Unknown Emotion - Karin Hildebrandt - E-Book

Unknown Emotion E-Book

Karin Hildebrandt

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Beschreibung

Die hübsche Eventmanagerin Anna kommt aus Bayern nach Berlin, um eine neue Arbeitsstelle anzutreten. Ihr beschauliches und geplantes Leben gerät durcheinander, als sie den Chef von Eltron Electronics kennenlernt, denn nun muss sie sich ihren Dämonen stellen. Auch tragische Ereignisse halten Anna nicht davon ab an Frank Eltron festzuhalten, denn mit ihm entdeckt sie neue Dimensionen ihrer Erotik. Entschlossen stellt sie sich dem Wagnis der Liebe.

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Seitenzahl: 1225

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Karin Hildebrandt

UnknownEmotion

Das Wagnis Liebe

© 2016 Karin Hildebrandt

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

Paperback:

978-3-7345-5036-2

Hardcover:

978-3-7345-5037-9

e-Book:

978-3-7345-5038-6

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Für Peter,

meinen ganz besonderen Ehemann.

Vielen Dank an meine Kinder:

Benjamin, der immer auf meiner Seite ist.

Für Eric, der mich unterstützt und mir hilft.

Für Annika, die mich immer wieder ermutigt und an mich glaubt.

Kapitel 1

Herrgott, was hat mich für ein Teufel geritten ausgerechnet hierher zu kommen. Berlin ist nicht München, und schon gar nicht Hochfelden, denke ich mürrisch und starre auf meinen Computer. Es ist schon später Nachmittag.

Ich suche gerade die U Bahnverbindungen, denn Auto fahren gehört nicht unbedingt zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Schon in München setzte ich mich kaum hinters Steuer, wozu auch. Es gibt schließlich U- und S Bahnen und zur Not mein Fahrrad, dass sobald das Wetter es zulassen würde, wieder zum Einsatz käme. Jetzt im März ist es aber dafür eindeutig zu kühl.

Seit zwei Wochen arbeite ich nun in Berlin. Und als Bayerin im Oberland, in den Bergen daheim, fühle ich mich eigentlich irgendwie am falschen Platz. Es könnte nicht gegensätzlicher sein.

Schon in München lernte ich das Großstadtleben kennen und schätzen, aber Berlin ist voller Energie, pulsiert und beeindruckt. Sorgfältig will ich diese Stadt kennen lernen, mir die unglaubliche Präsenz zu Eigen machen und alle Gerüche, Verrücktheiten und Farben einprägen.

***

Da ich mir erst einmal ein Bild über mein Aufgabengebiet in der Firma machen muss, in der ich nun arbeite, habe ich bisher nicht so sehr viel zu tun und kann mich um meinen endgültigen Umzug kümmern.

Endgültig… dieses Wort hat sowas unumstößliches, deshalb bin ich in Sachen Umzug noch etwas zurückhaltend. Schließlich habe ich mit der Geschäftsleitung eine sechsmonatige Probezeit vereinbart. Obwohl ich nicht glaube, dass die Firmenleitung irgendwas an mir auszusetzen hat, warte ich lieber ab und richte mich noch etwas provisorisch in dem kleinen Häuschen an einem Fluss ein, dass mir die Firma für die ich arbeite zur Verfügung gestellt hat. Man benutzt es als Gästehaus, hab ich mir sagen lassen. Es ist klein, nett und für mich vollkommen ausreichend. Nur wenige, sehr persönliche Dinge sind notwendig, um mein neues Zuhause wohnlich und behaglich zu gestalten. Alles strahlt Ruhe aus, als krassen Gegensatz zum pulsierenden, unruhigen und sich im stetigen Wandel befindlichen Berlin.

Gleich wenn man die Haustür aufschließt, steht man in einer Art Wohnzimmer mit großzügiger Couch und einer kleinen Küchennische. Auf der rechten Seite des Häuschens befindet sich ein schönes Bad mit Dusche, Wanne und sogar einer Waschmaschine. Auf der linken Seite kann man durch eine alte, quietschende Holztür das Schlafzimmer erreichen. Darin steht ein altes, aber ultrabequemes französisches Bett, ein Holztisch mit leicht gekrümmten Beinen, der eigentlich als Frisierkommode dienen sollte, den ich aber umfunktionieren will, als Nähtisch. Außerdem ist ein mehr als großzügiger Wandschrank im Schlafzimmer. Ich bin ja wirklich ein einfacher Mensch, aber wie fast alle Frauen kann auch ich an schönen Schuhen und schönen Kleidern kaum vorbei gehen.

Das Ganze hat den Charme des einfachen Lebens, das mir nicht fremd ist. Ich fühle mich sehr wohl.

***

Immer noch starre ich im Büro auf den Monitor meines Computers und ärgere mich, denn eine Monatskarte übers Internet zu buchen ist anscheinend nicht so einfach, vor allem für die Berliner Verkehrsbetriebe. Ich lasse es und entschließe mich noch einmal Kleingeld für das Ticket rauszusuchen. In Gedanken schlüpfe ich in meinen Mantel, packe mein Laptop ein und will mich schnellstens auf den Weg in mein neues Heim machen. Draußen hat es zu regnen begonnen und zum ersten Mal seit langem bedaure ich, kein Auto zu haben. Bis zur U-Bahn muss ich noch ein ganzes Stück laufen.

Ich denke darüber nach, was ich eigentlich hier tue, wie ich zu diesem Job in der Hauptstadt überhaupt gekommen bin und wie schnell alles ging. Eigentlich hatte ich einen wirklich guten Arbeitsplatz mit allem mir notwendigen und über Jahre aufwendig geknüpften Kontakten. Jetzt muss ich damit von vorne beginnen, denn Kontakte sind in meinem Job das Wichtigste. Ich organisiere Menschen und Firmen in Politik und Wirtschaft, versuche immer das Beste herauszuholen und wenn ich meinen bisherigen Chefs glauben kann, bin ich gut in dem was ich mache.

Trotzdem ist mir nicht ganz klar, welche Aufgaben ich habe, in diesem florierenden Elektronik- und Anlagenbauunternehmen für Logistik, das weltweit agiert. Immerhin habe ich einen gut dotierten Arbeitsplatz in München aufgegeben und mich für Berlin entschieden.

Eigentlich weiß ich sehr wohl, warum ich hier bin. Nicht näher muss ich mich selbst hinterfragen. Mich locken die Herausforderung, die Vielfalt und die Menschen um mich herum. Das hat mich dazu gebracht, meine Entscheidung für Berlin zu fällen.

Was aber noch erschwerend hinzukommt, ist die Anzahl meiner Chefs. Gleich drei davon hab ich zufrieden zu stellen. Sicher keine leichte Angelegenheit, aber vielleicht bin ich auch gerade deshalb da, wer weiß...

***

Die Senior Chefin Rosa Eltron habe ich bereits kennen gelernt. Eine überaus elegante und streng wirkende Dame, hochgewachsen, brünett und überaus scharfsinnig. Sie hat aber warme, freundliche Augen und eine sehr nette Art. Dennoch zweifle ich nicht an ihrer Kompetenz. Doch sie zieht sich schon mehr und mehr aus dem Unternehmen zurück. Da ich mich grundsätzlich über die Menschen informiere, mit denen ich zu tun habe, weiß ich, dass sie 69 Jahre alt ist und im Alter von 30 Jahren und zwei kleinen Kindern gezwungen war, das Unternehmen zu leiten, da ihr Mann überraschend starb. Das respektiere ich sehr, denn das ist immer mit vielen familiären Einschnitten verbunden. Ihre beiden Söhne hatten sicherlich nicht sehr viel von ihr als Mutter.

Ich überlege ob vielleicht deshalb keine weiteren Nachkommen da sind.

Hm, das geht mich nichts an, sage ich zu mir selbst, starre aus dem Fenster und bemerke, dass der Regen nachgelassen hat.

Ich mache mich auf den Weg und denke weiter über meine zukünftigen Chefs nach.

Hektor, Rosas ältester Sohn und Doris Eltron, seine Frau kenne ich schon länger. Noch aus meiner Zeit in München. Er hat mich für seine Firma auch abgeworben. Ich organisierte damals in München, im Bayrischen Hof ein Wirtschaftssymposium. Dort waren wichtige Industriebosse mit ihren Frauen anwesend. Doris Eltrons Nieren versagten und sie musste ihre erste Dialyse in Anspruch nehmen. Ich brachte sie ins Krankenhaus, freundete mich mit ihr an und brachte sie danach zu meiner Mutter, meinem Bruder und dessen Frau auf unseren Bauernhof nach Hochfelden. Sie erholte sich wunderbar und seither waren die beiden regelmäßig Gäste in Bayern auf dem Hof meines Bruders Anton und seiner Frau Christl.

Doris ist 42 Jahre alt, aber mit ihren kurzen, frechen schwarzen Haaren und den verschmitzten Augen wirkt sie wesentlich jünger. Sie versteht es, sich vorteilhaft zu kleiden und ist immer guter Dinge. Ich muss grinsen auf dem Weg nach Hause. Wir haben wirklich viel Spaß miteinander und sie hilft mir, mich hier in der Hauptstadt zumindest zu Anfang zurecht zu finden.

