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Am Beginn von Entwicklungs- und Veränderungsprozessen macht sich oftmals ein "Rauschen" bemerkbar – manchmal als winziges, kaum wahrnehmbares Signal oder als Ahnung, manchmal bereits als ausgewachsenes Symptom. Der Erfolg einer Entwicklung hängt maßgeblich davon ab, ob es gelingt, dieses Rauschen zu deuten und die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Martina Gross und Vera Popper zeigen auf, wie professionelle Helfer und Unterstützer Räume für das Erforschen dieses "Rauschens" aufbauen können. Sie bereisen dazu verschiedene Welten: In der Ich-Welt geht es vor allem um das Verstehen, in der Es-Welt um innere Bilder, in der Körper-Welt um unwillkürliche Prozesse des Organismus und in der universellen Welt um die Verbindungen in und mit der äußeren Welt. In jeder Welt stehen drei Räume zur Verfügung: Im WissensRaum werden verschiedene Aspekte des hypnosystemischen Konzepts erläutert. Im ErlebnisRaum werden diese anhand von unterschiedlichen Methoden erfahrbar. Im BegegnungsRaum wird aufgezeigt, wie hypnosystemische Methoden in professionelle Kontexte von Psychotherapie, Coaching und Beratung übersetzt werden können. Die vorgestellten Methoden werden in Form anschaulicher Skripte erklärt, ergänzendes Onlinematerial macht sie audiovisuell erfahrbar.
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Seitenzahl: 338
Veröffentlichungsjahr: 2020
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Für Gunther und für Mechthild
Martina Gross/Vera Popper
Hypnosystemisches Erlebenin Therapie, Coaching und Beratung
2020
Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:
Prof. Dr. Rolf Arnold (Kaiserslautern)
Prof. Dr. Dirk Baecker (Witten/Herdecke)
Prof. Dr. Ulrich Clement (Heidelberg)
Prof. Dr. Jörg Fengler (Köln)
Dr. Barbara Heitger (Wien)
Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp (Merseburg)
Prof. Dr. Bruno Hildenbrand (Jena)
Prof. Dr. Karl L. Holtz (Heidelberg)
Prof. Dr. Heiko Kleve (Witten/Herdecke)
Dr. Roswita Königswieser (Wien)
Prof. Dr. Jürgen Kriz (Osnabrück)
Prof. Dr. Friedebert Kröger (Heidelberg)
Tom Levold (Köln)
Dr. Kurt Ludewig (Münster)
Dr. Burkhard Peter (München)
Prof. Dr. Bernhard Pörksen (Tübingen)
Prof. Dr. Kersten Reich (Köln)
Dr. Rüdiger Retzlaff (Heidelberg)
Prof. Dr. Wolf Ritscher (Esslingen)
Dr. Wilhelm Rotthaus (Bergheim bei Köln)
Prof. Dr. Arist von Schlippe (Witten/Herdecke)
Dr. Gunther Schmidt (Heidelberg)
Prof. Dr. Siegfried J. Schmidt (Münster)
Jakob R. Schneider (München)
Prof. Dr. Jochen Schweitzer (Heidelberg)
Prof. Dr. Fritz B. Simon (Berlin)
Dr. Therese Steiner (Embrach)
Prof. Dr. Dr. Helm Stierlin (Heidelberg)
Karsten Trebesch (Berlin)
Bernhard Trenkle (Rottweil)
Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler (Köln)
Prof. Dr. Reinhard Voß (Koblenz)
Dr. Gunthard Weber (Wiesloch)
Prof. Dr. Rudolf Wimmer (Wien)
Prof. Dr. Michael Wirsching (Freiburg)
Prof. Dr. Jan V. Wirth (Meerbusch)
Themenreihe »Reden reicht nicht!?«
hrsg. von Michael Bohne, Gunther Schmidt und Bernhard Trenkle
Reihengestaltung: Uwe Göbel
Umschlaggestaltung: Heinrich Eiermann
Umschlagfoto: © pixabay
Satz: Verlagsservice Hegele, Heiligkreuzsteinach
Illustrationen: SKIP TO L.A.
Printed in Germany
Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck
Erste Auflage, 2020
ISBN 978-3-8497-0350-9 (Printausgabe)
ISBN 978-3-8497-8242-9 (ePUB)
© 2020 Carl-Auer-Systeme Verlag
und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg
Alle Rechte vorbehalten
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Zu diesem Buch stehen ergänzende Videos sowie Audiodateien zum Download bereit auf der Website
www.hypnosystemischer-erlebnisraum.at
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Carl-Auer Verlag GmbH
Vangerowstraße 14 • 69115 Heidelberg
Tel. +49 6221 6438-0 • Fax +49 6221 6438-22
Vorwort
Wofür schreiben wir dieses Buch?
Zum Aufbau dieses Buches
1Die Reise beginnt!
ErlebnisRaum
Die Geschichte von »Springende Maus«
WissensRaum
Informationen zu Stimmigkeit-Unstimmigkeit laufen blitzschnell, permanent unwillkürlich und auch oft unbewusst in uns ab
Über somatische Marker greifen wir auf unseren gesamten Erfahrungsschatz zu
Auf der Ebene der somatischen Marker verfügen wir über zwei voneinander unabhängige Bewertungssysteme
Der erste Hinweis auf Veränderungsbedarf zeigt sich oft in somatischen Markern
Es interessiert uns, wir beobachten es – die Aufmerksamkeit wird darauf fokussiert
Das Erforschen des Rauschens braucht BegegnungsRäume mit Haltung
Wir wissen zu schätzen, was auftaucht (Eigenpacing)
BegegnungsRaum
Die Taschentuch-Trance
Auftragsklärung für die Begleitung
Die Haltung-Halten-Trance
2Ich-Welt
WissensRaum
Wir bewegen uns in inneren und äußeren Welten
Wir sind autopoietische Wesen
Die Bedeutung von Phänomenen entsteht erst durch den Kontext
Wir haben ein dreiteiliges Gehirn, das auf Hochrechnungen spezialisiert ist
Sprache als Verbindung innerhalb und zwischen inneren und äußeren Welten
Erleben kann als Trancephänomen verstanden werden
Wir haben mehrere Vergangenheiten und Zukünfte
Systemisches Arbeiten mit der Inneren Welt
Wir beobachten uns – bewusste Aufmerksamkeitsfokussierung
ErlebnisRaum
Reflexionsfragen zu den Konzepten
Beobachtungsposition
BegegnungsRaum
Pacing: Aus welcher Welt berichtet jemand?
