Ungeahnt berührt - Jessica Martin - E-Book

Ungeahnt berührt E-Book

Jessica Martin

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Beschreibung

Als Boris eines Tages ein sehr eindeutiges Foto seines besten Freunds Ian in einem BDSM-Forum findet, ist er mehr als überrascht. Boris lebt seine dominante Seite schon viele Jahre aus, während Ian ganz offensichtlich ein Neuling als Sub ist – und sich damit in gefährliche Situationen bringt, wie das unfreiwillig entstandene Foto beweist. Boris ist nur allzu gerne bereit, Ian auf seinen ersten Schritten in diese neue Welt zu begleiten, doch mehr kann daraus nicht werden. Denn so sehr Boris ihn als besten Freund auch liebt, er ist im Gegensatz zu Ian nicht schwul. Schon die ersten gemeinsamen Spiele berühren beide Männer jedoch auf ungeahnte Weise und plötzlich müssen sie sich damit auseinandersetzen, wie aus ihrer Freundschaft mehr werden kann...

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Deutsche Erstausgabe (ePub) September 2019

© 2019 by Jessica Martin

Verlagsrechte © 2019 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk, Taufkirchen

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

Druckerei: CPI Deutschland

ISBN-13: 978-3-95823-777-3

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de

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Klappentext:

Als Boris eines Tages ein sehr eindeutiges Foto seines besten Freunds Ian in einem BDSM-Forum findet, ist er mehr als überrascht. Boris lebt seine dominante Seite schon viele Jahre aus, während Ian ganz offensichtlich ein Neuling als Sub ist – und sich damit in gefährliche Situationen bringt, wie das unfreiwillig entstandene Foto beweist. Boris ist nur allzu gerne bereit, Ian auf seinen ersten Schritten in diese neue Welt zu begleiten, doch mehr kann daraus nicht werden. Denn so sehr Boris ihn als besten Freund auch liebt, er ist im Gegensatz zu Ian nicht schwul. Schon die ersten gemeinsamen Spiele berühren beide Männer jedoch auf ungeahnte Weise und plötzlich müssen sie sich damit auseinandersetzen, wie aus ihrer Freundschaft mehr werden kann...

Kapitel 1

Boris

Heilige Scheiße, das durfte nicht wahr sein. Völlig perplex starrte Boris auf den Laptopbildschirm. Das konnte einfach nicht sein. Er klickte das Bild an, vergrößerte es und schob den Bildausschnitt so lange hin und her, bis er sich sicher war, dass er tatsächlich seinen besten Freund vor sich hatte.

»Scheiße«, flüsterte er und griff nach seinem Handy, hielt dann jedoch inne und starrte noch mal auf das Foto. Nur, um sicherzugehen.

Aber es war wirklich Ian, der dort mit verbundenen Augen in irgendeinem Schlafzimmer auf dem Teppich kniete. Die Narbe von seiner Blinddarm-OP vor fünf Jahren war deutlich zu erkennen, genau wie das wellenförmige Muttermal auf seinem linken Oberschenkel. Zwar verdeckte die zu breite Augenbinde sein halbes Gesicht, aber der Schwung der Kinnpartie war Boris vertraut. Auch die kurzen, blonden Haare und vollen Lippen waren ganz eindeutig Ians. Scheiße.

Boris' Herz klopfte noch immer wie wild, denn er war völlig unerwartet über das Bild gestolpert. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass sein bester Freund in diesem Forum aktiv war, geschweige denn sich ebenfalls für BDSM interessierte. Dass er ein Sub war, passte allerdings zu Ian, denn er war schon immer eher der Mitläufer gewesen und hatte Boris die Führung überlassen.

Nur hätte Boris nie gedacht, dass Ian im Bett darauf stand, wenn sein Sexpartner den Ton angab. Andererseits hatte er sich auch nie Gedanken darüber gemacht, was seinen besten Freund anmachte, geschweige denn wie hart oder zart er es im Bett mochte.

Je länger Boris darüber nachdachte, desto seltsamer kam ihm die Sache vor. Wusste Ian überhaupt, dass das Foto im Netz gelandet war? Hatte er dem zugestimmt? War er mit dem Foto an sich eigentlich einverstanden gewesen? Die nicht unbedingt schmeichelhafte Bildunterschrift ließ Boris daran zweifeln. Er warf einen Blick auf den Thread-Ersteller, der Nickname sagte ihm jedoch nichts.

Unschlüssig blickte er auf das Handy in seiner Hand und wägte seine Optionen ab.

Es stand außer Frage, dass er Ian darauf ansprechen musste, aber gleichzeitig bedeutete das, sich selbst zu offenbaren. Bisher hatte er diesen Teil seiner Persönlichkeit vor seinem besten Freund geheim gehalten. Es behagte ihm nicht, dass Ian davon erfahren würde, aber gleichzeitig wusste er nicht, wie er sonst erklären sollte, das Bild gefunden zu haben. Nur registrierte Nutzer konnten auf das Forum zugreifen. Zwar war jeder willkommen, egal, für welches Geschlecht sein oder ihr Herz schlug und welche Sexpraktiken ihn oder sie anmachten, aber Ian würde Boris nie im Leben abnehmen, dass er sich einfach zum Spaß dort angemeldet hätte. Außerdem wollte Boris ihn auch nicht anlügen.

Seufzend blickte er wieder auf das Bild, doch es half alles nichts. Er musste es Ian sagen und ihm, wenn nötig, helfen, das Foto aus dem Netz löschen zu lassen. Vermutlich würden sie anschließend ein Gespräch über ihre sexuellen Vorlieben führen müssen, das jedoch mit Sicherheit deutlich unangenehmer werden würde als das letzte.

Es war mittlerweile sechzehn Jahre her, seit Ian sich Boris gegenüber als schwul geoutet hatte. Damals war er mitten beim Zocken auf der Spielekonsole damit herausgeplatzt und hatte Boris um den verdienten Sieg beim Autorennen gebracht, aber mehr als ein kurzer Schockmoment war es für ihn nicht gewesen.

Ian und er waren seit dem Kindergarten die besten Freunde. Sie waren auf die gleichen Schulen gegangen, hatten beide an der gleichen Uni BWL studiert und wohnten nur ein paar Straßen voneinander entfernt. Ihre Familien waren miteinander befreundet, sie hatten den gleichen Freundeskreis, sahen sich in so ziemlich jeder freien Minute und selbst ihre Urlaube verbrachten sie zusammen. Sie waren beide Single, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.

Während Boris gelegentliche One-Night-Stands der einengenden Monotonie einer Beziehung vorzog, wusste er, dass Ian sich nach einem festen Partner sehnte. Seine Schüchternheit und die völlig bescheuerten Komplexe, was sein Äußeres betraf, erschwerten Ian die Suche nach einem Partner jedoch.

Boris wusste, wie intolerant die Schwulenszene Menschen gegenüber sein konnte, die keine Idealmaße hatten. Er hasste dieses oberflächliche Verhalten und ermutigte seinen besten Freund immer wieder, mit ihren gemeinsamen, schwulen Freunden auszugehen, während er selbst in Heteroclubs unterwegs war. Hin und wieder ging er mit in einen Schwulenclub, aber dort langweilte er sich meist genauso wie Ian, der weder tanzen noch irgendwelche Typen ansprechen wollte.

Offenbar hatte Ian schließlich doch mal ein Date gehabt, von dem er Boris nichts erzählt hatte. Das war an sich kein Problem, allerdings störte es Boris sehr wohl, dass sein bester Freund so unvorsichtig gewesen und nun ein kompromittierendes Foto von ihm im Netz zu finden war.

Entschlossen, die Sache in die Hand zu nehmen, fuhr er den Laptop runter, schob ihn in seine Messenger-Tasche und machte sich auf den Weg zu Ian.

Kapitel 2

Ian

Er hatte es sich gerade mit einem Glas Wein und einer Reiswaffel auf der Couch gemütlich gemacht, als es an der Tür klingelte. Es war schon nach neun an einem Dienstagabend, daher blickte er irritiert von seinem Buch auf. Erneut klingelte es und diesmal schien der Störenfried den Finger auf dem Knopf geparkt zu haben. Genervt warf Ian die Decke zur Seite und eilte in den Flur.

»Ja?«, brüllte er in den Hörer der Gegensprechanlage.

Das Klingeln verstummte. »Ich bin's.«

Als er die Stimme seines besten Freundes hörte, drückte er auf den Türöffner und zog die Wohnungstür auf.

»Hey, waren wir verabredet?«, fragte er Boris überrascht, als dieser die Treppe heraufkam.

»Nein.«

»Ist was passiert?« Irritiert über den ernsten Gesichtsausdruck und die fehlende Begrüßung trat Ian beiseite und gab so den Weg in seine Wohnung frei. »Boris?«

Der stieg gerade aus seinen Sneakers und deutete Richtung Wohnzimmer. »Wir müssen über etwas reden.«

»O-okay.« Mit einem mulmigen Gefühl folgte Ian ihm zum Tisch. »Willst du was trinken?«

»Nein, danke.« Boris saß bereits im Sessel und hatte seinen Laptop herausgeholt, den er auf den Tisch stellte und einschaltete.

