Über das Unglück, geistreich zu sein - André Müller sen. - E-Book

Über das Unglück, geistreich zu sein E-Book

André Müller sen.

0,0

Beschreibung

Ein treffliches Bonmot zur Hand ... schon glänzt man in der Gesellschaft. Eine charmante Sottise eingeworfen ... so erwehrt man sich seiner Haut. Eine Indiskretion geschickt gestreut ... das schlägt Wellen. Eine Überzeugung mit Witz vorgetragen ... wer wollte widersprechen? Dazu mit Chuzpe und Fantasie auch die überraschendsten Situationen durchgestanden ... so zieht man sich aus der Affäre. Nachzulesen in 450 Anekdoten über berühmte Dichter und Denker, Komponisten, Forscher und Staatenlenker.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 189

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



IMPRESSUM

ISBN eBook 978-3-359-50002-5

ISBN Print 978-3-359-02343-2

© 2012 (1978) Eulenspiegel Verlag, Berlin

Umschlaggestaltung: Verlag

Eulenspiegel • Das Neue Berlin Verlagsgesellachaft mbH & Co. KG

Neue Grünstr. 18, 10179 Berlin

Die Bücher des Eulenspiegel Verlages erscheinen

in der Eulenspiegel Verlagsgruppe.

www.eulenspiegel-verlag.de

André Müller sen.

Über das Unglück

geistreich zu sein

oder 450 Anekdoten über

Philosophen, Künstler, Päpste

und Politiker

Eulenspiegel Verlag

Es war eine Frühlingsnacht im Park der Stadt C. Der Mond war aufgegangen und hatte seine milde Herrschaft angetreten, der sich, nach einem für die Jahreszeit zu heißem Tag, alle Geschöpfe willig beugten. Die Sterne, die seinen Hofstaat bildeten, funkelten in strenger Ordnung vor sich hin, und der Wind hatte in dieser Nacht keinerlei Lust, die Rolle des Jakobiners zu spielen; er war sanft in einem Gehölz eingeschlafen. Die Luft war mild und angefüllt von den Düften der Blüten und Blätter, die sich ihrerseits bereitmachten, den Tau zu schlürfen, den die Nacht zu bringen versprach. Vom Lärm der Stadt scholl nichts mehr herüber, und die Tiere, die den Park bewohnten, schliefen, müde vom Geschäft der Paarung und der Nahrungssuche, in ihren Nestern und Höhlen. So lag ein Hauch von Paradies über allem, mit einer besonders starken Beimischung von frischem Grün. Kurz: Es war eine Nacht, sich zu verlieben, und eben das hatten Henriette und Robert getan.

Sie gingen, eng aneinandergelehnt, wie man in einer solchen Nacht geht: halb träumend, halb wachend und ganz ineinander versunken. Von Zeit zu Zeit blieben sie stehen, um sich zu küssen, um sich enger aneinanderzuschmiegen und um sich ihrer Gefühle neu zu versichern. Henriette war 27 Jahre alt, 1,72 Meter groß und hatte jene schlanke Figur, die nach dem Zweiten Weltkrieg so sehr in Mode gekommen ist. Aber ein kaum merkbarer Ansatz zur Üppigkeit, durch streng eingehaltene Diättage mit mageren Quarkspeisen vollkommen gebändigt, verwies auf eine erstaunliche Sinnlichkeit, die in Robert, der sie instinktiv wahrnahm, die angenehmsten Erwartungen hervorrief. Ihr Haar war kastanienbraun, wozu die grauen Augen in einem deutlichen Gegensatz standen, die unverkennbar auf Entschlossenheit schließen ließen, was wiederum zu streng hätte wirken können, wäre da nicht die Fähigkeit dieser Augen gewesen, über die Dinge der Welt zu lachen und sie nicht ganz ernst zu nehmen. Henriettes Nase war die in Mitteleuropa übliche, also mit einem Nasenrücken, der unter der Stirn leicht zurücksprang. Ihr Mund, der Kraft, Furchtlosigkeit, Entschlossenheit und Klugheit verriet, war entschieden zu groß. Aber zwei liebliche und stets leicht gerötete Wangen gaben ihrem Gesicht die Harmonie im Ganzen, die den Einzelteilen fehlte, und der Charme, der Henriette so ungewöhnlich eignete, ließ ihr Gesicht ebenso zierlich wie schön wirken.

