Und täglich grüßt die Wirbelsäule - Stefan Soiron - E-Book

Und täglich grüßt die Wirbelsäule E-Book

Stefan Soiron

4,5

Beschreibung

Gesundheitswissen, das Spaß macht! Rückenschmerzen gelten unangefochten als Volkskrankheit Nummer eins. Dabei reichte in den meisten Fällen schon ein besseres Verständnis von der Funktionsweise des eigenen Körpers, um die (Rücken-)Gesundheit in die eigene Hand zu nehmen, weiß Physiotherapeut und Autor Stefan Soiron. Im unterhaltsamen Plauderton und anhand leicht verständlicher Alltagsbeispiele erklärt der lizenzierte Gesundheitstrainer die häufigsten Ursachen für die typischen Beschwerden und zeigt, wie Sie mit ein paar wenigen Veränderungen Ihrer Bewegungs- und Lebensgewohnheiten Ihren Rückenschmerzen bald „Lebewohl“ sagen. Einfach durchführbare Testimpulse, Checklisten und interessante Fallbeispiele aus der Praxis runden diesen ganzheitlichen Ratgeber ab und sensibilisieren für ein verständnisvolleres Verhältnis zu Ihrem wertvollsten Freund und Begleiter: Ihrem Körper!

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Seitenzahl: 290

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Inhalt

Wunderwerk Wirbelsäule – Ein Crashkurs in Anatomie

Grundlegendes Fachwissen über Aufbau und Eigenschaften der Wirbelsäule sind nicht nur etwas für Mediziner. Lernen Sie dieses Wunderwerk Ihres Körpers und seine Funktionsweise etwas besser kennen, um den häufigsten Ursachen für Rückenschmerzen vorzubeugen.

Muskulatur, Körperstabilität und Gelenkstellung

Muskeln sind die Antriebsräder unseres Körpers. Bei guter und richtiger Pflege können sie den Körper gleichzeitig stabilisieren. Folgen Sie mir auf eine Reise in die unsichtbare Welt der Muskeln und erfahren Sie, wieso es Ihnen eigentlich gelingt, Ihren Körper genau dorthin zu bewegen, wo Sie es gerade wollen!

Muskelschmerz als Spiegel unserer Seele

Muskelschmerz hat tausend Gesichter. Dabei fungiert unsere Muskulatur als wichtiger Gradmesser für unser inneres Gleichgewicht. Ob Urlaub eine Spritze ersetzen kann, wieso Liebe besser wirkt als Tabletten und warum Bewegung ein gutes Schmerzmittel ist, erfahren Sie in diesem Kapitel.

Bevor Sie loslegen ...

Mein Freund – der unbekannte Begleiter

Aktives und passives Sitzen – unser Baukasten im Alltag

Grundzüge der Akupunkturlehre

Akupunktur – Scharlatanerie oder schlüssiger Erklärungsansatz für viele Funktionsstörungen? Die Lehre von den Energiebahnen in unserem Körper ist ganz einfach zu verstehen, und stellt für alltägliche Befindlichkeitsstörungen alternative Behandlungsmethoden ohne Nebenwirkungen zur Verfügung.

„Hab ich Ischias?“ Aus meiner Praxis

An die 80 Prozent aller Rückenbeschwerden haben keine klare Diagnose. Und doch muss es einen Grund dafür geben, wenn Sie sich vor Schmerzen nicht mehr rühren können. In diesem Kapitel lernen Sie anhand von praktischen Fallbeispielen die häufigsten Ursachen für Hexenschuss, Ischias und eingeklemmten Nerven kennen. Und Sie erfahren, wie Sie Verspannungskopfschmerzen mit dem richtigen Handgriff zu Leibe rücken oder ihn einfach weglächeln können.

Schmerz – Notruf unseres Körpers

Schlafen wie ein Murmeltier – Die Wahl der richtigen Matratze

Vorbeugen ist besser als Kurieren

Richtig trainieren – „Klasse statt Masse“

Bewegung ist gut. Training ist besser. Aber trainieren mit einem klar definierten Ziel ist unschlagbar, wenn es z. B. darum gehen soll, Ihren Bewegungsapparat fit für die alltäglichen Herausforderungen zu machen. Ein optimal auf Ihr Trainingsziel angepasstes Körpertraining setzt daher niemals allein auf eine reine Kraftsteigerung, sondern bezieht eine Verbesserung der Körperhaltung und -koordination ebenso mit ein.

Funktionelles Training

Bei diesem Training werden durch freie mehrgelenkige Bewegungen gezielt Muskelgruppen angesprochen, die für die Alltagsbewegungen eine Rolle spielen. Durch zusätzliches Üben von Gleichgewicht und Beweglichkeit gehen komplexe Bewegungsabläufe in Fleisch und Blut über; der gesamte Bewegungsapparat wird für die alltäglichen oder sportlichen Herausforderungen fit gemacht.

Fangen Sie an! – Es ist nie zu spät, etwas zu ändern

Ach, noch was …

Das etwas andere Stichwortverzeichnis

1. Bevor Sie loslegen ...

Da war er wieder. Der erfolgreiche, gebildete, weil studierte Endfünfziger, Professor im Maschinenbau, der mit geplagtem Gesicht vor mir sitzt und mir, ohne Rücksicht auf seinen oder meinen Gemütszustand, seine niederschmetternde Diagnose ins Gesicht schleudert: „Ich habe Ischias!“ Sein entschlossener Gesichtsausdruck wirkt leicht verunsichert und verwirrt, als ich ihm erwidere: „Na dann … ich auch.“

Wo ist er denn hier gelandet? Kann das sein? Einige seiner Freunde und Bekannten haben mich doch wärmstens als guten und erfahrenen Physiotherapeuten empfohlen, und nun sitzt er leibhaftig vor mir und der Mann, an dem seine ganze Hoffnung auf Linderung hing, leidet selber an der fast unheilbaren Krankheit! Aber genauso schnell wie ihm seine Gesichtszüge entgleisten fängt er sich wieder und setzt sogar noch einen drauf:

„Und ich glaube, ich habe auch ein Hohlkreuz. Schon seitdem ich Kind bin, hat meine Mutter gesagt.“ Bums … jetzt hat er es mir aber gegeben. Die Vielzahl der schweren Erkrankungen wird doch selbst bei mir, dem bestimmt durch den tagtäglichen Umgang mit Krankheiten und Erkrankten gefühlsmäßig stark abgestumpften Menschen, eine mitleidsvolle Gefühlsregung erzeugen?