Boris' ernste Miene war immer noch irritierend, aber es lag auch Entschlossenheit darin. Nervös setzte Ian sich aufs Sofa. »Na gut. Dann schieß mal los. Was gibt es denn so Dringendes?«

Boris antwortete nicht, tippte offenbar ein Passwort ein und sah dann auf. Sein Blick wirkte durchdringend und machte Ian noch nervöser.

Doch plötzlich wurde sein Ausdruck milder und er lächelte beinahe. Aber nur beinahe, daher ahnte Ian schon, dass ihm das folgende Gespräch nicht gefallen würde.

»Ich könnte eine Weile um den heißen Brei herumreden und dir unangenehme Fragen zu deinem letzten Date stellen, die du nicht beantworten willst, daher mache ich es kurz: Ich habe ein Foto von dir im Internet gefunden und wir müssen darüber reden.«

Perplex blinzelte Ian. »Woher weißt du, dass ich ein Date hatte?« Unweigerlich schoss ihm Hitze in die Wangen und er konnte Boris' Blick nicht mehr standhalten, sondern konzentrierte sich stattdessen auf den schwarzen Fernsehbildschirm.

»Durch das Foto«, antwortete Boris sanft und Ian sah zu ihm zurück.

»Was für ein Foto?« Er konnte sich nicht daran erinnern, dass Oliver ihn fotografiert hatte. Wenn er genauer darüber nachdachte, war es sowieso eher unwahrscheinlich, dass Boris wusste, mit wem er sich getroffen hatte und vor allem, wofür, schließlich hatte er sich über ein geschlossenes Forum mit dem Dom verabredet. Ganz bestimmt verwechselte Boris ihn mit irgendjemandem und es war nur Zufall, dass er das Date angesprochen hatte.

Ians Blick fiel auf den Laptop, der mittlerweile hochgefahren war und den Boris kommentarlos zu ihm herumdrehte. Er schnappte nach Luft. Sein Magen zog sich zusammen und er hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Oh, Scheiße.

»Wie? Wieso? Wo hast du das gefunden?«, brachte er stotternd hervor, während ihm kalter Schweiß ausbrach und er auf die furchtbar unvorteilhafte Nacktaufnahme von sich starrte. Wie in Trance sah er sich den Rest der Internetseite an und nun wurde ihm beinahe schwindelig. »Woher weißt du davon?«

Boris seufzte und stützte die Unterarme auf den Knien ab. »Ich habe das Bild zufällig gefunden, als ich mich vorhin eingeloggt und die neuen Threads durchgeguckt habe.«

Ian verstand nur Bahnhof. »Wieso hast du dich da eingeloggt?«

»Um zu sehen, ob jemand online ist, der am Wochenende Lust auf ein Spiel hat.«

»Was?!« Ian spürte, wie seine Augen immer größer wurden und seine Kinnlade herunterklappte.

Boris schüttelte seufzend den Kopf. »Ehrlich, Ian, wie konntest du so unvorsichtig sein und dich von einem wildfremden Typen fotografieren lassen?«

Ian blinzelte. »Ich wusste das nicht«, brachte er hervor und sah wieder zum Bildschirm zurück. »Das hätte ich nie erlaubt. Guck dir das Bild doch mal an. Ich sehe furchtbar aus.« Oh Gott, was redete er da? »Nein, guck es dir nicht an.«

»Ich habe es mir schon angesehen. Ich musste ja sichergehen, dass du es wirklich bist.«

Zutiefst beschämt vergrub Ian das Gesicht in seinen Händen. Das Polster senkte sich neben ihm und ein warmer, starker Arm legte sich um seine Schultern, bevor er an Boris' Brust gezogen wurde.

»Wir sollten diesen Oli1985 melden.«

Ian nickte sofort, schaffte es aber einfach nicht, den Kopf zu heben. Das war allerdings auch nicht nötig. Noch immer den Arm um ihn gelegt, beugte sich Boris vor und Ian hörte ihn tippen.

»Ich weiß nicht, ob die Admins das Foto löschen können, aber selbst wenn, hat er die Datei ja noch auf seinem Computer oder Handy, daher sollten wir sicherheitshalber einen Anwalt einschalten.«

Ian seufzte, während er Halt bei seinem besten Freund suchte. »Okay. Aber ich kenne nur seinen Vornamen.«

Boris atmete tief durch. »Weiß er persönliche Sachen von dir? Wo du wohnst oder arbeitest? Ihr habt euch nicht hier getroffen, das konnte ich erkennen, aber hat er dich vielleicht nach Hause gebracht?«

»Nein, ich hab mich nur als Ian vorgestellt. Wir haben uns in einem Hotel getroffen und ich bin hinterher allein nach Hause gegangen. Er hat noch geschlafen.«

»Okay. Hat er noch irgendwas gemacht, was du nicht wolltest?«

»Nein«, sagte Ian leise und löste sich von Boris, denn die ganze Situation war ihm immer noch mehr als peinlich. Er atmete tief durch und sah auf. Boris strahlte eine erstaunliche Ruhe aus und Ian konnte die Entschlossenheit spüren, mit der Boris versuchte, der Lage Herr zu werden. Sein Blick glitt über das ernste und gleichzeitig verständnisvolle Gesicht seines besten Freundes und plötzlich war es, als würde er ihn zum allerersten Mal sehen.

»Du bist ein Dom«, flüsterte er perplex, woraufhin Boris nickte.

»Bin ich. Und wir beide müssen uns mal ernsthaft darüber unterhalten, welche Sicherheitsregeln beim Spielen mit Fremden gelten. Ich will nicht noch mal erleben, dass du dich heimlich mit irgendwem verabredest, ohne dass ich weiß, wo du bist.«

»Wie bitte?«

»Das ist mein Ernst. Bei diesem Forum kann sich jeder anmelden, ob er nun tatsächlich an Spielpartnern interessiert ist oder nur ein leichtes Opfer für seine perversen Fantasien sucht.«

Blinzelnd schüttelte Ian den Kopf. »Du willst, dass ich dir Bescheid sage, wann ich mich mit jemandem zum Sex verabrede?«, fragte er und war kurz davor, laut loszulachen, denn das konnte doch nur ein schlechter Scherz sein. Boris war schließlich nicht sein Aufpasser.

Sein bester Freund nickte jedoch. »Richtig. Ich will wissen, wo du bist und wir werden ausmachen, dass du mich zu bestimmten Zeiten anrufst, zumindest, wenn du zum ersten Mal mit jemandem spielst.«

Ian erwachte aus seiner Starre und sprang vom Sofa. »Spinnst du? Ich werde dir doch nicht Bericht erstatten, wann ich mit wem Sex habe oder wie es gerade so läuft.«

»Doch, wirst du.«

»Das werde ich nicht!«, brüllte er, als sich Verzweiflung, Scham und Verärgerung Bahn brachen. »Für wen hältst du dich?«

»Für deinen besten Freund.« Boris seufzte. »Ich weiß, dass dir das gerade unangenehm ist, aber –«

»Unangenehm ist gar kein Ausdruck. Hast du mir etwa nachspioniert?«, fragte er aufgebracht.

»Das ist Unsinn und das weißt du auch. Wenn ich gewusst hätte, was du vorhast, hätte ich dich davon abgehalten.«

Ian schüttelte den Kopf. »Und wie bitte schön? Wärst du mitgekommen und hättest Wache gestanden oder was?«

»Nein, aber offenbar bist du da blindlings reingestolpert und hast so ziemlich jede Sicherheitsmaßnahme missachtet«, wiederholte Boris geduldig und Ian kniff die Augen zusammen. »Wie lange spielst du überhaupt schon in der Szene?«

»Das geht dich gar nichts an!«

Offenbar um Geduld bemüht, atmete Boris tief durch. »Ich will dich hier nicht bloßstellen, Ian. Ich mache mir Sorgen um dich. Das Foto zeigt klar, dass du noch nicht viel Erfahrung als Sub hast, was völlig okay ist. Jeder hat irgendwann mal angefangen. Aber du kannst mir nicht sagen, dass es dich kaltlässt, was da passiert ist. Ich weiß, dass es nicht so ist.«

»Das Foto hätte jedem passieren können. Augenbinden gehören zum Spielen nun mal dazu«, entgegnete er trotzig, um die Panik, die gerade in ihm tobte, nicht die Oberhand gewinnen zu lassen.

»Das stimmt, aber darauf wollte ich nicht hinaus. Ich sehe dir an, dass du untrainiert bist.«

Ian warf verzweifelt die Hände in die Luft und stöhnte Richtung Zimmerdecke. »Jeder sieht mir aus hundert Metern Entfernung an, dass ich untrainiert bin. Dazu muss ich nicht nackt sein.«

Lächelnd schüttelte Boris den Kopf. »Ich rede nicht von Unsportlichkeit, sondern von deiner Körperhaltung.« Er deutete auf das noch immer präsente Foto. »Du kauerst regelrecht auf dem Teppich. Auch wenn es dich offensichtlich erregt hat, sehe ich, dass du dich unwohl gefühlt hast. Dein Rücken ist krumm, deine Knie zu weit zusammen und von deinen Armen reden wir besser gar nicht erst. Ich bin mir sicher, dass dir noch kein Dom gezeigt hat, wie man sich präsentiert. Oder war der da nur besonders unfähig, dich trotz deiner Komplexe dazu zu bringen?«

Etwas in Boris' Stimme hatte sich geändert. Sein Tonfall war schärfer geworden, ernster und Ian musste unweigerlich schlucken, während seine Wangen feuerheiß wurden. »Ich...«

»Antworte mir, Florian. Seit wann bist du ein Sub?«

»Ich weiß es nicht genau«, antwortete er leise, als etwas in seinem Inneren nachzugeben schien.

