... und immer kommt das Glück - Karin Hildebrandt - E-Book

... und immer kommt das Glück E-Book

Karin Hildebrandt

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Beschreibung

…und immer kommt das Glück. Um wichtige Projekte voran zu bringen, braucht der unscheinbare Baron von Steffen die Hilfe einer Frau und er lässt sich auf einen äußerst merkwürdigen Deal ein. Johanna ist die Frau, die für einige Monate an der Seite des Barons stehen soll. Sie bringt sein Leben gehörig durcheinander und sorgt für Überraschungen. Eine zauberhafte Geschichte die zeigt, dass es für das Glück nie zu spät sein kann.

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EPUB
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Seitenzahl: 347

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Karin Hildebrandt

© 2019 Karin Hildebrandt

Verlag & Druck:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

 

Paperback:

978-3-7497-9475-1

Hardcover:

978-3-7497-9476-8

e-Book:

978-3-7497-9477-5

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Verrückte Ideen

Begegnung mit Folgen

Neue Ufer

Ein fast unmoralisches Angebot

Bemühungen

Abbitte

Entscheidungen

Eindrücke

Verhandlungen

Aktionen

Gehversuche

Stürme

Missverständnisse

Streifzüge

Lehrstunden

Vorbereitungen

Risiko und Schmerz

Offenbarungen

Überraschungen

Herzzeiten

Neue Wege

Herzenssache

Verrückte Ideen

Wogen finsterer Götterdämmerung tönen in perfektionierter Quadrophonie durch die Gemäuer von Schloss Herken. Das einzige Moderne in diesem Schloss scheint auf dem ersten Blick ein CD-Player zu sein, aus dessen Lautsprechern Richard Wagners düstere Musik schallt.

Überhaupt alles an diesen unwirtlichen Ort ist düster und trotz dem draußen in der Natur bereits der Frühling in den Startlöchern steht, ist es in Herken kalt. Ungemütlich dunkle und schwere Vorhänge lassen die ersten warmen Sonnenstrahlen in diesem Jahr nicht in die Räume und dem Hausherrn scheint es nichts auszumachen, ihn beschäftigen andere schwerwiegendere Angelegenheiten.

Baron Paul von Steffen steht mit geballten Fäusten und gerunzelter Stirn am Fenster und starrt hinaus.

Alles hat er kommen sehen und ausreichend Zeit sich auf alles mental vorzubereiten, doch trotzdem fühlen sich näherkommende wichtige Termine an, wie ein Schlag in den Nacken.

Schon im Hochsommer diesen Jahres soll das große alljährliche Familientreffen, anlässlich des 50. Geburtstages seines Besitzers auf Schloss Herken stattfinden. Niemanden wollte er dazu einladen, doch seine Schwester Isolde überredete ihn, groß zu feiern. Nichts, aber auch nichts kann er ihr abschlagen und im Nachhinein ärgert er sich mächtig darüber.

Es werden nähere und auch entfernte Verwandte erwartet, die Paul schon jahrelang nicht mehr gesehen hat, denn die letzten zehn Jahre hat er jegliche Treffen auf anderen Schlössern abgesagt. Er ist ein Einzelgänger und will es auch bleiben.

Gemieden hat er die Familienfeiern der letzten Jahre auch, um den bohrenden Fragen einiger Familienmitglieder zu entgehen. Die meisten der Gäste haben durchaus akademische Ausbildungen, was sie aber nicht daran hinderte äußerst dumme Fragen wie… > Na Paul, hast du nun eine passende Baronin für dein Schloss im Wald gefunden? < …zu stellen und alles ins Lächerliche zu ziehen.

Paul hatte keine Lust mehr, sich das anzutun und verzichtete in der Vergangenheit auf solche Familientreffen. Doch dieses Mal konzentriert sich der ganze Verwandtschaftszirkus auf Schloss Herken und er muss seinen Geburtstag wohl oder übel mit der ungeliebten Familie feiern.

So ein Fest ist mit arbeitsreichen Vorbereitungen verbunden, mit denen man eigentlich beginnen sollte, doch bisher existiert nur eine Gästeliste. Paul beschäftigt sich lieber mit seiner Arbeit und der Politik, die in seinem Leben nun eine größere Rolle spielen soll. Er will auf kommunaler Ebene mehr Einfluss gewinnen und die oft verschlungenen Wege der Kleinstadtpolitik besser verstehen. Dafür öffnet er sich der Gesellschaft ein wenig mehr, denn sein Ruf ist nicht der Beste. Der stille, meist sehr in sich gekehrte Baron wirkt in der Öffentlichkeit arrogant und unnahbar. Sicher respektiert man die über viele Jahrhunderte ansässige Aristokratie und die vom Baron vorbildlich geleistete Arbeit, doch wirklich sympathisch ist er weder den Dorfbewohnern noch den Bürgern der nahen Stadt.

Paul von Steffen ist nicht unbedingt das, was man als attraktiv bezeichnen könnte. Etwas Übergewicht, schütteres Haar und eine Narbe im Gesicht, die von einem früheren Reitunfall stammt, bestimmen sein Aussehen und er weiß es selbst.

Früher, als er noch jünger und allen Menschen um sich herum ein wenig offener war, brachte sein Antlitz bei eventuellen Kandidatinnen für den Posten einer Baronin in seinem Schloss eher Ablehnung und irgendwann spürte er durchaus, dass nur sein Geld ein Anreiz für so manche Frau war, in seinem Leben eine Rolle zu spielen. Schon lang hat er den Glauben an eine romanische Liebe im Schloss und ein glückliches Familienleben aufgegeben.

So hat sich Paul von Steffen intensiv und sehr erfolgreich auf seine Arbeit konzentriert. Es geht ihm immer noch darum, das wunderschöne, sehr außergewöhnliche Anwesen und die weitläufigen, dazugehörigen Ländereien zu erhalten und gewinnbringend zu bewirtschaften, was ihm auch gelingt. Nicht nur die Wälder um Herken vermarktet er gut und nachhaltig, sondern auch eine kleine Glashütte, die sehr spezielles Glas herstellt, hat er wieder ins Leben gerufen und eine gewinnbringende Marktlücke hierfür entdeckt. Ein großes, bestens ausgelastetes Sägewerk gehört obendrein dazu.

Viele Leute in Marktwenden, dem Dorf nahe dem Schloss sind dem Baron immer noch in Dankbarkeit verbunden, denn er hat ihnen wohnortnahe Arbeitsplätze verschafft. Paul von Steffen versteht das als seine Pflicht. Eine Verpflichtung die seine Herkunft, sein Name und sein Besitz mit sich bringen.

