Troubleshooters - Bedingungslos - Suzanne Brockmann - E-Book

Troubleshooters - Bedingungslos E-Book

Suzanne Brockmann

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Beschreibung

Sie muss ihm vertrauen, denn nur er kann ihr noch helfen!

"Die Vereinigten Staaten von Amerika verhandeln nicht mit Terroristen!" Als Meg Moores Tochter Amy von einer extremistischen Gruppe entführt wird, weiß die junge Mutter, dass dies einem Todesurteil für das Mädchen gleichkommt. Sie weiß auch: Um Amy zu retten, ist sie bereit, alles zu tun - koste es, was es wolle. In ihrer Verzweiflung wendet Meg sich an den Navy SEAL John Nilsson. Obwohl es Jahre her ist, dass sie ihm zuletzt gegenüberstand, ist Nils noch immer der Einzige, von dem Meg weiß, dass sie ihm bedingungslos vertrauen kann. Und Nils, der sein Herz bereits damals an Meg verloren hat, zögert keine Sekunde, ihr zu helfen. Er weiß, dass er mit seiner Entscheidung alles riskiert, was er sich in seiner Militärlaufbahn bislang aufgebaut hat. Doch er weiß auch, dass für Meg viel mehr auf dem Spiel steht ...

»Ein unvergessliches, fesselndes Abenteuer!« THE LIBRARY JOURNAL

Spannung pur gepaart mit prickelnder Leidenschaft: Die Troubleshooter-Reihe - die heißesten Navy SEALs der Welt!

Band 1: Troubleshooters - Tödlicher Hinterhalt
Band 2: Troubleshooters - Bedingungslos
Band 3: Troubleshooters - Am Limit

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Inhalt

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Widmung

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Danksagung

Über die Autorin

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Impressum

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Über dieses Buch

»Die Vereinigten Staaten von Amerika verhandeln nicht mit Terroristen!« Als Meg Moores Tochter Amy von einer extremistischen Gruppe entführt wird, weiß die junge Mutter, dass dies einem Todesurteil für das Mädchen gleichkommt. Sie weiß auch: Um Amy zu retten, ist sie bereit, alles zu tun – koste es, was es wolle. In ihrer Verzweiflung wendet Meg sich an den Navy SEAL John Nilsson. Obwohl es Jahre her ist, dass sie ihm zuletzt gegenüberstand, ist Nils noch immer der Einzige, von dem Meg weiß, dass sie ihm bedingungslos vertrauen kann. Und Nils, der sein Herz bereits damals an Meg verloren hat, zögert keine Sekunde, ihr zu helfen. Er weiß, dass er mit seiner Entscheidung alles riskiert, was er sich in seiner Militärlaufbahn bislang aufgebaut hat. Doch er weiß auch, dass für Meg viel mehr auf dem Spiel steht …

SUZANNE BROCKMANN

Troubleshooters

BEDINGUNGSLOS

Aus dem amerikanischen Englisch von Christian Bernhard

Für die tapferen Frauen und Männer,

die im Zweiten Weltkrieg für die Freiheit gekämpft haben. Ihnen gilt mein aufrichtigster, bescheidener Dank.

1

Meg verstand es zunächst nicht.

Der Mann lächelte, doch sein freundlicher Gesichtsausdruck und sein Tonfall passten nicht zu seinen Worten. »Wir haben Ihre Tochter als Geisel genommen.«

Sie befand sich in der Tiefgarage unter ihrer Wohnung und hievte gerade einen Karton mit Aktenordnern aus dem Kofferraum ihres Wagens, als er auf sie zukam. Keine dreißig Meter entfernt von ihr saß Ramon, der Wachmann vom Gebäudesicherheitsdienst.

Der lächelnde Mann musste ihr die Verwirrung von den Augen abgelesen haben, denn er wiederholte das Gesagte noch einmal, in einem kazbekistanischen Dialekt. »Wir haben Ihre Tochter. Wenn Sie unsere Anweisungen nicht befolgen, töten wir sie.«

Und dieses Mal verstand Meg. Amy … Sie ließ den Karton fallen.

»Ist bei Ihnen alles okay, Miss Moore?« Ramon hatte sich von seinem Hocker erhoben und kam auf sie zu gelaufen. In einer anderen Tiefgarage in dieser Gegend von Washington D. C. war vor Kurzem eine Frau vergewaltigt worden.

»Antworten Sie ihm mit Ja«, raunte der lächelnde Mann ihr zu, wobei er seine Baseballjacke öffnete und ihr einen kurzen Blick auf eine sehr tödlich aussehende Waffe gewährte.

Großer Gott! »Wo ist sie?«

»Wenn ich innerhalb der nächsten Stunde nicht bei meinen Partnern anrufe, ist sie tot«, teilte er ihr mit und bückte sich, um den Karton aufzuheben. »Meine Partner sind kazbekistanische Extremisten.«

Terroristen … Aber nicht irgendwelche. Die Extremisten waren religiöse Fanatiker, die im Namen ihres Gottes schreckliche Gewalttaten und Grausamkeiten begingen. Und sie hatten Amy.

Oh Gott!

»Alles bestens«, rief Meg dem Wachmann mit nur leicht zittriger Stimme zu.

»Wir sind alte Freunde vom College.« Der Mann wandte sich mit seinem freundlichen Lächeln an Ramon. »Ich hab Meggie gleich wiedererkannt. Allerdings lag es nicht in meiner Absicht, vor ihr aufzutauchen wie der Geist der vergangenen Weihnacht und sie fast zu Tode zu erschrecken.«

Ramons Hand ruhte auf der Waffe, die in dem Holster an seiner Hüfte steckte. Er lächelte freundlich, doch er sah Meg mit seinen dunkelbraunen Augen prüfend an. »Miss Moore?«

Hilfe …

Damals, als sie noch in der amerikanischen Botschaft in Kazbekistan gearbeitet hatte, war sie auf eine solche Situation vorbereitet gewesen. Von Amerikanern, die dort ihren Dienst versahen, wurde das osteuropäische Land auch »K-stan« oder schlicht »die Grube« genannt. Während dieser Zeit war sie regelmäßig daran erinnert worden, dass die Vereinigten Staaten nicht mit Terroristen verhandelten. Am besten vermied man es also, überhaupt erst in eine solche Lage zu geraten – sollte vorsichtig sein, in Sicherheit bleiben, sich von gefährlichen Personen fernhalten und riskanten Situationen aus dem Weg gehen.

Dazu war es nun aber ein wenig zu spät. Wer hätte allerdings auch gedacht, dass nach so vielen Jahren ein k-stanischer Terrorist in Washington D. C. auftauchen würde?

Meg wusste, wie sie sich in dieser Situation verhalten sollte. Es wäre richtig, Ramon um Hilfe zu bitten, solange der Extremist den Karton mit ihren Akten in den Händen hielt und nicht so einfach an seine Waffe kam. Und wahrscheinlich würde eine starke Amerikanerin sich weigern, mit Terroristen zu verhandeln. Sie sollte sich wohl an das FBI wenden.

Doch egal, wie gut die Bundesbehörde auch war, sie würden ihre zehnjährige Tochter niemals innerhalb der nächsten sechzig Minuten finden.

Und nach Ablauf dieser Frist wäre Amy tot.

Meg zwang sich zu einem Lächeln. Zum Teufel mit der Amerikanerin in ihr. Sie handelte gerade einfach wie Amys sehr verängstigte Mutter. »Alles in Ordnung, Ramon«, log sie. »Wir sind … alte Freunde.«

»Soll ich das für dich hochtragen?«, setzte der Mann die Scharade fort. Sein Englisch war bemerkenswert gut, er sprach nur mit einem ganz leichten Akzent. »Wir könnten uns bei einer Tasse Kaffee über die alten Zeiten unterhalten.«

»Toll.« Erneut lächelte sie Ramon zu, der sie beide auf dem Weg zu den Aufzügen die ganze Zeit über im Auge behielt.

»Wo ist sie?«, zischte Meg hinter ihrem aufgesetzten Lächeln. »Wo ist Amy? Und was ist mit meiner Großmutter geschehen?« Das Mädchen hatte mit seiner Urgroßmutter ins Smithsonian gehen wollen, während seine Mutter die Akten abholte, die sie übersetzen sollte. Meg war sich nicht ganz sicher gewesen, wer in dieser Situation den Babysitter spielte – die Zehnjährige oder die Fünfundsiebzigjährige.

»Die alte Dame ist Ihre Großmutter.« Er nickte und drückte den Knopf neben der Aufzugtür. »Ich dachte mir doch, dass sie zu alt ist, um Ihre Mutter zu sein. Wir haben sie auch.«

Meg spürte eine Woge der Erleichterung. Wenigstens befand sich Eve bei Amy, sodass sie nicht ganz allein war, in Todesangst und … »Ich verstehe das nicht. Ich bin weder reich noch –«

»Wir wollen nicht an Ihr Geld.« Die Türen des Aufzugs gingen auf und er ließ ihr höflich den Vortritt – der perfekte extremistische Gentleman. »Wir möchten, dass Sie uns einen kleinen Gefallen tun.«

Oh Gott …

»Sie haben doch regelmäßig geschäftlich in der kazbekistanischen Botschaft am anderen Ende der Stadt zu tun, nicht wahr?«

Allmächtiger … Die Aufzugtüren glitten zu, doch sie lächelte weiter. Ramon würde sie über die Überwachungskameras beobachten.

