Und wieder so ein grandioser Tag - Uwe Heit - E-Book
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Uwe Heit

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Beschreibung

Udo gibt alles für die Arbeit - aber die Kollegen denken nur an sich. Er hält "den Laden" am Laufen, bügelt die Fehler der anderen aus und sagt sich am Ende: "Und wieder so ein grandioser Tag". Uwe Heit schreibt leicht und locker über das Leben im Hier und Heute.

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Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhaltsverzeichnis

Bäume

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Auf der Jagd nach Dr. Vogel

Die Ölheizung

Der neue Aufzugsnotruf

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Feine Luft

Auf ein Neues (schöne neue Welt)

Impressum

Bäume

Günter ist fast blind. Gregor kann kaum schreiben. Bernhard hat Demenz. Mandy und ich sind Leiharbeiter.

Wir sind das Hamburger Empfangsteam von Ebotroc, einem großen deutschen Unternehmen, aber Günter, Gregor und Bernhard bekommen als Festangestellte doppelt oder dreimal so viel Lohn wie ich - nur Mandy als Frau verdient noch weniger.

Sie ist sogar Aufstockerin.

Leiharbeiter sind Arbeitnehmer (Leiharbeitnehmer), die von einem Arbeitgeber (Verleiher) einem Dritten (Entleiher) gegen Entgelt überlassen werden. Viele Leiharbeiter in Deutschland sind Aufstocker.

Aufstocker erhalten so wenig Lohn für ihre Arbeit vom Arbeitgeber (Verleiher), dass sie zum Lohn noch Geld vom Staat bekommen. Sie werden in der Arbeitsmarktstatistik „erwerbstätige Arbeitslosengeld-Bezieher“ genannt.

Ich betrete das Hochhaus des Unternehmens und durchquere das Foyer. Mandy am linken Empfangsschalter sieht mich durch die Scheibe aus Sicherheitsglas schlecht gelaunt an, während sie meinen Hausausweis in die Durchreiche unter der Glasscheibe wirft.

Ich passiere einen schmalen Flur und öffne die Tür zur Pförtnerloge und zum Empfang, zwei Räumen, die lediglich durch einen Raumteiler voneinander getrennt sind. Mandy am Empfang würdigt mich keines Blickes, so dass ich gleich um den Raumteiler in die Pförtnerloge gehe.

Bildschirme der Videoanlage zur Überwachung der deutschen Standorte der Firma nehmen dort eine ganze Wand ein, darunter und an zwei weiteren Wänden stehen auf niedrigen Tischen Computer der technischen Anlagen. Die vierte Wand wird fast komplett von einem großen Schrank voller Aktenordner verdeckt.

Bernhard sitzt an einem Tisch, den grauhaarigen Kopf tief über das Dienstbuch gebeugt. Ein über sechzigjähriger, selbstgewisser, ehemaliger Abteilungsleiter.

Günter neben ihm kann sehr schlecht sehen, aber seine Brille trägt er trotzdem nicht. Er weiß, dass er als Behinderter kaum gekündigt werden kann.

Günter starrt zur Videowand.

„Guten Tag, Kollegen“, begrüße ich die beiden.

Ich erhalte keine Antwort.

Günter sieht weiterhin zur Wand, Bernhard aufs Dienstbuch.

Ich sage lauter:

„Guten Tag!“

„Tag auch“, brummt Günter, während Bernhard nicht auf mich reagiert.

„Habt ihr schon die Anlagen überprüft?“, frage ich.

Bernhard dreht sich zu mir um:

„Du musst dir keine Gedanken machen. Ich habe schon alles erledigt!“

Als er sich wieder weggedreht hat, überprüfe ich dennoch alles. Obwohl ich so vorsichtig bin wie möglich, bemerkt es Bernhard und reagiert aufgebracht:

„Willst du mich kontrollieren?“

„Die Chefin hat gesagt, dass alle zu Schichtbeginn die Anlagen überprüfen sollen.“

Bernhard gönnerhaft: „Die Thiem!“

„Sie ist unsere Chefin.“

Bernhard herablassend: „Diese Chefin.“

Ich sehe am PC der Einbruchmeldeanlage einen ausgeschalteten Alarmmelder und würde gern überprüfen, ob ein Eintrag im Dienstbuch darüber vorhanden ist. Leider hat Bernhard das Buch, weshalb ich die Frage laut stelle:

„Kollegen, was ist mit dem ausgeschalteten Alarm der Einbruchmeldeanlage?“

Günter und Bernhard sehen zum PC der Einbruchmeldeanlage und schweigen.

„Habt ihr was für jemanden abgeschaltet?“

„Das hätte ich dir doch mitgeteilt, Udo“, sagt Bernhard.

„Hat die Vorschicht euch gesagt, warum der Alarm abgeschaltet ist?“

Bernhard gönnerhaft: „Udo, ganz ruhig!“

„Mandy, hast du am Empfang zufällig mitgekriegt, warum der Melder abgeschaltet wurde?“

Mandy gelangweilt: „Vielleicht, weil die Firma Hochsicher im Haus arbeitet?“

„Ach so, ja. Die Firma Hochsicher ist hier“, erinnert sich Günter.

„Und das hat euch die Vorschicht nicht gesagt?“, wundere ich mich.

„Doch“, sagt Günter.

„Nein“, sagt Bernhard.

„Doch“, sagt Günter.

„Nein!“

„Und warum habt ihr mir das nicht gesagt?“

Günter zuckt mit den Schultern und gähnt.

„Du hast ja nicht gefragt.“

„Woher soll ich wissen, welche Firmen im Haus sind, wenn ihr nichts sagt und Bernhard das Dienstbuch hat?“

Günter sieht schweigend zur Wand mit den Bildschirmen.

Ich verliere die Geduld: „Kann ich mal ins Dienstbuch sehen, Bernhard?“

„Du siehst doch, dass ich es lese!“

Ich schüttele genervt den Kopf und sichte dann die Tagesmitteilungen in der Dienstinformationsmappe.

„Wir müssen noch Hütchen aufstellen, weil heute der Müllcontainer vor der Warenannahme abgeholt wird.“

Bernhard sieht vom Dienstbuch hoch:

„Das weiß ich doch, Udo. Ich habe alles im Griff.“

Mandy nebenan lacht übertrieben laut. Sie mag Bernhard nicht und zeigt ihm das gern. Bernhard nimmt es ihr nicht übel. Schließlich verdient Mandy viel weniger als er und dann ist sie auch noch eine Frau. Weil ich so bald keine Möglichkeit haben werde, die Eintragungen im Dienstbuch zu lesen, frage ich Günter:

„Und sonst sind keine Firmen im Haus?“

Er überlegt eine Weile und zuckt dann mit der Schulter.

„Komisch, dass Gregor noch nicht da ist“, wundere ich mich.

„Der ist da. Bei der Chefin oben“, sagt Günter.

„Was macht der jetzt schon bei der Chefin?“

Günter: „Was schon. Schleimen!“

„So früh ist er doch sonst nie bei der Chefin.“

Ich setze mich schräg hinter Bernhard auf einen Stuhl und beobachte das Geschehen an den anderen Standorten der Firma auf den Bildschirmen. Eigentlich ist das die permanente Aufgabe aller Pförtner, aber Bernhard beschäftigt sich mit dem Dienstbuch und Günter ist ohne Brille so gut wie blind. Die Sonne löst ständig Alarme an der Videoanlage aus. Unwichtige Alarme, die aber gelöscht werden müssen, damit wichtige Alarme nicht übersehen werden. Der PC der Videoanlage steht zwischen Bernhard und Günter, also übernimmt das niemand, was mich nervös macht, denn die Chefin würde vor allem mich zur Verantwortung ziehen, sollten wir einen wichtigen Alarm übersehen. Ich möchte also gern die Alarme löschen, aber das würde mir Bernhard sehr übel nehmen, zumal er direkt neben der Tastatur der Videoanlage sitzt.

Schließlich halte ich es nicht mehr aus:

„Bernhard, würdest du bitte die Alarme löschen?“

Wie aus einem Traum gerissen sieht Bernhard von dem Dienstbuch auf. Zuerst schaut er mich an, dann auf en PC der Videoanlage.

„Du brauchst dich darum nicht zu kümmern, Udo. Ich habe alles im Griff.“

„Dann lösch bitte die Alarme. Du weißt, wir müssen es zeitnah machen!“

„Immer mit der Ruhe, Udo“, sagt Bernhard und widmet sich wieder dem Dienstbuch.

Ich atme tief durch. Nach einer Weile verliere ich erneut die Geduld:

„Die Chefin macht mir Vorwürfe, wenn wir die Alarme nicht rechtzeitig löschen!“

„Die Thiem!“, sagt Bernhard. Diesmal klingt es verächtlich.

„Dir ist es scheißegal, aber uns nicht!“, ruft Mandy am Empfang.

Bernhard jedoch reagiert aus Prinzip nicht auf Mandy. Wenig später sage ich fast flehentlich:

„Bernhard, bitte rücke vom PC weg, damit ich die Alarme an der Videoanlage quittieren kann.“

Bernhard sieht erneut vom Dienstbuch hoch. Wir sehen uns in die Augen. Ich weiß nicht, ob er inzwischen vergessen hat, worum es geht, weshalb ich sanft erkläre:

„Es geht um die Videoanlage.“

Bernhard beleidigt: „Ich bin doch nicht vergesslich!“

Mandy am Empfang lacht übertrieben laut.

Endlich quittiert Bernhard die Alarme.

Als ein Alarm an der Einbruchmeldeanlage ausgelöst wird, will ich am PC nachsehen, um welchen Alarm es sich handelt, aber das ist unmöglich, denn Bernhard hat sich genau davor gestellt. Deshalb schnappe ich mir die Meldung des Alarmdruckers. Ein Melder im achten Stock hat den Alarm ausgelöst. Jetzt steht sogar Günter auf. Er stellt sich neben Bernhard vor den PC der Einbruchmeldeanlage. Gemeinsam starren sie auf den Monitor.

„Bernhard, schalte doch den Alarmton aus“, bitte ich schließlich.