Robert seinerseits war blond gelockt, wenn Letzteres eigentlich auch nur am Ende der Haare der Fall war, die er à la mode bis auf die Schultern trug. Die leichte Wellung unten erinnerte stark an die Haartracht Dürers auf einem seiner frühen Selbstbildnisse, und da Roberts Gesicht oval und ebenmäßig war, erinnerte es auch an jene Gemälde, in denen Jesus so wohlgekämmt, mild und schön dahinschreitet oder sich mit morgenländischen Schönheiten unterhält. Und dies muss hier in aller Ehrlichkeit zugegeben werden, obwohl man so etwas als Mann höchst ungern zugibt: Robert war, mit einer sportlichen Figur, einer Körpergröße von 1,80 Meter und einem Alter von 32 Jahren, ausgesprochen schön, viel schöner jedenfalls, als es Männer gemeinhin sind. Und um auch dies nicht auszulassen: Henriette und Robert zusammen bildeten ein höchst angenehmes Paar.

Der Parkweg, dem sie gemächlich folgten, führte rechts an einem Teich vorbei, der in englischer Manier angelegt worden war. Hinter einer kleinen Insel, die den längst hier heimisch und zutraulich gewordenen Wildenten als bevorzugter Brutplatz diente, weitete sich der Weg zu einer Estrade aus, die leicht über das Wasser vorragte und von deren steinerner Brüstung aus ein wunderschöner Blick auf den silbern daliegenden Teich und die ihn umgebenden Wiesen und Gehölze möglich war, deren dunkle Konturen sich gegen den hellen Nachthimmel abhoben.

Henriette und Robert gaben den Verlockungen nach, betraten langsam die Estrade, gingen bis zur Brüstung vor und bewunderten das nächtliche Panorama. Ihre Stimmung war die allerbeste, und Robert verwies Henriette auf die Harmonie, die die kleine Parklandschaft in dieser Frühlingsnacht unzweifelhaft besaß. »Wenn mich etwas in der Natur fasziniert«, sagte er zu Henriette, diese dabei enger an sich drückend, »dann ist es die in ihr wohnende Weisheit, die diese Harmonie möglich macht«, wobei er vollkommen vergaß, dass hier eigentlich die menschliche Kunst, Natur harmonisch zu gestalten, zu bewundern gewesen wäre. »Ja«, führte er indessen diesen Gedankengang fort, »die Natur ist weise, und weise müsste man sein! Kennst du eigentlich den Sokrates?«

»Nein«, sagte Henriette, die es ungemein schön und anziehend fand, dass Robert ihr seine Gedanken mitteilte, »oder doch; war das nicht dieser alte griechische Philosoph, den sie mit einem Gifttrank umgebracht haben, der als höchstes Ziel menschlichen Daseins den Lebensgenuss lehrte und der in einer Tonne wohnte?«

»O mein Schatz«, entgegnete Robert lachend, »der Einfachheit halber hast du gleich aus Sokrates, Aristippos und Diogenes eine einzige Person gemacht!« Henriette lachte amüsiert auf, und da Robert das starke Bedürfnis empfand, diesen Mangel in Henriettes Bildung zu beheben und so neben seiner Schönheit auch seinen Geist zur Geltung zu bringen, sagte er zu ihr: »Ich kenne einige hübsche Anekdoten über Sokrates; magst du sie hören?«

»Aber gerne«, stimmte ihm Henriette zu und lehnte sich erwartungsvoll zurück, Robert mit einem strahlenden Blick belohnend.

Und er erzählte, geistreich wie er war, zehn Anekdoten über Sokrates.

Sokrates

Sokrates von Athen war der Sohn eines Bildhauers und einer Hebamme. Er sah sich frühzeitig veranlasst, Philosoph zu werden, und da er mit der Naturphilosophie nicht zurechtkam, erklärte er kurzerhand, sie tauge nicht für den Menschen. So wandte er sich der Sittenlehre zu.

Um herauszubekommen, wie die Menschen lebten, forschte er interessiert in ihrem Privatleben nach, was diese ihm mit erlesenen Schmähreden heimzahlten.

Bei einer dieser eingehenden Befragungen erhielt Sokrates anstelle der erbetenen Auskünfte solide Fußtritte. Einer seiner Schüler sah sich deshalb zu der Frage veranlasst, warum er sich das gefallen lasse.