Ich mustere ihn fachmännisch, wie er da im Profil vor mir sitzt und mich verunsichert von unten anschaut. Würde ich ihm jetzt einen knallgelben Anstrich verpassen, könnte er der schönsten Banane von der Marke mit dem blauen Aufkleber erhebliche Konkurrenz machen. „Das stimmt wohl …“

Seine Selbstsicherheit will gerade den Weg zurück in sein Gesicht finden, wird aber durch meinen Blick auf seine Halswirbelsäule und den fortgeführten Satz vollends vernichtet:„… aber leider an der falschen Stelle!“ Treffer versenkt. Wenn das mal nicht der Beginn einer fruchtbaren und vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Patient und Therapeut ist …

Solche wie eben beschriebene erste Aufeinandertreffen zwischen dem unbestritten von Schmerz geplagten Professor und Menschen meiner Berufsgruppe, den Physiotherapeuten, haben wir jeden Tag aufs Neue. Jede Woche stelle ich mir, seit mittlerweile über 17 Jahren, die Frage, wie es sein kann, dass so hochgebildete Menschen, die zum Teil Apparaturen bauen, mit denen man sogar bis zum Mond fliegen kann, so wenig über sich und ihren Körper wissen. Ich versuche in meiner Berufspraxis bei solchen Fällen immer, dem jeweiligen Patienten seine Beschwerdesymptomatik, die Anatomie und die Abläufe in seinem Körper so anschaulich und plausibel wie möglich zu erklären. So, wie ich es bei den Kindern in meinen Rückenschulkursen in Kindergärten und Schulen tue. Anhand von einfachen, nachvollziehbaren Beispielen aus ihrem täglichen Leben und vor allem, indem ich es ihnen an ihrem eigenen Körper verdeutliche und im besten Fall sie auch spüren lasse. Denn mein oberstes Ziel ist es, dass sie ihren Körper und seine Zusammenhänge nicht nur theoretisch kennen lernen, sondern auch verstehen.

Ist dieses Zwischenziel, das Verständnis geweckt zu haben, erreicht, folgt das zweite große Etappenziel: die Bereitschaft zu wecken, die eigenen Lebensgewohnheiten zu verändern. Es ist nicht immer leicht, gegen ein falsch eingeübtes und über Jahre und Jahrzehnte verfestigtes Bewegungsverhalten zu argumentieren, vor allem dann, wenn es als völlig selbstverständlich und richtig verteidigt wird. In diesen Erklärungen darf die Argumentationskette niemals abreißen, sonst hat man als Überzeuger schon verloren – und wer verliert schon gerne? Ich nicht. Aber es hat manchmal etwas davon, einen Dortmund-Fan davon zu überzeugen, dass er in Schalke-Bettwäsche süßere Träume haben würde.

Dass ich es trotzdem auch in diesem Buch versuche, haben Sie nicht zuletzt einer meiner Patientinnen zu verdanken, die während einer Behandlung plötzlich zu mir sagte „Stimmt, wir wissen eigentlich zu wenig über unseren Körper. Sie können das immer so anschaulich und plausibel erklären. Am besten schreiben Sie mal ein Buch darüber.“

Hier ist sie nun also, die Gebrauchs- und Bedienungsanleitung für die perfekteste Maschine auf Erden, unseren Körper. Aber erwarten Sie jetzt bitte kein anatomisches Standartwerk. Keinesfalls erhebt dieses Buch den Anspruch auf medizinische Vollständigkeit oder soll den Besuch beim Arzt oder Facharzt ersetzen. Ich möchte Ihnen nur einige wichtige Teile Ihres Körpers verständlich erklären und auch ein paar der gängigsten, Sie peinigenden Wehwehchen im Zusammenhang mit den typischen Rückenleiden.

Alle mir bekannten Fach- oder Gesundheitsbücher zu diesem Thema sind überwiegend trocken geschrieben und gespickt mit Fremdwörtern. Da kann einem manchmal selbst als Profi die Lust am Lesen vergehen. Ich habe deshalb versucht, dieses komplexe Thema unterhaltsam und spaßig zu erklären. Denn bekanntlich lernt man doppelt so gerne, wenn man mit Spaß an eine Sache herangeht. Da meine Lehrer in der Schule schon immer meinten, „Wenn du so schreiben könntest, wie du laberst“ sind auch meine Ausführungen in diesem Buch weitestgehend in „O-Ton“ gehalten: Nicht hochtrabend wissenschaftlich, sondern simpel und in meinem ganz eigenen Stil. Ich hoffe, Sie können mir die eine oder andere ironische Nebenbemerkung und die teilweise bewusst vereinfachende Erklärungsweise nachsehen und ich hoffe, ich komme dabei nie oberlehrerhaft rüber. Vielmehr wäre es mein Wunsch, dass Sie sich das eine oder andere Mal in meinen Beispielen auch selber ein wenig wiedererkennen. Wenn Sie dann beim Lesen kurz einmal über eingefahrene Abläufe in Ihrem eigenen Alltag nachdenken, wäre es toll, wenn Sie dies zum Anlass nähmen, wieder damit anzufangen, ein freundschaftlicheres und verständnisvolleres Verhältnis zu Ihrem Körper aufzubauen.