Bernhard reagiert nicht, sondern starrt immer noch auf den Monitor. Günter neben ihm sieht in die gleiche Richtung.

„Hallo? Ich habe hier Kundschaft! Mach den Ton aus!“, ruft Mandy vom Empfang.

„Das ist ein Einbruchalarm auf dem Dach!“, sagt Bernhard mehr zu sich selbst als zu Günter, aber laut genug, dass Mandy es hören kann.

„Wahrscheinlich einer von Firma Steinbeiss!“, ruft Mandy.

„Firma Steinbeiss?“, wundere ich mich.

Vorwurfsvoll sagt Günter in meine Richtung: „Die sind doch auf dem Dach!“

„Woher soll ich das wissen?“

Bernhard selbstbewusst:

„Es ist ein Alarm auf dem Dach! Ich werde nachsehen! Ihr bleibt und wartet auf meine Rückmeldung.“

Ich verliere die Geduld:

„Bernhard, wenn du den Ton nicht ausstellst, mache ich es!“

„Ganz ruhig!“, sagt Bernhard.

Endlich versucht er, den Alarmton am PC auszuschalten. Leider vergeblich. Anscheinend hat er heute einen sehr schlechten Tag.

„Das nervt! Wird ’s noch?“, ruft Mandy.

Bernhard kann den Alarmton ausschalten. Ich weiß es, denn er zeigt mir gern, was er alles kann. Um sich selbst zu beweisen, dass er nicht vergesslich ist. Leider vergisst er ständig, was er mir gezeigt hat. Und jetzt hat er erneut vergessen, wie man den Alarmton ausschaltet. Während Bernhard am PC Verschiedenes ausprobiert, augenscheinlich in der Hoffnung, irgendwie das Ziel zu erreichen, lese ich die jüngsten Eintragungen im Dienstbuch. Tatsächlich arbeitet die Firma Steinbeiss auf dem Dach. Ich bin mir sicher, dass einer von deren Mitarbeitern versehentlich den Alarm ausgelöst hat.

Endlich gelingt es Bernhard, den Alarmton auszuschalten.

„Das wurde auch Zeit“, schimpft Mandy.

Bernhard richtet sich auf und verkündet:

„Ich gehe jetzt!“

„Bernhard, wollen wir nicht lieber die Firma Steinbeiss anrufen? Vielleicht war es ja einer von denen“, sage ich.

Bernhard laut: „Nein!“

Ich beobachte, wie er sich umsieht. Wider besseren Wissens helfe ich ihm bei der Suche:

„Es liegt unter dem Hefter vor dir.“

Er hebt den Hefter hoch, findet das Schlüsselbund und schimpft:

„Wer hat es da hingelegt? Dort gehört es doch nicht hin!“

„Da liegt es oft“, erkläre ich höflich.

„Unsinn, Udo“, sagt Bernhard.

Er steckt das Schlüsselbund in die Hosentasche und geht zur Tür.

„Bernhard, denk an das Handy!“, bitte ich.

Er bleibt stehen:

„Ach so, ja. Ist mir gerade auch selbst eingefallen.“

Mit den Worten nimmt er das Handy vom Tisch und verlässt den Raum.

„Der vergisst noch mal den eigenen Kopf“, stellt Günter fest.

Ich rufe in Richtung Empfang:

„Mandy, hat Steinbeiss eine Telefonnummer hinterlassen?“

„Aber so was von!“

Ich gehe hinüber an den Empfang. Mandy, die gerade einen Kunden bedient, gibt mir nebenbei den Ausgabezettel für den Hausausweis eines Steinbeiss-Mitarbeiters mit Telefonnummer. Ich tippe die Nummer ins Telefon und kurz darauf höre ich eine männliche Stimme.

„Schröder.“

„Firma Steinbeiss?“

„Ja, Schröder.“

„Hier Beth, von der Pförtnerloge. Äh, vom Service-Point. Ist einer von euch vor Kurzem an der Tür zum anderen Bauteil auf dem Dach gewesen?“

„Moment mal.“

Ich höre, wie der Mann mit einem anderen redet.

Dann sagt er zu mir:

„Mein Kollege war an der Tür. Ist aber nicht durchgegangen.“

„Das spielt keine Rolle. Schon wenn er versucht, die Türklinke runterzudrücken, löst er bei uns einen Alarm aus.“

„Scheiße“, sagt Schröder.

„Es taucht gleich ein Kollege von mir bei Ihnen auf. Ein alter Mann. Dem könnt ihr das auch sagen. Vielleicht müsst ihr ihm die Tür zeigen. Macht ihr das?“

„Die Tür zeigen?“, wundert sich Schröder.

„Zeigt ihm nur die Tür, dessen Klinke dein Kollege runtergedrückt hat und sagt es ihm. Klar?“

„Ja.“

Ich lege auf.

„Wo ist Blödmann hin?“, fragt Mandy.

„Er will aufs Dach wegen einem Alarm von der Firma Steinbeiss, aber ob er dort hinfindet und wann?“

„Soll ich die Chefin anrufen?“

„Warum?“

„Na, wenn Bernhard unterwegs ist, weiß doch niemand, wohin er geht und wann er wiederkommt!“

„Die Thiem kann da auch nichts machen. Er ist doch schon in der Abteilung, wo er am wenigsten Schaden anrichten kann.“

Mandy empört: „Keinen Schaden? Der baut doch Scheiße ohne Ende!“

Ich setze mich an den PC vor der Videoanlage, lese Mails und beobachte die Monitore an der Wand. Günter neben mir starrt unentwegt dorthin. Als das Telefon zwischen uns auf dem Tisch klingelt, beobachte ich ihn ein paar Sekunden lang, aber wie erwartet, greift er nicht zum Hörer.

Bernhard meldet sich aufgeregt am Telefon:

„Udo, lösch den Alarm. Ich habe alles kontrolliert. Hier ist keiner. Das war ein Fehlalarm.“

„Wo bist du?“

„Hier ist keiner. Das war ein Fehlalarm. Du kannst ihn löschen!“

„Bernhard, sag mir bitte, wo du bist. Dann lösche ich sofort den Alarm.“

„Die Tür zum Dach ist geschlossen, also kann gar keiner durchgegangen sein. Ich habe noch mal abgeschlossen, du kannst jetzt wieder scharf schalten.“

Ich lösche den Alarm am PC, aber die Anlage löst den Alarm sofort wieder aus.

„Bernhard, der Alarm kommt wieder! Ich kann nicht scharf schalten!“

„Blödsinn! Du musst etwas falsch machen!“

„Bernhard, ich habe gerade mit der Firma Steinbeiss telefoniert! Mit Schröder von Steinbeiss. Sein Kollege hat die Tür angefasst und den Alarm ausgelöst. Du musst an der falschen Tür sein.“

„Ich habe die Sache in Angriff genommen!“, ruft Bernhard empört, „lösch den Alarm und schalte scharf!“

„Siehst du die Leute der Firma auf dem Dach? Bei denen ist die Tür mit dem Alarm! Bernhard! Bitte!“

Ein paar Sekunden später:

„Udo, bis gleich!“

Ich lege den Hörer aufs Telefon.

„Was ist los?“, will Mandy wissen.

„Er ist auf der falschen Seite vom Dach.“

Mandy lacht.

„Und du hast Schuld?“

„Noch nicht.“

Während ich Bernhards nächsten Anruf erwarte, sage ich mehr zu mir selbst als zu Günter:

„Wo Gregor nur bleibt? Im Ernstfall brauche ich ihn vielleicht.“

„Den kannst du doch voll vergessen“, brummt Günter.

Die Zeit vergeht, ohne einen Anruf.

Ich seufze:

„Na, jetzt findet er sicher niemanden mehr auf dem Dach.“

„Warum?“, fragt Günter.

„Weil die Firma Steinbeiss gerade die Ausweise bei Mandy abgibt!“

„Woher weißt du das?“

Ich zeige auf einen Bildschirm an der Wand.

„Weil die Handwerker gerade bei Mandy ihre Ausweise abgeben!“

Günter etwas lauter als üblich:

„Das sehe ich!“

Später klingelt es doch wieder. Es ist – wie erwartet – Bernhard:

„Udo, kein Mensch ist auf dem Dach. Bist du sicher, dass du mit den richtigen Leuten gesprochen hast?“

„Ich bin mir vollkommen sicher. Die Firma Steinbeiss macht gerade Pause. Schließ die Tür wieder ab, damit ich sie scharf schalten kann.“

„Das habe ich doch längst gemacht. Schalte scharf.“

Ich kann den Alarm am PC der Einbruchmeldeanlage löschen. Er hat tatsächlich die richtige Tür verschlossen.

„Du kannst zurückkommen! Du hast es geschafft!“, rufe ich ins Telefon.

„Selbstverständlich!“, sagt Bernhard selbstbewusst.

Als er wieder die Pförtnerloge betritt, ist er immer noch sehr zufrieden mit seiner Leistung:

„Günter! Ich habe mir ein Käffchen verdient. Wollen wir ein Zigarettchen rauchen?“

„Da sage ich nicht nein!“

Bernhard wendet sich zu mir:

„Schaffst du es für ein paar Minuten hier allein?“

„Ja.“

„Wenn du Hilfe brauchst, du weißt ja, wo ich bin.“

Mandy am Empfang lacht verächtlich. Bernhard geht in die Kaffee-Ecke der Pförtnerloge, hebt unsere Kaffeekanne hoch und schwenkt einen Rest kalten Kaffee von der Vorschicht hin und her. Dann verlässt er mit der Kanne in der Hand den Raum, gefolgt von Günter.

„Er macht jetzt den kalten Kaffee wieder in der Mikrowelle heiß“, sage ich.

Mandy angewidert: „Eher würde ich Gift trinken.“

„Zwei sind im Raucherraum und der dritte bei der Chefin. Wenn jetzt was passiert, Feuer oder Rettungswageneinsatz, bin ich allein.“

„Wie immer!“, sagt Mandy.