Er sah kurz in Boris' Gesicht und als dieser ermutigend lächelte, schluckte er und setzte sich wieder auf die Couch. »Ich bin vor ein paar Jahren über einen Roman dazu gestolpert und fand die Story heiß. Er war aus Sicht des Subs geschrieben und hat mich angemacht. Also habe ich gezielt nach Nachschub zu diesem Thema gesucht. Erst nur fiktive Geschichten und na ja... Pornos und dann irgendwann hab ich mir so einen Ratgeber für Einsteiger gekauft, aber der war sehr allgemein gehalten. Im Internet bin ich dann auf das Forum gestoßen und nachdem ich ein Jahr nur mitgelesen hatte, habe ich vor zwei Wochen Oliver angeschrieben. Er hat sich in diesem Begrüßungsthread für Neulinge vorgestellt und wir haben ein bisschen gechattet. Er war echt nett und das Date war auch okay. Das mit dem Foto war allerdings nicht abgesprochen.«

»Wusste er, wie unerfahren du bist?«

»Na ja, ich hab's ihm nicht gesagt, aber wenn du es schon auf dem Foto gesehen hast, wird es ihm wohl auch aufgefallen sein.«

»Aber abgesehen von dem Foto lief alles auf freiwilliger Basis, ja?«

»Ja.«

Boris seufzte eindeutig erleichtert und Ian hoffte, dass das Verhör damit beendet war. Er wusste nicht, ob er Boris Details des Dates verraten wollte, war sich aber sicher, dass er es tun würde, wenn sein bester Freund ihn wieder so unnachgiebig ansah und mit strenger Stimme sprach. Es ließ sich wohl nicht leugnen, dass sein innerer Sub erwacht war und da er Boris vertraute... Trotzdem behagte es Ian nicht, dass er zukünftig über seine Dates Auskunft geben sollte.

»Na gut. Ich rufe morgen bei einem Anwalt an, damit er dafür sorgt, dass dieser Oliver keinen Unfug mehr mit dem Foto treibt, okay? Ich mache einen Termin aus, aber du musst sicher mit hin.«

Ian nickte. »Okay. Danke.«

»Jederzeit, Kumpel. Mir ist klar, dass dir das Ganze peinlich ist, aber ich musste das ansprechen.« Boris legte ihm eine Hand auf die Schulter und drückte sie sanft. »Alles klar?«

»Ja.« Ians Blick fiel auf das Weinglas und sein aufgeschlagenes Buch auf dem Tisch, doch die Lust zu lesen war ihm gründlich vergangen, obwohl er sich schon seit Wochen auf den neuen Roman seines Lieblingsautors gefreut hatte. »Ich geh dann mal ins Bett, denke ich. Sagst du mir Bescheid, wann ich wo sein soll?«

»Mache ich.« Boris nickte und musterte ihn besorgt. »Kann ich dich wirklich allein lassen?«

Er war seinem besten Freund unglaublich dankbar, dass er die Sache in die Hand nahm, denn er fühlte sich entblößt und im Moment ziemlich hilflos. Trotzdem ertrug er Boris' mitleidigen Blick nicht länger, sondern wollte nur noch allein sein.

Sein erster Ausflug in die Welt des BDSM war gründlich in die Hose gegangen und zu wissen, dass Boris ein Dom war, überforderte ihn im Moment zusätzlich. Er wusste nicht, warum ihn das so beschäftigte, schließlich war Boris hetero und sie in keiner Weise sexuell aneinander interessiert, aber vielleicht lag es daran, weil sein innerer Sub trotzdem auf den Dom in Boris reagiert hatte. Das war dämlich und er wollte auf keinen Fall, dass sich das auf ihre Freundschaft auswirkte.

»Ich komme schon klar«, sagte Ian, erhob sich demonstrativ und wartete, bis Boris den Laptop wieder eingepackt hatte und ihm zur Tür folgte. »Danke für deine Hilfe.«

Im nächsten Moment wurde er an Boris' breite Brust gedrückt. »Hey, das Ganze erscheint im Moment schlimmer, als es ist, okay? Dein Name steht nicht drunter und ich denke nicht, dass dich jemand erkennt.«

»Du hast mich erkannt«, erinnerte er resigniert.

Boris' Hände rieben über Ians Rücken. »Nur, weil ich dich im Gegensatz zu den meisten anderen Menschen in deinem Umfeld schon oft genug nackt gesehen habe. Und ein Exhibitionist bist du nicht, oder?«

Ian musste unweigerlich lachen, denn die Vorstellung war einfach absurd. »Wohl kaum. Da würden die Leute sicher schreiend weglaufen.«

»Red dir nicht immer solchen Quatsch ein«, schimpfte Boris. »Du bist ein toller Kerl und wer das nicht erkennt, auf den kannst du verzichten.«

Oh Mann, wie oft hatte Ian sich diesen Satz schon anhören müssen? Auch wenn er dem prinzipiell zustimmte, machte es die Partnersuche nicht unbedingt einfacher. Als Couchpotato lernte er generell nicht oft neue Leute kennen und wenn er mal mit den anderen ausging, reichte ein Blick auf seinen moppeligen Hintern und die Fettpölsterchen an Bauch, Hüften und Oberschenkeln, dass die Kerle sich schnell wieder von ihm abwandten, sollte tatsächlich mal jemand versehentlich in seine Richtung blicken.

Boris drückte ihn noch mal an sich, dann zog er sich zurück, hielt ihn aber an den Oberarmen fest. »Wird schon wieder, hm?«

Ian blickte in die warmen braunen Augen seines besten Freundes und nickte zuversichtlich. »Ja, sicher. Du hast recht, bestimmt erkennt mich keiner. Trotzdem ist es mir peinlich.«

»Vor mir?«

»Natürlich vor dir«, antwortete er augenrollend, woraufhin Boris leise lachte.

»Mach dich nicht lächerlich. Ich habe nicht mehr gesehen, als schon tausendmal vorher. Du hast sogar schon mal nackt vor mir gekniet.«

»Das war was anderes«, entgegnete er, schließlich hatte ihn damals im Urlaub ein fieser Virus erwischt und ihm war nach dem Duschen schwindelig gewesen. Trotzdem war er froh, dass Boris die Sache so locker nahm. »Na gut, ich geh dann mal ins Bett.«

»Was ist mit deiner überaus delikaten Reiswaffel?«

Ian boxte ihm gegen die Schulter. »Die heb ich mir für morgen auf. So kann ich dann zwei essen.«

Boris lachte. »Du Draufgänger.« Als er im Hausflur stand, wandte er sich noch mal zu Ian um. »Alles okay?«

Als er nickte, lächelte Boris und hob kurz die Hand zum Abschied, bevor er die Treppe hinunterging. Seufzend lehnte Ian sich von innen gegen die geschlossene Tür und atmete tief durch. Boris hatte es irgendwie geschafft, dass er nicht in Panik geraten war, und würde sich um einen Termin beim Anwalt kümmern. Außerdem hatte er recht. Selbst wenn ein Kollege oder Nachbar das Bild sah, würde wohl niemand erkennen, dass Ian dort kniete.

An diesen Gedanken klammerte er sich, während er ins Bad ging, um sich bettfertig zu machen.

Kapitel 3

Boris

»Das lief doch ganz gut, hm?« Boris sah Ian mit einem aufmunternden Lächeln an, der noch genauso rote Wangen hatte wie beim Gespräch mit der Anwältin und lediglich mit den Schultern zuckte. »Ich bin jedenfalls zuversichtlich, dass sie rausfindet, wer dieser Oliver ist und alles in die Wege leitet, dass das Foto nicht mehr im Netz landet.«

Ian seufzte und vergrub die Hände in seinen Hosentaschen. »Ja, bestimmt.«

Schweigend gingen sie über den Parkplatz des Einkaufszentrums, in dem sich die Anwaltskanzlei befand. Es herrschte reges Treiben, da viele Familien noch ihren Wochenendeinkauf erledigten, und Ian schien so in Gedanken versunken zu sein, dass er gegen einen Einkaufswagen gelaufen wäre, hätte Boris ihn nicht zur Seite gezogen.

Eigentlich hatte er vorgehabt, Ian nach Hause zu fahren und dann seine Eltern zu besuchen, bevor er in einen Club ging, aber er änderte seinen Plan kurzerhand und schrieb seiner Mama eine Nachricht, nicht böse zu sein, weil er das wöchentliche Treffen absagte, bevor er das Auto startete.

»Wohin fährst du?«, fragte Ian, der aus seiner Trance erwacht war und verwirrt aus dem Seitenfenster in seine Straße blickte, an der Boris jedoch vorbeifuhr.

»Oak's«, antwortete er knapp.

