Und er kommt und findet sie schlafend - Ernst Köhler - E-Book

Und er kommt und findet sie schlafend E-Book

Ernst Köhler

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Beschreibung

Die Geschichte eines Mannes, der sich der herrschenden Wirklichkeit verweigert, ein Sittenbild bundesrepublikanischer Kleinstadt-Verhältnisse.

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Für Hans-Günter Zmarzlik

INHALT

Vorwort des Nachlaßverwalters

I

Das vertraute Bild des Negers wollte sich nicht einstellen

Gelegentlich muß ich ihn einmal fragen, wovon er eigentlich lebt

Ich zum Beispiel stimmte ein altes italienisches Arbeiterlied an

II

Die Stadt hat nicht einmal die Größe besessen, ihn öffentlich zu verbrennen

Ich weiß, daß das ungerecht ist

VORWORT DES NACHLASSVERWALTERS

Die hier vorgelegten Texte berichten über merkwürdige Vorgänge in einer kleinen Universitätsstadt in einem entfernten Winkel unseres Landes. Sie stammen aus dem wissenschaftlichen Nachlaß eines verstorbenen Freundes und Kollegen. Sie fanden sich dort in einem Leitzordner mit der Aufschrift »Die Auferstehung des B.«, aber diese deutlich auf den Ostermythos anspielende Formulierung ist leider ziemlich irreführend. Das Material besteht aus fünf Manuskripten: drei Stellungnahmen, die mein Kollege eingeholt haben will, und zwei von ihm selbst verfaßte Essays, die freilich fragmentarisch geblieben sind.

Wenn ich die Papiere jetzt der Öffentlichkeit übergebe, so nicht ihres gedanklichen Reichtums wegen. Sie enthalten keinen. Sie enthalten nur eine gewisse unreife, gleichsam verfrüht vom Baume der Erkenntnis abgefallene Originalität. Aus diesem Grund möchte der Fachbereich Sozialwissenschaft an der hiesigen Universität, dem der Autor zuletzt doch angehört hatte, mit dieser Veröffentlichung nichts zu tun haben. Auch der Fachbereich Religionswissenschaft hat sich strikt geweigert, das kleine Werk in eine seiner wissenschaftlichen Reihen aufzunehmen. Man hat es sich mit der Entscheidung nicht leichtgemacht: Es liegen mir zwei sorgfältig und ausgewogen argumentierende schriftliche Ablehnungen vor. Übereinstimmend kommen sie beide zu dem Schluß, daß die Arbeit unbrauchbar sei. Sie enthalte möglicherweise einen brillanten Gedanken, verfolge ihn aber nicht konsequent, sondern lasse ihn bald wieder in einer durchaus konventionellen Sicht der Dinge untergehen.

Ich muß sagen, das ist letztlich auch meine Meinung, so hart es mich ankommt, den Verstorbenen hier in dieser Weise disqualifizieren zu müssen. Wenn ich es dennoch wage, mich über ein einhelliges Urteil hinwegzusetzen und die Materialien zu publizieren, so zum einen, um einer freundschaftlichen Pflicht nachzukommen, und zum andern weil ich im Unterschied zu den Fachkollegen meine, daß jener neue Denkansatz, der dann zweifellos wieder im Morast der Gemeinplätze versackt ist, noch erkennbar bleibt. Es bedarf dazu freilich eines freundlich geneigten, um nicht zu sagen großmütigen Lesers, der es auf sich nimmt, diese gleichsam beschmutzte, über und über mit Schlamm bedeckte Denkfigur behutsam wieder herauszupräparieren.

Ich hatte mit dem Kollegen seinerzeit gelegentlich darüber gesprochen, vielleicht bin ich deshalb eher als andere bereit, seine Forschungen ernstzunehmen. Alles ließ sich sehr vielversprechend an. Eines Tages trat der Kollege in mein Arbeitszimmer und erzählte mir etwas von einem etwa 60jährigen Mann namens B., der auf ziemlich mysteriöse Weise aus irgendeinem Psychiatrischen Landeskrankenhaus entwichen sei. Dabei seien sämtliche eisernen Pforten und Gitter der Anstalt buchstäblich weggeschmolzen worden – im ganzen Irrenhaus nichts Eisernes mehr oder gerade noch die Angeln beziehungsweise kurze Metallstummel direkt am Beton, aber auch diese ganz verbogen und verschmort.