Als ich auf den Bildschirmen der Videowand sehe, dass der Empfangsvorraum voller Kunden ist, die darauf warten, von Mandy bedient zu werden, rufe ich:

„Wenn du Hilfe brauchst, hole ich Günter oder Bernhard aus dem Raucherraum.“

„Lass die bloß dort! Lieber arbeite ich doppelt.“

Dann kommt Gregor herein. Gregor ist mit Hilfe seines Vaters vor zwanzig Jahren als Pförtner eingestellt worden. Nach Kanzler Schröders Arbeitsmarktreform stellt das Unternehmen nur noch schlecht entlohnte Leiharbeiter als Pförtner ein. Das sieht Gregor als Chance für seine Karriere im Unternehmen, die bisher dadurch gebremst wurde, dass er kaum mehr als seinen eigenen Namen schreiben kann.

Er gibt mir die Hand und sagt sehr freundlich:

„Leider konnte ich nicht früher kommen, die Chefin wollte mich sofort sprechen. Wo sind die andern beiden?“

„Die rauchen.“

„Liegt jetzt was an?“

„Momentan nicht.“

„Die Chefin hat mit mir gesprochen. Ich soll Aufgaben an euch verteilen.“

Gregor sieht mir in die Augen.

Ich gebe mich ahnungslos:

„Wie meinst du das?“

Gregor treuherzig:

„Mir fällt auf, dass oft Sachen nicht gemacht werden. Zum Beispiel achtet niemand darauf, ob genug Papier im Drucker ist oder ob er noch genug Farbe hat. Niemand, außer mir.“

„Und mir“, sage ich.

Gregor unwillig: „Ja, du auch. Die Chefin und ich, wir brauchen einen Plan.“

„Einen Plan?“

„Na, einen Plan. Wer was macht. Einer kontrolliert alle Drucker. Ein anderer sieht sich die Dienstinformationsmappe an und prüft, ob da nicht Anweisungen raus müssen. Wie oft ärgern wir uns, dass uralte drin sind.“

„Wir haben sie doch immer rausgenommen, wenn es uns aufgefallen ist.“

„Ich!“, sagt Gregor.

„Und ich“, sage ich.

„Wir müssen da ein System reinbekommen, sagt die Chefin.“

„Die Chefin?“

Gregor sehr freundlich: „Du weißt, ich gebe ihr Tipps, aber sie ist die Chefin. Die Chefin hat gesagt, dass eine Aufgabenverteilung im Service-Point stattfinden soll. Jeder ist für etwas verantwortlich, damit in Zukunft nicht immer einer“ – er stockte kurz – „oder auch zwei alles machen müssen, weil die andern nicht mitdenken.“

„Aha.“

„Sie hat gesagt, dass du das bitte aufschreiben sollst.“

„Sie hat das gesagt?“

„Ja.“

„Warum ich?“

„Ich würde es ja selbst machen, aber ich bin Legastheniker!“

Gregor spricht „Legastheniker“ langgezogen und sehr respektvoll aus.

„Und warum übernimmt das nicht Günter oder Bernhard? Die beiden sind Festangestellte. Günter verdient doppelt so viel wie ich und Bernhard das Dreifache.“

„Die Chefin ärgert das ja auch. Aber sie sagt, wir sind ein Team, in dem alle arbeiten müssen. Und nicht nur ich und, ja, auch du. Deshalb bittet sie dich, dass du eine Übersicht erstellst, wer welche Aufgaben machen kann.“

„Bis wann?“

„Am besten noch heute.“

„Es kann aber immer was dazwischenkommen. Ein Feuerwehreinsatz. Oder ein Rettungswageneinsatz.“

„Ich habe dich übrigens bei der Chefin lobend erwähnt.“

Gregor sieht mich an und erwartet Dankbarkeit.

Ich unterdrückte das, was ich darauf gerne antworten würde.

Gregor, ein wenig enttäuscht:

„Ich muss jetzt durchs Haus. Auftrag der Chefin, alle Brandschutztüren zählen. Wenn was ist, ruf mich an. Äh, noch was. Die Chefin sagt, ihr sollt euch um die Bäume in Bundstraße 16 kümmern.“

„Bäume in Bundstraße 16?“

Gregor zeigt auf die Wand mit den Bildschirmen.

„Die Bäume lösen doch immer unnötig Alarme aus. Besonders wenn es windig ist.“

Danach verlässt er den Raum.

Sofort guckt Mandy um den Raumteiler in die Pförtnerloge: „Das schreibst du nicht! Er gibt deine Arbeit bei der Chefin als seine aus. Wie immer!“

„Aber wenn ich es nicht mache, erzählt er der Chefin, dass ich die Arbeit verweigere. Du kennst ihn doch.“

Mandy giftig:

„Der kann doch nicht mal seinen eigenen Namen schreiben.“

„Er ist Legastheniker, sagt er.“

„Der kann das Wort nicht mal schreiben!“

Ich setze mich an den PC und beginne mit der Arbeit. Als Bernhard und Günter aus dem Raucherraum zurück in die Pförtnerloge kommen, setzt sich Günter erneut vor die Videowand, Bernhard stellt sich hinter meinen Stuhl und erwartet, dass ich stillschweigend den Platz am PC räume. Schließlich ist es eine ungeschriebene Regel im Team, dass die Leiharbeiter den PC nur in Abwesenheit oder mit Erlaubnis der Festangestellten nutzen dürfen.

Ich drehe mich zu Bernhard:

„Gregor war hier. Jetzt ist er wieder weg. Was für die Chefin erledigen.“

Günter: „Typisch. Und wir können hier arbeiten.“

„Wir sollen uns um die Bäume kümmern, sagt er.“

Bernhard: „Er kann mir gar nichts sagen.“

„Die Chefin sagt es, sagt Gregor.“

Bernhard: „Die Thiem kann mir gar nichts sagen. Was soll denn mit den Bäumen sein?“

„Du weißt doch, dass sie im Wind ständig Fehlalarme auslösen.“

Ich erkenne an Bernhards Blick, dass er auch das vergessen hat. Ich zeige auf die Monitore, deren Kameras auf die Bäume gerichtet sind.

„Ich sehe mir die Sache aus der Nähe an“, beschließt Bernhard. Und kommandiert: „Günter, du bleibst hier und unterstützt … “ - er stockt kurz – „den Kollegen.“

Schon geht er zügig zur Tür.

„Das Handy, Bernhard“, erinnere ich ihn.

Er bleibt stehen und dreht sich zu mir:

„Ich habe ganz und gar nicht das Handy vergessen! Ich wollte nur auf die Toilette und es danach mitnehmen!“

„Und wie heißt der Kollege, Bernhard?“, fragt Mandy am Empfang spöttisch.

Bernhard nimmt das Handy und verlässt wortlos den Raum.

„Ich schreibe weiter die Sache für Gregor am PC“, sage ich schnell, bevor sich Günter dort hinsetzen kann.

„Wenn es sein muss!“, knurrt er.

Ich schreibe also weiter, während Günter auf die Wand mit den Bildschirmen starrt. Sicher ärgert er sich darüber, dass ich den PC benutze, aber ich habe keine Lust, die Arbeit erst handschriftlich zu erledigen, weil Günter am PC im Internet surfen will, mit der Nase dicht vor dem Bildschirm. Als ich von einem Gang auf die Toilette zurückkomme, unterhalten sich Mandy und Günter.

„Günter, du fährst diesmal nach Prag? Eine Frau von dort treffen?“

„Sonst würde ich nicht dahin fahren! Mit dem Bus ist es billiger. Die Agentur kostet schon genug Geld.“

Günter sucht schon lange eine Frau, jetzt auch im Ausland.

„Nur wegen einer Frau fährst du bis nach Prag?“, staune ich.

„Drei! Die Agentur hat mir doch einen Katalog mit den Frauen geschickt. Mit Bildern, Körpermaßen, Gewicht, Alter und so. Viele Studierte dabei. Zwei von denen, die ich mir ausgesucht habe, können sogar Deutsch, und die dritte kann Englisch und natürlich ihre eigene Sprache.“

„Du kannst doch gar kein Englisch“, sage ich.

„Setzt du in Prag deine Brille auf?“, will Mandy wissen.

„Ich brauche keine Brille. Ich kann auch ohne Brille gut sehen.“

„Und was sind die Frauen von Beruf?“, fragt Mandy.

Günter stolz: „Alles Studierte!“

„Aber du bist doch nur ein Pförtner.“

„Warum soll ich eine schlechte Wahl machen, wenn ich die Auswahl habe?“

Ich höre den beiden nicht mehr zu, sondern arbeite am PC und frage mich, wo Bernhard geblieben ist, denn auf den Bildschirmen mit den Bäumen ist er nicht zu sehen.

Dann klingelt es. Die Assistentin der Chefin, Beate Schleswig, ist am Telefon. Sie beginnt sofort zu reden:

„Bin ich niemand? Bin ich niemand? Oder bin ich total zu übersehen?“

„Hallo, Beate. Worum geht es?“

„Aha, aha. Ich bin also niemand für euch. Gut, dass ich es weiß. Gut.“

„Beate, würdest du mich bitte aufklären, worum es geht? Ich habe keine Ahnung.“

„Die Firma Pohlmann ist im Haus und ich weiß nichts. Nichts!“

„Die Firma Pohlmann ist im Haus?“, frage ich überrascht.

„Die Firma Pohlmann! Danke, dass ich von euch darüber informiert wurde!“

Mit den Worten legt sie einfach auf. Ich sehe Günter verwundert an:

„Weißt du was von der Firma Pohlmann?“

Er nickt.

„Du warst gerade auf Toilette, als sie ins Haus gekommen sind.“

„Warum hast du dann nicht der Schleswig Bescheid gesagt?“

Günter guckt schweigend zur Monitorwand.

Ich eindringlich: „Du musst die Schleswig anrufen! Du weißt doch, sie denkt, dass sie keiner für voll nimmt, weil sie früher Leiharbeiterin war.“

Mandy: „Habe ich ihm schon gesagt.“

„Was macht die Firma Pohlmann hier?“, frage ich Günter.