Wohltäter ist er jedoch kaum. Pflichterfüllung stellt er über alles und den Kontakt zu den Menschen meidet er bisher. Um ihn herum arbeiten nur Juri, der aus Russland stammende Butler, Leibwächter und Chauffeur in einem, und zwei Haushälterinnen aus dem Dorf, die dreimal die Woche im Schloss saubermachen. Mit den zum Unternehmen gehörenden Holzarbeitern, den Pferdepflegern, Gärtnern, oder den Mitarbeitern der Glashütte und dem Sägewerk pflegt er nur den notwendigsten Kontakt. Es ist dabei sicherlich nicht eine gewisse Arroganz, die dieses Verhalten erklären könnte. Wohl eher eine Art von Gewohnheit, die die Einsamkeit mit sich bringt.

Für das leibliche Wohl sorgt der Baron durchaus auch mal selbst. Er liebt es zu kochen, Literatur und Kunst gehören ebenso zu seinen Hobbys und als Kunstsammler pflegt er gute Kontakte zu einigen Galeristen in Berlin, Paris und London.

Immer noch starrt der Baron aus dem Fenster, obwohl die CD längst verklungen ist und sich eine beängstigende Ruhe breit macht. Er blickt in Richtung der Pferdeställe und sieht die kürzlich renovierten Gesindehäuser, die in einem zarten Gelbton in der untergehenden Sonne leuchten und die in einigen Monaten als Gästehäuser für die vielen Verwandten dienen sollen. Im Schloss selbst will Paul niemanden haben. Noch nicht mal Isolde und ihre Familie.

So in Gedanken bemerkt Paul den schwarzen SUV seines besten und einzigen Freundes und Anwalts Richard Sennefeld, der gerade die Allee zum Schloss herauffährt. Die beiden Männer sind befreundet, seit Richard mehrere wichtige Prozesse im Sinne von Baron von Steffen gewonnen hat. Auf den Rat des um einige Jahre jüngeren und äußerst gutaussehenden Anwalts möchte Paul nicht verzichten und so ist Richard der Einzige, der den Baron hin und wieder in seinem Zuhause besucht.

Richard Sennefeld ist ein versierter und gerissener Anwalt, der wenn nichts mehr geht, durchaus mal sein gutes Aussehen in Justizia`s Waagschale wirft. Unzählige Prozessgegnerinnen und auch gegnerische Anwältinnen konnte er mit seinem Charme einwickeln, und kehrte oft laufende Prozesse in seinem Sinne um.

Paul von Steffen missbilligt solche Strategien seines einzigen Freundes, doch er vermeidet es sich generell einzumischen. Die Gespräche über Kunst, Literatur und Politik, die die Männer meist bei gutem Essen, gekocht vom Hausherrn selbst führen, sind jedoch immer eine Bereicherung in Pauls Leben. Oft die einzige Bereicherung.

Der Baron hört nicht die Glocke am Portal des Schlosses. Wahrscheinlich hat Juri den Anwalt bereits entdeckt und ihm die Tür geöffnet. Durch die offene Tür seines Arbeitszimmers im ersten Stockwerk vernimmt Paul die Stimme seines Freundes:

„Tag Juri, wie geht es ihnen.“ Steif nimmt der Buttler dem Gast den Mantel ab und antwortet in akzentfreiem Hochdeutsch:

„Danke der Nachfrage, es geht. Der Herr Baron befindet sich im Arbeitszimmer.“ Es ist nicht notwendig für Juri, Richard ins Arbeitszimmer seines Herrn zu begleiten, er kennt sich sehr gut aus im Schloss.

Schlank und adrett, im maßgeschneiderten Dreiteiler nimmt Richard Sennefeld sportlich die große Treppe in das obere Stockwerk, wo sich unter anderem Arbeits-, Wohn-, Herren- und Schlafzimmer des Hausherrn befinden. Einen langen Gang entlang, der durch sein hochglänzendes, kunstvoll verlegtes Parkett auffällt, schlendert Richard in Pauls Arbeitszimmer. Seine Augen müssen sich erst an die düstere Atmosphäre gewöhnen, ehe er den wuchtigen Schreibtisch, die raumhohen Regale voller Bücher und Ordner und die um einen kleinen runden Tisch angeordneten Clubsessel klar sieht.

„Guten Tag Paul… meine Güte, wie hältst du diese Finsternis hier überhaupt aus, Da bleibt einem ja gar nichts anderes übrig, als depressiv zu werden. Kalt ist es außerdem.“

Die beiden Männer schütteln sich die Hände.

„Hallo Richard, mir macht es nichts aus, ich bin es gewohnt. Außerdem könnte ich mich nicht erinnern, jemals depressiv gewesen zu sein. Aber was nicht ist, kann noch werden, wenn ich an das denke, was auf mich zukommt…“

Resigniert lässt sich Paul in einem der Sessel fallen und auch Richard setzt sich. Inzwischen ist Juri eingetreten und die Männer lassen sich Kaffee bringen. Richard kommt sofort zum Punkt.

„Ist es das, was dich beschäftigt? Hast du mich deshalb angerufen?“

Paul betrachtet Richard, der lässig in seinem perfekt sitzenden Anzug in einem der Clubsessel sitzt, unverschämt grinsend die makellos weißen Zähne zeigt und die betörend blauen Augen blitzen lässt.

Gegenüber dem smarten Anwalt, sieht Paul mit abgetragener Jeans, einem älteren jagdgrünen Hemd und einer Strickjacke darüber fast heruntergekommen aus.

„Ja, dieses Familientreffen liegt mir wirklich sehr im Magen. Mittlerweile leide ich an Schlafstörungen und je näher der Festtermin kommt, desto mehr verabschiedet sich mein Appetit.“

„Was dir auch nicht schadet, lieber Freund“, meint Richard immer noch grinsend. Paul schnaubt verächtlich:

„Von wegen. Ein gutes Essen zu genießen und es vorher zuzubereiten ist meine wahre Freude. An sich habe ich keine Lust darauf zu verzichten und deshalb muss etwas geschehen!“

Richard sieht seinen Freund fragend an.

„Irgendwie kann ich dir nicht folgen. Was meinst du damit? Willst du die ganze Sache abblasen? Das wäre nicht sehr diplomatisch und obendrein noch sehr unhöflich.“

„Pah!“ –winkt der Baron mit einer unwirschen Handbewegung ab- „Mir ist doch vollkommen egal, was meine Verwandtschaft von mir denkt. Ich höre sie schon sagen. >Sag mal Paul, jetzt bist du 50. Willst du nicht doch noch eine Familie gründen<, bla bla bla…“

Richard wird ernst und zieht nachdenklich seine Stirn in Falten.