Hektor ist ein schlanker, großer und sehr stiller Mann. Doch so mancher Geschäftspartner hat ihn auf Grund des ersten Eindrucks schon unterschätzt. Er ist als hartnäckiger Verhandlungspartner bekannt, der sich äußerst selten aus der Ruhe bringen lässt. Sein langsam weiß werdendes, volles Haar, die dunkle Brille und die makellose Kleidung unterstützen sein seriöses Auftreten.

Den 3. Chef des Unternehmens kenne ich noch nicht persönlich. Er ist gerade geschäftlich in Südafrika und kommt heute Nacht wieder zurück. Ich soll ihn laut Hektor morgen Abend kennen lernen.

Natürlich habe ich mich informiert. Seinen Internetauftritt in dem "Über uns" Sektor der Firma hab ich mir genau angeschaut. Er heißt Frank, ist 42 Jahre alt und sieht seinem Bruder nicht ein bisschen ähnlich. Er wirkt zwar genauso groß wie Hektor, ist aber vom Typ eher dunkler und hat ein wenig Übergewicht.

Wahrscheinlich schmeckt´s ihm, denke ich mir lächelnd und steige in die relativ volle U-Bahn.

Natürlich konnte er ebenfalls schon beachtliche Erfolge für die Firma verbuchen. Anscheinend arbeiten die beiden Brüder sehr gut und erfolgreich zusammen. Das wiederum kommt mir zu Gute, denn ich habe keine Lust, eventuell zwischen zwei streitenden Brüdern zu vermitteln.

***

Mit flauschigen Socken, einen noch flauschigeren Schlafanzug, meinen Lieblings Kuh-Hausschuhen und einer Packung Kleenex liege ich auf der Couch und schau mir einen traurigen Film im Fernsehen an. Ich weine regelmäßig mit. Ich ärgere mich darüber, denn bei jeder Gelegenheit breche ich in Tränen aus. Mich ärgert es, dass ich meine Gefühle so schlecht verbergen kann. Das hat mich das ein oder andere Mal schon in mächtige Schwierigkeiten gebracht, denn bevor ich in Tränen ausbreche lasse ich alles was mich wütend macht schonungslos raus. Wut ist besser als Tränen. Mit Wut kann ich Rührung und Verletzlichkeit verbergen. Ich habe schon sehr wichtigen Menschen eine Menge großer Brocken an den Kopf geworfen, was mir früher den Ruf einbrachte recht schwierig zu sein. Heute kann ich darüber lachen, zumindest meistens.

Oft war es erforderlich meinen Charme einzusetzen um wieder gut zu machen. Keine Frage, ich besitze die Größe mich zu entschuldigen, aber nur, wenn es angebracht ist.

***

Meine Meinung ist auch, dass jeder Mensch, egal welcher Herkunft oder welcher Bildung durchaus in seinem Leben etwas erreichen kann. Daher besteht meine Aufgabe darin, das Potential eines jeden Einzelnen mit dem ich zu tun habe, zu nutzen. Selten mache ich zwischen Menschen Unterschiede. Es ist mir vollkommen egal ob ein reicher Mogul oder eine arme Putzfrau vor mir steht. Im Gegenteil, ich habe im Laufe meiner ungewöhnlichen Karriere gelernt auch die ganz einfachen Menschen in mein Netzwerk einzufügen.

Erst vor ein paar Tagen machte ich Bekanntschaft mit der Betreiberin der Wurstbude während ich mir zu Mittag eine Leberkäse Semmel gönnte. Ich wundere mich, dass es sowas in Berlin überhaupt gibt. Es stellt sich heraus, dass der Schwager der Wurstbraterin eine kleine Firma hat, die Besichtigungstouren für Touristen anbietet. Ich kontaktierte ihn und buchte für letztes Wochenende gleich eine Tour für mich um mir ein Bild zu machen. Es hat richtig Spaß gemacht und weil wir schon dabei waren, hat der Schwager der Wurstbraterin mit Namen Markus mich auch gleich einer Hotelmanagerin, die er kannte vorgestellt.

Alles in Allen ein erfolgreiches Wochenende in Berlin.

***

In der ersten Woche setze ich mich mit Firmenstrukturen und Geschäftspartnern auseinander. Zuerst ist es angebracht sich einen gewissen Überblick zu verschaffen, das ist mir durchaus klar. Auch dabei hilft mir Doris, soweit sie selbst informiert ist. Doris ist Psychologin. Von der Firma hat sie gar nicht so viel Ahnung. Aber ich nutze ihre spärlichen Informationen.

In der zweiten Woche, die nun schon fast rum ist, habe ich begonnen die Terminkalender der Chefs zu optimieren und jeden Schritt per Email erklärt. Kontaktiert wurde ich bereits von einer chinesischen Firma, die eine Gruppe, bestehend aus amtierenden Vorständen und einigen Ingenieuren nach Berlin schicken, die die heiligen Hallen von Eltron Elektronics besichtigen und mit den Chefs verhandeln wollen. Worum es dabei gehen sollte, ist mir egal. Ich habe die Aufgabe alle Termine zu koordinieren und das tue ich auch.

***

Bei meinen Überlegungen hab ich gar nicht gemerkt, dass mein Film geendet hat. Ich hab also keine weiteren Tränen mehr vergossen. Ich beschließe ins Bett zu gehen und mir vorher meine Kleidung für morgen rauszulegen. Meine Gedanken wanderten wieder zu den Chinesen.

Wenn die Termine morgen von der Geschäftsleitung bestätigt werden, kann ich schon damit anfangen die Zeit der Chinesen in Berlin zu organisieren. Hm.

Gedankenversunken wähle ich einen weit schwingenden beigen Rock, eine hellblaue Bluse dazu und eine cremefarbene Stickjacke. Dazu wollte ich unbedingt meine cremefarbenen High Heels anziehen. Ich liebe High Heels. Sie gleichen meine Defizite aus, denn ich bin nicht sehr groß. Ansonsten kann ich über mein Aussehen nicht klagen. Ich bin schlank, einigermaßen gut gebaut und relativ sportlich. Meine Haare sind ziemlich lang, was so sein muss, denn sie sind lockig und widerspenstig. Wenn sie nun kürzer wären, würde ich glatt wie ein Wischmopp aussehen. Und sie sind natürlich blond, was mir schon dumme Blondinenwitze über mich von wenig intelligenten Leuten einbrachte. Ich bin immer ein wenig zu blass, zumindest im Winter und ich betrachtete die Welt mit großen grau-blauen Augen, die sich bei jeder unpassenden Gelegenheit mit Tränen füllen, wie schon gesagt.

Mit den Gedanken bei Doris, die ich morgen in der Mittagspause in der Dialysestation im Krankenhaus besuchen will, schlafe ich ein.

***

Teuflisch elegant mit High Heels, aber klamm bis auf die Knochen komme ich am nächsten Morgen in der Firma an. Es regnet nicht, aber ein kalter Wind sticht wie Nadeln in meine Waden. Vielleicht hätte ich doch lieber wärmende Stiefel anziehen sollen. Vom Wind zerzaust und frierend laufe ich so schnell wie nur möglich auf hohen Schuhen die wenigen Stufen zum Eingang des Eltron-Towers, wie man das Büro-Hochhaus der Firma nennt, hinauf.

Obwohl ich eine Stunde früher dran bin, weil ich die Mittagspause bei Doris etwas ausweiten will, ist das Sicherheitspersonal schon da. Ich grüße auch die junge Frau am Empfang und mache mich schnell auf den Weg zu den Aufzügen. Mühsam versuche ich meine total wirren Haare wieder in Form zu bringen, während ich in mein Büro hochfahre, obwohl ich weiß, dass um diese Zeit noch niemand in der Abteilung ist.

Na, wenigstens passt das Make Up noch, sage ich leise zu mir selbst. Ich sehe mich im Spiegel des Aufzuges und das einzige was passt ist tatsächlich das dezente Make Up. Durch den Wind und die Feuchtigkeit draußen haben sich einige wilde Locken aus meinem Zopf gelöst.

Genervt zerre ich an meinen Haarklammern

Ich weiß nicht, irgendwie sind meine Haare noch wuschiger als sonst, verdammt noch mal!

Ich gebe mich geschlagen und beschließe die Haare offen zu tragen.

Gedankenversunken und mit offenen Haaren warte ich darauf, dass sich die Türen des Aufzuges öffnen. Ich mache einen Schritt vorwärts und bleibe mit dem dünnen Absatz meines linken High Heels in der unteren Führungsschiene der Tür hängen, falle nach vorne und ehe ich mir der lächerlichen Situation in der ich mich befinde bewusst werde, falle ich in die Arme eines Mannes.

Gott wie peinlich. Dieser Scheißtag fängt ja gut an, denke ich und schaue mit hochroten Kopf den Mann an, der mich aufgefangen hat und immer noch hält, denn mein Absatz steckt immer noch in der Schiene. Starke Arme umschlingen meine Taille und ein äußerst anregender Duft von Duschgel oder Herrenparfüm steigt mir in die Nase.

"Heiliger Bimbam!“, entfährt es mir, bevor ich es verhindern kann. Ich schaue in zwei tiefblaue Augen, die mich wiederum ausdruckslos anstarren. Mit klopfenden Herz und hochroten Gesicht rapple ich mich hoch und entschuldige mich:

"Bitte entschuldigen sie. Sowas ist mir auch noch nicht passiert." Vor Verlegenheit kann ich diesen Mann nicht mal mehr in die Augen schauen.

