Wie ein Regenbogen im Herzen - Jessica Martin - E-Book

Wie ein Regenbogen im Herzen E-Book

Jessica Martin

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Beschreibung

Ein langer Sommerurlaub mit seinem Pflegesohn Balu an der Ostsee? Für Zach die perfekte Gelegenheit, mal wieder die Regenbogenpension seines Bruders Henrik zu besuchen und mehr Zeit mit Balu zu verbringen. Was er dabei nicht einkalkuliert hat: das erneute Kribbeln, das der lebensfrohe Martti schon bei ihrer ersten Begegnung in Zach ausgelöst hat. Allerdings ist Martti nicht nur Henriks bester Freund, er ist auch 15 Jahre jünger als Zach. Was als heißer One-Night-Stand begann, entwickelt sich diesmal unweigerlich zu etwas Größerem. Doch kann eine Beziehung funktionieren, obwohl die beiden Männer zusätzlich zum Altersunterschied auch noch Hunderte von Kilometern voneinander trennen? Ist Zach bereit, seine Ängste für Martti über Bord zu werfen und auf sein Herz zu hören?

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Seitenzahl: 440

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Deutsche Erstausgabe (ePub) Dezember 2019

© 2019 by Jessica Martin

Verlagsrechte © 2019 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk, Taufkirchen

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

Druckerei: CPI Deutschland

ISBN-13: 978-3-95823-795-7

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de

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Klappentext:

Ein langer Sommerurlaub mit seinem Pflegesohn Balu an der Ostsee? Für Zach die perfekte Gelegenheit, mal wieder die Regenbogenpension seines Bruders Henrik zu besuchen und mehr Zeit mit Balu zu verbringen. Was er dabei nicht einkalkuliert hat: das erneute Kribbeln, das der lebensfrohe Martti schon bei ihrer ersten Begegnung in Zach ausgelöst hat. Allerdings ist Martti nicht nur Henriks bester Freund, er ist auch 15 Jahre jünger als Zach. Was als heißer One-Night-Stand begann, entwickelt sich diesmal unweigerlich zu etwas Größerem. Doch kann eine Beziehung funktionieren, obwohl die beiden Männer zusätzlich zum Altersunterschied auch noch Hunderte von Kilometern voneinander trennen? Ist Zach bereit, seine Ängste für Martti über Bord zu werfen und auf sein Herz zu hören?

Prolog

Zach

Ich habe es wieder getan. Mir ist klar, dass es eigentlich nichts Falsches ist, aber hinterher fühlt es sich jedes Mal erneut genau so an. Dabei ist er sicherlich schon älter als zwanzig, vielleicht zweiundzwanzig, da er ja schon eine Weile für Lukas und meinen Bruder hier in der Pension arbeitet.

Aber verdammt, er sieht gerade so jung aus, wie er hier schlafend neben mir liegt, nackt und höllisch sexy, die rabenschwarzen Haare zerzaust und mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. Beim Gedanken daran, wie sie sich heute Nacht um meinen Schwanz herum angefühlt haben, muss ich ein Stöhnen unterdrücken. Oder wie seine schlanken Finger meine Eier geknetet haben, während seine Zunge frech meine Eichel geneckt hat... Wieso zum Teufel lassen mich Männer meines Alters kalt, während Twinks wie er mich scheinbar magisch anziehen? Was stimmt nicht mit mir?

Seufzend lehne ich den Kopf gegen die Wand zurück und schließe resigniert die Augen. Glücklicherweise bin ich weit genug weg von meiner Heimatstadt, meiner Praxis und den Eltern, die mir ihre kranken Kinder anvertrauen, sodass mein erneuter Fehltritt keine Folgen für meinen Ruf nach sich ziehen wird.

Trotzdem hätte ich seinen Avancen widerstehen sollen, statt ihn von der Silvesterparty mit rauf in mein Zimmer zu nehmen, denn mein Bruder Henrik wird mir vermutlich den Kopf waschen, wenn er erfährt, dass ich seinen Kollegen flachgelegt habe, der gut und gerne fünfzehn Jahre jünger ist als ich.

Henrik weiß ja nicht mal, dass ich schwul bin, denn auch wenn wir uns nahestehen, sprechen wir über solche Themen nie. Seit er vor zwei Jahren hierher zu Lukas gezogen ist, erst recht nicht, aber auch vorher habe ich immer abgeblockt, wenn ein Gespräch diese Richtung eingeschlagen hat. Ich möchte schlichtweg nicht, dass er von meiner Vorliebe für junge Kerle erfährt und dann enttäuscht von mir ist. Mein eigenes schlechtes Gewissen ist bereits groß genug.

»Hey.«

Schwer schluckend öffne ich die Augen und blicke zu Martti, der mich verschlafen anblinzelt. »Morgen.«

Er scheint meinen schuldbewussten Gesichtsausdruck richtig zu deuten, denn sein Lächeln gefriert und er richtet sich langsam auf. »Wie spät ist es?«

»Kurz nach halb sieben.«

Martti nickt und wirft die Decke von sich. »Ich muss aufstehen. Schicht fängt um sieben an.« Er steigt aus dem Bett und sammelt seine Klamotten vom Boden auf, wobei er mir seinen sexy Hintern entgegenreckt.

Mein Schwanz regt sich interessiert, denn er hatte noch nie Skrupel, sich mit jungen Hüpfern zu vergnügen. Um meine aufkeimende Erregung zu verbergen, schnappe ich mir mein Handy vom Nachttisch und halte es über meinen Schritt, während ich sinnlos auf dem Display herumwische und schließlich eine Nachrichtenseite aufrufe.

»Was dagegen, wenn ich schnell mal dusche?«

Ich blicke auf. »Nein, mach ruhig.«

Martti stemmt eine Hand in die noch immer nackte Hüfte, wodurch seine Morgenlatte mir lockend zuwinkt. »Lust, mir Gesellschaft zu leisten?«

Mühsam reiße ich meinen Blick von seinem Unterleib los, schaue in seine wunderschönen smaragdgrünen Augen auf und kratze sämtliche Selbstbeherrschung zusammen, die ich besitze, um den Kopf zu schütteln.

Marttis Blick wandert zu meinem Schritt und er zieht spöttisch die Augenbrauen hoch, doch als ich nichts weiter sage, zuckt er mit den Schultern und wendet sich um. Unaufhaltsam richten meine Augen sich auf seinen Hintern und mir entweicht ein leises Stöhnen. Marttis Gang stockt kurz, dann verschwindet er ins Bad.

Als er wenig später vollständig bekleidet wieder im Zimmer steht, hat sich mein Schwanz kaum beruhigt. Die sexy Jeans und das enge Oberteil sind mir gestern schon zum Verhängnis geworden und haben dafür gesorgt, dass ich während der Party die halbe Nacht den Blick nicht von ihm habe abwenden können. Was als stumme Flirterei begann, wurde mit nur einem anzüglichen Lächeln von ihm und einem Kopfnicken in Richtung Tür meinerseits schnell zu einem erotischen Abenteuer in meinem Bett.

Das Lächeln, mit dem er mich jetzt bedenkt, während er sich die Schuhe anzieht, ist jedoch eher traurig. »Ich hätte nichts gegen eine Fortsetzung heute früh gehabt.«

»Ich weiß«, seufze ich resigniert. »Tut mir leid. Die Nacht war echt gut.«

Martti schnaubt. »Klar.«

»Wirklich. Bitte glaub mir, du warst toll.«

Er zieht sein Handy aus der Hosentasche und wirft einen flüchtigen Blick darauf. »Ich muss in die Küche, sonst bekomme ich Ärger mit Henrik.«

»Natürlich.« Bei der Erwähnung meines Bruders bildet sich ein Knoten in meinem Bauch. »Ich... also, es wäre mir lieb, wenn –«

Martti hebt eine Hand, woraufhin ich verstumme. »Keine Sorge, dein Herausschleichen aus dem Partyraum gestern war mehr als eindeutig. Von mir erfährt dein Bruder nichts.«

Erleichtert atme ich aus. »Danke.«

Martti zieht die Augenbrauen hoch und schüttelt den Kopf. »Hör zu. Ich hab kein Problem mit One-Night-Stands und ich bereue die Nacht nicht, aber vielleicht solltest du deine Ficks am nächsten Morgen doch weniger wie Flittchen behandeln. Wenn du in deinem nächsten Urlaub wieder einen heimlichen Ausflug in die Schwulenwelt unternehmen willst, zähl lieber nicht auf mich.« Mit diesen Worten dreht er sich um.