„Hm, du könntest sie schockieren und an deinem Ehrentag einfach heiraten. Deine Schwester Isolde würde aus allen Wolken fallen. Ich würde ihr das gönnen. Wie du weißt, kann ich sie nicht leiden und ihr hast du dieses Fest und die damit verbundenen Schwierigkeiten auch zu verdanken. Vergesse das nicht.“

Paul von Steffen nickt betreten. Er weiß, dass sich Isolde und Richard nicht leiden können, obwohl sie sich nur ein einziges Mal vor vielen Jahren gesehen haben und resigniert antwortet er auch auf die Aussagen des Freundes.

„Ich soll heiraten? Wen soll ich denn heiraten? Wo bitte soll ich bis September eine Frau auftreiben? Und noch dazu eine die zu mir passt.“

Richard beginnt das Gespräch zu amüsieren.

„Wir haben März. Bis September ist noch eine lange Zeit. Da haben Andere in kürzerer Zeit eine passable Frau aufgetrieben. Wie soll sie denn sein, die zukünftige Baronin von Steffen?“

Der Baron beginnt ernsthaft zu überlegen. Bisher gab es nie einen Anlass, sich darüber Gedanken zu machen, aber wenn das Gespräch schon mal darauf hinaus geht…

„Na ja, sie sollte nicht zu dick und auch ja nicht mager sein. Ein Hungerhaken hält nichts aus und sie sollte schon ein wenig mitarbeiten können. Nicht zu groß und nicht zu klein sollte sie sein und keinen Alkohol trinken, zumindest nicht bis zum Exzess. Außerdem wäre eine Nichtraucherin auch gut. Ach ja, ein hübsches Gesicht ist ein Muss, denn ich bin ja gezwungen sie den ganzen Tag anzusehen. Außerdem wäre es hilfreich, wenn sie sich mit Pferden und Betriebswirtschaft ein wenig auskennen würde. Ein wenig Intelligenz schadet demnach nicht.“

Richard wirft laut lachend den Kopf zurück, während Juri den Kaffee serviert. Erst als der Buttler wieder das Zimmer verlässt, spricht Richard:

„Mein lieber Freund, deine Liste ist ja ziemlich lang. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir jemanden finden, auf dem all diese Attribute passen. Und du bist eindeutig zu wählerisch. Ich werde eine Frau für dich suchen, aber zuerst müssen wir dich ein wenig aufmöbeln.“

„Was???“ – Paul denkt, sich verhört zu haben- „Ich soll mich aufmöbeln? Ich finde mich vollkommen in Ordnung, so wie ich bin. Wieso in Gottes Namen sollte ich mich verändern? Wegen einer Frau? Das kommt gar nicht in Frage!“ Richard wiegelt lachend ab:

„Jetzt bleib mal ruhig, niemand will dich verändern. Ich gebe am Samstag eine Party in meiner Wohnung und du bist eingeladen. Ich weiß, du gehst nicht gern auf Partys und du warst auch nie auf einer meiner Partys, aber jetzt ist es einfach notwendig. Du wirst dich eben aufraffen müssen. Natürlich werden viele Frauen da sein. Da kannst du dich in Ruhe umsehen. Es schadet nicht, im perfekten Outfit zu erscheinen. Notfalls gehen wir einkaufen. Nur falls dein Kleiderschrank nichts Adäquates hergibt.“

Paul runzelt die Stirn:

„Du meinst das ernst, nicht wahr?“

Wieder blitzen Richards Augen auf und ein breites Grinsen folgt.

„Erst wollte ich einen Scherz machen, doch je mehr ich darüber nachdenke, desto besser gefällt mir diese Idee. Wann hattest du deine letzte Freundin?“

Jetzt wird Paul verlegen. Er windet sich in seinem Sessel und räuspert sich, ehe er Richard ausweichend antwortet:

„Ehrlich gesagt, halte ich diese Idee für nichts anderes, als einen schlechten Scherz. Wir müssen uns etwas anderes ausdenken. Vielleicht sollte ich an meinem Geburtstag wegfliegen. Geschäftsreise nach Amerika vielleicht.“

Wieder grinst Richard:

„Was hast du denn für Geschäfte in Amerika zu tätigen? Außerdem hast du meine Frage nicht beantwortet.“

„Keiner muss wissen, dass ich in Amerika nichts Geschäftliches zu erledigen habe. Und an meine letzte Freundin kann ich mich nicht erinnern. Wahrscheinlich hatte ich gar keine.“

Pauls Tonfall wird leise und fast ein wenig traurig bei seinen letzten Worten. Richard starrt seinen Freund überrascht in die Augen.

„Du hattest nie eine Freundin? Was war in deiner Studienzeit? Und was ist mit deinen sexuellen Aktivitäten.“

Paul von Steffen windet sich wieder verlegen und äußerst unruhig, wenn nicht sogar ein wenig ärgerlich in seinem Sessel, während Richard ihn noch immer unbeeindruckt anstarrt.

„Nein verdammt, ich hatte nie eine Freundin, was nicht heißt, dass ich nicht schon mal mit einem Mädchen geschlafen habe. Aber es ist lang her und jetzt in meinem Alter habe ich keine Lust mehr, wieder damit anzufangen. Und falls das deine nächste Frage sein sollte… ich bin nicht schwul, auch wenn sich die Leute im Dorf darüber das Maul zerreißen.“

Richard steht auf.

„Entschuldige Paul, ich wollte dich nicht kränken. Nie habe ich vermutet, du könntest schwul sein und wenn es so wäre, wäre es mir auch völlig egal. Aber umso dringender muss nun eine Frau her. Zumindest für eine gewisse Zeit. Wir müssen der Gerüchteküche den Garaus machen, noch vor der Familienfeier, deinen politischen Vorhaben und weiteren Projekten. Sonst verlierst du an Glaubwürdigkeit und kannst bei den doch sehr konservativen Dorfbewohnern nicht punkten. Ich glaube, es ist wirklich nicht ratsam, dich lebenslang an eine Frau zu binden, aber für die nächste Zeit, sagen wir bis kurz nach deinem Geburtstag… Das Ganze muss gut geplant und durchdacht werden.“

Ernst und konzentriert, wie er es in Ausübung seiner Tätigkeit als Anwalt gewöhnt ist, geht Richard im Raum auf und ab. Brummend winkt Paul ab und sieht seinen Freund erstaunt an:

„Was denkst du dir jetzt wieder aus. Wie soll ich an eine Frau für ein paar Monate kommen? Welche Frau soll das machen? Das Ganze wird doch immer verrückter!“

Ernst setzt sich Richard wieder und beginnt mit wachsender Begeisterung seinen Freund die eben ausgedachten Ideen zu erklären:

„Nein nein, so verrückt ist das alles gar nicht. Es gibt genug Frauen, die bereit sind so etwas zu wagen, für ungefähr ein halbes Jahr, oder die paar Monate bis nach deinem Geburtstag. Du musst es nur lukrativ genug gestalten. Obendrein werde ich eine Verschwiegenheitserklärung ausarbeiten, die sie unterschreiben muss. Danach wird sie ein paar Mal mit dir ausgehen und später hier übernachten. Natürlich müsst ihr das Spielchen durchaus auch vor Juri und dem sonstigen Personal spielen. Bald wird in der Stadt und im Dorf jeder wissen, dass du eine Freundin hast. Sie könnte dir auch bei der Durchführung des Familienfestes helfen und ihr habt im Vorfeld schon genügend Zeit, das gemeinsame Leben zu üben. Was hältst du davon?“

Richard ist begeistert von seiner Idee, Paul hingegen fast ein wenig entsetzt.