Als ich sicher auf meinen eigenen Füßen stehe, bückt er sich und zieht meinen Schuh aus Schiene.

"Schließlich wollen wir doch, dass der Aufzug funktioniert“, murmelt er und räuspert sich.

Der Aufzug geht zu und macht sich auf den Weg nach unten. Jetzt erst hab ich die Gelegenheit mir den Mann genauer anzuschauen und die Erkenntnis, wer er ist, macht mein Gesicht noch eine Spur dunkler. Natürlich, ein dunkler Typ, fast schon sonnengebräunt, etwas übergewichtig. Das ist Frank Eltron, der letzte Nacht erst aus Südafrika zurückkam.

Ich straffe die Schultern und stelle mich ihm vor: "Hallo, ich bin Anna Haller“, lächelnd strecke ich ihm meine Hand hin.

Immer noch starrt er mich ausdruckslos an: " Mein Name ist Frank Eltron. Haben sie sich wehgetan?"

Er gibt mir die Hand und drückt sie kurz. So als wollte er es vermeiden mich anzufassen.

Was ist nur los? Hab ich vielleicht eine Warze im Gesicht, oder rieche ich nicht gut? Meine Gedanken lassen mich leicht schmunzeln.

"Nein, mir ist nichts passiert, dank ihnen. Und die Beschädigung an meinem Absatz kann ich verschmerzen."

Er kann über meinen Scherz überhaupt nicht lachen. Kann er überhaupt lachen? Gott, so ein Miesepeter. Ich bedanke mich nochmal für seine Hilfe. Vielleicht lässt sich so ein kleines Gespräch beginnen. Er schaut mich immer noch an, als wäre ich ein Alien, dabei hat sich doch meine Gesichtsfarbe längst wieder normalisiert.

"Nochmals vielen Dank fürs Auffangen“, sage ich lächelnd und schau ihm in die Augen um zu ergründen was er denkt.

"Keine Ursache, sie sollten nur mit ihren Schuhen in Zukunft aufpassen."

Ich runzle die Stirn. Zurechtweisungen In diesem Ton, wenn man sich das erste Mal begegnet... Das ist keine Art ein gutes Arbeitsverhältnis zu beginnen. Ich beschließe seine Kritik zu ignorieren und beginne ihn genauso von oben herab zu behandeln.

"Wenn ich mich recht entsinne, ist ihr Büro ganz oben, dem zufolge halten sie sich nicht sehr oft in diesem Stockwerk auf. Wollten sie zu mir?"

"Ja in der Tat, das wollte ich. Es war mir nicht klar, dass die Arbeitszeiten in diesem Stock so viel später beginnen."

"Tja, da haben sie heute aber Glück, ich fange nämlich heute eine Stunde früher an, deshalb bin ich überhaupt schon da."

Andererseits, wenn ich später angefangen hätte, wäre ich ihm nicht so spektakulär vor die Füße gefallen. Mann, dieser Kerl verärgert mich mächtig und ich tue mich schwer mich unter Kontrolle zu halten.

Reiß dich zusammen Anna, mache dich nicht schon bei der ersten Begegnung unbeliebt, denke ich auf dem Weg in mein Büro.

Aufmerksam betrachtet er mein Büro während ich meinen Computer anschließe und hochfahre. Aber da sieht er noch nicht viel. In dem kleinen Büro mit nur einem Fenster, stehen nur ein paar Regale mit bisher nur wenigen Ordnern, ein kleiner Schreibtisch und zwei Stühle. Sein Blick bleibt an meinem auf Leinen gezogenen, riesigen Foto hängen, dass die Aussicht auf die Berge von meinem Lieblingsplatz in Hochfelden, meinen Heimatort darstellt. Mein Bruder hat es mir geschenkt.

"Ich habe schon gehört, dass sie aus Bayern kommen“, meint er wahrscheinlich um überhaupt etwas zu sagen.

"Ja, ich habe einige Jahre in München gearbeitet, komme aber aus dem bayrischen Oberland. Genauer aus Hochfelden. Dort lebt meine Familie." Ich finde das reicht an Informationen über mich. Schließlich hätte er sich ja selbst informieren können. Ich musste es ja auch tun.

"Ich weiß, Hektor hat mir Einiges über sie und ihre Familie erzählt. Er und Doris scheinen ja richtig begeistert zu sein von ihrem Heimatort."

Noch während er sprach setzte er sich ohne Aufforderung auf den Stuhl vor meinem Schreibtisch. Ich hängte meinen Mantel an einen dafür vorgesehenen Haken und setzte mich ebenfalls. Eine ganze Zeit lang starrten wir uns gegenseitig abschätzend in die Augen, bevor ich beschließe den Stier bei den Hörnern zu packen.

"Was wollen sie von mir, Herr Eltron? Sicher sind sie nicht hier her gekommen um mit mir über meine Heimat zu reden."

"Da haben sie vollkommen recht. Ich bin hier um mit ihnen über die Überschreitung gewisser Kompetenzen ihrerseits zu reden."

Ich denke mir noch, wieso er so geschwollen redet und merke, wie mir das Blut in die Wangen schießt und ich wieder mächtig wütend werde. Ich atme tief ein, straffe meine Schultern und zwinge mich ruhig zu antworten:

"Soso, sie finden also, dass ich meine Kompetenzen überschreite. Darf ich auch wissen, inwiefern ich gewisse Kompetenzen überschreite?"

Meine Augen sprühen regelrecht Funken und ich spüre sehr wohl, dass auch er wütend ist.

"Seit einigen Tagen finde ich meinen Email Account voll mit Mails von Ihnen, in denen sie mir erklären, was sie mit meinen Terminkalender machen. Es ist nicht ihre Aufgabe meine Termine zu optimieren. Das ist Aufgabe meiner Sekretärin. Dafür bezahle ich die Frau. Was sie mit Hektor oder meiner Mutter machen ist mir vollkommen egal. ICH brauche sie hier nicht. So, und jetzt habe ich zu arbeiten. Guten Tag!"

Er steht abrupt auf, bevor ich überhaupt noch zum Reden komme und geht hinaus. Nicht einmal einen höflichen Abschiedsgruß hält er für notwendig.

Er lässt mich wütend zurück. So wütend, dass mich auf meinen Stuhl gar nichts mehr hält. Ich laufe in meinem Büro hin und her und hege Rachegedanken.

"Dieser aufgeblasene Fatzke, was bildet der sich überhaupt ein."

Mit meinem Gesicht, rot vor Zorn und kaum beruhigt setze ich mich wieder, denn die ersten Mails trudeln ein. Die erwünschte Bestätigung für den chinesischen Besuch kommt sowohl von der Senior Chefin, als auch aus Hektors Büro. Ich kann also beginnen den Aufenthalt der Chinesen zu planen, sobald ich aus China weiß, wer genau kommt. Anscheinend beginnt jetzt der erfreuliche Teil des Tages, denn kurz danach bekomme ich eine Anfrage aus Dubai, aus dem Büro eines Scheichs. Ich weiß von Doris, dass Frank Eltron vor einigen Monaten erst mit einem Scheich in Dubai verhandelt hat. Vielleicht möchte dieser Scheich einen Gegenbesuch machen. Eigentlich müsste ich die gesamte Geschäftsleitung informieren, vor allen Dingen Frank Eltron, der den Scheich immerhin persönlich kennt.

Aber er hat es mir verboten... denke ich und ein böses Lächeln huscht mir übers Gesicht.

Da ich Frank Eltron nicht über den Weg traue, muss ich ihm noch ein Mail schreiben.

Sehr geehrter Herr Eltron

Sie haben mir sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass Sie von mir keinerlei Informationen mehr wünschen.

Ich bitte Sie, mir das noch einmal schriftlich zu bestätigen.

Gruß Anna Haller

Da das Mail auf seinen Büro Account läuft, kommt eine Bestätigung umgehend.

Sehr geehrte Frau Haller

Sie haben recht, ich wünsche keine Informationen mehr von Ihnen.

Ich hoffe der Sache ist nun Genüge getan.

Frank Eltron

Hm, der Mann hat noch nicht mal Manieren. Er ist nicht nur im Aussehen vollkommen anders als Hektor, denke ich und lasse das Mail ausdrucken. Ich hänge es an eine Pinnwand gleich mir gegenüber, damit ich ja sein unangebrachtes Benehmen nicht vergesse. Ich bin nämlich nicht nachtragend und es könnte sein, dass ich diese unangenehme Unterredung mit Frank Eltron bald wieder vergesse. Aber ich will sie einfach nicht vergessen. Ganz im Gegenteil, ich werde mich rächen und das geht fast wie von selbst.

Kapitel 2

Nach einen fast schon stressigen Vormittag sitze ich bei Doris im Krankenhaus. Ihre Dialyse läuft gerade und ich weiß, dass ihr langweilig ist. Die ganze Sache dauert ziemlich lang und hinterher ist Doris völlig fertig. Ich verbringe meine Mittagspause bei Doris ohne einen Bissen Brotzeit. Sie weiß, dass ich eigentlich nie vor ihr essen würde. Sie grinst mich an.