„Haben sie nicht gesagt.“

„Mandy?“

„Sie reparieren die Tür im sechsten. Die soll klemmen oder so.“

Ich sehe Günter voller Verachtung an, was er natürlich nicht erkennen kann. Als es das nächste Mal klingelt, meldet sich Bernhard aufgeregt am Telefon:

„Udo? Udo? Bist du es?“

„Ja, Bernhard. Ich bin es.“

„Warum meldest du dich nicht?“

„Wie meinst du das?“

„Ich rufe dich die ganze Zeit an und du meldest dich nicht. Schlaft ihr alle?“

„Bernhard, wen du auch immer versucht hast anzurufen, mich hast du nur ein einziges Mal angerufen. Genau jetzt.“

„Unsinn, Udo. Aber egal: Die Kameras sind völlig frei und weit von den Bäumen entfernt. Kein Ast oder Zweig kann einen Alarm auslösen.“

Ich versuche vergeblich, Bernhard auf den Monitoren zu entdecken.

„Wo bist du? Ich sehe dich nicht.“

„Du musst auf den richtigen Monitor schauen!“

„Bernhard, siehst du irgendwo eine Kamera? Stellst du dich bitte vor sie?“

„Mach die Augen auf. Ich stehe genau vor den Bäumen.“

„Würdest du dich bitte noch dichter vor die Kamera stellen? Bitte!“

Ich höre seine Schritte am Telefon, während ich ihn weiter vergeblich auf den Monitoren suche.

„So, jetzt, Udo!“, sagt Bernhard.

Ich sehe ihn immer noch nicht, als Mandy ruft:

„Wer löst mich zur Pause ab?“

„Kannst du noch einen Moment warten?“, frage ich.

„Warten? Worauf?“, sagt Bernhard ungehalten.

„Bernhard, ich habe mit Mandy gesprochen. Sie will Pause machen.“

„Das ist doch Kinderkram, was die Mandy macht.“

Endlich habe ich ihn auf einem Bildschirm entdeckt.

„Bernhard, du stehst auf dem Parkdeck der Garagenausfahrt!“

„Ja, und die Bäume stören die Kameras überhaupt nicht!“

„Du stehst falsch! Es geht nicht um die Bäume der Garagenausfahrt, sondern um die an der Bundstraße 16.“

„Udo, du hast gesagt, die Bäume auf dem Parkdeck Garagenausfahrt. Das weiß ich ganz genau.“

Ich atme ein paar Mal tief durch, bevor ich antworte:

„Bernhard, was auch immer ich gesagt habe: Es geht um die Bäume der Bundstraße 16. Deren Äste lösen immer wieder Fehlalarme aus. Entweder du kommst zurück und ich sehe mir das an oder du gehst jetzt selbst dorthin.“

„Natürlich gehe ich selbst dorthin! Bis gleich.“

„Wenn Kevin kommt, gehe ich!“, sagt Mandy.

Ich sehe Günter an, der zur Wand starrt. Ein Leiharbeiter löst immer einen Leiharbeiter zur Pause ab, nie ein Festangestellter einen Leiharbeiter. Günter aber wird es kaum wagen, sich mir zu widersetzen.

„Günter, vertrittst du Mandy? Ich bleibe hier wegen Bernhard und der Bäume. Es geht ja nur um eine halbe Stunde. Ausnahmsweise.“

Günters Gesichtsausdruck verfinstert sich. Er starrt weiter zur Videowand:

„Ich kann ja auch hier bleiben!“

Ich ganz sanft:

„Du hast keine Brille auf!“

„Wird ‘s bald?“, ruft Mandy.

Günter starrt noch eine Weile zur Wand, dann steht er ruckartig auf und geht zu Mandy am Empfang.

Ich arbeite weiter für Gregor, als es klingelt.

„Scharrmann mein Name. Bin ich dort in der Pförtnerloge?“

„Service-Point“, sage ich. „Wir sollen die Pförtnerloge Service-Point nennen. Anweisung der Chefin.“

„Oh! Das wusste ich nicht. Ich habe meinen Büroschlüssel vergessen. Können Sie mir aufschließen?“

„Es wird jemand kommen“, informiere ich ihn.

Dann rufe ich Gregor an.

„Ein Mitarbeiter kommt nicht in sein Büro rein. Kannst du ihm aufschließen? Du bist doch gerade im Haus unterwegs.“

„Warum macht das keiner von euch?“

„Bernhard ist wegen der Bäume unterwegs und Günter vertritt Mandy in ihrer Pause, weil ich mit Bernhard wegen der Bäume zu tun habe.“

„Dann soll Mandy ihre Pause verschieben und Günter das Büro aufschließen.“

„Gregor, Mandy trifft sich in der Pause mit Kevin, ihrem Freund. Willst du ihr das verderben, nur weil du nicht fünf Minuten zum Aufschließen eines Büros übrig hast?“

Gregor schweigt kurz.

Dann mit theatralischem Seufzen: „Ich will heute mal nicht so sein.“

Ich arbeite also weiter am Text. Bernhard sehe ich immer noch nicht bei den Bäumen, während inzwischen so viele Leute bei Günter am Empfang warten, dass der Hauseingang völlig blockiert ist.

Ich gehe zum Empfang, wo Günter bewegungslos auf den Monitor starrt. Dass das Foyer voller Leute ist, wäre ihm wahrscheinlich auch egal, wenn er es sehen würde.

„Geh nach nebenan. Ich mache hier weiter.“

Während ich die Leute bediene, höre ich ein Telefongespräch im Nebenraum. Ich höre Günter „ja“ und „mache ich“ sagen. Schließlich ruft er laut: „Kannst du mir mal helfen?“

„Ich habe hier Kundschaft!“

„Der will was haben und ich finde den Scheiß nicht!“, schimpft Günter.

„Wer will was haben?“

„Na, Gregor! Der hat mich angerufen! Der schleimt bei der Chefin und wir können arbeiten!“

Ich entschuldige mich bei den Besuchern, die an der Reihe sind und gehe zur Pförtnerloge, aber schon am Raumteiler kommt mir Günter mit einem Ordner entgegen:

„Er will die Übersicht über alle Türen im Haus haben!“

„Über welche Türen?“

Günter sieht mich verständnislos an.

„Es sind verschiedene Türen im Haus verbaut“, erkläre ich.

Günter starrt mich weiter an.

„Brandschutztüren, Rauchschutztüren, Bürotüren.“

Günter glotzt, ansonsten keine Reaktion. Mir reicht es:

„Du bleibst jetzt für mich am Empfang. Falls dich die nächsten Besucher fragen, sagst du, dass ich nebenan ihren Ansprechpartner suche. Machst du das?“

„Hm.“

Günter stellt sich hinter den PC am Empfang. Die Männer sehen ihn freundlich an, während er sie anstarrt, sicher auch weil er ihre Gesichter bestenfalls als fleischfarbene Flecken wahrnimmt. Ich stelle den Ordner in den Schrank zurück zu Hunderten Ordnern mit Tausenden Anweisungen, für die Gregor in vielen Jahren ein undurchschaubares Ordnungssystem angelegt hat. Dann wähle ich Gregors Telefonnummer. Bevor ich etwas sagen kann, fragt er mich:

„Hast du es gefunden?“

„Wie denn? Ich muss doch erst mal wissen, was. Und wo!“

„Ich habe Günter gesagt, dass er die Übersicht über die Brandschutztüren im Haus suchen soll! Die Chefin will das wissen.“

„In welchem Ordner soll ich suchen?“

„In dem alten mit dem kleinen gelben Fleck an der Seite! Beeil dich! Die Chefin wartet.“

Nach langer Suche entdecke ich endlich einen alten Ordner mit einem gelben Fleck. Nun muss ich darin nur noch die Übersicht über die Brandschutztüren finden. Nicht einfach, denn Gregors System versteht niemand außer ihm. Was Gregor wiederum nicht versteht. Während ich mich in dem Ordner durch Hunderte Anweisungen blättere in der Hoffnung, durch Zufall auf den Text zu stoßen, sehe ich aus dem Augenwinkel eine Alarmmeldung auf dem PC der Gebäudetechnik. Reingekommen, als ich am Empfang gewesen und Günter hier war. Er hat sie natürlich nicht gesehen, ohne Brille. Ich informiere den Techniker Olschewski über die Meldung.

„Sehen Sie überhaupt auf den Monitor?“, fragt er mich ungehalten. „Der Alarm ist vor neunzehn Minuten aufgelaufen!“

„Entschuldigung.“

Nach dem Gespräch suche weiter den Text über Brandschutztüren. Der nächste Anrufer ist Bernhard.

„Udo, ich stehe hier vor dem Haus. Die Bäume sind klein und Kameras gibt es nicht.“

Ich entdecke ihn dieses Mal ziemlich schnell auf dem Monitor:

„Bernhard! Du stehst vor dem Haus! Die Bäume und auch die Kameras sind hinter dem Haus!“

„Du musst mir immer die richtigen Angaben übermitteln, Udo! Sonst kann ich nicht vernünftig mit dir zusammenarbeiten!“

Mit dem Ordner unter dem linken Arm und dem Telefonhörer in der rechten Hand warte ich darauf, dass Bernhard hinter dem Haus auftaucht. Schließlich sehe ich ihn auf einem Monitor.

„Jetzt bist du richtig!“, lobe ich ihn.

„Hättest du von Anfang an eindeutige Auskünfte erteilt, hätte ich die Sache längst erledigt! Die Äste müssen beschnitten werden. Wo haben wir eine Säge?“

„Bernhard, ich nehme an, die Chefin will von uns wissen, ob wir die Gärtnerfirma holen sollen.“

„Die Gärtnerfirma? Das ist eine Fremdfirma! Leiharbeiter! Die taugen nichts.“

„Ich bin auch Leiharbeiter von einer Fremdfirma!“

„Bei dir ist das was anderes.“

„Bernhard, am besten, du kommst zurück und sagst der Thiem, dass wir die Gärtnerfirma bestellen müssen.“

„Weißt du, wo wir eine Leiter haben?“

„Was willst du mit einer Leiter?“

„Dumme Frage. Ohne Leiter kann ich die Äste nicht abschneiden.“

„Die Chefin hat nichts von abschneiden gesagt!“

„Selbst ist der Mann, Udo! Eigenständiges Denken und Handeln ist gefragt! Wo ist eine Leiter?“

„Ich weiß nicht, wo eine Leiter ist“, lüge ich. „Komm bitte zurück. Ich bin mit Günter allein hier. Mandy macht noch Pause.“

„Papperlapapp. Ich melde mich wieder.“

Ich suche immer noch die Übersicht über die Brandschutztüren in Gregors Ordner, als Mandy aus der Pause zurückkommt. Das Foyer ist längst wieder voller Menschen. Ich höre Mandy auf Günter schimpfen, während sie ihren Platz einnimmt. Günter antwortet ihr nicht; er sagt gar nichts.