»Wieso nicht?«, antwortete Sokrates. »Wenn mich ein Esel getreten hätte, so hätte ich ihn doch auch nicht gerichtlich belangt.«

Mit der Mehrzahl der Philosophen seiner Zeit teilte Sokrates die Meinung, es gehöre sich für einen Weisen, genügsam zu leben und keine Schuhe zu tragen. Trotzdem zog es ihn immer wieder zum Markt, wo er die Fülle der Waren betrachtete.

Was er hier treibe, wollte ein Freund wissen, er kaufe doch nichts.

»Ich staune nur darüber«, erwiderte Sokrates, »wie viele Dinge es gibt, deren ich nicht bedarf.«

Der Feldherr Iphikrates litt trotz seiner militärischen Erfolge an mangelndem Selbstbewusstsein, was sich in der Liebe als hinderlich erwies. Nachdem eine Hetäre ihm einen Nebenbuhler vorgezogen hatte, fragte er Sokrates um Rat.

Die Konsultation war erfolgreich; man wollte deshalb von Sokrates wissen, wie er dem Iphikrates geholfen habe.

»Auf eine natürliche Weise«, antwortete dieser, »ich habe ihn zu den Kämpfen zwischen den Hähnen des Barbiers Meidias und denen des Kallias mitgenommen.«

In einem Gespräch über den Philosophen Antisthenes führte man gegen dessen Lehre den gewichtigen Beweis an, er sei kein reinblütiger Athener, sondern von einer thrakischen Mutter geboren worden.

»Sein Vater kann auch kein Bürger unserer Stadt gewesen sein«, stimmte Sokrates zu, »oder glaubt ihr vielleicht, ein so vortrefflicher Mann stamme von zwei Athenern ab?«

Xanthippe verbrachte einen großen Teil ihrer Zeit damit, ihren Gatten öffentlich zu schmähen, unaufhörlich zu schnattern, zu keifen oder ihm seine Zeit mit Vorhaltungen zu verderben. Selbst Prügel bezog Sokrates gelegentlich von ihr.

Als sich Sokrates, aus reiner Vaterlandsliebe, dem Beschluss der Athener beugte, dass ein Mann – zur Auffüllung der Lücken in der männlichen Bevölkerung – neben seiner Ehefrau auch mit einer anderen Kinder zeugen dürfe, nahmen seine häuslichen Leiden beachtlich zu. So verglich Xanthippe ihn eines Morgens nicht nur mit der Mehrzahl der Geschöpfe des Tierreichs, sondern schüttete zum Abschluss einen Kübel Abwaschwasser über ihn aus. »Sagte ich nicht«, kommentierte Sokrates den Vorfall, »dass Xanthippe, wenn sie donnert, auch Regen bringt.«

Philosophisch war Sokrates ein hartnäckiger Gegner der materialistischen Weltbetrachtung. Da er die wissenschaftliche Naturerkenntnis als eine gottlose Sache ablehnte, bestritt er auch die Gesetzmäßigkeit von Naturerscheinungen.

Es gebe doch zahlreiche Beispiele, hielt man ihm vor; wie er da noch leugnen könne.

»Aus gutem Grund«, erwiderte Sokrates. »Weil ich seit zwanzig Jahren mit Xanthippe verheiratet bin.«

Ohne auf den Zustand seines Vermögens und den seiner Vorratskammer zu achten, lud Sokrates einige Bekannte zum Essen ein. Seine Frauen hatten wegen der Bewirtung Angst und machten ihm Vorhaltungen.

»Nur Mut«, verteidigte sich Sokrates, »man muss das philosophisch nehmen: Sind unsere Gäste maßvoll, werden sie sich in alles schicken; sind sie aber Schlemmer, dann Gott befohlen mit ihnen.«

Einer seiner Schüler fragte Sokrates, ob man heiraten solle oder nicht.

»Das ist gleich«, riet ihm der Philosoph, »aber was immer du tust, wirst du hinterher bereuen.«

Nachdem sich Sokrates mit den einflussreichsten Größen Athens überworfen hatte, wurde er angeklagt, die vom Staat anerkannten Gottheiten durch ein neues göttliches Wesen ersetzen zu wollen und die Jugend zu verführen. Die Anklage zielte auf die Todesstrafe, hatte aber wenig Aussicht durchzukommen. Zwar sprach man Sokrates schuldig, forderte ihn jedoch auf, die Strafe selbst festzusetzen. Er schlug eine Zahlung von fünfundzwanzig Drachmen vor.