Ich dachte, der Mann hat bestimmt Basaglia gelesen, denn er hätte sich schließlich auch damit begnügen können, ein einziges Loch in ein einziges Gitter zu schmelzen und sich dann davonzumachen. Eine andere Fassung der Geschichte erinnerte eher an Pfingsten: Eine große Menge von Geisteskranken habe die nunmehr weit geöffnete Anstalt ebenfalls verlassen und sei singend und in prozessionshafter Ordnung an den blühenden Obstbäumen vorbei weggegangen. An einer Wegkreuzung sei dann plötzlich B. gestanden, wie aus dem Nichts, und habe versucht, den Zug in die Stadt zu dirigieren. Aber die Leute seien einfach, rechts und links an ihm vorbei, weitergezogen, und niemand habe sie seither je wieder gesehen. Mit dem für ihn charakteristischen Scharfsinn wies der Kollege auf einen häßlichen Makel an dem naiven kleinen Wunder, auf eine gewisse innere Unstimmigkeit hin: Dieser B. habe hier eine Instinktlosigkeit ersten Ranges, eine fast jakobinisch anmutende Neigung zum Voluntarismus an den Tag gelegt. Man könne nicht zuerst auf eine Weise verschwinden, die die Menschen tief berühre, und dann wieder auftauchen und, sagen wir, eine Revolte der Randgruppen anleiern wollen. Das profaniere die Legende, sei stillos, ja pietätlos.

Über die näheren Umstände von B.’s Ausbruch erfahren wir allerdings nichts aus diesen Papieren. Aber die Geschichte inspirierte meinen Freund zu einem richtiggehenden Untersuchungsvorhaben. Ausgangshypothese war, daß der »Auferstehung« des B. aus der Gruft der Psychiatrie ein Leidensweg vorausgegangen sein mußte – oder, weniger ironisch, so etwas wie ein sozialer Aufstieg oder doch zumindest eine öffentliche Anerkennung. Irgendein nobody hätte das Irrenhaus nicht in dieser triumphalen Manier verlassen können. Der Autor hat dafür im Gespräch äußerst prägnante Formulierungen gefunden, die in seinem Text dann nicht wieder erscheinen werden. Was ihn daran fasziniere, sei weniger B. als die Reaktionen auf B., the making of B. sozusagen. Er wittere darin einen intellektuellen Skandal: Die politische Kultur dieses Landes erlaube so eine Karriere an sich nicht. Sie erlaube einen Baghwan, aber nicht einen B. – B. sei nämlich alles andere als ein kleiner Baghwan. Nach seinen bisherigen Recherchen sei das eher ein Penner als ein Kultunternehmer.

Ich muß sagen, ich war nun doch recht erstaunt. Der Kollege hatte sich bisher nicht gerade durch gewagte Sprünge und Würfe ausgezeichnet, seine Domäne waren zurückhaltende, solide Studien zur Gesellschaftsstruktur der Bundesrepublik Deutschland gewesen. Jetzt erzählte er mir die ganze, einigermaßen verquere Geschichte dieses B., soweit er sie bis dahin schon rekonstruiert hatte, und schloß mit der Forderung nach einer neuen Politologie, einer »Politologie des Unvorhersehbaren«, wie er es formulierte. Dieser Penner habe offensichtlich eine Bedeutung erlangt, die mit den herkömmlichen wissenschaftlichen Ansätzen schlicht nicht mehr zu erklären sei. Er sagte wörtlich, ich habe es mir notiert: »Der alte Querulant ist zu leicht und zu tief in die Köpfe dieser Stadt eingedrungen, als daß wir einfach weitermachen könnten, als sei nichts geschehen.« – Schon halb überzeugt, sagte ich ihm, daß das für mich noch keine ausgereifte und intersubjektiv restlos zu vermittelnde These sei. Er erwiderte, im Grunde gehe es uns Wissenschaftlern doch immer wieder so, die Phänomene und Ereignisse würfen unsere wohlfundierten Prognosen doch jedesmal über den Haufen – ganz wie der im Frühling angeschwollene Fluß die Bauten des Bibers. Und wie die Biber bauten wir hinterher alles wieder auf bis zum nächstenmal. Er wolle aber kein Biber mehr sein.

