Über Gott und die Welt - Michael Horowitz - E-Book

Über Gott und die Welt E-Book

Michael Horowitz

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Beschreibung

Inspirierende Persönlichkeiten im Gespräch über die Fragen des Lebens  Michael Horowitz und Mira Ungewitter sind ein ungewöhnliches Gesprächspaar und sich doch zugetan. Der Agnostiker Horowitz, Fotograf und Schriftsteller, hat sein Leben lang den Austausch mit Vertretern der christlichen Kirche gesucht und gepflegt. Die studierte Theologin und praktizierende baptistische Pastorin Ungewitter ist eine passionierte Reisende, die sich für eine liberale und progressive Kirche einsetzt. In diesem Buch treten die beiden in einen Dialog auf Augenhöhe.  - Michael Horowitz und Mira Ungewitter diskutieren "Über Gott und die Welt" - Agnostizismus und Glaube: Provokante Fragen und unkonventionelle Antworten - Im Spiegel von Religion und Philosophie: Aktuelle gesellschaftliche Probleme - Big-Talk statt Small-Talk über philosophische Fragen: Offen, tabulos und ehrlich - Mit einfühlsamen s/w-Fotografien von Horowitz und Ungewitter an bedeutsamen Orten   Tiefgründiger Gedankenaustausch zu den Herausforderungen unserer Zeit  Horowitz und Ungewitter stellen einander die Fragen, die wir in jedem Small Talk tunlichst umgehen. Es geht um bewegende Momente im eigenen Leben, um Familiengeschichte und wie sie die nächste(n) Generation(en) prägt. Vor allem aber geht es in ihrem Dialog darum, mit welcher Haltung jede:r den vielschichtigen Fragestellungen unserer Zeit begegnet und wie wir eine positive Lebenseinstellung für das eigene Leben finden. Es ist eine Freude zu sehen, dass dieses 'Streitgespräch' auf beiden Seiten von einem echten Erkenntnisinteresse getragen ist, dem wir Lesende mit Gewinn folgen können.

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Inhalt:

Ein Buch, das berührt und bewegt.

Michael Horowitz und Mira Ungewitter – zwei Menschen aus gegensätzlichen Lebenswelten begegnen einander.

Provokante Fragen und unkonventionelle Antworten bestimmen die hitzigen Dialoge über Freude und Angst, Glaube und Hoffnung, Liebe und Leid, Krieg und Frieden.

Big-Talk statt Small-Talk.

Michael HorowitzMira Ungewitter

Über Gott und die Welt

Begegnungen eines alten Agnostikers mit einer jungen Pastorin

Mitarbeit:Angelika Horowitz

Michael Horowitz, geboren 1950 in Wien, ist Fotograf, Journalist, Schriftsteller und Verleger. Zahlreiche in- und ausländische Auszeichnungen, darunter das Große Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich oder der „Prix de la Jeunesse“ bei den Filmfestspielen in Cannes. Er ist Autor von Biografien, u. a. über H. C. Artmann, Leonard Bernstein, Heimito von Doderer, Karl Kraus, Otto Schenk und Helmut Qualtinger. Zuletzt bei Ueberreuter erschienen: „Legenden. Menschen, die Österreich bewegten“.

Mira Ungewitter, 1985 geboren, studierte Theologie an der Universität Bonn und an der Theologischen Hochschule Elstal. Sie ist baptistische Pastorin und seit 2015 bei der „projekt:gemeinde“ in Wien. Sie setzt sich für eine liberale und progressive Kirche ein, ist Mitglied im feministischen Frauennetzwerk Sorority und war Dozentin für das Neue Testament. Außerdem ist sie immer wieder Ansprechpartnerin für theologische Fragen in den Medien, u. a. im ORF, Sat1, in „Die Zeit“, „Die Presse“ u. v. m.

1. Auflage 2023

© Carl Ueberreuter Verlag, Wien 2023

ISBN 978-3-8000-7832-5 (print)

ISBN 978-3-8000-7840-0 (e-book)

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Covergestaltung: Saskia Beck, s-stern.com

Cover- und Innenfotos: © Barbara Wirl, wirlphoto.at

Satz: Gabi Schwabe, grafik design

Konvertierung: bookwire.de, Frankfurt/Main

www.ueberreuter.at

Inhalt

Vorwort: Göttliche Momente

Vorwort: Die Wahrheit liegt im Dialog

Katholische Herren und Pasta-asciutta-Berge

Halluzinationen und ein 25 000-Schilling-Scheck

Fromme Floskeln und billiger Trost

Mit beiden Beinen durchs Leben tanzen

Gemeinsam essen, trinken und Leben teilen

Dahinsegeln auf wohligen Glaubenswellen

Wenn göttliche Momente aufploppen

Im Reich des Imaginären

Religion als Opium des Volkes?

