Und dann gehört die Zeit uns - Jessica Martin - E-Book

Und dann gehört die Zeit uns E-Book

Jessica Martin

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Beschreibung

Für einen Vampir ist es das Todesurteil, seinem Lotos zu begegnen – und gleichzeitig das größte Geschenk, wenn auch nur für wenige Tage. Denn nach dieser Zeitspanne des Liebesglücks bedeuten Mensch und Vampir füreinander den Tod. Vampir Hunter bricht mit dieser Regel, als er auf seinen Lotos Lorenz trifft, denn er bezwingt seinen überwältigenden Drang, Lorenz zu beißen. Er freundet sich nicht nur mit Lorenz an, sondern entwickelt auch tiefere Gefühle für den hübschen Studenten, die weit über ihre Lotosverbindung hinausgehen. Lorenz ist sich der Lebensgefahr bewusst, in der er schwebt, kann seine Gefühle für Hunter jedoch schließlich nicht mehr verleugnen. Hunter dagegen will ihn mit aller Macht vor dem Vampirdasein beschützen und setzt damit Lorenz' Vertrauen aufs Spiel. Verlieren sie nun alles oder gibt es noch einen anderen Weg für ihre Liebe?

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Seitenzahl: 480

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Deutsche Erstausgabe (ePub) September 2018

 

© 2018 by Jessica Martin

 

Verlagsrechte © 2018 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk, Taufkirchen

 

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

 

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

Druckerei: CPI Deutschland

 

ISBN-13:978-3-95823-711-7

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de

 

 

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

vielen Dank, dass Sie dieses eBook gekauft haben! Damit unterstützen Sie vor allem die Autorin des Buches und zeigen Ihre Wertschätzung gegenüber ihrer Arbeit. Außerdem schaffen Sie dadurch die Grundlage für viele weitere Romane der Autorin und aus unserem Verlag, mit denen wir Sie auch in Zukunft erfreuen möchten.

 

Vielen Dank!

Ihr Cursed-Team

 

 

 

 

Klappentext:

 

Für einen Vampir ist es das Todesurteil, seinem Lotus zu begegnen – und gleichzeitig das größte Geschenk, wenn auch nur für wenige Tage. Denn nach dieser Zeitspanne des Liebesglücks bedeuten Mensch und Vampir füreinander den Tod.

Vampir Hunter bricht mit dieser Regel, als er auf seinen Lotus Lorenz trifft, denn er bezwingt seinen überwältigenden Drang, Lorenz zu beißen. Er freundet sich nicht nur mit Lorenz an, sondern entwickelt auch tiefere Gefühle für den hübschen Studenten, die weit über ihre Lotusverbindung hinausgehen. Lorenz ist sich der Lebensgefahr bewusst, in der er schwebt, kann seine Gefühle für Hunter jedoch schließlich nicht mehr verleugnen. Hunter dagegen will ihn mit aller Macht vor dem Vampirdasein beschützen und setzt damit Lorenz‘ Vertrauen aufs Spiel. Verlieren sie nun alles oder gibt es noch einen anderen Weg für ihre Liebe?

 

 

 

Für Claudia,

die so gern mal eine Geschichte über einen Vampir

mit Stärken und Schwächen und einer ganz bestimmten

Vorliebe lesen wollte.

Danke, Liebes, für das spannende Plotbunny

und voilà, hier ist die Geschichte.

 

 

 

 

Prolog

 

 

Beiß ihn!

Der Gedanke schoss durch meinen Kopf und ehe ich wusste, wie mir geschah, setzten meine Beine zum Sprung an und ich landete auf dem schmutzigen Betonboden hinter dem Müllcontainer.

»Aaaah!« Der Teenager, der hinter der Tonne kauerte, starrte mich mit riesigen Augen an. »Bitte tun Sie mir nichts.«

Beiß ihn! Unbändiger Durst überfiel mich und Gift strömte nur so in meine Kiefer, die stärker kribbelten als je zuvor. Alles in mir verlangte danach, ihn zu beißen, von ihm zu trinken und sein Blut meine Kehle hinunterlaufen zu lassen. Ich konnte es förmlich spüren, doch ich biss die Zähne zusammen und wehrte mich gegen meinen Durst. Es erforderte all meine Selbstdisziplin, meine Zähne bei mir zu behalten. »Wer bist du?« Meine Stimme glich einem Knurren, was den Kleinen hektisch schlucken ließ.

»Ich... L-L-Lorenz. Lorenz Ziems. Ich w-wohne hier. Im V-V-Vorderhaus. Wir sind am Wochenende eingezogen«, brachte er zitternd und mit wild klopfendem Herzen hervor. »Wirklich. Bitte glauben Sie mir das.«

Gott, er riecht so verlockend und es wäre ganz leicht.Die Stelle war nicht einsehbar, es wäre so schnell gegangen, dass niemand es mitbekommen hätte, und Lorenz' Geruch zog mich unglaublich stark an, doch ich schaffte es, mich zurückzuhalten. »Was tust du hier?«, fragte ich und wich ein paar Schritte zurück, neben die Tonne, sodass man mich von den Fenstern des Hinterhauses aus sehen konnte.

Den Jungen schien es zu beruhigen, dass ich lieber Fragen stellte, statt ihn anzugreifen, denn er umklammerte seine Knie fester und stützte das Kinn darauf ab. »Nichts.«

»Lorenz!«, brüllte eine Männerstimme über den Hof, woraufhin der Teenager zusammenzuckte und ängstlich zu mir aufsah. »Wo steckt der Rotzbengel schon wieder? He, Sie da!«

Für einen Moment blickte ich in Lorenz' riesige, blaue Augen, dann wandte ich mich langsam um. »Ja?«

»Haben Sie einen Jungen gesehen? Blond, dürr, aufmüpfig.«

Ich beförderte meine Mülltüte in die Tonne und blickte dann wieder zu dem von Alkohol und Nikotin gezeichneten Typen im fleckigen Unterhemd, der mich mit einer Kippe im Mundwinkel erwartungsvoll ansah. »Nein. Ihr Sohn?«

»Stiefsohn«, antwortete der Mann kopfschüttelnd.

»Wie alt ist er?«

Einen Moment lang schien der Typ überlegen zu müssen. »Dreizehn.«

Ein Schnauben erklang hinter der Tonne, für menschliche Ohren jedoch zu leise.

»Ausgerissen?«, hakte ich nach, woraufhin der Mann nickte. Wut überrollte mich und ich wollte nichts mehr, als Lorenz mit allen Mitteln vor seinem Stiefvater zu beschützen. Es war wie ein Zwang, doch ich konnte den Mann nicht am helllichten Tag hier auf dem Innenhof beißen, geschweige denn töten. »Wie heißen Sie? Dann sag ich Bescheid, wenn ich ihn sehe«, log ich.

»Schulze. Aber klingeln Sie bei Ziems. Ich wohne bei seiner Mutter.«

»Alles klar. Ich halte die Augen offen«, sagte ich, woraufhin der Mann sich noch mal umsah, bevor er mir zunickte und wieder in den Hausflur verschwand. Einen Moment lang wartete ich, bevor ich mich zu Lorenz umdrehte.

»Danke«, flüsterte er.

Ich vergewisserte mich noch mal, dass mich niemand beobachtete, dann wappnete ich mich, trat hinter den Container und hockte mich zu ihm. Gott, wie gut er roch. Nach Süßholz irgendwie. Verlockend und viel intensiver als andere Menschen. Etwas in mir ahnte, warum dies so war, doch ich verdrängte diesen Gedanken. Die Wahrscheinlichkeit dafür war zu gering. »Wieso bist du abgehauen?«, fragte ich, obwohl ich es mir angesichts der blauen Flecke auf seinen nackten Armen denken konnte.

Lorenz zuckte mit den Schultern, doch sein Herz klopfte noch immer zu schnell. »Keinen Bock auf Schläge.« Ehe ich etwas dazu sagen konnte, reckte er das Kinn in die Höhe und blickte mir in die Augen. »Ich bin fünfzehn.«

Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, aber als sich seine Augen beim Anblick meiner Zähne weiteten, schloss ich schnell die Lippen. »Wie lange willst du hier noch hocken bleiben?«

Wieder zuckte er nur mit den Schultern. »Bis er zu besoffen ist, um zu treffen.«

»Kommt das öfter vor?«

»Wenn's Geld knapp wird.«

»Verstehe.« Ohne weiter darüber nachzudenken, zog ich meine Brieftasche hervor und holte ein paar Scheine heraus. »Hier. Für Schulbrot und Mittagessen.«

Lorenz' Augen waren riesig, als ich ihm das Geld in seine ausgestreckte, zitternde Hand drückte. »Aber...«

»Ich wohne im Hinterhaus. Hunter Jacobs. Sag Bescheid, wenn du wieder was brauchst.« Mit diesen Worten erhob ich mich, denn ich wusste nicht, wie lange ich seinem Duft noch würde widerstehen können.