„Sie soll für die Zeit hier einziehen? Aber ich bin es gewohnt alleine zu leben und eher ein langweiliger Zeitgenosse. Und ich bin es gewohnt alleine zu schlafen. Was ist, wenn sie mehr will?“

„Paul, wir haben einen Vertrag, an den sie sich halten muss und wenn sie mehr will, dann genieße es. Was ist daran falsch. Du bist niemanden Rechenschaft schuldig und kannst schlafen mit wem du willst, oder eben nicht.“

„Was machen wir, wenn sie sich nicht an den Vertrag hält und damit alles rauskommt. Dann bin ich doch der Blamierte. Damit ist mein Ruf dahin. Ich mach mich doch zum Gespött der ganzen Stadt.“

Langsam macht sich eine gewisse Panik in Pauls sonst so ausgeglichenem Gemüt breit.

„Was heißt hier, du machst dich zum Gespött der Leute. Was glaubst du, was die Leute schon jetzt, oder deine Gäste im September sagen, worüber sie spekulieren? Jetzt schon brodelt die Gerüchteküche über den eigenartigen Baron, der hoch oben auf seinem Schloss mit einen noch eigenartigeren russischen Buttler lebt. Denkst du, du kannst dich aus der Affäre ziehen, indem du dich kaum im Dorf oder in der Stadt zeigst, mit den Menschen kaum sprichst und dich ansonsten hier unter Büchern, Kunstwerken oder Kochtöpfen versteckst? Es wird Zeit, etwas zu unternehmen und dein Geburtstag und dieses ominöse Fest ist eine gute Gelegenheit. Danach wird der Spuk vorbei sein, du kannst dein altes Leben wieder leben und du hast von allen wieder den Respekt, den man früher auch deinem Vater gezollt hat.“

Richard muss Luft holen, aber Paul sagt kein Wort mehr. Er reibt sich nachdenklich die Stirn und fragt seinen Freund nach einigen stillen Minuten leise:

„Was muss ich tun? Welche Schritte sollen jetzt unternommen werden?“

Richard lächelt

„Zuerst einmal werde ich mir überlegen woher wir die Frau bekommen, die du brauchst. Das heißt, ich werde meine Klienten Dateien durchforsten. Dann werde ich einen Vertrag mit Verschwiegenheitsklausel ausarbeiten. Du wirst 20 000 Euro auf eines meiner Depotkonten überweisen. 10 000 Euro gibt es für die Frau sofort nach Unterzeichnung des Vertrages, den Rest nach Erfüllung des Vertrages. Auf meine Party werde ich einige Frauen, die für dich in Frage kommen einladen. Sollte dir eine davon gefallen, werde ich prüfen, inwieweit die Frau mit unseren Bedingungen einverstanden ist, ohne wirklich viel im Vorfeld zu verraten.“

Paul steht auf, geht zu einem kleinen Beistelltisch auf dem sich eine Karaffe mit bernsteinfarbener Flüssigkeit und Gläser befinden.

„Ich glaub, ich brauch jetzt was Härteres. Ich muss erst mal verdauen, was du dir da ausgedacht hast. Ich muss dir als meinen Anwalt vertrauen, dass das was du da tust, auch mit rechten Dingen zugeht. Sowohl gesetzlich, als auch moralisch. Möchtest du auch einen Whisky?“

Richard verneint und geht lächelnd auf seinen Freund zu. In seinem Gesicht ist jedoch kein Funken an Spott zu bemerken. Vielmehr ist es ein aufrichtiges und freundliches Lächeln.

„Mach dir keine Sorgen. Du wirst sehen, die Geschichte wird dir sogar Spaß machen. Ich werde noch heute anfangen, alles in die Wege zu leiten. Und morgen Abend komme ich zu dir und wir essen gemeinsam. Dann werde ich dir von meinen Fortschritten berichten. “

Nur zehn Minuten später sitzt Paul Baron von Steffen allein resigniert in seinem Arbeitszimmer. Er weiß, es ist schwierig Richard von etwas abzubringen, wenn er von der Sache an sich begeistert ist. Wohl ist Paul nicht, aber die Lawine ist losgetreten und diese Lawine beschert dem Baron nun weitere schlaflose Nächte.

Begegnung mit Folgen

„Leila!!! Würden sie mir helfen? Ich brauche eine Leiter um das Banner aufzuhängen. Ich glaube, hier an dieser Säule kann ich es gut befestigen.“

Das angesprochene junge Mädchen Namens Leila macht sich sofort auf den Weg eine kleine Leiter zu holen. Um diese Leiter gebeten hat Johanna Jennings, eine Kinderbuchautorin, die hier im großen Einkaufszentrum der Stadt zwischen Parma Schinken, Leberwurst, Dreirädern und Sandspielförmchen für Kinder eine Signierstunde geben muss. Dieses Ereignis ist schon intensiv beworben worden und es kann auch nicht abgesagt werden, auch wenn sich Johanna nicht sehr viel davon verspricht.

Der Standort der Signierstunde ist nicht unbedingt gut gewählt, denn es wabert in Abständen immer wieder der doch sehr intensive Geruch der naheliegenden Käseabteilung herüber.

Johannas Geschichte in ihrem Buch handelt von Veli dem Fisch, der viele Kilometer schwimmt um seinen Fluss zu erforschen, eine durchaus lehrreiche Geschichte. Lukrativer waren doch immer noch die weniger lehrreichen Kinderbücher, die unglaublichen und bunten Geschichten voller Fantasie und Magie.

Seufzend sieht sie auf, als Leila eine riesige Leiter heranschleppt. Eine andere war anscheinend nicht aufzutreiben. Mit vereinten Kräften wird das riesige, etwas wackelige Ding aufgestellt und Leila gleich darauf zur Kasse gerufen.