Apfelbäume und Kinder in die Welt setzen

Das Leben als ewiges Wunder

Vorwort

Göttliche Momente

Michael Horowitz

„Viel Erfolg wünsche ich Ihnen durch die Hilfe von oben“ – ein handgeschriebener Weihnachtsbrief von Kardinal König, der seit vielen Jahren eingerahmt über dem Schreibtisch eines Agnostikers hängt. Über meinem Schreibtisch.

Eine kostbare Erinnerung von einer Autorität und Integrationsfigur Österreichs, einer moralischen Instanz des 20. Jahrhunderts. Seine Plädoyers für eine humane Asylpolitik wie 1993 der Aufruf gegen Ausländerfeindlichkeit vor 300 000 Menschen beim „Lichtermeer“ am Wiener Heldenplatz bleiben in Erinnerung.

Ich durfte Kardinal Franz König immer wieder begegnen. Auch in außergewöhnlichen Situationen. Um ihn zu fotografieren, wie bei seinem wöchentlichen Fitnesstraining im Swimmingpool der Ordensschwestern in Ober St. Veit, oder um ihn zu begleiten, wenn er – immer am Mittwoch – vom Kahlenbergerdorf aus auf den Leopoldsberg spazierte. Einmal fragte ich ihn, ob er im dunklen Wald „mutterseelenallein“ nicht ängstlich sei. Kardinal Königs Antwort: „Man kann der Angst gegenübertreten, bis sie nachgibt und verschwindet.“

In unseren Gesprächen versuchte er nie, mich von der Existenz Gottes zu überzeugen: „In der Religion gibt es keine Beweise wie in der Mathematik. Es gibt gute Gründe für den Glauben, aber letztlich muss jeder selbst entscheiden.“

Auch mit dem rebellischen Theologen Adolf Holl habe ich immer wieder das Gespräch gesucht. Mehr als zwanzig Jahre lang war er katholischer Priester, bevor er es wagte, kirchliche Tabuthemen wie Sexualität und Zölibat öffentlich anzusprechen. Was er sagte und in Büchern wie im Bestseller „Jesus in schlechter Gesellschaft“ schrieb, sorgte bei vielen Gläubigen für Unverständnis, für Entsetzen. Schließlich wurde der „Kirchenrebell“ vom Priesteramt suspendiert. Seine offene Art, über verpönte Themen der katholischen Kirche zu sprechen, hat mich immer schon fasziniert.

Jahre später suchte ich Kontakt zu einer anderen charismatischen Kirchenpersönlichkeit. Zu Leopold Ungar, der wie Kardinal König ein Leben lang für Verständnis und Toleranz im Umgang mit gesellschaftlichen Randgruppen kämpfte. Der Sohn eines jüdischen Weingroßhändlers – der 1935 nach der Promotion und Taufe in das Wiener Priesterseminar eintrat – baute als kämpferischer Präsident die Caritas von der „Tee- und Suppenküche für Arme“ in fast vier Jahrzehnten zu einem Imperium der Nächstenliebe aus. Hunderttausenden in Not geratenen Menschen wurde geholfen. Unabhängig von sozialem Status, Staats- oder Religionszugehörigkeit.

Bereitwillig und voller Verve erzählte mir Leopold Ungar Mitte der 1980er-Jahre für mein Buch über Karl Kraus von seinen Begegnungen mit dem Satiriker. Für Ungar ist Kraus – der sich nicht ganz uneitel selbst als „Hohepriester der Wahrheit“ bezeichnete – ein Idol. Im Alter von 16 Jahren besuchte Ungar das erste Mal eine Karl-Kraus-Lesung. Im Dezember 1930 lernte der 18-Jährige den bissigen Sprachkünstler persönlich kennen. Danach, bis zum Tod von Karl Kraus, trifft man sich sechs Jahre lang immer wieder, um Gedanken über Gott und Humanität, Krieg und Korruption auszutauschen.