»Ich arbeite dort nur als Beraterin, als Übersetzerin. Es geht nie um … ich habe nie …«

Er drückte auf den Knopf mit der Zwölf. Aus irgendeinem Grund wusste dieser Mann, den sie noch nie zuvor in ihrem Leben gesehen hatte, dass sie und Amy im zwölften Stock wohnten.

Meg atmete tief durch und setzte noch einmal neu an. »Hören Sie, ich habe keinen Zutritt zu Bereichen innerhalb der Botschaft, in denen man an vertrauliche Informationen gelangen kann oder –«

»Sie sollen nicht für uns spionieren. Zu diesem Zweck haben wir bereits einen Agenten in der Botschaft.« Er lachte, was nicht allein für die Kameras gespielt war. Dieser Mann genoss die Situation und amüsierte sich über ihre Angst, die in heftige Wut umschlug, als sie den Kameras den Rücken zudrehte. »Was wollen Sie dann von mir, verdammt noch mal? Und wie kann ich mir überhaupt sicher sein, dass sich Amy und Eve in Ihrer Gewalt befinden?«

Die Aufzugtüren öffneten sich im zwölften Stock. Wieder trat er zurück, um sie vorgehen zu lassen. »Wenn Sie möchten, schicken wir Ihnen den Kopf der alten Dame als Paketsendung –«

»Nein!« Oh Gott …

Er lachte erneut auf. »Ich schätze, dann müssen Sie mir einfach vertrauen, was, Meggie?«

Megs Hände zitterten dermaßen heftig, dass sie den Schlüssel nicht ins Schloss bekam.

Er klemmte sich ihren Karton unter den Arm, sodass er auf seiner Hüfte ruhte, nahm ihr sanft den Schlüssel ab, öffnete die Tür und schob sie in die Wohnung, wo er ihr ins Wohnzimmer folgte. »Ich fürchte, ich kann nicht genauso vertrauensselig sein«, fuhr er dann fort und stellte den Karton neben der Couch ab. »Nachdem wir die Strategie durchgesprochen und die Bedingungen verhandelt haben, werde ich mit Ihnen zur Botschaft fahren. Ich weiß, es ist schon nach fünf, aber heute Abend findet dort eine Veranstaltung statt. Nichts Formelles, Sie können Jeans tragen. Genau genommen, will ich sogar, dass Sie Jeans tragen. Und diese Stiefel. Wie heißen die noch gleich? Cowboystiefel. Oder müsste man in dem Fall Cowgirlstiefel sagen?«

»Die Bedingungen verhandeln?« Meg kümmerte es gerade einen Dreck, was sie anhatte. »Was für Bedingungen?«

»Na ja, es ist eine ziemlich einfache Verhandlung, bei der es nur um ein, zwei Nebensächlichkeiten geht. Das Entscheidende ist: Wenn Sie Ihre Tochter und Ihre Großmutter lebend wiedersehen wollen, werden Sie machen, was wir Ihnen sagen. Falls nicht …«

»Ich tue es.«

»Gut.« Er ging hinüber zu den Fenstern und zog die Vorhänge zu. »Sobald Sie in der Botschaft sind, wird unser Insider Sie im Auge behalten. Falls Sie versuchen sollten, sich Hilfe zu holen oder die Behörden einzuschalten, werden wir Ihre Tochter töten. Da können Sie sicher sein.«

Sein Lächeln war jetzt verschwunden.

Meg nickte. Sie zweifelte nicht an seinen Worten. Da sie jahrelang in Kazbekistan gelebt und gearbeitet hatte, konnte sie ziemlich gut einschätzen, wozu die Extremisten in der Lage waren.

»Was soll ich tun?«

Eve war definitiv alt genug, um zu erkennen, wenn sie bis zum Hals in Schwierigkeiten steckte.

Und wenn man mit gefesselten Armen und Beinen auf dem harten Metallboden im Laderaum eines fahrenden Transporters liegend wieder zu Bewusstsein kam, wies das definitiv darauf hin, dass der Tag eine üble Wendung genommen hatte.

Er war ohnehin nicht besonders vielversprechend gestartet, schließlich hatte sie heute ihren fünfundsiebzigsten Geburtstag und schon vor langer Zeit aufgehört, ihr beständiges Älterwerden zu feiern. Ein Gesicht voller Falten, hängende Brüste, dünnes graues Haar, schlaffe Haut, gebrechliche Knochen, Gedächtnislücken – juhu! Lasst uns feiern!

Solange ihr Ehemann noch gelebt hatte, war es ihr egal gewesen. Er hatte es immer geschafft, ihr das Gefühl zu geben, zwanzig Jahre alt und unglaublich schön zu sein. Doch seit seinem Tod vor zwei Jahren fühlte sie sich nur noch alt.

Sie konnte Zigarettenqualm riechen und im vorderen Bereich des Wagens Leute leise miteinander reden hören.

Als sie wach geworden war, hatte sie sich leicht hin und her gerollt, im Dämmerlicht verzweifelt nach ihrer Urenkelin gesucht und das kleine Mädchen sofort entdeckt. Amy war noch immer bewusstlos – k. o. durch das Mittel, das man ihnen auf dem Bürgersteig draußen vor dem Smithsonian verpasst hatte, was auch immer das gewesen sein mochte.

Nachdem sich Eve versichert hatte, dass die Kleine atmete und ihr Puls regelmäßig ging, war sie zurück auf den Boden gesunken, denn das Seil schnitt ihr in Handgelenke und Knöchel, während das kalte Metall der Ladefläche gegen ihre schmerzempfindliche Hüfte drückte.

Sie bewegten sich stetig vorwärts, ohne abzubiegen. Der Transporter fuhr also wahrscheinlich auf dem Highway, schlussfolgerte Eve, die durch die Windschutzscheibe rechts vor sich das letzte Glühen der untergehenden Sonne sehen konnte, als sie den Kopf hob. Demnach waren sie in Richtung Süden unterwegs und befanden sich vermutlich auf dem Highway 95.

Doch wie war es dazu gekommen?

Eve schloss die Augen, hatte aber Probleme, sich daran zu erinnern.

Amy und sie waren unterwegs zum Smithsonian gewesen, wo sie sich den ganzen Tag lang alles ansehen wollten. Sie hatten sich gerade Verpflegung fürs Mittagessen eingepackt, als Meg zur Tür hinaus gerauscht war und ihr einen Geburtstag versprochen hatte, den sie nie vergessen würde.

Aber Eve bezweifelte, dass ihre Lieblingsenkelin das hier damit gemeint hatte.

Amy und sie waren eben erst aus einem Taxi ausgestiegen und hatten auf dem Bürgersteig vor dem Museum gestanden, als ein Mann auf sie zugekommen war, der sich scheinbar hoffnungslos verlaufen hatte und sie nach dem Weg fragte.

Er trug eine Stadtkarte bei sich und weil Eve sich darüberbeugte, um die klitzekleinen Straßennamen besser lesen zu können, war ihr viel zu spät aufgefallen, dass sich ihnen jemand von hinten näherte. Und kurz darauf wurden Amy und sie auch schon gepackt.

Sie erinnerte sich noch daran, dass ihre Urenkelin geschrien hatte, erinnerte sich, wie sie versuchte, nach dem kleinen Mädchen zu greifen, bis sie einen spitzen Nadelstich verspürte, woraufhin die Welt um sie herum zu wanken und sich zu drehen begonnen hatte und es schließlich ganz dunkel wurde.

Amy und sie waren ohne jeden Zweifel gekidnappt worden.

Sie musste Osman Razeen finden.

Meg konnte spüren, wie ihr eine Schweißperle den Rücken hinunterrann, als sie sich bemühte, beim Hochschreiten der Treppen zum Büro des neuen kazbekistanischen Botschafters möglichst zielstrebig zu wirken. Es sollte so aussehen, als hätte sie wirklich einen Grund, an diesem Ort zu sein, und als würde sie nicht die Waffe in ihrem Stiefel schwer und kalt an ihrem Bein fühlen. Niemand durfte bemerken, dass sich ihr aus Angst um Amy der Magen zusammenzog. Bitte, Gott, lass nicht zu, dass sie ihr wehtun …

Das hier konnte unmöglich wahr sein.

Erschien ihr schier lächerlich.

Zumal es absurd einfach gewesen war, mit einer geladenen Waffe in die Botschaft zu gelangen. Die Ketten an ihren Cowboystiefeln hatte zwar den Metalldetektor am Vordereingang ausgelöst – wie schon so viele Male zuvor. Doch sie kannte den diensthabenden Wachmann – er hieß Baltabek –, der nur die Augen verdreht, gelacht und sie durchgewunken hatte.

Offensichtlich war sie von den Extremisten für eine Weile beobachtet worden. Und anscheinend hatten die Männer sie für diese Angelegenheit ins Auge gefasst, weil sie davon ausgingen, dass Meg ungehindert in die Botschaft gelangen konnte.

Was also wussten sie noch über sie?

Sie waren sich absolut sicher, dass sie alles – alles – tun würde, damit Amy nichts zustieß, selbst ihr eigenes Leben opfern.

Und dazu gehörte auch, Waffen in die kazbekistanische Botschaft zu schmuggeln, um die Zielperson zu kidnappen oder gar zu töten, falls sie es nicht schaffte, diese aus dem Gebäude zu bringen.

Die besagte Zielperson hieß Osman Razeen und war der Anführer einer rivalisierenden Terroristengruppe namens GIK –der Islamischen Garde Kazbekistans. Die Extremisten hassten die GIK und fanden, Razeen sei ihrer Sache abtrünnig geworden und verdiene den Tod, weshalb sie ihn für eine öffentliche Hinrichtung zurück nach K-stan bringen wollten. Aber sie würden sich auch mit einem Attentat auf ihn hier an Ort und Stelle zufriedengeben.

