Tyrannenkinder - Gabriele Flessenkemper - E-Book

Tyrannenkinder E-Book

Gabriele Flessenkemper

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Beschreibung

Sie wollen mal wieder zusammen ins Kino, organisieren einen Babysitter, doch in dem Moment, als Sie in der Tür stehen, bricht im Kinderzimmer Heulen und Wehklagen aus. Die alleinerziehende Mutter will beim neuen Lover übernachten, während die Tochter – wie so oft – bei der Freundin aus der Kindergruppe bleiben möchte. Doch plötzlich bekommt sie Bauchweh und verlangt Mamas ungeteilte Aufmerksamkeit… Natürlich lieben wir unsere Kleinen abgöttisch, doch einfach machen sie uns das nicht immer. Manchmal erweisen sich Kinder als Minimonster und regelrechte Erotikkiller, sabotieren die wenigen individuellen Freiheiten, die ihren Eltern geblieben sind. Gabriele Flessenkemper berichtet von den alltäglichen Reibereien mit dem oft reichlich egozentrischen Nachwuchs und bietet insbesondere jungen Müttern und Vätern ein Plädoyer für mehr elterlichen Egoismus, der garantiert keinem Kind schaden wird. Unsichere Eltern werden darin bestärkt, dass es neben dem Leben als Vater und Mutter auch jenes als Mann und Frau gibt.

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Seitenzahl: 255

Veröffentlichungsjahr: 2010

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Gabriele Flessenkemper

Tyrannenkinder

Plädoyer für mehr elterlichen Egoismus

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Im Rausch der Hormone – Wunschbilder am Anfang

Aus Liebe zum Kind? Kinderkult und Kindheitskult

Das selbstgemachte Kind – späte Eltern

Familienmythen – Der Zwang zum Glück

Darf ich zwischen euch? Erotikbremse Kind

Baby-Alarm – Mama, Papa und sonst gar nichts

Schlachtfelder – Kinder als Naturereignis

Kleine Monster – Ästhetische Zumutungen

Lieber kinderlos? – Egozentrik und Egoismus

Die neuen Väter – Andere Familienkonzepte?

Ich und ich – Mehr elterlicher Egoismus?

Die Rettung der Liebe – Für Eltern und Kinder

VORWORT

Kinder sind geräuschvoll, unverständlich, schmutzig, frech, ungebildet, erpresserisch, parasitär und spielen gern die armen Opfer. Sie sind die unerwünschte Folge köstlicher heimlicher Liebschaften, ein mehr als zehn Jahre andauerndes Hindernis für den häuslichen Frieden. Ich kann daher nicht umhin, mich zu fragen, wieso man nie versucht hat, nach entsprechender Schwangerschaft gleich erwachsene menschliche Wesen mit Führerschein (…) zustande zu bringen; Männer und Frauen, die fähig wären, mit Krawatte und Doppelreiher oder einem schlichten Geburtskleid – natürlich ohne Strumpfhose – zur Welt zu kommen.

(Giorgio Manganelli, «Offener Brief des Königs Herodes zum Jahr des Kindes»)

Plötzlich sind sie überall: Kreischend bringen Kleinkinder Supermarkt-Regale zum Einsturz, sie toben im Kindergarten und beschimpfen Erzieher, Schulkinder flegeln sich in öffentlichen Verkehrsmitteln und tanzen ihren Eltern auf dem Kopf rum. Kinder außer Rand und Band.

Große Verunsicherung allenthalben. Super-Nannies demonstrieren im kommerziellen Fernsehen, wie Erziehung sein soll, und Dokusoaps führen die Vertreibung dreißigjähriger Nesthocker aus dem Hotel Mama vor.

Kinder- und Jugendlichenschelte allenthalben. Die Empörungswelle steigt mit jedem Medienauftritt von Pädagogen, Psychologen, Promis und selbsternannten Apokalyptikern, die mal wieder den Untergang des Abendlandes vorhersehen. Die Ratgeber- und Expertenliteratur, die sich des Phänomens annehmen will, türmt sich bergehoch.

Tyrannische Kinder? So viele? Immer mehr? Vielleicht. Statistiken, Beobachtungen, Empfindungen? Wer kennt die Hintergründe? Wie viele tyrannische Auftritte muss ein Kind hinlegen, damit es den Titel «Tyrannenkind» erhält?

Tyrannisches Verhalten, na klar. Das probiert doch jedes Kind mal aus, wie weit es gehen kann, wo die Grenzen sind. Wie Eltern reagieren. Oder die Kindergärtnerin. Haben wir doch auch gemacht. In diesem Buch gibt es auch jede Menge Beispiele heutiger Kinder. Es sei denn, sie sind diese Superkids, diese perfekten Kinder perfekter Eltern, diese angepasste Spezies, von denen wohl die Vertreter von Disziplin, Strafen, unnachgiebiger Konsequenz und harten Maßnahmen träumen.

Dabei weiß doch heute jede Welpenschule, dass Strafen das Lernen nicht fördern. Auch nicht das soziale Lernen kleiner Menschenkinder. Herumgesprochen hat sich vielleicht auch, dass Kinder nur Selbstvertrauen und Selbstachtung entwickeln, wenn sie in ihren Bedürfnissen und in ihrer Würde als kleine, junge Menschen wahrgenommen werden.