Auftragsklärung für Anliegen und Ziel
Metaphorische Interventionen als Brücke
Ein paar Gedanken zur Selbstähnlichkeit von Prozessen
ZwischenWelten
3Es-Welt
WissensRaum
Unsere inneren Bilder erzeugen unsere Wirklichkeiten
In unserem Gehirn regiert das Prinzip der Wortwörtlichkeit
Wir nutzen Trancephänomene willkürlich
Sicherheit durch eine Balance von Zugehörigkeit und Autonomie – bezogene Individuation
Wir brauchen Sowohl-als-auch-Logiken im Umgang mit unseren Ambivalenzen
Die Magie des Seitenmodells
ErlebnisRaum
Die Ambivalenzen-Trance
Forschungsexperiment zu deinen eigenen Seiten
BegegnungsRaum
Das Seitenmodell
ZwischenWelten
4Körper-Welt
WissensRaum
Der Körper ist immer dabei
Im Körper steckt das Wissen unserer bisherigen Evolution
Der Körper hat immer recht
Der Körper stört, um uns zu helfen
Die Sprache des Körpers ist wortwörtlich
Alles im Körper ist in sich wechselseitig beeinflussenden Prozessen miteinander verbunden
Über den Körper verändern wir Muster
Der Körper reagiert auf Wertschätzung und Liebe
ErlebnisRaum
Standpunkt Beobachtungsposition
Motorische Emergenz: Was der Körper bereits weiß, die Sprecherin noch nicht
Balancierte Hände
Im Gespräch mit deinem Körper
BegegnungsRaum
Hilfreiche Sätze zur Produktinformation
Gute Gründe für die Übungen, die du schon aus dem ErlebnisRaum kennst
Problem-Lösungs-Gymnastik
Somatisches In-Kontakt-Gehen
ZwischenWelten
5Universelle Welt
WissensRaum
Die Aufgabe der Physik ist beendet
In der Welt ist alles mit allem verbunden – und das auf freundliche Art und Weise
Auch wir sind mit der Welt verbunden
Unser kluges Unbewusstes und die Natur sind kraftvolle Ressourcen
Wir brauchen eine neue Sprache in Therapie und Beratung
ErlebnisRaum
Verbunden sein
Die All-Eins-Sein-Trance
BegegnungsRaum
ZwischenZeitlich Frosch
Fragen für deine Selbsterforschung
Vier Schilde – Der Geist der Natur antwortet auf die Fragen des Herzens
ZwischenWelten
6Integration
WissensRaum
Veränderungen haben ihr ganz eigenes Tempo und ihre eigene Logik
Wenn sich in uns etwas verbindet …
Entwicklung ist eine Heldinnenreise!
Wir brauchen Räume, in denen das Neue erlebbar werden kann
Find others with hearts like yours!
Und dann hören wir irgendwann mit Sicherheit wieder ein Rauschen …
ErlebnisRaum
Die Einladung
Die WWW-Trance
Reflexionsfragen zur Erforschung von gelungenen Übergängen
BegegnungsRaum
Gute Gründe für die WWW-Trance, die du schon aus dem ErlebnisRaum kennst
Die Weg-Trance
Den Weg gehen
ZwischenWelten
Nachwort
Anhang
Verzeichnis der didaktischen Skripte
Verzeichnis der Trancen und Einladungen
Abbildungsverzeichnis
Literatur
Über die Autorinnen
Für dieses Buch ein Vorwort zu schreiben, erlebe ich berührend und auch ein bisschen demütig. Denn hier liegt ein Buch vor, wie ich es sehr gerne selbst geschrieben, aber in dieser anregenden, lebendigen und erlebnisaktivierend schönen Art nicht fertigbekommen hätte.
Die Autorinnen beziehen sich als wichtige Basis ihrer Arbeit auf den hypnosystemischen Ansatz, was mich als dessen Begründer ehrt und freut. Eine zentrale Annahme der Hypnosystemik ist es, die enorme Bedeutung unwillkürlicher Prozesse zu berücksichtigen und zu nutzen. Es genügt eben überhaupt nicht, z. B. in Therapie- oder Beratungsprozessen kognitiv orientierte Interventionen anzubieten.
Noch gibt es viele TherapeutInnen und BeraterInnen, auch SystemikerInnen, für die unklar ist, wofür man sich mit hypnotherapeutischen Konzepten beschäftigen sollte – offenbar auch deshalb, weil es so viele ungeprüfte Vorurteile darüber gibt, was unter Hypnotherapie zu verstehen wäre. Für mich machten es die Ergebnisse der modernen Hirnforschung, der Gedächtnisforschung und der Priming-Forschung zur fast zwingenden Notwendigkeit, die Konzepte der Erickson’schen Hypnotherapie mit den systemischen zu integrieren, die wir in der Heidelberger Gruppe um Helm Stierlin ins Deutschsprachige geholt hatten.
Martina Gross und Vera Popper ist es mit diesem Buch in beeindruckend kreativer Weise gelungen, die hypnosystemischen Modelle so plastisch und anrührend zu vermitteln, dass man dieses Buch nicht nur liest, sondern quasi lebt und erlebt. Ich unterscheide in meiner Arbeit und im sonstigen Leben zwischen »deklamiertem Leben« (das, was man so alles sagt) und »gelebtem Leben« (das, was man tatsächlich tut), und das ist eben das Entscheidende dafür, wie wirksame Wirklichkeit erzeugt wird. Das Buch hier stellt eine wunderbare, wohltuende und erhellende Brücke dafür dar, wie man aus deklamiertem Leben (hier das beschriebene Modell) erfüllendes, bereicherndes gelebtes Leben machen kann – Inhalt, Form und dadurch angeregtes Erleben stimmen optimal überein.
Wie die Autorinnen die strukturierenden Unterscheidungen verschiedener Erlebnis-Räume nutzen und zusätzlich viel Hilfsmaterial online zur Verfügung stellen, macht das Buch zu einem echten Anwendungsschatz. Sehr schön finde ich, mit welcher hypnosystemischen Sensibilität sie die eigenen Beratungskonzepte kritisch auf ihre impliziten Auswirkungen hin prüfen, z. B. mit der Taschentuch-Thematik (S. 30 ff.), und wie sie sich damit achtungsvoll würdigend in die mögliche Perspektive der EmpfängerInnen von Botschaften hineindenken – hypnosystemisches Pacing par excellence. Hervorragend finde ich die Offenheit der Autorinnen, das hypnosystemische Konzept mit Lernbereitschaft und ansteckender Neugier anzureichern mit anderen Konzepten, die ihnen nützlich und kompatibel erscheinen. Genau so war Hypnosystemik immer gemeint: als Meta-Modell (keine »Wahrheit«), das alles, was für KlientInnen nützlich sein kann, integrieren und sich so ständig weiterentwickeln kann. Dies verbinden beide mit einer fairen Art zu zitieren, woher sie welche Anregungen haben – was heutzutage leider auch nicht mehr selbstverständlich ist.