»Danke.« Immer noch perplex drückte er sich die Scheine an die Brust. »Wieso tun Sie das?«

Da ich ihm die Wahrheit nicht sagen konnte – nicht mal wusste, ob sie stimmte –, zuckte ich nur mit den Schultern. »Ich hab's über.«

Er runzelte die Stirn, dann lächelte er zaghaft. »Okay. Danke.«

Mit einem knappen Nicken drehte ich mich um, doch eine innere Stimme hielt mich zurück. Ich sah über meine Schulter auf den zusammengekauerten Körper des Jugendlichen. Ich wusste nicht, ob es eine gute Idee war, aber ich konnte ihn nicht einfach so seinem Schicksal überlassen. Nicht ihn. »Wenn du Hilfe brauchst, komm ruhig vorbei.«

Er schluckte. »Ist nett, aber –«

»Nichts aber!«, fuhr ich ihn schärfer an als beabsichtigt, woraufhin er zusammenzuckte. »Weißt du noch, wie ich heiße?«

»Hunter Jacobs«, flüsterte er.

»Gut.«

Eine Woche später stand Lorenz zum ersten Mal vor meiner Tür.

 

 

 

Kapitel 1

 

 

Acht Jahre später

 

Ich rieche ihn, bevor ich ihn höre. Nur wenige Sekunden, nachdem sein betörender Duft meine Nase gekitzelt hat, klimpert sein Schlüsselbund im Hausflur, öffnet und schließt sich die Wohnungstür. Es dauert nicht lange und sein Geruch wird stärker. Begleitet vom Pochen seines Herzens ertönen seine leisen Schritte auf dem Teppichboden, als er sich mir nähert.

Vorsichtig geht die Schlafzimmertür schließlich auf. Sein Duft überwältigt mich, wie immer, wenn wir uns einige Zeit nicht gesehen haben, und für einen Moment muss ich die Augen schließen, um meinen Durst zügeln zu können. Er weiß es, daher bleibt er im Türrahmen stehen und wartet. Sein Herzschlag erhöht sich kaum, denn wir kennen uns lange genug. Wir waren schon öfter in dieser Situation, als ich zählen kann. Als ich mir sicher bin, ausreichend Kontrolle über meinen Körper zu haben, rolle ich mich auf der Matratze herum.

Lorenz steht im Zimmer, die Hände zu Fäusten geballt. »Darf ich?«, fragt er kaum hörbar.

»Natürlich.« Lächelnd hebe ich seine Bettdecke an, woraufhin er die Jacke auszieht und sich zu mir legt. »Willst du reden?«

»Jetzt nicht.«

»Okay.«

Eine Weile liegen wir stumm da, während ich seinen unruhigen Atemzügen lausche und darauf warte, dass er die Tür zu seinem Innersten für mich öffnet. Es dauert länger als gewöhnlich, doch schließlich atmet er tief durch und schiebt sich langsam rückwärts an mich heran.

Lächelnd schlinge ich einen Arm um seinen Bauch und ziehe ihn an meine Brust. Er ist noch immer zu dünn, doch das leichte Sixpack unter meiner Handfläche beweist, dass sich unser gemeinsames Training bereits ausgezahlt hat. Abgesehen vom Körperlichen ist er in den letzten Jahren auch geistig gereift. Aus dem schüchternen, verängstigten Teenager ist ein noch immer zurückhaltender, aber reifer junger Mann geworden. Er trägt das Herz am rechten Fleck, obwohl sein Leben bisher wahrlich nicht leicht war.

»Du bist heute so kalt«, flüstert er plötzlich in die Stille hinein.

»Hab den ganzen Tag nichts getrunken.«

Er versteift sich und sein Atem stockt, aber er rückt nicht von mir ab. »Warum nicht?«

»Viel zu tun. Hab's nicht zu Cyrill geschafft.«

»Du kannst was von mir nehmen«, murmelt er und legt den Kopf zur Seite.

Ich muss schlucken und schließe die Augen. »Du weißt, dass das nicht geht.«

»Ja.« Er seufzt leise und für einen Moment schweigen wir wieder. »Ich habe die Polizei gerufen.«

Endlich. Erleichtert schließe ich die Augen und lehne meine Stirn gegen seinen Nacken. »Haben sie ihn mitgenommen?«

»Ja. Und Mama mit ins Krankenhaus. Platzwunde am Kopf, gebrochener Arm, Rippenprellung, das volle Programm. Ich hatte keine andere Wahl, als Hilfe zu rufen. Er hat getobt, Hunter. Wenn sie ihn rauslassen, bringt er mich um.«

Ich richte mich auf, drehe Lorenz auf den Rücken und blicke ihm fest ins Gesicht. »Das weiß ich zu verhindern.«

Er verdreht die Augen. »Du kannst nicht ständig an meiner Seite sein.«

»Doch, kann ich.«

»Hunter.«

»Lorenz«, entgegne ich in dem gleichen genervten Tonfall. »Komm mit mir und ich sorge dafür, dass dir nichts geschieht.«

Er verdreht wieder die Augen. »Und Mama?«

Resigniert lasse ich mich auf den Rücken fallen und starre an die Zimmerdecke. Ich weiß nicht, wie oft wir diese Diskussion in den Jahren seit seinem Abi geführt haben, doch er scheint es nicht einzusehen. Seine Mutter ist unbelehrbar. Sie wird sich niemals von diesem Arschloch trennen, denn sie nimmt ihn vor jedem in Schutz und erfindet Ausreden für ihre blauen Flecke. Doch statt dieser Hölle zu entfliehen, geht Lorenz immer wieder zu seiner Mutter zurück, in dem Glauben, sie beschützen oder gar verteidigen zu können, sollte sein Stiefvater wieder mal austicken. Dass Lorenz sich dadurch jedes Mal selbst in Gefahr bringt, will er nicht hören. Jetzt, da er kurz vor dem Abschluss seines Studiums steht, könnte er so viel aus seinem Leben machen, wenn er nur endlich von hier verschwinden würde, doch er weigert sich.

Er schiebt seine Hand auf meinen Bauch und legt den Kopf auf meine Schulter. »Du weißt, dass sie nicht mitkommen würde«, flüstert er.

Ich lege meine Arme um ihn und foltere mich selbst damit, dass ich meine Nase in sein Haar drücke. »Ich weiß, aber es kann so nicht weitergehen, Lorenz. Ich kann hier nicht mehr länger bleiben und du musst da endlich raus.«

»Du hast recht«, flüstert er, doch ich weiß, dass er seine Meinung nicht ändern wird. »Geh ohne mich.«

»Nein.«

»Aber du musst. Du bist schon viel zu lange hier.«

Das stimmt. Während sich die Menschen um mich herum in den letzten Jahren äußerlich verändert haben, bin ich nicht gealtert. Normalerweise halte ich mich nie länger als fünf bis sieben Jahre an einem Ort auf und ich habe hier schon gewohnt, bevor Lorenz' Familie hergezogen ist. Doch selbst wenn die Leute sich wundern, dass ich seit zehn Jahren jeden Tag wie vierunddreißig aussehe, das Alter, in dem ich gestorben bin, kann ich Lorenz auf keinen Fall allein hier zurücklassen. Niemals.

Ich verstärke meine Umarmung, bis er leise ächzt und zu zittern beginnt. »Entschuldige.«

»Schon okay.« Er zieht die Decke über seine Schultern, dann kuschelt er sich wieder an mich. »Hast du noch was fürs Frühstück da?«

»Ja. Danach muss ich dringend einkaufen.«

Ich spüre, wie er an meiner Schulter lächelt. »Kann ich mitkommen? Ich hab doch keine Uni mehr und Cyrill und ich haben uns lange nicht gesehen. Er vermisst mich bestimmt schon ganz arg.«

Ohne es aufhalten zu können, entweicht ein leises Knurren meiner Kehle. »Nein.«

»Bist du etwa eifersüchtig?« Lorenz lacht, bevor er seine Lippen auf mein Schlüsselbein presst. Das macht er in letzter Zeit öfter und so sehr es mir auch gefällt, zerren diese Zuneigungsbekundungen an meiner Beherrschung.

»Hör damit auf«, warne ich ihn, doch er küsst mich wieder, daher schiebe ich ihn kräftiger von mir weg, als beabsichtigt, woraufhin er mit einem spitzen Aufschrei neben dem Bett landet. »Entschuldige, hast du dir wehgetan?«, frage ich erschrocken.

Sich den Hintern reibend steht er auf. »Nein, geht schon.«

»Tut mir wirklich leid.«

»Schon okay. War meine Schuld.« Lorenz krabbelt wieder unter die Decke und dreht sich auf die Seite, bleibt diesmal aber auf Abstand. Mit einem frechen Grinsen in seinem hübschen Gesicht blickt er mich an. »Regel Nummer eins: Reize keinen durstigen Vampir.«

»Und trotzdem kommst du wieder in sein Bett«, necke ich ihn grinsend, sodass meine Zähne hervorblitzen.

Lorenz grinst ebenfalls. »Ist halt zu verlockend.«

Kopfschüttelnd seufze ich. »Du kannst morgen mitkommen, aber nur unter einer Bedingung.«

»Die da wäre?«, fragt er argwöhnisch.