Hier geht es nicht primär um Erziehung, und deshalb ist dies auch kein Erziehungsratgeber. Es geht um die Frage, wie Eltern genügend gute Eltern sein und gleichzeitig ein «Liebespaar» bleiben und diese Liebe leben können.

Und es geht um Anregungen, Beispiele, Erfahrungen und Überlegungen, nicht um Rezepte.

Wie kann die Liebe vor den Kindern gerettet werden? Ist denn die Liebe überhaupt noch zu retten? Ist sie nicht längst dahin, ein romantischer Traum, den einige Unverbesserliche immer noch träumen – Naive oder Gefühlsriesen (wobei es sich da meist um Gefühlsriesinnen handelt)? Eine große Illusion, die uns immer wieder paarweise zusammentreibt? Hinter der sich aber erbitterte Machtkämpfe, unglückselige Abhängigkeiten oder wechselseitige Ego- und/​oder Neurosenpflege verbergen? Schrumpfen nicht angesichts all unserer kosmischen Katastrophen die privaten Belange auf Mickymausformat zusammen? Und ist Liebe und all das nicht sowieso ein Luxus weniger geworden?

Was wollen Männer und Frauen eigentlich voneinander im einundzwanzigsten Jahrhundert? Erstaunlich ist, dass sich über die Jahrtausendwende so wenig geändert hat, dass es immer noch um die alten Probleme und Themen geht.

Das kann doch nach über vierzig Jahren neuerer Frauenbewegung und Beziehungsdebatten nicht alles gewesen sein? Immer noch und immer wieder geht es um die Frage von Kindern und Karriere, von der Lust und der Last eines Paarlebens und wer welche Rolle spielt.

Dass die Frauen «die Männer in Ruhe» lassen oder weiterhin Therapeutin, Krankenschwester oder eben Mutter spielen. Dass die Männer sich in den ollen Rollen pudelwohl zu fühlen scheinen. Wo doch alles dafür spricht, dass die bürgerliche Kleinfamilie keinem gutgetan hat und sowieso nicht funktioniert, ebenso wenig wie das Auslaufmodell Ehe. Die romantische Liebe als Basis ist ein relativ neues Konzept vom Zusammenleben von Männern und Frauen. Auch die Kinderliebe ist nicht viel älter. Beide Vorstellungen gehen einher mit dem individualistischen Denken der bürgerlichen Gesellschaft im 19.Jahrhundert.

Kinder heute sind oft letzte Sinngebung, als einzige, die die Turbulenzen überdauert. Kinder, die ihr Mütterlein nicht einsam und jenseits der Wechseljahre sitzenlassen, während Vater mit Fünfundzwanzigjährigen eine zweite oder dritte Liebes- und Kinderrunde dreht.

Wenn Kinder schon die Liebe nicht erhalten, so bleiben sie doch jedenfalls übrig, wenn die Liebe zu Ende geht.

«Kinderkriegen gehört zu den letzten noch eingehbaren subjektiven Risiken», meint Barbara Sichtermann.

In der Tat. Nur weniges verändert unser Leben so sehr wie ein Kind. Trotzdem gibt es da eine seltsame Gedankenleere: Paare, die jahrelang überlegt und skrupuliert haben, ob und wie sie denn nun zusammenziehen. Ist ein Kind unterwegs, scheint die Vorstellungskraft zu erlahmen. Was passiert, wenn es da ist, wobei das ganze verdammte erwachsene Leben ja auch weitergeht, mit Arbeit und Geselligkeit, mit Lust und Leidenschaft, mit all den unausgegorenen Träumen und Vorstellungen?

Natürlich lieben wir sie, unsere süßen Kleinen, und besonders leicht zu lieben sind sie ja, wenn sie nett und herzig sind. Aber zuweilen lieben wir sie auch gar nicht. Da finden wir sie lästig, anstrengend und manchmal geradezu hassenswert, wie sie so penetrant auf der sofortigen Befriedigung all ihrer Bedürfnisse beharren: wenn sie die Regeln verletzen, die wir fürs Zusammenleben solcher unterschiedlichen Spezies wie Kinder, Jugendliche und Erwachsene aufgestellt haben. Wenn Kindermund höchst schonungslos Wahrheit kundtut und uns unschmeichelhafte Tatsachen vor den Kopf knallt. Wenn der Kinderkram in Form von Spiel- und Sportsachen, von Dreck und Durcheinander, mit Lärm und Laut mehr und mehr unsere Erwachsenenwelt überwuchert. Wenn die Anwesenheit von Kindern so wirksam ist wie ein mittelalterlicher Keuschheitsgürtel: Da, wo Kinder sind, ist sexfreie Zone.

Sicher bieten Kinder den Reiz des Unvorhersehbaren. Den kann man aber auch in anderen abenteuerlichen Lebensformen finden, wenn einem danach ist. Kinder, in ihrer besonderen Unvorhersehbarkeit, sind immer da. Kinder rauben uns damit über Jahre den Schlaf, wir kriegen Falten und graue Haare vor berechtigten und überflüssigen Sorgen, sie sind undankbar und enttäuschen uns.