Da dies keine rein theoretisch-abstrakte Angelegenheit ist, sondern ein praktischer Prozess, der sehr viel mit Ihrer eigenen Erfahrung zu tun hat, finden Sie an einigen Stellen in diesem Buch auch immer wieder mal einen Testimpuls, der Sie dazu anregen soll, das Gelesene einmal am eigenen Körper „auszuprobieren“.

Sie finden solch einen Selbsttest und besonders wichtige Merksätze immer dort, wo Sie der eigens für dieses Buch von dem Illustrator Klaus Sommerfeld so liebevoll erschaffenen Figur „Wirbelfried“ begegnen.

In den von mir geschilderten Beispiel- und Fallgeschichten kommen die häufigsten Ursachen für die typischen Rückenleiden zur Sprache, so dass die Chancen gut stehen, dass Sie darunter auch den einen oder anderen hilfreichen Hinweis auf der Suche nach einer Lösung für Ihr Problem finden.

Wenn meine Erläuterungen dann vielleicht (was ich sehr hoffe) hilfreich für Sie waren, dann seien Sie so lieb und tun mir auch einen Gefallen: Lassen Sie auch Ihre Kinder und Ihre Familie an diesem Buch und an dem, was Sie gerade beginnen zu verstehen, teilhaben. Dieses Verständnis und das Bewusstsein für den eigenen Körper ist letztlich doch das Wertvollste, was es gibt, weil nirgendwo käuflich erhältlich. Egal ob Sie nun also Lehrer, Arbeitgeber oder in sonstiger Position verantwortlich für Andere sind: Geizen Sie nicht mit der Weitergabe dieser Informationen, denn die beste Gesundheitsvorsorge fängt an, bevor es anfängt, weh zu tun. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Spaß beim Lesen, Ausprobieren und Verstehen …

2. Mein Freund – der unbekannte Begleiter

Das Team für ein Leben!

Stellen Sie sich einmal Folgendes vor: Sie werden mit ihm zusammen am selben Tag im selben Krankenhaus geboren. Von der ersten Ladung in die Windel bis zur Krabbelgruppe werden Ihre Wege nie getrennt. Sie sind mit ihm in dieselbe Kindergartengruppe gegangen und auch nachmittags im Sandkasten waren Sie unzertrennlich. Sie nehmen jede Mahlzeit miteinander ein, sitzen die gesamte Schulzeit nebeneinander. Sie rennen, turnen, klettern und fallen mit ihm zusammen hin. Lachen und Weinen mit ihm. Sie fahren mit ihm in den Urlaub, jedes Jahr. Selbst beim ersten Rendezvous ist er dabei. Sie machen zusammen Ihren Schulabschluss, gehen gemeinsam studieren oder arbeiten. Sie gehen mit ihm spazieren und bummeln und lassen ihn an den intimsten Dingen des Lebens teilhaben. Sie gehen jeden Abend mit ihm ins Bett und stehen mit ihm gemeinsam auf. Sie fassen ihn an, fühlen ihn, frieren und schwitzen zusammen. Jede Freude teilen Sie mit ihm und jede Trauer. Sie machen schlichtweg alles zusammen. Bis zum heutigen Tag, an dem Sie diese Zeilen lesen und ich komme und Sie frage, kennen Sie ihn überhaupt? Wie ist er? Wie funktioniert Ihr treuer zuverlässiger Weggefährte und wie tickt er? Er … wer ist er?

Er ist Ihr Körper, Ihr ständiger Begleiter in jeder Stunde und Minute Ihres Lebens. Wissen Sie, wie Sie ihn behandeln und pflegen müssen, damit er auch weiterhin so gut funktioniert wie bisher, oder auch, warum er bei anderen eventuell besser oder schmerzfreier funktioniert? Wissen Sie nicht mehr über Gebrauch und Pflege Ihres Handys als über Ihren Körper? Haben Sie sich schon mal in Zeiträumen, wo er reibungslos und einwandfrei funktioniert, gedanklich mit Ihrem Körper beschäftigt? Ja? Oder nehmen Sie diesen Zustand einfach als Selbstverständlichkeit hin? Und wenn er Sie gerade mit Schmerzen oder Unwohlsein quält, Sie zur Verzweiflung bringt, Sie ihn deshalb verfluchen, denken Sie dann auch daran, dass Sie ihn vielleicht auch gequält, ihn hoffnungslos überfordert und „misshandelt“ haben und das vielleicht schon über einen unendlich langen Zeitraum? Viele Fragen, auf die Sie wahrscheinlich auch nicht so auf die Schnelle eine Antwort haben.

Wenn doch und größtenteils mit Nein beantwortet, dann empfehle ich Ihnen, dieses Buch auf jeden Fall bis zum Ende zu lesen, denn in den meisten Fällen ist es die Rache Ihres Körpers an Ihnen!!! „The Revenge of your Body“. Und deshalb haben Sie die Schmerzen jetzt auch verdient. Schon der große Sportphilosoph Berti Vogts formulierte es so: „Man sieht sich immer zweimal im Leben!“

Ich kenn dich nicht, aber wasch dich trotzdem!