Einer seiner Freunde verließ die Versammlung und fragte Sokrates später entsetzt, wieso er zum Tod verurteilt worden sei.

»Fünfundzwanzig Drachmen waren ihnen nicht recht«, berichtete ihm Sokrates. »Als sie mich aufforderten, eine neue Strafe festzusetzen, habe ich als Lohn für meine Verdienste eine öffentliche Speisung im Prytaneion verlangt.«

Nach der Verurteilung des Sokrates versuchte Xanthippe ihm mit dem Hinweis Trost zu spenden, er sterbe ungerechterweise.

»Wünschest du etwa«, murrte Sokrates, »dass ich gerechterweise stürbe?«

»Ein etwas merkwürdiger Herr, dieser Sokrates!«, sagte Henriette lachend, die vergnügt zugehört hatte. Und da sie das Bedürfnis verspürte, einerseits geküsst zu werden und andererseits Robert für seine lustigen Geschichten mit einer kleinen Schmeichelei zu danken – die sie übrigens in diesem Augenblick nicht als Schmeichelei, sondern als ein ihm gebührendes Lob begriff –, vereinte sie klugerweise beide Bedürfnisse zu einem einzigen und fügte ihrem Satz hinzu: »Aber so gut zu küssen wie du, verstand Sokrates sicherlich nicht!«

Robert, der diese Schmeichelei entzückt genoss und der darin enthaltenen Aufforderung auf der Stelle nachkam, sagte, als er wieder zu Atem gekommen war: »Aristippos, du weißt schon, der mit dem Lebensgenuss, ist mir allerdings auch sehr viel lieber.«

Und er erzählte, geistreich wie er war, zehn Anekdoten über Aristippos.

Aristippos

Der Philosoph Aristippos aus Kyrene war der Erste, der den Genuss, speziell den sinnlichen, als höchstes Lebensziel pries. Er wurde von Sokrates und Platon deshalb mit Verachtung angesehen. Aristippos ließ sich dadurch nicht stören und ging, der Genüsse wegen, die sich dort boten, immer wieder an die üppige Tafel des Dionysios, auf den er Einfluss hatte.

Dieser versuchte von Zeit zu Zeit, den Philosophen zu beleidigen. So spuckte er Aristippos bei einem Gastmahl an und fragte verwundert, warum er sich das gefallen lasse.

»Wie«, entgegnete Aristippos, »wenn die Fischer es sich gefallen lassen, vom Meerwasser bespritzt zu werden, um einen Gründling zu fangen, soll ich mich da nicht mit etwas Speichel bespritzen lassen, um zu einem ganzen Fischgericht zu kommen?«

Diogenes aus Sinope war der Einzige der Athener Philosophen, der dem Aristippos wohlgesinnt war. Er rühmte an ihm, er wisse auf seine Weise, jeder Lebenslage die beste Seite abzugewinnen. Aber er hänselte ihn auch gern. Als Diogenes eines Morgens dabei war, Kraut zu waschen, das seine Mahlzeit darstellte, sagte er spottend zu Aristippos, wenn er gelernt hätte, sich mit solcher Kost zu begnügen, so hätte er sich nicht zum Dienst an Tyrannenhöfen erniedrigen müssen.

»Und hättest du gelernt, mit Menschen umzugehen«, antwortete Aristippos, »so brauchtest du dich nicht mit Krautwaschen abzugeben.«

Um seinen Geschmack zu prüfen, ließ Dionysios bei einem Fest dem Aristippos drei weibliche Schönheiten vorführen und forderte ihn auf, sich eine davon auszuwählen.

Aristippos betrachtete sie sorgfältig, führte sie dann alle drei weg und sagte: »Auch dem Paris hat es keinen Segen gebracht, einer den Vorzug zu geben.«

Aristippos schätzte es, sich für Freunde einzusetzen. So bat er bei dem Dionysios für einen Freund, der in Not war. Da er kein Gehör fand, fiel er zu Boden und küsste dem Dionysios die Füße. Die Bitte wurde daraufhin gewährt.

Später beschimpften ihn seine Freunde: Was er getan habe, sei eines Philosophen unwürdig.

»Wieso?«, fragte Aristippos. »Was kann ich dafür, dass Dionysios seine Ohren nicht am Kopf, sondern an den Füßen hat?«

Die berühmte Hetäre Lais war eine Zeit lang die Geliebte des Aristippos. Die Verbindung galt den Schülern Platons als unehrenhaft. Er lebe mit einer Dirne zusammen, warf man ihm vor, die vor ihm zahlreiche andere Männer gehabt habe.