Sie schienen tatsächlich darauf zu vertrauen, dass Meg im Ernstfall dazu in der Lage wäre, den Abzug zu drücken und das Leben eines anderen Menschen zu beenden, um auf diese Weise ihre Tochter zu beschützen.

Meg war nicht ganz sicher, ob sich dieser Osman Razeen überhaupt in der Botschaft aufhielt. Allein der Gedanke, er könnte dort sein und sich als Anführer der GIK bis in die höchsten politischen Ränge seiner Regierung hochgearbeitet haben, erschien ihr verrückt.

Aber es scherte sie momentan auch nicht wirklich, ob die k-stanische Regierung von Spionen, Terroristen oder gar dem Osterhasen höchstpersönlich unterwandert worden war.

Im Moment ging es einzig und allein darum, Amy und Eve zu retten.

Und dazu musste sie Osman Razeen finden.

Es war unmöglich, Hilfe zu rufen, ohne dass es die Extremisten mitbekamen. Aber es gab ohnehin niemanden in der Botschaft, mit dem sie sprechen konnte, niemanden, dem sie vertraute.

Noch nicht einmal an die Amerikaner, die geschäftlich hier zu tun hatten, wollte sie sich wenden, da einer von ihnen ebenso gut der Insider der Extremisten sein mochte.

Meg blickte zurück zu den k-stanischen Wachen, die in ihren reich verzierten Uniformen am Fuß der Treppe standen. Trotz der leuchtenden Farben und der glänzenden Goldborten wirkten diese nicht einmal halb so prachtvoll wie die weißen Paradeuniformen der US Navy.

Nein, nichts und niemand konnte mit einem Offizier der amerikanischen Marine mithalten, der sich herausgeputzt hatte …

Meg griff an das Geländer und blieb am oberen Treppenabsatz ruckartig stehen. Sie brauchte Hilfe – kein Zweifel. Nie im Leben wäre sie dazu in der Lage, das hier allein durchzuziehen. Und plötzlich hatte sie auch ganz klar vor Augen, wessen Hilfe sie benötigte und wie sie diese bekommen könnte.

Dennoch musste sie zuerst immer noch Osman Razeen finden.

Es hieß, er sei etwa einen Meter fünfundachtzig oder neunzig groß, um die vierzig und besitze dunkles Haar sowie braune Augen. Der fröhliche Terrorist aus der Tiefgarage hatte Meg außerdem ein verschwommenes und verblasstes Foto gezeigt, das vor gut fünfzehn Jahren aufgenommen worden war. Offenbar handelte es sich um das einzige noch existierende Bild von dem flüchtigen Razeen.

Sie hatte sich das Foto genau angesehen, sich sein Kinn, seine Nase, die hellbraunen Augen und das eher unscheinbare Gesicht eingeprägt und gebetet, dass sie den Mann erkennen würde, wenn sie ihm begegnete.

Auf dem Foto starrte er nicht so in die Kamera, wie man es von einem Terroristen erwarten würde. Weder runzelte er die Stirn noch verzog er den Mund zu einem grausamen, schmalen Grinsen. Vielmehr wirkten seine Lippen voll und er schenkte der Person, die das Bild einst gemacht hatte, ein charmantes, schiefes Lächeln.

Mittlerweile war er fünfzehn Jahre älter. Gut möglich, dass er nun graue Haare besaß oder fünfundzwanzig Kilo zugenommen hatte. Er mochte zu einer Person gealtert sein, die nicht wiederzuerkennen war.

Noch dazu konnte Razeen praktisch überall in der Botschaft sein. Vielleicht stand er als Serviceangestellter verkleidet in der Küche und schnitt in Vorbereitung auf das Dinner an diesem Abend Lammfleisch für das Shish Kebab in Würfel. Oder aber er fungierte als Berater des Botschafters. Herrgott noch einmal, er konnte sogar selbst der neue Botschafter sein …

Dann erblickte sie ihn. Er musste es sein, nicht wahr? Osman Razeen, mit nur geringfügig mehr Gewicht auf den Rippen als auf dem Foto und in einen dunklen Anzug gekleidet, unterhielt sich angeregt mit drei anderen Männern, während sie zusammen den Flur entlanggingen. Aber Meg zögerte. Wie sollte sie sich einhundert Prozent sicher sein, dass es sich auch wirklich um ihn handelte?

Er war im passenden Alter, ja, besaß die passende Größe und den passenden Teint.

Als die Gruppe an ihr vorbeikam, sprachen die Begleiter Russisch. Einer der Männer, ein korpulenter Typ mit beginnender Glatze, machte gerade einen geschmacklosen Witz über Putin.

Alle lachten, und dieses Lachen, dasselbe leicht schiefe Lächeln wie auf dem Foto, überzeugte Meg schließlich.

Sie hatte Razeen gefunden.

Während sie ihm nachblickte, verschwand er mit den anderen drei Männern auf die Herrentoilette. Und plötzlich schien alles klar zu sein. Jetzt oder nie! Sie hätte sich keinen besseren Ort wünschen können.

Meg durchquerte den Flur und steuerte direkt auf die Damentoilette neben dem Herrenklo zu. Sie stieß die Tür auf und ging in eine der Kabinen, wo sie ihr Hosenbein hochzog und die Waffe aus ihrem Stiefel hervorholte.

Dann entsicherte sie sie so, wie es ihr der Extremist gezeigt hatte, und schob die kompakte kleine Pistole – den Finger am Abzug – in ihre Jackentasche.

Als sie die Kabine wieder verließ, vermied sie es bewusst, in den großen Spiegel über den Waschbecken zu schauen. Sie wollte ihren Gesichtsausdruck, ihre grimmige, blasse Miene, nicht sehen und verdrängte die Tatsache, dass die kommenden Augenblicke womöglich die letzten in ihrem Leben sein könnten. Sobald sie diese Waffe zog, machte sie sich selbst zum Ziel, fast so, als bettelte sie darum, erschossen zu werden.

Doch sie würde es tun, und wenn es sein musste, Razeen töten. Sollte es wirklich darauf hinauslaufen, würde sie sogar selbst ihr Leben geben. Für Amy.

Ja, die Extremisten wussten in der Tat ziemlich viel über sie.

Doch sie ahnten nichts von John Nilsson.

Meg riss die Tür auf, bog scharf nach rechts ab und schritt schnurstracks in die Herrentoilette.

Alyssa Locke vermisste ihre Uniform.

Sie hasste es, jeden Morgen nach dem Aufstehen in ihren Kleiderschrank zu starren und sich überlegen zu müssen, welche Hose zu welcher Bluse und wiederum zu welchem Blazer passte.

Und dann gab es da ja noch die Accessoires. Locke wünschte sich, sie könnte eine Krawatte tragen, doch der Look von Diane Keaton in »Der Stadtneurotiker« war leider schon während ihrer Grundschulzeit wieder aus der Mode gekommen. Also galt es auch noch zu entscheiden, ob sie einen Schal tragen sollte, um ihrem Outfit einen kleinen Spritzer Farbe zu verpassen. Würde sie damit zu feminin wirken oder bildete dieses Accessoire genau das richtige Gegengewicht zu der Botschaft, die sie mit ihren äußerst zweckmäßigen flachen Schuhen aussendete?

Ja, sie vermisste wahrlich ihre Uniform.

Und was ihr ebenso fehlte, waren die Ordnung, die Vorschriften und der damit einhergehende Respekt, an dem es im zivilen Leben so oft mangelte.

Aber das war auch schon so ziemlich alles, was Locke vermisste, seit sie ihren Dienst als Offizierin in der US Navy quittiert hatte.

Wonach sie sich nicht zurücksehnte, ließ sich mit dem Begriff Frustration beschreiben. Dabei handelte es sich um den Missmut darüber, dass sie sich damit abfinden sollte, trotz ihrer Begabung und ihrer Fähigkeiten und obwohl sie der beste Scharfschütze im gesamten US-Militär war, stets vom eigentlichen Geschehen ferngehalten zu werden. Obgleich sie die für den Job erforderliche körperliche Fitness mitbrachte, würde sie nie im Leben in die heiligen Ränge solcher Spezialeinheiten wie der US Navy SEALs aufgenommen werden.

Und das einfach nur, weil sie ohne einen Penis zur Welt gekommen war.

Nicht dass sie unbedingt einen gewollt hätte.

Locke lächelte, als sie den Aufzug betrat und nach oben in ihr Büro fuhr. Zugegeben, das stimmte nicht ganz. Es kam durchaus vor, dass sie sich einen wünschte. Manchmal hatte sie sogar ziemlich dringend das Verlangen danach. Doch leider gab es Penisse nur in Kombination mit Männern. Und darin bestand eines ihrer größten Probleme.

Männer wollten sie meist besitzen.

Alyssa Locke war eine schöne Frau. Das konnte sie, ohne arrogant zu sein, von sich selbst behaupten. Warum sollte ihr Ego auch irgendetwas damit zu tun haben? Sie verdankte ihre grünen Augen, die makellose, glatte mokkafarbene Haut und ihr Gesicht, in dem sich die besten Züge ihrer afro- und lateinamerikanischen sowie europäischen Eltern und Großeltern vereinten, allein ihren guten Genen.

Sicher, sie trainierte, um den Körper, den ihr Gott gegeben hatte, straff und in Form zu halten, aber sie besaß in erster Linie eine gute Ausgangsposition.