Und nun stelle ich die Frage aller Fragen: Wie kommt man dazu, über seinen Körper, seine Gesundheit oder Gesunderhaltung nachzudenken …? Bei den allermeisten Menschen sind es plötzlich auftretende Beschwerden, sich langsam verstärkende Schmerzen oder Bewegungseinschränkungen, häufig gepaart mit dem Verlust von Lebensqualität. Auffällig ist, dass es prozentual deutlich mehr Frauen als Männer sind, die sich mit dem Thema Gesundheit und Gesunderhaltung auseinandersetzen bzw. auch gewillt sind, vorhandene Missstände zu erkennen und etwas dafür oder dagegen zu tun. Da stellt sich nun die Frage, sind Männer einfach gesünder oder haben Frauen einfach nur mehr Zeit und sehen die Gesundheitsvorsorge quasi als Zeitvertreib oder Hobby an? Der Mann schaut die Sportschau und die Frau liest die Rentner-Bravo (kostenlose Apotheken-Zeitschrift). Oder haben Frauen dann doch ein besseres Verhältnis zu ihrem Körper? Aus meiner langjährigen Berufserfahrung heraus vertrete ich die Theorie, Frauen haben einen tieferen Bezug zu ihrem Körper. Vielleicht liegt es auch daran, dass ihr Körper sich in bestimmten Zyklen verändert und sie deshalb schon mehr über sich wissen müssen als Männer. Denn im besten Fall ist die einzige Abwechslung und spürbare Veränderung beim Mann von der beginnenden Pubertät bis zur gezwungenen Einnahme von Viagra das morgendliche Rasieren.

Ganz unterschiedlich ist das Alter, in dem man (Frau) sich das erste Mal ernsthaft mit dem – ich gebe zu nicht gerade als unterhaltsam bekannten Thema – Gesundheit und Körper auseinandersetzen. Das ist meistens der Zeitpunkt, an dem Beschwerden das erste oder zweite Mal verstärkt und länger anhaltend auftreten. Und das kann leider in jeder Altersstufe vorkommen. Der Grund hierfür können chronische Beschwerden aufgrund von Fehlbe- bzw. Überlastung sein. Angeborene Fehlfunktionen, die sich im Laufe der Jahre verschlechtern, aber auch akute Ereignisse, im schlimmsten Fall bedingt durch einen Unfall.

Ich geh zugrunde, gehst du mit?

Die Aufzählung der Möglichkeiten, wie Schmerzen entstehen können, ist unendlich lang und ich möchte Sie hier nicht langweilen, indem ich versuche, tatsächlich jede Form der Entstehung aufzulisten. Viel interessanter ist, wie gehe ich damit um, wenn er plötzlich oder auch schleichend da ist, der böse Schmerz, der mir die Freude auf alles Schöne nimmt … Und wie gehe ich damit um und vor allem dagegen an? In den meisten Fällen geht das nur, wenn ich mich mit mir und meinem Körper ernsthaft auseinandersetze. Ihn versuche zu verstehen und darauf hoffe, dass ich an Leute gerate, die mir dabei helfen, ihm auch ein schöneres Leben zu bescheren – sei es der Arzt, der Therapeut oder auch der Freund, Mann, Frau etc. Es gibt natürlich auch die Menschen, die versuchen, ihre Beschwerden in aller Ruhe auszusitzen, auf Spontanheilung oder auf den nächsten Papstbesuch hoffen. Ich glaube aber, von dieser Sorte wird auf keinen Fall jemand dieses Buch überhaupt in die Hand nehmen, und deshalb werde ich diese – zwar nicht kleine – Gruppe einfach außer Acht lassen. Dabei ist uns doch eigentlich das richtige Gefühl und der richtige Umgang mit unserem Körper in die Wiege gelegt worden. Jedes Kleinkind hat physiologische (wie von der Natur vorgesehen) und gelenkschonende Bewegungsmuster in seinem Bewegungssystem abgespeichert. Diese Bewegungsmuster haben wir uns dann über Technologie und Fortschritt in der Entwicklung des zivilisierten Menschen langsam aus dem Gedächtnis radiert. In der modernen Welt nennt man das Imitationsverhalten. Früher nannte man das falsche Vorbilder. Und diese falschen Vorbilder sind wir alle. Kinder schauen sich falsche Bewegungsabläufe von den Erwachsenen ab, imitieren und kopieren diese, um sie dann für ihr weiteres Leben als festen Bestandteil zu übernehmen (mehr dazu im Kapitel: „Klein aber oho“.) Das hat zur Folge, dass ein gutes Körpergefühl sich heutzutage ab dem fünften Lebensjahr langsam verflüchtigt. Außer pubertär bedingten Veränderungen nehmen wir unseren Körper erst dann wieder ernsthaft wahr, wenn er uns mit Schmerz und Unwohlsein quält. Wann dieser Punkt eintritt, hängt von der Form und Intensität der vorher zugefügten Belastungen und Fehlbelastungen, aber auch vom Faktor Glück ab. Je später das Zusammentreffen mit dem Schmerz im Lebensweg auftritt, desto schwieriger ist es, diese Menschen davon zu überzeugen, ihr Fehlverhalten und ihre Einstellung zur Gesundheit oder Gesunderhaltung zu verändern.

Wenn möglich – bitte wenden!

Der Umgang mit Menschen, die Schmerzen oder Erkrankungen haben, ist nicht immer einfach. Es gibt Menschen, die verfluchen ihren Schmerz, andere leben ihn aus, wieder andere überspielen ihn und bei einigen ist sogar der schuld, der ihn diagnostiziert hat. Und dann kommt oft noch einer daher, meistens auch noch jünger als der betroffene Schmerzleidende, und überhäuft diesen mit guten Vor-und Ratschlägen, gepaart mit Vorwürfen, was er in seinem bisherigen Leben alles falsch gemacht haben soll und überhaupt. „Wie, meine Haltung ist schlecht, das ist angeboren, dafür kann ich nichts!“ „Ein Körpergefühl wie eine Planierraupe, junger Mann?“ – „ Ich war Kreismeister im Kegeln!“ „Wie, ich hebe den Kasten Bier nicht richtig hoch? Was meinen Sie, was ich schon alles in meinem Leben gehoben habe!“ „Waaas, ich schlafe nicht richtig? Und jetzt soll ich diese Übungen machen …? Wenn Sie mal meine Schmerzen hätten, dann würden Sie anders reden!“ Was meinen Sie, wie oft ich diesen Satz schon gehört habe: „Wenn Sie mal meine Schmerzen oder meine Krankheit hätten. Sie haben gut reden, wissen Sie überhaupt, wie weh das tut?“