»Was macht’s«, sagte Aristippos, »ich bewohne auch ein Haus, das vor mir schon andere Bewohner hatte.«

Eine andere Hetäre, in deren Gunst sich Aristippos mit mehreren Liebhabern teilte, sagte ihm eines Tages, sie sei von ihm schwanger.

»Merkwürdig«, sagte Aristippos, »dass du das so genau wissen willst. Ebenso gut könntest du sagen, du wärst bei einem Gang durch ein dichtes Binsengestrüpp von einer bestimmten Binse gestochen worden.«

Zwei reiche Athener stritten sich über die Tugend. Der eine behauptete, sie sei himmlischer, der andere, sie sei irdischer Natur. Aristippos wurde gefragt, welcher von beiden recht habe.

»Keiner«, antwortete der Philosoph. »Der eine melkt einen Bock, und der andere hält ein Sieb unter, um die Milch aufzufangen.«

Aristippos hatte die Meinung vertreten, der wahre Philosoph könne nie in Verlegenheit geraten. Als er wieder einmal Geld brauchte und den Dionysios um welches bat, hielt der ihm den Satz vor.

»Gib mir das Geld«, sagte Aristippos, »und ich werde dir beweisen, dass ich recht habe.«

Dionysios war gespannt und gab Aristippos das Geld.

»Nun«, sagte Aristippos, »bin ich in Verlegenheit geraten?«

Eine reiche Tafel zu halten gehörte für Aristippos zu den großen Genüssen des Lebens. Er ließ nichts aus und wandte große Beträge auf, um stets die besten Speisen im Überfluss zu haben. Einer seiner Schüler warf ihm deshalb Verschwendung vor.

Ob er alle diese Speisen nicht auch kaufen würde, fragte Aristippos den Schüler, wenn er sie für drei Obolen bekäme.

Natürlich, meinte dieser.

»Ich bin also nicht lustgieriger«, sagte Aristippos, »als du geldgierig bist.«

Bei einem Gastmahl fragte Dionysios den Aristippos, weshalb die Philosophen an den Türen der Reichen anklopften, die Reichen aber nicht an den Türen der Philosophen.

»Ganz einfach«, erwiderte Aristippos. »Weil die Philosophen wissen, was ihnen nottut, die Reichen aber nicht.«

»Auch mir gefällt Aristippos entschieden besser als Sokrates«, sagte Henriette und bedachte nun ihrerseits Robert mit einem Kuss, dessen genauere Beschreibung hier aus Gründen der Schicklichkeit unterbleibt. Und da sie bemerkte, wie sehr Robert es genoss, sein Wissen und seinen Geist vor ihr auszubreiten, sagte sie, ihn ermunternd: »Und was ist mit Diogenes, dem ich das Unrecht zufügte, ihn mit den beiden anderen in einen Topf zu werfen?« Lächelnd fuhr sie fort: »Ich mag es nämlich gern, wenn du erzählst!«

»Ich werde dich nicht in dieser entsetzlichen Ungewissheit lassen«, antwortete Robert.

Und er erzählte, geistreich wie er war, zehn Anekdoten über Diogenes.

Diogenes aus Sinope

Diogenes aus Sinope, der in Athen in einem Fass wohnte, stritt sich auf dem Marktplatz mit einem Sophisten. Dieser rühmte sich, ihm durch die Kunst der Schlussfolgerung alles beweisen zu können. Diogenes verlangte ein Beispiel.

Das, was er nicht verloren habe, habe er folglich noch, sagte der Sophist. Diogenes habe keine Hörner verloren, also sei er ein Gehörnter.

»Diese Schlussfolgerung ist gut«, antwortete Diogenes und fasste sich an den Kopf. »Aber wo sind die Hörner?«

Platon und seine idealistischen Lehren waren Diogenes ein Gräuel. Als er bei einem prunkvollen Gastmahl sah, wie Platon sich nur an die Oliven hielt, fragte er ihn verwundert, weshalb er hier, wo es alles in Hülle und Fülle gebe, sich den Genuss versagte; er habe doch erst kürzlich, der Tafelfreuden wegen, eine große Seereise nach Syrakus in Sizilien gemacht.