Anja, berufstätige Frau, Mutter von zwei Kindern und mit einem beständigen Mann verheiratet. «Manchmal ist da wenig zu retten von der Liebe. Dann ertappe ich mich in letzter Zeit öfter dabei, dass ich neidisch auf ungebundene Paare bin. Solche ohne Kinder. Die so viel Zeit für die Liebe haben, wie sie wollen.»

Und Bernd, Ganztagspapi zweier Kleinkinder, grinst: «Ich wäre so gerne manchmal ein Mann ‹ohne Anhang›. Ganz wörtlich: Kleine Kinder sind ja wie Anhänger. Sie kleben an dir dran wie Kletten.»

«Da kann ich dir viel erzählen, wie die Liebe zerstört wird durch die ständige Anwesenheit von Kindern oder auch nur von dem Gefühl davon», seufzt Charles. «Oder wie wir unsere Kinder als Waffe im täglichen Ehekrieg gebraucht haben.»

Nur ein befreundeter Psychologe schreckt zurück: «Rettet die Liebe vor den Kindern. Das klingt so hart. Kinder sind doch die Opfer.» Nun, dies ist jetzt mal nicht das Thema.

Nein, das soll keiner erzählen (das tut aber auch niemand hier in diesem Buch), dass das Leben mit Kindern immer das pure Glück ist. Dass da nicht vor allem eines sehr schnell auf der Strecke bleiben kann, nämlich das Liebesleben der Eltern oder auch des allein erziehenden Elternteils.

Hier geht es um eine fröhliche Demontage von Sentimentalitäten, ums Kratzen am Zuckerguss, der rosa und hellblau die heilige Dreifaltigkeit Vater– Mutter– Kind verkleistert und den Blick auf das Trio Infernale verhindert.

Aber auch: weg von der Vorstellung vom perfekten Elternsein und vom perfekten Kind, diesem Kinder-Verherrlichungsprogramm einerseits und dem Kontrollwahn der Disziplin-Mafia andererseits.

Wie schon der gute Freud so oder so ähnlich sagte: «Egal, wie wir es machen, wir machen es sowieso nie ganz richtig.»

Hier geht’s um die Leute, die mit den kleinen «halslosen Monstern» zusammenleben, ständig oder gelegentlich.

Ist die Liebe noch zu retten, wenn man mit Kindern und mit einem geliebten Partner leben will? Das war meine Frage. In den vielen Gesprächen habe ich Geschichten gesammelt, keine Zahlen, keine Statistiken und also auch keine Belege oder gar Beweise in einem soziologischen oder psychologischen Sinn für welche Thesen auch immer.

Es sind beunruhigende, anregende, empörende, heilsame und unheilvolle Erfahrungen aus den Liebesgeschichten erwachsener Menschen, die mit Kindern zusammenleben, und – sozusagen im Gegenschnitt – einige Paargeschichten vom kinderfreien Liebesleben. Können diese Paare leben, wovon Elternpaare nur noch träumen können? Müssen wir nicht alle neue Liebesvorstellungen entwickeln?

Ich danke meinen Gesprächspartnerinnen und -partnern, die mir so freimütig von ihren Lieben, den großen und den kleinen, und ihrer Liebe, der großen und der kleinen, erzählt haben. Für das Vertrauen und die Offenheit und für die Zeit, die sie mir geschenkt haben, allen ein großes Danke.

Gabriele Flessenkemper

Köln und Arezzo, Frühjahr 2010

1.KAPITEL

IM RAUSCH DER HORMONE – WUNSCHBILDER AM ANFANG

Ich aber wollte Kinder aus Lust am Leben.

(Christiane Olivier, «Jokastes Kinder»)

Drei Jahre arbeiteten sie zusammen, drei Jahre waren Britta und Tom, damals beide Mitte zwanzig, nur Kollegen, die sich sehr gut verstanden.

«Wir waren beide zur gleichen Zeit aus einer längeren Beziehung ausgestiegen, mehr oder weniger dramatisch, brauchten aber auch beide eine gewisse Zeit, um Abstand nehmen und einen Neustart wagen zu können», erzählt Britta vom Beginn ihrer Liebe. «Wir haben ab und an was zusammen unternommen, und da ist die Liebe zwischen uns entflammt, und dann war sie auch sehr stürmisch. Und dann war es für uns beide auch sofort klar, wir wollen Kinder. Es war nicht so, dass wir gesagt haben, wir wollen heiraten und dann die Kinder und legen die Perspektiven fest, sondern wir waren beide emotional aufgeschlossen. Heirat stand gar nicht auf dem Plan. Wir waren ein, zwei Monate zusammen, da haben wir es beide ausgesprochen – ich wünsche mir Kinder und mit dir.»