Ich rufe Gregor an.

„Ich finde deine Übersicht nicht.“

„Hast du den Ordner mit dem gelben Fleck?“

„Genau den habe ich.“

„Das ist doch ganz einfach! Das Blatt mit den Brandschutztüren ist vor der Anweisung mit dem großen schwarzen Kreuz.“

„Großes schwarzes Kreuz?“

„Großes schwarzes Kreuz! Das habe ich extra auf ein Blatt Papier gezeichnet!“

„Gregor, ich habe deinen Ordner x-mal durchsucht! Ohne Erfolg! Und ich muss noch deine Aufgabenverteilung schreiben!“

„Sieh den Ordner durch und melde dich wieder bei mir. Wenn alles klappt und die Chefin hat keine weiteren Aufgaben für mich, bin ich schnell wieder bei euch.“

Während ich erneut die Übersicht über die Brandschutztüren in dem Ordner suche und Mandy immer noch über Günters Arbeit am Empfang schimpft, entdecke ich Bernhard mit einer Leiter auf einem Monitor.

„Der Idiot!“, sage ich verblüfft zu mir selbst.

Günter sitzt längst wieder vor der Videowand und versucht nun zu erkennen, was ich sehe.

„Welcher Idiot?“

„Bernhard ist mit einer Leiter unterwegs.“

„Was will der mit einer Leiter?“

Mandy am Empfang lacht laut auf. Ich versuche, Bernhard anzurufen, aber er reagiert nicht. Günter hat sich neben mich gestellt und stiert auf die Monitorwand.

„Was macht er?“

Ich antworte nicht, sondern versuche, Bernhard anzurufen, und überlege, ob ich die Chefin über Bernhards Vorhaben informiere. Bernhard würde mir große Vorwürfe machen, aber die Chefin will ganz sicher nicht, dass Bernhard die Bäume beschneidet.

„Wir sind ein Team, Udo!“, sagt Bernhard oft.

Die Chefin sagt das auch oft.

Bernhard steht auf der Leiter unter einem Baum und versucht, dessen untersten Ast zu erreichen. Hoffentlich stürzt er ab und bricht sich ein Bein. Der Bruch würde in seinem Alter nur langsam verheilen.

„Was macht er?“, will Günter wissen.

„Er steht auf der Leiter.“

Mandy lacht am Empfang: „Der alte Idiot! Hoffentlich fällt er runter und bricht sich ein Bein. Dann sind wir ihn eine Weile los.“

„Mandy!“, sage ich.

„Ist doch so. Blödmann nervt nur.“

Ich sehe, wie Bernhard auf der Leiter das Handy aus der Tasche holt. Gleich darauf klingelt es bei mir.

„Udo, weißt du, wo wir eine Baumsäge haben?“

„Eine Baumsäge?“

„Wir müssen doch irgendwo eine Baumsäge haben. Im Lager vielleicht. Frag doch mal einen vom Lager.“

„Bernhard, die Chefin hat nur gesagt, dass wir uns die Bäume ansehen sollen. Vielleicht müssen nur die Kameras anders eingestellt werden oder die Chefin holt eine Firma für die Bäume.“

„Man muss anpacken, nicht nur quatschen. Gib mir die Nummer vom Lager.“

„Pass auf, dass du nicht aus Versehen das Handy ausschaltest.“

„Ich schalte nie das Handy aus!“

„Ich habe vorhin versucht, dich anzurufen.“

„Sicher hast du eine falsche Nummer gewählt.“

„Die Nummer vom Lager ist 8233! Hörst du, Bernhard? 8233!“

Bernhard aufgebracht: „Glaubst du, ich könnte mir nicht eine einfache Durchwahlnummer merken? Werde nicht unverschämt!“

Er beendet das Gespräch.

„Was hat er?“, will Günter wissen.

„Ich muss mal pinkeln! Udo!“, ruft Mandy.

Da Günter sicher nicht noch einmal die Arbeit am Empfang übernehmen wird, gehe ich nach nebenan. Als ich Kunden bediene, höre ich im Nebenraum einen Alarm. Zwischen zwei Kunden rufe ich: „Was ist das für ein Alarm, Günter?“

Er antwortet nicht. Einige Minuten später rufe ich erneut:

„Günter, was ist das für ein Alarm?“

„Bin doch schon dabei!“, knurrt er.

Nachdem Mandy von der Toilette zurück ist, gehe ich nach nebenan, wo Günter auf den Monitor der Zugangskontrolle starrt. Ein Alarm von der Zugangsschleuse zu einem Datenträgerraum, stelle ich gerade fest, als das Telefon klingelt.

Es ist Beate Schleswig.

„Bin ich ein Niemand? Bin ich Luft? Luft?“

„Beate, ich habe Mandy vorn am Empfang vertreten,“ sage ich ganz sanft.

„Aha, ihr nehmt mich nicht ernst. Es ist immer das Gleiche! Ich werde nicht informiert!“

„Nein, wir nehmen dich alle ernst, Beate. Es ist ein Alarm an einer Schleuse und er steht noch an.“

„Das sehe ich auch. Bewegt sich einer von euch? Sieht einer nach, was da los ist?“

„Ja, Günter geht.“

„Der Blinde? Was soll der sehen?“

„Gregor ist bei der Chefin und Bernhard ist wegen der Bäume unterwegs. Ich bin allein“, erkläre ich.

„Na, Prost Mahlzeit“, sagt sie, nun schon etwas besänftigt.

Mit dem Hörer am Ohr drehe ich mich um: „Günter, im Keller ist ein Schleusenalarm. Vor dem Datenträgerraum vier. Siehst du mal nach?“

Günter verlässt den Raum. Bald darauf klingelt es erneut.

„Udo, du hast mir die falsche Nummer gegeben!“, schimpft Bernhard. „Das war nicht das Lager, das war ein Massagesalon!“

„Hast du 8233 gewählt?“

„Natürlich habe ich die Nummer gewählt! Da war eine Masseuse am Apparat! Gib mir die richtige Nummer!“

„Bernhard, darf ich das Lager für dich anrufen? Ich sage dir dann sofort Bescheid, ja?“

„Aber Beeilung! Ich kann hier nicht lange bleiben, sonst geht es bei euch drunter und drüber.“

Ich rufe im Lager an.

„Hallo, Hartmut, lach mich nicht aus, aber habt ihr eine Baumsäge? Oder eine Heckenschere?“

„Hä?“

„Mein Kollege will die Bäume beschneiden. Und nun sucht er eine Baumsäge.“

„Meinst du den Alten, der sich bei uns eine Leiter ausgeborgt hat?“

„Hat er von euch die Leiter gekriegt?“

„Der Chef hat ihm die Leiter gegeben.“

„Wollt ihr die Leiter wiederhaben?“

Hartmut lacht.

„Habt ihr eine Säge?“

„Ich weiß nicht. Der Chef ist schon zu Hause. Ist ja festangestellt.“

„Ich sage dem Alten, ihr habt keine Säge. Ist besser so.“

Danach versuche ich, Bernhard anzurufen, aber er hat anscheinend das Handy ausgeschaltet. Ich gebe es auf und suche weiter Gregors Übersicht über die Brandschutztüren im Ordner. Günter kommt zurück, setzt sich wortlos auf einen Stuhl und sieht zur Wand mit den Monitoren.

„Was ist mit der Schleuse?“, frage ich.

„Nichts.“

„Ruf die Schleswig an und sag es ihr!“

Günter telefoniert mit der Assistentin der Chefin. Bernhard steht immer noch vor den Bäumen. Plötzlich entdecke ich die Übersicht über die Brandschutztüren. Ich rufe Gregor an.

„Ich rede gerade mit der Chefin. Rufe mich später an“, sagt er und legt auf.

Ich weiß, dass Günter ungern zur Chefin geht, auch aus Furcht, sie könnte ihm eine Arbeit auftragen in der Erwartung, dass er sie zu ihrer Zufriedenheit erledigt. Aber ich habe einfach keine Lust, alles zu machen:

„Günter, bringst du Gregor die Übersicht über die Brandschutztüren? Er sitzt bei der Chefin.“

„Warum ich?“

Das Telefon klingelt.

Es ist Bernhard:

„Hast du vergessen, wegen der Säge im Lager anzurufen?“

„Nein, habe ich nicht. Du hast meinen Anruf nicht angenommen.“

„Rede keinen Unsinn. Ich warte die ganze Zeit auf deinen Rückruf. Das habe ich nicht vergessen!“

„Bernhard, der Lagerverwalter hat keine Säge.“

„Ich werde die Sache selbst in die Hände nehmen. Pass auf die Leiter auf.“

„Ich habe doch keine Zeit, auch noch auf die Leiter zu achten!“, rufe ich, aber Bernhard hat das Gespräch schon beendet und verschwindet aus dem Bereich der Kameras.

„Bernhard sucht jetzt eine Säge für die Äste!“

„Lass ihn doch, dann kriegt er Ärger mit der Chefin“, sagt Mandy.

„Und ich.“

Während meines Gesprächs hat Günter ebenfalls telefoniert. Er hat mehrmals „ja“ und „hm“ gesagt, aber nun starrt er wieder auf die Videowand.

„Was war das für ein Anruf?“, frage ich.

„Da hat einer einen RTW gewollt.“

„Was?“

„Na, einen Rettungswagen!“

„Was?“, wiederhole ich verblüfft.