»Vorher fahren wir zu einem Anwalt und lassen uns beraten, wie ihr das Arschloch auf Abstand halten könnt. Bestimmt kann man kurzfristig eine einstweilige Verfügung erwirken oder so was.«

Lorenz runzelt die Stirn. »Ich weiß nicht. Da wird Mama nicht mitspielen.«

Ich richte mich auf und setze mich neben ihn. »Okay, dann sage ich es jetzt ganz deutlich: Du wirst nicht wieder in eure Wohnung zurückgehen, solange du dich dadurch in Gefahr bringst.«

»Dein Beschützerinstinkt in allen Ehren, Herr Vampir, aber das hast nicht du zu entscheiden«, entgegnet er, während er sich ebenfalls aufrichtet. »Du weißt, dass ich dir für alles dankbar bin, was du für Mama und mich tust, aber ich kann sie nicht mit ihm allein lassen.«

Für einen Moment starren wir uns ernst in die Augen.

»Okay«, gebe ich schließlich nach, denn auch wenn ich ihn für seinen Leichtsinn schütteln möchte, bin ich stolz darauf, dass er so ein selbstbewusster, starker Mann geworden ist. »Lass uns trotzdem mal mit einem Anwalt sprechen. Wenn du deine Mutter wirklich beschützen willst, darfst du nicht jedes Mal zusehen, wie sie zu ihm zurückgeht.«

»Du hast recht«, murmelt er seufzend und lässt sich wieder auf die Matratze fallen.

Erst jetzt fällt mir auf, wie müde und fertig er aussieht. Ein Blick auf die Uhr bestätigt meine Vermutung, dass es schon nach Mitternacht ist.

»Es ist spät. Schlaf ein bisschen«, bitte ich sanft und schalte die Nachttischlampe aus.

»Schläfst du auch?«

Ich müsste es nicht, aber gerade heute ist es vielleicht besser, statt die ganze Nacht durstig hier zu liegen und mich von seinem Duft einhüllen zu lassen. »Ja.«

»Kann ich die Heizung anmachen?«

»Sicher, aber ich glaube nicht, dass sie warm wird. Tut mir leid, soll ich ins Wohnzimmer gehen?«

»Bitte nicht. Mein Abend war beschissen und ich will nicht allein sein.«

»Mir gefällt es nicht, dass du meinetwegen frierst«, sage ich schuldbewusst, als er aufsteht und zur Heizung geht.

»Ist nicht schlimm«, sagt er leise, während er wieder unter die Decke krabbelt und sie sich bis zum Kinn hochzieht. »Danke, dass ich hier sein darf.«

»Jederzeit, das weißt du doch. Und jetzt schlaf.«

 

Als ich am nächsten Morgen erwache, bin ich allein im Bett. Lorenz' Duft ist noch stark und gleich darauf höre ich ihn in der Küche hantieren. Es riecht nach frischem, warmem Blut, das mich unwillkürlich anzieht, sodass ich nur wenige Augenblicke später die Küche betrete.

Lorenz sitzt vor einer dampfenden Tasse am Tisch und blättert in der Zeitung von gestern. Auf dem Platz ihm gegenüber steht mein Frühstück. Als ich mich auf den Stuhl sinken lasse, blickt Lorenz lächelnd auf.

»Guten Morgen.«

»Guten Morgen. Vielen Dank«, sage ich und nehme den schwarzen Strohhalm zwischen die Lippen. Bereits nach dem ersten kräftigen Schluck fühle ich, wie sich meine Stimmung hebt und mein Körper aus der Müdigkeit und beginnenden Lethargie erwacht, die mich seit gestern befallen haben. »So gut«, murmle ich genießerisch und lehne mich zurück.

Lorenz' Mundwinkel zucken. »Ich hab ja auch was von meinem untergerührt.«

Erschrocken blicke ich auf und verschlucke mich trotz der Tatsache, dass ich eigentlich nicht mehr atmen müsste. Trotzdem habe ich es mir angewöhnt, denn um sprechen zu können, ist die Luft nun mal nötig. Außerdem fühlt sich tiefes Durchatmen angenehm frisch an. Im Moment huste ich jedoch Blutstropfen auf den Tisch und als der unangenehme Reiz nachlässt, starre ich Lorenz entgeistert an.

»Das war ein Scherz!«, sagt er augenrollend und verzieht schmollend die Lippen, während er mir ein Küchenhandtuch reicht und auf die Sauerei deutet. »Echt, Hunter, meinst du, ich riskiere, dass du von mir abhängig wirst?«

Manchmal weiß ich nicht, ob er das nicht doch tun würde. Hin und wieder habe ich schon bereut, ihm erzählt zu haben, wie einfach es wäre, einen Vampir von dem Blut einer einzelnen Person abhängig zu machen. Wir bräuchten nur ein paarmal hintereinander von dem gleichen Menschen trinken und würden nie wieder einen anderen wollen. Gefährlich für uns Unsterbliche.

»Jetzt guck nicht so grimmig. Es ist alles aus der Konserve aus dem Kühlschrank«, unterbricht Lorenz' verärgerte Stimme meine Gedanken.

»Tut mir leid. Danke, dass du mir Frühstück gemacht hast. Ich weiß, dass du das nicht magst.«

»Kein Problem. Hab mich schon fast dran gewöhnt.« Als das geröstete Weißbrot aus dem Toaster springt, steht er auf. »Ist es noch warm genug?«, erkundigt er sich, während er Marmelade auf das Brot schmiert, und deutet auf meine Tasse.

»Ja, perfekt, zu heiß schmeckt es nicht mehr.«

»Verdirbt das Aroma?«, fragt er über seine Schulter hinweg.

»Genau. Außerdem fängt es an zu klumpen.« Ich muss grinsen, als Lorenz erschaudert. »Konntest du schlafen?«

»Ja, ging schon. Wann fahren wir los?«

»Sobald du so weit bist«, sage ich belustigt, schließlich ist er derjenige, der morgens mehr als eine halbe Stunde im Bad braucht. »Ich habe mich bei Cyrill für den Vormittag angemeldet, du kannst also ganz in Ruhe frühstücken und noch duschen, wenn du willst.«

Lorenz kommt zum Tisch zurück. »Habe ich noch saubere Klamotten hier?«, fragt er mit einem Fingerzeig auf seine Schlafanzughose und das ausgeblichene T-Shirt, das er trägt.

Ich stelle die Tasse ab und nicke. »Mehr als genug. Ich habe Anfang der Woche erst gewaschen.«

Er lächelt. »Danke.« Einen Moment lang blicken wir uns in die Augen, dann widmet er sich seinem Frühstück. »Ich hab vorhin schon mal im Internet nach einem Anwalt für Familienrecht geguckt, konnte aber keinen erreichen.«

Ich sehe zur Uhr an der Wand. »Es ist ja auch erst sieben«, stelle ich fest, bevor mein Blick auf die Jacke fällt, die über seiner Stuhllehne hängt. »Du hast gefroren, oder? Warum hast du mich nicht geweckt?«

Er grinst. »Regel Nummer zwei: Keine schlafenden Vampire wecken. Schon gar nicht, wenn sie am Vortag nichts getrunken haben.«

Ja, okay, da hat er vermutlich recht. Es ist schon vorgekommen, dass ich ihn im Halbschlaf versehentlich angesprungen habe, ehe mir klar wurde, was ich tue. Beim ersten Mal war es kurz nach seinem achtzehnten Geburtstag. Er hatte zum ersten Mal die Nacht bei mir im Bett verbracht, statt wie sonst auf der Couch. Lorenz hatte sich nach dem Aufwachen an mich gekuschelt und obwohl wir beide vollständig bekleidet waren, überwältigte sein Duft mich für einen Moment. Nur sein Schreckensschrei konnte mich schließlich im letzten Moment bremsen.

Seitdem ist er sich der Gefahr bewusst, von einem hungrigen, verwirrten Vampir angefallen zu werden, wenn er in meinem Bett schläft, und ist darauf vorbereitet. Da er Frühaufsteher ist, schafft er es recht zuverlässig, das Schlafzimmer zu verlassen, bevor ich wach werde, sodass ich mir hin und wieder erlaube, neben ihm einzuschlafen.

»Nachher fahren wir einkaufen, dann ist es wieder sicherer für dich«, sage ich leise. Er weiß, dass ich ihn nie absichtlich angreifen würde und mich unter Kontrolle habe, selbst wenn ich durstig bin. Dennoch steigt das Risiko für ihn mit jedem Tag, an dem ich keine Nahrung im Haus habe.

Lorenz lächelt. »So sicher, wie es sein kann, wenn der beste Freund ein Vampir ist, hm?«

»Genau«, stimme ich schmunzelnd zu.

Als er sein Frühstück beendet hat, überlässt er mir den Abwasch, während er ins Badezimmer verschwindet. Ich lasse ihm gern den Vortritt, denn seit meinem Tod muss ich nie die Toilette aufsuchen. Es gibt keinen Grund dafür. Das Blut, das ich brauche, um nicht in diese furchtbar lähmende Lethargie zu verfallen, wird von meinem Körper vollständig umgesetzt. Nachdem ich schließlich gewaschen und angezogen bin, kann es losgehen.

»Kommst du?«, rufe ich mit den Autoschlüsseln in der Hand Richtung Schlafzimmer.

»Ja, bin fertig. Kann losgehen.« Lorenz kommt in den Flur und grinst frech, als er meine hochgezogenen Augenbrauen sieht. »Was?«

»Ehrlich? Ein Rollkragenpullover? Es ist August und im Laufe des Tages wird es vermutlich irre heiß draußen.«

»Ganz sicher sogar, weil es Cyrill amüsieren wird«, meint Lorenz schulterzuckend und zwinkert mir zu.