In ihren früheren Beziehungen war das nicht Thema gewesen, erst in der Liebe zu Tom. «Er war der Mann, den ich liebte und mit dem ich mir das gut vorstellen konnte, es hat einfach gestimmt. Ich komme aus einer riesengroßen Familie, hatte mir bis dato nicht wirklich den Kopf darüber zerbrochen, ob Kinder für mich eine wichtige Rolle im Leben spielen sollten oder nicht. Doch wo ich auf einen Mann traf, den ich liebte, der das auch formulierte, da war es für mich klar, und da war es auch schön. Dass ich so schnell mit dem ersten Kind schwanger war, das war so nicht geplant. Ich habe anderthalb Monate studiert, und dann war ich schwanger.

Es stimmte alles, sexuell war es wunderbar, erfüllend, und emotional waren wir beide offen. Ich hätte eigentlich gar nicht so schnell Kinder bekommen können», erinnert sich Britta. «Ich hatte schon mal eine Eileiterschwangerschaft und hatte aus dieser Erfahrung das Gefühl, ich werde gar nicht so schnell schwanger, d.h., ich war eher defensiv, ja, das ist schön, das kann ich mir vorstellen, aber ob das je was wird, weiß ich nicht. Letztendlich waren wir beide sehr entspannt, und genau in so einer Situation gelingt es ja auch, öfter mal. Es ging dann bei uns ja auch sehr, sehr schnell. Im Sommer sind wir zueinandergekommen, und im Oktober habe ich ihm gesagt, dass ich schwanger bin. Im Freundeskreis schüttelten viele den Kopf: Ob das gutgeht, wissen wir nicht.»

Aber das junge Glück ließ sich nicht bremsen.

«Es ging sehr schnell, war sehr stürmisch, vielleicht auch ein bisschen unüberlegt, aber auch sehr emotional. Es fühlte sich einfach richtig an. Und wir kannten uns ja auch schon ein paar Jahre.»

Die Freundschaft, aus der Liebe wurde, hielt fast dreizehn Jahre, die erotische Begeisterung nicht so lange. Dennoch: «Wunderbare Jahre», sagt Britta im Nachhinein.

Ein Kind, gezeugt aus der Fülle der Liebe und der Leidenschaft: In der Galerie der Glücksbilder nimmt diese Vorstellung einen exponierten Platz ein. Diese Frucht der Liebe, die dem Leben Glanz und Beständigkeit verleiht, einen Hauch von Ewigkeit, ein dem Tod abgetrotztes Weiterleben im Kind.

«Er war mein Traummann», schwärmt Jenny noch heute. «In jeder Beziehung. Gutaussehend, sportlich, lustig, sexy und aufmerksam. Wir schrieben beide an unserer Magisterarbeit und schmiedeten Pläne für die Zukunft – ein paar Jahre zusammen ins Ausland gehen, später ein gemeinsames Unternehmen gründen, irgendwann vielleicht auch mal Kinder. Ich war 24 und dachte, ich habe ja noch gute 16Jahre Zeit. Meine Mutter hatte mich sogar erst mit 42 bekommen.»

«Und dann warst du mit 25Jahren Mutter.»

«Wir waren ein wenig nachlässig, was die Verhütung anging», gesteht Jenny. «Wir waren eine Woche ans Meer gefahren, in die Normandie, und ich hatte mir wohl bei einem Fischessen etwas eingefangen. Jedenfalls musste ich mich an dem Abend mehrmals übergeben, und da hilft ja die Pille nicht mehr zuverlässig.»

Als es ihr wieder besserging, schliefen sie in einer lauen Nacht draußen im Garten ihres Ferienhauses.

«Das war so romantisch, wir ganz allein unter dem Sternenhimmel, beschützt von diesen normannischen Bruchsteinmauern um uns herum.» Jenny lächelt.

«Als wir uns dann liebten, war ich wie verzaubert. Ich glaube, es war so ein Jahrhundert-Orgasmus, so verschmelzend, so ein Einswerden, so ein grenzenloses Gefühl, und ich dachte, jetzt haben wir ein Kind gemacht. Da war so ein intensives Gefühl, das über alles hinausging, was ich je erlebt habe. Und ich dachte auch: Und wenn wir ein Kind gemacht haben, dann kriege ich es auch.»

Jenny wurde tatsächlich schwanger und blieb bei ihrer Entscheidung. Sie wollte das Kind.

«Bis zur Niederkunft konnte ich meine Magisterarbeit schreiben und dann schauen, wie es weitergehen würde. Wir würden schon eine passende Lösung finden, dachte ich.»

Und auch Claudio schien einverstanden, wenn auch nicht ganz so überzeugt und glücklich wie Jenny. Schnell wurde geheiratet.

«Unsere Eltern bestanden darauf, sonst hätten sie uns die Eigentumswohnung nicht geschenkt. Das war eine große Entlastung. Wir machten ja beide erst unseren Studienabschluss und hätten uns so eine schöne, große Wohnung nie leisten können.»

Sie schrieben ihre Magisterarbeiten, richteten die Wohnung ein, der Sex war immer noch wunderbar, wenn auch deutlich weniger enthusiastisch, je mehr sich Jennys Bauch rundete. Zum Zeitpunkt der Geburt war der künftige Vater in den USA auf Jobsuche, und knappe drei Monate später zog er tatsächlich nach San Diego, mit einer anderen Frau, wie Jenny später herausfand, und reichte die Scheidung ein.