Ihre Fähigkeiten als Schützin hingegen … Darauf konnte sie sich etwas einbilden. Erst recht, weil es niemand Besseren gab als sie. Und Alyssa hatte sich dieses Können durch endloses Üben hart erarbeitet, bis ihr ein präziser Schuss auf ein Ziel genauso natürlich und mühelos gelang wie das Atmen.

Oh ja, wenn es ums Schießen ging, war sie spitze.

Und das FBI hätte sie nicht für seine Top-Antiterroreinheit angeworben, wenn es das nicht genauso sähe.

Als der Personaler des Inlandsgeheimdienstes das magische Wort Außeneinsatz fallen ließ, hatte Locke das Angebot angenommen, den Militärdienst quittiert und war schwarze Hosenanzüge und eine dunkle Sonnenbrille shoppen gegangen.

Der Fahrstuhl kam auf ihrer Etage an und sie passierte zügig den Flur, wobei sie möglichst jeden Augenkontakt mit den überwiegend männlichen Agenten vermied. Kannte sie jemanden beim Vornamen, nickte sie ihm knapp zu. Gott bewahre, dass sie lächelte. Ein freundliches Lächeln auf dem Gang bedeutete in der Interpretation von Männern irgendetwas zwischen: »Du interessierst mich sehr, lass uns nach der Arbeit was trinken gehen« und: »Ich möchte gleich hier und jetzt über dich herfallen.«

Ungefähr im Alter von fünfzehn Jahren hatte sie aufgehört, entgegenkommend zu Männern zu sein – es sei denn, es handelte sich dabei um enge Freunde.

Sie stürmte in ihr Büro, öffnete die Schublade ihres Schreibtischs und verstaute ihre Gürteltasche darin.

Jules war bereits da. Er hatte ihr eine dampfende Tasse Kaffee auf ihren Schreibtisch gestellt – Gott schütze seine merkwürdige kleine Seele. Denn obwohl der Morgen bereits um war, begann ihr Tag gerade erst.

Kurz darauf steckte er den Kopf zur Tür herein, und an diesem Tag konnte man von einem ziemlich auffälligen Kopf sprechen. FBI-Agent Jules Cassidy war über Nacht erblondet und trug ein leuchtendes, grelles Platin mit einem dunkelbraunen Ansatz zur Schau.

Die Färbung und der neue Haarschnitt ließen ihn aussehen wie einen Siebzehnjährigen, was er anscheinend auch beabsichtigt hatte. Sein attraktives Milchgesicht und die kleinwüchsige Statur verschafften ihm Zutritt zu Orten, die konservativeren FBI-Männern in Anzügen verschlossen blieben.

»Was gehört?«, erkundigte er sich.

Locke schüttelte den Kopf, während sie sich hinter ihren Schreibtisch setzte. »Noch nichts.« Sie wollte auch nicht darüber reden. »Ist das Nasenpiercing echt oder –«

»Nee … Glaubst du wirklich, ich würde riskieren, dass dieses Gesicht Narben bekommt?« Während er den Ring herausnahm, kam er zu ihr ins Büro. Er trug an diesem Tag ein Seidenshirt und eine unglaublich enge Lederhose – erstaunlich eng sogar. Stünde sie auf siebzehnjährige schwule Jungs, hätte sie nun wohl ein Problem. »Ich hab eine Runde durch die Clubs gedreht, quasi die frühe Happy-Hour-Sauftour gemacht und nach Tony Ghilotti gesucht. Ich wusste schon gar nicht mehr, dass ich den noch trage.«

»Und, hast du ihn gefunden?«, fragte sie zurück.

»Nee, der Hurensohn ist längst über alle Berge. Da bin ich mir mittlerweile ziemlich sicher. Aber versuch mal, das dem Chef zu erklären …« Als er sie ansah, lag Besorgnis in seinen braunen Augen. »Ich bin derjenige, der hier die Doppelschichten schiebt, aber du siehst hundeelend aus. Mensch, schläfst du in letzter Zeit denn genug?«

Jeden anderen hätte sie angelogen. Aber Jules saß vor ihr, also schüttelte sie den Kopf. In den vergangenen Monaten hatten sie viel zu oft viel zu eng zusammengearbeitet, um noch Geheimnisse voreinander haben zu können.

Er musterte sie, während sie einen Schluck Kaffee nahm. »Du weißt, dass es bald so weit sein muss. Und deine Schwester wird das schaffen.«

Locke nickte lächelnd, denn das war die Reaktion, die er von ihr sehen wollte. »Das Warten bringt mich noch um«, gestand sie.

»Vielleicht solltest du dir ein paar Tage freinehmen«, schlug Jules vor. »Fahr zu ihr und verbring Zeit mit ihr –«

»Keine gute Idee.«

Er zuckte mit den Schultern. »Ganz wie du meinst.« Mit einer Hand fuhr er sich durchs Haar. »Du magst die neue Frisur also nicht?«

Locke musste lachen. »Du bist so was von eitel«, teilte sie ihm mit. »Du weißt ganz genau, wie gut du aussiehst, Mr Fishing-for-compliments.«

Er grinste und drehte sich um, damit sie seine Rückenansicht bewundern konnte. »Sieh dir meinen Hintern in dieser Hose an.«

»Hab ich schon, danke.«

»Und …?«

»Danke für den Kaffee«, ließ sie ihn ins Leere laufen. »Und jetzt raus aus meinem Büro.«

»Hände hoch! Bewegung! Na los, die Hände hoch, sodass ich sie sehen kann!«

Zwei der Männer standen an den Waschbecken, die beiden anderen – Osman Razeen und der korpulente Kerl – befanden sich noch bei den Pissoirs. Alle schauten überrascht auf, als Meg in die Herrentoilette gestürmt kam.

»Was soll das –«

»Keine Bewegung!«, schrie sie, hielt die Waffe mit beiden Händen vor sich ausgestreckt, wie sie es in Polizeiserien im Fernsehen gesehen hatte, und richtete sie abwechselnd auf die beiden Gruppen von Männern. »Nicht bewegen, nicht reden, halten Sie nur die Hände hoch! Sofort!«

Oh Gott, sagte und machte sie das alles gerade wirklich?

Aber es funktionierte. Vier Paar Hände wurden in die Luft gestreckt, und der übergewichtige Mann pinkelte sich sogar auf seine Schuhe.

Seine Hose stand offen und …

Oh, es lief geradezu perfekt.

Sie deutete mit der Waffe auf die Männer bei den Waschbecken. Nur der Reihe nach, dann würde sie sich mit … allen weiteren Problemen beschäftigen. »Rüber zu den anderen. Na los, gehen Sie!«

Die Männer setzten sich in Bewegung.

Die Herrentoilette der k-stanischen Botschaft wirkte viel größer als die der Damen – mindestens fünfmal so groß. Die Wände waren blau gekachelt, die Fliesen auf dem Boden besaßen einen helleren Ton. Am Ende des Raums hingen die Urinale nebeneinander, die Kabinen befanden sich gegenüber von den Waschbecken. Es gab keine Fenster und nur diese eine Tür.

Es war also der perfekte Ort für eine Belagerung.

»Die Hände bleiben oben!« Meg versicherte sich schnell, dass sich niemand sonst in der Toilette aufhielt und innerhalb der Kabinen versteckte.

»Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich –«

»Ja«, fiel sie dem dicken Mann ins Wort. »Lassen Sie Ihre Hände oben.«

Am liebsten hätte sie sich entschuldigt. Es tut mir leid für die Demütigung, aber ich kann nicht zulassen, dass Sie die Hände herunternehmen, noch nicht einmal um … Doch ihr war auch klar, dass sie unter gar keinen Umständen schwach herüberkommen durfte. Sie musste den Männern also glaubhaft vermitteln, sie wüsste, wie man mit dieser Waffe umging, und dass sie tatsächlich von ihr Gebrauch machen würde, wenn sie sie bedrängten.

Und sie durfte ihnen nicht erlauben, die Hände herunterzunehmen. Nicht wenn sie am Leben bleiben wollte.

Sicher, den Angestellten der Botschaft war es im Gebäude nicht erlaubt, Waffen bei sich zu tragen. Aber das galt für sie ja genauso. Und doch stand sie hier nun, schwer bewaffnet und gefährlich.

»Glauben Sie ernsthaft, Sie könnten den kazbekistanischen Botschafter in seinem eigenen Haus als Geisel nehmen?«, fragte der übergewichtige Mann. Er schwitzte stark. Aber Meg wurde bewusst, dass er keine Angst vor einer Geiselnahme hatte. Er fürchtete, sie würde ein Selbstmordattentat begehen und sie alle niederschießen. So lief das in der gewalttätigen Welt, aus der er kam, nun einmal.

Razeen schwieg und schaute sie einfach nur an. Sein düsterer Blick war nicht zu deuten, doch ein anderer Mann ergriff nun das Wort. »Vielleicht können wir verhandeln. Wenn Sie uns sagen, was Sie wollen …?«

»Ich will Ruhe«, antwortete Meg in scharfem Tonfall. »Ich will Ihre Hände oben sehen. Ich will, dass Sie ….«, sie deutete mit ihrer Waffe auf den korpulenten Mann in all seiner entblößten Pracht, »… sowohl Ihrer als auch meiner Regierung eine Nachricht überbringen. Ich will, dass alle Wachen und Polizisten sich fernhalten und dass die gesamte Etage geräumt wird. Wenn jemand diese Türklinke auch nur anfasst, werde ich schießen. Sorgen Sie dafür, dass die da draußen das kapieren – sollte jemand vor der Tür auch nur komisch atmen, sind diese Männer tot.«

Er nickte zum Zeichen des Verständnisses, wobei sein Doppelkinn wabbelte.