Unwohl fühlt sich Johanna schon, denn sie muss mit ihren 48 Jahren noch auf diese Leiter klettern. Das Alter macht ihr dabei gar nicht so viel aus, aber sie trägt ein enges blaues, nicht allzu langes Kleid und passende High Heels dazu. Dieses Kleid unterstreicht in fast unerhörter Weise ihre kurvige Figur und die hohen Schuhe lassen sie größer wirken. Für eine Signierstunde ist sie ohne Zweifel zu elegant gekleidet, aber sie hat noch am Nachmittag einen Termin bei ihrem Anwalt, um ihre laufenden Verträge zu besprechen.

Entschlossen bläst Johanna sich eine Haarsträhne ihrer nicht zu kurzen dunklen Locken aus der Stirn und begibt sich mutig mit dem Banner in der Hand auf die Leiter.

Eine Strippe des Banners hängt schon, als ihr ein ganz in schwarz gekleideter, attraktiver Mann ins Blickfeld gerät, der mit starren Blick an ihrer Leiter vorbei geht. Ausgeprägte Muskeln zeichnen sich unter seinem schwarzen Shirt ab und strenge stahlblaue Augen lassen diesen Mann fast schon gefährlich wirken. Er ist anscheinend nicht nur für Johanna ein echter Hingucker, denn belustigt nimmt sie auf ihrer Leiter wahr, dass sich auch andere Frauen interessiert nach ihm umdrehen. Hinter ihm schiebt ein etwas älterer, ebenfalls großer, jedoch etwas untersetzter, mit einer Lederjacke und Jeans bekleideter Mann missmutig, gelangweilt und unaufmerksam seinen Einkaufswagen vor sich her. Der vorausgehende Mann in Schwarz, bestehend aus geballten Pheromonen, das wandelnde Sexappeal geht an der Leiter vorbei, ohne auf die Frau auf der Leiter zu beachten. Auch die bewundernden Blicke der einkaufenden Damenwelt scheint er nicht zu bemerken. Der andere Mann mit Einkaufswagen dagegen ist so sehr in Gedanken, dass er Johannas Leiter nicht bemerkt und sie mit seinem Einkaufswagen streift. Die wackelige Leiter gerät beträchtlich ins Schwanken und zwingt Johanna zu reagieren.

Erst ihr entsetzter Schrei lässt den Mann aufmerksam nach oben schauen. Dort entdeckt er eine teuflisch elegante Frau mit verdammt hohen Schuhen auf der schwankenden Leiter.

Johanna kann sich nirgends festhalten und findet mit ihren Schuhen keinen Halt. Sie stürzt mit einem entsetzen Schrei die Leiter hinab und landet in den Armen des Griesgrams, der ihre Leiter so sehr in Bewegung brachte. Doch auch er kann sich durch die Wucht des Aufpralls nicht halten, verliert das Gleichgewicht und so stürzen beide der Länge nach auf den Boden. Johanna landet relativ weich auf seinem Bauch.

Nase an Nase liegen die Beiden aufeinander eine geschlagene Minute am Boden des Einkaufszentrums und starren sich an. Das pure Entsetzen ist im Gesicht des Mannes zu lesen während aus dem Mikrofon des Einkaufszentrums Werbung für Käse- und Gurkenröllchen plärrt. Inzwischen sammeln sich einige Kunden um die Beiden herum, die das Spektakel halb belustigt halb besorgt beobachten. Johanna findet nach dem ersten Schreck ihre Sprache wieder. Wenn es nicht so ernst wäre, würde sie jetzt in hysterisches Gelächter ausbrechen, denn eine ihrer weniger guten Gewohnheiten ist es, in den unmöglichsten Momenten völlig losgelöst zu lachen.

„Ist das so ihre Art eine Frau anzubaggern?“, fragt sie frech und noch ehe sie sich aufrappelt und eine Antwort bekommt, wird sie von diesem Adonis in Schwarz hochgezerrt und im Polizeigriff gegen die Säule gedrückt.

„Aua, sind sie verrückt geworden? Lassen sie mich sofort los! Aber auf der Stelle!!“

Gegen die geballte Kraft des schweigsamen Mannes in Schwarz kann Johanna nichts ausrichten und so drückt er sie immer noch brutal gegen die Säule. Erst als der ältere Mann sich aufgerappelt hat, lässt er los.

„Juri, lassen sie die Frau los. Sie kann nichts dafür.“

Eine grenzenlose Wut überkommt Johanna und ihre massive Angst entlädt sich. Was fällt den beiden Männern überhaupt ein. Sie dreht sich um, holt aus und erteilt den sichtlich überraschten schwarzen Mann eine schallende Ohrfeige. Natürlich muss sie das tun, um ihrer Wut und Angst Luft zu machen, denn zum Lachen ist ihr nicht mehr zumute. Eigentlich hat der andere Mann auch eine Ohrfeige verdient. Doch sie fürchtet zurecht, dass dieser schwarze Hüne vielleicht dann noch brutaler wird.

Blass und erschrocken beginnt der Mann in Lederjacke mit Johanna ein Gespräch:

„Bitte entschuldigen sie vielmals. Ich habe die Leiter einfach übersehen. Ist ihnen Schlimmeres zugestoßen?“

Immer noch wütend zieht sie ihr Kleid glatt und antwortet:

„Nein, ich bin ja weich gefallen. Außer ein paar blauen Flecken habe ich keine Blessuren. Der Sturz war nicht das Schlimmste. Sollte ihnen noch einmal so etwas passieren, pfeifen sie ihren Gorilla gefälligst eher zurück.“

Diese Kritik muss sich dieser Mann gefallen lassen, doch er geht nicht näher darauf ein.

„Wie kann ich den erlittenen Schaden wieder gut machen?“, fragt der Mann verlegen.

Johanna wendet sich inzwischen wieder ihren aufgestapelten Büchern zu und gibt genervt Antwort:

„Am besten ist es, wenn sie einen großen Bogen um mich machen. Lassen sie mich einfach in Ruhe.“

Achselzuckend macht sich der Mann, zusammen mit dem Hünen in Schwarz, den Johanna mittlerweile gar nicht mehr so attraktiv findet, auf den Weg.

***

„Du glaubst nicht, was mir heute, noch vor der Signierstunde im Einkaufszentrum passiert ist…“

Aufgeregt läuft Johanna Jennings im Büro ihres Anwalts hin und her und erzählt wild gestikulierend ihre Erlebnisse im Einkaufszentrum.

„…Wenn dieser Mann nicht so gut beleibt gewesen wäre, hätte ich mir vielleicht sogar was gebrochen, wer weiß. Dann hätte ich Schadensersatz, oder zumindest Verdienstausfall von ihm verlangt. Aber wirklich!“

„Geht es dir gut? Unter Umständen könnten wir ihn durchaus belangen. Es wäre sicher kein Problem ihn ausfindig zu machen und das würde deiner momentanen finanziellen Situation zugutekommen“, antwortet Johannas Anwalt ruhig von seinem Schreibtisch aus.