Mit einem Satz bin ich aus dem Bett und schnappe ihn am Handgelenk, bevor er an der Tür ist. »Warte, Martti. Es tut mir leid.«

Für einen Moment versteift er sich, dann wendet er sich mir zu. »Du kennst meinen Namen. Das überrascht mich jetzt.«

Schuldbewusst lasse ich die Schultern hängen. »Natürlich kenne ich deinen Namen. Du bist einer der engsten Freunde meines Bruders. Bitte, ich wollte dich nicht wie ein Flittchen behandeln, denn das bist du für mich nicht. Das musst du mir glauben.«

Martti betrachtet mich nachdenklich, dann nickt er. »Wieso weiß dein Bruder eigentlich nicht, dass du auf Männer stehst? Er ist offen schwul und leitet mit Lukas zusammen eine Regenbogenpension. Ich bin mir sicher, dass er absolut kein Problem damit hätte.«

»Nein, hätte er auch nicht«, räume ich ein.

»Also willst du nicht, dass er von unserem One-Night-Stand weiß?«, hakt er nach, wobei er abwehrend die Arme vor der Brust verschränkt.

Ich schüttle sofort den Kopf. »Das hat wirklich nichts mit dir persönlich zu tun.«

»Dann verstehe ich das Problem nicht. Wenn es nicht am Schwulsein allgemein und nicht an mir liegen soll, woran denn dann? Ich weiß, es geht mich nichts an, aber ich würd's gern nachvollziehen können.«

Plötzlich sieht er wieder so verdammt jung aus. Sein Gesichtsausdruck zeigt deutlich, dass er mir nicht glaubt und denkt, ich würde mich dafür schämen, ihn mit aufs Zimmer genommen zu haben. In gewisser Weise stimmt das, aber es würde mir schließlich auch bei jedem anderen so gehen.

»Mach dir bitte keine Gedanken. Es liegt wirklich nicht an dir.« Als er mich weiterhin skeptisch und so verdammt verletzlich anblickt, lasse ich mich auf die Bettkante sinken und stütze die Unterarme auf die Knie. »Ich bin Kinder- und Jugendarzt, Martti.«

»Ja, das weiß ich.«

Nickend schlucke ich. »Einige meiner Patienten sind nur ein paar Jahre jünger als du.«

Im ersten Moment stutzt er, dann reißt er die Augen auf, bevor er mich voller Mitleid anblickt. Er kommt einen Schritt auf mich zu, doch als ich den Kopf schüttle, bleibt er stehen und seufzt leise. »Was denkst du, wie alt ich bin?«

»Ich weiß, dass du volljährig bist, aber darum geht es nicht«, erwidere ich.

»Worum geht es dann?«, fragt er leise und hockt sich neben mich. »Nur fürs Protokoll: Ich bin dreiundzwanzig.«

»Und ich achtunddreißig.«

»Und?«

»Ich könnte beinahe dein Vater sein.«

»Aber du bist es nicht.«

Verzweifelt fahre ich mir durch die Haare. »Es geht ums Prinzip, Martti. Twinks, junge Hüpfer wie du, machen mich tierisch an und das ist einfach nicht richtig, verstehst du?«

Er richtet sich auf. »Um ehrlich zu sein, nein. Aber ich werd dich nicht outen, falls du das befürchtest. Es ist dein Leben. Und ich... komme zu spät zur Arbeit. Shit. Ich muss runter.« Kurz schenkt er mir ein mitleidiges Lächeln, dann wendet er sich zur Tür um. »Hab noch einen schönen Urlaub.«

»Danke.«

Bevor er geht, schaut er noch einmal über seine Schulter hinweg zu mir. »Keine Ahnung, was du da für ein Selbstgeißelungsding am Laufen hast, aber es erscheint mir ungesund.«

Als er die Tür hinter sich zuzieht, lasse ich mich nach hinten aufs Bett fallen und schließe resigniert die Augen. Zumindest denkt er nicht mehr, dass es an ihm liegt. Mit meiner eigenen kranken Vorliebe für junge Männer muss ich selbst leben. Auch wenn ich weiß, dass es legal und theoretisch nicht verwerflich ist, fühlt es sich einfach falsch an. Ich will diese Neigung nicht haben und da ich nicht weiß, wie mein Bruder darüber denken würde, wird sie auch mein Geheimnis bleiben. Hoffentlich hält Martti Wort und unseren One-Night-Stand geheim.

Kapitel 1

1 ½ Jahre später

Martti

Wie jedes Mal, wenn ich an der Ampel hundert Meter von meinem Arbeitsplatz entfernt stehe, sehe ich zum Parkplatz der Pension. Um diese Tageszeit sind nur wenige Plätze belegt, da die meisten Gäste noch auf ihren Ausflügen sind. Heute jedoch zucke ich unweigerlich zusammen.

In den letzten Jahren habe ich es geschafft, einen großen Bogen um den Mann zu machen, dem der schwarze Audi dort gehört. Obwohl er nichts Markantes an sich hat, erkenne ich ihn jedes Mal sofort. Zudem hat Henrik gestern Abend freudig erzählt, dass sein Bruder heute anreisen würde.

Als die Ampel auf Gelb umspringt, atme ich tief durch, lege den Gang ein und halte kurz darauf am Straßenrand vor der Pension. Es gießt in Strömen, daher setze ich meine Kapuze auf, ziehe den Autoschlüssel ab und flitze nach dem Aussteigen zum Haus hinüber. Vergeblich versuche ich, Zach zu ignorieren, der in seinem Auto sitzt, während ich über den Parkplatz renne. Unter dem Vordach des Angestellteneingangs angekommen, betätige ich die Fernbedienung, um mein Auto zu verriegeln.

Zach steigt ebenfalls aus und noch während ich überlege, ob es sehr unhöflich wäre, jetzt schnell nach drinnen zu schlüpfen und in die Küche zu verschwinden, wird seine Beifahrertür geöffnet und ein Junge steigt aus. Er ist kein Kind mehr, aber auch noch kein Teenager, daher schätze ich ihn auf elf oder zwölf Jahre.

Meine Neugierde lässt mich innehalten. Wieso zum Teufel weiß ich nichts davon, dass Zach Vater ist? Ich war fest davon überzeugt, er wäre Single und würde in Narnia wohnen. Sein Bruder, der Küchenchef der Pension, in der ich als Koch angestellt bin, hat auch nie irgendwas von einem Kind erzählt. Er redet zwar nicht ununterbrochen von seiner Familie, aber einen Neffen hätte er in den letzten Jahren doch wenigstens mal erwähnt.

Soweit ich weiß, war Zach auch immer nur allein oder mal mit der Mutter der beiden hier, aber nie mit einer Frau oder einem Kind. Im Herbst habe ich Henrik nach Zachs Abreise aus purer Neugierde gespielt scherzhaft gefragt, ob die Pension seinen Bruder endlich von der Schönheit der Regenbogenseite überzeugen konnte, aber Henrik hat nur gelacht und gemeint, dass es wohl zu viele hübsche Ärztinnen in ihrer Heimatstadt gäbe und Zach dort noch nicht genug gewildert hätte.

Also wo zum Teufel hat er plötzlich das Kind her? Und wieso geht mir der Mann noch immer so unter die Haut?

»Hallo!«, grüße ich, als die beiden zu mir unter das Vordach laufen, und weiche automatisch einen Schritt zur Tür zurück. Hoffentlich sehen meine Haare nicht zu zerzaust aus, wenn ich die Kapuze absetze.

Zach lächelt, während der Junge genervt dreinblickt und die Hände in seinen Jackentaschen vergräbt. »Hallo, Martti. Wir haben uns lange nicht gesehen. Wie geht es dir?«

»Mir geht's gut«, antworte ich und blicke neugierig zu seinem Sohn hinüber.