Jetzt kann ich von mir mit Fug und Recht behaupten: Ich weiß es! Denn auch mich hat dieses Bewusstsein und das Verständnis für den eigenen Körper nicht mein ganzes Leben lang begleitet. Ich bin auch nicht wie ein Geistlicher in den Stand des Physiotherapeuten berufen worden. Ich habe den klassischen Weg beschritten, den die meisten meiner späteren Patienten oder „Opfer“ ebenfalls gegangen sind. Ich hatte Schmerzen und das ganz plötzlich. Ein schwerer Unfall in jungen Jahren hat mich letztendlich erst dazu gebracht, meine Lebens- und Bewegungsgewohnheiten ändern zu müssen und dann auch nachfolgend den Beruf des Physiotherapeuten zu ergreifen. Ja, ich weiß, was Schmerzen sind und wie schwer und doch einfach es auch ist, etwas zu verändern, wenn man es denn wirklich will oder muss. Was ich Ihnen als Einstimmung auf das Buch und auf den allgemeinen Umgang mit Erkrankungen und Schmerzen sagen möchte: Vergessen Sie nie das Wichtigste – sich selber. Bei den allermeisten Erkrankungen und Beschwerden können Sie sich nur selber helfen. Erst dann kommen der Arzt und der Therapeut. Das medizinische Begleitpersonal ist wie ein Navi im Auto. Das Navi zeigt Ihnen den schnellsten, den besten oder den schönsten Weg zu Ihrem Ziel. Fahren aber müssen Sie immer noch selber. Selbst wenn Sie sich trotz Navigationssystem mal verfahren sollten, kein Problem, die freundliche Stimme der Dame holt Sie wieder auf den richtigen Weg zurück. Wenn möglich, bitte wenden! Aber nur, wenn Sie das wollen und sich an die Anweisungen und Ratschläge halten. Denn Gaspedal und Lenkrad, das bedienen Sie!!!

Das schwierige Geschäft eines Navigators

Ich habe jeden Tag mit vielen Menschen zu tun, die den Weg in meine Praxis finden. Manche kommen freiwillig, manche bekommen den Weg zu mir von ihrem Arzt gewiesen und einige kommen auch mehr oder minder unfreiwillig, sie werden fast von ihren Frauen (oder Männern) in meine Praxis geschleift. Egal wie, warum und weshalb, eines haben die allermeisten gemeinsam: Ihnen tut irgendetwas weh. Trotz dieser Gemeinsamkeit unterscheiden sie sich jedoch auch in diesem Punkt: Es ist die Art und Weise, wie sie mit ihren Beschwerden oder Schmerzen umgehen.

Ich lasse jetzt mal die meisten Akutpatienten, die wegen der Folgen eines Unfalls zu mir kommen, außer Acht und konzentriere mich auf die chronisch Kranken und Rückenschmerzgeplagten. Da sitzt ein Mann vor mir, 65 Jahre, eine Haltung wie eine Mondsichel, und beklagt sich über seine Rückenschmerzen, bedingt durch einen Bandscheibenvorfall. So sagt sein Arzt. Nach einer kurzen Befundaufnahme, die gebogene Wirbelsäule jetzt noch schön fixiert durch die Guido-Westerwelle-Gedächtnishaltung, also mit übereinandergeschlagenen Beinen, versuche ich einen ersten Therapieansatz. „So, wie Sie jetzt gerade vor mir sitzen, kann man Ihre Bandscheiben bis vor die Türe um Hilfe schreien hören. Was halten Sie davon, wenn ich Ihnen fürs Erste einmal zeige, wie Sie sich hinsetzen können, ohne dass sich Ihre Beschwerden ständig verschlimmern?“ Gesagt, getan. Mit etwas Mühe und unter fortwährendem guten Zureden bringe ich es fertig, ihn in eine einigermaßen rückenfreundliche Sitzposition zu bugsieren. Voller Stolz blicke ich ihn an. „Und, was sagen Sie jetzt?“ „Das ist doch nicht Ihr Ernst“, meint er, mit einem Gesichtsausdruck, in dem binnen Sekunden jegliche Sympathie für mich erloschen zu sein scheint. „Doch, so sitzen Sie ganz ordentlich. Ihr Rücken wird es Ihnen danken.“ „Nein!“, sagt er bestimmt und dann noch eine Spur forscher: „Ich sehe nicht den Sinn meines Lebens darin, bis an mein Lebensende so zu sitzen!“ Bums … das saß. Ich war kurz, was selten genug vorkommt, sprachlos. Nachdem ich mich zwei bis drei Sekunden später wieder gefangen hatte, entgegnete ich ihm: „Dann tut es mir leid, dann kann ich Ihnen nicht helfen!“ Auch mein Schuss saß. Nachdem ich ihm meine berufliche Unfähigkeit quasi mit einem Satz mitgeteilt hatte, und ich auch seine Frage, ob mir denn nicht etwas Besseres einfallen würde, verneinen musste, einigten wir uns darauf, die Behandlung nach dieser ersten Sitzung abzubrechen und ich entließ ihn in seine wieder gewonnene Freiheit. Ich sagte ihm jedoch noch beim Verlassen der Praxis, dass er jederzeit erneut kommen dürfe, wenn er bereit wäre, zumindest einen kleinen Teil seiner falschen Bewegungsgewohnheiten abzulegen und bereit, aktiv an seinen Problemen mitzuarbeiten. Ich habe ihn bis heute nicht mehr gesehen.