»Sagen Sie denen, dass ich eine ganze Liste von Forderungen habe, aber die einzige Person, mit der ich verhandeln werde, ist Ensign John Nilsson von den US Navy SEALs. Die sollen ihn finden und herbringen, dann rede ich.«

Bitte, lieber Gott, lass John irgendwo in der Nähe sein …

»Haben Sie das verstanden?«, fragte sie.

Der Mann nickte. »John Nilsson. US Navy.«

»Er ist ein SEAL. Sagen Sie denen das.«

»Ein SEAL«, wiederholte der Kerl gehorsam, während er seinen Blick sehnsüchtig zur Tür wandern ließ.

»Gehen Sie.«

Mit noch immer erhobenen Händen stürzte der korpulente Mann in all seiner Blöße auf die Tür zu.

Meg setzte sich hin, lehnte den Rücken gegen die Fliesen und hielt die Waffe auf die verbliebenen Geiseln gerichtet.

In dieser Position wartete sie darauf, dass John Nilsson käme und den Tag retten würde.

2

Lieutenant Junior Grade John »Nils« Nilsson befand sich auf einem Einsatz. Ein sechsköpfiges SEAL-Team sollte unter seiner Führung in ein Gebäude im Irak eindringen und den abgeschossenen amerikanischen Kampfflugzeugpiloten Captain Andy Chang retten.

Hineinzugelangen würde ein Leichtes werden. Der schwierige Part bestand darin, wieder herauszukommen, sobald man sie bemerkte und Alarm schlug.

Nilsson hatte eigentlich geplant, schnell vorzustoßen und sich wieder zurückzuziehen, bevor auch nur der Iraki mit dem leichtesten Schlaf etwas mitbekam. Aber – welch eine Überraschung – auf dem Gelände hielten sich zehnmal mehr Soldaten auf, als den Berichten des Militärnachrichtendiensts INTEL nach anzunehmen gewesen war. Und was dort als verschlafener, kleiner, schlecht ausgerüsteter und schwach besetzter Stützpunkt beschrieben wurde, entpuppte sich nun als hell erleuchtetes Zentrum der Aktivität, in dem es selbst um 0300 noch vor Menschen nur so wimmelte.

Dort hineinzugehen, um den Piloten zu holen, käme mit einem Team von sechs Mann praktisch einem Selbstmord gleich.

Dennoch hatte er Ensign Sam Starret und Petty Officer WildCard Karmody in das Gebäude geschickt, um herauszufinden, ob der Pilot wirklich an diesem Ort gefangen gehalten wurde. Wenigstens lag der Nachrichtendienst der Marine zumindest mit dieser Einschätzungrichtig, denn Sam und WildCard tauchten wenig später wieder auf und berichteten, dass Chang sich tatsächlich an diesem Ort befand. Und ehrgeizig, wie sie waren, lieferten die beiden SEALs, die Nils als seine besten Freunde bezeichnen würde, auch gleich noch einen kompletten Lageplan des Geländes ab.

Der Lieutenant lag hinter einem Busch, der auf einer kleinen Anhöhe wuchs, und starrte durch sein Nachtsichtgerät auf das Dach des zweistöckigen Gebäudes, über das Sam und WildCard unbemerkt ins Innere gelangt waren. Diesen Weg würde auch sein Team nehmen.

Und falls das schiefginge, würde er dafür die Konsequenzen tragen müssen. Nils wusste verdammt gut, dass es die korrekte Reaktion auf die zusätzlichen Sicherheitsvorkehrungen wäre, auch ein Scheitern zu akzeptieren. Eigentlich sollte er Verluste vermeiden, sein Team kehrtmachen lassen und sich wieder zurück über die Grenze begeben.

Aber er hatte noch nie gut verlieren können. Und ein Scheitern zu akzeptieren, schien ihm hier nicht die einzige Option zu sein. Nicht wenn man sich genau auf diese Situation eingestellt hatte.

Als Senior Chief Petty Officer Wolchonok neben ihn robbte, spürte Nils dies eher, als dass er es hörte. Er sah den älteren Mann an. Selbst ohne die Tarnbemalung mit Fettschminke, die Wolchonok gerade trug, besaß dieser ein Gesicht, das nur eine Mutter lieben konnte – diese und ein gesamtes Team von SEALs, das dem Senior Chief auf Leben und Tod vertraute. Es gab keinen einzigen Mann in SEAL-Team 16 – den CO, Lieutenant Tom Paoletti, eingeschlossen –, der nicht ohne zu zögern über den Rand des Grand Canyon spränge, wenn ihm der Senior Chef versicherte, dass ihm mitten in der Luft Flügel wachsen und er sicher auf die andere Seite fliegen würde.

Im Moment schüttelte Wolchonok allerdings den Kopf. »Denken Sie nicht mal dran, Lieutenant.«

»Ich kann Chang da rausholen.«

»Nein, das können Sie nicht.«

Nils dachte immer, dass Gott eine solche Stimme haben musste wie der Senior Chief – tief, klangvoll, sowie voller Gewissheit. Und mit einem ganz leichten Chicagoer Akzent. »Wie immer schätze ich Ihre Meinung sehr, Senior Chief. Aber wenn Sie das umgekehrt genauso tun, werde ich es zumindest versuchen.«

Wolchonok beugte sich zu ihm herüber und senkte seine Stimme noch mehr. Er sprach nun nicht als Senior Chief zu seinem befehlshabenden Offizier, sondern als älterer, erfahrenerer Mann zu einem sehr viel jüngeren Kollegen. »Johnny, komm schon. Dir ist klar, worum es hier geht. So, wie die Lage gerade aussieht, kann man nur verlieren. Und du weißt genauso gut wie ich, dass man gewinnt, indem man die Niederlage eingesteht. Vermassle dir durch diese Aktion nichts.«

Nils erkannte, dass der Senior Chief recht hatte. Als Offizier musste man die Lage einschätzen und danach entscheiden können, was das Beste für seine Männer war. Aber die Arbeit als SEAL verlangte es manchmal auch, etwas zu riskieren und die Vorschriften zu umgehen. Durch das Nachtsichtgerät schaute er wieder auf das Gebäude. »Ich bin aber noch nicht bereit, eine Niederlage zu akzeptieren.«

Wolchonok bedachte ihn mit einem Blick, unter dem sich Männer vor Unbehagen wanden – und zwar auch solche von weit höherem Rang als Nilsson. »Lassen Sie das Heldengehabe à la Hollywood, Lieutenant. Das hier ist nur ein Trainingseinsatz, und bei der heutigen Lektion geht es allein darum, sich zurückzuziehen. Sie verlieren Chang, ja, aber Sie vermeiden ein totales Schlamassel und außerdem einen kleinen Minuspunkt neben ihrem Namen. Indem Sie nun den Rückzug antreten, verhindern Sie, dass die Irakis noch sechs weitere Geiseln in die Hände bekommen – womit die Vereinigten Staaten in eine verheerende politische Lage kämen. Muss ich Sie wirklich daran erinnern, dass wir zu wenige sind und –«

»Was schätzen Sie, wie viel mehr Männer wir brauchen werden?« Nils nahm das Nachtsichtgerät ab und stellte sich Wolchonoks bösem Blick. Er wusste ganz genau, dass dies nur ein Trainingseinsatz war und dass es sich tatsächlich um jene Art von unlösbarer Situation handelte, derer sie sich als SEALS, als Offiziere und als Menschen im wahren Leben wieder und wieder stellen müssen würden.

Dennoch, nichts von alldem hier war echt.

Sie befanden sich in der kalifornischen Wüste und nicht im Nahen Osten. Die Männer, die er gerade durch sein Nachtsichtgerät hindurch beobachtet hatte, waren keine echten Irakis, sondern Jarheads – Marinesoldaten –, die man dazu abkommandiert hatte, an dieser Übung in Sachen Nutzlosigkeit teilzunehmen. Die Sturmgewehre, die sie alle bei sich trugen, waren nicht mit Munition geladen, sondern mit einem komplexen Computersystem verbunden und feuerten Laserstrahlen ab. Sobald ein Soldat durch ein Laser-»Geschoss« »getötet« wurde, bekam er einen kleinen Schlag versetzt, und das System deaktivierte seine Waffe, sodass er nicht weiterschießen konnte.

Bei Captain Andy Chang aus der US Air Force handelte es sich wirklich um Captain Andy Chang. Aber ganz gleich, ob Nils und seine SEALs es schafften, ihn zu befreien, oder auch nicht, wenn sie hier heute Abend Feierabend machten, würde er ein Bier mit den anderen Jungs trinken, bevor er nach Hause zu seiner schwangeren Frau fuhr.

Das Realste an dieser ganzen Situation war das Minuszeichen, von dem Wolchonok gesprochen hatte – es würde in Nilssons Tauglichkeitsbericht auftauchen, sollte er das hier durchziehen und dabei scheitern.

Doch er hatte absolut nicht vor, dies zu tun.

»Ich denke, sechs weitere Männer sollten genügen«, fuhr Nilsson fort und hielt dabei weiter dem Blick des Senior Chiefs stand. »Vier, um an der richtigen Stelle für Ablenkung zu sorgen, und zwei Scharfschützen, damit wir gleiche Chancen haben, wenn der Schusswechsel beginnt.« Er schaltete sein Funkgerät ein und drückte das Mikrofon dichter vor den Mund. »Team Bravo, bereithalten.«

Wolchonok blinzelte verwirrt, dann lachte er los. Es war ein kurzer, ungläubiger Ausbruch, bei dem er die Augen zusammenkniff und versuchte, zu verstehen, was in Nilssons Kopf vor sich gehen mochte.