Er schwöre bei den Göttern, antwortete Platon, dass er sich auch in Sizilien meist an Oliven und dergleichen gehalten habe.

»Wozu denn«, erwiderte Diogenes, »hattest du es nötig, nach Syrakus zu fahren? Es gab doch damals auch Oliven in Attika.«

Platon hatte mit seinen Jüngern lange über den Menschen nachgedacht und dann die Definition aufgestellt, der Mensch sei ein federloses zweifüßiges Tier. Die Definition fand allgemeinen Beifall.

Als Diogenes davon hörte, besorgte er sich einen Hahn, rupfte ihm die Federn aus und brachte ihn Platons Schülern mit den Worten: »Hier habt ihr Platons Menschen.«

Platon hielt seine Definition trotzdem aufrecht, fügte aber künftig hinzu: »Mit platten Nägeln.«

Da Diogenes die Leidenschaftslosigkeit predigte sowie die Gleichgültigkeit gegen Reichtum, Ruhm, Ehre, Ehe, Familie und Politik, hielt er nicht viel von großen Männern. Alexander der Große bewunderte ihn deshalb und besuchte ihn in Athen.

Er traf Diogenes in seiner Behausung, dem Fass, in dem er ausruhte. Ob er ihm einen Wunsch erfüllen könne, fragte Alexander. Zu seiner Verwunderung nickte Diogenes und sagte: »Ja, geh mir aus der Sonne.«

Der philosophischen Aufklärung wegen scheute Diogenes vor nichts zurück. So ging er öfter auf den Marktplatz von Athen und onanierte. Als man ihn fragte, weshalb er das tue, sagte er: »Um zu beweisen, dass es gut wäre, wenn man sich seinen Bauch ebenso reiben könnte, um seinen Hunger zu stillen.«

Um die Großen von Athen zu ärgern, ging Diogenes häufig zu luxuriösen Gastmählern und beschimpfte die Anwesenden, sie seien goldwollige Schafe. Als er wieder einmal auf diese Weise Philosophie trieb, nannte man ihn einen Hund und warf ihm Knochen zum Fraß vor.

»Gut«, sagte Diogenes und bepisste die Gäste, »wenn ich essen soll wie ein Hund, kann ich mich auch benehmen wie ein Hund.«

Ein Priester wollte Diogenes von der Existenz der Götter überzeugen und verwies auf die Weihgeschenke, die Schiffbrüchige in Samothrake nach ihrer glücklichen Rettung den Göttern gemacht hatten. Angesichts dieser vielen Weihgeschenke, so meinte der Priester, könne man doch nicht mehr an der Existenz der Götter zweifeln.

»Und was beweist die Liste der Ertrunkenen?«, fragte der Philosoph.

Diogenes lebte von dem, was er auf dem Markte fand oder was er sich erbettelte. Eines Tages traf man ihn vor einer Bildsäule aus Stein, die er unausgesetzt um milde Gaben anflehte.

Was er damit bezwecke, fragten ihn Passanten, die dem Schauspiel beiwohnten.

»Ich übe mich in der Kunst«, antwortete Diogenes, »mir etwas abschlagen zu lassen.«

Ein Schüler Platons, der Schwierigkeiten mit der Grammatik hatte, besprengte sich in der Öffentlichkeit mit geweihtem Wasser, und Diogenes fragte ihn interessiert, was er damit bezwecke. Er wolle sich auf diese Weise von seinen Sünden reinigen, antwortete der Jüngling.

»Merkwürdig«, sagte Diogenes. »Glaubst du, dass deine Sünden gegen die Grammatik auf diese Weise auch weggehen?«

Die Hetäre Phryne wollte etwas für ihr Seelenheil tun und ließ in Delphi eine goldene Aphrodite als Weihgeschenk aufstellen. Natürlich wurde es angenommen.