Zach räuspert sich und legt einen Arm um die Schultern des Jungen. »Martti, darf ich dir Balu vorstellen? Er wohnt seit einem halben Jahr bei mir. Balu, das ist Martti, ein Kollege und Freund meines Bruders.«

Balu? Heilige Scheiße, wer tut seinem Kind denn diesen Vornamen an? Und was bedeutet es, dass er bei Zach wohnt? Hat er mal eine Frau geschwängert, erst kürzlich von dem Jungen erfahren und das Sorgerecht bekommen oder warum hat er ihn aufgenommen? Ich zwinge mich, mir meine Überraschung nicht anmerken zu lassen, und strecke dem Kleinen die Hand hin. »Hallo, Balu. Nett, dich kennenzulernen.«

Er ignoriert mich und brummt etwas Unverständliches, woraufhin Zach ihn anstößt und der Kleine doch noch nach meiner Hand greift. »Hi.«

»Seid ihr gerade angekommen?«, frage ich, um das Gespräch in Gang zu halten.

»Vor einer halben Stunde«, antwortet Zach. »Aber Henrik und Lukas scheinen nicht da zu sein und ich vermute, auf dem Wasser sind sie bei diesem Wetter auch nicht, daher haben wir im Auto gewartet.«

»Oh, stimmt, sie wollten Dr. Wachtendorf und seine Frau besuchen. Die hatten doch mal die Pension, die damals abgebrannt ist.« Ich deute auf das Nachbargrundstück, auf dem im Frühjahr angefangen wurde, neu zu bauen. Dabei fummle ich meine Schlüsselkarte aus der Tasche und öffne die Tür. »Wenn ihr möchtet, könnt ihr an der Rezeption oder im Speiseraum warten. Ich weiß leider nicht, welche Zimmer Lukas für euch reserviert hat.«

»Kein Problem, wir warten im Speiseraum. Weißt du, was dort drüben gebaut wird?«

Ich nicke und gehe in den Flur vor. »Eigentumswohnungen. Die sollen dann als Ferienwohnungen vermietet werden.«

»Ist naheliegend. Aber zumindest keine neue Pension, das dürfte Lukas freuen, oder?«

»Na klar.« Im Speiseraum angekommen, drehe ich mich zu Zach um und bereue es sofort. Er sieht immer noch so verdammt gut aus. »Möchtet ihr was trinken?«, frage ich und sehe schnell zu Balu, der sich gelangweilt umblickt.

»Cola«, blafft der Junge, während er sich auf einen Stuhl fallen lässt.

Zach seufzt leise. »Mach dir keine Umstände.«

»Macht es nicht«, versichere ich ungeduldig, weil ich in die Küche muss. »Also, eine Cola, und was möchtest du? Auch was Kaltes? Oder lieber Tee? Kaffee?«

»Oh Gott, Kaffee wäre wirklich super«, stöhnt Zach mehr, als dass er es sagt, und ruft damit augenblicklich Erinnerungen an unsere gemeinsame Nacht hervor.

Ich kann seinen Schwanz praktisch wieder auf meiner Zunge fühlen, als ich vor ihm gekniet und ihn verwöhnt habe, bevor er mich so geil gevögelt hat, dass ich kurzzeitig meinen eigenen Namen vergessen habe. Ein Ziehen geht durch meinen Unterleib und ich spüre, wie meine Wangen heiß werden, daher drehe ich mich um und eile zur Küche.

Im Umkleideraum angekommen, lehne ich mich gegen die geschlossene Tür und atme tief durch. Unglaublich, dass der Mann mich immer noch so aus der Fassung bringt. Es war nur eine Nacht, ein belangloser One-Night-Stand. Nur, dass es das nicht war. Bereits als Henrik mir seinen Bruder im Herbst vor drei Jahren vorgestellt hat, habe ich kaum ein vernünftiges Wort rausbekommen, so sehr hat Zach es mir angetan.

Ich hatte schon immer eine Schwäche für ältere Männer, aber Zach ist... einfach wow. Er ist gut zwanzig Zentimeter größer als ich, hat kurze dunkelblonde Haare, ein absolut hinreißendes Lächeln, strahlend blaue Augen und diese niedlichen Sommersprossen auf der Nase, den Wangen und der Stirn. Außerdem weiß ich, dass sie auch seine breiten Schultern zieren und selbst unter seinem Brusthaar welche zu finden sind.

Meine eigene Haut mag ich lieber glatt rasiert, aber bei meinen Liebhabern stehe ich darauf, wenn ich meine Finger durch feine Löckchen gleiten lassen kann.

Als er mich vor anderthalb Jahren an Silvester wirklich mit auf sein Zimmer genommen hat, konnte ich mein Glück kaum fassen. Die Nacht war der Hammer, auch wenn die Ernüchterung am nächsten Morgen umso heftiger ausgefallen ist. Das und die Tatsache, dass er sich seinem Bruder gegenüber, der obendrein mein bester Freund geworden ist, noch immer nicht geoutet hat, lässt mich jedoch bei jedem von Zachs Urlauben einen großen Bogen um ihn machen.

Heute komme ich aber nicht darum herum, denn ich habe ihm Kaffee versprochen. Trotzdem lasse ich mir beim Umziehen und dem Vorbereiten und Anschalten der Kaffeemaschine Zeit, in der Hoffnung, dass Henrik und Lukas in der Zwischenzeit zurückkommen.

Leider habe ich kein Glück, also balanciere ich eine Viertelstunde später ein Tablett mit einem Glas Cola und einer Tasse Kaffee in den Speiseraum. Balu sieht immer noch total genervt aus und lamentiert darüber, dass er kein Datenvolumen mehr hat.

»Wenn Lukas und Henrik hier sind, geben sie dir sicher gleich das Passwort für den WLAN-Zugang«, versucht Zach, ihn zu beschwichtigen.

Der Junge verdreht nur die Augen. »Und wann ist das? Ich brauch das Update, um weiterzocken zu können. Hier rumzugammeln, ist langweilig.«

»Eure Getränke«, sage ich unbehaglich, als ich am Tisch ankomme und das Glas und die Tasse abstelle. »Magst du vielleicht ein Eis haben, Balu? Wir haben Schokolade und Orange-Joghurt da.«

»Ich bin doch keine fünf mehr, dass du mich mit Eis bestechen kannst, damit ich die Klappe halte«, motzt er mich an.

»Nein, danke hätte es auch getan, aber okay...«, murmle ich und wende mich Zach zu, der seinem Schützling einen tadelnden Blick zuwirft.

»Reiß dich zusammen, Großer. Martti wollte dir nicht den Mund verbieten, sondern lediglich nett sein.« Er atmet tief durch, dann lächelt er mich an und mein Ärger ist vergessen. Verdammt, dieses Lächeln war schon vor anderthalb Jahren mein Verhängnis. »Danke für die Getränke. Ich hoffe, wir halten dich nicht von der Arbeit ab.«

»Eigentlich schon, aber ist okay. Möchtest du ein Eis? Wir hatten es gestern auf der Speisekarte und ein bisschen was ist noch da. Erdbeere und Mango haben wir auch, aber da müsste ich erst mit Lukas sprechen, weil das für heute Abend ist«, plappere ich mit heißen Wangen, bis mir die Puste ausgeht und ich Luft holen muss.

»Du musst mich nicht bedienen.« Wieder schenkt er mir dieses Lächeln, das mich beinahe vergessen lässt, dass der Mann tabu ist. Zumal es gleichzeitig dafür sorgt, dass meine Libido mich daran erinnert, wie fantastisch er im Bett ist.

»Mach ich aber gern«, entgegne ich ohne nachzudenken und spüre, wie Hitze von meiner Brust in meinen Hals aufsteigt. Vermutlich glühen meine Ohren gerade. »Ich meine...« Hektisch schlucke ich, doch Zachs Lächeln wird plötzlich anzüglich und ich kann kaum noch klar denken.

Seine blauen Augen funkeln regelrecht und seine Sommersprossen leuchten, während sein Blick langsam zu meinen Lippen wandert. Fuck, ich werde hart.

»Wie lange bleibt ihr?«, höre ich mich fragen und halte schnell das Tablett unauffällig vor meinen Schritt.

»Sechs Wochen.«

»Sechs?« Jegliche Hoffnungen, ihm nach heute wieder einfach aus dem Weg gehen zu können, werden zunichtegemacht, denn so lange schaffe ich das auf gar keinen Fall. »Das ist ja... toll.«

»Bruderherz!«, ertönt plötzlich Henriks Stimme freudig von der Tür her.