Nils schaute ihn an und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

Und ganz unerwartet wurde es von Wolchonok erwidert. Senior Chief Stan Wolchonoks Lächeln war so strahlend wie die Sonne nach einer Woche Dauerregen. Es verlieh seinem potthässlichen, wettergegerbten Gesicht etwas wirklich Schönes.

»Was haben Sie gemacht?«, fragte Wolchonok.

»Es geht nicht darum, was ich gemacht habe, Senior Chief, sondern um das, was ich gleich noch tun werde.«

Er würde als Gewinner aus einer schier ausweglosen Situation hervorgehen.

Johnny Nilsson war einer dieser Typen, die es eines Tages bis zum Admiral schaffen konnten.

Aber nicht nur sein schicker Yale-Abschluss und seine privilegierte »Mamilein-spielt-heute-im-Jachtklub-Tennis«-Kindheit hatten Sam Starret davon überzeugt. Es war etwas, das in Nils’ Blick lag – selbst wenn sein Kumpel stockbesoffen herumtorkelte, sich übergab und an einer fiebrigen Grippe litt oder aber im Halbschlaf etwas auf Zamborianisch, Chinesisch oder in Gott weiß was für einer Sprache murmelte.

Es hatte etwas mit Nils’ Art, zu gehen, zu lächeln und zu pinkeln zu tun. Es umgab ihn ständig so etwas wie eine übernatürliche Aura, die so stark wirkte, dass selbst einfache Sterbliche wie Sam sie bemerkten.

Und an diesem Abend konnte Sam sie ganz deutlich wahrnehmen, als Nils seine neue Strategie umriss, wie sie auf das Gelände gelangen und mit Captain Chang im Schlepptau wieder zurückkommen würden.

Irgendwie hatte Nils herausgefunden, dass es sich bei diesem Einsatz um keine gewöhnliche Trainingseinheit handelte. Heute Abend führte er bei einer quasi unlösbaren Aufgabe das Kommando. Und in diesem Wissen hatte er die Karten nicht nur zu seinen Gunsten ausgelegt, sondern sie komplett neu gemischt und verteilt, indem er dafür sorgte, dass sechs weitere SEALs zu dem Einsatz dazustießen.

Und nun war es Sams Aufgabe, das Team durch den Korridor schleichend auf jenen Raum zuzuführen, in dem die Jarheads Chang festhielten. Es gab keinerlei Sprengfallen, keine Alarmsysteme, noch nicht einmal irgendwelche Wachen auf dem Flur, was typischem Überlegenheitsdenken entsprach. In der Annahme, niemand könnte ihre dicht bewachten Absperrungen durchdringen, hatten die Marines das Gebäude im Inneren völlig ungeschützt gelassen.

Von seiner Stippvisite kurz zuvor wusste Sam, dass sich nur zwei Wachen bei Chang aufhielten. Die SEALs würden sie zügig ausschalten, indem sie die Tür genau in dem Moment auftraten, wenn Team Bravo zur Ablenkung für die erste Explosion sorgte.

Sam warf einen Blick auf die Uhr, während sich die Männer leise vor der Tür in Stellung brachten. Dann schaute er zu Nils herüber, der ihm zunickte und den Mund zu etwas verzog, das verdammt nach einem Lächeln aussah. Der Scheißkerl genoss den Einsatz sichtlich.

Und als er Nils’ Nicken erwiderte, bemerkte Sam, dass es ihm genauso ging. Natürlich half es, zu wissen, dass die Kugeln nicht echt waren. Seit vergangenem Sommer, als er am eigenen Leib erfahren hatte, wie es sich anfühlte, selbst plötzlich zur Zielscheibe zu werden, bekam er bei der Aussicht auf einen Schusswechsel schwitzige Hände.

Nicht dass er das jemals dem Seelenklempner erzählen würde, zu dem er immer noch ging – wenn inzwischen auch viel seltener. Großer Gott, nein! Lieber log er wie gedruckt. Denn Sam kannte eine Wahrheit, die kein Psychiater verstehen könnte. Natürlich war ihm bewusst, dass es zum Leben dazugehörte, Angst zu haben. Aber diese Furcht wollte er einfach nicht eingestehen, nicht vor einem Psychiater, nicht vor einer Freundin, nicht vor seiner Mutter und noch nicht einmal vor John Nilsson, seinem Teamkameraden und besten Freund.

Lieutenant Jazz Jacquette drehte behutsam den Knauf und öffnete die Tür. Sam konnte sehen, wie Jazz seine vollen Lippen verzog, als er Nils zunickte. Bei einem anderen Mann hätte das nichts zu bedeuten gehabt, aber bei dem stets finster dreinblickenden Executive Officer von SEAL-Team 16 kam das schon einem breiten Grinsen gleich.

Die Marines gingen von einem leichten Sieg aus und rechneten damit, dass die SEALs einen Rückzieher machten. Aber in ungefähr siebzehn Sekunden würden Nils und seine Männer den Marinesoldaten so richtig den Arsch versohlen.

Nils gab ein Handzeichen. Bereithalten.

Sam hielt die Finger hoch, während auf seiner Uhr die Sekunden abliefen. Vier … drei … zwei …

Dann trat er mit voller Wucht die Tür auf. Alles klappte wie am Schnürchen. Jazz und er gingen zuerst rein, bewegten sich schnell und synchron Schulter an Schulter vorwärts, um ja aus der Schusslinie des anderen zu bleiben. Sam sah den Ausdruck der Verblüffung auf den Gesichtern der Wachen, registrierte, dass ihre Waffen auf dem Tisch lagen und Chang etwas entfernt in Sicherheit stand.

Der Ensign selbst hatte seine Pistole bereits erhoben, schoss sofort und schaltete damit den Wachmann auf der rechten Seite ebenso sauber und schnell aus, wie es Jazz mit dem links stehenden Marine tat.

In weniger als zwei Sekunden war die gesamte Sache erledigt.

Nils steuerte auf Chang zu. WildCard und er befreiten den Captain von seinen Fesseln.

»Sie sind übelst in der Unterzahl«, hörte Sam Chang sagen.

»Bleiben Sie einfach nah bei uns, halten Sie sich unten und wir bringen Sie hier raus, Captain.« Als das Licht in einem bestimmten Winkel auf Nils traf, sah er ein bisschen so aus wie dieser Filmstar, Ben irgendwas. Der, der Jennifer Garner gedatet hatte. Nur dass der Lieutenant den ernsten, aufrichtigen Typen besser verkörperte als jeder Hollywoodschauspieler, den Sam jemals gesehen hatte.

Und schon verließen sie wieder den Raum, waren zurück im Korridor und bewegten sich zügig auf den Vordereingang zu.

Sam nahm einige Explosionen wahr, es schienen mehr zu werden, eine Detonation nach der anderen war zu hören – Schnellfeuer. Es klang nach einem großen Frontalangriff. So, wie er die Marines kannte, reagierten sie bestimmt darauf, als würde es sich tatsächlich um einen handeln, und schickten ihre Männer raus, um der Bedrohung zu begegnen.

Bloß, dass sich diese längst hinter ihnen befand, genauer gesagt unter ihnen. Der Feind war eingedrungen.

Team Bravo hatte Rauchgranaten in der Eingangshalle hochgehen lassen, gesegnet seien ihre verschlagenen kleinen Seelen. Sie machten es unmöglich, etwas zu sehen – geschweige denn gesehen zu werden.

Sie führten Chang direkt zur Vordertür heraus, taten, als würden sie genauso husten und würgen wie die Marines, und tauchten auf diese Weise inmitten des ganzen Chaos unter.

Auch das Areal um das Gebäude herum lag in dichtem Rauch. Zudem waren die großen Flutlichtstrahler ausgeschaltet – ohne Zweifel das Werk von Chief Frank O’Leary.

Es gab nur einen einzigen Scharfschützen im gesamten US Militär, der besser schoss als O’Leary, und das war Lieutenant Junior Grade Alyssa Locke. Doch Gerüchten zufolge hatte sie den Dienst als Offizierin in der Navy quittiert, kurz nachdem Sam mit ihr im vergangenen Sommer zusammen auf einem Einsatz in Neuengland gewesen war. Lag dies an etwas, das er gesagt hatte? An allem, was er gesagt hatte? Bei Gott, sie waren nicht so gut miteinander ausgekommen, wie Sam es gern gehabt hätte …

Konzentrier dich, rief er sich selbst zur Ordnung. In diesem Augenblick war weder die passende Zeit, noch befand er sich am passenden Ort, um auch nur den leisesten Hauch seiner Aufmerksamkeit Alyssa Locke zu widmen.

Diesem hartherzigen, eiskalten Miststück.

Diesem hartherzigen, umwerfenden, unvorstellbar schönen, unbeschreiblich bezaubernden eiskalten Miststück. Mit diesen Augen in der Farbe des Meeres, die so einen erstaunlichen Kontrast zu ihrer glatten, hellbraunen Haut bildeten. Und diesem Mund, diesem unglaublichen Mund. Erbarmen … Alyssa Locke besaß einen Mund, der selbst in einem Puritaner erotische Fantasien geweckt hätte.