«Er war ein Traum-Mann, im wahrsten Sinne des Wortes. Absolut nicht alltags- und familientauglich», sagt Jenny. «Er wollte eigentlich kein Kind. Er zahlt Unterhalt, kommt uns besuchen, wenn er in Deutschland ist, und will Tobias zu sich einladen. Er mag seinen Sohn, ist ihm gegenüber absolut loyal, und Tobias ist natürlich begeistert von seinem amerikanischen Dad. Und ich werde den Teufel tun, Claudio vor seinem Sohn schlechtzumachen. Obwohl ich manchmal so wütend auf den Kerl bin. Glaub nicht, ich habe die Trennung schon verschmerzt.»

Einen Moment sieht es aus, als könnte sie in Tränen ausbrechen.

«Tobias ist ein Kind der Liebe, auch wenn diese Liebe nicht gehalten hat. Und ich bin glücklich, dass es ihn gibt.»

Und dann lacht sie wieder. «Morgen habe ich Geburtstag. Ich werde dreißig, mein Sohn ist fünf Jahre alt, und ich habe nochmal gute zehn Jahre, wenn ich noch ein Kind der Liebe will.»

Mir gefiele es schon, wenn diese Kinder der Liebe einen Bonus für ein glückliches Leben hätten, aber ähnlich wie beim Sonntagskind scheint sich die Biographie nicht unbedingt an die Entstehungsgeschichte zu halten. Ob das entsprechende Elternpaar allerdings diesen Bonus für das Fortbestehen seiner Liebe erwirbt, ist noch fraglicher. Hinzu kommt, dass meist nur einer der Beteiligten, und da ist es dann in der Regel die Frau, überzeugte Zeugungstäterin aus Liebe ist. Männer scheinen da eher zurückhaltend, oft unwillig, zumindest ambivalent, was das Resultat des Liebesaktes anbelangt.

«In meiner Wohnung wurde ein Zimmer frei, und ich suchte jemanden zum Mitwohnen und fand eine sehr sympathische Untermieterin, die hatte was sehr Entspanntes und brachte eine angenehme Atmosphäre ins Haus, und so verliebte ich mich in sie.»

Das war vor vier Jahren, erzählt Paul und macht Tee für uns in der gemütlich unordentlichen Küche. Nebenbei versorgt er seine zweijährige Tochter Naomi mit Saft und einem Zwieback. Die zeigt mir unterdessen, wen sie alles in ihrem Puppenwagen durch die Wohnung gefahren hat, bevor sie wieder in ihrem Zimmer verschwindet. Ein halbes Jahr nach der Geburt ihres Kindes hat sich Paul von der Mutter seiner Tochter getrennt. Nun lebt seine Tochter die eine Hälfte der Woche bei ihm, die andere bei ihrer Mutter.

«Wir lebten zunächst zusammen», fährt Paul fort, «ohne miteinander eine Beziehung zu haben. Es war entspannt, angenehm, inspiriert, ich bin gerne nach Hause gekommen. Sie schien das wie ich zu sehen: Wir haben jetzt eine Affäre, eine Liebesbeziehung ohne gegenseitige feste Verpflichtungen. Sie wusste, ich bin kein Freund der klassischen Zweierbeziehung. Das hat nix mit Monogamie oder Polygamie zu tun, ich mag nicht diese Liebes- und Selbstbeschwörungen von Paaren, die deprimieren mich immer sofort.»

Warum ist das so? frage ich. Schlechte Erfahrungen, schlechte Vorbilder?

«Nach meiner tiefen Überzeugung glaube ich nicht daran. Ich glaube, dass Behauptungen immer den Weg zur Erkenntnis verstellen, man hat diesen Berg, den man ständig bestätigen muss mit ‹Ich liebe dich› und so Sachen, diese ewigen Absolutheitsansprüche aneinander …»

«Und jetzt habt ihr ein Kind?»

«Sie hatte den Kinderwunsch, ich hatte keinen, es ist passiert. Ich habe sogar explizit keinen gehabt, weil ich kein Bedürfnis habe, mich zu reproduzieren. Das wollte ich auch mit ihr nicht, es war für mich keine Beziehung, die auf lange Zeit angelegt war. Und mit der Zeit stellte sich auch heraus, dass Andrea mir stärker verbunden war, dass sie dann doch so klassische Ansprüche an die Beziehung stellte, Wolf im Schafspelz, gleichzeitig aber behauptete, dass es nicht so sei, und dann merkte ich, dass immer mehr Tabus aufkamen, wie das bei diesen behaupteten Beziehungen der Fall ist, worüber man nicht sprechen kann, und da war mir klar, eine Elternpartnerschaft muss krisentauglich sein. Das halte ich für das Essenzielle. Und dass wir das nicht sind, ahnte ich schon in der Schönwetterphase.»

Wie alles anfing, will ich auch von Katja wissen.