»Ohne Zweifel.« Kopfschüttelnd ziehe ich die Wohnungstür auf.

»Hey, warte, Speedy. Ich wollte mir noch einen Kaffee mitnehmen«, ruft er mir nach, als ich nur wenige Sekunden später im Hausflur stehe. Ungeduldig warte ich auf der Treppe, bis Lorenz mit einem Thermobecher nachkommt, die Tür abschließt und anschließend seine Sonnenbrille aufsetzt. »Okay, los geht's.«

»Du hast die Adresse des Anwalts?«, hake ich nach, als wir über den Innenhof gehen, der zwischen dem Vorderhaus, in dem er wohnt, und dem Hinterhaus, in dem sich meine Wohnung befindet, liegt.

»Ja«, grummelt er.

Ich schlinge meinen Arm um seine Taille und dirigiere ihn durch den Hausflur des Vorderhauses auf die Straße raus. »Ich will dich und deine Mutter schützen, Lorenz.«

Er seufzt. »Ich weiß und ich bin dir dankbar für den Versuch. Aber ich weiß auch, dass Mama ihn sowieso wieder reinlässt, egal, was der Anwalt durchsetzen kann.«

»Lass es uns trotzdem versuchen«, bitte ich eindringlich, denn wenn er schon nicht mit mir von hier wegziehen will, muss ich ihn auf andere Weise schützen. Er ist der wichtigste Mensch für mich und ich muss einfach dafür sorgen, dass es ihm gutgeht. Das fing während seiner Teenagerjahre mit gelegentlichem Unterschlupf und regelmäßigen Finanzspritzen an und wird bis an sein Lebensende andauern, egal, wohin er gehen oder welche Umstände uns erwarten werden.

Lorenz blickt zu mir auf und nickt. »Ja, okay.«

Als wir an meinem Auto stehen, drückt er mir ein Küsschen auf die Wange, bevor er zur Beifahrerseite geht und einsteigt. Auf dem Weg zum Anwalt, nippt er an seinem Kaffee und starrt augenscheinlich gelangweilt aus dem Fenster, aber ich bin mir sicher, dass es in seinem Kopf gerade rundgeht.

»Hast du deine Prüfungsergebnisse gestern bekommen?«, frage ich, um die unangenehme Stille zu durchbrechen.

Lorenz lächelt. »Ja. Alle bestanden.«

»Prima«, freue ich mich mit, schließlich habe ich sein Biologiestudium finanziert. »Und deine Abschlussarbeit?«

Er verzieht das Gesicht. »Hat der Professor noch nicht kontrolliert. Hab doch erst vor zwei Wochen abgegeben.«

»Okay, dann gedulden wir uns.« Ich lächle ihm aufmunternd zu, aber Lorenz ist eindeutig genervt.

»Du hast leicht reden mit deinen fünfhundertsiebenundzwanzig Jahren. Für dich sind die paar Wochen ja nur ein Wimpernschlag.«

»Meinst du? Die letzten acht Jahre haben sich seltsamerweise wie eine kleine Ewigkeit angefühlt«, necke ich ihn, woraufhin ich einen grimmigen Blick zugeworfen bekomme.

»Keiner hat gesagt, dass du dich um mich kümmern musst.«

Kopfschüttelnd halte ich an einer roten Ampel und lege meine Hand auf Lorenz' Knie. »Komm schon, hör auf zu schmollen. Steht dir nicht.«

Ohne auf mich zu reagieren, nippt er wieder an seinem Kaffee und starrt weiter aus dem Seitenfenster. Zum Glück ist es bis zu unserem Ziel nicht mehr weit.

 

 

 

Kapitel 2

 

 

Das Gespräch mit dem Anwalt dauert eine Stunde und kann mich zumindest etwas beruhigen. Er konnte uns noch vor seinem ersten Termin empfangen und wird sich dafür einsetzen, dass Lorenz' Stiefvater nach seiner Entlassung aus der Ausnüchterungszelle die Wohnung nicht mehr betreten und sich ihm und seiner Mutter, sofern sie es denn will, nicht mehr nähern darf. Außerdem wird er die beiden vor Gericht vertreten, um sie dauerhaft vor seinem Stiefvater zu schützen.

Als wir die Kanzlei verlassen, bin ich guter Dinge, dass das Leben für Lorenz und seine Mutter in Zukunft ruhiger wird. Immer vorausgesetzt, dass wir sie davon überzeugen können, gegen das Arschloch auszusagen.

»Okay, dann mal los zum Einkaufen«, trällere ich fröhlich, woraufhin Lorenz' Miene sich ebenfalls erhellt.

Cyrill und Lorenz haben sich auf Anhieb verstanden, als sie sich vor sechs Jahren kennengelernt haben. Mein Vampirfreund war zwar ziemlich überrascht, als mein menschlicher Schützling damals zur Tür reinspazierte, doch schon kurz nach der Vorstellungsrunde war das Eis dank Lorenz' lockerem Umgang mit meiner Natur schnell gebrochen.

Cyrill hat ihn sofort akzeptiert, auch wenn er nicht nachvollziehen kann, was für eine – seiner Meinung nach – eigenartige Beziehung Lorenz und ich führen. Dabei ist sie eigentlich nicht schwer zu verstehen. Wir sind sehr gute Freunde, ich unterstütze Lorenz in allen Belangen, wenn er Hilfe braucht, und ansonsten läuft da nichts. Auch wenn ich mich auf jede erdenkliche Weise zu ihm hingezogen fühle, kann ich mich auf keine sexuelle Beziehung mit ihm einlassen, denn die Versuchung, ihn beim Sex zu beißen, wäre viel zu groß.

»Wie kam es, dass du nur noch eine Konserve im Kühlschrank hattest? Das hab ich bei dir noch nie erlebt. Normalerweise hast du doch immer massig Vorrat«, will Lorenz auf dem Weg zu Cyrill wissen.

Ich blicke kurz zu ihm rüber, dann wieder auf die Straße. »Wie gesagt, ich hatte viel zu tun.«

»So viel, dass du deine Existenzgrundlage nicht besorgen konntest? Trotz Urlaub?« Lorenz' Tonfall zeigt deutlich, dass er mir kein Wort glaubt.

»Im Gegensatz zu dir habe ich erst seit gestern Urlaub und was soll ich sagen? Es war ein tödlicher Monat«, scherze ich, doch er lacht nicht mit, sondern blickt mich ernst an. Ich muss schlucken und bin froh darüber, dass ich mich wieder auf die Straße konzentrieren muss.

Natürlich kann ich ihm nicht sagen, dass ich nicht eingekauft habe, weil ich in den letzten zwei Tagen auf der Suche nach einem Vampir war, der seine toten Opfer wahllos in der Stadt liegengelassen und somit die Aufmerksamkeit der Polizei erregt hat und dessen Existenz ich beenden musste, nachdem ich ihn gefunden hatte. Er hat mich förmlich angefleht, denn er hat das Dasein als blutrünstiges Monster nicht mehr ertragen. Sein letztes Opfer ist vor drei Tagen als Vampir aufgewacht und das hat er zum Anlass genommen, sein eigenes Ende herbeizusehnen.

Glücklicherweise hat er Steffen, dem jungen Vampir, vorher unsere Regeln eingebläut und ihn seine Blutvorräte trinken lassen, sodass er mir helfen konnte, Nikos durch unserer beider Vampirgift von dieser Welt zu erlösen. Für Steffen war es eine wichtige Lektion und den Rest lernt er gerade von einem befreundeten Vampir, zu dem ich ihn gebracht habe. Bei mir konnte er nicht bleiben und mir gefiel es nicht, einen noch ungestümen Neuvampir in der Stadt rumlaufen zu lassen, in der Lorenz lebt.

Nach Erlebnissen wie diesem ist mein Bedarf an der Gesellschaft von Vampiren jedoch gedeckt, sodass ich direkt nach Hause gefahren bin. Zudem habe ich nicht erwartet, dass Lorenz bei mir schläft, denn normalerweise sprechen wir das vorher ab.

»Ich hab's einfach nicht geschafft. Kommt nicht wieder vor, okay?«, sage ich, um ihn zu beruhigen.

»Ist deine Sache«, antwortet er in diesem typisch angepissten Tonfall, den er offenbar noch von seiner Teenagerzeit zurückbehalten hat.

Ich biege auf Cyrills Grundstück ein und fahre die schmale Auffahrt zu seinem Anwesen hoch. »Nein, du hast recht, es war unverantwortlich. Beim nächsten Mal fahre ich früher her«, versichere ich ihm. Zwar hielt ich es für besser, die letzte Portion fürs Frühstück aufzuheben, bevor ich mich unter Menschen begebe, doch allein der Gedanke daran, in welche Gefahr ich Lorenz dadurch hätte bringen können, reicht, um mich erschaudern zu lassen.

»Ist ja nix passiert«, meint er, bevor er sich abschnallt und aus dem Auto steigt.

»Bleib dicht bei mir und denk an die Etikette«, erinnere ich, als wir auf die große, zweiflüglige Eingangstür zugehen, woraufhin Lorenz nach meiner Hand greift und nickt.