Als ich 1989 das Magazin „freizeit“ gründete, fragte ich Leopold Ungar, ob er eine Kolumne schreiben wolle. Er sagte spontan zu und verfasste jahrelang Woche für Woche einen Beitrag für unser Magazin. Schon damals unter dem Titel „Über Gott und die Welt“.

Später habe ich immer wieder das Gespräch mit einem höchst emotionellen Jesuiten gesucht. Mit Georg Sporschill, der als junger Kaplan in Wien-Lainz drogensüchtige, obdachlose und strafentlassene Jugendliche betreute. In einem Haus, das ihm Leopold Ungar zur Verfügung stellte. Danach versuchte Sporschill, das Leid der Straßenkinder in Rumänien und Bulgarien zu minimieren. Und ihnen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Sein Lebensmotto aus dem Talmud „Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt“ ist mir noch heute im Gedächtnis. Doch auch Georg Sporschill konnte mich nie von der Existenz Gottes überzeugen.

Die Kindheit, die Gespräche mit meinem Vater haben mich nie losgelassen. Denn mein ungläubiger Vater erklärte mir schon früh, dass die Existenz eines Gottes zwar angenommen werden kann, aber für ihn nicht zu erkennen ist. Bis zu seinem frühen Tod im Alter von 56 Jahren blieb er überzeugter Agnostiker.

Mein jüdischer Vater, der Sohn einer Schneiderin und eines fahrenden Händlers, der in einem staubigen „Schtetl“ in Galizien, im äußersten Nordosten der eben zusammengebrochenen Donaumonarchie, zur Welt kam, erlebte während der Nazidiktatur eine Odyssee: 1938 flüchtete Oscar mit seiner Schwester Josefine über die Schweiz nach Frankreich, wo er einige Jahre im Untergrund überlebte.

1942 heuerte er in Marseille als „Freiwilliger“ bei der Fremdenlegion an. Es ist fast die einzige Chance für einen jüdischen Flüchtling, ohne Ausweispapiere zu überleben. In Marokko musste mein schmächtiger Vater Straßen errichten. Rund um die Königsstadt Fès und im Atlasgebirge bei Temperaturen von manchmal fast 50 Grad. Als Mitglied des RMVE – Régiment de Marche de Volontaires Etrangers, des „23. Fremdenmarschregiments“. 1944 desertierte Oscar Horowitz von der Fremdenlegion und schlug sich bis Paris durch, wo er das Ende des Krieges erlebte.

Als überzeugter Österreicher kehrte er sofort nach Wien zurück. Es fiel ihm, einem introvertierten Menschen, nicht leicht, meine Fragen nach unserer Familiengeschichte zu beantworten. Wie so viele verdrängte er die Erinnerungen an die grauenhafte Diktatur der Nationalsozialisten. Doch manchmal sprach er von seinen Ängsten. Von Schande, Schmach und Schikanen, die seine Familie und er erdulden mussten.

Meine Mutter Luise stammte aus einem biederen Berliner Mittelstandsmilieu. Protestantisch strenges Umfeld. Der ganze Stolz der Familie Hembach war, dass sie einen Kapitän als Vorfahren hatte. Nach dem Tod der Eltern schickte die Großmutter die 16-jährige Luise allein in das Wien der Nachkriegszeit. Zu Tante Mizzi.

Am Westbahnhof wurde meine Mutter, ein scheues, zartes Mädchen, abgeholt. Von der Tante und ihren treuen Begleitern Leo und Lilly. Den beiden Königspudeln. Grau, keifend und unerzogen. Tante Mizzi war eine walkürenhafte Erscheinung, Besitzerin einer „Puppenklinik“ in der Schönbrunner Straße. Einer wunderbaren Welt für Kinder, aber auch für ältere Damen, denen ihre Sammlung von „Kruse“- und „Schildkröt“-Puppen letzte Lustgefühle vermittelt.

Nach drei Jahren in Wien, in denen meine Mutter die Modeschule Michelbeuern absolvierte, erlaubte ihre Tante „Luischen“ erstmals, am Sonntagnachmittag allein in die Stadt zu fahren: Im Volksgarten liegt Musik in der Luft. Beim Fünfuhrtee mit Horst Winter, der Lieder zum Träumen, Melodien, die kleine Zärtlichkeiten erlauben, trällert. Wie seinen Evergreen „Ein kleiner Bär mit großen Ohren, der hat’s mir angetan“.