«Wir haben uns kennengelernt über eine gemeinsame Freundin. Wir waren zu der Zeit alle drei Single, wir wollten mal etwas zusammen unternehmen, und das war witzig, weil zu der Zeit wieder so ein Spinner bei mir am Start war, im Rahmen meiner üblichen Geschichten, die ich sonst immer hatte, und dann fragte meine Freundin mich, wie ich Michael denn fände. Ich sagte, nett, aber völlig uninteressant. Tja, irgendwann hat sich das vollkommen verändert, und dann haben wir auch mal was alleine unternommen, und dann hat es geknistert. Wir haben gemerkt, dass wir gar nicht mehr aneinander vorbei konnten. Das hat mich schon sehr irritiert, und dann hat es richtig gefunkt. Dann war ich sehr verknallt.

Wir lebten ja erst in verschiedenen Städten und haben uns abends getroffen, kaum geschlafen, und einer musste ja immer morgens zurückfahren, das war sehr turbulent. Ich war vierunddreißig und hatte in der verliebten Phase angesprochen, dass ich mir ein Kind wünsche. Michael sagte, das könne er verstehen, aber das sei jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, und das fand ich okay. Ich habe auch gedacht, Kinder sind ja schon da, seine zwei aus seiner Ehe, da muss ich ja keine eigenen bekommen. Egal, ob ich Kinder kriege oder nicht, ich hatte noch nie einen Partner, mit dem ich so zufrieden war.»

«Bei mir war absolut kein Kinderwunsch mehr vorhanden», bestätigt Michael. «Ich hatte ja schon zwei Söhne aus erster Ehe. Tilda war ein ungeplantes Kind, und ich war zuerst auch erschrocken, ehrlich gesagt, aber wie es dann so ist, im Nachhinein war es das Richtige.»

Am Anfang die große Verliebtheit, nach dem traurigen Ende meiner Ehe war es ein sehr schönes Gefühl, sich unabhängig von den eigenen Kindern zu treffen, und diese Beziehung ist ohne meine Kinder gewachsen. Das war ein sehr schönes Erlebnis. War auch nicht geplant, dass ich mich nochmal verliebe, ist einfach passiert.»

«Hast du befürchtet, dass vielleicht auch eure neue Zweisamkeit leiden könnte?»

«Ja», bestätigt Michael. «Ich war deshalb erschrocken, weil sich gerade die alten Verhältnisse geordnet hatten, die Trennung war vollzogen, und ich kam wieder in ruhigeres Fahrwasser, und dann kam eine neue Verantwortung auf mich zu, wo ich doch gerade merkte, dass die Zeiten wieder entspannter wurden, und ein neuer Säugling ist ja dann auch wieder eine große Anstrengung, nicht nur nachts, auch finanziell, erst recht, wenn es nicht geplant ist.»

«Er hat mir gesagt, er will das Kind nicht», sagt Katja. «Dann habe ich gesagt, egal, wie, ich kriege das Kind. Michael fühlte sich total überfordert, er war nicht mal geschieden, wusste auch noch nicht, wie das alles enden würde. Es war gar nichts klar. Und mir war bis dahin nicht klar, wie sehr ich eigentlich ein Kind wollte.

Vorher war mein Kinderwunsch nie konkret, Familie kann ich mir vorstellen, muss aber nicht, geht auch ohne. Ich habe auch schon mal gesagt, ich will drei Kinder. Ich habe mir aber nie die Partner ausgesucht, die da so richtig ins Bild des Familienvaters gepasst hätten. Als ich Michael kennenlernte, fand ich das praktisch, weil ja schon zwei Kinder da waren, da konnte ich so ein bisschen üben.»

«Der Kinderwunsch kam von mir», erzählt Georg. Wir frühstücken in einem Café in dem lebhaften Viertel, in dem Georg wohnt.

«Ich hatte vorher sehr schwierige Beziehungen, und ein Problem war auch immer, dass die Frauen, mit denen ich zusammen war, Kinder eher nicht wollten. Den Kinderwunsch hatte ich schon immer, hab ihn aber nicht klar artikuliert, und dann sagte meine Schwester: ‹Georg, wenn du dich jetzt wieder verliebst, dann sag frühzeitig, dass du Kinder willst. Kläre das, bevor du in eine Beziehung gehst. Wenn deine neue Partnerin ja sagt, dann ist es gut, und wenn sie nein sagt, dann überleg dir bitte genau, ob du diese Beziehung willst.› Und dann gab es eine romantische Nacht mit Ruth, meiner neuen Liebsten, wir schauten auf den Fluss und hielten uns in den Armen, und da sagte ich dann, mit Herzklopfen bis zum Hals: ‹Ich möchte gerne Kinder, und ich möchte Kinder mit dir.› Und sie sagte: ‹Ja.› Das hat es dann entschieden. Ich glaube, wir wollten uns beide enger binden, das war relativ schnell klar, dass wir zusammen sein und zusammenleben wollten. Erschwerend war, dass sie in N. und ich in K. lebte, was immer noch so ist. Ich arbeite in K., mein Familiensitz ist N., aber wir wollten zusammen sein.»

«Wie seid ihr zu dieser Entscheidung gekommen, an zwei Orten zu leben?»