Zachs Blick wird sofort schuldbewusst und mir bleibt nur ein müdes Lächeln, denn an diesem Punkt waren wir schon mal. Offensichtlich hat sich seitdem nichts geändert.

Henrik fällt Zach um den Hals, kaum dass dieser sich erhoben hat. Lukas bleibt dabei neben mir stehen und wartet darauf, seinen zukünftigen Schwager zu begrüßen – ich zweifle nicht daran, dass Henrik und er irgendwann heiraten werden.

Balu beobachtet die Begrüßungsrunde scheinbar gelangweilt. Er versucht, es zu verbergen, aber ich kann den Weltschmerz, den der Junge auf seinen Schultern spürt, an seinen Augen ablesen.

Während Lukas und Zach sich umarmen, streckt Henrik Balu die Hand hin. »Hallo, Balu. Ich freue mich riesig, dich kennenzulernen. Mein Bruder hat mir schon viel von dir erzählt.«

»Aha«, meint der Kleine und blickt böse zu Zach rüber, der ihn beruhigend anlächelt. Dann zuckt der Junge mit den Schultern und sieht zu Henrik auf. »Krieg ich euer WLAN-Passwort?«

»Ähm... klar. Lukas?«

Er nickt lächelnd und rattert das Passwort runter, während Balu es eilig in sein Handy tippt. Mit einem knappen Nicken scheint er signalisieren zu wollen, dass er sich einloggen konnte, und gleich darauf fliegen seine Finger förmlich über das Display.

Zach beugt sich kurzerhand hinunter und schnappt ihm das Smartphone aus der Hand.

»Hey, spinnst du?«

»Du kriegst es gleich zurück, aber erst mal begrüßt du Henrik und Lukas vernünftig«, erklärt Zach streng.

Balu sieht ihn argwöhnisch an, als würde er abschätzen, wie ernst sein Vater es meint. Ich beobachte das stumme Blickduell neugierig. Der Junge seufzt schließlich leidgeprüft, erhebt sich und streckt Henrik die Hand hin. Zachs Erleichterung ist ihm deutlich anzusehen. Als unsere Blicke sich treffen, umspielt ein verlegenes Lächeln seine Lippen. Ich erwidere es verständnisvoll, denn was auch immer Balu widerfahren ist, scheint die Beziehung der beiden auf die Probe zu stellen.

Nachdem der Junge sein Handy zurückhat, setzt er sich wieder und widmet ihm seine volle Aufmerksamkeit. Vermutlich könnte im Garten jetzt eine Bombe explodieren, der Kleine würde es nicht mitbekommen.

Ich schenke Zach noch ein Lächeln, dann wende ich mich meinen Arbeitgebern zu. Henrik beobachtet Balu stirnrunzelnd, während Lukas mich nachdenklich anblickt.

»Ich geh dann mal in die Küche«, verkünde ich und wende mich zum Gehen, doch eine Hand auf meiner Schulter hält mich zurück.

»Bevor du loslegst, müssen wir das Dessert noch mal ändern. Wir haben das Auto voller Rucola, Stachelbeeren und Himbeeren.«

»Wart ihr noch einkaufen?«, frage ich Henrik, doch er schüttelt den Kopf.

»Wir durften den Garten der Wachtenbergs plündern. Sie haben so viele Büsche, dass sie das ganze Obst nicht allein essen können.«

Während Henrik sich noch mit seinem Bruder unterhält und ich gedanklich sämtliche passende Rezepte für Kuchen und andere Süßspeisen durchgehe, folge ich Lukas in den Flur und auf den Parkplatz raus.

»Alles klar bei dir?«, fragt er, während er den Kofferraum öffnet.

Ich schnappe mir zwei der Himbeerkörbe. »Ja, klar. Sag mal, ist Balu Henriks Neffe?«

Lukas blickt mich kurz nachdenklich an, dann schüttelt er den Kopf und holt einen großen Karton voller Rucola aus dem Auto. »Zach hat den Kleinen Anfang des Jahres bei sich aufgenommen.«

»Ach so. Hatte mich nur gefragt, warum er noch nie was von ihm erzählt hat.«

»Ja.« Lukas seufzt. »Zach hat es ihm erst vor ein paar Tagen gesagt. Ich hatte mich zwar gewundert, als er beim Buchen um ein Häuschen, statt um ein Zimmer hier im Haupthaus gebeten hat, aber ich dachte, dass er einen Kumpel mitbringt oder so. Neulich hat er dann die Bombe platzen lassen.«

»Krass. Hat er gesagt, warum er es geheim gehalten hat?«

Lukas zögert, dann nickt er. »Ja, hat er.«

Als er nichts weiter dazu sagt, wird mir klar, dass ich die ganze Geschichte wohl nicht wissen soll. Verständlich. Zudem weiß ja niemand, dass Zach und ich schon mal miteinander im Bett waren, und zum Glück merkt keiner, wie sehr es mir der Mann angetan hat. Die Tatsache, dass er jedes Jahr nur für ein paar Wochen hier ist, scheint mein Herz schlichtweg zu ignorieren.

»Ich hab ihm übrigens einen Kaffee und Balu ein Glas Cola gebracht. Falls du das für die Abrechnung brauchst«, sage ich auf dem Weg ins Haus.

»Brauch ich nicht, aber danke. Auch, dass du sie reingelassen hast. Wir wollten gar nicht so lange bleiben, aber wenn Dr. Wachtendorf einmal ins Plaudern kommt, ist er nur schwer zu bremsen.«

Lächelnd nicke ich und stelle die Körbe auf der Arbeitsplatte ab. »Was hältst du von einer Himbeertarte für morgen und aus dem Rest koche ich Marmelade? Mit Vanille?«

»Mhm, sehr gute Idee. Mein Okay hast du. Besprichst du es trotzdem noch mit Henrik?«

»Na klar«, verspreche ich und husche in den Umkleideraum, um noch schnell meine Schuhe zu wechseln.

Vermutlich wird Henrik noch eine Weile mit seinem Bruder reden, daher mache ich mich schon mal allein an die Abendvorbereitungen. Ich arbeite seit über drei Jahren hier und schaffe es mittlerweile problemlos, allein klarzukommen.

Als ich hier angefangen habe, hatte ich meine Ausbildung gerade beendet, war nervös und von Henriks bestimmender Art eingeschüchtert. Gleichzeitig habe ich ihn dafür bewundert, wie selbstbewusst er ist. Doch obwohl ich noch völlig unerfahren gewesen bin, hat er mich sofort respektiert und mit einem strahlenden Lächeln jeden meiner Kuchen gelobt und weil er grundsätzlich ein sehr sympathischer Kerl ist, habe ich Freundschaft kurzzeitig mit Verliebtsein verwechselt.

Es war ziemlich peinlich, als er mich hat abblitzen lassen, aber das ist Schnee von gestern. Zumal er sehr viel besser zu Lukas passt und ich ihn mit meiner zerstreuten Art bereits ein paarmal an den Rand seiner Geduld gebracht habe.

Ich kann aber nichts dafür, dass ich manchmal mit den Gedanken woanders bin. Seit Henrik Zucker und Salz in verschiedenfarbige Behälter füllt, die er fett beschriftet hat, ist mir dahingehend aber kein Missgeschick mehr passiert.

Henrik kommt zur Tür rein und verzieht zerknirscht das Gesicht. »Hey, sorry, dass du ohne mich anfangen musstest. Ich zieh mich schnell um.« Mit diesen Worten eilt er in den Umkleideraum.

»Kein Ding!«, rufe ich ihm zu. »Weißt du schon, was du mit dem ganzen Rucola machen willst?«

»Jep. Glasnudelsalat und aus dem Rest Pesto.«

»Mhm. Warmes Pesto-Hähnchen mit Paprika und Zucchini und dazu Bratkartoffeln«, murmle ich nachdenklich, während ich die Kartoffelschale in den Bio-Mülleimer werfe.

»Geile Idee!« Henrik kommt in die Küche zurück, wobei er sich noch das Bandana bindet, und wirft einen Blick auf den Schichtplan neben der Tür. Nachdenklich schürzt er die Lippen. »Morgen und übermorgen bin ich mit Claas und der Aushilfe allein... Dann schreibe ich es für Montag als Tagesgericht auf die Karte.«

Ich nicke zustimmend. Am Wochenende kann ich mich also problemlos von Zach fernhalten und in der nächsten Woche auch, denn da habe ich durchgehend Spätdienst und Zach kommt höchstens nach dem Frühstück zu Henrik in die Küche, um mit ihm zu plaudern, während er aufräumt und was fürs Abendessen vorbereitet.