Günter vorwurfsvoll: „Du hast doch gerade telefoniert!“

„Günter! RTW-Einsätze gehen immer vor!“

„Ich habe mir was aufgeschrieben.“

Er gibt mir einen Zettel.

„Raum 5065 oder Raum 565? Was soll das heißen?

„Raum 565“, Günter zögert, „glaube ich.“

„Mensch, Günter“, ruft Mandy vom Empfang halb entsetzt, halb belustigt.

„Keine Telefonnummer notiert! Und was heißt Müller?“, frage ich.

„Na, Müller!“, sagt Günter. „Der Mann heißt Müller, der angerufen hat.“

„Weißt du, wie viele Müller wir haben?“

Günter sieht mich nur an.

„Ein Vinzenz Müller sitzt in 565. Telefonnummer 2668“, ruft Mandy.

Ich wähle die Nummer. Eine Männerstimme meldet sich.

„Spreche ich mit Müller? Vinzenz Müller?“

„Ist der Rettungswagen unterwegs?“, fragt der Mann.

Ich lüge:

„Ja, schon unterwegs. Die wollen noch genauer wissen, was passiert ist.“

„Habe ich Ihnen doch schon alles gesagt.“

„Nicht mir, meinem Kollegen.“

„Meine Kollegin ist plötzlich umgefallen und liegt neben meinem Schreibtisch. Wir haben ihr einen Mantel als Kopfkissen unter den Kopf gelegt.“

„Und sonst? Hat sie sonst Beschwerden?“

„Sie ist bleich und atmet schwer. Wann kommt der Rettungswagen?“

„Jede Minute. Ist ein Ersthelfer informiert?“

„Ein Ersthelfer?“

„Wir haben in jeder Etage Ersthelfer. Wenn keiner da ist, rufe ich schnell einen an.“

„Ist einer von euch Ersthelfer?“, ruft der Mann.

„Ja, wir haben hier eine Ersthelferin.“

„Der Krankenwagen kommt“, beende ich das Gespräch. Danach bestelle ich einen Rettungswagen und rufe Gregor an.

„Wir haben einen RTW-Einsatz.“

„Bin sofort unten.“

Als ich aufgelegt habe, sagt Mandy:

„Günter! Ganz ehrlich, wenn du im Dienst bist, möchte ich nicht krank werden.“

„Ich wollte ja anrufen“, brummt Günter.

Wenig später kommt Gregor aus dem Aufzug und geht an den Empfang.

„Gib ihm das Notfallbund“, sage ich zu Günter.

„Wem?“

„Gregor steht am Empfang! Er will das Notfallbund haben und die Sanitäter zu der Frau bringen!“

Günter steht sofort auf und beginnt, das Notfallbund an der Schlüsselwand des Raumteilers zu suchen. Anscheinend hat er ein schlechtes Gewissen.

Auf der Monitorwand sehe ich, dass die Leiter noch an den Bäumen steht. Von Bernhard keine Spur.

Der nächste Anrufer ist Vinzenz Müller.

„Wann kommt der Rettungswagen?“

„Jede Sekunde. Hat sich der Zustand Ihrer Kollegin verschlechtert?“

„Nein, verbessert aber auch nicht.“

Wenig später begleitet Gregor zwei Sanitäter ins Haus. Dann sehe ich auf der Monitorwand Bernhard mit einer Kettensäge in den Händen auf die Leiter steigen.

Ich rufe den Lagerverwalter an.

„Ich denke, du weißt nicht, ob du eine Kettensäge hast!“

„Er hat mit meinem Chef gesprochen.“

„Der ist doch schon zu Hause!“

„Ist auch so. Dein Kollege hat sich einfach mein Telefonverzeichnis geschnappt und den Chef privat angerufen. Ist der irgendwie komisch, oder so?“

„Wir haben gerade einen RTW-Einsatz. Vielleicht kann er gleich mitgenommen werden.“

Der Lagerverwalter lacht.

Ich beobachte, wie Bernhard versucht, mit der Kettensäge in den Händen auf der Leiter im Gleichgewicht zu bleiben.

„Mandy, willst du mal lachen?“, rufe ich.

Sie stellt sich an den Raumteiler. Als sie Bernhard mit der Kettensäge auf der Leiter entdeckt, fängt sie an zu lachen.

„Was ist da los?“, will Günter wissen.

Er sitzt neben mir und sieht ebenfalls auf die Videowand.

„Stell dir mal vor, er schafft es, die Kettensäge anzuwerfen!“, sage ich, zu Mandy gewandt.

„Hoffentlich! Vielleicht sägt sich der Idiot ein Bein ab. Dann sind wir ihn los.“

Es klingelt erneut. Dieses Mal ist es Beate Schleswig.

„Jetzt weiß ich, dass ihr mich nicht für voll nehmt“, sagt sie ruhig. „Warum habt ihr mich nicht über den RTW-Einsatz informiert? Warum nicht?“

„Oh, Scheiße!“, sage ich erschrocken. „Das habe ich wirklich vergessen. Tut mir echt leid, Beate.“

Einige Sekunden schweigt sie. Dann, ein wenig besänftigt:

„Das nächste Mal denkt ihr aber dran.“

„Bernhard versucht gerade, mit einer Kettensäge auf einer Leiter die Äste von den Bäumen abzuschneiden.“

„Was?“

Sie lacht.

„Welche Äste? Welche Bäume? Wer hat ihm das gesagt?“

„Na, die Chefin hat uns doch aufgetragen, nachzusehen, ob die ständigen Fehlalarme von den Ästen vor den Kameras ausgelöst werden. Von Äste abschneiden hat sie allerdings nichts gesagt.“

„Die Chefin hat das gesagt? Davon weiß ich gar nichts.“

Ich unsicher:

„Gregor hat mir das gesagt.“

Die Assistentin erregt:

„Gregor weiß wieder mehr als ich. Typisch! Auch die Chefin nimmt mich nicht für voll!“

Gregor kommt mit den Sanitätern und einer Frau aus dem Aufzug. Die Frau geht mit gesenktem Kopf zwischen den beiden Sanitätern nach draußen zum Rettungswagen vor der Tür, während Gregor an den Empfang kommt.

„Sie wird ins Krankenhaus gefahren. Zur Beobachtung“, höre ich ihn zu Mandy sagen. Ich gehe an den Empfang und lege den Zettel mit der Übersicht der Brandschutztüren in die Durchreiche. Er wirft einen Blick darauf und fragt:

„Wie weit bist du mit der Aufgabenverteilung?“

„Wie? Ich bin mit Günter allein. Bernhard versucht, die Äste von den Bäumen abzuschneiden.“

„Wie schön“, freut sich Gregor. „Vielleicht schneidet er sich was ab! Die Chefin macht ihn bestimmt zur Sau. Misch dich da nicht ein!“

„Bernhard lässt sich sowieso nichts von mir sagen.“

Etwa zwanzig Minuten später steigt Bernhard von der Leiter herunter und legt die Kettensäge auf den Boden. Ich rufe ihn an. Erstaunlicherweise nimmt er das Gespräch sofort an.

„Udo, mit der Kettensäge kann man die Äste nicht abschneiden. Ich habe es ausprobiert.“

„Wir sollten nur nachsehen, und es nicht selbst versuchen.“

„Quatsch!“

„Wir hatten gerade einen RTW-Einsatz.“

„Warum hast du mich nicht angerufen? Du rufst mich an, wenn etwas Wichtiges zu erledigen ist! Das ist deine Pflicht, Udo!“

Bernhard beendet das Gespräch und verlässt den Bereich der Kameras.

„Was macht der Idiot jetzt?“, will Mandy wissen.

„Ich weiß es nicht. Er ist verschwunden und hat die Kettensäge neben der Leiter liegen lassen.“

„Hoffentlich wird die geklaut. Dann kriegt er richtig Ärger“, sagt Mandy.

„Rede doch nicht so.“

„Er macht nur Ärger und hält uns alle für blöd. Ich als Frau und Aufstockerin bin sowieso das Letzte für ihn.“

„Du am Empfang bist das Gesicht der Firma!“, sage ich ironisch.

Mandy äfft die Chefin nach: „Frau Müller, vergessen Sie keine Sekunde, Sie sind das Gesicht der Firma am Empfang!“

Ich gehe zum Ordnerschrank, da klingelt wieder ein Telefon. Günter müsste einfach nur danach greifen, aber starrt weiter auf die Videowand, als wäre er taub. Es klingelt und klingelt. Günter starrt zur Wand. Ich gehe ans Telefon, führe das Gespräch und sage dann zu Günter:

„Jemand will die Blumen im Büro seines Kollegen gießen, der im Urlaub ist. Er hat keinen Schlüssel. Raum 404. Gehst du?“

„Kann ich machen“, sagt Günter, offensichtlich zufrieden, dass es keine komplizierte Aufgabe ist.

Als er den Raum verlassen hat, rufe ich in Mandys Richtung:

„Günter geht nie ans Telefon. Aber nur rumsitzen geht auch nicht.“

„So wie der würde ich auch gern so viel wie der verdienen“, erwidert Mandy.

Ich arbeite weiter an der Aufgabenverteilung für die Beschäftigten des Service-Points. Bernhard ist auf keinem der Monitore zu sehen. Die Baumsäge liegt immer noch an der Leiter vor den Bäumen, deren Äste sich völlig unbeschadet im Wind bewegen. Es klingelt.

„Ich bin vor der 404. Keiner da“, sagt Günter.

„Siehst du jemanden im Flur?“

„Ne. Was nu?“

„Warten. Er weiß doch, dass jemand von uns kommt.“

Günter erleichtert: „Ich warte.“

Ich arbeite weiter, beobachte die Monitore, lösche die Fehlalarme. Dann sehe ich Bernhard mit einer großen Schere auf die Leiter steigen. Er hält sich auf der obersten Stufe mit einer Hand an den Ästen fest und versucht, mit der anderen die Zweige zu kürzen. Gern hätte ich das Mandy gezeigt, aber sie bedient Kundschaft am Empfang. Ich unterdrücke meinen Wunsch, Bernhard möge von der Leiter stürzen und sich ein Bein brechen. Dann meldet die Einbruchmeldeanlage einen Alarm. Der Melder einer Tür neben der Warenannahme hat ihn ausgelöst. Ich sehe niemanden auf dem Monitor. Vermutlich hat sich ein Lieferant in der Tür geirrt. Das passiert gelegentlich, aber ich muss das überprüfen. Vielleicht ist wirklich jemand eingebrochen.