Die kleine Bar war in den letzten Jahren zu ihrem Stammlokal geworden. Ihr Kumpel Freddy war ein totaler Whiskey-Liebhaber und hatte die Bar zusammen mit Paul, seinem Partner, entdeckt. Natürlich wurde die ganze Clique am Wochenende darauf von den beiden dorthin geschleppt und sie alle hatten die Bar für gut befunden. Die Getränkekarte bot etwas für jeden Geschmack, das Publikum war gemischt und das Ambiente gemütlich, sodass sie immer wieder gern hingingen.

Ian zog die Augenbrauen hoch. »Okay. Isst du heute nicht bei deinen Eltern?«

»Ich habe Mama gerade abgesagt. Vielleicht fahre ich morgen hin.«

»Wegen mir?«

Boris verdrehte die Augen. »Natürlich wegen dir, du Pappnase. Ich sehe doch, wie es in deinem Kopf arbeitet. Ein Wunder, dass noch kein Rauch aufsteigt. Meinst du, ich lass dich jetzt zu Hause vor dich hin grübeln, bis du vor lauter Frust deinen Schokoladenvorrat plünderst und mir morgen die Ohren vorheulst, wie träge du geworden bist?«

Ian verschränkte schnaubend die Arme vor der Brust. »Deine Fürsorge in allen Ehren, aber bist du dir sicher, dass du nicht lieber zu deinen Eltern fahren willst?«

Grinsend schüttelte Boris den Kopf, während er sich an der nächsten Kreuzung Richtung Altstadt einordnete. Ein paar Minuten später hatte er einen Parkplatz gefunden und sie bogen zu Fuß in die Straße ein, in der ihre Lieblingsbar lag. Ian schien wieder zu grübeln, doch als die rote Markise der Oak's Bar in Sicht kam, hellte sich seine Miene auf und er lächelte.

»Ist mittlerweile ein bisschen, wie nach Hause kommen, hm?«, meinte Boris erleichtert, dass er Ian eine Freude machen konnte.

Der nickte sofort. »Ja. Danke. War echt eine gute Idee.«

»Ich hab so meine Momente.« Er stieß Ian an, der lächelte und ihm anschließend die Tür aufhielt. In der Bar war noch nichts los, schließlich hatte sie gerade erst geöffnet. Der Barkeeper grinste, als er sie sah, und nach einer herzlichen Begrüßung bestellten sie ihre Getränke und setzten sich anschließend auf ihren Lieblingsplatz.

Boris beobachtete, wie sein bester Freund tief durchatmete und sich gegen das schwarze Leder sinken ließ. »Hey.«

Ian sah zu ihm auf. »Hm?«

»Es ist alles halb so wild, okay? Die Anwältin kümmert sich um das Problem.«

Er nickte. »Ja, ich weiß, aber es ist trotzdem ein beschissenes Gefühl. Wer weiß, was er noch für Fotos hat.«

»Hattest du die ganze Zeit über verbundene Augen?«, fragte Boris leise und lehnte sich vor.

Ians Wangen wurden wieder rot, während er den Kopf schüttelte. »Das war irgendwie nicht so richtig meins. Ich kannte die Umgebung nicht und nachdem ich gegen den Bettpfosten gelaufen bin, hatte er Erbarmen.«

Boris presste die Lippen aufeinander und rang mit der aufkommenden Wut auf diesen Oliver. Er war sich nicht sicher, ob er mehr über das Date erfahren wollte oder lieber nicht. Ian sah nicht glücklich damit aus, ihm davon zu erzählen, und es ging ihm augenscheinlich gut, daher haderte Boris mit sich. »Er hat den Fehler gemacht, nicht du«, sagte er schließlich, woraufhin sein bester Freund schnaubte.

»Das klang am Dienstag aber noch ganz anders. Da hast du mich für dämlich erklärt.«

Boris musste zugeben, dass das stimmte, aber da war er noch schockiert gewesen. »Okay, ja, habe ich. Natürlich kannst du nichts dagegen machen, wenn dich jemand heimlich fotografiert, aber es war trotzdem unverantwortlich von dir, dich mit einem Typen zu treffen, den du nicht kennst, und niemanden darüber zu informieren.«

»Als wenn du mir jedes Mal Bescheid sagst, wenn du eine Tussi mit nach Hause nimmst«, grummelte Ian, woraufhin Boris ihn vielsagend ansah, denn genau das tat er.

Zwar war Ian nicht sein Back-up-Kontakt, doch da sie sonntags in der Regel zusammen bei Boris frühstückten, gab er ihm immer Bescheid, wenn er eine Frau mit zu sich nahm, damit Ian nicht am nächsten Morgen mit Brötchen vorbeikommen brauchte.

Ians Augen zuckten hin und her, während er darüber nachzudenken schien. Schließlich schürzte er die Lippen. »Dann hast du ja nicht oft Sex.«

»Wie oft ich Sex habe, steht hier nicht zur Debatte«, wiegelte Boris ab. Es kam in der Tat selten vor, dass er ihr Treffen absagte, da er sein Verlangen meist auf einer der Fetischpartys befriedigte, die regelmäßig stattfanden, und dann allein nach Hause ging. Die passende Frau in einer Bar oder Disko aufzureißen, war einfach zu mühselig, und selbst im Forum war die Auswahl eher begrenzt. »Aber wenn ich eine Frau mit zu mir nehme, bestehe ich immer darauf, dass sie einer Freundin Bescheid gibt, wo sie ist, und sich zu einer festgelegten Zeit bei ihr meldet.«

Resigniert sackte Ian gleich noch etwas mehr zusammen. Bevor Boris darauf eingehen konnte, brachte der Barkeeper ihre Getränke. Ian zog seinen Irish Coffee zu sich und beschäftigte sich damit, die Sahne runterzulöffeln, bevor sie schmolz.

»Ian?«, wagte Boris sich wieder vor, als sein bester Freund nach einigen Minuten immer noch schwieg.

»Was?«

»Bitte versprich mir, in Zukunft keine heimlichen Dates mehr zu haben. Du musst mir keine Details verraten, sondern mir nur sagen, wo du bist und wann du dich wieder meldest. Oder bei einem unserer Freunde.« Letzteres fügte er eher aus Verzweiflung hinzu, denn es würde ihn schon enttäuschen, wenn Ian einem ihrer Freunde mehr vertraute als ihm. Im Zweifelsfall wäre ihm das allerdings noch lieber, als wenn Ian niemandem Bescheid gab.

»Ja, ja«, murrte der. »Ist eh nicht mehr relevant.«

Überrascht horchte Boris auf. »Wieso nicht?«

Ian sah ihn an, als wäre seine Nachfrage völlig bescheuert. »Ich habe aus meinem Fehler gelernt. Meinst du, ich hab Bock darauf, noch mal an so einen Idioten zu geraten? Dann les ich lieber nur meine Bücher.«

Boris musste unweigerlich lächeln, auch wenn er verstehen konnte, wieso Ian im Moment so dachte. »Und das würde dich befriedigen?«

Sein bester Freund zuckte lediglich mit den Schultern. »Ging doch bisher auch.«

»Offensichtlich ja nicht«, bemerkte er. »Meiner Erfahrung nach lassen sich einmal freigelassene Subs nur schlecht wieder einfangen.«

»Deiner Erfahrung nach...«, murrte Ian, bevor er ihn stirnrunzelnd ansah. »Wie viel Erfahrung hast du eigentlich? Und wieso habe ich nie was davon bemerkt?«

»Weil du mein bester Freund bist und ich nicht schwul bin? Wieso sollte ich dir gegenüber meinen inneren Dom offenbaren? Du hast mir doch auch nicht verraten, dass du ein Sub bist.«

Ian nickte langsam, auch wenn er noch nicht so richtig überzeugt zu sein schien. »Na ja, im Nachhinein betrachtet, hattest du schon immer einen Hang dazu, deinen Kopf durchzusetzen.«

»Und das macht mich automatisch zum Dom?« Boris musste lachen. »Wohl kaum. Davon abgesehen habe ich kein Verlangen danach, ständig oder überhaupt regelmäßig zu spielen. Vielleicht wäre das anders, wenn ich in einer festen Beziehung wäre, aber dafür müsste ich erst mal eine Frau finden, die mich länger als eine Nacht interessiert.«

»Gott, hörst du dich noch selbst reden?«, unterbrach Ian ihn schnaubend. »Du klingst gerade wie ein echtes Arschloch.«

Er schnappte nach Luft. »Was? Nur, weil ich die Wahrheit sage? Ich kann doch nichts dafür, dass mein Herz diese Sache mit der Liebe offenbar noch nicht verstanden hat.«

Ian runzelte die Stirn. »Du warst wirklich noch nie verliebt, oder?«

»Nein«, antwortete Boris schulterzuckend. »Stört mich aber auch nicht.« Vermutlich konnte man nichts vermissen, das man noch nie gefühlt hatte. Zumal er allein von den Gesprächen mit seinen Kollegen und deren Lamentieren über ihre Freundinnen oder Ehefrauen schon genervt von einer Beziehung war.

»Und wie lange machst du dieses BDSM-Ding schon?«

»So zehn Jahre etwa«, antwortete er nach kurzem Überlegen. »Ja, ist doch schon so lange. Ich war kurz nach meinem einundzwanzigsten Geburtstag auf meiner ersten Fetischparty. Da habe ich Hektor getroffen.«

Ian kniff die Augen zusammen. »Wer ist denn Hektor?«

»Der Dom, der mir bei den ersten Schritten geholfen hat. Ich durfte unter seiner Aufsicht mit seiner Sub spielen.«

»Echt jetzt?« Ian saß plötzlich kerzengerade auf seiner Bank. Vielleicht sollte Boris ihn öfter überraschen, damit er sich mal aus seiner gewohnten krummen Haltung bequemte.