Die Metapher, welche die Autorinnen für die Vermittlung ihrer Ideen nutzen (die springende Maus auf ihrem Entwicklungsweg, den sie mit Hilfe des Waschbären und des Frosches geht), ist ideal für ihre Ziele. Es wird deutlich, dass sich, bevor die bewusste kognitive Planung eines Vorhabens auftaucht, meist ein Erahnen (in der Metapher »das Rauschen«) ankündigt, und wie wichtig und wertvoll das ist, auch dann, wenn man es noch nicht kognitiv begründen kann. Und sie ermutigen dazu, diesem inneren Rauschen Achtung zu schenken und ihm nachzugehen – mit Liebe für die Angst, Ambivalenz usw., die damit verbunden sein können, und mit der Freude, angebotene Hilfe annehmen zu dürfen.
Martina Gross und Vera Popper verstehen »hypnosystemisch« nicht nur als Technik, Methode oder therapeutische Haltung, sondern als ein umfassendes Modell des Lebens.
Ich möchte den Autorinnen sehr danken dafür, dass sie mir richtig Lust darauf gemacht haben, Maus, Waschbär und Frosch gleichzeitig in mir leben zu lassen, dabei dankbar zu sein für das Rauschen und erfreut darüber, dass es immer wieder heilige Berge gibt, die wir erreichen können.
Dieses Buch hat große Resonanz verdient!
Heidelberg, im August 2020Dr. med. Dipl. rer. pol. Gunther SchmidtLeiter des Milton-Erikson-Instituts HeidelbergÄrztlicher Direktor der sysTelios-Klinikfür psychosomatische Gesundheitsentwicklung Siedelsbrunn
Wir beide sind mit großer Freude in der Aus- und Weiterbildung von Psychotherapeutinnen1, Psychologinnen und Coaches tätig und werden immer wieder gefragt, in welchem Buch »man denn das alles nachlesen kann«.
Nun, es gibt sie, solche Bücher, besonders jene von Gunther Schmidt, dem Begründer des Konzepts. Gleichzeitig hatten wir immer mehr den Eindruck, dass ein Buch im Kanon des Geschriebenen fehlt: nämlich eines, welches Konzepte, Haltung und Methoden zum einen darstellt und zum anderen erlebbar macht. Und das den Versuch unternimmt, Form und Inhalt zu verbinden.
Gemäß dem Gleichnis der »Zwerginnen auf den Schultern von Riesen und Riesinnen« haben wir für dieses Buch viel von dem zusammengestellt, was für uns im Erleben des hypnosystemischen Konzeptes hilfreich und erkenntnisreich war und ist. Dafür bedanken wir uns bei all unseren Lehrerinnen und Lehrern für ihre Inputs und dafür, dass wir sie hier weiteren Neugierigen zur Verfügung stellen dürfen.
Vor dir, liebe Leserin, lieber Leser, liegt nunmehr das Ergebnis unseres Ansinnens.
Was erwartet dich in diesem Buch? Eine Reise durch hypnosystemische Konzepte, angereichert um und erlebbar durch Methoden, die du selbst ausprobieren kannst – sowohl direkt im Buch als auch online in Form von Audio-Files und Videos. Und Methoden, die wir dir in Form einer Art didaktischer Skripte zur Verfügung stellen möchten, damit du sie für die Begleitung von Menschen in Entwicklungs- und Veränderungsprozessen auf deine Art, in deinen Kontexten nutzen kannst.
Wir freuen uns auf deine Rückmeldung und sind gespannt, wie und wofür du dieses Buch nutzen wirst. Wie du siehst, erlauben wir uns, dich zu duzen, da uns das hier in diesem Kontext eines Erlebnisbuches stimmig erschien.
Wien, im März 2020Martina Gross und Vera Popper
Wir sind räumliche Wesen, im dreidimensionalen Raum findet unser Erleben statt. Damit es zwischen die Seiten eines zweidimensionalen Buches passt, mit seiner linearen Logik, haben wir die Reise, auf die wir dich gerne mitnehmen möchten, entzerrt. Wir ent-zerren es, um auf etwas Gleichzeitiges schauen zu können.
Dabei sind wir uns der damit verbundenen Komplexitätsreduktion bewusst. Diese Idee würden wir dir gerne auch für die Nutzung der im Buch beschriebenen hypnosystemischen Methoden anbieten: Diese können »Halt« geben, damit Handeln möglich wird. Gleichzeitig bliebe das Arbeiten mit ihnen ohne Konzept und Haltung »halt-los«.
Das Buch enthält verschiedene Räume, die dich einladen, deine Aufmerksamkeit auf unterschiedliche Aspekte zu richten (siehe dazu Abb. 1). Den Begriff der Räume möchten wir von Mechthild Reinhard2 übernehmen, die uns die essenzielle Notwendigkeit der Gestaltung von Räumen nähergebracht hat, in denen ein gewünschtes Erleben überhaupt erst stattfinden kann.
In diesen Räumen werden wir linear über Erlebensprozesse schreiben, die nicht linear sind, sondern in Wechselwirkungen miteinander verbunden. Daher sind diese Räume auch nicht-linear begehbar. Du kannst für dich entscheiden, ob du zuerst Informationen zu einem Inhalt bekommen möchtest, etwas selbst erleben willst, oder ob du Informationen über das Weitergeben an andere möchtest.
Der WissensRaum: Hier bekommst du, wie Gunther Schmidt3 es nennt, »Produktinformationen« zu Konzepten, Haltung und Methoden.
Der ErlebnisRaum: Dieser Raum enthält Einladungen, Methoden selbst zu erleben. Du findest hier neben Geschriebenem (wie z. B. Reflexionsfragen) auch Gesprochenes (wie z. B. Trancen) und Bebildertes.
Der BegegnungsRaum: Wenn du Menschen professionell auf ihren Entwicklungsreisen begleitest, dann findest du in diesem Raum Ideen, wie du sie dazu einladen kannst. Diese wiederum bewusst komplexitätsreduzierten Anleitungen kannst du nutzen, um Schritt für Schritt für dich zu erfahren, wie du deinen Klientinnen, Coachees und Kundinnen eine Methode anbieten kannst. Diese »didaktischen Skripte« basieren auf unseren jahrelangen Erfahrungen als Begleiterinnen und als Seminarleiterinnen, die sich intensiv mit hypnosystemischer Weiterbildung beschäftigt haben. Verstehe sie dennoch bitte als Anregung, um deine eigenen Versionen zu finden.
ErlebnisRaum und BegegnungsRaum führen dich auch aus den Buchseiten heraus auf die Website zum Buch: Dort möchten wir deine weiteren Sinne ansprechen und laden dich ein, dir Trancen anzuhören, unsere Anregungen zu Methoden anzuschauen, und bieten dir weitere nützliche Ressourcen an, die über das Buch hinausgehen.
