Über die Definition der Psychologie - Wilhelm Wundt - E-Book

Über die Definition der Psychologie E-Book

Wilhelm Wundt

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Beschreibung

Eine allgemeine Definition dessen, was eine bestimmte Wissenschaft sei, pflegt um so weniger für eine unerläßliche, vor aller Untersuchung zu erfüllende Forderung gehalten zu werden, je mehr man im Einzelnen über Ziele und Wege einig ist. Die Philologie, die Jurisprudenz, die Naturwissenschaften, ja selbst die mit besonderer Sorgfalt um die exakte Definition ihrer einzelnen Begriffe bemühte Mathematik verzichten entweder ganz auf eine solche oder begnügen sich mit irgend einer provisorischen Begriffsbestimmung, die für den Zweck der praktischen Arbeitsteilung zureicht.

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Über die Definition der Psychologie

Wilhelm Wundt

Inhalt:

Wilhelm Wundt – Biografie und Bibliografie

Über die Definition der Psychologie

I.

II.

III.

IV.

V.

A. Die drei Auffassungen des psychophysischen Parallelismus.

B. Die Aktualitätstheorie.

C. Der Voluntarismus.

Über die Definition der Psychologie, Wilhelm Wundt

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849625313

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Wilhelm Wundt – Biografie und Bibliografie

Namhafter Philosoph, geb. 16. Aug. 1832 zu Neckarau in Baden, verstorben am 31. August 1920 in Großbothen bei Leipzig. Studierte seit 1851 in Heidelberg, Tübingen und Berlin Medizin, habilitierte sich 1857 als Privatdozent für Physiologie in Heidelberg, erhielt 1865 eine außerordentliche Professur daselbst, ging 1874 als ordentlicher Professor der Philosophie nach Zürich und folgte 1875 einem Ruf nach Leipzig, wo er ein Institut für experimentelle Psychologie gegründet hat und leitet, nach welchem Muster viele ähnliche Institute eingerichtet worden sind. Als Physiolog wesentlich von Problemen des animalen Lebens angezogen, gewann W. durch seine Arbeiten über die dem Wollen, Empfinden und Erkennen dienenden und dasselbe bedingenden Nerven, Muskeln und Sinne eine solide Grundlage für die Spekulation auf psychologischem und erkenntnistheoretischem Gebiet, auf der er mit anerkanntem Erfolg weitergebaut hat und baut. Er gehört, wie Joh. Müller und Helmholtz, zu denjenigen Physiologen, die auf dem Boden exakt naturwissenschaftlicher Beobachtungen und Experimente dem philosophischen Postulat Kants nach Kritik unsrer Erkenntnismittel Genüge zu leisten streben. Als Philosoph hat er sich um die Einführung der induktiven Methode in bisher rein philosophische Wissenschaften (Logik, Ethik), insbes. aber um die Psychologie durch exakte Messungsversuche (z. B. der Zeit, deren ein Sinnenreiz bedarf, um zur Empfindung zu werden) verdient gemacht. Er vertritt in der Psychologie den Voluntarismus und betont besonders die Apperzeption; seine Metaphysik läuft auf Voluntarismus, wenn auch in andrer Weise als die Schopenhauersche, hinaus. In der Ethik lehrt er den Evolutionismus, wobei er einen Gesamtwillen anerkennt. Von seinen Schriften sind hervorzuheben: »Die Lehre von der Muskelbewegung« (Braunschw. 1858); »Beiträge zur Theorie der Sinneswahrnehmung« (Leipz. 1862); »Lehrbuch der Physiologie des Menschen« (Erlang. 1864. 4. Aufl. 1878); »Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele« (Leipz. 1863, 2 Bde.; 4. Aufl. in 1 Bd., Hamb. 1906; engl. von Creighton und Titchener, Lond. 1896); »Untersuchungen zur Mechanik der Nerven und Nervenzentren« (Erlang. 1871–76, 2 Tle.); »Die physikalischen Axiome und ihre Beziehung zum Kausalprinzip« (das. 1866); »Handbuch der medizinischen Physik« (das. 1867); »Grundzüge der physiologischen Psychologie« (Leipz. 1874; 6. Aufl. 1908, 3 Bde.; Gesamtregister von Wirth, 1903); »Über die Aufgabe der Philosophie in der Gegenwart« (das. 1874); »Über den Einfluß der Philosophie auf die Erfahrungswissenschaften« (das. 1876); »Logik« (Stuttg. 1880 bis 1883, 2 Bde.; 3. Aufl. 1906–07); »Essays« (Leipz. 1885, 2. Aufl. 1906); »Ethik« (Stuttg. 1886; 3. Aufl. 1903, 2 Bde.); »System der Philosophie« (Leipz. 1889; 3. Aufl. 1907, 2 Bde.); »Grundriß der Psychologie« (das. 1896, 8. Aufl. 1907; engl. von Judd, 3. Aufl. 1907); »Völkerpsychologie«, Bd. 1: Die Sprache (1. u. 2. Teil, Leipz. 1900; 2. Aufl. 1904), Bd. 2: Mythus und Religion (1905–06, 2 Tle.); »Einleitung in die Philosophie« (das. 1901, 4. Aufl. 1906). Auch gab er von 1883–1902 »Philosophische Studien« (Leipz.) heraus, welche Arbeiten Wundts (z. B. »Über die Messung psychischer Vorgänge«, »Über die Definition der Psychologie«, »Über naiven und kritischen Realismus«) und seiner Schüler hauptsächlich zur experimentellen Psychologie und Erkenntnislehre enthalten. Seit 1905 gibt er »Psychologische Studien« heraus, in denen die experimentelle Psychologie in rein theoretischem Interesse gepflegt wird. Sein Bildnis s. Tafel »Deutsche Philosophen II«. Vgl. Vannérus, Vid studiet at Wundts psykologi (Stockh. 1896); König, Wilhelm W., seine Philosophie und Psychologie (Stuttg. 1900); Eisler, Wundts Philosophie und Psychologie in ihren Grundlehren (Leipz. 1902) und die Festschrift zum 70. Geburtstag Wundts (Bd. 19 u. 22 der »Philosophischen Studien«, das. 1902).