"Ich hab was für dich, Anna. Es ist in meiner Handtasche. Da drüben. Sieh hinein“, sagt sie immer noch grinsend nach unserer Begrüßung und einiger belangloser Worte übers schlechte Wetter.

Ich kann nicht widerstehen, krame in ihrer Tasche und ziehe eine Schachtel mit teuren, erlesenen Schokoladentrüffel heraus.

"Ich hab sie geschenkt bekommen und du weißt ja, dass ich keine Schokolade esse“, fügt Doris immer noch lachend hinzu.

Ich kann gar nichts sagen, denn ich muss sofort so einen Trüffel in den Mund stecken und auf der Zunge zergehen lassen. Doris kennt mich schon sehr gut, denn eine meiner Leidenschaften, die ich nicht lassen kann, ist Schokolade… gute Schokolade.

Ich kann immer noch nichts sagen, denn ich hab den Mund voll wunderbarer Schokolade. Nur voll Verzückung mit den Augen rollen kann ich. Doris lacht auf und ich freue mich, weil sie sich trotz ihrer schrecklichen Situation einfach nicht unterkriegen lässt.

Als endlich der Trüffel auf meiner Zunge zergangen ist, spreche ich wieder:

"Ich werde mich wohl hier in Berlin um die Mitgliedschaft in einem Fitnessstudio kümmern müssen, sonst setzt sich die wunderbare Schokolade auf meinen Hüften fest."

Nach dem dieser Satz über meine Lippen kommt, muss ich an Frank Eltron denken. Ob ihm wohl Schokolade auch schmeckt? Sicher geht er in kein Fitnessstudio. Eigentlich ein gemeiner Gedanke, doch ich habe keinerlei Gewissenbisse.

Meine Miene hat sich bei diesen Gedanken merklich verdüstert und Doris fragt als gute Beobachterin mit psychologischen Hintergrund sofort nach. Vor ihr kann ich nichts verbergen.

"Anna, was ist los?"

"Nichts wirklich Wichtiges." flüstere ich mit gerunzelter Stirn.

Doris gibt nicht auf: "Los, raus mit der Sprache."

Mit einem Seufzer erzähle ich ihr meine morgendlichen Erlebnisse:

"Ich bin heute früh eine Stunde früher ins Büro gegangen, was ja an sich kein Problem ist. Na ja, ich bin mit dem Aufzug hochgefahren und beim Verlassen des Aufzuges mit dem Absatz in der Führungsschiene der Aufzugstür stecken geblieben."

"Oh Gott hast du dich verletzt?“, fragt Doris bestürzt.

Wieder seufze ich und setze mich zu ihren Füßen an den Rand der bequemen Liege.

"Nein, ich bin gar nicht groß gestürzt. Ein Mann hat mich aufgefangen."

Meine Miene verfinsterte sich jetzt erst recht, weil ich merke, dass ich feuerrot werde. Die Erinnerung an diesen äußerst peinlichen Moment lässt mich verlegen werden.

Neugierig grinsend fragt Doris nach:

"Ein Mann? Wer denn? Kennst du ihn?"

Als ich sie ansehe kann ich mir ein Grinsen auch nicht verkneifen.

"Du bist ganz schön neugierig." Belustigt zwinkere ich ihr zu.

"Na du bist gut. Seit du bei uns in der Firma bist, passiert wenigstens etwas. Von Hektor erfahre nichts, außer vielleicht irgendwelche Daten über die Bilanzen der Firma oder über langweilige Geschäfte die Frank und er tätigen. Kaum bist du in der Firma, stolperst du und fällst irgendwelchen Männern in die Arme. “ Bei allem was sie sagt, lässt Doris mich keine Sekunde aus den Augen.

Wieder färbt sich mein Gesicht rot. Es ist schon eine Schande, dass ich das nicht im Griff habe.

"Es war nicht irgendein Mann. Es war Frank."

"Frank? Solltest du ihn nicht erst heute Abend kennen lernen. Meine Schwiegermutter erzählte mir sowas in der Art. Soviel ich weiß, will sie dir Frank heute Abend in ihrem Büro vorstellen. Hektor wird auch dabei sein“, meint Doris erstaunt.

"Tja, das wird nicht mehr nötig sein. Aber er wird es seiner Mutter und Hektor schon erklären."

"Und? Was hältst du von ihm?“, fragt sie schelmisch blinzelnd.

Eigentlich wollte ich bei Doris nicht über ihn schimpfen, aber ich muss meinen Ärger einfach mit jemanden teilen und sie ist meine einzige Freundin in Berlin.

"Was ich von ihm halte?“, mein Ärger schwillt so richtig an. So sehr, dass sogar Doris die Augenbrauen erstaunt hochzieht.

"Ich sag dir was ich von ihm halte. Er ist ein arroganter, aufgeblasener Fatzke. Das halte ich von ihm."

Ich kann meinen Zorn kaum zügeln und die Worte sprudeln nur so aus mir heraus.

"Er war unterwegs in mein Büro, weil er mir sagen wollte, dass er mich hier nicht haben will und ich ihm nicht weiter mit Emails oder sonstigen Nachrichten belästigen soll. Für seine Termine sei seine Sekretärin verantwortlich, sagte er noch. Dann stand er auf und ging einfach. Ich konnte ihm nicht mal mehr sagen, was ich von ihm halte."

"Gut, dass du es nicht getan hast. Hektor hatte tatsächlich viele Diskussionen mit Frank, deinetwegen. Hektor und auch Rosa sind der Meinung, dass wir durch die weltweiten Geschäfte immer mehr Besuch unserer Geschäftsfreunde bekommen und dass sich viele Events und Meetings auf Berlin konzentrieren würden. Dafür wird im Büro ja auch umgebaut. Bisher haben viele verschiedene Leute diese Arbeit gemacht, soviel ich weiß. Die Fäden sollen nun bei dir zusammenlaufen, damit es keine Probleme mehr gibt."

"Hat es denn in der Vergangenheit Probleme gegeben?"

"Ehrlich gesagt habe ich nicht viel mitbekommen. Aber ich denke schon, denn sonst hätte Hektor sich nicht entschlossen, dich nach Berlin zu holen."

Ich stehe auf und laufe nachdenklich im Krankenzimmer umher. Ich werde gebraucht, schon möglich. Aber eigentlich wollte ich meine Arbeit friedlich erledigen. Ob das mit einem Frank Eltron möglich ist?

Ich führe das Gespräch mit Doris mit einer gewissen Unruhe weiter:

"Kann es sein, dass sich irgendein Mitarbeiter übergangen fühlt und mir Probleme macht? Was meinst du?"

Doris überlegt kurz: "Kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen. Ich habe sogar den Eindruck, dass alle sehr froh sind diese Verantwortung an dich abzugeben. Frank geht mit den Angestellten der Firma nicht gerade zimperlich um, wenn sie Fehler machen."

"Das kann ich mir denken. Ich habe deshalb gefragt, weil ich ihm keine Gelegenheit geben werde, meine Arbeit zu kritisieren. Und wenn mir die Angestellten keine Steine in den Weg legen, wird alles wunderbar laufen. Ich hab ihn auf seinen unhöflichen Auftritt hin noch ein Email geschrieben..."

"Wirklich? Was stand denn drin? Hast du ihn beschimpft?"

"Nein, wo denkst du hin. Ich hab ihn nur um eine schriftliche Bestätigung gebeten, dass er in Zukunft keine Informationen von mir haben will. Und er hat es umgehend bestätigt“, sage ich milde lächelnd.

"Da ist doch was im Busch. Was hast du vor?"

Es ist beängstigend, wie gut mich Doris bereits kennt. Ich vertraue ihr, aber trotzdem bin ich vorsichtig.

"Naja, ich werde mir diese Bestätigung aufheben. Auf diese Art und Weise kann er mir nicht kündigen, weil er auf Grund mangelnder Informationen seine Termine nicht wahrnimmt. Schließlich will er mich loswerden. Ich hoffe doch, du wirst mich nicht verraten."

Doris lacht:

"Nein, werde ich nicht. Ich mag Frank, er ist ehrlich und er kann auch freundlich und lustig sein, aber vielleicht ist es gar nicht schlecht, wenn er selbst mal in ein Fettnäpfchen tritt."

Aus meinen Augen funkelt der Schalk:

" Glaub mir, er wird in einen riesigen Fettnapf treten. Dafür sorge ich. Und ich werde meinen Platz nicht räumen und wenn es ihn vor Wut zerreißt."

Bei solchen Gesprächen kommt mein bayrischer Dialekt ziemlich stark durch. Doris findet das sehr amüsant und versucht einige Wörter nachzusprechen. Wir lachen schallend und schneller als ich es wahr haben möchte, ist meine Mittagspause wieder um und ich muss mich wieder mich wieder mit chinesischen Vorständen und arabischen Scheichs abgeben.

***

Gerade telefoniere ich mit Markus, dem Schwager der Wurstbraterin, ob er mir eine chinesische Übersetzerin für die Sightseeingtour der Delegation aus China besorgen könnte. Und ich habe tatsächlich Glück, er kennt eine chinesische Studentin, die solche Termine übernimmt.

In dieses Gespräch platzt eine Mitarbeiterin von mir, die mir zuarbeiten soll. Sie erklärt mir, nachdem ich recht abrupt mein Gespräch beenden musste, dass mich die Senior Chefin in zwanzig Minuten in ihr Büro bittet.