Er verschränkt seine Finger mit meinen und atmet noch mal tief durch, bevor ich die Türklingel betätige. Es dauert nur einen Moment, da bewegt sich das schwere Holz nach innen und einer von Cyrills Mitarbeitern steht vor uns.

»Mister Jacobs, schön, Sie zu sehen. Kommen Sie herein.« Er verbeugt sich ein paarmal, dann tritt er einen Schritt beiseite.

»Danke, Julien. Sie erinnern sich an Lorenz Ziems, meinen Partner?«

Der Butler quält sich ein Lächeln ins Gesicht. »Natürlich. Willkommen, Mister Ziems.«

»Danke schön«, sagt Lorenz mit fester Stimme, aber gesenktem Blick, und ich spüre, wie sein Griff sich verstärkt.

Julien zeigt sich durchaus beeindruckt von Lorenz' Demut. Dann strafft er die Schultern und wendet sich um. »Bitte folgen Sie mir. Der Master erwartet Sie bereits.«

Während wir über den tiefroten Teppich ins Innere der Villa gehen, streichle ich sanft über Lorenz' Handrücken. Kurz sieht er zu mir auf und lächelt, dann richtet er seinen Blick wieder auf den Boden. Keinen Moment zu spät, denn gleich darauf stehen wir vor der Tür zum Empfangsraum.

»Wenn die Herren bitte einen Moment hier warten würden«, bittet der Butler und schlüpft dann ins Zimmer.

Lorenz' Mundwinkel zucken, doch er schafft es, sich zusammenzureißen, denn Julien hat genauso feine Ohren wie jeder andere Vampir und hätte jedes noch so leise geflüsterte Wort gehört.

»Ja, ja, nun lass sie schon rein«, ertönt Cyrills ungeduldige Stimme von drinnen, was Lorenz ziemlich auf die Probe stellen muss, denn ganz sicher lacht er sich innerlich kaputt.

Die Tür öffnet sich wieder und Julien winkt uns herein. »Darf ich den Herren etwas zu trinken anbieten?«, fragt er mit einem spöttischen Blick auf Lorenz, den er sich nicht schnell genug verkneifen kann.

»Danke, wir haben bereits gefrühstückt«, lehne ich lächelnd ab und blicke dem Butler für einen Moment tief in die Augen. Ohne Zweifel versteht er die unterschwellige Drohung, denn er weicht einen Schritt zurück und senkt nun seinerseits den Blick, bevor er eilig den Raum verlässt und die Tür hinter sich schließt.

»Hunter! Lorenz! Schön, euch zu sehen.« Cyrill kommt mit ausgebreiteten Armen auf uns zu und zieht uns nacheinander an seine Brust. Als er sich von Lorenz löst, grinst er ihn an. »Du hast ja keine Vorstellung davon, wie verlockend du riechst, junger Mann. Da hilft dir auch dein Rollkragen nicht viel.«

Lorenz lacht, während ich ein Knurren unterdrücken muss. Ganz gelingt es mir nicht, sodass beide Männer sich zu mir umdrehen und mich mit hochgezogenen Augenbrauen ansehen.

»Na, na, mein lieber Hunter. Wer wird denn da gleich unhöflich werden?«, rügt Cyrill mich.

»Mach dir nichts draus«, mischt Lorenz sich ein. »Er hat gestern nichts getrunken und heute Früh nur eine Tasse.«

Der Blick, mit dem mein alter Freund mich nun bedenkt, ist auf eine ganz andere Art vorwurfsvoll. »Was kann ich dir anbieten?«, fragt er sofort.

»Im Moment nichts, danke«, wiegele ich ab. »Es war eine große Tasse. Es geht schon«, schiebe ich schnell hinterher, als er mich skeptisch anschaut.

Er nickt. »Aber einen Moment setzt ihr euch zu mir, ja? Wie laufen die Geschäfte, Hunter?«

»Gut«, antworte ich, als wir in den hohen Lehnsesseln vor dem Kamin sitzen, in dem mit Sicherheit schon seit Jahrzehnten kein Feuer mehr gebrannt hat. »Gestorben wird immer.«

Cyrills Lachen dröhnt durch den Raum, während Lorenz glucksend die Augen verdreht. »Sehr schön, mein Lieber, sehr schön. Ich finde es zwar immer noch äußerst geschmacklos, dass du dein Geld im Moment als Bestatter verdienst, aber nun gut. Wenigstens profitierst du davon, mein lieber Lorenz. Erzähl mir, wie läuft dein Studium?«

»Oh, sehr gut. Ich warte noch auf die Auswertung meiner Abschlussarbeit, aber dann bin ich fertig. Wenn ich Glück habe, summa cum laude«, antwortet er lächelnd.

»Mit Glück hat das nicht viel zu tun«, werfe ich ein, doch Lorenz winkt sofort ab, dabei hat er hart für seinen Abschluss gearbeitet und sollte die besondere Auszeichnung nicht so abtun.

Cyrill nickt anerkennend. »Das freut mich zu hören. Weißt du denn schon, was du anschließend machst? Führst du dein Studium weiter oder treibt es dich in die Wirtschaft?« Beinahe schon lauernd blickt mein alter Freund Lorenz an, dem der Hintergedanke, den Cyrill mit seiner Frage hegt, offenbar entgeht.

»Ich habe eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni ergattern können. Da geht es ab September los. Aber den Master oder gar Doktortitel werde ich nicht machen, sondern versuchen, eine Stelle in der Pharmaindustrie zu bekommen.«

»Verstehe. Worauf hattest du dich spezialisiert?«

»Molekularbiologie und Zellbiologie.«

Cyrills Augen fangen an zu glänzen, doch als sein Blick zu mir huscht, schüttle ich den Kopf. »Du findest bestimmt bald einen Job in der Wirtschaft«, sage ich an Lorenz gewandt. »Wenn du deine Abschlussnote hast, werden sich sämtliche Tablettenpresser und Salbenmischer des Landes bei dir bewerben.«

»Na, hoffen wir es«, sagt er lachend, aber mir ist klar, dass er nicht aus dieser Stadt weggehen wird, solange seine Mutter nicht endlich vernünftig wird. Daher ist es umso wichtiger, dass ich Cyrill davon abhalten kann, Lorenz ein Jobangebot zu machen, denn ohne Zweifel würde mein Schützling sofort Interesse zeigen.

»Ganz bestimmt.« Ich werfe Cyrill noch einen durchdringenden Blick zu, woraufhin er mich einen Moment lang lauernd ansieht, bevor er nickt.

Dann widmet er sich wieder Lorenz und beugt sich ein Stück vor. »Wie geht es dir sonst so?«

»Oh.« Er stutzt sichtlich überrascht und sucht meinen Blick. »Mir geht es gut. Hunter passt auf mich auf.« Er lächelt.

»Das höre ich gerne. Darf ich dir wirklich nichts anbieten?«, fragt Cyrill an mich gewandt. »Wir hatten erst gestern zwei Damen hier, die wirklich ganz verlockend gerochen haben. Fast so gut wie unser junger Freund hier.«

Lorenz atmet tief durch und schluckt dann schwer. Er weiß zwar, dass kein Mensch freiwillig zum Spenden herkommt und das Gebäude lebend wieder verlässt, dennoch scheint ihn die direkte Konfrontation mit der Tatsache, dass wir nicht nur blutsaugende Monster, sondern obendrein Mörder sind, noch immer Unbehagen zu bereiten. So modern die Welt der Vampire mittlerweile auch geworden ist, unsere einzige Nahrungsquelle ist seit dem Erwachen des ersten Vampirs der Mensch.

Zwar bedienen wir uns vorwiegend Obdachloser, doch es gibt nicht immer genug Nachschub. Bisher ist uns zum Glück niemand auf die Schliche gekommen, was daran liegt, dass wir sehr vorsichtig sind und die Körper direkt nach dem Leerpumpen hier im Haus verbrannt werden.

Für Lorenz ist die Vorstellung sicherlich schauderhaft, daher versuche ich, unsere gemeinsamen Besuche hier jedes Mal so kurz wie möglich zu halten.

»Du weißt doch, dass Damen noch nie sonderlich verlockend auf mich gewirkt haben«, scherze ich, um die Stimmung etwas aufzulockern, doch Lorenz legt seine Hand auf mein Knie.

»Trink ruhig was«, sagt er leise. »Bitte. Ich habe deinen Blick heute Morgen gesehen. Du hast Durst. Außerdem ist es unhöflich, die Einladung auszuschlagen.«

Gespannt sieht Cyrill zwischen uns hin und her.

Ich kann nicht leugnen, dass Lorenz recht hat. Natürlich habe ich Durst, schließlich habe ich in den letzten sechsunddreißig Stunden nur einen Viertelliter Blut getrunken, ein Drittel meiner üblichen Ration. Dennoch halte ich es noch so lang aus, bis ich zu Hause bin.

Ehe ich etwas erwidern kann, wendet Lorenz sich zu Cyrill um. »Ich hoffe, du bist mir nicht böse, wenn ich verzichte, aber Hunter leistet dir gern Gesellschaft.«

Cyrill grinst. »Keine Sorge, junger Freund, ich verstehe dein Unbehagen. Wie wäre es, wenn du dir mein Labor anschaust, solange wir unsere Mahlzeit einnehmen? Vielleicht kann ich dich ja sogar zu einer kleinen Spende überreden?« Cyrills Stimme ist zuckersüß, daher wundert es mich nicht, dass Lorenz sofort nickt.