Normalerweise hätte ich meinen Frühdienst in der Woche darauf einfach mit jemandem getauscht und wäre Zach so in seinem Urlaub nicht begegnet, aber es würde auffallen, wenn ich sechs Wochen nur Spätdienst übernehmen will. Zumal ich Omi schon versprochen habe, ihr an einigen Tagen nachmittags im Garten zu helfen und diesen Sommer die Fensterläden und den Zaun neu zu streichen. Das kann ich nur machen, wenn ich nicht hinterher noch ein paar Stunden in der Küche stehen muss.

Nur werde ich so garantiert Zach begegnen und allein beim Gedanken daran, in seine hübschen blauen Augen zu schauen, wird mir warm im Bauch und es kribbelt. Dieser Mann hat es mir echt angetan und ich fürchte, es ist auch ein wenig der Reiz des Verbotenen, der mich so für ihn schwärmen lässt. Dabei kenne ich ihn nicht mal sonderlich gut, sondern weiß nur das über ihn, was Henrik mir erzählt hat, und aus eigener Erfahrung, dass er verdammt gut im Bett ist. Zudem ungeoutet und nur zu Besuch, woran ich mich immer wieder erinnern muss.

»Ähm, Schusselchen? Was genau machst du da gerade?«

»Was?« Erschrocken zucke ich zusammen und sehe zu Henrik, der mich mit diesem teils amüsierten, teils resignierten Gesichtsausdruck anblickt, der in den letzten drei Jahren leider öfter mir gegolten hat. »Ich schneide Zwie- Kartoffeln?«, antworte ich verdutzt und beschämt angesichts der kleinen gelben Würfel auf dem Brett. »Ähm... Tut mir leid.«

»Willst du reden?«

Sofort schüttle ich den Kopf. »Schon okay. Nichts Dramatisches. Ich habe nur darüber nachgedacht, wo ich am besten Farbe für Fensterläden kaufe. Omi möchte den gleichen Blauton wieder haben.« Ich hasse es, Henrik anzulügen, aber in diesem Fall kann ich mich ihm einfach nicht anvertrauen.

Kapitel 2

Zach

Ich mag diese kleine Pension direkt am Meer, die Lukas und Henrik betreiben. Auf der großen Holzterrasse schmeckt ein kühles Bier bei Sonnenuntergang gleich noch viel besser, während im Hintergrund das Meer rauscht und im Garten und in den Dünen die Grillen zirpen. In Momenten wie diesen beneide ich meinen Bruder und kann seine Entscheidung, hierherzuziehen, sehr gut nachvollziehen.

Allerdings haben sie gerade im Sommer auch alle Hände voll zu tun. Henrik steht im Moment noch in der Küche, während Lukas die letzten Tische abräumt, bevor er sich zu mir setzen kann. Seine Gäste sind in der Regel sehr entspannt und oftmals in Plauderlaune, sodass er einige Zeit an ihren Tischen stehen bleibt und Ausflugstipps gibt oder Anekdoten über Land und Leute erzählt.

»Bin gleich bei dir«, verspricht er, als er auf dem Weg zur Bar an mir vorbeiläuft.

»Mach dir keinen Stress!«, rufe ich ihm nach.

Da Balu noch im Spiel- und Fernsehraum im ersten Stock sitzt und auf der PlayStation zockt, habe ich ein wenig Zeit zum Entspannen. Seit Balu bei mir ist, sind Momente wie dieser rar, daher genieße ich ihn umso mehr.

Fünf Minuten später lässt Lukas sich seufzend auf den Stuhl mir gegenüber fallen. »So, jetzt sollten erst mal alle versorgt sein. Wie war euer Tag?«

»Recht entspannt«, antworte ich. »Bisher hatten wir die ganze Woche Glück mit dem Wetter. Von mir aus kann es gern die nächsten fünf Wochen so weitergehen.«

Lukas blickt in den wolkenlosen Himmel hinauf und rümpft die Nase. »Ja, für euch Urlauber ist das toll.«

Ich muss grinsen. »Eure Boards verstauben wohl langsam?«

»Ja, leider. Vor zwei Wochen konnten wir zuletzt aufs Meer, aber die Anfängerwellen haben uns nur kurz gereizt. Ich hatte gehofft, dass wir Balu vielleicht mit Tandem-Kiten überraschen können, nur fehlt dafür eindeutig der Wind.«

»Wow, die Idee finde ich toll. Mittlerweile bin ich echt ratlos. Ich habe noch nichts gefunden, womit ich ihn begeistern kann und das nichts mit Bildschirmen zu tun hat.«

Lukas lächelt verständnisvoll. »Teenager halt. Die hängen doch nur noch vor ihren Handys. Das beobachten wir immer wieder, wenn Familien hier sind.«

»Er ist erst zwölf«, werfe ich ein, auch wenn ich weiß, dass digitale Medien für die Jugend heutzutage zum Alltag gehören. »Ich verstehe ja, dass er lieber irgendein Onlinespiel zockt, statt sich mit mir zu unterhalten, aber hin und wieder mal den Kopf zu heben und in die reale Welt zurückzukommen, kann doch nicht zu viel verlangt sein.«

Lukas lacht leise. »Oh Mann, Zach. Du bist erst vierzig und solltest noch nicht wie mein Großvater klingen.« Bevor ich etwas erwidern kann, schüttelt er den Kopf. »Obwohl das meinem Opa gegenüber nicht fair ist. Er schickt mir regelmäßig Bilder über WhatsApp.«

»Ich habe überhaupt nichts gegen Smartphones und das Internet. Ich nutze beides selbst täglich«, stelle ich klar. »Aber beim Essen finde ich es einfach nervig, wenn er ständig auf sein Handy starrt. Er kriegt doch gar nicht mehr mit, was er isst.«

»Teenager«, ist Lukas', einziger Kommentar zusammen mit einem Achselzucken.

Resigniert trinke ich noch einen Schluck.

»Dachte ich's mir doch, dass ihr hier sitzt!« Henrik kommt grinsend auf die Terrasse, zwei Flaschen Bier in der Hand und mit Martti im Schlepptau. »Schaut mal, wen ich zu einem Feierabendbier überreden konnte.«

Mit einem schüchternen Lächeln tritt der beste Freund meines Bruders an den Tisch. »Hallo.« Er streckt mir die Hand entgegen, die leicht zittert. »Ich hoffe, ihr habt einen schönen Urlaub?«

Lächelnd schüttle ich seine Hand und sehe in seine hübschen grünen Augen. »Hi. Ich denke schon. Balu ist zumindest im Moment happy, weil er PlayStation spielen kann, und mir gefällt es hier doch immer.«

»Oh, das freut uns zu hören«, sagt Lukas, als würde ihn meine Antwort überraschen. Henrik lässt sich auf den Stuhl neben seinem Partner fallen und drückt ihm das Bier in die Hand, bevor er ihm einen Kuss gibt.

Martti versucht, sein Unbehagen hinter einem ganz eindeutig gezwungenen Lächeln zu verstecken, als er sich an den Tisch setzt und einen großen Schluck aus seiner Flasche nimmt. Er sieht immer noch jung aus, obwohl er jetzt fünfundzwanzig sein müsste. Die rabenschwarzen Haare stehen leicht verschwitzt von seinem Hinterkopf ab, während einige Strähnen in seine Stirn fallen.

Er ist wirklich niedlich, noch dazu absolut sexy, und jedes Mal, wenn ich während meiner Urlaube hier einen Blick auf ihn erhasche, werde ich wieder daran erinnert, warum ich ihm nicht widerstehen konnte.

Martti stellt seine Bierflasche auf den Tisch und hebt kurz den Kopf, doch als unsere Blicke sich begegnen, presst er die Lippen aufeinander und wendet sich schnell ab. Da Lukas und Henrik noch mit sich selbst beschäftigt sind, zieht er sein Handy aus der Hosentasche und tippt darauf herum.

Verdammte Smartphones. Ich muss mich wirklich zwingen, nicht verbittert aufzulachen. Stattdessen lehne ich mich zurück, trinke noch einen Schluck und schaue mir den Sonnenuntergang an.