Über die Definition der Psychologie

I.

 Eine allgemeine Definition dessen, was eine bestimmte Wissenschaft sei, pflegt um so weniger für eine unerläßliche, vor aller Untersuchung zu erfüllende Forderung gehalten zu werden, je mehr man im Einzelnen über Ziele und Wege einig ist. Die Philologie, die Jurisprudenz, die Naturwissenschaften, ja selbst die mit besonderer Sorgfalt um die exakte Definition ihrer einzelnen Begriffe bemühte Mathematik verzichten entweder ganz auf eine solche oder begnügen sich mit irgend einer provisorischen Begriffsbestimmung, die für den Zweck der praktischen Arbeitsteilung zureicht.  Dieses Verfahren hat seine guten Gründe. Erstens sind die wirklichen Grenzen der einzelnen Wissenschaftsgebiete zunächst aus praktischen Motiven entstanden, so dass eine ein für allemal gültige Unterscheidung nicht nur schwierig, sondern manchmal unmöglich ist. Zweitens aber setzt eine exakte Begriffsbestimmung im allgemeinen schon eine so umfassende Kenntnis des Gegenstandes voraus, dass sie eigentlich erst auf Grund der eingehenden Untersuchung desselben gegeben werden kann und, wenn sie erschöpfend sein sollte, in einer Wiederholung der wesentlichsten Ergebnisse dieser Untersuchung bestehen müßte.  Dies verhält sich nun anders bei solchen Gebieten, in denen man schon innerhalb der Einzeluntersuchungen über die Aufgaben, die zu lösen, und über die Methoden, die anzuwenden sind, unsicher ist, und wo daher eine Verschiedenheit der Richtungen besteht, die für den ganzen Inhalt der Wissenschaft maßgebend wird. Hier ist es nicht bloß begreiflich, sondern auch wünschenswert, dass vor allen Dingen der Standpunkt, den man in der Beurteilung der Probleme einnimmt, in einer Definition des Gegenstandes zum Ausdruck gebracht werde. In die Reihe dieser Gebiete gehört in erster Linie die Philosophie; und im gleichen Falle wie sie befinden sich natürlich alle diejenigen Disziplinen, die von philosophischen Richtungen in entscheidender Weise beeinflußt sind.  In der Psychologie, von der wohl heute nicht mehr bestritten werden kann, dass sie auf dem Wege ist, sich aus einem Teilgebiet der Philosophie in eine selbständige positive Wissenschaft umzuwandeln, hat diese ihre Übergangsstellung einen charakteristischen Ausdruck darin gefunden, dass im selben Maße, wie die älteren spekulativen Richtungen auf eine grundlegende Definition ihres Gegenstandes einen entscheidenden Wert legten, in der neueren empirischen Psychologie eine solche meist entweder durch die Hinweisung auf die Aufgabe einer Analyse der Entstehung der Erfahrung überhaupt oder aber durch eine provisorische Begriffsbestimmung nach Analogie der Definitionen naturwissenschaftlicher Gebiete ersetzt worden ist. Den ersten dieser Standpunkte nimmt Locke mit der an ihn sich anschließenden empirischen