Boris zuckte mit den Schultern und trank einen Schluck seines Milchkaffees. »Ja. Die beiden haben eine 24/7-Beziehung und stehen drauf, auch mal einen Dritten dazu zu holen. Damals war das für mich echt super, aber jetzt würde mir das wohl nicht mehr gefallen. Mal zum Anlernen eines Neulings, so wie Hektor und Jenny das für mich gemacht haben, vielleicht, aber generell teile ich mein Spielzeug nicht gern.« Er zwinkerte, um Ian zu zeigen, dass er es eher scherzhaft meinte, doch dieser starrte ihn nur mit großen Augen an. »Was?«

»Ich weiß nicht. Irgendwie finde ich es gerade befremdlich, dass du mir das alles verheimlicht hast. Vor allem kann ich mir nicht so richtig vorstellen, dass du Frauen benutzt.«

Boris wusste nicht, ob er lachen oder gekränkt sein sollte. »Ich benutze keine Sub gegen ihren Willen.«

»Das wollte ich dir auch nicht unterstellen«, ruderte Ian sofort zurück und hob abwehrend die Hände. »Ich meinte nur, dass du sonst doch eher der lustige, einfühlsame Typ bist. Es ist irgendwie schwer vorstellbar, dass du auch eine andere Seite hast.«

Okay, jetzt musste er lachen. »Weil lustige, einfühlsame Doms nicht existieren?«

Ian schluckte. »Keine Ahnung. Ich kenne ja nicht viele Doms.«

Boris horchte auf. »Oh, aber du kennst mehrere? Also, jemanden abgesehen von mir und diesem Oliver?«

»Na ja, kennen wäre übertrieben«, murmelte Ian und rührte mit dem Löffel in seinem Kaffee herum. »Ich war mal bei einem schwulen BDSM-Stammtisch.«

»Und wie war es?«, fragte er genauso neugierig wie überrascht. Ian konnte sich noch so sehr einreden, dass Bücher ihm reichen würden, Tatsache war, dass sein sonst eher schüchterner Freund bereits zweimal den Mut aufgebracht hatte, sich auf unbekanntes Terrain zu wagen. Boris war sich sicher, dass noch einmal der Zeitpunkt kommen würde, an dem Ian sein Verlangen nicht länger würde unterdrücken können.

Der zuckte jedoch lediglich mit den Schultern. »Ging so. Es waren eigentlich nur ältere Typen in Lederkluft da. Ich glaub nicht, dass sie mich ernst genommen haben. Sie fanden mich niedlich. Genau das, was ein Mann hören will, hm? Keiner von ihnen hatte Interesse an einem Newbie, aber sie haben mir ein paar Tipps gegeben.«

»Was für welche?«, hakte Boris nach.

Ian blickte sich kurz um, doch sie waren immer noch die einzigen Gäste in der Bar. Trotzdem senkte er seine Stimme noch weiter. »Ich soll auf Fetischpartys oder in entsprechende Clubs gehen, aber auf keinen Fall ein Halsband tragen, wenn ich einen Dom auf mich aufmerksam machen will, damit keiner auf die Idee kommt, ich wäre vergeben. Nur fürs Protokoll, ich habe bei dem Stammtisch keins getragen. Außerdem soll ich mir eine Lederhose kaufen. Kannst du dir mich in einer Lederhose vorstellen?« Ian verdrehte die Augen. »Presswurst lässt grüßen.«

Er überhörte den Kommentar über Ians Statur und konzentrierte sich auf das Wesentliche. »Also warst du schon auf Fetischpartys oder in Clubs?«

Ian schüttelte sofort den Kopf, wobei er fast schon panisch aussah, so wie er sich in der leeren Bar umblickte. »Ich geh doch nicht in so einen Club«, flüsterte er. »Und diese Partys haben mich bisher auch abgeschreckt. Einmal wollte ich hingehen, aber ich hab mich dann doch nicht getraut, sondern bin wieder nach Hause gefahren.«

»Warum?«

Ian verdrehte die Augen. »Weil ich mich nicht zum Gespött machen wollte.«

Boris kam nicht mehr richtig mit. »Weil du ein Newbie bist? Das ist doch nicht schlimm. Jeder hat mal angefangen, der eine früher, der andere später. Das ist echt nichts, weswegen du dich schämen müsstest.«

»Daran lag es auch nicht. Na ja, nicht nur.«

Boris schaute ihn auffordernd an. »Woran dann?«

Ian zögerte, dann seufzte er und ließ sich schwerfällig nach hinten gegen die Lehne fallen. »Weil mich doch eh keiner angesprochen hätte. Sind wir mal ehrlich, ich bin nicht gerade der Traum eines Doms.«

»Wie kommst du darauf?«, fragte Boris, obwohl er sich die Antwort denken konnte. Ian hatte schon immer mit seinem Gewicht gehadert und vermutlich mehr Diäten ausprobiert als die meisten Frauen, die Boris kannte, aber es gab schließlich kein Gesetz darüber, dass nur gertenschlanke Subs ihren Dom finden durften. »Nenn mir einen Grund, warum du den Dom deiner Träume nicht finden solltest, der nichts mit deinem verqueren Körpergefühl zu tun hat.«

Ian holte Luft, hielt dann jedoch inne. »Ich habe kein verqueres Körpergefühl«, antwortete er schließlich lahm. »Ich bin nur realistisch. Vielleicht gelten für euch Heteros andere Maßstäbe, aber ein Schwuler jenseits der dreißig hat es so schon schwer. Wenn du dann auch noch fett bist, kannst du froh sein, wenn du überhaupt noch in einen Club gelassen wirst.«

»Ian«, seufzte Boris, doch sein bester Freund schüttelte sofort den Kopf.

»Das ist mein Ernst. Bären sind okay, also die Muskelmänner mit Brusthaar und grimmigem Blick. Denen sabbert die Hälfte aller Twinks hinterher. Scheiße, selbst ich sabbere solchen Typen hinterher. Aber wenn du einfach nur durchschnittlich aussiehst und einen Schwimmring spazieren trägst, bist du halt über. Im besten Fall.«

»Ian«, wiederholte Boris, diesmal entsetzt. »Du bist doch nicht über! Red dir nicht so was ein. Das stimmt einfach nicht.«

Sein bester Freund verdrehte nur die Augen. »Woher willst du das wissen?«

»Weil in unserem Freundeskreis außer mir mittlerweile so ziemlich jeder auf Männer steht und noch keiner von ihnen hat sich abfällig über Zuckerhasen geäußert.«

Ian spuckte seinen Kaffee in die Tasse zurück, bevor er Boris hustend und röchelnd anstarrte. »Zuckerhasen?«

»Lenk nicht vom Thema ab«, entgegnete Boris abwinkend, denn darin war sein Freund ein wahrer Meister. Wann immer das Gespräch unangenehm wurde, hängte er sich an Kleinigkeiten auf und lenkte die Unterhaltung in eine andere, völlig belanglose Richtung.

Seufzend wischte Ian sich mit seiner Serviette das Kinn ab. »Natürlich lässt sich keiner unserer Freunde über Dicke aus. Sie haben Anstand, sonst wären sie nicht unsere Freunde.«

Als Ian völlig niedergeschlagen zusammensackte, streckte Boris die Hand aus und tätschelte seinen Arm. »Du bist ein wundervoller Mensch. Witzig, liebevoll und intelligent. Der richtige Mann ist da draußen irgendwo, da bin ich mir sicher. Vielleicht muss er etwas mehr Geduld aufbringen, um hinter deine Schüchternheit zu blicken, aber es gibt ihn. Nur musst du auch was dafür tun, dass er dich findet. Er wird wohl kaum plötzlich neben dir auf der Couch sitzen.«

Ian zog eine Schnute. »Wäre aber echt praktisch. Wenn er dann noch Wein und Reiswaffeln dabei hat, behalte ich ihn vielleicht sogar.«

Boris lachte. »Siehst du, am mangelnden Humor liegt es nicht. Eher an deiner ungesunden Fixierung auf deinen E-Reader und die schmutzigen Geschichten, die du darauf liest.«

»Die sind nicht schmutzig, sondern sexy«, konterte Ian sofort. »Außerdem hast du mir den Reader geschenkt, also hast du gar kein Recht, darüber zu meckern, wenn ich ihn nutze.«

»Ich meckere nicht, ich zeige dir nur die Fakten auf. Und jetzt trink aus, dann schaffen wir es noch pünktlich zum Essen zu meinen Eltern.« Jetzt, da er Ian aus seinen trüben Gedanken geholt hatte, war seine Mission erfüllt. Außerdem knurrte sein Magen und er hatte weder Lust auf Fast Food noch darauf, sich zu Hause an den Herd zu stellen.