Als roten Faden im Buch möchten wir dir die Metapher einer Reise anbieten. Einer Reise, die durch die verschiedenen Welten führt, in denen wir hypnosystemisch unterwegs sind, um uns selbst oder andere in Entwicklungsprozessen zu begleiten. Auch dafür werden wir wiederum miteinander Verbundenes entzerren, um es beschreibbar zu machen. Im ersten Kapitel möchten wir dir deine Reisegefährtinnen vorstellen. Ergänzend möchten wir noch dazulegen, dass wir uns in diesem Buch auf die Begleitung im Einzelsetting fokussieren.
Diese Welten4 möchten wir nennen:
Ich-Welt: Das bewusste Denken, Kognition, Großhirnprozesse oder das, was wir zumeist unter unserer Alltagsrealität verstehen: unsere bewusst-willkürliche Fokussierung von Aufmerksamkeit.
Es-Welt: Die Intuition, Gehirn der Bilder, unser kluges Unbewusstes, also unsere unbewusst-unwillkürliche Fokussierung von Aufmerksamkeit.
Körper-Welt: Die unwillkürlichen und teilweise auch unbewussten Prozesse des Organismus, unser reaktives körperliches System, das die ganze Zeit Informationen verarbeitet und uns Feedback zu unserem Erleben gibt.
Universelle Welt: Eine für uns besonders schöne Ergänzung der inneren Welten – diese meint eine Ebene der Welt, in der wir alle miteinander und mit allem verbunden sind. Diese Welt existiert somit sowohl in uns als auch außerhalb von uns, jedoch nicht getrennt von uns. Diese inneren Welten stehen in Wechselwirkung mit der äußeren Welt, unseren verschiedenen Kontexten oder Bühnen im Leben. Hier ist unser »Ich« mit einem »Du« verbunden, sodass ein »Wir« entstehen kann.
Abb. 1: Der rote Faden durch das Buch
Die Reise beginnt mit einem »Rauschen«, mit einem Be-Merken, und endet mit dem Transfer, der Integration oder Kooperation (aus denen wiederum neues »Rauschen« entstehen kann).
Wir hoffen, dass dieser Einstieg dir eine erste Orientierung ermöglicht hat, und laden dich nun sehr herzlich ein, mit uns auf die Reise zu gehen …
Abb. 2: Die Reise durch das Buch
Am Anfang eines Entwicklungs- oder Veränderungsprozesses macht sich zumeist ein unwillkürliches, kleines, kaum spürbares Mini-Signal bemerkbar. Zu Beginn ist es oft nur schwach spürbar, vielleicht in einem Bauchgrummeln, einem Unbehagen oder einer noch nicht erklärbaren Unruhe. Dieses Signal kann sich zum Gedanken, dass etwas anders werden soll, zum Gedanken, dass es so nicht mehr weitergehen kann, oder auch zu einem sogenannten psychosomatischen Phänomen entwickeln.
An dieser Stelle, am Beginn der Reise durch das Buch, möchten wir nicht mit dem WissensRaum beginnen, wie in allen anderen Welten, sondern mit dem ErlebnisRaum. Das macht uns insofern Sinn, als Veränderung und Entwicklung zumeist über ein anderes Erleben beginnt und wir uns dann erst die Frage stellen, was nun zu tun sei.
Nach der Einladung, einmal selbst zu erleben, wie so eine Reise beginnen könnte, möchten wir dich im WissensRaum mit dem Konzept der somatischen Marker vertraut machen, über menschliche Grundbedürfnisse nach Sicherheit, Zugehörigkeit und Autonomie nachdenken sowie darüber, wie gelingende Kooperationsbeziehungen aufgebaut werden können, in denen über Veränderung und Entwicklung geforscht werden kann. Abschließend wollen wir ein paar Gedanken zum Thema Auftragsklärung mit dir teilen.
Im BegegnungsRaum findest du zu all diesen Themen methodische Anregungen sowie Vorschläge, wie du dich als Begleiterin von Veränderungs- und Entwicklungsprozessen mit dem »Reisebeginn« von Menschen auseinandersetzen kannst. Wobei hier natürlich noch angemerkt werden muss, dass die meisten Menschen sich bereits auf die Reise gemacht haben, bevor sie ins Coaching, zur Therapie oder Beratung kommen. Wir wollen diese Metapher hier dennoch verwenden, da die Reise sich durch hypnosystemische Konzepte unserer Erfahrung doch sehr von anderen unterscheidet. Aber prüfe das selbst …
Wir möchten dir zu diesem Anfang, wo das unwillkürliche Signal ins bewusste Denken kommt und sich uns dann die Frage stellt, ob und wie wir diesem Hinweis nachgehen wollen, eine Geschichte erzählen. Es ist eine »indianische« Geschichte, eine Erzählung der Native Americans, mit dem Titel »Springende Maus«. Sie handelt von einer kleinen Maus, die eines Tages ein ihr unerklärliches Rauschen hört. Wir möchten diese Geschichte gerne mit dir teilen, da wir sie als sehr stimmige Metapher für den Beginn von Veränderungs- und Entwicklungsprozessen kennengelernt haben. Und weil wir beide als Kinder selbst Indianergeschichten geliebt haben. Wir haben uns erlaubt, die Version, die wir im Buch von Steve Foster und Meredith Little (Foster u. Little 2012, S. 15ff) gefunden haben, ein klein wenig zu verändern (wobei wir davon ausgehen, dass die Fabel bisher schon von jeder Erzählerin ohnehin etwas anders weitererzählt wurde als beim ersten Mal, und auch im Internet verschiedene Varianten zu finden sind).
Es war einmal eine Maus.
Sie war eine viel beschäftigte Maus, die unentwegt umhersuchte, das Gras mit ihren Barthaaren abtastete und immer in Bewegung war. Sie war viel beschäftigt wie alle Mäuse, beschäftigt mit Mäusedingen. Doch ab und an hörte sie ein seltsames Geräusch. Dann hob sie ihren Kopf, kniff die Augen fest zusammen, sträubte ihre Barthaare und wunderte sich. Eines Tages eilte sie zu einem benachbarten Mäuserich und fragte ihn: »Hörst du ein Rauschen in deinem Ohr, mein Bruder?«
Du kannst die Geschichte auf der Website anhören oder selbst lesen: www.hypnosystemischererlebnisraum.at
»Nein«, antwortete der Mäuserich, ohne seine viel beschäftigte Nase vom Boden zu heben. »Ich höre nichts. Ich bin beschäftigt. Sprich später mit mir.«
Sie stellte einer anderen Maus die gleiche Frage, doch diese sah sie ganz seltsam an. »Bist du nicht ganz richtig im Kopf? Was für ein Geräusch?«, fragte sie und schlüpfte in ein Loch im Stamm eines umgestürzten Baumes.