Doch sie winkt ab:

„Nein, mir fehlt nichts und es scheint mir nicht richtig, ihn auszupressen wie eine Zitrone, auch wenn mir dieser Gorilla richtig Angst eingejagt hat. Viel Wichtiger ist doch zu erreichen, dass der Verlag endlich zahlt. Ich habe noch nicht mal die Honorarabrechnung für das Weihnachtsgeschäft, und das lief meines Wissens gut.“

„Gut, ich werde mich darum kümmern. Wenn du Geld brauchst, sag es mir, ich helfe dir gern aus, bis der Verlag zahlt.“

Johanna setzt sich und lächelt. Aber trotz vorherrschender Geldsorgen lehnt sie das Angebot ihres Anwalts und guten Freundes ab.

„Nein nein, ich komme schon über die Runden. Immerhin brauche ich keine Miete zu bezahlen, dank deiner Weitsicht vor Jahren.“

Lange kennen sich Johanna Jennings und ihr Anwalt Richard Sennefeld schon. Er stand damals kurz vor dem zweiten juristischen Staatsexamen und hatte bereits mit Immobiliengeschäften zu tun. So finanzierte er sich das Studium. Er riet ihr zum Kauf der kleinen Wohnung in einem alten Fabrikgebäude. Damals wurden aufgelassene Fabriken in der Stadt reihenweise in Studentenwohnungen umgebaut und Johanna hat eine davon erworben.

Lachend steht Richard auf und auch Johanna erhebt sich.

„Gern geschehen. Es ist doch immer wieder schön zu sehen, dass ich schon damals die nötige Kompetenz hatte, um dir richtig zu raten. Übrigens gebe ich morgen Abend eine kleine Party in meiner Wohnung und du bist herzlich eingeladen, aber jetzt musst du mich entschuldigen. Ich bin zum Essen verabredet. Darf ich dich nach Hause fahren?“

Johanna lacht und blinzelt ihrem Anwalt frech zu.

„Na, welche Schönheit führst du diese Woche aus?“

Auch Richard muss lachen, nimmt Johanna freundschaftlich in die Arme und küsst sie zum Abschied auf die Wange.

„Leider keine Schönheit, eher ein alter Kauz, mit dem ich heute esse. Aber er ist mein bester Freund. Kommst du nun morgen?“

„Gern, auch wenn die Einladung recht kurzfristig erfolgt ist. Aber ich habe nichts anderes vor, also warum nicht. Danke für die Einladung.“

Richard fährt Johanna nach Hause um sich gleich auf den Weg aufs Land zu machen, nach Schloss Herken.

***

Mittlerweile ist es dunkel geworden. Richard fährt die Allee zum Schloss hinauf und sieht schon das leicht erhellte Portal. Mit einer Flasche gutem Wein betritt er die Treppe und begrüßt den Hausherren, der ihn mit umgebundener Schürze und einem Kochlöffel in der Hand die Tür persönlich öffnet. Belustigt über den Auftritt des Barons schüttelt er seinem Freund die Hand, während ihm Juri Mantel und Schal abnimmt.

„Hallo Richard, komm herein. Heute gibt es Fisch. Ich hoffe du bist damit einverstanden.“

„Guten Abend Paul. Du weißt, ich esse alles und was du kochst, schmeckt immer.“

Richard folgt Paul in die Küche, die sich im unteren Stockwerk des Schlosses befindet. Sie ist modern und mit allen Schikanen, die eine gute Küche bieten muss, ausgestattet. Weil der gesamte Küchenraum ziemlich groß ist, befindet sich auch noch ein mächtiger Tisch mit unzähligen Stühlen drum herum darin. Früher war das der Speiseraum der Dienerschaft, die sich zu Zeiten von Paul von Steffens Eltern noch hier tummelte. Erst der junge Baron hat das Personal auf Juri, den Butler, die beiden Haushälterinnen aus dem Dorf, einen Pferdepfleger und drei Gärtner auf Abruf beschränkt.

Die angrenzende riesige Speisekammer mit separatem Eingang hat der jagdbegeisterte Hausherr in ein Schlachthaus mit Kühlung umbauen lassen. Ein Speisezimmer mit großer Tafel und opulenten Leuchtern befindet sich gegenüber der Küche, dort ist für das Essen auch bereits gedeckt.

Wenn Richard es nicht gewöhnt wäre, würde ihm diese massive Pracht glatt erschlagen. Im Esszimmer, das wohl eher einem Speisesaal gleicht, befinden sich neben dem langen Tisch in der Mitte, noch die vielen alten Schränke und Vitrinen gefüllt mit dem Familiensilber und mehreren verschiedenen Servicen aus edlem Porzellan. Den Tisch, beziehungsweise die lange Tafel zieren massive Silberleuchter und frische Blumenbouquets. Ein riesiger, dicker Teppich dämpft die Schritte und verbreitet zumindest einen Ansatz von Gemütlichkeit. Richard setzt sich auf einen der schweren Stühle, während Juri Wein einschenkt und das Essen aufträgt.

Richard genießt das Essen, während Paul nachdenklich in seinem Teller herumstochert und eher dem Wein zuspricht.

„Paul, was ist los? Du wirkst so abwesend. Geht dir die Geschichte, die wir gestern besprochen haben noch so nahe?“

Der Baron setzt sein Glas ab und atmet tief.

„Nein, wenn ich ehrlich bin, habe ich gar nicht mehr daran gedacht. Mir ist heute was passiert, was unter Umständen für mich Folgen haben könnte. Ungute Folgen…“

Richard zieht die Augenbrauen hoch und ist ganz aufmerksam. Sorgen macht er sich keine, denn er ist es gewöhnt, Probleme jeder Art aus dem Weg zu räumen.

„Was ist passiert? Hast du mit einer Frau geschlafen, die nun ungewollt ein Kind erwartet? … Das wären zumindest ungute Folgen für dich, bei deinem Vermögen.“

Paul trinkt stirnrunzelnd sein Glas aus und schenkt selbst nach.

„Quatsch. Gestern habe ich dir erzählt, dass ich schon eine Ewigkeit keine Frau mehr hatte. Das ist es nicht… Ich hatte heute eine erschreckende Begegnung im Einkaufszentrum.“

Richard grinst:

„Wieso? Ist dir deine Schwester begegnet?“

Lachen kann Paul über den Scherz gar nicht. Nur Richard grinst immer noch.