Ich rufe Gregor an.

„Ist doch bestimmt nur ein Fehlalarm“, meint er.

„Vielleicht, aber nicht sicher.“

„Wo ist Bernhard?“

„Der versucht, die Baumzweige mit einer Schere abzuschneiden.“

„Ha! Und Günter?“

„Der wartet im vierten Stock auf einen Mann, der im Büro seines Kollegen Blumen gießen soll.“

„Die Chefin und ich müssen eine dringende Arbeit erledigen. Sonst wäre ich sofort bei dir. Ruf Günter an.“

Ich rufe Günter an.

„Günter, wir haben einen Einbruchalarm an der Tür neben der Warenannahme. Gehst du mal nachsehen?“

Günter stolz: „Ich habe gerade das Büro geöffnet, und der Mann gießt die Blumen!“

„Gießt der noch lange?“

Günter schweigt.

„Günter, frage den Mann.“

„Der Mann ist fertig.“

„Günter, check den Einbruchalarm. Es ist die Tür neben der Warenannahme!“

„Hm“, sagt Günter.

„Gehst du hin?“

„Ja.“

Hinter meinem Rücken höre ich Mandy laut lachen.

Sie steht am Raumteiler und beobachtet Bernhard, der immer noch versucht, Zweige mit der Schere abzuschneiden.

Mandy vergnügt: „Vielleicht fällt er runter und bricht sich das Genick.“

„Mandy!“

„Oder wenigstens ein Bein.“

Nachdem wir uns ein paar Minuten gemeinsam über Bernhards vergebliche Versuche am Baum amüsiert haben, muss Mandy wieder an den Empfang und ich schreibe weiter am Text für Gregor.

Bis es wieder klingelt.

Es ist Günter.

„Hier ist kein Einbrecher.“

„Bist du an der Tür neben der Warenannahme?“

„Ja.“

„Hast du die Tür wieder abgeschlossen?“

„Ja.“

„Dann kannst du wieder zurückkommen.“

„Ich muss noch hoch.“

„Wohin?“

„Zu dem Blumengießer.“

„Wieso? Der Mann ist doch fertig mit dem Blumengießen?“

„Ja, aber ich muss noch abschließen.“

„Du hast den Raum einfach aufgelassen? Du weißt doch, dass die bei Ebotroc klauen wie die Raben!“

Günter schweigt.

„Fahr hoch, schließ ab und komm zurück.“

Ich schalte die Einbruchmeldeanlage wieder scharf, aber sie löst den gleichen Alarm sofort wieder aus. Da ich jetzt nichts daran ändern kann, arbeite ich weiter am Text. Gregor kommt herein und redet sofort auf mich ein:

„Viele Brandschutztüren im Haus haben keinen Aufkleber mit einer Nummer. Und einige Nummern stimmen nicht. Niemand hat sich vor mir darum gekümmert. Ich habe hier einen Zettel. Schreibst du das bitte ins Reine?“

„Wann soll ich das alles machen? Günter ist unterwegs und Bernhard versucht immer noch, Zweige abzuschneiden.“

„Wer hat ihm gesagt, dass er das machen soll?“

„Du kennst ihn doch.“

„Wie weit bist du mit der Übersicht für die Leute?“

„Schon weit. Aber ob ich es noch heute schaffe, weiß ich nicht.“

„Erst die Brandschutztüren. Schreibe bitte die richtigen Nummern und die falschen und die fehlenden Nummern auf. Die Chefin braucht das so schnell wie möglich.“

Günter kommt herein und Gregor und geht.

Günter sieht ihm nach: „So ein Leben wie der möchte ich auch haben!“

„Hast du das Büro verschlossen?“, frage ich.

Günter überlegt eine Weile, bevor er nickt.

„Hast du auch die Tür neben der Warenannahme abgeschlossen?“

„Ja.“

„Du weißt, dass du diese Tür zwei Mal abschließen musst“, sage ich. „Ich konnte die Einbruchmeldeanlage nicht scharf schalten.“

Es bleibt still.

„Du musst sie zwei Mal abschließen“, sage ich.

„Dann muss ich aber noch mal zurückgehen“, stellt Günter fest.

„Das musst du dann wohl“, sage ich.

Er sieht mich leicht empört an, bevor er den Raum verlässt.

Ich versuche, Gregors Gekritzel zu entziffern. Der nächste Anrufer ist Bernhard.

Ich unterbreche ihn sofort:

„Bernhard, kein Mensch hat von dir verlangt, dass du die Zweige abschneidest!“

„Udo, es ist schwierig mit der Schere. Du würdest es gar nicht schaffen, aber ich habe schon eine Menge Zweige damit abgeschnitten. Ich komme bald zurück.“

„Vergiss die Leiter nicht!“

„Welche Leiter?“

„Auf der du stehst.“

„Blödsinn! Nie würde ich die Leiter vergessen.“

Günter kommt zurück und setzt sich wortlos auf den Stuhl neben mich.

Dieses Mal kann ich tatsächlich die Einbruchmeldeanlage wieder scharf schalten. Wenig später sehe ich Bernhard von der Leiter steigen und aus dem Bereich der Kamera gehen. Die Leiter lässt er stehen. Ich versuche, ihn deshalb anzurufen. Vergeblich.

„Warum hast du die Leiter nicht zurück ins Lager gebracht?“, frage ich, als er wieder in der Pförtnerloge ist.

„Ich besorge mir eine richtige Baumschere!“

„Die Chefin macht dich zur Schnecke!“

Bernhard verächtlich: „Die Thiem! Günter, was hältst du von einem Zigarettchen?“

„Ich sage nicht nein.“

„Meinst du, ich kann die Chefin fragen, ob ich heute früher nach Hause gehen darf?“, fragt mich Mandy, als wir beide allein sind.

„Wieso?“

„Ich kann doch nicht zum Arzt, weil ich jeden Tag bis siebzehn Uhr arbeiten muss. Die Praxis hat nur bis siebzehn Uhr auf.“

„Denk dran, was sie das letzte Mal gesagt hat.“

„Ich will ja nur eine halbe Stunde früher weg!“

„An mir liegt es nicht. Das kannst du der Chefin sagen.“

„Ich würde ja auch am Wochenende zum Arzt gehen, aber am Wochenende hat der Arzt nicht auf.“

„Sag doch der Chefin, dass ich dich am Empfang vertrete.“

„Das habe ich ja auch beim letzten Mal gesagt, aber daraufhin meinte sie nur, dass wir ein Team sind, in dem jeder jeden vertritt. Ist das nicht lustig?“

Dann meldet die Brandmeldeanlage einen Alarm. In der Hoffnung, dass ein defekter Brandmelder den Alarm ausgelöst hat und kein Feuer, öffne ich die Tür zum Flur und rufe Bernhard und Günter. Notfallbund und den Ausdruck des Alarmdruckers halte ich schon in der Hand, damit ich sofort den Brandmelder überprüfen kann, sobald die beiden wieder da sind. Leider kommen sie nicht, weshalb ich lauter nach ihnen rufe. Schließlich schreie ich. Dann sehe ich sie endlich.

„Warum so aufgeregt?“, fragt Bernhard gemütlich.

„Wir haben einen Brandalarm. Ich gehe hin.“

„Gib her“, sagt Bernhard und greift nach dem Blatt in meiner Hand.

Ich halte es weiter weg.

„Nein, ich gehe!“

Bernhard aufgebracht:

„Gib mir den Ausdruck!“

Widerstrebend gebe ich ihm das Blatt. Bernhard studiert die Alarmmeldung. Günter steht hinter ihm und starrt ebenfalls darauf, als würde er den Text lesen, den er aus der Entfernung sicher nicht mal erkennt.

„Der Brandmelder ist in der Teeküche im Bauteil vier, im vierten Stock“, sage ich.

„Das weiß ich selbst“, sagt Bernhard abweisend.

Er sieht weiter auf das Blatt Papier, während ich immer ungeduldiger werde. Dann streckt er seine Hand nach dem Schlüsselbund aus.

„Gib her!“

Als Bernhard gegangen ist, rufe ich Beate Schleswig an und informiere sie über den Alarm.

„Wer geht nachsehen?“, will sie wissen.

„Bernhard.“

Sie stöhnt: „Warum nicht du?“

„Du weißt, ich kann ihn nicht aufhalten.“

„Ich gehe sofort hin“, sagt sie.

„Das ist gut“, sage ich.

Dann lausche ich, ob ich draußen eine Sirene höre, denn die Brandmeldeanlage informiert bei einem Feuer automatisch sofort die Feuerwehr. Ich höre nichts, also ist vermutlich kein Feuer ausgebrochen.

„Bernhard und die Schleswig sind unterwegs zur Teeküche und sehen nach“, informiere ich Mandy am Empfang.

„Die Schleswig, das ist gut“, sagt sie.

„Warum die Schleswig?“, fragt Günter.

„Weil der alte Idiot es wieder mal versauen wird“, sagt Mandy.

Am Empfang gibt ein Handwerker seinen Hausausweis ab.

„Firma Pohlmann verlässt das Haus!“, ruft Mandy.

„Hat er die Tür im sechsten Stock repariert?“

„Er sagt ja.“

„Günter, guckst du mal, ob sie funktioniert?“

Er sieht mich empört an.

„Warum ich?“

„Willst du hier allein sein, wenn es tatsächlich brennt?“

Günter verlässt wortlos den Raum.

„El Blindo auf der Suche nach der richtigen Tür“, spottet Mandy.

Der nächste Anruf kommt von Beate Schleswig.