Die Maus zuckte mit den Barthaaren und beschäftigte sich wieder mit Mäusedingen, fest entschlossen, die ganze Sache zu vergessen. Aber da war es schon wieder … dieses Rauschen. Es war undeutlich, sehr undeutlich. Aber es war da! Beunruhigt ging sie schlafen, geplagt von Träumen. Sie war doch nicht verrückt, sie hörte es wirklich. So ging das eine ganze Zeit …
Eines Tages reichte es der Maus, und sie entschloss sich, dieses Geräusch ein wenig zu erforschen. Sie verließ die anderen viel beschäftigten Mäuse, lief ein kleines Stück und horchte wieder. Da war es. Sie lief immer weiter und war eifrig am Horchen, als plötzlich jemand sie grüßte.
»Hallo«, sagte die Stimme. Die Maus sprang vor Schreck fast aus der Haut, sie krümmte Rücken und Schwanz und wollte davonlaufen.
»Hallo«, sagte die Stimme wieder. »Ich bin es, Waschbär.« Und tatsächlich, er war es. »Was machst du denn hier ganz alleine?«, fragte der Waschbär. Die Maus errötete und senkte ihre Nase fast bis zum Boden. »Ich … ich höre ein Rauschen in meinen Ohren und bin dabei es zu erforschen«, antwortete sie verschüchtert.
»Ein Rauschen in deinen Ohren?«, erwiderte der Waschbär, während er sich neben sie setzte. »Was du hörst, ist der Fluss.«
»Der Fluss?«, fragte die Maus neugierig. »Was ist ein Fluss?«
»Komm mit, und ich zeige dir den Fluss«, sagte der Waschbär.
Die Maus hatte furchtbare Angst, aber sie war wild entschlossen, sich ein für alle Mal über das Rauschen Klarheit zu verschaffen. »Ich kann zu meiner Arbeit zurückkehren«, dachte sie, »nachdem diese Sache erledigt ist. Und wer weiß, vielleicht kann dieses Ding mir sogar bei meinen geschäftigen Mäusesachen behilflich sein. Und meine Schwestern und Brüder sagten alle, es wäre nichts! Ha, ich werde es ihnen zeigen! Ich werde den Waschbären bitten, mit mir zurückzukehren, dann habe ich einen Zeugen.«
»Also gut, Waschbär«, sagte die Maus. »Führe mich bitte zum Fluss, ich werde mit dir gehen.«
Die Maus ging mit, ihr Herz hämmerte in der Brust. Waschbär führte sie auf fremde Pfade, und Maus roch den Duft von Dingen, die an diesem Weg vorbeigegangen waren. Viele Male fürchtete sie sich so sehr, dass sie beinahe umgekehrt wäre. Dann, endlich, kamen sie zum Fluss.
Er war ungeheuer groß und atemberaubend, tief und klar an manchen Stellen und trübe an anderen. Die Maus war außerstande, über den Fluss zu sehen, weil er so groß war. Der Fluss brüllte, sang, schrie und donnerte auf seinem Weg. Die Maus sah große und kleine Stücke der Welt, die auf seiner Oberfläche fortgetragen wurden.
»Er… er ist mächtig …«, sagte die Maus, nach Worten suchend.
»Er ist eine große Sache«, antwortete der Waschbär, »und hier, lass mich dich einem Freund vorstellen.«
An einer ruhigeren und seichteren Stelle war ein Seerosenpolster, leuchtend und grün. Darauf saß ein Frosch, fast so grün wie das Polster, auf dem er saß. Der weiße Bauch des Frosches stand hervor.
»Hallo«, sagte der Frosch. »Willkommen am Fluss.«
»Ich muss dich jetzt verlassen«, unterbrach der Waschbär, »hab keine Angst, der Frosch wird sich nun um dich kümmern. Und der Waschbär ging seines Weges, am Flussufer entlang, wo er weiter Nahrung suchte, die er waschen und essen konnte.
Die Maus näherte sich vorsichtig dem Fluss und blickte hinein. Sie sah eine verängstigte Maus dort widergespiegelt. »Wer bist du?«, fragte sie das Spiegelbild. »Hast du keine Angst so weit draußen im großen Fluss?«
»Nein«, antwortete der Frosch, »ich habe keine Angst. Mir wurde bei meiner Geburt die Gabe gegeben, sowohl auf dem Fluss als auch in ihm zu leben. Wenn der Wintermann kommt und diese Medizin einfriert, kann ich nicht gesehen werden. Aber während der Zeit, in der der Donnervogel fliegt, bin ich hier. Um mich zu besuchen, muss man kommen, wenn die Welt grün ist. Ich bin der Hüter des Wassers.«
»Erstaunlich«, sagte endlich die Maus, wiederum nach Worten suchend.
»Möchtest du etwas Medizinmacht haben?«, fragte der Frosch.
»Medizinmacht? Ich?«, fragte die Maus. »Ja! Ja, ja! Wenn das möglich ist.«
»Dann duck dich so tief du kannst und spring so hoch wie du dazu imstande bist! Du wirst deine Medizin bekommen!«, sagte der Frosch.
Die Maus tat, was ihr der Frosch geheißen hatte. Sie duckte sich, so tief sie konnte, und sprang. Als sie es tat, sahen ihre Augen die Heiligen Berge. Maus traute ihren Augen kaum. Aber da waren sie. Dann fiel sie zur Erde zurück und landete im Fluss. Es gelang ihr, zum Ufer zu schwimmen, nass, und zu Tode erschrocken. »Du hast mich getäuscht!«, schrie sie den Frosch an.
»Warte«, sagte der Frosch. »Du bist nicht verletzt. Lass dich durch deine Angst und Wut nicht blenden. Was hast du gesehen?«
»Ich«, stotterte die Maus, »ich sah die Heiligen Berge!«
»Und du hast einen neuen Namen!«, sagte der Frosch. »Er ist Springende Maus«.
»Ich danke dir. Ich danke dir«, sagte Springende Maus und dankte ihm abermals. »Ich möchte zu meinem Volk zurückkehren und über das, was ich gesehen habe, berichten …«
Die Figuren aus der Geschichte möchten wir dir auf der Reise als Gefährtin und Gefährten zur Seite stellen.
Wir alle sind im Laufe unseres Lebens immer wieder einmal Maus oder Frosch, und manche von uns sind auch Waschbär.
Maus folgt dem Rauschen, das sie in den ErlebnisRäumen der verschiedenen Welten erforschen kann. Sie möchte es verstehen (Ich-Welt), es bebildern (Es-Welt), erleben und verkörpern (Körper-Welt) und schließlich alles miteinander verbinden oder, besser gesagt, es verbindet sich alles miteinander (Universelle Welt). Am Ende dieser Reise ist sie, und etwas in ihr, heimgekommen (Integration).
Waschbär erforscht in den BegegnungsRäumen unterschiedliche Möglichkeiten, Mäuse auf ihren Forschungsreisen zu begleiten. Um dorthin zu gelangen, führt ihn sein Weg davor ebenfalls durch die ErlebnisRäume, um das eigene Rauschen noch besser kennenzulernen.