Die unvermittelte Leidenschaftlichkeit des Kollegen überwältigte mich einigermaßen. Auf die Fragwürdigkeit von Prognosen war ich auch meinerseits bereits gestoßen. Aber das Bild von den Bibern ging ja noch viel weiter. Ich fragte ihn, ob er damit etwa sagen wolle, daß die Kausalanalyse und Rekonstruktion eines Ereignisses ebenfalls wertlos sei? Er bejahte dies. Er sagte, eine solche Herleitung sei in der Regel sogar irreführend.

Man wird kaum bestreiten, daß das ganz nach einem gedanklichen Durchbruch aussieht. Auch wer sich, wie ich, eher als ein Fußgänger im Terrain der Geistes- und Sozialwissenschaften versteht, wird nicht leugnen wollen, daß der Zweifel am nachträglichen Erklären der Dinge seit langem an uns allen nagt. Es mag hier genügen, an die bislang nie gelichtete tiefe Rätselhaftigkeit aller Revolten und Revolutionen der Geschichte zu erinnern. Gewiß, man wird nicht jedesmal, wenn jemand – wie anscheinend dieser B. – unerwartet aus der Versenkung auftaucht, gleich das ganze Kausalitätsprinzip in Frage stellen. Zuerst müßte mindestens das gesamte Land systematisch nach verwandten Erscheinungen durchforscht werden – aber auch das wäre nur ein erster Schritt, dem dann international vergleichende Studien folgen müßten. Erst wenn sich daraufhin das Unvorhergesehene zu einer dunklen, drückenden Masse zusammengeballt hätte, würde man sich zu einschneidenden theoretischen Konsequenzen entschließen müssen. Aber das sind triviale Vorbehalte, welche die grundsätzliche Bedeutung der hier anvisierten Befreiung von der Kette der Ursachen nicht verdunkeln können.

Der Verstorbene selbst hat freilich die Tragweite seines Gedankens nicht erfaßt. Weder das für diese Universität seit jeher kennzeichnende, ausgeprägt innovative, sozusagen kalifornische Klima noch die neue Aufgeschlossenheit unserer Zeit für die spirituelle Dimension der sozialen Realität hat ihn dazu bringen können, an seinem Forschungsansatz beharrlich festzuhalten. Ich, als sein enger Freund, habe das schon geahnt, als ich dann auf einmal das Foto von B. an der Wand über seinem Schreibtisch sah. Es war sehr klein, kleiner als ein Paßbild zum Beispiel, und hing genau an der Stelle, wo in früheren Jahren das übliche Marx-, dann Lenin-, dann wiederum Marx- oder Rosa-Luxemburg-Portrait gehangen hatte, noch später dann der für meine Begriffe etwas monumentale Charakterkopf eines alten Indianers. Diese Vorgänger ließen das Bild von B. noch winziger erscheinen, es wirkte, mit Verlaub, eher wie ein Klatsch Möwenkot. Beim Nähertreten konnte ich dann aber einen nicht uninteressanten Kopf erkennen mit schulterlangem, offenbar schon ganz weißem Haar, das sich aber, anders als bei dem Indianer, nicht glatt an die Wange schmiegte, sondern wirr und sperrig oder, richtiger, luftig abstand. Das Gesicht selbst war nicht eigentlich häßlich, aber doch, auch bei angemessener Berücksichtigung der Maßstabsverhältnisse, arg klein geraten, mit Ausnahme der Stirn. Der Mund unklar geschnitten, sinnlich. Ich wußte damals noch nicht, daß der Mann Physiker war, sonst hätte mich sein Bild womöglich an Einstein erinnert – was mein Unbehagen darüber, daß es dort hing, vielleicht etwas gemildert hätte.