«Wir haben das alles abgewogen. Aus der Perspektive der Kinder, was ist für die Kinder gut? Die materielle Seite, meine Frau hat eine Festanstellung, ich bin freiberuflich, da kann es auch mal wackeln. Also war klar, sie wird ihre Stelle behalten, als sichere Grundlage. Bei mir kann es ja sein, dass ich ein Jahr lang nichts habe, und darauf kann man ja keine Familie aufbauen. Dann kam die Überlegung, gehen wir nach K., aber es sprach viel dafür, in N. zu bleiben, weil meine Schwiegereltern dort sind, noch relativ jung, die die Kinder betreuen können, und die soziale Anbindung an die Hausgemeinschaft dort. Ich lebe in K. in einem eher anonymen Mietshaus und habe mich entschieden, ich nehme das auf mich, muss zwar viel pendeln, glaube aber, dass die Kinder so besser aufgehoben sind. Hier in K. hätten wir uns das alles aufbauen müssen, und nun ja, ich bin ja auch nicht mehr der Jüngste, in dem Umfeld, in dem ich lebe, sind die Kinder entweder erwachsen oder rar.»

Warum sollte es uns nicht gelingen, diesen Traum von Liebe, Verbundenheit und Kontinuität zu verwirklichen? Aufgeklärt, wie wir sind, können wir doch der Familienfalle entgehen! Anscheinend jedoch nicht. Nicht alle wagen neue Wege wie Ruth und Georg. Viele Paare denken über all die möglichen Veränderungen kaum nach. Sie machen sich mehr Gedanken bei der Anschaffung der neuen Einbauküche als bei einem Kind. Was kann uns so ein kuscheliges, hilfloses kleines Etwas schon antun? Und dann wird statt der niedlichen Knutschpuppe eine Heulboje geliefert, und wir können nicht mal die Annahme verweigern!

Und dann kann es passieren, dass auf dem Altar der Heiligen Dreifaltigkeit Vater– Mutter– Kind die Liebe geopfert wird.

Auch Charles glaubte daran, dass Kinder der Liebe und dem Leben erst den tieferen Sinn geben, als er heiratete.

«Wenn ich jetzt zurückdenke: Da war alles verwoben beim Lieben. Der unterbewusste Instinkt, dass aus dieser Liebe was Wunderschönes entstehen kann, ist schon ein besonderer Kick. Heute glaube ich, dass ich das damals so empfunden habe: Es ist dann am allerschönsten, wenn aus diesen zwei Menschen ein neuer kommt. Man hat nur seine Liebe vor Augen. Als Chris schwanger war, war das ein schönes Gefühl, zu spüren, wie ihr Bauch immer runder wurde. Das war nicht Stolz auf die Potenz, das war ein ganz zärtliches Gefühl.»

Aber aus der Verbundenheit im gemeinsamen Schöpfertum entwickelte sich in dieser Ehe ein zählebiger Lieblingsstreit: Genau diese kleinen Sinnstifter wurden zum ständigen Zankapfel. Längst sind Charles und seine damalige Frau nach bösen Rosenkriegen geschieden, die Kinder haben selber Kinder, aber die elterlichen, jetzt großelterlichen Auseinandersetzungen gehen munter weiter. Tatsächlich sind Kinder oft der Sprengsatz, für marode Beziehungen allemal, aber auch einer blühenden Liebe kann das Kind das Wasser abgraben.

Interessanterweise gedeiht die Liebe nicht automatisch mit dem Nachwuchs. Seltsame Verschiebungen und Reaktionen finden statt, so als öffne man die Büchse der Pandora, und alles Böse krabbelt heraus: Eifersucht und Neid, Schlaflosigkeit und sexuelle Unlust, neue Abhängigkeiten und alte Rebellion.

«Wir sind nach Marokko in Urlaub gefahren. Ich habe gesagt: Ich würde gerne in Marokko ein Kind machen. Und dann habe ich mir innerhalb der ersten Stunden dort eine Magen-Darm-Infektion zugezogen und in den ganzen vierzehn Tagen nur gekotzt. Da konnten wir das mit dem Kindermachen vergessen.» Anja lacht. Keine afrikanische Zeugung für das «Wunschkind».

«War für dich eine Liebesbeziehung von Anfang an mit einem Kinderwunsch verbunden, oder hat der sich erst später eingestellt?», frage ich Anja.

«Bei meiner ersten Liebe hatte ich den Wunsch überhaupt nicht. Da waren wir selber Kinder. Mit Walter war das anders. Nachdem wir zwei, drei Jahre zusammengelebt hatten, war das eine ganz bewusste Entscheidung: Wir wollen ein Kind. Wir waren Ende zwanzig, und wir wollten einfach was zusammen auf die Beine stellen. Das Gefühl, was zu vertiefen, ein Kind zu haben, etwas, was unsere Beziehung bereichert. Es sollte mehr als das sein, was vorher da war. Uns festlegen.»

«Da wart ihr noch nicht verheiratet?»