Diogenes versah die Aphrodite deshalb mit der Inschrift: »Gestiftet und angenommen von dem liederlichen Griechenland.«

Henriette hatte mit der Aufmerksamkeit zugehört, die sich gebührt; nun stellte sie fest, wie sehr auch die Milde einer besonders milden Nacht beim Zuhören in Kühle umzuschlagen vermag. Jedenfalls wurde ihr kalt. Sie schmiegte sich also wieder enger an Robert an und sagte mit weicher Stimme: »Du begehst das entsetzliche Verbrechen, mich erfrieren zu lassen! Wollen wir nicht gehn?«

»Sofort«, stimmte Robert zu, drückte Henriette seinerseits eng an sich und verließ dann mit ihr die Estrade, nicht ohne mit ihr gemeinsam einen letzten Blick auf den friedlich schimmernden Teich geworfen zu haben. Beide gingen wieder auf den Parkweg zurück und folgten seinen Biegungen weiter. Sie hielten einen Augenblick ein, als sich im Gebüsch offenbar ein Tier ängstigte und leise piepte, aber dann sprangen sie – da Verliebte wie Kinder sind – mit einem gewaltigen Satz über eine acht Zentimeter breite Wasserrinne, die, eingemauert, den Parkweg kreuzte. Und genau an dieser Stelle machte Robert den Sprung von Athen nach Rom.

Und er erzählte, geistreich wie er war, zehn Anekdoten über Cicero.

Markus Tullius Cicero

Der Redner, Politiker und Philosoph Marcus Tullius Cicero unterhielt sich mit Crassus über Philosophie. Dieser galt als der reichste Mann Roms und war für seine Geldgier bekannt.

Er sei ein Anhänger der Stoiker, versicherte Crassus, weil nach ihrer Lehre die Tugendsamen reich seien.

»Und ich dachte schon«, sagte Cicero, »weil sie behaupten, den Weisen gehöre alles.«

Während einer Gerichtsverhandlung, an der Cicero teilnahm, fragte der Anwalt Pontilius in einer Rede theatralisch: »Was ist das für ein Mensch, der bei einem Ehebruch ertappt wird?«

»Ohne Zweifel ein langsamer«, rief Cicero.

Nach mehreren Jahren gemeinsamer Herrschaft brach zwischen Pompejus und Cäsar der offene Bürgerkrieg aus. Überall flüchtete man vor den herannahenden Armeen zu einem der beiden Prätendenten. Auch Cicero wurde gefragt, was er zu tun gedenke.

»Ich weiß wohl«, erwiderte er, »vor wem, aber nicht, zu wem ich fliehen soll.«

Im Senat hatte Cäsar den Antrag eingebracht, die Campanischen Ländereien an die Soldaten des Pompejus zu vergeben, mit dem er zu dieser Zeit noch gemeinsam die Macht ausübte. Ein Teil der Senatoren war empört, und der Älteste, der Greis Lucius Gellius, sprang erregt auf und schrie, solange er lebe, werde das nicht geschehen.

»Dann warten wir noch ein Weilchen«, sagte Cicero, der diesmal auf der Seite Cäsars war, »Gellius hat ja um keinen langen Aufschub gebeten.«

Cicero, der das Talent besaß, sich in allen Kämpfen der Großen immer auf die Seite des Verlierers zu schlagen, war nach einigem Zögern zu Pompejus gestoßen, der mit einer Tochter seines Widersachers Cäsar verheiratet war.

Pompejus fuhr ihn hart an: Es freue ihn zwar, dass er da sei, aber er müsse doch fragen, wo sich Ciceros Schwiegersohn Dolabella befinde.

»Bei deinem Schwiegervater Cäsar«, erwiderte Cicero.

Damasippus, der für seinen Geiz bekannt war, hatte zu einem Mahl gebeten und setzte seinen Gästen einen besonders sauren Wein vor. Diese verzogen das Gesicht, und Damasippus beeilte sich zu versichern, es handle sich um einen besonders edlen Tropfen, der bereits vierzig Jahre alt sei.

»Erstaunlich«, sagte Cicero. »Welch tüchtiger Wein! Dem konnte auch das Alter nichts anhaben.«

Ein amtierender Konsul war am letzten Tage seines Konsulats gestorben. Cäsar, der in diesen Dingen höchst willkürlich zu verfahren pflegte, vergab daraufhin das ledige Amt noch für wenige Stunden an seinen Günstling Caius Canininus Rebilus.

»Wir haben an Canininus einen sehr wachsamen Konsul gehabt«, sagte Cicero am nächsten Morgen. »Er hat während seiner Amtszeit auch nicht eine Minute geschlafen.«

Nach dem Sieg über Pompejus, der ihn zum alleinigen Diktator machte, ließ Cäsar die gestürzten Bildsäulen seines toten Gegners wieder aufrichten.

»Cäsar ist großzügig«, meinte Cicero dazu. »Er ehrt seinen Gegner, aber nicht ehe er ihn erschlagen hat.«

V