Ich denke darüber nach, wofür ich ins Büro der Senior Chefin soll, schließlich haben Frank und ich uns bereits kennen gelernt. Ich beginne mich dafür fertig zu machen. Auf der Toilette frische ich mein Make Up auf und zähme meine Haare. Durch das feuchte Wetter umspielen zahllose Locken mein Gesicht und das obwohl ich mit Hilfe einer silbernen Spange meine Haare zu einen Zopf gebunden habe. Den Rock glatt gezogen und noch etwas Parfüm, das muss reichen. Der Schaden an meinem linken Absatz dürfte eigentlich niemanden auffallen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ausgerechnet Frank darauf hinweisen würde.

Aufgeregt mache ich mich auf den Weg. Ich hasse es, wenn ich die Situation nicht recht einschätzen kann und ich nicht weiß, was auf mich zukommt. Aber ich werde mich von der besten Seite zeigen und zaubere ein strahlendes Lächeln in mein Gesicht. Die Senior Chefin mag mich, das weiß ich und mit Hektor bin nicht unbedingt befreundet, aber wir kommen sehr gut miteinander aus. Der einzige Pferdefuß heißt Frank.

Und auch mit dem werde ich fertig. Das wäre doch gelacht…

***

Ich steige im 23. Stockwerk vorsichtig aus dem Aufzug und begebe mich sofort ins Büro der Senior Chefin. Die Vorzimmerdame erwartet mich schon lächelnd und trägt gefüllte Sektgläser auf einem Tablett nach mir in das große, helle Büro.

Mit klopfenden Herzen sehe ich mich um und lächle schüchtern als mich die Chefin erblickt und freundlich lächelnd auf mich zukommt.

"Frau Haller, schön dass sie da sind. Kommen sie, ich möchte sie einigen Leuten vorstellen."

Die Vorzimmerdame drückt mir ein Glas Sekt in die linke Hand, denn mit der Rechten muss ich Hände schütteln.

Sehr ungern stehe ich im Mittelpunkt und deshalb werde ich sehr verlegen als die Chefin an ihr Glas klopft und um Ruhe bittet.

"Meine lieben Freunde, ich möchte ihnen heute eine neue hochgeschätzte Mitarbeiterin vorstellen. Anna Haller wird unser Team ab sofort bereichern und die Koordination all unserer Veranstaltungen die Firma betreffend übernehmen, planen und gestalten. Liebe Frau Haller, stoßen wir an auf gute Zusammenarbeit."

Wie immer kann ich nicht verhindern, dass sich eine leichte Röte in mein Gesicht schleicht. Ich schaue mich interessiert um, ob ich jemanden sehe, den ich kenne. Natürlich kenne ich Hektor, der neben seiner Mutter steht und mit mir lächelnd anstößt. Frank sehe ich nirgends, Gott sei Dank, denke ich. Ihn vermisse ich nicht. Ansonsten werden mir die Prokuristen, die Leiter der IT- und der PR Abteilung und einige Leute aus der Buchhaltung vorgestellt. Mir ist ein Rätsel warum ich diese Leute kennen lernen soll. Ich bin mir sicher, dass ich nie mit ihnen zu tun haben würde.

Auf einmal entdecke ich Frank, er lehnt lässig an einem der Tische und diskutiert angeregt mit einem der Buchhalter. Ich ignoriere ihn, aber schließlich muss ich mich an seine Anwesenheit gewöhnen. Das wird nicht das letzte Mal sein, dass wir uns begegnen. Noch während ich überlege, gesellt sich Hektor zu mir:

"Na Anna, wie gefällt es dir bei uns?"

"Oh ganz gut. Ich hab mich schon etwas eingewöhnt und komme sehr gut zurecht. Das Häuschen in dem ich wohnen darf, ist wirklich putzig und mein Büro passt auch."

Weil ich so aufgeregt bin, kommt mein Dialekt wieder etwas durch. So gerne ich das verhindern möchte, um mich auch für Berliner Verhältnisse deutlich zu artikulieren, doch sobald ich aufgeregt bin schleicht sich ein wenig mein Heimatdialekt in mein Sprachgebilde ein.

"Schön dass es dir gefällt. Du hast auch schon recht eindrucksvoll mit deiner Arbeit begonnen, hab ich gehört."

Ich werde schon wieder sehr verlegen und beschließe, dass schonungslose Ehrlichkeit der beste Weg ist.

"Tja heute früh bin ich erst mal spektakulär aus dem Aufzug gefallen“, erzähle ich trocken.

Hektor lacht so laut auf, dass Frank zu uns herüber sieht:

"Ja, das hab ich auch gehört. Frank hat es mir alles erzählt. Ich muss mich wohl für ihn entschuldigen. Ich hätte dich vorwarnen sollen."

" Es gibt keinen Grund, dich für ihn zu entschuldigen. Das muss er schon selbst tun."

Noch bevor ich weiter sprechen kann, kommt Frank auf uns zu. Er muss wohl gemerkt haben, dass sich unser Gespräch um ihn dreht. Er schaut mich nicht an und redet mit Hektor.

"Ich muss dich sprechen wegen des Umbaus hier im Tower, da gibt es noch…"

Hektor, der durchaus Manieren hat, fällt ihm ins Wort, geht nicht drauf ein und vertröstet Frank auf später. Ich spüre meinen Zorn hochkochen und das Glas Sekt gibt mir noch ein wenig mehr Mut. Ich wage es Frank direkt anzusprechen.

"Hallo Herr Eltron, ich hab mir ihren persönlichen Auftritt auf der Internetseite der Firma angesehen und muss sagen, dass sie sehr sympathisch rüber kommen."

Ich trinke noch einen Schluck Sekt, bevor ich weiter spreche, doch er unterbricht mich.

" Frau Haller, wollen sie mir schmeicheln."

Arroganter Fatzke, denke ich und spreche mit süßer Stimme und einem Lächeln weiter:

" Aber nein, sie haben mich nicht ausreden lassen. Sie kommen tatsächlich sehr sympathisch rüber, aber es ist sehr schade, dass sie es in Wirklichkeit nicht sind."

Momentan sagt Frank nichts dazu, vielleicht hat es ihm auch die Sprache verschlagen, was weiß ich. Ich nutze die Gelegenheit um das Weite zu suchen um ihm damit keine Antwort mehr zu ermöglichen.

"Hektor, entschuldige mich bitte."

Meine Manieren lassen mich zumindest nicht im Stich. Ich gehe zu meiner Senior Chefin um mich mit ihr zu unterhalten und lasse die beiden Brüder stehen.

Frank starrt mich überrascht an während Hektor leise lacht. Grinsend sagt er zu Frank:

"Sie ist wirklich sehr hübsch, findest du nicht?"

Über den Rand seines Glases hinweg gibt er seinem Bruder ernst eine Antwort:

"Das mag schon sein, aber sie hat Haare auf den Zähnen."

***

Von meinen neuen Mitarbeitern Elisa und Rudi erfahre ich, welche Hotels für die hochrangigen Besucher in der Regel bei Besuchen gebucht werden und sehe mir die Abrechnungen des letzten Jahres an. Die meisten Gäste wohnten in Suiten im Adlon und im Hilton zu horrenden Preisen. Ich kenne die Preise für Suiten in gehobener Klasse, aber da kann ich nur noch mit erhobenen Augenbrauen durch die Zähne pfeifen.

Mann oh Mann, die haben ordentlich an Eltron verdient, denke ich noch.

Es ist Freitagmittag und die meisten meiner Kollegen hören schon mittags auf. Ich beschließe, einige Hotels zu besichtigen. Heute ist gutes Wetter und ich fühle mich in meinem Bürooutfit mit grauen Etuikleid, schwarzem Blazer und schwarzen High Heels sehr wohl. Ganz geschäftsmäßig schnappe ich mir Aktentasche, Handtasche, Handy und einige extra für mich entworfene Visitenkarten, die mich als Eventmanagerin von Eltron Electronics ausweisen und trete auf die Straße.

Zu einem der Hotels kann ich zu Fuß gehen. Es heißt >Anara High Hotel< und ist ganz neu. Aus dem Internet habe ich erfahren, dass es ausschließlich für Geschäftsleute ausgelegt ist. Auf dem Weg dahin fällt mir eine kleine Bar auf, die leer steht, gleich in direkter Nachbarschaft des Eltron Towers. Da wir uns in einem Stadtteil der >gehobenen Klasse< befinden, wundert mich das ein wenig.

Ich habe in dem neuen Hotel angerufen und mit dem Manager einen kurzfristigen Termin vereinbart. Ich mag kurzfristige Termine in Hotels. Dann können sich die Leute nicht entsprechend vorbereiten und man sieht, wie die Dinge wirklich stehen. Man hat aber im Anara Hotel anscheinend kein Problem damit, was mir sehr gefällt.

Ich betrete das Hotel, das sich nur zwei Straßen weiter befindet und bin von der modernen, jedoch sehr gemütlichen Atmosphäre beeindruckt. Ich melde mich an der Rezeption und gleich darauf kommt ein junger, elegant gekleideter Mann mit strahlenden Lächeln die Treppe herunter und begrüßt mich.

"Frau Haller von der Firma Eltron, wenn ich nicht irre. Guten Tag, ich bin Edwin Marberg, der Manager dieses Hotels."