Sam träumte immer wieder davon, dass Locke sich zu ihm umdrehte und ihm diese Art von Lächeln schenkte, das einem den Himmel verhieß. Sie würde sich die Lippen mit der Zungenspitze befeuchten und …

»Aufpassen, Starret!«

Oh mein Gott, er war auf Lopez getreten.

»Sam, wir haben es fast geschafft, aber ich brauche deine volle Aufmerksamkeit«, raunte ihm Nils leise zu.

Mist! Er bekam einen Rüffel von seinem besten Freund.

Verdammte Alyssa Locke …

Nils zählte die Truppe schnell noch einmal durch, als sie sich dem Ausgangspunkt näherten. Die Männer um ihn herum heulten wie ihre Namensvetter, die Seehunde, damit die Marines auch wussten, wer sie geschlagen hatte.

Chief O’Leary, Ensign Mike Muldoon, Jenk, Rick, Steve und Junior – das gesamte Team Bravo war da, ebenso wie die Lkw bereitstanden, die sie zurück zum Stützpunkt bringen würden.

Nils hatte es also geschafft und diese schier unlösbare Aufgabe verdammt noch einmal gelöst.

Darüber hinaus bemerkte er einen Hubschrauber, einen kleinen Helikopter.

Und – was für eine Überraschung – Lieutenant Tom Paoletti, der kommandierende Offizier von SEAL-Team 16, stand mit verschränkten Armen daneben. Nils hatte nicht erwartet, seinen CO an diesem Abend noch zu sehen. Schon gar nicht so weit draußen in der Wüste. Neben ihm befand sich noch ein weiterer Mann, dessen Gesicht jedoch im Schatten lag, sodass Nils es nicht erkennen konnte.

Sah der CO wütend aus oder wirkte er eher kühl? Es war zu dunkel, um seinen Blick auszumachen, doch durch die Wüstenluft wehte definitiv ein kühler Wind.

Petty Officer Second Class Mark Jenkins machte den mangelnden Enthusiasmus von Paoletti jedoch mehr als wett und überschlug sich fast vor Freude. »Sie haben’s geschafft, Lieutenant! Sie haben diese scheinbar unlösbare Situation gemeistert!« Und damit stimmte er erneut ein Geheul an, dem sich die anderen Männer anschlossen.

»Durch Mogelei.« Der Mann neben dem CO trat ins Licht und erhob die Stimme, um über den Lärm hinweg gehört zu werden.

Scheiße! Es war Admiral Larry Tucker. Was machte der denn hier?

Senior Chief Wolchonok kam zu ihnen herüber und baute sich neben Nilsson auf wie ein Fels in der Brandung, bereit, zum zweiten Mal an diesem Abend mit ihm ins Gefecht zu ziehen. Und der Rest des Teams tat es ihm nach – Captain Chang eingeschlossen. Nils hätte beinahe laut aufgelacht. Das Hochgefühl über den Sieg war nichts verglichen mit dieser Solidaritätsbekundung seiner Teamkameraden. Er sah Tucker direkt in die Augen. Komm schon, Schwachkopf, gib dein Bestes …

»Vergangene Nacht gab es einen Verstoß gegen die Sicherheitsvorkehrungen im Computersystem.« Tucker starrte Nils an. »Ich nehme an, Sie stecken dahinter, Lieutenant? Oder soll ich vielleicht lieber wieder Ensign sagen? Drei Jahre haben womöglich nicht ausgereicht.«

Ach Gott … Das musste ja kommen, richtig?

Hinter sich hörte Nils, wie sich Sam Starrett in die Faust hustete: »Arschloch!« Woraufhin er Mühe hatte, nicht loszulachen.

Lieutenant Paoletti trat vor. »Admiral Tucker –«

Aber Tucker fixierte WildCard mit einem Blick, mit dem man hätte töten können. Der wiederum gab sein Bestes, ein unbedarftes Gesicht zu machen – kein Leichtes für einen Kerl, der so ziemlich wie die Inkarnation des Bösen aussah. »Das riecht nach einem Ihrer blöden Tricks, Mr Karmody. Es wird sich herausstellen, dass Sie an dieser Sache beteiligt waren, oder?«

»Nein, Sir«, antwortete WildCard knapp.

Doch Nils wusste genau, was sein Freund damit meinte: »Nein, Sir, Sie werden nichts dergleichen herausfinden.« WildCard war ein Hacker der Extraklasse. Er hinterließ keine Visitenkarte. Jedenfalls keine, die Tucker oder seine Mitarbeiter finden könnten.

»Ich persönlich bin der Meinung«, begann Paoletti milde, »dass Lieutenant Nilsson und Petty Officer Karmody eher ein Lob für ihren Versuch, sich so gut wie möglich darauf vorzubereiten, gebührt, sollten sie tatsächlich den Computer gehackt haben, um Details zu dem heutigen Trainingseinsatz herauszufinden. Wenn sie sich wirklich in dieser Situation befänden und einen irakischen Rechner geknackt hätten –«

»Es war aber kein irakischer Computer, sondern einer von der US Navy –«

»Ich sehe da wirklich keinen Unterschied.« Der CO hatte die Eier in der Hose, dem Admiral ins Wort zu fallen. »SEALs werden darauf trainiert, in jeder nur erdenklichen Lage unkonventionelle Lösungen zu finden. Man sollte Lieutenant Nilssons Eigeninitiative also eher würdigen.«

Nils bemerkte, dass sich Paoletti während des Redens irgendwie an seine Seite begeben hatte, sodass er nun bei seinem Team stand. »Gute Arbeit, Lieutenant«, lobte der CO und hielt ihm die Hand hin.

Nils ergriff sie. »Danke, Sir.«

Links hinter ihm stieß Wolchonok ein lautes »Hoo-yah!« aus, einen Ruf, den die restlichen Männer, ob Offizier oder gemeiner Matrose, erwiderten.

Der Senior Chief grinste ihn an und Nils lächelte zurück. Er wusste, dass er diesen Moment für immer in Erinnerung behalten würde.

An Tuckers Stirn trat eine Ader hervor. »Lieutenant Paoletti, werden Sie –«

»Ein Bier mit Lieutenant Nilsson und meinen Männern trinken? Ganz sicher.« Wieder hatte Paoletti ihn unterbrochen und drehte sich dieses Mal sogar noch zu den Männern in Nils’ Team Bravo um. »Was denn, Männer, haben Sie etwa morgen frei oder warum treiben Sie sich die ganze Nacht lang hier draußen herum?«

Die Soldaten zuckten mit den Schultern, bis Jenk stellvertretend für alle antwortete: »Nein, Sir, um 0500 ist Appell. Wir werden da sein.«

»Mal sehen, ob wir das klären können, damit Admiral Tucker es auch ganz sicher versteht«, meinte Paoletti. »Wir haben hier einen Ensign, einen Chief und vier Petty Officers, die den ganzen Abend lang bei einem Trainingseinsatz mitgemacht haben, obwohl ich Ihnen das nicht befohlen hatte und obwohl ihre Freizeit dafür draufgegangen ist – und zwar auch ihre Schlafenszeit. Und das nur, weil …« Er sah O’Leary an. »Können Sie mir da vielleicht weiterhelfen, Chief?«

Der wortkarge Scharfschütze zuckte mit den Schultern. »Weil Nils – äh, Lieutenant Nilsson – darum gebeten hat.« Die anderen SEALs nickten.

»Weil Lieutenant Nilsson darum gebeten hat«, wiederholte der CO.

Tucker gab nun endlich Ruhe, und Nils tat der Scheißkerl doch tatsächlich ein wenig leid. Wann hatte wohl zum letzten Mal jemand etwas für ihn getan, nur weil er danach gefragt und es nicht etwa befohlen hatte?

»Sie haben morgen frei«, teilte Paoletti seinen Männern mit. »Gute Arbeit heute. Von Ihnen allen. Lieutenant Howe«, rief er der wartenden Hubschrauberpilotin zu, »ich glaube, der Admiral möchte jetzt zum Stützpunkt zurückkehren. Ich werde mit meinen Männern nachkommen.«

Die arme Teri Howe … Sie musste allein mit Admiral Tucker zurück nach Coronado fliegen. Die Pilotin ließ Mike Muldoon einen sehnsüchtigen Blick zukommen, doch wie so oft nahm das neueste Mitglied von Team 16 dies nicht wahr. Der SEAL unterhielt sich bereits angeregt mit dem Senior Chief.

Nils hielt den Atem an, bis Tucker sicher in den Heli eingestiegen war und sich in der Luft befand.

Paoletti wandte sich seinem Lieutenant zu und seufzte. »Was soll ich nur mit Ihnen machen, Johnny?«

»Befördern Sie ihn einfach zum Admiral, L. T., und haken Sie’s dann ab«, entgegnete Sam Starrett gedehnt. »Dann kann er das selbst mit Tucker ausfechten.«

»Gehen wir«, begann Wolchonok, das Team zusammenzutreiben.

»Ich schätze Ihre Kreativität, Lieutenant«, wandte sich Paoletti an Nils, als sie auf die wartenden Lkw zugingen. »Das wissen Sie. Aber wir werden uns unterhalten müssen. Morgen. Um fünfzehnhundert. In meinem Büro. Dieser Trick hier wird einige Aufmerksamkeit erregen, und zwar nicht nur die von Admiral Tucker.«

Nils schüttelte den Kopf. »Bedrängen Sie mich bitte nicht, mich fürs Gewinnen zu entschuldigen, L. T.«

»Das werde ich nicht. Aber es könnte sein, dass wir ein bisschen was erklären müssen.« Paolettis Handy begann zu klingeln. Und als der Lieutenant auf seine Uhr sah, warf Nils automatisch auch einen Blick auf seine eigene.