Bei diesem Lied lernt Luise in einem hübschen, selbst genähten Cocktailkleid am hintersten Tisch beim Rosenrondeau einen mehr als zehn Jahre älteren Mann kennen. Meinen Vater. Scheuer Blickkontakt. Der erste Tanz. Das erste gemeinsame Glas „Dürnsteiner Katzensprung“. Der zweite Tanz. Das erste zarte Busserl. Wenige Monate später heiraten meine Eltern. Im Dezember 1950 komme ich zur Welt.

Viele Jahre später lese ich ein Zitat von Albert Einstein. Seit damals verstehe ich meinen Vater: „Es ist wie bei einem kleinen Kind, das in eine riesige Bibliothek eintritt. Es weiß, dass jemand die Bücher geschrieben hat. Es weiß aber nicht, wie das geschah. Es versteht die Sprache nicht, in der sie geschrieben wurden. Das Kind erahnt dunkel eine mysteriöse Ordnung in der Zusammenstellung der Bücher, weiß aber nicht, was es ist. Das ist nach meiner Meinung auch die Einstellung des intelligentesten Menschen gegenüber Gott.“

Ein Interview mit einer jungen Pastorin aus Köln, die in Wien lebt, machte mich vor einigen Monaten neugierig. Ihre Antworten überraschten mich. Da war nichts von kirchlichem Klüngel, vom Versuch, Ungläubige von Gott zu überzeugen, zu erkennen. Offen sprach Mira Ungewitter – was für ein vielversprechender Name – über Probleme der Kirche. Die Idee für dieses Buch entstand. Wir wollen „über Gott und die Welt“ sprechen.

Bereits bei unserem ersten Treffen, nach zwei, drei Gläsern Wein, spürten wir, wir können miteinander: „Der alte Agnostiker und die junge, freiheitliebende Pastorin“, wie es der Verlag treffend formulierte.

Für Mira Ungewitter bedeutet das Leben Freiheit. Sie will ihre Unabhängigkeit genießen und sich jeden Tag neu herausfordern lassen. Die junge, unternehmungslustige Frau träumt als Pastorin von einer liberalen Kirche, in der Platz für kritische Fragen und revolutionäre Ideen ist. Sie hält Zweifel bis hin zum Verzweifeln am Glauben für normal und notwendig.

Um der Enge ihrer deutschen Heimat zu entfliehen, um ihren Horizont zu erweitern, unternahm sie früh Reisen in die Welt. In Honduras arbeitete sie als Tellerwäscherin auf dem Schiff „Carribean Mercy“, einem schwimmenden Krankenhaus, und wird 15 Jahre später Pastorin.

Mira Ungewitter und ich. Zwei Menschen verschiedener Generationen, aus völlig gegensätzlichen Welten, mit unterschiedlichen Lebensgeschichten, begegnen einander. Eine Pastorin und Feministin im Gespräch mit einem Zweifler. Eine junge Frau mit beeindruckender Präsenz, die viele Antworten auf Fragen, die unser Leben bestimmen, hat. Erstaunlich ehrlich antwortet sie auf die Fragen eines Menschen, der nicht von der Existenz Gottes überzeugt ist.

Mira und ich, wir lieben beide das Leben und die Menschen. Und bleiben immer skeptisch. Jeder auf seine Weise. Durch unsere Gespräche, unsere Diskussionen – auch durch Meinungsverschiedenheiten – sind wir Freunde geworden.

Die junge Pastorin scheut keine Fragen. Auch nicht jene, die Atheisten, die Agnostiker, die ich ihr stelle: „Oft hört man von Geistlichen: ‚Nichts geschieht ohne Gottes Willen.‘ Wenn man diesen fragwürdigen Satz ernst nimmt, dann muss man Gott an den Holocaust erinnern. An all die Kriege der Welt. An all die tyrannischen Diktatoren. Und daran, dass mehr als 800 Millionen Menschen hungern und alle 13 Sekunden ein Kind unter fünf Jahren an Hunger stirbt.“

Unser gemeinsames Buch versucht, Dingen auf den Grund zu gehen. In Gesprächen „über Gott und die Welt“. Auch über aktuelle gesellschaftliche Probleme: Wie über die Pandemie, die unser Leben dramatisch beeinflusst hat: Angst, Ratlosigkeit dominierten und der Kontakt der Familien war kaum mehr möglich.