»Hey, ich bin's. Nein, es ist alles in Ordnung. Ich wollte nur Bescheid sagen, dass ich mit Henrik und Lukas noch ein Bier trinke. Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe. Ich wollte nur nicht, dass du auf mich wartest und dir Sorgen machst. Ja, zum Frühstück bin ich da.«

Bei seinem letzten Satz blicke ich auf. Es geht mich nichts an und ich habe kein Recht dazu, aber unweigerlich frage ich mich, mit wem Martti telefoniert. Henrik erzählt hin und wieder von seinem Kollegen, wenn auch eher Anekdoten aus der Küche, aber von einem Freund hat er nie etwas berichtet. Was nicht heißen muss, dass Martti keinen hat, schließlich ist er ein attraktiver Mann.

Ein tiefes Seufzen folgt Marttis Worten und er schüttelt den Kopf, während er sich über den Nasenrücken reibt. »Omi, du weißt, dass ich das nicht mache, auch wenn's nur ein Bier ist. Wolltest du morgen Vormittag denn irgendwo hin? Ach so, stimmt. Bis elf habe ich das Auto aber geholt. Wir werden pünktlich sein. Mache ich. Schlaf gut. Bis morgen.«

Er legt das Handy wieder auf den Tisch und sieht Henrik und Lukas an, die sich inzwischen voneinander lösen konnten. »Schönen Gruß von Omi.«

Während ich mich vor mir selbst wegen der Erleichterung schäme, die meinen Körper überfällt, lächelt mein Bruder. »Danke. Gefallen ihr die Fensterläden?«

»Ja, sie ist ganz begeistert. Wenn nicht, hätte ich sie aber auch nicht noch mal gestrichen. Eine Leiter ist nicht der sicherste Arbeitsplatz für mich«, antwortet Martti und präsentiert uns fast verheilte Schürfwunden auf seinen Unterarmen und Ellenbogen, bevor er einen weiteren Schluck aus seiner Flasche trinkt.

»Ach, komm. Du bist nur beim Tragen der Leiter gestolpert, nicht davon runtergefallen. Hast du den Zaun denn auch schon fertig?«, will Lukas wissen.

Martti schüttelt den Kopf. »Noch nicht. Wenn ich Spätschicht habe, schaffe ich das nachmittags nicht und bis vierzehn Uhr knallt die Sonne auf den Garten, das tue ich mir nicht an.«

»Wenn du Hilfe brauchst oder wir eine Schicht tauschen sollen, sag Bescheid«, meint Henrik sofort, doch Martti winkt ab.

»Auf eine Woche kommt es nicht an.«

Mir kommt ein Gedanke und auch wenn mein Teenie mich dafür verfluchen wird, finde ich die Idee super, denn so kriege ich ihn mal von den elektronischen Geräten weg. »Balu und ich können euren Zaun streichen.«

Drei Augenpaare richten sich auf mich. »Was?«, platzt es völlig entgeistert aus Martti heraus. »Wie kommst du denn darauf?«

»Ich dachte, so kommt er mal von seinem Handy weg und wir unternehmen was zusammen.«

Martti blinzelt, dann lacht er, als wäre die Vorstellung völlig absurd. »Lass mal. Ich schaffe das schon noch in diesem Sommer.«

»Na gut, schade, aber wenn du meinst. Das Angebot steht.«

Martti schüttelt ernst den Kopf. »Wirklich nicht. Es sind nur fünfzehn Meter. Okay, dreißig insgesamt, trotzdem schaffe ich das allein. Ich könnte euch das eh nicht bezahlen.«

»Von Bezahlung war auch keine Rede. Ich weiß nur nicht mehr, wie ich Balu beschäftigen soll. Er lehnt sämtliche Ausflugsideen ab und der Strand langweilt ihn. Zumal es dort keine Steckdose gibt und der Akku seines verfluchten Smartphones ständig leer ist«, erkläre ich.

»Und du meinst, einen fremden Zaun zu streichen, würde ihn begeistern?«, will Henrik belustigt wissen.

»Ich streiche unseren Zaun selbst!«

»Meine Verzweiflung ist groß genug, um es zu versuchen«, sage ich schulterzuckend. »Zumal er ein Fan davon ist, Farbe auf fremdem Eigentum zu verteilen.«

Mein Bruder runzelt fragend die Stirn, doch Lukas scheint sofort zu verstehen. »Er ist ein Sprayer?«

Resigniert nicke ich. »Ja. Ich habe schon ein kleines Vermögen in die Reinigung von Hauswänden und Stromkästen investiert. Er stottert die Rechnungen bei mir von seinem Taschengeld ab, aber er scheint es einfach nicht lassen zu können.«

Lukas schluckt und blickt kurz zu Henrik hinüber. »Ich hoffe sehr, er kommt nicht auf die Idee, hier was zu besprühen.«

»Er hat keine Farbdosen dabei«, antworte ich ausweichend, denn ich kann nicht garantieren, dass Balu sich an das Sprayverbot hält, sollte er welche in die Hände kriegen. Bei uns zu Hause lässt er sich ja auch nicht davon abhalten, egal, wie oft ich die Dosen konfisziere.

Henrik zieht die Augenbrauen hoch. »Denkst du wirklich immer noch, dass es eine gute Idee war, ihn bei dir aufzunehmen, wenn er dir so große Probleme bereitet?«

»Ja«, antworte ich ernst, denn ja, Balu hat seine Fehler, aber mehr als alles andere braucht der Junge eine feste Bezugsperson, die ihn liebt und der er bedingungslos vertrauen kann. Seine stummen Hilfeschreie waren laut genug. »Er kriegt die Kurve schon noch. Es erfordert halt Geduld, ihn auf den richtigen Weg zu bringen.« Hoffentlich schaffe ich das vor seinem vierzehnten Geburtstag, denn ab da ist er strafmündig.

Unangenehmes Schweigen breitet sich aus. Ich verstehe die Bedenken meines Bruders vollkommen. Vermutlich hätte ich sie an seiner Stelle ebenfalls geäußert, aber Balu aufzugeben, ist schlichtweg keine Option. Der Junge hat in seinem Leben mehr durchgemacht, als einem Zwölfjährigen zuzumuten wäre, und ich habe es ihm und mir selbst versprochen, dass ich ihn nicht auch noch im Stich lassen werde.

Mein Handy vibriert, daher ziehe ich es aus der Hosentasche. Seufzend schüttle ich den Kopf und rufe die eingegangene WhatsApp-Nachricht auf. Die App ist der einzige Kanal, über den Balu so gut wie rund um die Uhr erreichbar ist. Zwei Minuten nach meiner Antwort kommt er genervt dreinschauend auf die Terrasse. Er wollte noch weiterspielen, aber es ist mittlerweile dreiundzwanzig Uhr.

Sein Blick fällt auf die Bierflaschen auf dem Tisch und er kneift die Augen zusammen. »Gibst du mir diese Karte, damit ich ins Haus komme?«

»Na klar.« Ich ziehe die Zimmerkarte aus der Hosentasche und reiche sie ihm über den Tisch.

»Hatte ich euch nicht zwei gegeben?«, will Lukas verwirrt wissen.

»Doch, doch. Ich habe beide hier«, antworte ich und wende mich dann wieder an meinen Schützling. »Wenn du bettfertig bist, kannst du meinetwegen noch ein bisschen am Handy spielen, aber mach nicht mehr so lange. Spätestens um Mitternacht ist Schluss. Hast du die PlayStation ausgeschaltet?«

»Ja. Controller liegt auf dem Tresen da im Eingangsbereich. Das Spiel ist aber ziemlich öde. Glaub nicht, dass ich noch mal spielen will.«

Dafür hat er ganz schön lange vor dem Gerät gehockt. »Ist okay. Wir finden schon noch was anderes für dich.«

»Echt? Du kaufst mir ein Spiel? Krieg ich dann zu Hause auch eine PS4 dafür?« Balus Augen leuchten auf, doch so hatte ich das eigentlich nicht gemeint.