"Hallo Herr Marberg, es ist sehr nett, dass sie mir so kurzfristig einen Termin gewähren. Ich habe ihrer Sekretärin bereits erklärt weshalb ich hier bin. Sind sie informiert?"

Immer noch zeigt er seine makellosen Zähne und seine braunen Augen funkeln vergnügt als er immer noch meine Hand drückt.

"Aber natürlich. Wir haben gerade zwei der Suiten zur Besichtigung frei. Leider nicht die Mastersuite, aber sobald diese frei ist, werde ich sie gern kontaktieren, damit sie auch diese Suite besichtigen können. Aber kann ich sie nicht erst mal auf einen Drink einladen?"

Immer noch lächelt er, aber seine Charmeoffensive macht mich etwas misstrauisch. Ich lehne seine Einladung gelassen ab. Es ist mir schon klar, wie dieser Mann auf Frauen jeden Alters wirken muss, aber da ich sehr viel mit solchen Charmeuren zu tun hab, beeindruckt er mich nicht im Mindesten. Er ist schlank und groß, durchtrainiert und braungebrannt, gerade so, als wäre er einem Modemagazin entsprungen. Er muss so in meinem Alter sein, denn seine Haare weisen noch keine leicht grauen Strähnen auf.

"Sehr nett von ihnen, aber nein danke. Ich würde jetzt gern mit der Besichtigung beginnen. Ich habe noch weitere Termine heute."

Er schluckt meine Absage lächelnd und zeigt mir erst mal Restaurant und Küche. Ich lerne den Chefkoch kennen und die Chefin am Empfang. Eine der Beschließerinnen begleitet uns in die oberen Stockwerke zu den Suiten. Ich bin sehr beeindruckt und entscheide mich, in die Preisverhandlungen zu gehen. Man kommt mir entgegen, was mich sehr freut, denn ich werde auf keinen Fall jeden Preis hinnehmen. Und alle Rechnungen werden in Zukunft über meinen Tisch gehen.

Bisher hat man auf den Preis nicht geachtet und die gesamte Betreuung der Gäste hat horrende Summen verschlungen. Auch die bisher recht komplizierte Abrechnung werde ich transparenter gestalten, was mir unter Umständen Ärger mit der Buchhaltung beschert, aber das ist mir erst mal egal.

***

Im Hotel Adlon, dem ich auch einen Besuch abstatte, begegnet man mir mit reservierter Freundlichkeit. Steif geht Direktor Böhm, der mich argwöhnisch beäugt, mit mir alle Verhandlungspunkte durch. Ich bin von dem gediegenen Ambiente des wunderschönen Hotels sehr beeindruckt, was dem Herrn Direktor zumindest ein Lächeln entlockt. Ich hab auch weder die Suiten, noch Restaurant und Küche besichtigt. Ich denke das ist nicht nötig. In der Vergangenheit hat es meines Wissens nie einen Grund zur Beanstandung gegeben. Und so kann ich direkt in die Preisverhandlungen gehen. Direktor Böhm ist angesichts meiner geradlinigen und sehr direkten Art zu verhandelt etwas überfordert und bittet den Buchhaltungschef Dr Franzmeier dazu, einen alternden Charmeur, der mir bei der Begrüßung sogar die Hand küsst. Franzmeier ist beeindruckt von meinem Wissen über die Preise von Suiten namhafter Hotels in allen Metropolen Europas. Ich habe sie schließlich auswendig gelernt und bin froh, mein Wissen auch nutzen zu können. Auch hier kommt man mir entgegen und gut gelaunt fahr ich heim. Mit dem Wissen, wirklich was erreicht zu haben, gehe ich ins Wochenende.

Kapitel 3

Genervt und etwas unruhig stehe ich vor meinem Kleiderschrank. Heute ist Samstag und ich hab eine Einladung zum Abendessen bei Doris und Hektor ganz privat in ihrem Zuhause. Soviel ich weiß sind Frank und seine Mutter auch anwesend. Natürlich hegte ich Hoffnungen auf ein lustiges Schwätzchen zwischen Doris, Hektor und mir. Aber da Frank auch da ist, wird das Ganze recht steif verlaufen. Und jetzt weiß ich nicht was ich anziehen soll.

Es ist Samstagabend und in München würde ich jetzt im kleinen Schwarzen in die kleine Kellerbar mit Klaviermusik gehen und mich mit Freunden und Kollegen unterhalten, ganz zwanglos.

Hm, das kleine Schwarze ist immer eine gute Idee, denke ich und wähle für den Abend ein schwarzes Cocktailkleid aus, das leicht glitzert. Ich habe es selbst genäht und es ist richtig bequem zu tragen, auch wenn es ein wenig kurz ist. Aber schließlich bewege ich mich in privaten Rahmen, da macht das doch gleich nicht mehr so viel aus. Noch ein Bolerojäckchen aus schwarzer Spitze dazu, dezentes Make Up und die Haare kunstvoll aufgetürmt, so kann es losgehen. Ich habe eine ganze Menge Kekse gebacken, die man später eventuell noch zum Kaffee genießen könnte. Und so mach ich mich hochelegant, mit Keksdose und einem kleinen Strauß Tulpen auf den Weg zum Anwesen von Doris und Hektor Eltron.

Die beiden bewohnen eine kleine Villa aus den dreißiger Jahren direkt am Wannsee, wunderschön gelegen und von der Straße aus nicht einsehbar. Zuerst muss man durch ein großes Tor fahren, bevor sich einem eine Märchenlandschaft auftut. Anscheinend hat Doris ein echtes Händchen dafür. Mein Taxi hat mich vor dem großen Tor abgesetzt und jetzt schreite ich vorsichtig mitten auf der Einfahrt entlang zum Haus, bewaffnet mit Tulpen und Keksdose, mit hohen Schuhen an den Füßen und Kopfsteinpflaster unter mir.

Tief atme ich ein, als ich Frank Eltron entdecke, der im Begriff ist, an der Tür zu läuten. Mit einem eigenartigen Seitenblick auf mich wartet er anscheinend, in der einen Hand eine Flasche Wein und die andere Hand lässig in der Hosentasche. Ich spüre wie nervös ich werde und mein Gesicht heiß wird.

Unverhohlen starrt er mich von oben bis unten an und ich tue es ihm gleich. Jetzt erst fällt mir auf, dass er schwarze Jeans zu seinem dunklen Sakko trägt. Sein Hemd hat er offen, so dass seine Brustbehaarung leicht sichtbar ist.

"Guten Abend“, sage ich leise. Mein Herz schlägt wild. Ich fühle mich befangen, er schüchtert mich ein und das ärgert mich.

"Guten Abend, “ höre ich und starre in sein völlig ausdrucksloses Gesicht.

Er läutet an der Tür und ich schaue ihm geradewegs in die Augen, um vielleicht darin zu lesen. Doch ich sehe nichts darin. Ich seufze leise und bin ehrlich froh, als eines der Hausmädchen die Tür öffnet. Hektor kommt uns entgegen.

"Hallo ihr zwei, seid ihr gemeinsam gekommen?“, fragt er erstaunt.

" Nein, reiner Zufall“, murmelt Frank und übergibt Hektor seine Flasche Wein.

"Hm, ein guter Tropfen. Danke. Aber kommt doch herein. Mutter ist schon länger da."

Mich umarmt Hektor herzlich.

"Hallo Anna, schön dass du da bist."

Hektor führt uns durch einen kleinen Windfang in das fast quadratische Foyer und von dort aus weiter in das großzügige Wohnzimmer mit Kamin. An diesem Wohnzimmer ist auch gleich das Esszimmer angeschlossen. Dort befindet sich auch ein wunderschön gedeckter Tisch. Weiße Rosen und frisches Grün schmücken vorherrschend die Räume. Alles ist geschmackvoll eingerichtet und aufeinander abgestimmt. Man fühlt sich sofort wohl. An das Esszimmer schließt sich die Küche an. Ich hätte gern einen Blick hinein geworfen, aber dort herrscht geschäftiges Treiben.

Es dauert ein wenig bis ich Doris entdecke. Sie sitzt in einem riesigen Ohrensessel und ich merke sofort, dass es ihr nicht sehr gut geht. Trotzdem steht sie auf und lächelt mich an. Ich umarme sie, denn das Einzige was ich ihr schenken kann ist Aufmerksamkeit und Zeit.

"Ich hab Kekse gebacken. Ohne Schokolade“, sage ich lächelnd.

"Hallo Anna, gebe es zu, du hast den Guss aufgegessen." Doris ist trotz allem gut gelaunt merke ich und wir lachen schallend. So laut dass Frau Eltron auf uns zukommt. Hektor, der sich eben noch mit Frank unterhalten hat wirft uns ein warmherziges Lächeln zu. Er schätzt es sehr, dass ich es immer wieder schaffe, Doris zum Lachen zu bringen und so ihr Leid ein wenig mildern kann.

"Frau Haller, schön dass sie da sind. Es freut mich sie zu sehen. Und wie nett sie wieder aussehen." Frau Eltron begrüßt mich besonders herzlich. Ich werde wegen des unerwarteten Kompliments ganz verlegen und bedanke mich still. Während Doris Frank begrüßt, unterhalte ich mich weiter mit meiner Senior Chefin.