„Heute war ich mit Juri einkaufen. Du weißt, wenn ich koche, kaufe ich auch selbst ein. Naja, ich habe nicht aufgepasst und bin mit dem Einkaufswagen gegen eine Leiter gefahren, auf der eine Frau stand. Sie ist runtergefallen. Auch wenn ich selbst die Wucht des Aufpralls gemindert hab, kann es sein, dass sie sich doch was getan hat und mich verklagt“, erklärt Paul seinem Freund, dessen Grinsen immer breiter wird.

„Lieber Freund, der Sturz war sicher kein Problem. Wohl eher Juris Attacke. Er geht, was deinen Schutz betrifft entschieden zu weit.“

Paul horcht auf:

„Woher weißt du von Juris Attacke? Ich habe dir nicht davon erzählt.“

Kauend gibt Richard Auskunft.

„Ganz einfach, die Frau, die es betrifft, hat mir heute von deinem markanten Annäherungsversuch berichtet. Aber keine Angst. Sie kam in einer anderen Angelegenheit zu mir und wird dich nicht weiter belangen.“

Auf einmal ist Baron Paul von Steffen sichtlich aufgeregt. Er vergisst darüber sogar zu essen.

„Du kennst sie? Wer ist sie?“

Richard sinkt schon satt in die Lehne des teuer gepolsterten Stuhles und grinst:

„Wieso interessiert dich das? Ich habe dir gesagt, dass sie dich nicht weiter belangen wird.“

Paul zwingt sich zur Ruhe und isst weiter.

„Naja, sie ist eine sehr beeindruckende Persönlichkeit und sie hat eine harte Rechte…“

„Sie hat was???“, fragt Richard erstaunt.

„Es hat nicht viel gefehlt und sie hätte Juri ein blaues Auge verpasst. Zumindest war es eine richtige Ohrfeige. Juris Wange ist immer noch verdächtig rot. Ich habe sie gefragt, ob ich die Sache wieder gut machen kann, aber sie meinte nur, ich solle einen großen Bogen um sie machen.“

Beherzt steckt Paul sein letztes Stück Fisch in den Mund. So gibt Richard seinen Kommentar dazu:

„Oh ja, ich glaube nicht, dass sie sehr gut auf dich oder Juri zu sprechen ist. Trotzdem wird sie diese Angelegenheit nicht weiter verfolgen. Also kein Grund sich darüber Sorgen zu machen. Wir sollten uns jetzt eher auf unser Vorhaben konzentrieren und alles in die Wege leiten. Ich habe bereits erste Vorkehrungen getroffen.“

Genau beobachtet Richard seinen Freund und merkt sehr schnell, dass Paul ihm nicht zuhört. Denn dieser starrt sich nachdenklich am Blumenbouquet fest.

„Paul???“

Immer noch keine Reaktion vom Baron.

„Paul, sag mal, hörst du mir überhaupt zu? Was ist mit dir los?“

Paul schreckt auf und entschuldigt sich sofort:

„Bitte entschuldige, ich war in Gedanken.“

In Richards Gesicht macht sich wieder ein Grinsen breit:

„Na, dich beschäftigt diese Geschichte ja mächtig.“

„Sowas erlebt man ja nicht alle Tage. Diese Frau lag auf mir, am Boden des Einkaufszentrums und eine ganze Horde neugieriger Menschen stand um uns herum. War schon peinlich, das Ganze. Gut, dass mich in der Stadt so gut wie keiner kennt.“

Juri kommt, räumt die Teller ab und trägt das Dessert auf. Doch bevor Richard sich ans Essen macht, fragt er kopfschüttelnd weiter:

„Ihr lagt am Boden??? Aufeinander??? Ich dachte, du hast sie aufgefangen.“

Jetzt ist zur Abwechslung mal Richard überrascht und Paul macht sich nun grinsend über sein Dessert her.

„Hat sie dir das nicht erzählt?“

„Nein nicht so detailliert. Aber das muss ein Bild für Götter gewesen sein.“

„Ja war es vermutlich. Sie fragte mich noch, ob das so meine Art sei, eine Frau kennenzulernen. Ich glaube sie verwendete den Begriff >anbaggern<.“

Richard lachte lauthals:

„Das ist typisch Johanna.“

Sofort horcht Paul auf. Er ist seltsam aufmerksam, obwohl er sonst nach einem guten Essen wohl eher zu einem Schläfchen neigt.

„Sie heißt Johanna? Schöner Name. Woher kommt sie? Arbeitet sie im Einkaufszentrum?“

Immer noch grinsend lässt Richard seinen Freund schmoren:

„Du kannst sie ja selbst fragen, morgen auf meiner Party.“

Pauls Körper schnellt in eine kerzengerade Sitzstellung:

„Sie kommt morgen? Aber was soll ich mit ihr reden? Sie wollte schließlich, dass ich einen großen Bogen um sie machen soll“, meint der Baron aufgeregt.

Richard kratzt gelassen die letzten Reste seines Desserts aus der Schale.

„Dir wird schon was einfallen. Außerdem ist Johanna nicht auf den Mund gefallen und sie ist nicht die einzige Frau auf meiner Party. Mach dir keine Sorgen.“

Neue Ufer

Juri lenkt den schwarzen Mercedes in eine elitäre Wohngegend und hält vor einem gläsernen Hochhaus, dessen oberstes Stockwerk grell beleuchtet ist. Richard Sennefelds Penthouse ist Baron von Steffens Ziel, dort soll die Party stattfinden.

Elegant, im makellos weißen Hemd, dunklen Anzug und Krawatte, ausgestattet mit einer teuren Flasche Whisky als Geschenk fährt der Baron im Aufzug bis ganz nach oben. Die Unruhe, die er schon den ganzen Tag spürt, mündet nun in eine seltsame Aufgeregtheit, die der sonst eher gelassene Baron nicht kennt.

Der Aufzug öffnet sich oben und als erstes nimmt er viele, in kleinen Grüppchen verteilte, gutaussehende Männer und Frauen wahr, die sich mit Champagner in der Hand mehr oder weniger gut unterhalten, lachen und einige sogar tanzen. Die vielen Menschen verteilen sich gut in Richards modernem, einem Loft ähnlich gestalteten Penthouse. Paul sieht erstaunt in die dem Wohnraum angrenzende große, offene Küche, in der junge Bedienungen immer wieder Tabletts mit Champagner, Wein und andere Getränke ausschenken und auch verteilen. Der Geräuschpegel wird merklich höher, je weiter er in die Gefilde des Richard Sennefeld vordringt.

Paul drängt sich an verschiedenen Menschen vorbei, schüttelt Hände von den wenigen Bekannten auf dieser Party und versucht verzweifelt das befremdliche Gefühl der erzwungenen Nähe zu den vielen Gästen und der damit verbundenen Enge loszuwerden. Er ist solche Menschenansammlungen einfach nicht gewöhnt und versucht auch immer allen Zwängen dieser Art aus dem Weg zu gehen.