Durch die Auswirkungen des Krieges von Putin gegen die Ukraine ist das Sicherheitsgefühl abhandengekommen. Die mögliche nukleare Eskalation des Ukraine-Krieges bedroht ganz Europa. Und die Menschen leiden auch bei uns unter wirtschaftlichen Katastrophen. Wenn ein Familienvater nicht mehr weiß, wie er seine Familie ernähren soll, oder eine alleinerziehende Supermarkt-Kassiererin, wie sie ihre Wohnung heizt, kann man nicht mehr von einer Krise sprechen, sondern das ist eine wirtschaftliche Katastrophe. Wie kann man dramatischen Lebenssituationen begegnen?

Die Klimakrise schlägt immer größere Wellen, ihre Auswirkungen sind weltweit zu spüren. Beängstigende Wettersituationen wie Hitzerekorde, Dürre und Überschwemmungen – in der australischen Stadt Brisbane fielen in nur drei Tagen über 670 Liter Regen pro Quadratmeter, mehr als in Wien während des ganzen Jahres – sind dramatisch wie nie zuvor. Wann werden die Menschen endlich wachgerüttelt? „Hier stehen wir, die klügste Tierart, die jemals gelebt hat. Wie können wir also den einzigen Planeten zerstören, den wir haben?“, fragt die Verhaltensforscherin Jane Goodall.

Kann Glaube den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken? Was gibt uns persönlichen Halt? Wie vermittelt man der ängstlichen, psychisch oft belasteten „Generation Z“, dass nicht alles gleichgültig ist? Jenen jungen „Post-Millennials“, die überzeugt sind, dass „die Träume der Älteren nur selten Realität werden“.

Dieses Buch entstand nach vielen mehrstündigen – oft auch bewegenden – Gesprächen. Über die Fragen des Lebens. In einem offenen und ehrlichen Wortwechsel. Voller Leidenschaft. Ohne Tabus. Provokante Fragen und unkonventionelle Antworten bestimmen die Dialoge über Himmel und Erde, Freude und Angst, Liebe und Leid, Tränen und Trost, Glaube und Hoffnung, Staunen und Zweifel, Gier und Gewalt, Einsamkeit und Geborgenheit, Demut und Ignoranz, Altern und Sterben, Tod und Auferstehung. Über Krieg und Katastrophen, über die Welt, die sich bedrohlich verändert – und wie wir trotzdem gut in ihr überleben können.

Wenn Mira immer wieder von „göttlichen Momenten“ schwärmt, dann weiß ich, was sie meint. Auch ohne an Gott zu glauben.

Vorwort

Die Wahrheit liegt im Dialog

Mira Ungewitter

Michael Horowitz bereitet zwei Kaffees zu. Ich schaue auf das signierte Schwarz-Weiß-Foto von Arnold Schwarzenegger. Oberkörperfrei im Café Hawelka. Das Bild hängt gegenüber vom Esstisch, an dem wir die Gespräche für dieses Buch führen. Das Foto hat Michael Horowitz in den 1970er-Jahren, in seinem sogenannten ersten Leben, als junger Fotograf aufgenommen. Die Kaffeetasse wirkt in den Händen des damaligen Mr. Universe wie von einem Puppengeschirr.

Schwarzenegger war damals in Wien und Michael dachte sich, es wäre doch lustig, den Bodybuilder in dem berühmten Künstlercafé ohne Hemd zu porträtieren. Gesagt. Getan.

Vielleicht ist es genau dieses Motto, das auch dazu geführt hat, dass ich nun als Pastorin hier sitze. Ich muss lächeln. Nicht ganz so breit wie Arnold. Aber dennoch. Gesagt. Getan.

Der alte Agnostiker und die junge Frau Pastorin wollen über Gott und die Welt reden. So wie Michael sich selbst bezeichnet. Das ist die Idee des Projekts. Ein außergewöhnliches, wie ich finde, während ich mein schwarzes Notizbuch aus der Tasche krame und nun ebenfalls eine Tasse Kaffee in den Händen halte.

Ich schlage mein Notizheft auf, in dem ich im Vorfeld Fragen, Ideen und Zitate notiert habe: „Die Wahrheit liegt im Dialog“ steht auf der ersten Seite. Die Worte des österreichisch-israelisch-jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber schossen mir sofort durch den Kopf, als Michael mir die Idee für dieses Buchprojekt vorschlug.