Schluckend überlege ich krampfhaft, wie ich aus der Nummer wieder rauskomme. »Ähm...«

»Für was für Spiele interessierst du dich?«, will Martti wissen, woraufhin wir alle zu ihm sehen. Er hält seinen Blick auf Balu gerichtet, der argwöhnisch die Augen zusammenkneift. »Ich habe eine PS3 und eine kleine Sammlung zu Hause und im Moment keine Zeit zum Spielen. Wenn du mir sagst, was du magst, schaue ich mal, ob ich was Passendes habe und leihe dir meine Konsole. Also, wenn Zach einverstanden ist.«

»Aber dann bitte in eurem Zimmer anschließen«, mischt Lukas sich ein. »Ist mir lieber als oben im für alle zugänglichen Fernsehzimmer. Wegen der Haftung.«

Martti sieht mich an und als ich nicke, widmet er seine Aufmerksamkeit wieder Balu. Der scheint noch nicht so recht zu wissen, was er von Martti halten soll, doch er zählt sofort mehrere Titel auf, die ich noch nie gehört habe.

Martti runzelt skeptisch die Stirn. »Wie alt bist du?«

»Zwölf«, murmelt Balu und vergräbt die Hände in den Hosentaschen. »Aber ich bin kein Baby mehr.«

Martti lächelt und nickt mitfühlend. »Ich leih dir trotzdem keine USK-16-Spiele.«

Balu grummelt leise vor sich hin, dann seufzt er und zählt ein paar Spiele auf, die Martti im Gegensatz zu mir offenbar auch alle kennt. Er verspricht, die Konsole und zwei der Spiele morgen zur Spätschicht mitzubringen.

So richtig scheint Balu die Aussicht, länger als zwölf Stunden auf ein erneutes Spielvergnügen warten zu müssen, nicht zu gefallen, aber er quengelt nicht oder stellt irgendwelche Forderungen, wie andere Kinder es tun würden. Das tut er allerdings äußerst selten, denn er hat früh gelernt, dass seine Wünsche sowieso nicht erfüllt werden. Daher bin ich Martti umso dankbarer, dass er ihm sein Spielgerät leiht.

»Hey, Großer!«, sage ich, als er zu unserem Häuschen gehen will. »Manieren?«

Er dreht sich um und presst schmollend die Lippen zusammen, dann sieht er Martti an. »Danke.«

Mit einem freundlichen Lächeln nickt er. »Kein Problem. Aber wenn du bei Need for Speed meine Rundenzeiten unterbietest, fahren wir ein Rennen gegeneinander. Ich hab da monatelang dran gearbeitet.«

Balu schenkt ihm ein seltenes, echtes Lachen. »Kann nichts versprechen.« Noch immer strahlend wendet er sich um und läuft über die Wiese zum Haus.

Martti blickt ihm grinsend nach, dann dreht er sich zu mir. »Ich hoffe, ich habe mich nicht zu sehr in deine Erziehung eingemischt. Ist es wirklich okay, wenn er PlayStation spielt?«

»Na klar. Er hat Ferien. Wenn es ihn entspannt und glücklich macht, vor dem verdammten Ding zu sitzen, dann geb ich mich geschlagen. Und danke, dass du mich davor bewahrt hast, eine Konsole samt Spielen kaufen zu müssen.«

Martti lacht leise. »Gern geschehen.«

Einen Moment lang blicken wir uns lächelnd an, bis mir einfällt, dass mein Bruder mit am Tisch sitzt. Schnell trinke ich einen Schluck und sehe zum Häuschen rüber. Im Badezimmer brennt Licht, also scheint Balu sich tatsächlich bettfertig zu machen.

Martti räuspert sich. »Ich mach mich dann mal auf den Heimweg. Omi hat morgen Vormittag noch einen Termin, zu dem ich sie fahren muss.« Er steht auf und wendet sich an Henrik und Lukas. »Wir fahren in die Stadt und ich werde ein, zwei Stunden warten müssen. Wenn ich beim Großmarkt vorbeischauen soll, sagt Bescheid.«

Mein Bruder nickt. »Kann sein, dass ich mich wirklich melde. Ich werde schon den ganzen Tag das Gefühl nicht los, dass ich irgendwas für die Party morgen vergessen habe. Ich komme nur nicht drauf, was es sein könnte.«

Martti feixt. »Sieht dir ja gar nicht ähnlich, Mister Pedantisch.«

Henrik schnaubt empört. »Ich bin nicht pedantisch, sondern organisiert.«

»Du hast die Mülleimer in der Küche mit Aufklebern beschriftet.«

»Was nötig war, weil ein gewisser Jemand schon mal Suppe aus Schalen statt Kartoffeln kochen wollte.«

»Das war einmal und lag nicht daran, dass ich zu blöd wäre, den richtigen Mülleimer zu benutzen. Ich habe die Schale nur versehentlich in den Topf geworfen.«

»Vielleicht sollte ich die Töpfe dann auch noch beschriften. Könntest du im Großmarkt mal schauen, ob es hitzebeständige Etiketten gibt?«

Amüsiert verfolgen Lukas und ich die Neckerei zwischen den beiden. Ganz eindeutig stehen Henrik und Martti sich sehr nahe, auch wenn Letzterer meinen Bruder gerade mit einem grimmigen Blick bedenkt und ihm die Zunge rausstreckt. Gott, ist der Mann süß.

»Du kommst doch morgen auch, oder?«, will Lukas von ihm wissen.

Martti schluckt und für einen winzigen Moment zuckt sein Blick zu mir, dann schüttelt er den Kopf. »Ach nein, diesmal lieber nicht.«

»Wieso lieber nicht?«, hakt Henrik nach und unwillkürlich beschleunigt sich mein Puls. Ich bin mir sicher, dass Martti unser kleines Abenteuer meinem Bruder gegenüber weder erwähnt hat, noch ihm etwas davon erzählen wird, dennoch bleibt eine kleine Restangst.

Davon abgesehen habe ich immer noch ein schlechtes Gewissen, weil ich Martti am nächsten Morgen wie ein Flittchen behandelt habe, wie er es genannt hat. Es war absolut nicht meine Absicht, ihm dieses Gefühl zu geben. Ich habe damals nicht gelogen. Die Nacht mit ihm war fantastisch, auch wenn sie ein Fehler war, weil ich mich nie auf den besten Freund meines Bruders hätte einlassen dürfen.

Martti zuckt mit den Schultern. »Ich hab doch übermorgen Frühschicht.«

»Du kannst hier schlafen«, meint Henrik sofort, was Martti schlucken lässt. »Oder, Liebling? Morgen reisen doch einige Gäste ab.«

Lukas überlegt. »Ja, aber auch drei Pärchen an, wenn ich den Plan richtig im Kopf habe. Ich bin mir aber nicht ganz sicher. Zur Not schläfst du bei uns. Das ging doch letztes Mal auch ganz gut.«

Wieder huscht Marttis Blick zu mir, was diesmal von Lukas nicht unbemerkt bleibt, seinem argwöhnischen Stirnrunzeln nach zu urteilen. »Ich überleg's mir«, meint Martti und zuckt betont gleichgültig mit den Schultern. »Kommst du hin?«

Überrascht, dass er mich wirklich fragt, blinzle ich. »Oh, ich... denke schon. Kommt auf Balus Tagesform an, aber wenn er wieder nur vor der PlayStation hängt, trinke ich bestimmt einen Cocktail.«

Martti nickt. »Dann kenne ich wenigstens jemanden. Bei den letzten Partys mussten Henrik und Lukas ganz schön rotieren und es waren nur Pärchen da, das war etwas... langweilig.«

Lukas grinst. »Jörn und Ole bringen doch Oles Cousin Yoshi mit.«

»Yoshi?«, fragen Martti und ich wie aus einem Mund.

»Ich glaube, das ist nur ein Spitzname. Ich weiß gerade aber auch nicht, wie der Kleine richtig heißt. Er ist zu Besuch.«

Martti stützt die Hände auf der Stuhllehne ab. »Wie alt ist der Kleine denn?«

»Anfang zwanzig, glaube ich.«

Bei Henriks Antwort presst Martti die Lippen aufeinander und nickt knapp. »Na gut. Ich geh dann mal heim.« Wieder streckt er mir die Hand hin. Sein Blick aus stechend grünen Augen wirkt beinahe herausfordernd, was absolut nicht hilft, meine Libido im Zaum zu halten. Er hat vermutlich nicht die leiseste Ahnung, wie sexy er ist. »Bis morgen.«

»Dann sehen wir uns also?«, frage ich hoffnungsvoll, während ich seine Hand schüttle.