Dieses Beispiel, in seiner ganzen Dramaturgie zugegebenermaßen eher selten, erlebe ich in abgeschwächter Version jeden Tag aufs Neue. Wir quälen und peinigen unseren Körper über viele Jahre durch Fehl- und Überbelastung. Zwingen ihn in nicht vorgesehene Bewegungsmuster und das Tag für Tag und Jahr für Jahr. Und unser Körper toleriert dieses Fehlverhalten wie ein echter guter Freund. Er meckert und mosert nicht, schluckt wortlos alle Nackenschläge, die wir ihm zwar unwissentlich, aber trotzdem beharrlich jeden Tag aufs Neue zufügen. Beim Boxen heißt das „Nehmerqualitäten“, in der Medizin „Kompensationsfähigkeit“. Aber wie im wahren Leben, irgendwann hat auch der beste Freund die Nase voll, wenn er ständig auf dieselbige kriegt, meckert zu Recht und fordert auch mal ein wenig Respekt und Zuwendung ein. Der Freund macht das im besten Fall mit Worten, der Körper meldet sich wegen fehlender Sprachkenntnisse mit Schmerz.

Als ob nicht durch den Schmerz genug geplagt, sitzen diese Menschen, wenn sie richtig Pech haben, dann auch irgendwann bei mir oder einem anderen meiner Zunft. Und dann wird es schwierig. Richtig schwierig. Für den Patienten wie auch für mich. Hat man sich dann ein Bild von der ganzen Misere des Betroffenen gemacht, folgt meistens irgendeine Variante des Satzes: „Sie machen dies oder das verkehrt.“ Aus einem uns angeborenen Verteidigungsmodus heraus lässt dann eine Entschuldigung nicht lange auf sich warten. „Das mach ich aber immer so und die Schmerzen habe ich erst seit drei Wochen!!!“ Jetzt wird es richtig interessant. Ab hier kann der weitere Verlauf des Behandlungsvorgespräches überraschende Dialoge zur Folge haben. Vom verständnislosen Kopfschütteln, ertappten Sündergesicht bis hin zum hilflosen Dackelblick (Bitte, bitte helfen Sie mir!) ist alles möglich. Die mit dem hilflosen Blick sind übrigens genauso schwer zu überzeugen, zu behandeln und auf den richtigen Weg zu führen wie die Verständnislosen. Warum? Weil man bei ihnen jedes Wort auf die Goldwaage legen muss. Erklärt man ihnen zum Beispiel, dass ein rechtsseitiger Bandscheibenvorfall durch eine Linksneigung mit Drehung in der Wirbelsäule verursacht wird, möchten sie sich den Rest ihres Lebens nur noch wie R2-D2, der Roboter aus Star Wars, bewegen, ohne jegliche Rotation im Rumpf. Korrigiert man dann diese roboterähnlichen Bewegungsformen, heißt es: „Sie haben doch gesagt, dass die Drehung schädlich ist!“ „So habe ich das aber nicht gemeint, ich meinte doch nur …“

Er läuft und läuft und läuft …

Hilfe, es ist nicht immer leicht, die Menschen ihren Zustand verstehen zu lassen! Deshalb habe ich es mir angewöhnt, jedem Patienten sein Krankheitsbild so gut es geht an irgendwelchen Beispielen zu erklären, zu denen er einen Bezug hat. Den Bauarbeitern und Architekten erkläre ich es anhand von Häusern, dem Hobbygärtner anhand von Pflanzen, der Hausfrau und dem Feuerwehrmann an einem mit Wasser vollgelaufenen Keller und wenn mir mal gar nichts einfällt, dann hole ich mein Lieblingsbeispiel raus und vergleiche den Körper mit einem Auto (bei Männern im Allgemeinen ein sehr geschätztes Beispiel). Wie ist es, wenn wir uns ein neues Auto kaufen? Wir behandeln es wie einen Schatz, putzen es im neuen Zustand fast kaputt, sind beim kleinsten Mucks in der Werkstatt und vor allem, wir bringen es rechtzeitig und regelmäßig zur Inspektion und zum TÜV. Wir setzen uns mit ihm auseinander, lesen die Gebrauchsanweisung und wissen fast alles über unseren Liebling auf vier Rädern, wenn man uns danach fragt. Und wir werden sogar sehr gerne danach gefragt. „Wie viel PS hast du?“ Diese Frage ringt uns nur ein müdes Lächeln ab, aber die Frage „Wie viele Wirbel hast du?“ würde die meisten von uns schon ein bisschen aus der Bahn werfen.

Aber bleiben wir beim Auto. Es ist ein so schönes Teil, dass wir uns entschließen, mit ihm zusammenzubleiben, bis dass der TÜV uns scheidet. Irgendwann, wie bei allem im Leben, lässt der Glanz des Neuen jedoch etwas nach. Unser Stolz wird nicht mehr so oft geputzt und poliert, aber trotzdem investieren wir immer noch viel Zeit und Geld, um die wichtigsten Funktionen unseres Gefährts zu erhalten. Jetzt gilt eher der Grundsatz: Funktionstüchtigkeit vor Schönheit. Neue Reifen, Bremsen, Kupplung. Nach 100 000 km eine neue Nockenwelle. Spätestens jetzt bricht die Zeit an, in der wir uns nicht immer auf das bis dahin treue Gefährt verlassen können. Startschwierigkeiten, Pannen. Aber wir entschuldigen es damit, dass es ja auch schon alt ist und bereits 245 631 km auf dem Buckel hat. „Es hat uns ja schließlich immer dahin gebracht, wo wir hin wollten.“ Ob wir wollen oder nicht, irgendwann kommt dann der Zeitpunkt, wo wir uns entscheiden müssen … abwracken und einen Neuen oder den heiß geliebten Oldtimer als zusätzlichen Zweitwagen oder als Liebhaberobjekt behalten.