Das Foto, das Foto an dieser Stelle war das erste Anzeichen jenes Distanzverlustes, jenes etwas peinlich berührenden Personenkults, der das ganze Forschungsprojekt dann blockiert und ruiniert hat. Die halbfertigen Essays am Ende dieses Buches dokumentieren die Ablenkung und Rückbildung des ursprünglichen Entwurfs im Detail, ich kann mich daher an dieser Stelle darauf beschränken, auf die nach meiner Meinung ausschlaggebende Ursache der bedauerlichen Entwicklung hinzuweisen. Als der Forscher nämlich in jene Stadt eilte, um das Unvorhersehbare vor Ort zu studieren, war es bereits nicht mehr zu sehen. Es war schon wieder weg und lebte nur noch in Erzählungen. Schon daß jemand wie B. irgendwann in der Heilanstalt landen würde, war bereits wieder vorauszusehen gewesen. – Wer die Geschichte unserer Disziplinen kennt, weiß, daß Gedankenkonstruktionen beim Aufprall, im Aufschlag auf den Boden der Wirklichkeit nicht selten zerschellen. Vielleicht war die Theorie zu leicht gebaut gewesen, oder die Landung nach Ort und Zeitpunkt falsch plaziert. Ich bin überzeugt, daß der Verstorbene noch hätte warten sollen. Er hätte, um im Bild zu bleiben, noch ein wenig oben bleiben, noch ein wenig kreisen sollen. So ist er an der offensichtlich geradezu idealtypischen Normalität jener Provinzstadt gescheitert, und sein früher, unerwarteter Tod riß ihn mitten aus einer Arbeit, deren Vergeblichkeit sich, zumindest für Außenstehende, schon abzuzeichnen begann.

Abschließend noch ein paar Worte über die drei bereits erwähnten Stellungnahmen zu B., die das Dossier meines Freundes eröffnen. Der Forscher scheint sie in einer frühen Phase der Untersuchungsarbeit angeregt und erbeten zu haben. Alle diese Leute haben B. persönlich gekannt, aber jeder von ihnen hat ihn anders erlebt. Eines der universitären Gutachten äußert allerdings erhebliche Zweifel an der Authentizität dieser Äußerungen. Sie seien vermutlich von vorn bis hinten fingiert. Der Forscher habe sie wahrscheinlich selber geschrieben – als eine Art Fingerübung möglicherweise, oder weil er schlicht und einfach zu faul gewesen sei, seine Gedanken über das Phänomen B. in eine strengere Form zu bringen. Ich kann dem nur zum Teil zustimmen. Ohne jeden Zweifel echt scheint mir der Brief der Frau zu sein. So würde kein Mann je schreiben. Ich weise nur auf die spezifisch weibliche Mischung von Einfühlungsvermögen und Verständnislosigkeit hin. B. ist für diese ebenso liebe wie bornierte Dame nichts weiter als ein leidgeprüfter, tapferer alter Mann. Man merkt der ganzen Darstellung an, daß die Frau ihm, wie sie an einer Stelle sagt, die Wäsche gewaschen hat. Den ganzen Text durchzieht ein ganz unnachahmlicher Pragmatismus.

Was hingegen den Bericht des grünen Stadtrats betrifft, so habe auch ich meine Zweifel. Der Form, der Sprache nach ist das alles direkt auf Band diktiert worden und klingt insofern nicht ganz unecht. Andererseits sind diese Ausführungen aber entschieden zu lang und auch viel zu differenziert, um wirklich von einem hart arbeitenden Kommunalpolitiker stammen zu können. Kein Stadtrat, der seine Aufgabe ernst nimmt, hat heute noch die Kraft und die Zeit, sich dermaßen ausgiebig und feinsinnig in sich selbst hineinzuversetzen. Das muß schon ein anderer für ihn tun. Ich nehme stark an, mein Freund hat es für ihn getan, denn das Stück hat auch nichts von der verschwitzten Pingeligkeit der echten Selbstprüfung.

Aber ist das wirklich ein Minuspunkt? Wenn man bedenkt, wie wenig authentisch oft gerade das Authentische ist – wir sprudeln, wir scheinen zu sprudeln, und dann hat man uns doch alles wieder nur vorher hineingedrückt – , dann wird man dieses Verfahren kaum als wissenschaftlich fragwürdig oder gar als illegitim zurückweisen können. Wir werden möglicherweise sogar künftig den weitaus größten Teil unserer Dokumente selbst erfinden müssen, um ihre Echtheit zu garantieren.