"Kommen sie mit ihren Mitarbeitern zurecht?“, fragt sie

"Oh ja, die beiden sind sehr nett und soweit ich es bis jetzt beurteilen kann, auch sehr zuverlässig."

Unser Gespräch wird unterbrochen, weil die Vorspeise aufgetragen wird und wir unsere Plätze einnehmen. Das Hausmädchen, das uns die Tür öffnete, fragt nun jeden nach Wein. Ich wähle Wasser, weil ich nicht sehr viel vertrage und hier nicht aus der Rolle fallen will.

Ich sitze neben Doris, Hektor und Frank sitzen uns gegenüber und am Kopf des Tisches sitzt, ganz die Matriarchin Rosa Eltron und beherrscht die Unterhaltung. Vorherrschend ist das Thema Pferde.

"Das ist ja immer so eine Sache mit dem Reiten. Ich habe es ja richtig gelernt in meiner Jugend, das gehörte sich“, erzählt Rosa Eltron und Hektor, der weiß was kommt hängt sich in die Unterhaltung:

" Ja ja, ich weiß Mutter, deshalb mussten Frank und ich unbedingt Reiten lernen."

Bisher hatte ich mich in der Unterhaltung sehr zurückgehalten, aber jetzt war ich interessiert.

"Ihr beide könnt reiten?“, entfährt es mir und Hektor antwortet mir auch lächelnd:

"Na ja, können ist etwas zu viel gesagt.“ Er sagt dies mit einem schadenfrohen Grinsen im Gesicht, mit Blick auf seinen Bruder.

"Könnten wir vielleicht mal das Thema wechseln“, wirft Frank genervt ein.

Um einer weiteren Unterhaltung um sich selbst zu entgehen fragt er mich:

"Können sie reiten?"

Ich komme nicht zum Antworten, weil von einem der Hausmädchen ganz ruhig abgeräumt und vom zweiten Hausmädchen zum Hauptgang aufgetragen wird. Es gibt Roastbeef mit Remoulade, grünen Bohnen und Herzoginkartoffeln. Nach einiger Zeit fragt Frank mich wieder:

"Und? Können sie jetzt reiten?"

"Wir können alle reiten. Aber mit Sicherheit ist es nicht so wie sie es denken. Wir hatten nie so etwas wie einen Reitlehrer. Da ging es um alles oder nichts. Wir wurden drauf gesetzt und los ging´s ins Gelände", erzähle ich lachend.

Rosa Eltron starrt mich erstaunt an:

"Was? Noch nie geritten und schon ins Gelände? Hatten sie da keine Angst?

"Nein, wir saßen schon sehr früh auf den Pferden und als Kind hat man keine Angst. Allerdings reiten wir nicht auf wertvollen Arabern, sondern eher auf Arbeitspferden."

"Wie alt warst du, beim ersten Ritt?", fragt Hektor grinsend.

"Ich war fünf Jahre alt, als ich das erste Mal auf einem eigenen Pferd saß, bin aber vorher bei meinem Vater mitgeritten."

Rosa scheint beeindruckt:

"Mit fünf Jahren, das ist schon sehr früh."

Ich erkläre geduldig:

"Es ist glaub ich notwendig. Wir hatten immer Pferde, auch jetzt noch. Sie können im Winter unter Umständen Leben retten."

Frank scheint belustigt, denn lächelnd fragt er mich weiter:

"Wie kann ein fünfjähriges Kind auf einem Pferd Leben retten?"

"Ganz einfach, ich hätte notgedrungen eventuell mein eigenes Leben retten müssen. Ich muss aber sagen, es war nie notwendig. Im Winter kommt man bei uns mit dem Auto meist nicht mehr weit. Sie brauchen entweder Ski, Schlitten oder eben Pferde."

Rosa ist so erstaunt, dass sie für einen Moment vergisst weiter zu essen.

"Aber auch so ein entlegener Hof muss doch versorgt werden."

Ich lächelte verständnisvoll, denn wahrscheinlich zum ersten Mal hat meine Senior Chefin wirklichen Einblick in eine andere Welt, eine Welt, in der nicht immer alles auf dem Silbertablett serviert wird. Eine Welt, die in Rosa Eltrons Leben bisher nie existierte.

"Wir brauchen keine Versorgung aus dem Tal. Mein Bruder ist in der Lage den gesamten Hof in eigener Verantwortung zu versorgen."

"Ich habe da wirklich Einblick bekommen. Sehr eindrucksvoll und tatsächlich möglich. Hätte ich nicht gedacht“, meint Hektor zu dem Thema dazu.

Überraschend mischt sich Doris in die Unterhaltung ein:

"Frank, wir sind gerade eben vom Thema abgekommen. Jetzt erzähl doch mal, wie war das mit dir und dem Pferd?"

Frank starrt sie mit einem düsterer Miene an und brummt nur:

"Das gehört nicht hierher."

"Oh Herr Eltron, ich bin schon ganz gespannt auf ihre persönliche Pferdegeschichte", flöte ich und kneife schadenfroh lächelnd die Augen zusammen.

"Oh Frau Haller, ich glaube aber, dass es Dinge gibt, die sie nicht das geringste angehen", kontert er.

"Ich kann ja die Geschichte erzählen, ich war dabei", meint Hektor lachend, was ihm wieder einen bösen Blick seines Bruders einbringt.

"Frank war ungefähr 15 Jahre alt, recht groß und schon sehr kräftig. Wir sollten das erste Mal ins Gelände reiten. Man gab ihm ein relativ junges zappeliges Pferd. Na ja, lange Rede kurzer Sinn. Er kam mit dem Gaul nicht zurecht und der ging durch."

Ich erschrecke regelrecht: "Um Gottes Willen, sind sie abgeworfen worden?"

"Nein“,- antwortet Frank- "ich hab das auf meine Art gelöst."

"Ja genau, so kann man es nennen. Nach einiger Zeit hat er dem Gaul mit den Armen den Hals zugedrückt. Das gute Pferd wollte nicht ersticken und so blieb es stehen“, lacht Hektor und wir stimmen mit ein. Sogar Frank grinst, was man selten sieht.

"Wie ging´s denn dem Pferd hinterher?", frage ich grinsend.

Frank, der sich gerade ein Stück Fleisch in den Mund schieben wollte, hält inne:

"Das ist ja klar, sie machen sich Sorgen um den Gaul. Kann ja gar nicht anders sein."

Ganz lässig erwidere ich darauf nur:

"Tja, wahrscheinlich war das Pferd hochtraumatisiert und sicher ist es mittlerweile schon beim Metzger gelandet."

Er schüttelte nur den Kopf und Doris lachte aus vollen Herzen.

Während des Nachtischs erzähle ich nach Aufforderung der sehr interessierten Rosa von meiner Familie und dem Leben in den Bergen. Ich erzähle von meinem Bruder Anton, der meine damalige Schulfreundin Christl, eine ehemalige Krankenschwester heiratete und mit ihr zwei Kinder hat. Die beiden Jungs Simon, mittlerweile 8 Jahre alt und seinem Bruder Lukas, gerade mal 5 Jahre alt. Ich beschreibe meine Mutter und meinem Vater, der vor einigen Jahren an Krebs starb. Ich zeige ein Leben auf, das oft hart, aber immer lebenswert ist. Immer wieder werde ich durch interessierte Fragen aufgefordert weiter zu erzählen. Alle hören interessiert zu und stellen Fragen. Nur Frank hält sich zurück. Wahrscheinlich findet er das alles recht langweilig. Seine Welt ist eine Andere.

***

Beim Kaffee und meinen Keksen angelangt, erzählt Doris von ihren Erlebnissen in Hochfelden. Der kleine Lukas hat Doris sehr ins Herz geschlossen und sich vorgenommen ihr ein ganz besonderes Geschenk zu machen. Sie erzählt eindrucksvoll, wie Lukas ihr letzten Sommer auf dem Terrassentisch, der für die Kaffeetafel schon liebevoll gedeckt war einen dicken, glibbrigen, selbst geangelten Karpfen legte und ihn ihr mit großzügigen Worten schenkte.

Da lacht sogar Frank mit und er sieht richtig nett aus wenn er lacht. Seine geraden weißen Zähne kommen zum Vorschein und um die Augen bilden sich kleine Lachfältchen.

Rosa Eltron mischt sich wieder ein und wechselt das Thema:

"Haben sie diese Kekse selbst gebacken?", fragt sie mich

"Ja, ich hoffe sie schmecken", antworte ich lächelnd

"Sie sind sehr gut, wirklich“, meint Hektor, der schon eine ganze Portion gegessen hat.

"Können sie auch kochen?", fragt Rosa weiter ohne Hektor zu beachten

Jetzt frage ich mich worauf Rosa Eltron hinaus will. Warum will sie das wissen?

"Ja schon. Meine Mutter hat darauf bestanden, dass wir ordentlich kochen lernen. Christl kocht auch sehr gut und Anton kann es auch“, beantworte ich lächelnd ihre Frage.

Überraschend mischt sich Frank in die Unterhaltung mit ein.

"Mutter, heißt das jetzt, dass wir außer Reiten auch noch kochen lernen müssen?"

Wir beenden witzelnd und lachend die Kaffeetafel und ich stehe auf, um mir ein wenig die Beine zu vertreten. Ich geh zum Fenster und schaue auf die Lichter draußen am See.