Und wenn wir still lauschen, in uns hinein und um uns herum, dann sind wir auch Frosch. Frosch ist verbunden mit allem, sicher geborgen in der Unsicherheit – manchmal nur als Ahnung und auch nur für Sekunden. Er ist das Symbol für das große Ganze und vertraut darauf, dass es genauso sein soll und sein darf, wie es gerade so ist. Ganz prosaisch könnten wir schreiben, dass Frosch die Liebe verkörpert (die auch nach Meinung der Quantenphysik das Universum zusammenhält).
Lass dich überraschen, wie die drei ihren Weg durch die Welten des Buches beschreiten, wie sie dich begleiten und welche Assoziationen sie in dir anregen. Und weil uns die drei beim Schreiben zu Freunden und Freundin geworden sind, werden wir Maus, Waschbär und Frosch wie Namen, ohne Artikel, verwenden.
Einladung zum Erforschen des Rauschens
Kennst du das?
Wie ist das bei dir? Woran bemerkst du, dass »etwas im Busch ist«? Dass »etwas ansteht«? Dass »etwas Neues in die Welt möchte«? »Es nicht mehr passt?«
Wo macht sich das bei dir bemerkbar?
Wie spürst du es? Oder ist es mehr ein Ahnen?
Wie sind deine bisherigen »Reisebeginne« verlaufen? Hast du rasch auf das Rauschen reagiert? Oder eher lange nachgedacht?
Gibt es vielleicht ein bestimmtes Anliegen, für das du dieses Buch liest … oder lesen möchtest? Spür da mal nach …
Vielleicht bist du neugierig, was diese »hippo-systematische« Beratung eigentlich ist?
Oder vielleicht möchtest du insbesondere etwas über neue Methoden erfahren?
Vielleicht geht es dir auch darum, als Waschbär zukünftig Mäuse auf eine andere Art zu begleiten?
Oder du bist auf der Suche nach noch mehr Frosch-Momenten?
Was wäre es für dich? Aus welchem Raum heraus möchtest du dich von dem Buch einladen lassen?
Was auch immer dir gerade wichtig ist, sei herzlich dazu eingeladen, dieses »Rauschen« mit einer Reise durch das Buch zu erforschen!
In diesem WissensRaum möchten wir dir gerne die folgenden Begriffe näherbringen:
•Somatische Marker
•Zwei Bewertungssysteme »hin zu/weg von«
•Neurozeption willkürlich/unwillkürlich – bewusst/unbewusst
•Aufmerksamkeitsfokussierung
•Haltung
•Pacing
•Räume
Zur leichteren Orientierung möchten wir dir den WissensRaum mit Hilfe von sogenannten Statements anbieten. Diese bieten einen Überblick über die Themen, die wir für den Reisebeginn als nützlich erleben.
1)Informationen zu Stimmigkeit-Unstimmigkeit laufen blitzschnell, permanent unwillkürlich und auch oft unbewusst in uns ab.
2)Über somatische Marker greifen wir auf unseren gesamten Erfahrungsschatz zu.
3)Auf der Ebene der somatischen Marker verfügen wir über zwei voneinander unabhängige Bewertungssysteme.
4)Der erste Hinweis auf Veränderungsbedarf zeigt sich oft in somatischen Markern.
5)Es interessiert uns, wir beobachten es – die Aufmerksamkeit wird darauf fokussiert.
6)Das Erforschen des Rauschens braucht BegegnungsRäume mit Haltung.
7)Wir wissen zu schätzen, was auftaucht (Eigenpacing).
Wir alle kennen diese kleinen Signale, die uns unser Organismus zur Orientierung zur Verfügung stellt. Dadurch bekommen wir blitzschnell Rückmeldung, wie das, was uns in der äußeren Welt oder auch in der inneren Welt gerade begegnet, von unserem Organismus eingeschätzt wird. Droht Gefahr für unsere Stabilität, oder dient es unserer Stabilität und Sicherheit? Vielleicht nennst du es »Bauchgefühl« oder auch »Intuition«, manche nennen es »Stimmigkeit« – Gunther Schmidt spricht oft vom »Untrüglichen Wissen des Organismus« (Schmidt 2007). Stephen Porges, der Begründer der Polyvagaltheorie, die wir später noch erläutern werden, schlägt dafür den Begriff der Neurozeption vor (Porges 2019).
Die Entwicklung unseres Gehirns beruht auf all den Erfahrungen, die unser gesamter Organismus in Wechselwirkung mit all den Umwelten macht – von zunächst labilen Verschaltungen im Gehirn hin zu immer komplexeren Schaltkreisen. Viele Teile unseres Gehirns sind bereits weit vor der Geburt ausgereift und speichern jene Vorgänge, die im Inneren des Körpers ablaufen – dies entspricht einem völlig unbewussten Informationsfluss. Hier werden Muster neuronaler Netzwerke und somit der Zustand des Organismus abgebildet, die von Antonio Damasio als »somatische Marker« (Damasio 1997, S. 227–276) bezeichnet werden. Wir erleben diese Signale oft nur recht undifferenziert, und zumeist sind sie schwer oder gar nicht beschreibbar und in Worte zu fassen. Diese Erfahrungen des Organismus dienen uns als Referenzsystem für die Bewertung von eigenen Erfahrungen, die auf der Ebene von Körpersignalen beschrieben, erlebt und auch genützt werden können.
Alles, was ein Mensch erlebt und macht, wird nicht nur als Erfahrung gespeichert, sondern immer auch mit einer Bewertung dieser Erfahrung versehen. Diese diffusen Körpersignale können spürbar unterschieden werden in eher angenehme und eher unangenehme Gefühle – sie stellen eine Orientierung für den Organismus dar, um sich in der von ihm vorgefundenen Umwelt bestmöglich im Sinne des Überlebens zurechtzufinden.
Wir möchten hier die Metapher der Wächterin anbieten – lokalisiert im Bereich des Stammhirns –, die ständig und in jeder Sekunde unseres Lebens, auch dann, wenn wir schlafen, über unsere äußere Welt, unsere Umwelt und auch unsere körperlichen Befindlichkeiten und Prozesse wacht. Diese Instanz bemerkt kleinste Veränderungen, kleinste Reize, und gleicht diese blitzschnell mit unseren bisherigen Erfahrungen ab. Sehr schnell und daher auch etwas ungenau bekommen wir eine Einschätzung, ob das, was gerade wahrgenommen wird, eher zu unserer Stabilität beiträgt oder eher eine Gefahr sein könnte. Vor allem auf Gefahr können wir blitzschnell reagieren. Unser Organismus stellt sofort alles zur Verfügung, um für den Umgang mit dieser Gefahr gerüstet zu sein.