Psychologie der Engländer ein, wobei zugleich die Auffassung der Psychologie als einer allgemeinen Theorie der Erfahrung auf der hier noch mangelnden Sonderung von der Erkenntnistheorie beruht. Der Gesichtspunkt der provisorischen Begriffsbegrenzung ist hauptsächlich in der neueren experimentellen Psychologie und im Anschlusse an die bloß praktisch-empirische Bedeutung, die das Wort "Seele" in ihr eingenommen hat, vorherrschend. Die konkreten psychischen Vorgänge, Empfinden, Fühlen, Vorstellen, Wollen usw., wie sie schon in der vorwissenschaftlichen Erfahrung als zusammengehörige aufgefaßt werden, gelten hier als der Inhalt des empirischen Begriffs Seele, und die Psychologie erhält daher die Aufgabe, den Zusammenhang dieser nicht näher zu definierenden, aber uns Allen unmittelbar aus der Erfahrung bekannten "Bewußtseinstatsachen" zu untersuchen. Es ist begreiflich, dass namentlich populäre und propädeutische Werke sich mit einer solchen praktischen Gebietsabgrenzung zu behelfen suchen.

 Läßt sich nun aber auch diesem Gesichtspunkte, insofern er in der Gewohnheit der übrigen positiven Wissenschaften sein logisches Vorbild hat, seine Berechtigung nicht absprechen, so muß doch auf der andern Seite zugestanden werden, dass sich die Psychologie vermöge ihrer vor kurzem erst eingetretenen und noch nicht einmal überall zur Anerkennung gelangten Loslösung von der Philosophie in einer eigentümlichen Lage befindet. Teils liegt die positiv wissenschaftliche Richtung in ihr immer noch im Streit mit Nachwirkungen und Erneuerungsversuchen älterer spekulativer Systeme; teils aber und mehr als dies üben – eine begreifliche Nachwirkung der so lange bestandenen Verbindung – noch auf Vertreter der ersteren Richtung philosophische Anschauungen einen mehr als wünschenswerten Einfluß aus. Den Untersuchungen eines Physikers oder selbst eines Physiologen, sofern er sich nur auf sein eigenes Gebiet beschränkt, wird man nicht leicht anmerken, was etwa seine philosophischen Überzeugungen seien. Der Psychologe, auch wenn er verspricht unter empirischer Flagge zu segeln, verfehlt selten schon auf den ersten Seiten seines Werkes sein metaphysisches Glaubensbekenntnis abzulegen. Diese Umstände machen es aber selbst für denjenigen, der die Psychologie vor solchen metaphysischen Antizipationen bewahrt sehen möchte, wünschenswert, den eigenen Standpunkt von vornherein kenntlich zu machen. Auch ohne sich auf eine Definition einzulassen, die den Resultaten vorausgreift, bleibt es doch immer möglich, den Ausgangspunkt der Untersuchung und den zunächst einzuschlagenden Weg zu bezeichnen. Eine Begriffsbestimmung in diesem Sinne wird aber namentlich dann notwendig, wenn sich Richtungen geltend machen, die jenen Ausgangspunkt anders bestimmen und die in Folge dessen abweichende Wege verfolgen.