Ian zögerte. »Hattest du nicht abgesagt?«

Boris zog sein Handy aus der Hosentasche. »Du weißt doch, dass Mama sowieso immer zu viel kocht. Sie hat mich neulich schon gefragt, ob du was angestellt hast, weil du dich schon so lange nicht mehr hast blicken lassen. Aber ich meld uns schnell noch an.«

»Dachte sie, wir hätten uns gestritten?«

Boris nickte, während er die Nachricht an seine Mutter tippte.

»Oh Mann, wie kommt sie denn darauf? Ich weiß gar nicht, wann wir uns in den letzten zehn Jahren überhaupt mal gestritten haben. Moment mal! Wieso geht sie denn davon aus, dass ich was angestellt habe?«

Er konnte sich das Grinsen nicht mehr verkneifen. »Vielleicht, weil ich schon immer ein braver Junge war, während du derjenige bist, der Kaulquappen fängt und sie dann in einem Einmachglas krepieren lässt?«

»Ey, da war ich elf und ich hab das Glas ja nicht absichtlich im Rucksack vergessen!«, echauffierte sich Ian. »Außerdem habe ich dafür geholfen, diesen Krötenzaun an der Straße aufzustellen, und bin jeden Tag vier Kilometer daran entlanggelatscht, um die blöden Viecher aus den Eimern zu sammeln.«

Als er bemerkte, dass Boris mittlerweile lachte, kniff Ian die Augen zusammen und zeigte mit dem Finger auf ihn. »Überhaupt, du und ein braver Junge, dass ich nicht lache. Es ist verdammt schäbig von dir, diese alte Geschichte wieder vorzuholen, um davon abzulenken, dass du in den letzten vier Wochen ohne mich bei deinen Eltern warst. Ich werde deiner Mama sagen, dass du mich nicht mal gefragt hast, obwohl ich liebend gern mitgekommen wäre.«

»Wenn ich dich mitnehme, komme ich da wieder ewig nicht weg, weil du stundenlang mit Papa über seiner Modelleisenbahn hängst«, erinnerte Boris augenrollend.

Ian grinste fies, während er sich erhob und ihr Geschirr zusammenstellte. »Dann verabschiede dich mal von deinen Abendplänen. Tut-tuuut. Sch-sch-sch-sch-sch-sch.«

Halb lachend, halb stöhnend folgte er Ian zur Bar und anschließend aus dem Gebäude. »Du hast so was von einen an der Waffel«, brummte er und schlang seinen Arm um Ians Schultern.

Boris war froh, Ian wieder lachen zu sehen, auch wenn das bedeutete, dass er zwei erwachsenen Männern beim Zugführerspielen zusehen musste, statt ein paar hübschen Mädels beim Tanzen. Aber was tat man nicht alles für seinen besten Freund.

Kapitel 4

Ian

Unschlüssig warf er seinem Spiegelbild noch einen letzten Blick zu, während er nach dem Autoschlüssel in der Schale im Flur griff. Er sah ganz und gar nicht motiviert aus, aber Boris hatte recht. Ian konnte sich nicht ewig zu Hause einigeln. Zudem hatte sein bester Freund ihm in den letzten zwei Monaten immer wieder Mut zugesprochen, auszugehen und einem Dom die Chance zu geben, ihn zu finden, also schnappte sich Ian seine Schlüssel und öffnete die Wohnungstür.

Auf dem Weg zum Auto holte er sein Handy hervor und schrieb Boris eine Nachricht, wohin er fuhr und dass er sich in einer Stunde wieder melden würde. Sein bester Freund antwortete sofort und wünschte ihm viel Spaß.

Als Ian vor ein paar Tagen von der Fetischparty im Industriegebiet erzählt und zugegeben hatte, dass er ein wenig nervös war, hatte Boris sofort angeboten, mitzukommen. Ian war sich jedoch sicher, dass er dann nur an seinem besten Freund geklebt und keinen Dom auf sich aufmerksam gemacht hätte.

Er wusste nicht, ob es allein besser klappen würde, aber zumindest war er auf dem Weg zur Party. Für ihn war das schon ein Fortschritt, immerhin hatte er die letzten beiden Termine seit seinem Gespräch mit Boris in The Oak's Bar ungenutzt verstreichen lassen.

Heute würde er es durchziehen. Er trug zwar keine Lederhose, sondern eine normale Jeans und dazu ein dunkles Hemd, aber immerhin hatte er drei Knöpfe geöffnet und seine Haare gestylt. Das musste doch etwas ausmachen.

Eine Stunde später hockte er genervt an der äußersten Ecke der Bar, als sein Handyalarm ihn an die Nachricht an Boris erinnerte. Er tippte sie gerade in sein Handy, da fiel ein Schatten über das Display.

Ian blickte auf und musste schlucken. »Ähm... Hallo?«

Die ältere Frau vor ihm zog die Augenbrauen hoch und stemmte die Hände in die lackumhüllte Wespentaille, sagte jedoch nichts, sondern starrte ihn nur weiter an.

Nervös blickte er sich um und rutschte vom Barhocker, für den Fall, dass sie an die Bar wollte. »Er gehört ganz Ihnen.«

Sie kniff die Augen zusammen und fixierte ihn mit ihrem durchdringenden Blick, sodass er kaum noch wusste, wo er hinsehen sollte. Sein Colaglas stand noch auf der Theke, aber obwohl es dämlich war, traute er sich nicht, danach zu greifen.

»Du bist neu hier«, schnauzte sie ihn an, woraufhin Ian zusammenzuckte und automatisch nickte.

»Ähm... ja. Ist mein erstes Mal. Also, hier.«

»Das Stottern solltest du dir abgewöhnen.«

Er schluckte. »O-okay.« Als er bemerkte, dass sie ihn von oben bis unten musterte, verkrümelte sein Schwanz sich beinahe nach innen. »Ich glaube, das ist ein Missverständnis«, murmelte er und war stolz darauf, endlich mal einen ganzen Satz problemlos herausgebracht zu haben. »Ich suche keine Domme.«

Sie hob wieder nur die Augenbrauen.

»Also, wirklich jetzt. Ich bin zwar ein Sub, aber ich bin schwul.«

Ihr Blick glitt erneut über seinen Körper und im nächsten Moment packte sie ihn fest zwischen den Beinen. Ian schaffte es gerade so, einen völlig unmännlichen Schrei zu unterdrücken, während er zusammenzuckte und die Domme perplex anstarrte.

»Finger weg!«, zischte er erbost, woraufhin sie mit den Schultern zuckte und ihre Hand zurückzog.

»Schade. Bist 'n Hübscher, auch wenn du auf den ersten Blick ziemlich langweilig wirkst. Ich dachte, ich versuche mal mein Glück und verhelfe dir zu ein bisschen Action. Wenn du wirklich einen der Doms auf dich aufmerksam machen willst, solltest du dich aber nicht hinter einer Lautsprecherbox verstecken.«

Ian ließ die Schultern hängen. »Ja, ja, ist mir schon klar.«

Im nächsten Moment griff sie in seine Haare und zog ihn die paar Zentimeter nach unten, damit sie ihm auf Augenhöhe ins Gesicht blicken konnte.

Erschrocken über den plötzlichen Schmerz schnappte er nach Luft und umfasste reflexartig ihren Unterarm. Sie starrte ihm ein paar Sekunden lang in die Augen, dann ließ sie ihn los und Ian atmete erleichtert aus. »Pass auf, dass du mit deiner vorlauten Klappe nicht mal an den Falschen gerätst, Kleiner.«

Er schüttelte den Kopf und hoffte einfach nur, dass sie ihn jetzt in Ruhe ließ. Während er mit dem kumpelhaften Typ Frau sehr gut klarkam, waren ihm die aufdringlichen, mürrischen oder gar herrischen Exemplare schon immer ein Graus gewesen.

Am liebsten ging er ihnen einfach aus dem Weg, denn er wusste nicht, wie er sich ihnen gegenüber verhalten sollte und irgendwie nervten sie einfach nur. Er hatte eine Kollegin, die ihn immer an eine strenge Bibliothekarin erinnerte, und er hatte in den letzten acht Jahren, die sie zusammenarbeiteten, noch kein angenehmes Gespräch mit ihr geführt. Selbst wenn er sie morgens freundlich grüßte, blickte sie ihn jedes Mal an, als wäre er ein besonders grässlicher Käfer, der sich schnellstmöglich aus ihrem Blickfeld zu entfernen hatte.

Die Domme vor ihm erinnerte ihn irgendwie an seine Kollegin, sodass er nur noch mal den Kopf schüttelte und sein Glas schnappte, bevor er ziellos durch den Raum schlenderte. Bisher lief der Abend eher weniger nach Plan. Generell schienen hauptsächlich Heteros da zu sein und die Gruppe Männer, die er seit einiger Zeit beobachtete, schien zwar aus Doms zu bestehen, doch er war sich sicher, dass sie ihn noch nicht bemerkt hatten.

Auch als er jetzt mit etwa fünf Metern Abstand an ihnen vorbeilief, sah sich nicht einer von ihnen zu ihm um. Dafür hatte sich ein Sub in ihre Mitte gesellt, der problemlos als Muster-Twink durchgehen konnte. Genau das, was Ian jetzt noch brauchte. Bis eben hatte er sich glaubwürdig eingeredet, dass sie hetero waren.