Unser gesamter Organismus ist stets um eine gute Balance, eine Homöostase bemüht. Er gleicht aus, fügt hinzu, fährt Prozesse runter oder rauf – immer im Sinne des Überlebens und einer möglichst optimalen Anpassung an die vorgefundenen Umwelten. Und das alles ohne unser willentliches Zutun – diese Prozesse laufen ganz unwillkürlich, zumeist unbewusst ab. Nehmen wir unser Herzkreislaufsystem, wenn wir uns schneller bewegen oder bergauf unterwegs sind: Der Organismus erkennt, dass mit dem derzeitigen Sauerstoffgehalt im Blut und mit der derzeitigen Herzfrequenz die Aufgabe nicht zu lösen ist – es entsteht ein Ungleichgewicht. Und so wird die Atmung verändert, der Herzschlag angepasst, was dem Organismus ermöglicht, auch diese Herausforderung zu meistern.
Hier möchten wir auf die Begriffe »unwillkürlich – willkürlich – unbewusst – bewusst« eingehen: Unwillkürliche Prozesse können unbewusst ablaufen, so wie z. B. die vielen kleinen, permanent ablaufenden Erneuerungsprozesse unserer Haut oder in unseren Zellen uns nicht bewusst sind und auch von uns willentlich nicht beeinflusst werden können. Andere unwillkürliche Prozesse, beispielsweise unsere Atmung, können wir uns bewusst machen und sie auch willentlich beeinflussen (jedoch nicht willentlich beenden). Man könnte sagen, unser Körper ist die ganze Zeit dabei, so gut für uns zu sorgen, dass wir uns um viele Details bewusst-willentlich nicht kümmern müssen.
Mehr dazu findest du im WissensRaum der Körper-Welt (S. 100).
Diese Signale, die der Organismus zur Verfügung stellt, müssen, vor allem beim Entdecken von Gefahren, nicht unbedingt immer richtig liegen. Das heißt, wenn unser Organismus sich auf die Abwehr von Gefahren oder auch den Schutz vor Gefahren einrichtet, so müssen diese in der gerade erlebten Situation nicht als tatsächliche Gefahren bewertet werden. Unser intuitives Wissen greift zurück auf das durch Erfahrung erworbene Referenzsystem.
Anders als lange Zeit angenommen, sind hier keine Pole eines Kontinuums zu entdecken, sondern vielmehr zwei Bewertungssysteme zu lokalisieren, die unabhängig voneinander arbeiten und auch unterschiedlichen neuronalen Schaltkreisen zugeordnet werden können. Aber es zeigen sich nicht nur diese beiden Systeme, sondern sie können auch noch in ihrer Intensität unterschieden werden. Von einem leicht mulmigen Gefühl im Bauch bis hin zu einer massiven Abwehr- bzw. Fluchtreaktion genauso wie auf der angenehmen Seite von einem kaum merklichen Lächeln oder warmen Gefühl bis hin zu einem explodierenden Hochreißen der Arme und einem Jubelschrei. Die extremsten Ausprägungen sind zumeist leichter spür- und einordbar als die zarten Hinweise, und es braucht bewusstes Beobachten und auch Neugier für die eigene innere Welt, um Zugang zu diesen zarten Empfindungen zu bekommen.
Die in der Schweiz tätige Psychologin und Autorin Maja Storch schlägt den Begriff »somato-emotionale Marker« (Storch u. Krause 2005, S. 48) vor, da die Signale sowohl auf körperlicher Ebene spürbar werden können, z. B. über ein kribbelndes Gefühl im Bauch oder eine Enge in der Brust, aber auch auf emotionaler Ebene im Sinne von gefühlter Freude, Wut oder Trauer. Daher kann niemals von einem sogenannten richtigen oder falschen Erleben eines Menschen gesprochen werden – aufgrund seiner individuellen Lebensgeschichte sind die unbewussten Bewertungen des Organismus immer stimmig. Menschen haben über somatische Marker zu jedem Zeitpunkt ihres Lebens Zugriff auf ihre gesamte Lebenserfahrung.
So oder ähnlich können wir uns das System der somatischen Marker vorstellen: Unsere Wächterin wacht nicht nur über unsere äußeren Umwelten, um sie aufgrund der bisherigen Lebenserfahrungen zu bewerten und es dem Organismus zu erleichtern, darauf zu reagieren. Es werden auch innere Prozesse, körperliche Prozesse, innere Anliegen, Bedürfnisse gescannt und bewertet, um dann die entsprechenden Signale zu setzen, um uns Hinweise darauf zu geben, dass hier ein inneres Ungleichgewicht wahrgenommen, entdeckt wurde.
Mehr dazu findest du im WissensRaum der Es-Welt unter dem Begriff der bezogenen Individuation (S. 80).
Wir können uns voll Vertrauen darauf verlassen, dass uns unser Organismus permanent Hinweise darauf gibt, wie derzeitige innere, äußere Situationen und die Wechselwirkungsräume dazwischen gerade »bewertet« werden. Manchmal spürbar wie bei unserer Maus durch ein kleines Rauschen, oder etwas kribbelt im Bauch, etwas zieht, und wir spüren einen Sog oder ein Unstimmigkeitsgefühl – irgendetwas passt hier nicht. Wie wir dann damit umgehen, wie wir diese Signale aufnehmen, bewerten und welchen Rahmen und Raum wir ihnen geben, hat wieder mit unseren bisherigen Erfahrungen zu tun – auch das läuft zunächst unwillkürlich oder sogar unbewusst ab. Wir können aber auch, und manchmal geschieht das gleichzeitig, ganz bewusst willentlich, je nach Lebenssituation und Kontext, unseren Umgang mit diesen Signalen gestalten. Dies stellt eine ganz wichtige Prämisse des hypnosystemischen Arbeitens dar.
Aus der Geschichte mit unserer Maus wissen wir: Dieses Rauschen wird zunächst von ihr nur als Rauschen wahrgenommen – ein Rauschen, noch nicht eingebettet, noch nicht eingeordnet, zunächst nur ein Rauschen. Sobald wir diesem Rauschen unsere Aufmerksamkeit zuwenden, können wir neugierig beobachten, was uns innerlich gerade bewegt. Welche Bilder – visuell, akustisch, körperlich empfunden5 – gerade auftauchen, wie unser Körper reagiert, welches Erleben er gerade unterstützt und anbietet. Wir können dem Rauschen unsere Aufmerksamkeit bewusst zuwenden, es kann aber auch unwillkürlich geschehen, weil das Rauschen so laut und schrill geworden ist oder weil es einfach nicht mehr aufhört und trotz Bemühungen nicht mehr weg geht.
Vergleiche dazu im WissensRaum der Ich-Welt das dreiteilige Gehirn (S. 44).
Wir nehmen eine Beobachterinnenposition ein und schauen, horchen und spüren in uns hinein.
Vergleiche dazu im ErlebnisRaum der Ich-Welt den Aufbau einer Beobachtungsposition (S. 60).