Kurz huscht ein freches Grinsen über sein Gesicht. »Ich habe Balu die Spiele versprochen, daher ist das ziemlich wahrscheinlich. Vermutlich willst du einen Blick darauf werfen, bevor er damit loslegt?«

»Ach so, ja. Nicht, dass ich dir nicht vertraue, aber ich möchte schon wissen, womit er sich beschäftigt.«

»Na, dann sehen wir uns.« Er lächelt und wendet sich zu Lukas und Henrik um. »Bis morgen. Sagt Bescheid, wenn ich beim Großmarkt vorbeischauen soll. Käme mir ganz gelegen.«

Lukas nickt. »Komm morgen früh kurz rein, wenn du dein Auto holst. Dann gebe ich dir die Firmen-Karte.«

»Super. Danke.«

Henrik steht auf und drückt Martti an sich. »Bis morgen ist mir auch eingefallen, was ich vergessen habe. Komm gut heim und bestell Omi einen schönen Gruß von uns.«

»Mache ich. Gute Nacht.«

»Nacht!«, sage ich und blicke ihm nach, während er ums Haus biegt. Als er außer Sichtweite ist, wende ich mich zu den anderen beiden um. Lukas schaut schon wieder so argwöhnisch, doch Henrik ist offenbar immer noch ahnungslos. »Ihr scheint euch echt gut zu verstehen, Mister Pedantisch.«

Mein Bruder lacht. »Hast du dir etwa Sorgen gemacht, dass ich keine Freunde finde?«

»Nein«, antworte ich amüsiert, bevor ich ernst werde. »Eher, dass du keine Zeit für Freunde hast. Seit ich hier bin, ist das der erste Abend, an dem wir mal länger als eine halbe Stunde zusammensitzen. Im Sommer scheint ihr ziemlichen Stress zu haben.«

»Ja, das stimmt schon«, meint Lukas und zuckt mit den Schultern. »Jetzt wo die Pension endlich so gut läuft, kommen wir von Mitte Mai bis Ende August kaum zum Durchatmen. Im Winter können wir es dann etwas lockerer angehen lassen, aber dafür brauchen wir die Sommergäste nun mal.«

Henrik schiebt eine Hand auf Lukas' Oberschenkel und drückt ihn. »Ach komm, so schlimm ist es nun auch nicht.« Er blickt mich an. »Mein Surferboy ist nur ein bisschen frustriert, weil das Wetter so toll ist, dass er nicht aufs Wasser kann.«

»Ein bisschen ist gut«, grummelt Lukas und seufzt dann schwer, während sein Blick sehnsüchtig gen Horizont wandert.

»Es werden schon noch ein paar windige Tage kommen«, sage ich zuversichtlich, denn die Hitze ist dieses Jahr auch hier oben kaum noch zu ertragen. Trotzdem bin ich froh, am Meer zu sein, statt in meiner nicht klimatisierten Praxis zu sitzen.

Auch für Balu ist die Zeit hier, weit weg von der Heimat, Erholung pur und eine dringend benötigte Auszeit. Er ist nach einer Woche schon viel ausgeglichener als sonst. Vorhin hat er sogar gelacht. Wir beide haben diesen Urlaub mehr als nötig und ich hoffe sehr, dass ich ihn trotz der versprochenen Konsole doch noch zu dem einen oder anderen Ausflug überreden kann.

Kapitel 3

Martti

Ich kann noch immer nicht fassen, wie mutig ich gestern war, als ich mich mit Zach unterhalten und ihn sogar gefragt habe, ob er zu der Party heute kommt. Dabei weiß ich nicht mal, warum der Kerl mich nervös macht. Ja, er ist sexy, absolut heiß sogar, aber normalerweise bin ich nicht dermaßen schüchtern.

Trotzdem haben meine Hände gezittert und meine Knie waren zwischenzeitlich so weich, dass ich mich am Stuhl festhalten musste, aber ich glaube, ich habe mir meine Nervosität nicht anmerken lassen.

Henrik weiß noch immer nichts von unserem One-Night-Stand und wenn es nach mir geht, dann wird das auch so bleiben. Ich verstehe zwar nicht, warum Zach sich nicht outet, denn so richtig verstecken kann er seine Vorliebe für Männer nicht. Seine Blicke, die er mir hin und wieder zugeworfen hat, haben mir deutlich gezeigt, dass er mich bei nächster Gelegenheit noch mal mit in sein Bett nehmen würde. Nicht, dass ich vorhabe mitzugehen, egal, wie heiß er ist.

Außerdem ist da ja noch Balu. Der Junge weiß mit Sicherheit nichts über Zachs Sexualität. Zudem scheint er nicht der einfachste Heranwachsende zu sein, obwohl er mir gegenüber gestern recht nett war. Vermutlich, weil er die Spiele von mir wollte.

Mich interessiert allerdings brennend, wie es zustande gekommen ist, dass Balu jetzt mit Zach hier im Urlaub ist. Und dann gleich sechs Wochen. Erst dachte ich an diese Kind-Mentor-Tandems, die es früher mal gab, aber ich denke nicht, dass das Kind dann so lange von zu Hause weg sein dürfte. Zumal Henrik meinte, dass Zach ihn bei sich aufgenommen hat. Das klingt eher nach etwas Dauerhaftem.

»Ist Martti schon weg?«, höre ich Balus Stimme aus Richtung Küche, während ich im angrenzenden Umkleideraum die verschwitzten Kochklamotten ausziehe.

»Hallo, Balu. Nein, er ist noch im Umkleideraum. Warte, du kannst da nicht rein.«

Ehe Henrik ausgesprochen hat, wird die Tür aufgerissen und der Teenie steht vor mir. »Hast du die PlayStation mit?«

»Schon mal was von Privatsphäre gehört?«

»Oh, sorry.« Er kommt rein und macht die Tür hinter sich zu. »Also?«

Kopfschüttelnd ziehe ich meine Hose hoch und schnappe mir mein Shirt.

»Nicht? Aber du hast es versprochen!«

»Ganz ruhig. Ich hab sie dabei. Die Spiele auch. Aber ernsthaft, Balu? Ich ziehe mich gerade um! Würdest du bitte draußen warten? Im Flur oder an der Rezeption?«

Der Kleine hat den Anstand, rot anzulaufen und den Kopf zu senken, bevor er herumwirbelt und aus dem Raum rennt. Natürlich, ohne die Tür hinter sich zu schließen.

Henrik guckt um die Ecke. »Alles klar?«

»Ja, alles gut«, antworte ich und ziehe meinen Rucksack aus dem Spind. »Ich habe nur nicht so reagiert, wie er es sich wohl vorgestellt hat.«

Henrik lehnt sich gegen den Türrahmen und seufzt. »Nicht gerade einfach, der Junge. Keine Ahnung, was Zach sich dabei gedacht hat, ihn bei sich aufzunehmen.«

Irritiert sehe ich meinen besten Freund an. »Ihm liegt offenbar viel an Balu und sicher ist der Kleine nicht ohne Grund nicht gerade einfach.«

»Ja, das weiß ich. So war das auch nicht gemeint.«

»Wie war es denn dann gemeint?«, frage ich betont beiläufig, während ich meinen Spind schließe, und sehe mit dem Rucksack über der Schulter zu Henrik rüber, der schluckt.

»Zach hat mit seiner Praxis und den Notdiensten viel zu tun. Ich verstehe nicht, warum er sich noch mehr Verantwortung aufhalst.«

Ich blinzle perplex, denn ich kenne Henrik lange genug, um zu wissen, dass er das nicht so meint, wie es gerade klingt. Trotzdem kann ich nicht verhindern, dass sich ein brennender Knoten in meinem Bauch bildet.

»Ganz eindeutig braucht der Kleine ihn. Und du klingst gerade wie ein Arsch.« Mit diesen Worten gehe ich an ihm vorbei.

Als ich zur Rezeption komme, stehen Zach und Balu dort und unterhalten sich leise. Zach blickt auf, als er mich bemerkt, und ein Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus. Himmel, ist dieses Lächeln atemberaubend. Und sein Aftershave riecht verteufelt gut.

»Hallo, Martti. Wir erwarten dich schon sehnsüchtig.«