Frustriert trug Ian sein Glas zur anderen Seite der Bar und ließ sich dort auf einem freien Hocker nieder. Neben ihm saßen zwei Frauen, die eindeutig ebenfalls Subs waren und eine Domme im Visier hatten. Hätte die Domme von eben ihn nicht angesprochen, würde er sich mittlerweile Sorgen machen, ob er unsichtbar war, denn auch die beiden Subs schienen ihn nicht mal zu bemerken.

Er hatte keine Ahnung, was er falsch machte. Seine einzige Option schien, einen Dom anzusprechen, aber dazu fühlte er sich nicht bereit. Wären nicht noch eine Shibari- und eine Spanking-Vorführung angekündigt, die Ian nicht verpassen wollte, wäre er schon längst wieder auf dem Weg zu seiner Couch.

Die nächste halbe Stunde hielt er sich an seinem Colaglas fest und lauschte dem Schwärmen der beiden Frauen neben ihm. Eine von ihnen hatte eindeutig mehr Erfahrung, daher hörte er gebannt zu, als sie vom letzten Spiel mit einer Domme erzählte, die sie hoffte, hier wiederzutreffen. Es waren nicht ihre Beschreibungen des Sex, die Ian an ihren Lippen hängen ließen, sondern die Art und Weise, wie sie von der Unterwerfung schwärmte und dem Gefühl des Ausgeliefertseins, nichts Denken und keine Entscheidungen treffen zu müssen.

Bei ihren Worten ging ein Ziehen durch Ians Bauch, denn er sehnte sich genau danach, auch wenn er es noch nie wirklich gefühlt hatte. Auch nicht bei Oliver, schließlich war das sein erstes Spiel überhaupt gewesen.

Ian war viel zu aufgeregt und nervös und auch ein wenig ängstlich gewesen, um sich wirklich auf tiefere Gefühle einzulassen. Dennoch wusste er, was er eigentlich wollte. Nein, brauchte. Er wusste nur nicht, wie er es bekommen sollte, wenn er es nicht mal schaffte, dass ein Dom überhaupt zu ihm rübersah.

Als die Musik verstummte und sich jemand in ein Mikrofon räusperte, drehte Ian sich auf seinem Barhocker und sah zu der kleinen, provisorischen Bühne hinüber, die in der leer stehenden Lagerhalle aufgebaut worden war, in der die Party stattfand. Ein älterer Herr in Lederkluft stand dort und kündigte breit lächelnd die Spanking-Vorführung an.

Ian rutschte vom Hocker und schaffte es, einen guten Platz zu ergattern, während eine kleine Rothaarige an einer Leine zu dem aufgestellten Andreaskreuz geführt wurde. Ihr Dom, so vermutete Ian zumindest, band sie an Fuß- und Handgelenken fest, wobei er sich voll und ganz auf seine Sub konzentrierte.

Gespannt verfolgte Ian die stumme Kommunikation zwischen den beiden und wieder stieg diese Sehnsucht in ihm auf, ebenfalls eine derart intensive Bindung zu jemandem aufzubauen. Eine, in der man sich darauf verlassen konnte, dass der andere einen auch ohne Worte verstand.

Der Dom küsste seine Sub und strich ihr lächelnd eine Strähne hinters Ohr, dann drehte er sich zum Publikum um und erklärte die verschiedenen Schlaginstrumente, die er dabeihatte und vorführen würde. In der Halle war es kühl, daher beneidete Ian die junge Frau nicht darum, so lange nur in einem knappen String bekleidet stillstehen zu müssen. Ihre Arme zitterten schon nach drei Minuten und es war offensichtlich, dass sie sich zwingen musste, nicht mit den Zähnen zu klappern.

Als der Dom eine Peitsche durch die Luft sausen ließ, zuckte Ian zusammen. Er musste feststellen, dass er sich so auf die frierende Sub konzentriert hatte, dass er blöderweise die Vorstellung der Schlaginstrumente verpasst hatte. Dabei war er doch unter anderem deswegen hergekommen.

Ein bisschen was wusste er aus seinen Büchern – die aber unterm Strich nur fiktive Geschichten erzählten – und dem Stöbern im Internet und in Onlineshops, daher kannte er zumindest die Namen der Utensilien auf dem Tisch, die der Dom aber erst mal dort liegen ließ und die Sub mit der Hand aufwärmte.

Fasziniert beobachtete Ian, wie sie sich unter seinen stetigen Schlägen wand und die Röte auf ihrem Hintern immer mehr zunahm. Zu gern wäre er an ihrer Stelle, auch wenn die Peitschen, die der Dom nach ein paar Schlägen mit dem Paddle einsetzte, ihm gehörigen Respekt einflößten. Vor allem, als die Schreie der Sub lauter wurden und sie sich mit den Fingern an ihre Fesseln klammerte. Hin und wieder versuchte sie sogar, einem Schlag auszuweichen. Der Dom konzentrierte sich nur noch auf sie, sah ihr immer wieder ins Gesicht und fuhr dann damit fort, ihren Rücken, Hintern und die Oberschenkel zu malträtieren. Die arme Frau würde bestimmt drei Tage lang nicht sitzen können und auf dem Bauch schlafen müssen. Ian beneidete sie.

Als die Vorstellung zu Ende war, eilte der Ansager mit einem Bademantel herbei und der Dom wickelte seine Sub darin ein, bevor er sie zum Publikum herumdrehte und sie sich unter Applaus verbeugten. Ian studierte ihr Gesicht, doch obwohl sie ganz sicher echte Schmerzen gehabt hatte, wirkte sie unglaublich glücklich und zufrieden.

Zwei Männerstimmen hinter ihm erregten seine Aufmerksamkeit und er sah verstohlen über seine Schulter. Die beiden schienen schwule Doms zu sein, denn sie unterhielten sich über eine bestimmte Art Bondageseil, das der eine von beiden ausprobiert hatte und das sein Sub überhaupt nicht mochte, weswegen er es erst recht gern benutzte. Ian verstand den Grund dafür nicht wirklich, schließlich ging es doch darum, dass es beiden gefallen sollte, doch er hörte trotzdem interessiert zu. Vielleicht setzte der Dom das Seil ja nur als Bestrafung ein.

Ian hatte keine Ahnung, wie er zu diesem Thema stand. Einerseits konnte er verstehen, warum der sadistische Part der Beziehung darauf stand, jemanden zu bestrafen, gleichzeitig hatte er immer wieder gelesen, dass alles safe, sane and consensual ablief. Consensual, also in beiderseitigem Einvernehmen, implizierte jedoch unsinnigerweise, dass der Sub mit der Bestrafung einverstanden sein musste.

»Ich habe das Gefühl, wir werden belauscht«, meinte der Dom mit dem ungehorsamen Sub plötzlich leise, aber eindeutig amüsiert und Ian schluckte schwer.

Sein Herz begann zu rasen und fast wäre ihm das Glas aus der Hand gerutscht, doch er erkannte, dass er keine bessere Chance bekommen würde, daher nahm er seinen ganzen Mut zusammen und drehte sich um.

»Hallo«, krächzte er.

Der, der ihn erwischt hatte, lächelte. »Hallo.«

»Ich wollte nicht lauschen«, sagte Ian schnell, um nicht unhöflich zu wirken. »Es war nur echt schwer, wegzuhören. Ich bin übrigens Ian.«

Während er tief durchatmete, sahen die Doms sich amüsiert an. »Sehr erfreut, Ian. Ich bin Frank und das ist Marek.«

Er schüttelte beiden Männern die Hände und beglückwünschte sich innerlich dazu, dass sein Mut belohnt wurde.

»Bist du allein hier, Ian?«, wollte Marek wissen, der mit Akzent sprach. Russisch war es nicht, denn den Klang der Muttersprache seines besten Freundes hätte er sofort erkannt. Wenn Ian raten müsste, würde er auf Polnisch oder Ukrainisch tippen. Aber davon abgesehen, reizte Marek ihn leider überhaupt nicht.

Ian nickte. »Ist mein erstes Mal.«

Wieder sahen sich die Doms an, diesmal jedoch eher skeptisch, und ihm rutschte das Herz in die Hose.

»Und was suchst du, Ian?«, fragte Frank noch immer lächelnd.

Er seufzte und blickte in sein Colaglas. »Einen Dom?«

Einen Moment lang schwiegen alle drei, aber immerhin hatten die beiden sich noch nicht umgedreht und waren gegangen.

»Einen bestimmten oder irgendeinen?«, fragte Marek schließlich amüsiert.

Seufzend starrte er auf seine Schuhspitzen. »Einen, der weiß, was er tut, und einem Newbie eine Chance gibt?«

»Hast du jemanden, der weiß, wo du bist?«, fragte Frank sofort.

Ian sah auf. »Ja. Mein bester Freund.«

»Sehr gut. Schade, dass mein Sub heute arbeiten muss, sonst hätte ich euch vorstellen können. Du wirkst ein bisschen verloren, wenn ich ehrlich sein darf.«

»Bin ich auch«, gab er seufzend zu. »Ihr seid die ersten, die mich überhaupt bemerkt haben. Abgesehen von dieser gruseligen Domme, die mir Langweiler vorhin zu ein bisschen Action verhelfen wollte.«

Marek nickte. »Du wirkst auch irgendwie nicht so, als würdest du angesprochen werden wollen.«

Ian schluckte. »Wieso nicht?«

Marek zuckte mit den Schultern. »Ich hab dich vorhin an der Bar sitzen gesehen, aber du schienst mehr an den beiden Frauen neben dir interessiert zu sein als an deiner Umgebung. Ich dachte wirklich, du wärst ein ziemlich unbeholfener Dom.«

»Nein, überhaupt nicht. Nur ein ziemlich unbeholfener Sub«, entgegnete er resigniert. »Darf ich euch was fragen?«

»Als Newbie solltest du uns so viel fragen, wie du kannst«, meinte Frank zwinkernd und deutete Richtung Bar.

