachen wie Unterwäsche, Zahnbürste und eine kleine Reisetasche besorgte.

“Und schließ bitte die hinter mir Tür ab, ja?”

Sum nickte geistesabwesend, dabei starrte das Fernsehbild an, als sei es eine Direktübertragung vom Mars.

“Irgend was nicht in Ordnung mit dem Film?”, fragte ich.

“Ich mache mir nur Sorgen, was jetzt aus mir werden soll. Mein Pass ist noch im Klub. Glauben Sie, ich bekomme eine Aufenthaltsgenehmigung, wenn ich nicht mehr dort arbeite?”

“Nein.”

“Weil die Bestimmungen so streng sind?”

“Weil unser Land nur für Menschen Verwendung hat, die ein paar Millionen in neue Fabriken investieren und viele Arbeitsplätze schaffen. Weil unser Sozialsystem aus dem letzten Loch pfeift, wenn es ein paar Asylbewerber und Wohlstandstouristen aus der Dritten Welt durchbringen soll und wir dann alle zum Frühstück billige Marmelade essen und die Heizungen kleiner drehen müssen.”

“Sind Sie vielleicht so was wie ein verkappter Sozialreformer, Ralf?”, erkundigte sie sich lächelnd.

“Nein, ich bin nur ein armer Schlucker, der dauernd was zu meckern hat, weil er in seinem Alter immer noch auf der Klappliege im Büro schlafen und seine Hemden zum Lüften an den Fenstergriff hängen muss.”

“Tatsache?” Sie legte kichernd ihren Arm um meine Hüften. “Weil Sie keine Waschmaschine besitzen? Dann sind Sie ja genau so arm wie ich?”

“Meine Mutter, ein schwarzes Mädchen aus Angola, hat mir beigebracht, dass trocken Brot und Wasser rosige Wangen macht – und Armut ein sonniges Gemüt.”

“Sie sind gebürtiger Angolaner? Sieht man Ihnen aber gar nicht an, dass Ihre Mutter …?”

“Nein, ich bin so weiß wie Schreibmaschinenpapier. Mein Vater war Chefkoch auf einem deutschen Ozeanklipper. Er lernte ein schwarzes Mädchen in Luanda kennen, das Schiff hatte einen Maschinenschaden, die Ersatzteile brauchten ziemlich lange von Europa aus – aber jetzt muss ich mich wirklich beeilen, um dir eine Zahnbürste zu kaufen, bevor die Läden schließen.”

“Das ist noch etwas, das Sie wissen sollten …”, sagte Sum, als ich schon in der Tür stand.

“Ja?”