Wir interessieren uns für diese Prozesse, die da erlebbar werden. Unsere inneren Welten sind spannende Orte. Die Signale, die auftauchen, seien sie noch so diffus und mit unserem gerade vorherrschendem bewussten Wissen um uns vielleicht nicht sofort versteh- und einordbar, bewerten wir als Bemühen unseres Organismus, unserer unwillkürlichen, intuitiven Weisheit, uns Orientierung zu geben, uns Informationen und Hinweise über Anliegen und Bedürfnisse zu geben, die unserer bewussten Ich-Welt (noch) nicht erschlossen sind.
Und so wie unsere Maus zunächst allein mit dem Rauschen ist und dann auf ihrem Weg zur Erforschung des Rauschens Wegbegleiter findet, so bemerken auch wir, dass wir manchmal Begleiterinnen, Waschbären, also Coaches, Beraterinnen oder Therapeutinnen auf unserem Weg gut gebrauchen können. Dass es manchmal gar nicht möglich ist, ganz für sich alleine die Beobachtungsposition einzunehmen und zu halten. Dass es Sinn macht, sich von anderen, deren Blick, deren Anderssein, deren Weisheit aus deren Welten zur Unterstützung der eigenen Prozesse zu gönnen. Einladungen, gemeinsam das Rauschen zu beobachten und ihm einen Raum zu geben, gemeinsam neugierig zu lauschen, gemeinsam die nächsten Schritte zu erahnen und die intuitiv vorhandenen Erfahrungen zu nützen.
Hier möchten wir uns jenem Beziehungsraum, Begegnungsraum, Kooperationsraum, diesem ganz besonderen Kontext widmen, der zwischen Mäusen und Waschbären, zwischen Menschen, die in herausfordernden Situationen Unterstützung suchen, und Begleiterinnen dieser Reisen, hilfreich gestaltet wird und entstehen kann. Dieser Raum findet sowohl in der äußeren Welt als auch zwischen den Beteiligten eine Entsprechung und kann auf beiden Ebenen so gestaltet werden, dass Wahrscheinlichkeiten auf hilfreiche Prozesse erhöht werden.
So wie der äußere Raum – z. B. der jeweilige Raum, wo die Begleitung stattfindet – Wohlbefinden und Stimmigkeit für die Begleiterin repräsentieren kann (In welchem Umfeld fühlt sich Waschbär zu Hause? Was erlebt er als artgerecht und seinen Bedürfnissen gerecht werdend?), so können Aussagen, Gesten, Haltungen, Wortwahl u. v. m. einen Blick auf die innere Welt der Begleiterin freilegen. Die Beziehungsräume, in denen wir uns begegnen – Reisende, Mäuse, Waschbären –, werden zumeist unwillkürlich und oft sogar unbewusst gestaltet, laden Menschen implizit in diese Welt ein und können ganz bewusst genutzt und gestaltet werden. Nicht im Sinne eines linear-kausalen, einseitigen Prozesses, sondern vielmehr als ein gemeinsames Gestalten.
Diese Prozesse, die in und zwischen Menschen sekündlich ablaufen, sind vielschichtig und komplex, und wir möchten hier wieder darauf hinweisen, dass wir darum bemüht sind, zum leichteren Verständnis, diese Prozesse wie linear zu beschreiben (mit der Gewissheit, dass es so etwas wie Linearität im Bereich lebender Systeme gar nicht geben kann).
Wir möchten nun Begrifflichkeiten aus der bereits erwähnten Polyvagaltheorie einführen, die uns relevant erscheinen, den Begegnungsraum zwischen Mäusen und Waschbären zu gestalten. Um gut mit Menschen in Kontakt zu gehen, brauchen wir Sicherheit – nur dann ist es auch möglich, Nähe zuzulassen und herzustellen. Um einen hilfreichen gemeinsamen Begegnungsraum zu gestalten macht es daher Sinn – das ist unsere Erfahrung –, für diese Sicherheit zu sorgen. Da wir keinen direkten Einfluss auf unsere Klientinnen haben, haben wir zunächst vor allem die Möglichkeit, uns selbst in äußere und innere sichere Räume zu begeben. Intuitiv machen wir das, wenn wir unsere äußeren Räume so einrichten, dass wir uns wohlfühlen. Dass das Sein in unseren Räumen innere Stimmigkeit ermöglicht. Wir richten uns ein. Da sind Farben, Formen und Gegenstände, die mit uns im Einklang sind, die auf einer bestimmten Ebene uns zeigen. Ähnlich kann auch unsere innere Welt gestaltet werden – was brauchen wir, um uns sicher zu fühlen?
Hör dir dazu die Taschentuch-Trance im BegegnungsRaum des Reisebeginns an (S. 33).
Ohne dass es uns bewusst sein muss und ohne unser Zutun signalisiert unser Organismus unentwegt unseren eigenen emotionalen Zustand. Dieser zeigt sich laut Stephen Porges in unserem Gesicht, vor allem im oberen Gesichtsbereich (der Augenringmuskel spielt dabei eine zentrale Rolle – durch ihn zeigen wir besonders sichtbar für andere Freude und Zuneigung), in der Intonation unserer Stimme (Prosodie) und auch durch unsere Gesten und Körperspannung.
Um unsere BegegnungsRäume für uns selbst möglichst sicher zu gestalten und um die Wahrscheinlichkeit für Sicherheitsgefühle unserer Gegenüber zu erhöhen, können wir auf diese Basis achten. Und gleichzeitig, so sehr auch »die Chemie« zwischen zwei Menschen stimmen mag, sind es immer noch zwei Menschen, die sich aus verschiedenen inneren und äußeren Welten annähern und die Bezug, Kommunikation und Entwicklung ermöglichen möchten. Begleiterinnen bringen in den beratenden, therapeutischen Kontext nicht nur ihre gelernten Methoden und ihre diesbezüglichen Erfahrungen mit, sie bringen sich als ganze Menschen selbst ein. Ihre Lebenserfahrungen, ihre Bindungserfahrungen, ihre Beziehungserfahrungen, all ihre Erfahrungen auf allen Gebieten ihres Lebens. Wenn also zwischen Begleiterin und jenen Menschen, die gerade auf dem Weg sind, ihr Rauschen kennenzulernen, »die Chemie stimmt« – und das entscheidet sich zumeist in wenigen Sekunden –, dann stimmt die Chemie mit dem ganzen Menschen und nicht nur mit der von ihr eingebrachten Methoden oder den angebotenen Interventionen.
Menschen begeben sich dann in Beratung oder Psychotherapie und gehen dann auf ihre Reise, wenn sie mit den ihnen derzeit zur Verfügung stehenden Möglichkeiten keine für sie befriedigenden Ideen für die Herausforderungen ihres Lebens mehr finden können, wenn sie spüren, dass die Reise mit Begleitung für sie unterstützend und hilfreich sein kann.