»Ich gucke mir sehr gern dein Labor an. Ich muss zugeben, darauf bin ich schon eine Weile scharf.« Lorenz lacht. »Aber ob das reicht, damit ich mich zu einer Spende überreden lasse, weiß ich noch nicht.«

»Wir werden sehen«, meint Cyrill ebenfalls lachend und erhebt sich. »Möchtest du auch mal wieder einen Blick hinter die Kulissen werfen, Hunter?«

Als würde ich Lorenz hier irgendwo allein herumgeistern lassen. »Sicher.« Ich stehe auf und als Lorenz es mir gleichtut, greife ich nach seiner Hand.

Cyrill blickt kurz lächelnd auf unsere miteinander verschränkten Finger hinunter, dann bedeutet er uns, ihm zu einer Seitentür zu folgen. Er führt uns durch ein Labyrinth aus Treppen und Korridoren, bis wir einen Raum erreichen, der hell erleuchtet ist und mit seinen glänzenden Edelstahloberflächen und riesigen Kühlschränken viel zu modern für das alte Anwesen wirkt.

»Voilà, hier sind wir im Herzstück meines Hauses.«

»Unglaublich«, staunt Lorenz. Mit offenem Mund starrt er auf die Konserven in den verglasten Kühlschränken. »Wie viel Blut lagerst du hier?«

»Zurzeit haben wir etwa zweitausend Liter vorrätig. Das entspricht –«

»Achttausend Mahlzeiten«, unterbricht Lorenz ihn noch immer erstaunt. »Das reicht für viertausend Tage. Sagt mir noch mal, wie viele Vampire hier in der Gegend leben.«

»Zweiundzwanzig«, antworte ich, woraufhin Cyrill nickt.

In Lorenz' Kopf arbeitet es auf Hochtouren. »Das... Moment... Das heißt, jeder von euch könnte mit den Vorräten, die hier lagern, problemlos ein halbes Jahr existieren. Richtig?«

»Richtig«, antwortet Cyrill lächelnd.

»Hält sich das Blut so lange?«

»Für unsere Zwecke schon. Allerdings muss ich gestehen, dass wir zu altes Blut wegkippen, sobald frisches hereinkommt, denn abgestandenes Essen ist einfach widerlich.« Er legt einen Arm um Lorenz' Schultern und führt ihn zu einem der Kühlschränke. »Weißt du, mein junger Freund, die Zeiten waren für uns nicht immer so gut wie heute. Wenn es den Sterblichen gutgeht, dann geht es uns Vampiren auch gut. Leiden die Menschen Hungersnöte, Krankheiten oder sterben aus anderen Gründen in großer Anzahl in noch jungen Jahren, dann leiden auch wir darunter.«

Lorenz nickt. »Wir sind eure einzige Nahrungsquelle, ich weiß.«

»Richtig. Blutbanken wie meine hier gibt es auf dem ganzen Planeten in großer Anzahl. Sollte die Menschheit also wieder einmal auf die Idee kommen, einen Weltkrieg anzuzetteln, oder durch ihre Reiselust Krankheiten in neue Gebiete einschleppen und ein Massensterben herbeiführen, dann haben wir genügend Vorräte, um in aller Ruhe die Vorkehrungen für einen Umzug zu treffen.« Cyrill lächelt Lorenz an, als dieser noch einmal staunend seinen Blick über die Kühlschrankfronten schweifen lässt. »Jeder von uns hält es auch mal ein paar Tage ohne Nahrung aus, daher könnten wir gut und gerne ein Jahr und länger aushalten, ehe es auch für uns gefährlich wird.«

»Verstehe.« Lorenz nickt, doch als sein Blick auf mich fällt, erkenne ich die Traurigkeit darin. »Durch diesen großen Vorrat ist die Gefahr auch kleiner, nur von einer Person abhängig zu werden, nicht wahr?«

Auf Cyrills Gesicht breitet sich ein Strahlen aus. »In der Tat. Ich sehe, du verstehst unsere Probleme. Um dieser Gefahr zusätzlich vorzubeugen, protokollieren wir jede Blutabnahme und jeden Verkauf. So ist sichergestellt, dass niemand zu oft von dem gleichen Menschen trinkt.«

»Wow. Okay, ihr seid nur zweiundzwanzig, aber bei achttausend Rationen im Lager, stelle ich mir das ziemlich aufwendig vor.«

»Das war es früher. Heute erleichtern uns Computer die Arbeit«, erklärt Cyrill und dirigiert Lorenz in einen Nebenraum.

Eilig folge ich ihnen, denn ich darf meinen Schützling keine Sekunde aus den Augen verlieren. Lorenz hier herumlaufen zu lassen, ist, als würde man ein Kaninchen durch ein Löwengehege schicken und hoffen, dass die Raubtiere bereits satt sind.

»Meine Herren, meine Dame, darf ich euch meinen jungen Freund Lorenz Ziems vorstellen? Er schließt demnächst sein Biologiestudium mit hervorragenden Noten ab und möchte sich bei uns einmal umsehen«, höre ich Cyrill sagen, bevor ich hinter ihm in den Nebenraum trete, der das eigentliche Labor ist. »Er gehört zu Hunter, also möchte ich an eure Manieren appellieren.«

»Natürlich, Cyrill«, antwortet Katharina, eine junge Vampirin, die vor zwei Jahrhunderten als Teenager gebissen wurde. Wir haben vor etwa zwanzig Jahren zusammen in Australien in Cyrills Blutbank gearbeitet, bevor er in dieses Anwesen hier umgezogen ist. Australien hat mir gefallen, daher bin ich noch etwas länger geblieben. »Hallo, Hunter, schön, dich mal wieder zu sehen. Willkommen, Mister Ziems. Möchten Sie etwas Bestimmtes sehen? Wir haben vor einer halben Stunde eine neue Lieferung bekommen und testen sie gerade auf Giftrückstände.«

»Oh. Das klingt wirklich spannend«, antwortet Lorenz und schaut mich über seine Schulter hinweg an. »Ist das okay?«

Unbehaglich blicke ich mich kurz um, nicke angesichts Lorenz' Eifer dann jedoch. »Sicher. Viel Spaß.«

Lorenz strahlt, bevor er den Blick wieder senkt und auf die junge Vampirin zugeht. Sie mag jünger aussehen als er, dennoch ist sie für ihn ein gefährliches Raubtier. Und was für ihn gefährlich ist, ist es auch für mich, daher bin ich froh, dass Cyrill mich zu einer Sitzgruppe führt, von der aus wir den ganzen Raum im Blick haben.

»Keine Sorge, mein lieber Hunter. Deinem Lotos wird nichts geschehen«, sagt er gerade laut genug, damit die Vampire im Raum es hören.

Als wir sitzen, betätigt Cyrill einen Knopf an der Seite des Tisches, woraufhin Julien hereingeeilt kommt. »Was darf ich für Sie tun, Master?«

»Mister Jacobs und ich möchten jetzt gern etwas trinken«, erklärt Cyrill, bevor er sich zu mir umdreht. »Wonach steht dir der Sinn? Männlich oder doch lieber weiblich? Bevorzugst du einen bestimmten Jahrgang?«

Ich sehe kurz zu Lorenz hinüber, dessen Augen herausfordernd blitzen. »Überraschen Sie mich«, antworte ich an Julien gewandt, woraufhin ein kurzes, schelmisches Grinsen über Lorenz' Gesicht huscht.

»Sehr gern. Darf es auch etwas für Mister Ziems sein?«, fragt der Butler tatsächlich.

Cyrill lacht auf, dann dreht er sich zu Lorenz um, der kreideweiß geworden ist. »Ich fürchte, wir haben leider nichts im Haus, was Mister Ziems' Magen verträglich wäre, Julien.«

»Sehr wohl, Master.« Nach einer tiefen Verbeugung verlässt der Butler eilig den Raum.

Während Cyrill und ich über meine Arbeit im Bestattungsinstitut plaudern, lausche ich mit einem Ohr dem Gespräch zwischen Lorenz und Katharina, in dem sie ihm erklärt, wie und warum sie die Blutproben auf Rückstände von Vampirgift testen. Dass fremdes Gift bei uns kurzzeitig zu Lähmungen führt, weiß er zwar, aber er ist so höflich und lauscht ihr dennoch interessiert.

»Sag mir, mein Freund, gibt es einen bestimmten Grund dafür, dass du noch immer hier bist?«, will Cyrill wissen, als wir genug über tote Menschen gesprochen haben. »Ich hatte schon vor einer Weile mit einem weiteren Abschied von dir gerechnet. Was hält dich und deinen Lotos hier noch?«

»Er sollte erst noch sein Studium beenden«, sage ich ausweichend, doch Cyrills Blick nach zu urteilen, glaubt er mir kein Wort. »Außerdem fällt es ihm wegen seiner Mutter schwer, sich mit dem Gedanken anzufreunden, von hier wegzugehen«, füge ich daher hinzu.