Vergleichen Sie die kleine Geschichte eines Autolebens mit der Ihres Körpers. Sind Sie mit ihm auch so tolerant, wenn er nach 40 Jahren treuer Dienste mal eine Panne hat? Haben Sie ihm auch regelmäßig TÜV und Inspektion gegönnt? Wie viel von Ihrem sauer verdienten Geld haben Sie in den letzten Jahren in die Wartung und Pflege Ihres Körpers gesteckt? Vergleichen Sie die Summe mal mit den Ausgaben für Ihr Fahrzeug. Einen kleinen Unterschied zwischen den Ausgaben für unsere geliebten Fortbewegungsmittel und denen für unseren Körper gibt es schon. Bei einem Neuwagen investieren wir in den ersten Jahren seines Autolebens viel Geld in Funktionalität (Wartung, Inspektion) und Schönheit. Jeden Samstag in die Waschanlage, damit das neue Prachtexemplar an der Ampel auch einen guten Eindruck macht. Die Alufelgen blinken in der Sonne und der Lack sieht aus, als ob das schöne Gefährt gerade von Meister Proper gewienert worden ist. Alles vom Feinsten, Mechanik wie Optik.

Bei uns Menschen ist es so, dass wir zur Erhaltung unserer Mechanik freiwillig eigentlich gar nichts tun. Aber für die Optik …!!!??? Kommen wir in die Jahre, also an den Punkt, an dem wir meinen, dass der erste Lack schon etwas ab ist (der Zeitpunkt in einem Autoleben, wo wir überwiegend nur noch in die Erhaltung der Funktionen investieren und sich die Optik, also Wagenwäsche und so, nur noch darauf beschränkt, ein- und aussteigen zu können, ohne danach duschen zu müssen), fangen wir an, unser Geld nur noch in die Erhaltung der Schönheit zu stecken. Faltencremes, je teurer desto besser, Sonnenbank zur Erhaltung des Teints, Mani- und Pediküre, Gurkenmasken und in der größten Not darf auch gerne der Chirurg das Notwendigste richten. Jeder Euro zur Erhaltung der Optik ist es wert, ausgegeben zu werden. Hauptsache die äußere Hülle sieht respektabel aus. Aber wie viel von den oft heraus geworfenen Moneten stecken wir in unser Inneres, in die Erhaltung unserer Mechanik und Funktionstüchtigkeit? In den Teil unseres Körpers, der es uns erlaubt, uns gut und schmerzfrei zu bewegen.

Das ist etwas ganz anderes, meinen Sie? Das meine ich nicht. – Ich brauche mein Auto ja immerhin, um jeden Tag zur Arbeit zu fahren. – Sie brauchen auch Ihren Körper, um jeden Tag zu arbeiten. – Mein Auto ist ein Gebrauchsgegenstand. – Ihren Körper ge- bzw. missbrauchen Sie ja auch jeden Tag. – Ohne mein Auto habe ich weniger Lebensqualität und ohne kann ich auch nicht in den Urlaub fahren. – Na gut, fahren Sie das nächste Mal doch ohne Ihren Körper in den Urlaub, und wenn das eine bessere Lebensqualität ist, nehme ich mein Argument zurück. – Mein Auto ist ein mechanisches Teil, gespickt mit modernster Elektronik. Es braucht Inspektion und Wartung, plus Winter- und Sommercheck. – Was meinen Sie denn, was Ihr Körper ist? Eine hochpräzise mechanische Maschine, angetrieben vom sparsamsten Motor der Welt und gesteuert von einer genialen Elektronik. Das glauben Sie nicht? Dann lesen Sie bitte weiter …

3. Wunderwerk Wirbelsäule – Ein Crashkurs in Anatomie

Wat isn Dampfmaschin?

So, jetzt habe ich Ihnen schon einiges über das ganze Drumherum erzählt. Da Sie auch hier an dieser Stelle noch weiterlesen, gehe ich davon aus, dass Sie mir in einigen meiner Argumente Recht geben und nun bereit sind, Ihre Verständnisebene zu erweitern. Schreiten wir nun endlich zur Tat und machen uns ans Eingemachte, an den menschlichen Körper bzw. den schwersten Teil von ihm, den Rumpf.

Da stellen wir uns einmal ganz dumm … Der Rumpf besteht aus Becken, Rücken, Bauch und Brust, und weil unter anderem auch zum Lesen am wichtigsten nehmen wir den Kopf noch mit dazu. Arbeiten wir uns nun von unten nach oben. Das Becken ist, wie der Name schon sagt, ein Körperteil, das aussieht wie ein Becken, ein schüsselartiges Gebilde aus flachen, aber recht festen Knochen. Das Becken ist die Auffangschale für die Därme und andere lebenswichtige Organe und bildet mit den seitlich angelegten Hüftgelenkspfannen die Verbindung zu unseren Beinen. Das Becken ist im hinteren Bereich offen. In dieser Öffnung sitzt als Verbindungsstelle der zwei Beckenhälften das Kreuzbein. Das Kreuzbein geht mit dem Becken an den beiden äußeren Rändern eine gelenkartige verzahnte Verbindung ein, welche durch viele kleine Bänder gehalten wird. Diese Nahtstelle zwischen Becken und Kreuzbein bildet das Iliosacralgelenk, zu Deutsch „Kreuzbein-Darmbeingelenk“, abgekürzt ISG. Dieses Gelenk unterscheidet sich durch seine flächige und unsymmetrische Kontaktfläche deutlich von allen anderen Gelenken in unserem Körper. Auch deshalb werden Sie dazu im weiteren Verlauf des Buches noch mehr hören. Über dem Kreuzbein beginnt die Wirbelsäule. Diese wird grob in drei größere Abschnitte unterteilt: Lenden-, Brust- und Halswirbelsäule, abgekürzt LWS, BWS und HWS. Diese drei Teile setzen sich zusammen aus fünf Lendenwirbelkörpern, zwölf Brustwirbelkörpern und sieben Halswirbelkörpern, die jeweils durch eine Bandscheibe getrennt werden. Diese drei Hauptbestandteile müssen Sie sich vorstellen wie drei übereinander angeordnete Zahnräder. Drehen Sie eins dieser drei Zahnräder nach vorne oder nach hinten, bewegen sich die anderen zwei ebenfalls. Das heißt, Sie können keinen dieser drei Abschnitte richtig isoliert bewegen, ohne dass die zwei anderen nicht zumindest etwas an Bewegung mitmachen. Spüren kann man dieses Phänomen am besten, wenn Sie sich einmal so gerade wie möglich hinsetzen und versuchen, nur den mittleren Teil Ihrer Wirbelsäule zu bewegen, ohne dass der Kopf oder das Becken ihre Position verändern. Probieren Sie es mal … Es geht nicht, egal wie sehr Sie sich auch bemühen.