"Jetzt ist es schon dunkel geworden, du musst mal kommen bei Tageslicht."

Doris steht neben mir und schaut auch mit hinaus.

"Ja gern. Ich bin schon auf deinen Garten gespannt und natürlich auf den See. Es gefällt mir sehr, wie ihr wohnt."

Zu uns gesellen sich Hektor und Frank, während sich Rosa Eltron in einen der bequemen Sessel gesetzt hat um in der Financiel Times zu blättern.

Doris verstrickt sich mit Hektor in eine Unterhaltung über Ruderboote, und Frank nutzt die Zeit mich anzustarren. Das macht mich nervös und ich versuche mich durch einen starren Blick aus dem Fenster davon abzulenken.

Warum starrt er mich so an, denke ich noch, bevor er mich anspricht.

"Trinken sie eigentlich immer Wasser?"

"Meistens. Ich vertrage nicht sehr viel Alkohol und werde gleich schrecklich albern, wenn ich welchen trinke", erkläre ich ohne ihn anzusehen.

"Das würde ich gern mal erleben. Würde mich interessieren, was dabei raus kommt", sagt er und trinkt dabei einen Schluck aus seinem Weinglas.

Erstaunt über seine Worte schaue ich ihn an und frage:

"Was denken sie, was dabei raus kommen soll?"

Er lächelt, tatsächlich lächelt er.

"Na ja, man erfährt meistens wie der Mensch wirklich ist. Wie sagt man so schön, in Vino Veritas."

Ich nippe an meinem Wasser und ziehe die Augenbrauen zusammen.

"Sind sie der Meinung, ich lüge sie an?"

Abwehrend in seiner Gestik spricht er weiter:

"Nein um Gottes Willen nein, aber man lernt die Menschen doch besser kennen, wenn ein wenig Alkohol im Spiel ist. Man muss sich ja nicht gleich bis zur Besinnungslosigkeit betrinken."

"Aber sie kennen mich doch schon sehr gut, ich hab ihnen alles über mich erzählt was wichtig für sie ist."

"Und was ist mit dem, was nicht wichtig für mich ist?"

Ich fühle mich unwohl:

"Das ist dann das, was sie nichts angeht und außerdem, was ist mit ihnen?"

Er lächelt:

"Aber ich trinke ja Alkohol."

"Ich bezweifle, dass das bisschen Alkohol ausreichen wird, um sie richtig kennen zu lernen."

"Wollen sie etwa, dass ich mich betrinke, damit sie mich richtig kennen lernen können?"

Ich fühle mich befangen und bin nervös. Zeit aus dieser Situation auszubrechen.

"Ich will gar nichts, Herr Eltron", sage ich ruhig und schließe mich Doris und Hektor an.

Noch während Hektor was erzählt, denke ich über die Unterhaltung von Frank und mir nach und mir wird klar, warum er so viel Verhandlungsgeschick hat. Er besitzt die Fähigkeit einem das Wort im Mund herum zu drehen. Ich beschieße, ihm in Zukunft aus dem Weg zu gehen.

***

Den Sonntagnachmittag verbrachte ich mit Doris im Krankenhaus, solange bis Hektor kam, um sie abzuholen. Wir schwatzten und lachten, vor allem über die Geschichten, die am Abend zuvor erzählt wurden.

Montagmorgens sitze ich wieder im Büro über vorangegangene Abrechnungen und kann mich nur wundern. Man hat sich nicht sehr viele Gedanken gemacht um das, was man außerhalb der Geschäftsräume den Besuchern zu bieten hatte. Das wird sich ändern und zwar zu einem wesentlich geringeren Gesamtpreis, als das bisher der Fall ist.

Das Telefon reißt mich am Montagmittag aus meinen Gedanken. An der Nummer erkenne ich, dass es eines der Chefbüros ist und gehe eilig ran. Es ist Frau Paul, Frank Eltrons langjährige Sekretärin. Eine liebe und warmherzige Person, die es gut versteht mit ihrem Chef umzugehen.

"Frau Haller, guten Morgen. Ich soll sie bitten, sofort in Herrn Eltrons Büro zu erscheinen. Wäre ihnen das möglich?"

Ich bin erstaunt, was will Frank von mir. Will er mir einen Friedensvertrag anbieten, nachdem wir uns beim Essen am Samstag einigermaßen gut verstanden?

Ich verspreche sofort zu kommen und mache mich nach einen kurzen, wohlwollenden Blick in den Spiegel auf den Weg in die oberste Etage.

Frau Paul empfängt mich lächelnd, sagt mir aber leise, dass Frau Eltron ebenfalls da ist und Herr Eltron ziemlich sauer auf mich ist. Ich wundere mich und mir ist auf einmal richtig flau im Magen. Ich stelle mich auf Ärger und Streit ein und bin Frau Paul sehr dankbar für die Warnung.

Was habe ich bloß jetzt wieder angestellt, überlege ich, innerlich auf ein Streitgespräch vorbereitet.

Zum ersten Mal steh ich in Frank Eltrons riesigen Büro, dass ausschließlich in Weiß und Edelstahl gehalten ist. Der ganze Raum wirkt kalt und unfreundlich auf mich, wahrscheinlich weil die Fenster mit modernen Gardinen verhängt sind und nicht viel Licht herein lassen. Nicht mal die schwarze Ledercouch, ein paar Kissen und die schwarzen Lederstühle um den großen Konferenztisch machen das Ganze gemütlich. Die Bilder an der Wand wirken ebenso lieblos ausgesucht. Ich entdecke nichts persönliches, was darauf schließen könnte, dass Franks Herz daran hängt.

"Wahrscheinlich hat er gar keines“, denke ich, bevor Rosa Eltron auf mich zukommt und mich begrüßt. Frank sagt kein Wort zu mir. Er sitzt an seinem Schreibtisch und kann seine Wut kaum zügeln, was mein flaues Gefühl im Magen noch mehr verstärkt. Ich wappne mich für den Kampf.

Los schwarzer Ritter, schlag zu..., denke ich und muss ein klein wenig lächeln.

Er lässt die Begrüßung unhöflicherweise völlig aus und kommt gleich zur Sache:

"Ich glaube nicht, dass es am heutigen Tag irgendetwas zu lachen gibt", bellt er und steht abrupt auf.

"Eine Begegnung mit ihnen ist nie zum Lachen, da haben sie recht", entwischt es mir, bevor ich überhaupt überlege. Aber vor ihm muss ich mich behaupten und ich bin kampfbereit.

Er baut sich drohend vor mir auf. Ich halte trotzig seinem Blick stand und wappne mich. Trotz der hohen Schuhe ist er über einen Kopf größer als ich.

Bedrohlich leise redet Frank weiter:

"Ich war gestern mit Direktor Böhm vom Adlon auf dem Golfplatz. Er hat mir Einiges erzählt. Ich wusste von nichts und ich mag es nicht von Leuten, mit denen ich Geschäfte mache überrascht zu werden. Was fällt ihnen überhaupt ein, solche Verhandlungen zu führen. Dazu sind sie nicht berechtigt."

Ich löse mich aus seinem wütenden Bannkreis, suche Abstand. Ach daher weht der Wind, der gute Herr Böhm, soso.

Ich hole tief Luft und gebe ihm eine ebenfalls ruhige Antwort:

" Wenn ich sie daran erinnern darf, haben sie es mir persönlich verboten, sie zu informieren und ich halte mich an ihre Anweisungen. Zweitens zwingen mich die vorangegangen Abrechnungen dazu, zu verhandeln. Wenn sie sich die Preise für die Unterbringung ihrer Gäste alleine im letzten Jahr mal angesehen hätten, dann wüssten sie, wovon ich rede."

Ich bin jetzt nicht weniger wütend. Aber er versucht anscheinend vergebens seine Wut zu unterdrücken.

" Was bilden sie sich überhaupt ein!" -schreit er-" sie kommen hier her aus ihrem Friede-Freude-Eierkuchen-Land, nichts anderes als ein bayerisches Landei, ein freches Bauernmädchen ohne einen Funken Ahnung und Kompetenz. Sie haben einen unmöglichen, um nicht zu sagen grauenvollen Dialekt und wollen mir sagen, wie ich das Unternehmen zu führen habe?!"

Er sagte das alles mit so viel Geringschätzung und Verachtung, dass ich momentan gar nicht weiß was ich sagen soll. Ich schlucke gegen die Tränen an, die mir in die Augen schießen und ich hasse mich dafür. Was hat meine Herkunft mit der zu diskutierenden Sache zu tun?

Kerzengerade starrt er mir in die Augen und wartet auf meine Antwort, wie es scheint. Doch immer noch kämpfe ich und merke ärgerlich, wie sich meine Augen mehr und mehr mit Tränen füllen. Ich schließe sie kurz um mich zu sammeln.

Nicht weinen, jetzt nur nicht weinen, denke ich und atme tief ein.

Erst als Rosa einschreiten will beginne ich leise zu sprechen. Mit zitternder Stimme sage ich:

"Ich wollte nichts anderes als die Preise der Hotels auf internationales Niveau senken. Und was meinen Dialekt angeht, das ist eine Sache der Identität. Was ich bin, das bin ich und das ist Familie, Heimat und Zuhause für mich. Es ist nicht zu erwarten, dass sie das verstehen."