II.

 So lange sich die Psychologie in direkter Abhängigkeit von irgend einem metaphysischen Systeme wußte und sich als wesentlichen Bestandteil eines solchen betrachtete, ging die vorherrschende Anschauung dahin, dass es der Gegenstand ihrer Beobachtungen sei, der sie von anderen Erfahrungswissenschaften scheide. Die seit Descartes vorherrschenden dualistischen Systeme, denen Leib und Seele als verschiedene, nur äußerlich an einander gebundene Substanzen galten, forderten ohne weiteres eine solche Betrachtungsweise heraus. Mit den unterscheidenden Definitionen, die man von Seele und Körper aufstellte, waren dann unmittelbar auch die verschiedenen Gegenstände bezeichnet, mit denen sich die Psychologie auf der einen, die Naturwissenschaft auf der anderen Seite zu beschäftigen habe. Man könnte es auffallend finden, dass die Leibniz'sche Monadologie mit, den zahlreichen aus ihr hervorgegangenen oder in ihrem Sinne unternommenen Versuchen, jenen Dualismus zu beseitigen, hieran nichts geändert hat. Doch erklärt sich dies daraus, dass die hier geltend gemachte Lehre von der metaphysischen Wesensgleichheit der Substanzen immerhin die Vorstellung, jede individuelle Seele sei eine besondere, von andern realen Wesen, insbesondere denen ihres eigenen Körpers verschiedene Substanz, ruhig fortbestehen ließ. Dazu kam, dass sich der Gradunterschied, den man hier zwischen den Seelen und den sonstigen Substanzen annahm, in den psychologischen Anwendungen, bei denen sich die abstrakte Höhe metaphysischer Betrachtungen nicht wohl festhalten ließ, doch unwillkürlich wieder in einen Wesensunterschied umwandelte. Demgemäß wird denn noch heute in den psychologischen Werken der Herbart'schen Schule ebensogut wie in denen anderer metaphysischer Richtungen die Psychologie als eine Wissenschaft definiert, die es mit einem durchaus eigenartigen Gegenstande zu tun habe, womit denn ihre Scheidung von andern Gebieten, die sich mit andern Gegenständen beschäftigen, von selbst gegeben ist. Wo die psychologischen Systeme dieser Richtung erklären, dass auch sie von der Erfahrung ausgehen, da tritt höchstens insofern eine kaum wesentliche Modifikation ein, als man zunächst auf irgend welche empirisch gegebene Merkmale des psychischen Geschehens hinweist, von denen aber sofort angedeutet oder ausdrücklich hervorgehoben wird, dass sie Merkmale eines spezifischen Gegenstandes seien. So liest man z. B. bei Volkmann, das Problem der Psychologie sei "die Erklärung der psychischen Phänomene, d. h. die Zurückführung der allgemeinen Klassen der bloß zeitlichen Erscheinungen unserer Innenwelt auf das ihnen zu Grunde liegende wirkliche Geschehen und die Aufstellung der Gesetze, denen gemäß jene aus diesen hervorgehen." Hier sind augenscheinlich zwei empirische Merkmale als die den psychischen Phänomenen eigentümlichen aufgeführt. Diese sollen erstens "bloß zeitlich" sein, und sie sollen zweitens der "Innenwelt" angehören, d. h. doch wohl: sie sollen weder unter Beteiligung der äußeren Sinne zu Stande kommen, noch auf äußere Objekte bezogen werden. Dass diese Merkmale empirisch stichhaltig seien, wird kein Unbefangener zugeben. Man muß offenbar schon sehr daran gewöhnt sein, unsere Vorstellungen im Lichte der metaphysischen Theorie Herbart