Das Schreiben des Schriftstellers schließlich, das die Serie der Erfahrungsberichte beschließt, scheint mir auch nach noch so liberalen Maßstäben mißlungen. Das Einzige, was daran wirklich echt ist, ist die Eitelkeit.

Einer verräterischen Bleistiftnotiz des Verblichenen entnehme ich, daß ursprünglich noch ein weiterer, diesmal nun wirklich fiktiver Brief geplant war – der eines Psychiaters nämlich, der sich, wie es dort heißt, »aus Angst vor dem Arztgeheimnis nur zu Andeutungen entschließen kann«. Dann steht da noch: »Denkbar auch eine kühnere Variante: Der Mann sieht B., verläßt seinen Beruf und arbeitet heute als Schreiner.« Ich glaube, man kann ohne weiteres sagen, daß es kein Verlust ist, daß dieser Text ungeschrieben blieb. Besonders die Idee, einen Psychiater vor unseren Augen aus einem Saulus zu einem Paulus werden zu lassen, scheint mir arg schablonenhaft, die typische Aussteigerlegende: Während alle anderen bleiben, was sie sind, widersprüchlich, unentschlossen, lau, und nur manchmal eine unerklärliche Zugkraft an ihrem Herzen zerren spüren, sollte ausgerechnet ein Medizinalbürokrat wegen B. alles hingeschmissen haben? Wegen B., den er eigentlich hätte behandeln müssen?

I

DAS VERTRAUTE BILD DES NEGERS WOLLTE SICH NICHT EINSTELLEN

Ich teile Ihnen gerne mit, was ich darüber weiß. Sie haben sich inzwischen ausgewiesen, und ich sehe keinen Grund, Ihr Untersuchungsvorhaben nicht nach Kräften zu unterstützen. Ich habe die Sache auch im Kreise meiner Parteifreunde vorgetragen, und auch hier wurden keine Einwände erhoben, wenn wir selbstverständlich auch die heikle Frage des Datenschutzes nach allen Seiten hin erörtert haben. Aber Herr B. ist ja bereits in einen öffentlichen Skandal hineingerissen worden.

Ich darf mich als einen der Bewunderer dieses aufrechten Mannes bezeichnen. Er war mit seinen langen weißen Haaren, seinen Krücken und dem unvermeidlichen Rucksack eines der unter uns so selten gewordenen Originale, und wenn ich an seiner Seite durch die Straßen der Stadt ging, starrten mich die Leute an. Oder vielmehr ihn, sie starrten genauer gesagt zuerst auf ihn und dann auf mich. Verzeihen Sie, wenn ich mich bei dieser Kleinigkeit aufhalte, aber sie vermag vielleicht zu verdeutlichen, wie auffällig das markante Individuum in dieser normierten Gesellschaft heute schon geworden ist.

Aber ich sollte nicht vorgreifen. Ich erzähle Ihnen wohl am besten zunächst einmal, wie ich Herrn B. kennenlernte. Vom Sehen kannte ich ihn schon lange, das ist ja keine Großstadt hier. Eigentlich aufmerksam wurde ich auf ihn aber erst, als er dann plötzlich auch an der Universität auftauchte. Das hatte ich nicht erwartet, ich meine, er war hier nämlich nicht wegen der Trockenheit und der Wärme, offensichtlich nicht, sondern wegen der Bücher. Ich hatte mich schon gewundert, er hatte nämlich den Bus abgehängt. Während der Bus, vollgepackt mit Studenten und Universitätspersonal, langsam den Windungen der vereisten Straße folgte, muß er irgendwelche Abkürzungen und Waldwege benutzt haben. Denn bei jeder Haltestelle sah ich ihn wieder: Er kam entweder gerade aus einem Waldstück heraus oder er ging gerade in ein Waldstück hinein: ruhig, gleichmäßig wie ein norwegischer Skiläufer zwischen seinen Krücken schwingend. Und als ich mich dann in die Bibliothek begab, sah ich ihn bereits an einem unserer Fotokopiergeräte stehen.