«Nein, wir haben uns kennengelernt, als ich noch in zwei anderen Geschichten steckte. Für mich war das sehr klärend. Mit Walter wollte ich eine richtige Beziehung. Mit den anderen, das hatte keine Zukunft mehr. Aber ein Kind zu kriegen bedeutete Zukunft. Walter war der Mann, mit dem ich mir das vorstellen konnte. Eindeutig.»

«Habt ihr das besprochen?»

«Ja. Wer den Wunsch zuerst geäußert hat, weiß ich nicht mehr. Aber dann war es entschieden. Wir lebten damals noch in einer Wohngemeinschaft, mit meinem ehemaligen Freund, der dann kurz vor der Geburt unserer Tochter auszog. Das lief alles unter dem Motto: Wir verstehen uns ja alle noch so prima.»

«Hast du beim ‹Liebemachen› dieses Gefühl gehabt, in diesem Moment könnte es geschehen, war das eine andere Art von Sexualität?»

«Wir wollten unbedingt zu dem Zeitpunkt ein Kind in die Welt setzen. Vorher habe ich die Verhütung immer sehr diszipliniert betrieben, ich bin nie schwanger geworden. Dann habe ich die Pille abgesetzt. Wir haben es nicht richtig darauf angelegt, aber ich hab gemerkt, dass es aufregend war, weil es passieren konnte. Es war ein anderes Gefühl als vorher.»

«Erregender?»

«Anders, mehr Nähe, Verbindlichkeit, erregender nicht. Es ging sehr schnell. Ich war relativ bald schwanger. Ich weiß noch, dass ich an einem bestimmten Tag dachte: Heute ist es garantiert passiert. An dem Tag traf ich eine Freundin, die meinte: Na, du bist ja frei und hast keine Kinder. Und ich habe gedacht: Wenn du wüsstest! Neun Monate später habe ich dann das Kind gekriegt.»

Ich stelle meine obligatorische Frage: «Habt ihr euch überlegt, wieweit sich eure Beziehung ändern würde?»

«Bei mir gibt’s einen Unterschied zwischen dem ersten und dem zweiten Kind. Das erste Kind war geplant, bewusst und sorgsam, mit viel Ruhe und Zeit, mit allen Schikanen. Das zweite Kind war weder geplant noch gewollt. Beim ersten, glaube ich, haben wir es gut hingekriegt. Aber beim zweiten ist es uns über den Kopf gewachsen. Es hat uns wahnsinnig gefordert. Da ist ein großer Unterschied.»

In ihrem Roman «Der letzte Blues» beschreibt Erica Jong das Szenario der Ehe ihrer Protagonistin Leila Sand: Verheiratet mit einem Künstler, wird die Malerin Leila hochgestimmt schwanger: «Was konnte erfreulicher sein als zwei Künstler, die zusammenlebten, ihre Arbeit taten, ihre Babys ernährten, kochten, sich liebten, durch die Kirchen und Kunstgalerien Italiens spazierten?»

Leila und ihr Mann leben, wie kann es anders sein, im Bauernhaus eines Freundes im Chianti, umgeben von Olivenhainen und Weinbergen.

«Wir schliefen jede Nacht in enger Umarmung – bis meine Schwangerschaft das unmöglich machte, und dann schliefen wir in Löffelstellung.»

Das Hohelied von Liebe und Fruchtbarkeit:

«Oh, wie süß die Liebe ist, wenn sie noch süß ist. Zwei salzige, verschwitzte Liebende, aufwachend in einem von Liebe zerwühlten Bett. Und wie selten ist das. In den Zeiten unseres Lebens, in denen wir das besitzen, wissen wir es kaum zu würdigen. Es wird im Verlust höher geschätzt als im Besitz – wie so viele Dinge, die wir unbekümmerten Menschen haben, unser Leben eingeschlossen. Wir verlebten jenes Jahr in einem Tohuwabohu von Schenkeln, Kunstgeschichte und extraverginem Olivenöl: (…) Wir lebten für Liebe, Kunst, Bett und Babys. In Italien ist das einfach, einem Land, dessen Prioritäten geordnet sind – und dieselbe Reihenfolge haben. Ich erinnere mich noch an die Verzückung in Elmores dunklen Augen, wenn er dalag und an meinem Bauch horchte, wie nach dem Geräusch des Meeres an einer Riesenmuschel. Unsere Arbeit gedieh, unsere Babys gediehen, unsere Liebe gedieh. Unser Lied war ‹Our love is here to stay›, und wir zweifelten nicht einen Augenblick daran, dass das stimmte. Das Leben, so dachten wir damals, kann nicht schöner sein – und wir hatten recht.»

Während sie auf die Geburt ihrer weiblichen Zwillinge warten, genießt Leila alle Privilegien der Schwangerschaft:

«Es war die großartigste Zeit meines Lebens. Ich lag im Bett wie eine Königin, wartete darauf, meine Prinzessinnen zu gebären, und Elmore las mir vor. Wir schrieben Tagebücher… Was für eine glückliche gesegnete Zeit war das! Wie konnte sie zu Ende gehen?

Ihr Ende begann am 1.August, als die Schwangerschaft durch das Brechen der Fruchtblase akut gefährdet war und wir (…