Cyrill nickt. »Ah, diese menschliche Schwäche namens Liebe.«

»Nun, ich würde es nicht nur als menschliche Schwäche bezeichnen, aber ja«, sage ich resigniert. »Ich bin darauf vorbereitet, bald mit ihm die Stadt zu verlassen.«

Ein trauriges Lächeln huscht über das Gesicht meines alten Freundes. »Weißt du schon, wohin es euch verschlagen wird?«

»Ich habe mehrere Länder zur Auswahl, möchte die Entscheidung aber Lorenz überlassen. Wie du weißt, war ich schon fast überall, daher ist es mir egal, solange wir zusammen sind.«

Der Butler kommt mit einem polierten Silbertablett herein und stellt zwei dampfende Tassen vor uns ab. Julien lächelt kurz in seiner gezwungenen Art, dann verschwindet er wieder nach draußen.

Cyrill greift nach seiner Tasse. »Wohl bekomm's.«

»Danke.« Bevor ich einen Schluck nehme, blicke ich zu Lorenz hinüber, der jedoch gerade mit Katharina über einer rotierenden Apparatur gebeugt steht und sich angeregt mit ihr unterhält. Ich nutze die Gelegenheit, um die Tasse auszutrinken. »Mhm. Ausgezeichnet«, lobe ich, woraufhin Cyrill glücklich strahlt.

Ein leises Räuspern lässt mich zu Lorenz hinübersehen. Er blickt lächelnd zu mir rüber und tippt sich mit dem Zeigefinger an den rechten Mundwinkel. Eilig wische ich mir mit der Hand über den Mund und lecke anschließend die roten Tropfen von meinen Fingern.

Cyrill amüsiert sich sichtlich, während er genüsslich an seiner Tasse nippt. Verlegen räuspere ich mich, doch mein Freund schüttelt den Kopf. »Es gibt keinen Grund, sich unwohl zu fühlen, mein lieber Hunter. Ich freue mich sehr, dass dir das Glück eines so selbstlosen Lotos' zuteilgeworden ist.«

»Danke, aber bitte...« Ich lege meinen Finger an die Lippen, um Cyrill zu bedeuten, dass er leiser sprechen soll, denn Lorenz muss davon nichts erfahren. Auf ihm lastet sowieso schon zu viel Druck. Zu wissen, dass er der Lotos eines Vampirs ist, würde ihn im Moment vermutlich überfordern.

Cyrill hebt die Augenbrauen, dann nickt er langsam. »Das beantwortet gleich zwei meiner Fragen.«

»So? Welche?«, frage ich argwöhnisch.

Er stellt seine Tasse auf den Tisch und beugt sich ein wenig vor. »Zum einen, warum er dich zu einem Drink mit mir überreden konnte, und zum anderen, warum ihr tatsächlich noch hier seid.«

»Ich habe dich nicht belogen. Ich bin reisebereit, aber er sorgt sich zu sehr um seine Mutter«, erkläre ich.

Cyrill schaut kurz zu Lorenz rüber, dann beugt er sich noch etwas weiter vor. »Davon hast du mir bereits erzählt. Ist es immer noch so schlimm?«

»Ja, und die Situation wird immer ernster. Mittlerweile ist er wirklich in Gefahr und ich fürchte, dass die menschlichen Behörden ihn nicht ausreichend schützen können, solange seine Mutter sich querstellt. Nur fällt es mir angesichts der Bedrohung immer schwerer, mich von ihm fernzuhalten, wenn du verstehst, was ich meine.«

»Ja, das verstehe ich durchaus«, murmelt Cyrill. »Und es ihm zu sagen, ist keine Möglichkeit, die du in Betracht ziehst?«

Ich schüttele den Kopf. »Nein. Er trägt schon zu viel Verantwortung. Diese Bürde kann ich ihm nicht auferlegen.«

»Ich muss zugeben, ich finde es bewundernswert, wie lange du eure Beziehung bereits aufrechterhalten kannst.«

»Nun, was bleibt mir anderes übrig?«, entgegne ich schulterzuckend. »Ich kann nicht riskieren, mich körperlich an ihn zu binden, aber ich kann mich auch nicht von ihm abwenden. Allein der Gedanke daran bereitet mir Höllenqualen.«

Cyrill blickt mich einen Moment lang an, dann nickt er langsam. »Jedes Mal, wenn du zu mir kommst, bin ich dankbar und gleichzeitig überrascht, dass du noch existierst, mein lieber Hunter. Du bist ein Wunder der Natur.«

»So fühle ich mich nicht«, entgegne ich leise.

Cyrill lächelt. »Du weißt, dass ich dir Gewissheit verschaffen könnte. Wir haben einen belastbaren Test entwickelt.«

Kurz blicke ich zu Lorenz hinüber, schüttle dann jedoch den Kopf. »Ja, das weiß ich. Aber die Wahrscheinlichkeit ist verschwindend gering. Es wäre wider die Natur.«

»Genau wie die Tatsache, dass wir beide uns gerade unterhalten.«

»Ich verstehe, dass du so denkst, aber ich will ihm keine Hoffnung machen, wenn wir doch eigentlich wissen, wie das Ergebnis ausfallen wird. Außerdem könnte ich ihm diese Existenz als Monster nicht aufbürden. Vielleicht ändere ich meine Meinung, wenn er älter ist und sein Leben gelebt hat, aber im Moment wäre purer Egoismus mein Motiv und dafür bedeutet er mir viel zu viel.«

»Oh, Hunter, mein Freund. Diese Welt könnte so viel für euch beide bereithalten.«

»Nein!« Augenblicklich spüre ich sämtliche Blicke auf mir. Lorenz' Herzschlag beschleunigt sich, was auch den anderen im Raum nicht verborgen bleibt.

»Ist alles in Ordnung?«, fragt er, während er bereits auf uns zukommt. »Hunter?«

»Ja, sicher. Mach dir keine Gedanken«, sage ich schnell und zwinge mich zu einem Lächeln.

Lorenz blickt zwischen Cyrill und mir hin und her, bevor er sich umwendet und zu Katharina zurückgeht.

»Bitte«, sage ich an Cyrill gerichtet. »Seit über fünfhundert Jahren verweile ich hier auf dieser Welt. Ich bin müde. Lass mich die Zeit an seiner Seite genießen, solange sein Herz schlägt.«

Mit einem mitleidigen Blick schüttelt mein alter Freund den Kopf. »Ich glaube, du begehst damit einen Fehler, Hunter. Es wird der Moment kommen, an dem du es bereust, ihm nicht früher von seinem Schicksal erzählt zu haben.«

»Was soll das bedeuten? Die meisten Menschen gehen durchs Leben und wissen nicht mal von unserer Existenz, geschweige denn davon, dass sie der Lotos eines Vampirs sind. Ihm von all dem zu erzählen, würde sein Leben verkomplizieren und das will ich nicht. Es ist gut so, wie es ist.«

»Bis zu dem Zeitpunkt, an dem es das nicht mehr ist. Stell dir vor, er verletzt sich in deiner Gegenwart und du kannst dich nicht zurückhalten. Dann ist er für deinen endgültigen Tod verantwortlich, ohne zu wissen, dass es möglicherweise eine Alternative gab.«

Seine Argumente sind für einen Vampir, der sich mit seiner Unsterblichkeit arrangiert hat, nachvollziehbar, doch mir entlocken sie nur ein müdes Lächeln. »Wenn es so weit ist, wird mein Gift ihn töten, ehe er es erfährt. Die Wahrscheinlichkeit, dass er meinen Biss überlebt, ist verschwindend gering.«

Entsetzt von meinen Worten schüttelt Cyrill den Kopf, bevor sich eine tiefe Falte auf seiner Stirn zeigt. »Genau dieses Verhalten hat zu unserem schlechten Ruf geführt.«

Auch das entlockt mir nur ein Schulterzucken. »Wir sind nur ein Mythos, mein Freund. Figuren aus Gruselfilmen.«

»Abgesehen von der nicht ganz unbedeutenden Tatsache, dass wir existieren!«

Resigniert schüttle ich den Kopf. »Ich bin müde, Cyrill.«

»Oh, Hunter«, flüstert er sowohl voller Mitgefühl als auch Verzweiflung.

»Hunter?«

Überrascht sehen wir zu Lorenz auf, der von uns unbemerkt an den Tisch getreten ist.

»Ich wollte euer Gespräch nicht unterbrechen, aber wir müssen bald gehen.« Er wedelt mit dem Handy in seiner Hand. »Meine Mutter braucht Kleidung und Toilettenartikel. Ich habe ihr geschrieben, dass ich noch vor dem Mittagessen da sein werde.«

»Sicher. Ich habe deine Bestellung schon fertig«, sagt Cyrill an mich gerichtet. »Ich werde sie zum Auto bringen lassen.«

Lorenz hält ihn zurück. »Moment. Ganz so eilig ist es nicht.« Er rollt seinen Pulloverärmel hoch.