Becken von innen. Links (also von Ihnen aus rechts) mit den durch Tapes angedeuteten (im wahren Leben vielen kleinen) Stabilisationsbändern, rechts (von Ihnen aus links) im rohen Zustand. Man erkennt gut die verzahnte Gelenkfuge.

Das Fundament der Wirbelsäule – Das Becken

Kommen wir nun zu einer genaueren Analyse unserer knöchernen Rumpfbestandteile. Wieder fangen wir am besten ganz unten an, am Becken. Das Becken ist das Fundament unserer Wirbelsäule. Die Grundfläche, auf der unsere Wirbelsäule aufgebaut ist. Stellen Sie sich das Becken vor wie das Fundament für Ihr Haus. Wenn das Fundament gut in der Waage und prima ausgerichtet ist, können Sie beruhigt anfangen, Ihr Haus darauf zu bauen. Bauen Sie jedoch mal ein Haus auf einem schiefen Fundament. Lieber nicht! Wenn Sie schon beim Fundament geschludert haben und es nicht gerade ist, brauchen Sie sich nicht zu wundern, wenn auch Ihr Haus schief wird und irgendwann, nach kurzer oder längerer Zeit, Risse bekommt. Im schlimmsten Fall entstehen daraus sogar statische Probleme. Beim Becken verhält es sich ähnlich. Schiefe und statisch zweifelhafte Wirbelsäulen sind häufiger als Sie vielleicht denken, und wenn wir die angeborenen Fälle ausklammern, sind diese Gebilde überwiegend erworben über eine Fehlstellung oder Fehlbedienung des Beckens. Deshalb spricht man beim Becken auch von dem „Lenkrad der Wirbelsäule “.

Stopp, nicht dass Sie jetzt denken, jetzt fängt der wieder mit seinen Autovergleichen an. Nein, Lenkrad der Wirbelsäule heißt, dass die Aufrichtung der Wirbelsäule über das Becken gelenkt bzw. gesteuert wird. Ich kann über die Bewegung des Beckens die Wirbelsäule aufrichten oder auch – nicht abrichten – einrollen. Die Wirbelsäule biegt sich dann zu einem wunderbaren runden C (C wie der Buchstabe oder auch die bekannte Banane mit selbigem Anfangsbuchstaben).

Zahnradmodell nach Brügger. Die Beckenkippung dreht das unterste Zahnrad nach vorne. Dadurch wird automatisch der Brustkorb (das zweite Zahnrad) angehoben und die Halswirbelsäule gestreckt (drittes Zahnrad).

Das Zahnradmodell auf den Menschen übertragen.

Das Becken lässt sich in zwei Richtungen bewegen. Die Bewegung nach vorne nennt man Beckenkippung und diese erzielt eine Aufrichtung in der Wirbelsäule (siehe Abb. S. →).

Ein Beispiel der Beckenkippung im Sitzen: Stellen Sie sich das Becken wieder als Schüssel vor, gefüllt mit Wasser. Durch eine Bewegung im Becken wollen Sie diese Schüssel jetzt so auskippen, dass das Wasser darin langsam über die vorderen Oberschenkel ausläuft. Oder versuchen Sie sich mal im Sitzen so groß wie möglich zu machen, ohne die Beine mitzubenutzen. Schließen Sie dabei die Augen und „erspüren“ Sie, welcher Teil für diese Vergrößerung verantwortlich ist. Die Bewegung des Beckens nach hinten nennt man Aufrichtung, und die führt wie erwähnt dazu, dass die Wirbelsäule sich in die so geschmähte C-Position begibt. Achtung: Sollten Sie leidenschaftlicher Reiter sein, werden Sie diese Zeilen jetzt etwas verwirren. Zu dem, was in der Medizin Beckenkippung genannt wird, sagen die Reiter Beckenaufrichtung. Wer diese Verwirrung jetzt zu verantworten hat, ich weiß es nicht. Wer war zuerst da, der Reiter oder der Medizinmann? Die Beckenkippung ist das A und O für die optimale Einstellung der Wirbelsäule. Ohne die Beckenkippung kann die Wirbelsäule nicht in die bestmögliche Position gebracht werden. Punkt.

Ab hier wird es jetzt ziemlich kompliziert, besonders für die Herren der Schöpfung. Viele Männer schauen mich bei dem Erlernen der Beckenkippung an, als sei es ein persönlicher Affront gegen sie und ihre Männlichkeit. Blicke und verständnisloses Kopfschütteln, als würde ich Unmenschliches von ihnen verlangen oder sie bewegungstechnisch auf eine Geschlechtsumwandlung vorbereiten wollen. Aber ich kann nichts dafür. Ich teile nur mit und zeige ihnen, dass es so ist wie es ist! Mangelndes Körpergefühl und fehlende Beweglichkeit tun dann noch ihr Übriges. Die Natur hat der Weiblichkeit nun mal eine bessere Beweglichkeit und Koordination im Becken mit in die Wiege gelegt. Das ist wohl auch der Grund, warum es so wenige männliche Bauchtänzer auf dieser Welt gibt. Und die nächste Ungerechtigkeit lässt nicht lange auf sich warten. Das ist der Zeitpunkt, an dem man(n) sich bewusst das erste Mal mit dieser Bewegung auseinandersetzen muss.