Auslöser war ebenfalls ein Dialog oder, moderner gesprochen, ein Podcast-Interview. Die Zeitung „Die Presse“ fragte mich im Frühjahr 2022: „Karfreitag im Krieg. Warum noch an Gott glauben, Mira Ungewitter?“

Eine schwer(e)gewichtige Frage!

Ich saß damals bei meinem Freund in Marburg mit Blick aus einem nebligen Fenster. Ich führte dieses Gespräch in der Hoffnung, Worte zu finden, die keinen billigen Trost versprachen. Keine frommen Floskeln. Keine pastorale Vertröstung auf jenseitige Zeiten zu verklausulieren. Gleichzeitig wollte ich dennoch an die Zuversicht, an die „Trotz-Kraft“ appellieren.

Zu diesem Zeitpunkt weiß ich noch nicht, dass das Jahr 2022 auch für mich zum schwersten Jahr meines bisherigen Lebens werden wird.

So folgte auf Karfreitag auch in diesem Jahr wieder Ostern. Was übersetzt so viel wie „Morgenröte“ bedeutet. Und nach Ostern folgt ein Anruf: „Michael Horowitz am Apparat. Haben Sie meine E-Mail bekommen?“

Ich überlege kurz, ob es eine gute Idee war, ans Handy zu gehen, obwohl ich die Nummer nicht kannte. Als Pastorin, die gelegentlich öffentlich in Erscheinung tritt, kommt es schon vor, dass man mir mal mehr, mal weniger nettes, ungefragtes Feedback zukommen lässt. Da ich in der letzten Zeit mein E-Mail-Postfach sträflich vernachlässigt habe, denke ich kurz nach. „Ich glaube nicht.“

Und in der Tat stelle ich später fest, dass die Mail im Spam gelandet ist.

Gott sei Dank hat es dann doch noch funktioniert. Michael schlägt mir ein gemeinsames Projekt vor und wiederholt nochmal seinen Nachnamen, den ich mir schnell notiere. Nach einer kurzen Google-Recherche lese ich: Fotograf. Autor. Verleger. Bühnenmensch. Ich bin beeindruckt. Nicht direkt wegen des Erfolgs, sondern weil ich das einfach spannend finde. Mir fällt der Rat eines meiner Professoren wieder ein, der uns Nachwuchs-Theolog*innen empfahl: „Umgeben Sie sich mit Künstler*innen in Ihrem Leben. Die werden Sie verstehen.“

Damals habe ich nicht ganz verstanden, was er meinte. Heute glaube ich zu wissen, was er meinte und wofür dieses Buch hoffentlich auch ein Beleg ist. Vielleicht ist das diese unsere Gemeinsamkeit: einen ähnlichen, wenn auch unterschiedlichen Blick auf die Welt zu haben. Oder besser gesagt: zu suchen.

Aber machen Sie sich während der Lektüre selbst ein Bild davon, ob diese These stimmt.

Es folgt eine Verabredung. Gutes Essen. Kalter Weißwein und eine fabelhafte Idee. Ich glaube, dass Wein und fabelhafte Ideen ohnehin enge Verbündete sind. Bedauerlicherweise wird die jesuanische Fähigkeit, Wasser in Wein zu verwandeln, nicht an den theologischen Fakultäten gelehrt. Das wäre göttlich. Vielleicht ja zu göttlich.

Michael unterbreitet mir seine Idee und es ist exakt das, worauf ich gehofft habe: Wir schreiben beziehungsweise „sprechen“ gemeinsam ein Buch.

Konkret bedeutet dies, dass wir uns zu mehreren Gesprächen treffen und eben über „Gott und die Welt“ reden.

„Sola experentia facit theologium.“ Allein die Erfahrung macht die Theologie. Hat ein kluger Mensch einmal gesagt. Ich würde behaupten, dies trifft auf fast alle Überzeugungen zu. Religiöse wie nicht religiöse Prägungen.

Ich als Kind einer frommen baptistischen Mutter mit ostpreußischen Wurzeln und eines agnostischen Vaters, der katholisch getauft wurde. Michael als Sohn eines jüdischen Vaters und einer evangelischen Mutter.

Egal, ob wir die Überzeugungen unserer Eltern teilen oder ablehnen, beeinflussen sie dennoch unsere Haltung. Davon bin ich überzeugt. So wird unser jeweiliges geistliches Erbe der Ausgangspunkt einer Reise, die vollkommen offen ist.