„In der Teeküche hat jemand seinen Wasserkocher angelassen. Entwarnung.“

„Danke für deine Hilfe. Die Firma Pohlmann ist aus dem Haus.“

„Ich weiß. Kontrolliert die Tür, ob sie wirklich repariert worden ist.“

„Günter ist schon auf dem Weg dorthin.“

„Warum nicht du?“

„Weil ich hier allein bin.“

Zehn Minuten später klingelt es wieder. Es ist Bernhard:

„Udo, ich bin im Technikraum im vierten Stock! Den Brandmelder gibt es nicht.“

„Der Brandmelder ist in der Teeküche! Die Schleswig war da. Es brennt nicht. Du kannst zurückkommen.“

„Du hast Technikraum gesagt!“

„Nein, habe ich nicht.“

„Ich weiß doch genau, was du gesagt hast!“

„Bernhard, ich habe Teeküche gesagt.“

„Steh zu dem, was du gesagt hast!“

„Bernhard, komm zurück. Es ist alles vorbei.“

Ich lege auf.

„Er hat wieder einen wirklich schlechten Tag.“

Mandy verächtlich: „Blödmann, Blödmann, Blödmann.“

Die Leiter steht immer noch bei den Bäumen.

Als Bernhard hereinkommt, wendet er sich erregt an mich:

„Du musst wissen, was du sagst. Du darfst nicht alles vergessen.“

Mandy lacht. Ich schaffe es, zu schweigen. Bernhard beruhigt sich langsam. Er setzt sich an den PC und betrachtet Aktienkurse im Internet. Bernhard ist immer auf der Suche nach besseren Anlagemöglichkeiten für seine Aktien. Ich überlege, ob ich ihn daran erinnere, dass er eine Baumschere für die Äste suchen wollte, und entscheide mich dagegen. An die Leiter bei den Bäumen will ich ihn erst erinnern, wenn es zu spät ist für die Suche nach einer Baumschere.

Es klingelt erneut. Bernhard nimmt ab.

„Was ist?“, blafft er ins Telefon. „Was machst du im sechsten Stock? Welche Tür? Die war kaputt? Wer sagt das?“

Bernhard dreht sich zu mir um, den Hörer immer noch am Ohr.

„Gibst du mir bitte das Telefon, Bernhard?“, sage ich so sanft wie möglich.

Er gibt es mir tatsächlich.

„Günter, bist du wirklich an der Eingangstür im sechsten?“

Günter schnaufend: „Klar! Wo sonst!“

„Und funktioniert sie wieder?“

„Habe ich Bernhard doch gesagt!“

„Ist gut. Du kannst wieder zurückkommen.“

Ich lege auf. Bernhard sieht mich entrüstet an:

„Warum hast du mir nicht gesagt, dass die Handwerker die Tür im sechsten reparieren? Ich hätte mich darum gekümmert!“

„Ich weiß jetzt nicht, ob du hier warst, als die Handwerker sich wegen der Türreparatur angemeldet haben …“

„Er war hier! Er war!“, schreit Mandy am Empfang.

„… auf jeden Fall sind sie in deiner Abwesenheit raus und Günter hat die Tür kontrolliert.“

„Du hast mich darüber zu informieren, dass die Firma nach der Reparatur das Haus verlassen hat.“

Mandy lacht.

Günter kommt zurück, setzt sich auf einen Stuhl und starrt auf die Videowand. Bernhard surft im Internet.

Plötzlich wendet Günter sich an Bernhard:

„Kannst du im Internet nachsehen, wo es die billigsten Blumen in Prag gibt?“

„Prag?“

Günter:

„Die Ausländerinnen glauben doch, wir alle haben Geld wie Heu.“

Bernhard: „Prag?“

Mandy: „Günter will in Prag eine Frau finden!“

Während Bernhard im Internet die preisgünstigsten Blumengeschäfte in Prag sucht, ignoriert er die Alarme der Videoanlage. Ich würde sie gern quittieren, weil zwischen den Fehlalarmen leicht ein echter Alarm übersehen werden kann. Aber ich lasse es bleiben, wegen Bernhard.

Bernhard ist nun guter Laune. Günter hört ihm andächtig zu.

„Du hättest von Anfang an eine andere Taktik haben müssen. Du musst es markttechnisch angehen und vor Ort unter einer größtmöglichen Menge Frauen aussuchen. Je größer die Auswahl, umso besser.“

„Ich habe die doch schon ausgewählt! Im Katalog!“ Jammernd: „Wenn die deutschen Frauen nicht so verwöhnt wären, müsste ich nicht wegfahren.“

Schließlich halte ich es nicht mehr aus.

„Bernhard, klickst du bitte die Alarme weg?“

„Welche Alarme?“

„Die Videoanlage ist proppenvoll!“

Bernhard sieht zum PC der Videoanlage, dessen Alarmfenster voller nicht quittierter Alarme ist.

„Ganz ruhig, Udo!“

„Wenn ein wichtiger Alarm dabei ist, gibt es Ärger von der Chefin!“, gebe ich zu bedenken.

Bernhard verächtlich:

„Die Thiem!“

Schließlich quittiert er die Alarme.

„Ich muss mir die Frau erziehen“, sagt Günter.

„Welche Frau?“, fragt Bernhard.

„Na, die, die ich nehme! Die muss von Anfang verstehen, wie es bei uns in Deutschland läuft. Die Ausländer denken doch, hier ist alles für umsonst.“

„Du darfst aber auch nicht zu geizig sein am Anfang“, erläutert Bernhard.

„Die muss auch für meine Eltern da sein. Mein Vater kann nicht mehr allein auf Toilette.“

„Such dir doch eine Pflegekraft!“, ruft Mandy spöttisch.

„Zu teuer. Die Frau darf auch nicht mein Geld an ihre Familie schicken. Mein Nachbar hatte eine gierige Asiatin. Die hat er gerade noch rechtzeitig wieder zurückgeschickt. Die richtige Frau für die Ehe zu finden, ist gar nicht einfach.“

„Man muss immer an einer glücklichen Ehe arbeiten!“, gibt Bernhard zu bedenken. „Ich bin jetzt schon seit über dreißig Jahren glücklich verheiratet.“

„Wirst du deine Brille aufsetzen in Prag?“, frage ich.

Günter schweigt.

„Wie willst du sie dann erkennen können?“, will Mandy wissen.

„Das werde ich schon!“, sagt Günter.

Es klingelt. Bernhard nimmt das Gespräch an.

„Was für eine Leiter?“, höre ich ihn fragen.

Und dann:

„Ich habe keine Leiter von Ihnen geholt. Sie müssen sich irren.“

Wenig später:

„Nein, Sie irren sich. Ich habe mir noch nie von Ihnen eine Leiter ausgeborgt. Wenden Sie sich an Ihren Chef.“

Er legt auf.

„Bernhard, sieh mal dahin!“

Ich zeige ihm die Leiter mit den Bäumen auf der Videowand,

„Ich muss eine Baumschere besorgen!“, ruft er plötzlich.

„Ich an deiner Stelle würde lieber die Chefin anrufen“, sage ich.

„Selbst ist der Mann. Ich besorge eine Baumschere. Ihr haltet die Stellung. Wenn etwas ist, ruft ihr mich an.“

Als er den Raum verlassen hat, will sich Günter an den PC setzen, aber ich sage:

„Günter, ich muss was im Auftrag von Gregor am PC schreiben.“

Günter brummt unwillig, begibt sich aber langsam wieder auf seinen alten Platz.

Ich schreibe weiter an dem Text für Gregor, überwache die technischen Anlagen im Raum und beobachte das Geschehen auf der Videowand. Günter sitzt derweil mit verschränkten Armen neben mir, anscheinend immer noch verärgert, dass er nicht am PC billige Blumengeschäfte in Prag suchen darf.

„Achtung, die Chefin kommt“, warnt uns Mandy.

Ich unterbreche die Arbeit am Text für Gregor. Günter richtet seinen Blick auf die Tür in Erwartung der Chefin.

Frauke Thiem kommt herein und geht zu Mandy am Empfang.

„Frau Müller! Wie geht es Ihnen?“

„Oh, sehr gut, Frau Thiem. Die Arbeit läuft und auch sonst geht es gut.“

„Das höre ich gerne. So soll es sein.“

Dann kommt die Chefin zu uns in die Pförtnerloge. Günter steht auf und gibt ihr die Hand.

„Herr Schneider!“

„Tag, Frau Thiem.“

„Wie geht es Ihnen?“

„Muss ja“, brummt Günter.

Die Chefin sieht ihn eine Sekunde lang forschend an, kann aber anscheinend keine Gefühlsregung in seinem Blick erkennen. Anschließend dreht sie sich zu mir.

„Herr Beth! Wie geht es Ihnen?“

„Gut“, lüge ich.

„Wo sind die anderen beiden Kollegen?“

„Gregor ist in Ihrem Auftrag im Haus unterwegs“, sage ich.

„In meinem Auftrag?“

„Das hat er gesagt. Wegen der Türen im Haus.“

„Ach so, ja. Und Herr Wegemann?“

„Der macht sich an den Bäumen zu schaffen.“

„Herr Wegemann also. Habe ich gesagt, dass wir die Bäume beschneiden sollen?“

„Gregor hat gesagt, dass Sie gesagt haben, wir sollen die Bäume überprüfen, ob sie beschnitten werden müssen, weil die Äste bei Wind ständig Alarm auslösen.“

„Genau! Die Bäume gehören uns gar nicht!“

„Oh!“

„Sie stehen auf dem Nachbargrundstück. Und jetzt hat sich der Besitzer darüber beschwert, dass jemand von uns seine Bäume verunstaltet.“

„Bernhard war mit einer Schere dabei!“, sagt Günter eifrig.

„Nun sucht er eine richtige Baumschere“, ruft Mandy.

Die Chefin in Richtung des Empfangs:

„Frau Müller, gibt es keine Arbeit am Empfang?“

„Doch“, erwidert Mandy kleinlaut.

„Rufen Sie bitte Herrn Wegemann an“, fordert die Chefin mich auf.

„Er hat kein Handy mitgenommen.“