»Nein«, sage ich schnell. »Du brauchst nichts spenden. Cyrill hat genug Vorrat, das hast du doch gesehen.«

»Ja, das weiß ich, aber je mehr Blut er von unterschiedlichen Menschen hat, desto besser, oder?« Lorenz blickt Cyrill an, der schluckt, bevor er nickt. »Na also. So könnt ihr euer Gespräch noch beenden und ich tue etwas Gutes.«

»Aber...« Eilig springe ich auf und folge beiden Männern aus dem Raum. »Moment, Lorenz, du musst das wirklich nicht tun.«

»Ich will aber.« Er wendet sich zu Cyrill um. »Stell bitte sicher, dass es nicht in eine von Hunters Bestellungen rutscht. Auch nicht versehentlich.«

»Natürlich nicht«, versichert Cyrill kopfschüttelnd. »Wir werden es für unseren privaten Gebrauch zurückhalten.«

Lorenz grinst, als er sich bereits auf eine der bereitstehenden Liegen legt. »Du könntest es Julien geben. Vielleicht kann er mich dann besser leiden.«

Verzweifelt muss ich zusehen, wie Cyrill eine Injektionsnadel in den Arm meines Lotos' schiebt. Lorenz' Herz klopft etwas schneller als normal, als sein dunkelrotes Blut durch den dünnen Schlauch in einen Beutel läuft. Alles in mir verlangt danach, Cyrill anzugreifen, meinen Lotos zu verteidigen und von ihm zu trinken. Es ist das erste Mal, dass ich sein Blut sehe, denn Lorenz ist sich der Gefahr eigentlich bewusst. Offenbar fühlt er sich hier sicher genug, vielleicht, weil Cyrill dabei ist, aber ich bin wirklich kurz davor, die Beherrschung zu verlieren. Selbst die Augen zu schließen, hilft wenig, denn der Geruch seines Blutes dominiert alles andere hier im Raum. Ein Knurren bahnt sich seinen Weg, ohne dass ich es aufhalten könnte.

»Hunter, geh lieber raus.«

Ich öffne die Augen und obwohl ich weiß, dass sie statt wie normalerweise weinrot im Moment tiefschwarz sind, sehe ich Lorenz an, der hörbar schluckt. Sein Herz rast, seine Brust hebt und senkt sich schnell und aus seinen weit aufgerissenen Augen blickt mir pure Panik entgegen.

»Bitte. Du machst mir Angst.«

Ich kann das Blut in seinen Adern pulsieren hören und der Geruch ist so verlockend. Bei niemandem hatte ich jemals solch starkes Verlangen, ihn zu beißen. Durst bin ich gewohnt, aber beim Anblick von Lorenz' Blut nimmt er Ausmaße an, die meine gesamte Selbstbeherrschung erfordern. Dazu kommt diese unbändige Erregung, die ich kaum noch ignorieren kann. Seit Lorenz kein Kind mehr ist, fällt es mir von Tag zu Tag schwerer, ihm zu widerstehen. Mutter Natur hat sich in der Tat einen schlechten Scherz damit erlaubt, uns Vampire derart von unserer Nahrungsquelle abhängig zu machen.

»Es geht schon«, bringe ich hervor, als ich mir sicher bin, mich wieder unter Kontrolle zu haben. »Ich würde dich nie angreifen, das weißt du.«

Er schluckt heftig, dann nickt er. »Ja, weiß ich.«

Cyrill tritt vor mich und umfasst meine Schultern. »Komm, mein Freund, setzen wir uns noch einen Moment.«

Nickend lasse ich mich zu einem Stuhl in der Zimmerecke führen und will mich gerade setzen, als plötzlich die Tür aufgeht und Julien hereinkommt. Als er zu Lorenz hinüberblickt, reagiere ich instinktiv. Mit einem Sprung bringe ich mich zwischen meinen Lotos und den Vampir, ein weiterer und ich drücke Julien zu Boden.

»Hilfe! Master, bitte helft mir!«, kreischt er, als Gift durch meine Kiefer schießt und ich meine Zähne in seinem Hals versenke.

»Hunter!«

»Mein lieber Freund, lass ab. Julien wird ihm nichts tun.«

»Hunter, nicht! Verdammt, hör damit auf!«

Nur allmählich dringen Cyrills ruhige Stimme und Lorenz' Fluchen zu mir durch. Leicht benommen falle ich nach hinten und rutsche von Juliens steifem Körper weg.

»Bleibt draußen. Es ist alles unter Kontrolle.« Bei Cyrills Worten hebe ich den Kopf und blicke in die verwirrten Gesichter seiner Laboranten, die jedoch kurz darauf die Tür schließen. »Hunter?«

Statt Worten kommt ein Fauchen aus meinem Mund. Ich schüttle den Kopf und versuche es noch einmal: »Ja. Gleich. Tut mir leid.« Schuldbewusst sehe ich zu Lorenz auf, der mich entsetzt anstarrt. »Tut mir leid.«

Er schluckt und sein Blick wandert zu Juliens Körper hinüber, der reglos mit offenen Augen auf dem Boden liegt. »Ist er... Was ist mit ihm?«

Cyrill hat sich neben Julien gekniet und ihm eine Hand auf die Schulter gelegt. »Er ist gelähmt. Keine Sorge, er ist noch so untot wie zuvor und wenn sein Körper das fremde Gift abgebaut hat, kann er sich auch wieder bewegen. Es wird nur eine Weile dauern, denn unser lieber Hunter hier scheint es damit ziemlich gut gemeint zu haben.«

»Es tut mir leid«, wiederhole ich ehrlich beschämt über meinen Kontrollverlust und rapple mich auf.

Cyrill lächelt und nickt, dann sieht er zu Julien hinunter. »Ich hätte die Tür besser abschließen sollen. Ich trage also eine Mitschuld.« Er steht auf und macht einen Schritt auf Lorenz zu, hält dann jedoch inne und sieht mich an. »Wir brechen die Spende ab. Wenn du gestattest, befreie ich deinen Lotos von der Nadel.«

Ich nicke eilig, denn ich will hier nur noch raus. Während Cyrill tut, was er tun muss, vergrabe ich die Hände in den Hosentaschen und blicke zu Julien hinüber, doch noch regt er sich nicht. Ich würde allerdings ungern gehen, ohne mich bei ihm zu entschuldigen. Die Dauer der Lähmung ist abhängig von der fremden Giftmenge, daher fürchte ich, dass er mehr als nur ein paar Minuten bewegungsunfähig sein wird, denn ich habe ihm einiges injiziert.

»Sehr schön. Ein bisschen was ist ja doch zusammengekommen«, meint Cyrill zufrieden und legt den Blutbeutel außerhalb meiner Sichtweite.

Lorenz steht von der Liege auf. Einen Moment lang bleibt er einfach nur stehen und blickt mich an, dann atmet er tief durch und kommt auf mich zu. »Alles wieder okay?«

»Ja«, versichere ich ihm leise und wenn mein Herz noch schlagen würde, würde es jetzt vermutlich meinen Brustkorb sprengen, denn entgegen meiner Befürchtung zieht Lorenz mich, ohne zu zögern, in eine Umarmung. Sein warmer Atem geistert über meinen Hals, als er seine Nase gegen meine Haut presst.

»Es tut mir leid, dass ich nicht auf dich gehört habe«, flüstert er in mein Ohr.

Ich lege meine Arme um ihn und presse ihn an meine Brust. »Bring mich nie wieder in eine solche Situation.«

»Bestimmt nicht«, murmelt er und krallt sich kurz in mein T-Shirt, bevor er sich von mir löst und mir in die Augen sieht. »Lass uns nach Hause fahren, okay?«

Ich nicke und als er mir seine Hand hinhält, nehme ich sie.

Cyrill steht bereits an der Tür und winkt uns zu sich. Als wir an Julien vorbeikommen, hocke ich mich neben ihn, doch er blickt noch immer starr zur Zimmerdecke hinauf.

»Bitte entschuldigen Sie, Julien.« Bis zum heutigen Tag habe ich noch nie einen anderen Vampir von mir aus angegriffen. Ein Biss zur Verteidigung ist schon öfter notwendig gewesen, doch selbst der letzte ist über hundertfünfzig Jahre her.

»Ich bin mir sicher, dass er es dir nicht übelnehmen wird«, meint Cyrill, doch das kann mein schlechtes Gewissen nicht beruhigen, denn ich weiß, wie beschissen es sich anfühlt, wenn man stundenlang in seinem reglosen Körper gefangen ist.

»Bitte richte ihm noch mal aus, wie leid es mir tut«, bitte ich meinen alten Freund, der daraufhin nickt und uns wieder in den Empfangsraum geleitet.

»Setzt euch noch einen Augenblick. Ich lasse deine Bestellung raufbringen, würde mich aber schon mal verabschieden.« Nachdem er uns beiden die Hand geschüttelt und uns versichert hat, dass wir noch immer jederzeit willkommen sind, verschwindet Cyrill wieder aus dem Zimmer.

Kaum schließt sich die Tür, schlingt Lorenz einen Arm um meine Taille und presst sich an meine Schulter. »Hunter?«

»Ja?«

»Warum hat er mich als deinen Lotos bezeichnet, als er um deine Erlaubnis gebeten hat, die Nadel zu ziehen?«

Ein Kloß bildet sich in meinem Hals und ich muss schlucken. »Ich habe dir doch erzählt, dass wir Vampire davon abhängig werden, wenn wir zu oft von demselben Menschen trinken.«

Lorenz blickt stirnrunzelnd zu mir auf. »Ja.«