Ein Weg mit vielen möglichen Gabelungen. Hauptsache, keine Einbahnstraßen. Die gerade Linie ist ohnehin gottlos und unmoralisch. Da stimme ich mit Hundertwasser überein. Ihn hat Michael übrigens auch fotografiert.

Gesagt. Getan.

Und so sitzen wir viele Stunden an dem Esstisch und führen einen Dialog. Über Glauben und Zweifel. Wie wunderschön und grausam diese Welt im selben Atemzug sein kann.

Gedanken über Gott und Gottesbilder. Über unsere Eltern. Über schlechte Noten und dass die Schule zu schwänzen, den Charakter prägt. Wonach Kindheit schmecken kann. Wie wichtig Musik ist. Wir reden über Tinder, hier kenne ich mich definitiv besser aus. Über die Schöpfung. Schöpfungsprozesse, das Klima. Kirchen und Krisen. Aber auch über Hoffnungsträger*innen wie Hannah Arendt und Herbert Grönemeyer. Wir teilen das Fernweh nach einem Ort, an dem man nie gelebt hat, an dem man sich dennoch verwurzelt fühlt.

Über das Beste und Schlimmste, was uns passiert ist. Über den Tod meiner Mutter vor einigen Monaten. Über die Fragen: Was trägt? Was gibt Hoffnung?

Was haben wir bereits in der Rückschau verstanden, was wir vorwärts leben wollen, um einmal Kierkegaard zu bemühen. Zwei Menschen im Gespräch.

Offen. Ehrlich. Staunend. Über Gott und die Welt.

Katholische Herren und Pasta-asciutta-Berge

Betest Du, Michael?

Nein, Mira.

Nie?

Nein. Auf die Idee zu beten, bin ich noch nie gekommen. Aber ich gebe zu, dass ich manchmal Menschen beneide, die beten.

Spielt Spiritualität für dich eine Rolle?

Nein. Findest du das schlimm?

Eine schnelle, klare Antwort. Ich frage mich nur, ob sie auch wirklich stimmt. Du bezeichnest dich selbst als Agnostiker, bewunderst Menschen wie Kardinal König oder Prälat Ungar. Heißt das nicht auch, dass du ein Suchender bist?

Ja, das stimmt. Ich habe immer wieder den Kontakt, das Gespräch mit gläubigen Menschen gesucht. Auch bei Festen oder Veranstaltungen hat es mich oft zu den „katholischen Herren“ in ihrem langen schwarzen Ornat mit dem großen goldenen Kreuz, das auf der Brust baumelt, hingezogen. Brillante Köpfe wie zum Beispiel auch Prälat Maximilian Fürnsinn – er hat zuletzt im Stift Klosterneuburg ordentlich aufgeräumt. Mit ihm habe ich immer wieder in Landgasthäusern diskutiert. Er isst und trinkt gern – immerhin war er früher Fleischhauer.

Essen und Trinken können Katholiken ja richtig gut, was ich durchaus sympathisch finde.

Ja, sehr gut. Mag sein, dass irgendwo in meinem Hinterkopf oder in meinem Herzen eine Sehnsucht da ist. Nein, Sehnsucht ist vielleicht zu viel. Lass es uns Anziehung nennen. Warum sonst sitzen wir beide hier und sprechen über „Gott und die Welt“? Als ich das erste Mal von dir gehört und dann deine Texte gelesen habe, fühlte ich mich angezogen von dem, was und wie du es machst.

Steht dahinter nicht auch eine gewisse Spiritualität, die dich fasziniert?

Vielleicht. Trotzdem ist es bis jetzt keinem Geistlichen gelungen, mich auf den „richtigen Weg“ zu bringen.

Ohne zu fromm klingen zu wollen, fällt mir dennoch ein Vers aus der Bibel ein. Jesus sagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ Das wird von vielen Kollegen sehr engstirnig ausgelegt. Für mich sind diese Begriffe hingegen sehr dynamisch und haben gar nichts streng Preußisches an sich. Immer, wenn ich an „Weg“ denke, habe ich den Jakobsweg vor Augen, der überall in Europa beginnt und zu einem Ziel führt, aber über keine gerade Linie, keine Einbahnstraße, sondern der Weg ist vielfach verzweigt.

Wichtig ist es, irgendwo anzukommen