Nach einiger Zeit entdeckt er Richard, der mit einer hochgewachsenen Blondine in einem aufreizend kurzen Kleid ein angeregtes Gespräch führt. Auch Richard bemerkt Paul und bindet ihn sogleich mit in die Unterhaltung ein.

„Guten Abend Paul, schön dass du da bist. Darf ich dir Gabriela Harms vorstellen? Gabriela, das ist Paul Baron von Steffen.“

Paul schüttelt die Hand der Blondine. Sie klimpert mit den überlangen, angeklebten Wimpern, die Paul fasziniert betrachtet und flötet angetan:

„Oh, einen richtigen Baron habe ich noch nie kennengelernt.“

„Guten Abend Frau Harms, das muss sie nicht beeindrucken, ich lege keinen allzu großen Wert auf Titel“, meint Paul und wendet sich wieder Richard zu.

„Hallo Richard, deine Party ist ja ganz schön in Fahrt. Hier, ein guter Tropfen aus Irland.“

Er hält Richard die Flasche hin, die er dankbar entgegennimmt.

„Danke, komm Paul, ich stell dir weitere Gäste vor. Gabriela, du entschuldigst uns…“

Er zerrt Paul von einer zur anderen Gruppe und stellt ihn vielen verschiedenen Frauen und Männern vor. Durchaus wichtige Persönlichkeiten sind darunter und der Baron ist schnell dabei, geschäftliche Kontakte zu knüpfen. Wenn er das laut Richard schon machen muss, dann soll es wenigstens auch von Nutzen sein.

In Pauls gefühlskarger Art zu leben ist irgendwie alles ein Geschäft. Zumindest macht er aus allem ein Geschäft. Das ist wohl das Geheimnis seines Erfolges. Anstatt sich interessiert und eventuell auch charmant einigen der anwesenden Frauen zuzuwenden, unterhält sich Paul geschäftlich mit einer Gruppe Männern.

Bisher hat sich Paul von Richards diversen, in regelmäßigen Abständen stattfindenden Partys gedrückt, aber nun lernt er Hoteldirektoren, Bänker, Industriebosse und Kunstmäzene durch ihn kennen. Natürlich sind auch Politiker, hohe Beamte und Anwaltskollegen darunter. Anwältinnen, Geschäftsfrauen der Stadt, Sekretärinnen und Ärztinnen sind unter den vorgestellten Damen und es sind auch einige Sternchen dabei, die außer ihrem guten Aussehen nichts vorzuweisen haben, noch nicht mal Grips.

Eine hochgewachsene, sehr attraktive junge Dame nähert sich Paul. Bevor er ein Gespräch beginnt, stellt sich ihm die Frau sehr selbstbewusst als Dr. Yvonne Scheidler vor. Auch Paul nennt seinen Namen und schüttelt ihr höflich die Hand. Frau Dr. Scheidler sieht wirklich sehr gut aus. Ihre wasserblauen Augen faszinieren den Baron und er denkt darüber nach, dass die schwarze Haarfarbe nicht zu diesen hellen Augen passen kann.

„Sind ihre Haare gefärbt?“, rutscht es Paul heraus und es ist ihm auch gleich furchtbar peinlich, denn der entsetzte und ein wenig überraschte Blick seiner Gesprächspartnerin lässt darauf schließen, dass er wohl gerade in ein Fettnäpfchen getreten ist.

„Bitte verzeihen sie, ich habe nur gerade überlegt, dass ihr Haar so gar nicht zu ihren schönen Augen passt“, versucht er zu relativieren.

Irgendwie funktioniert das mit dem Komplimente machen nicht wirklich gut. Paul nimmt sich vor mit Richard mal ein Gespräch darüber zu führen. Inzwischen kommt Leben in Pauls Gegenüber.

„Ich muss zugeben, so eine Frage hat mir noch kein Mann gestellt…Nein, meine Haarfarbe ist nicht natürlich. Sie sind getönt, nicht gefärbt. Und wenn sie es genau wissen wollen, ist auch die Farbe meiner Augen nicht echt. …Kontaktlinsen…!“, meint Frau Dr. Scheidler pikiert und starrt den Baron direkt an.

Etwas peinlich berührt trinkt Paul einen Schluck aus seinem Sektglas. Jetzt sind wohl alle Äußerlichkeiten geklärt. Auch wenn der gute Baron den Unterschied zwischen färben und tönen nicht wirklich weiß, spürt er durchaus, dass es wohl besser ist, nun nicht danach zu fragen. Paul entschuldigt sich und das Gespräch beginnt zu stocken. Stattdessen macht er sich nun Gedanken, was an dieser Frau sonst noch falsch sein könnte. Frau Dr. Scheidler spürt seinen Blick auf ihren Körper und verabschiedet sich sehr schnell. Sicher befürchtete sie weitere indiskrete Fragen über zur Schau gestellte Äußerlichkeiten.

Richard nähert sich Paul, der nun schon ein paar Minuten alleine herumsteht.

„Na, hast du dich mit Yvonne gut unterhalten? Ich finde, sie passt sehr gut zu dir“, meint Richard und trinkt sein Glas aus.

Fast gelangweilt antwortet Paul ihm:

„Von wegen, sie passt gut. Sie ist eine Mogelpackung. Von vorn bis hinten.“

Überrascht reagiert Richard:

„Mogelpackung? Wie kommst du darauf?“

Paul seufzt:

„Ich habe sie gefragt, ob sie ihre Haare färbt, weil diese tiefschwarzen Haare nicht zu ihren Augen passen. Sie antwortete mir, dass ihr Haar getönt sei und sie blaue Kontaktlinsen trägt. Und ehrlich gesagt, habe ich mich gefragt, ob sie noch weitere künstliche Accessoires an sich hat.“

Richard kann nur noch den Kopf schütteln:

„Meine Güte Paul, so etwas fragt man eine Frau nicht. Kannst du dich nicht auf höfliche zwanglose Konversation beschränken? Ich finde sie sehr attraktiv und dumm ist sie auch nicht.“

Stirnrunzelnd reagiert Paul auf die Äußerungen seines Freundes:

„Ich finde sie nicht wirklich attraktiv und ob sie intelligent ist, konnte ich dem kurzen Gespräch nicht entnehmen. Warum nimmst du sie nicht?“

Richard grinst:

„Sie ist Anwältin, eine Kollegin von mir. So viel zu ihrem Intelligenzquotienten. Und was das Andere betrifft, …vielleicht hatte ich sie ja schon mal.“

„Ach!“, meint Paul nun überrascht, „bekomme ich nun das, was du übrig lässt?“

Richard winkt einen der Kellner heran und nimmt sich gelassen ein weiteres Glas Champagner vom Tablett.