Die Bondage-Vorstellung würde erst in einer Stunde starten, daher folgte er den beiden Männern und bestellte sich noch eine Cola.

»Also, was möchtest du wissen?«, fragte Marek, als sie ihre Getränke vor sich hatten.

Mit roten Wangen erzählte er davon, dass er ihr Gespräch über das ungeliebte Bondageseil belauscht hatte und wie er das Thema Bestrafungen empfand. »Also, warum sollte der Sub mit der Bestrafung einverstanden sein? Für mich ergibt das gar keinen Sinn«, fragte er schließlich.

Frank und Marek sahen sich an. »War dein Sub jemals mit einer Bestrafung einverstanden?«, fragte Marek grinsend.

Frank lachte. »Seinem Jammern nach zu urteilen? Nein, definitiv nicht.« Er sah Ian an, der verwirrt die Stirn runzelte. »Safe, sane and consensual ist mehr so was wie ein Grundsatz. Es bedeutet, dass keiner unnötige Risiken eingeht, beide Partner sich bewusst sind, was sie tun und es beide wollen.«

»Ja, das habe ich verstanden«, sagte Ian schnell.

»Das bedeutet aber nicht, dass ich meinen Sub nicht herausfordern darf oder ihn vorher gar um Erlaubnis bitte, ihn bestrafen zu dürfen«, erklärte Frank weiter.

»Das würde den Sinn einer Strafe völlig zunichtemachen«, fügte Marek hinzu.

Frank nickte. »Richtig. Wenn mein Sub sich auf eine Session mit mir einlässt, dann kennt er die Regeln. Die haben wir vorher abgesprochen, was du mit deinem Dom auch unbedingt tun solltest, egal, ob es nur für eine Session ist oder was Langfristigeres.«

Ian nickte. Mit Oliver hatte er auch ein paar Grundregeln festgelegt, wie zum Beispiel dass er nicht gefesselt oder beschimpft werden wollte. Auch war er sich nicht sicher gewesen, ob er sich von Oliver Schmerzen zufügen lassen wollte, daher war er auf Nummer sicher gegangen und hatte lieber abgelehnt.

Die Augenbinde war schon ein Zugeständnis gewesen, auf das er wohl auch lieber hätte verzichten sollen. Im Nachhinein betrachtet, war es für erfahrene Subs oder Doms vermutlich ein absolut langweiliges Spiel gewesen. Oder eine Session, wie Frank es nannte. Ian hatte es jedoch gefallen, immer wieder gereizt zu werden, aber nicht kommen zu dürfen, und Oliver hatte ihn in den höchsten Tönen für seine Blowjob-Technik gelobt, daher hatten sie am Ende beide schöne Orgasmen gehabt. Und darauf kam es schließlich an.

»Und eine der Regeln besagt halt, dass ich ihn bestrafen kann, wenn er sich danebenbenimmt«, fuhr Frank fort. »Dass ihm die Strafe nicht gefallen muss, liegt in der Natur der Sache, aber wenn er sich auf eine Session einlässt, dann ist er sich bewusst, dass sein Handeln Konsequenzen hat, egal, ob positive oder negative. Wenn er etwas wirklich nicht will oder aushält, dann hat er sein Safeword. Davon hast du schon mal gehört, oder?«

»Ja, natürlich«, antwortete Ian augenrollend. Es war ja nicht so, dass er überhaupt keine Ahnung hatte. Er wusste, dass viele Subs sich eigene Safewörter überlegten, und alternativ gab es das Ampelsystem als Wohlfühlbarometer. Grün hieß alles okay, bei Gelb brauchte der Sub eine Pause oder zumindest etwas weniger Intensität und Rot bedeutete den sofortigen Stopp des Spiels.

In seinem Kopf hatte er schon von hunderten Spielen fantasiert, aber dabei nie in Erwägung gezogen, absichtlich eine Bestrafung zu provozieren, auch wenn die Subs in den Geschichten, die er las, es gefühlt bei jedem Spiel darauf anlegten. Für ihn war das aber einfach nicht der Sinn der Sache. Vermutlich war er schlicht zu langweilig für BDSM und sollte lieber bei Vanilla-Sex bleiben. Nicht, dass er den in letzter Zeit bekommen hätte.

Resigniert trank er sein Glas aus und stellte es auf die Theke. »Na gut, ich fahr dann mal. Danke für das Gespräch.«

Frank und Marek wechselten einen überraschten Blick. »Bist du dir sicher?«, fragte Marek. »Es gibt noch eine Bondage-Vorführung und der Abend ist noch jung.«

Ian zuckte mit den Schultern. Bondage-Knoten konnte er sich auch im Internet anschauen und schließlich musste er als Sub nicht wirklich wissen, wie sie geknüpft wurden. Außerdem würde er sich sowieso nicht von einem fremden Dom sofort fesseln lassen. Schon gar nicht nach dem Debakel mit Oliver. Sicher fanden diese Vorführungen regelmäßig statt, sodass er sie sich einfach auf einer anderen Party anschauen würde.

»Ja, ich fahre jetzt lieber«, antwortete er und reichte beiden Doms die Hand. »Danke, dass ihr so nett wart und mich nicht links liegen gelassen habt.«

Marek seufzte, während er ihm die Hand schüttelte. »Du musst mal ein bisschen an deinem Selbstbewusstsein arbeiten.«

Am liebsten hätte Ian laut losgelacht, doch stattdessen nickte er nur und wandte sich Frank zu, der ihm eine Visitenkarte in die Hand drückte. »Wenn du magst, schreib mir, dann antwortet dir mein Sub. Vielleicht fühlst du dich damit wohler und er kann dir besser erklären, was du nicht verstehst. So von Sub zu Sub.«

»Oh.« Überrascht sah er auf die dunkelblaue Karte mit goldener Schrift. »Danke. Mache ich vielleicht. Mal sehen.«

Frank nickte lächelnd. »Keine falsche Scheu. Jeder hat mal angefangen.«

»Ja, so was in der Art hat mein bester Freund auch gesagt«, murmelte Ian, während er die Karte einsteckte, und sah noch mal zwischen den beiden Doms hin und her.

Frank wirkte eher mitleidig, was Ians Stimmung einen zusätzlichen Dämpfer verpasste. Marek hingegen sah aus, als würde er noch etwas sagen wollen, daher zögerte Ian einen Moment, doch als nichts kam, hob er nur kurz die Hand und ging dann auf den Ausgang zu.

Auf dem Weg zum Auto schrieb er Boris eine Nachricht, damit dieser vielleicht noch ausgehen und seinen Abend genießen konnte. Boris' Antwort bestand lediglich aus einem OK, daher steckte Ian das Handy ein und startete den Motor.

Eine halbe Stunde später hatte er endlich einen Parkplatz in der Nähe seiner Wohnung gefunden und ging die Straße entlang auf seinen Hauseingang zu. Im Halbdunkel konnte er schon von weitem eine Person erkennen, die an der Hauswand lehnte.

Kommentarlos zog Boris ihn in eine Umarmung, sobald Ian in Reichweite kam. »Ich bin stolz, dass du überhaupt ausgegangen bist«, sagte er, während er seinen Rücken tätschelte.

Ian löste sich von ihm und schloss die Haustür auf. Auf dem Weg in seine Wohnung erzählte er eine Kurzfassung des Abends, woraufhin Boris ihm noch mal versicherte, dass er trotzdem den richtigen Schritt getan hatte.

»Schreib dem anderen Sub auf jeden Fall mal«, ermunterte er ihn. »Schaden kann es doch nicht, oder?«

»Ja, vielleicht mache ich das. Nach unserem Urlaub.« Er ließ sich aufs Sofa fallen und nahm das Bier entgegen, das Boris ihm aus der Küche mitgebracht hatte. Er hatte auch Ians letzte Chipstüte gefunden und bereits aufgerissen. Als Boris sie ihm hinhielt, zögerte Ian jedoch. »Lieber nicht«, sagte er schließlich, obwohl die Gewürze wirklich verführerisch rochen.

Boris musterte ihn stirnrunzelnd, dann legte er die Tüte auf den Tisch und lehnte sich mit seinem eigenen Bier zurück. »Versuch nicht, dich für andere zu verbiegen, Ian. Das wird langfristig nicht funktionieren. Tu es für dich oder tu es gar nicht.«

»Das sagt sich so leicht«, grummelte er, doch Boris legte ihm den Arm um die Schultern und zog ihn an sich.

»Wie oft muss ich noch wiederholen, dass du ein toller Mann bist?«

»Du bist mein bester Freund, da musst du so was ja sagen«, entgegnete Ian, auch wenn er es im nächsten Moment bereute, denn er wollte Boris nicht unterstellen, dass er ihn anlog.