Sie zeigte 0343 an. Wer rief den CO um diese Zeit noch an? War Tucker womöglich so entschlossen, ihn zu lynchen, dass er die Sache bereits weitergetratscht hatte?

Das Telefon klingelte erneut und Paoletti fand endlich die Hosentasche, in der es steckte. »Das verheißt nichts Gutes.«

»Oh Tommy«, begann WildCard in einem grausigen Singsang, »es ist deine Frau!«

Während Paoletti das Handy aufklappte und sich etwas von der Gruppe entfernte, um den Anruf entgegenzunehmen, brachte Nils Karmody eilig zum Schweigen. Und er war nicht der Einzige, der ihm bedeutete, den Mund zu halten. Auch Wolchonok und Jazz Jacquette bestürmten den schlaksigen SEAL.

»Sie ist nicht seine Frau«, sagte Wolchonok schroff. »Also halten Sie verdammt noch mal die Schnauze.«

»Whoa«, machte WildCard und blinzelte. »Ich hab doch nur Spaß gemacht, Senior. Ich wollte –«

»Das ist zu einem ziemlichen Reizthema für den L. T. geworden«, erklärte Nils mit gesenkter Stimme. »Er möchte heiraten, aber sie hält ihn hin.«

»Wer? Kelly?« WildCard wirkte ehrlich überrascht und es wurde deutlich, dass er sich diesmal nicht wie ein Arschloch hatte verhalten wollen.

»Ja, Kelly«, bestätigte Jazz ihm. »Jedes Mal, wenn der L. T. mit ihr ein Datum für die Hochzeit festmachen möchte, geht praktischerweise ihr Pager aus.«

WildCard lachte. »Nie im Leben. Sie ist doch total verrückt nach ihm. Ich schwöre, immer wenn sie ihn auf dem Stützpunkt besuchen kommt, dauert es keine fünf Minuten, bis er seine Tür abschließt und –«

Jazz brachte seinen Kameraden mit einem Blick zum Schweigen, denn Lieutenant Paoletti hatte sein Handy zugeklappt und kam zu den Männern zurück.

»Gibt’s ein Problem, Sir?«

»Der freie Tag wird erst einmal verschoben«, verkündete der CO. »Admiral Crowley war am Telefon. Er hat gefragt, ob ich wisse, wo Lieutenant John Nilsson sei.«

Oh Scheiße! Nils hatte Crowley immer für einen der Guten gehalten. Der Admiral war selbst ein SEAL. Und wenn er wegen dieser Sache angepisst zu sein schien …

»Wir müssen los«, fuhr der CO fort. Er sprach nun mit Jazz und Wolchonok, aber auch alle anderen hatten innegehalten, um ihm zuzuhören. »Das gesamte Team macht sich bitte so schnell wie möglich auf den Weg. Wir haben Befehl, eine Antiterroreinheit des FBI in D. C. zu unterstützen. Es gibt eine Geiselnahme in der kazbekistanischen Botschaft.« Er drehte sich um und sah Nils an. »Und der Geiselnehmer möchte einzig und allein mit Johnny Nilsson verhandeln.«

3

Meg hielt ihre Waffe fest umklammert, während sie Osman Razeen auf der anderen Seite der Herrentoilette anstarrte.

Alle drei Geiseln saßen auf dem Fußboden, die Hände achtsam auf die Knie gelegt. Doch nur Razeen hatte die Augen offen. Er hielt Megs Blick stand und beobachtete sie genauso aufmerksam wie sie ihn.

Wusste er, weshalb sie hier war? Konnte er ihr von den Augen ablesen, dass sie ihn ohne zu zögern töten würde, wenn sie es müsste? Besaß er auch nur den leisesten Hauch einer Ahnung, dass sie durchaus zu seinem berufenen Henker werden könnte?

Vor ungefähr zehn Stunden hatte sie den fetten Mann aus dem Raum geschickt und seitdem herrschte draußen auf dem Flur Stille. Zehn Stunden – und sie fühlte sich mittlerweile vollkommen erschöpft. Wer hätte gedacht, dass es einen so auslaugte, in einer Toilette auf dem Fußboden zu sitzen?

Es war definitiv an der Zeit, dass etwas passierte.

Für das FBI oder das »Mission:-Impossible«-Team oder wer zur Hölle sich auch immer gerade dort draußen befand boten zehn Stunden jede Menge Luft, um diverse Minikameras und Hochleistungsmikrofone einzustellen und sie durch die Luftschächte in die Toilette hereinzuschieben oder aber durch die Abflussrohre der Waschbecken oder – warum nicht? – sogar durch die Kloschüsseln selbst.

Meg räusperte sich und ergriff zum ersten Mal seit Stunden das Wort. »Ich möchte wissen, ob Ensign John Nilsson kontaktiert wurde.«

Die anderen zwei Geiseln machten die Augen auf und schauten einander an, bevor einer der beiden ansetzte, etwas zu sagen.

Doch Meg schnitt ihm sofort das Wort ab. »Mit Ihnen habe ich nicht geredet.« Sie hob nur leicht die Stimme. »Ich weiß, dass Sie da draußen mich hören können. Ich hätte bitte gern eine Antwort auf meine Frage.«

Ganz unten in ihrer Handtasche klingelte ihr Handy.

Sie hatte erwartet, dass man ihr die Antworten durch die geschlossene Tür hindurch zurufen würde, ganz wie zu Hause – so kommunizierte Amy auch am liebsten mit ihr.

Oh Gott, sie sehnte sich so nach ihrer Tochter.

Meg ließ das Telefon weiterklingeln, bis sie sicher war, sprechen zu können, ohne dass ihre Stimme bebte. Sie wollte sich nicht schwach anhören. Die da draußen durften keinesfalls den Eindruck gewinnen, sie könnten einfach so in die Toilette marschieren und ihr die Waffe abnehmen.

Auch wenn das vielleicht der Wahrheit entsprach.

Sie atmete tief durch, hielt die Pistole fest in der rechten Hand weiter auf die Männer gerichtet und tastete mit der anderen nach ihrem Handy, ohne die Geiseln aus den Augen zu lassen. Nachdem sie es gefunden hatte, klappte sie das Telefon auf.

»Schätze, Sie haben rausgefunden, wer ich bin, hm?« Sie gab sich Mühe, flapsig und locker zu klingen. Als wäre sie ein abgebrühter Terrorist, der schon Dutzende, nein, Hunderte Male Geiseln genommen hatte.

»Miss Moore, mein Name ist Max Bhagat und ich bin –«

»Wurde John Nilsson ausfindig gemacht?« All diese Werbeanrufe von unnachgiebigen Telefondienstanbietern waren endlich zu etwas nütze. Nach Jahren der Übung fühlte Meg sich noch nicht einmal dazu verpflichtet, abzuwarten, bis der Mann Luft holte, bevor sie ihn unterbrach.

»Miss Moore, es würde uns sehr helfen, wenn wir wüssten –«

Meg legte auf. Sie konnte nicht mit dem Typen sprechen, geschweige denn ihm zuhören. Max Bhagat war ein Verhandlungsführer des FBI, ein absoluter Profi, und würde sich dementsprechend verhalten. Und sie konnte es sich nicht leisten, sich von ihm ablenken oder gar verwirren zu lassen. Sie musste mit John sprechen. Nur mit John.

Erneut ging das Handy und Meg ließ es sechs lange Male klingeln, ehe sie dranging.

»Das war eine Ja / Nein-Frage«, sagte sie statt irgendeiner Begrüßung. Gleich auf den Punkt kommen. Sie war noch nie zuvor in ihrem Leben dermaßen unhöflich gewesen. »Versuchen wir’s noch einmal. Wurde John Nilsson ausfindig gemacht?«

Es entstand eine winzige Pause, bevor Bhagat antwortete. »Ja.«

»Kommt er?«

»Ja.«

»Voraussichtliche Ankunft?«

»Wir haben ihn gerade erst gefunden. Es ist schwer zu sagen, wann genau –«

»Schätzen Sie.«

»In sechs oder sieben Stunden?«

Oh Mann … »Sechs Stunden. Schaffen Sie’s in sechs«, entgegnete sie und legte wieder auf. Sechs weitere Stunden … Gott stehe ihr bei. In weiteren sechs Stunden würde sie vermutlich bereits tot am Boden liegen.

Müde, korrigierte sie sich selbst. Bitte, lieber Gott, lass es nur todmüde sein.

Der Tod selbst würde zweifellos später noch eintreten.

Als sie von einem unmaskierten Mann aus dem Laderaum des Transporters gezerrt wurden, war Eve sofort klar, dass man Amy und sie nicht am Leben lassen würde.

Fast schon absurd, dass ihr langes Leben nun hier auf diese Weise enden sollte, immerhin hatte sie mit fünfzehn den tragischen Tod ihrer Eltern überlebt, danach den Umzug aus ihrem geliebten Kalifornien in das weit entfernte, auf der anderen Seite des Atlantiks gelegene England, ein Land, in dem es unaufhörlich zu nieseln schien und die Sonne nie auch nur mit einer ähnlichen Intensität brannte – ein Land, das sie heute von Herzen liebte.

Und sie hatte den Krieg durchstanden, die schrecklichen Gefechte mit Nazideutschland, die Luftschlacht um England, während der die deutsche Luftwaffe die englische Küste eine unerträglich endlose Nacht nach der anderen bombardierte.

Und – apropos unerträglich – sie war auch durch die Disco-Ära gegangen. Das durfte sie nicht vergessen.