Unperfekt ist genau richtig - Lucinde Hutzenlaub - E-Book

Unperfekt ist genau richtig E-Book

Lucinde Hutzenlaub

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Beschreibung

Fang beim Prioritätensetzen doch mal bei dir selbst an!

Lucinde kann nach 25 Jahren Ehe, als Mutter von vier Kindern, Tochter und Freundin ein Lied davon singen, was es heißt, immer für alle anderen perfekt sein zu wollen. Blöd nur, dass dabei das eigene Glück ziemlich oft hintanstehen muss. Genug damit! Jenseits der 50 angekommen, weiß Lucinde, dass es höchste Zeit ist, in ihrem Leben die Prioritäten neu zu ordnen – und damit endlich bei sich selbst anzufangen. Die beliebte DONNA-Kolumnistin und systemische Coach macht es vor. Lass dich von ihr inspirieren, erlaube dir, dich anzunehmen, wie du bist und ausschließlich auf dein eigenes Herz zu hören – denn dein Leben ist jetzt!

»Ich habe mich auf diese Reise gemacht und bin dabei gewachsen – nicht, weil ich perfekt geworden bin, sondern weil ich das Unperfekte in mir umarmt habe.«

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EPUB
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Seitenzahl: 264

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Fang beim Prioritätensetzen doch mal bei dir selbst an!

Lucinde kann nach 25 Jahren Ehe, als Mutter von vier Kindern, Tochter und Freundin ein Lied davon singen, was es heißt, immer für alle anderen perfekt sein zu wollen. Blöd nur, dass dabei das eigene Glück ziemlich oft hintanstehen muss. Genug damit! Jenseits der 50 angekommen, weiß Lucinde, dass es höchste Zeit ist, in ihrem Leben die Prioritäten neu zu ordnen – und damit endlich bei sich selbst anzufangen. Die beliebte DONNA-Kolumnistin und systemische Coach macht es vor. Lass dich von ihr inspirieren, erlaube dir, dich anzunehmen, wie du bist und ausschließlich auf dein eigenes Herz zu hören – denn dein Leben ist jetzt!

»Ich habe mich auf diese Reise gemacht und bin dabei gewachsen – nicht, weil ich perfekt geworden bin, sondern weil ich das Unperfekte in mir umarmt habe.«

Lucinde Hutzenlaub wurde in Stuttgart geboren, wo sie nach mehreren Auslandsaufenthalten wieder lebt. Die gefeierte Bestsellerautorin ist Kommunikationsdesignerin, systemische Coach und Heilpraktikerin, sie hat drei Töchter und einen Sohn. Die Fans ihrer DONNA-Kolumne »Lucindes Welt« lieben sie für ihren Witz und ihre Authentizität. Bei Penguin veröffentlichte sie zuletzt ihren Roman »In Liebe, Deine Paula« sowie, zusammen mit Heike Abidi, »Ich dachte, zu zweit muss man nicht alles selber machen«.

www.penguin-verlag.de

Lucinde Hutzenlaub

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung des urheberrechtlich geschützten Inhalts dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright © 2025 by Penguin Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

[email protected]

(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR)

Redaktion: Stephanie von Wolff

Umschlaggestaltung: Favoritbuero, München

Umschlagabbildungen: © Gaby Gerster Photography

Satz: satz-bau Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-32139-0V001

www.penguin-verlag.de

Disclaimer

In diesem Buch geht es vorwiegend um mich. Meine Geschichte, meine Meinung, meine Entwicklung, meine Wahrnehmung, meine Werte – meine – Lucindes – Welt. Vor allem geht es um meine ganz persönliche, sehr individuelle Wahrheit. Da ich meine Geschichte aber nicht erzählen kann, ohne auch andere Menschen zu erwähnen, habe ich ihre Namen und ihr soziales Setting meist verändert, denn deren Wahrheit und Wahrnehmung mag ja eine ganz andere sein. Völlig okay. Leben und leben lassen, sage ich nur.

Sollte also jemand der Meinung sein, sich wiederzuerkennen, und sich womöglich auf den Schlips getreten fühlen, dann handelt es sich definitiv um eine Verwechslung, denn nichts liegt mir ferner, als irgendjemandem zu schaden. Es geht mir nicht darum, mit irgendetwas aufzuräumen oder mich zu rächen. Es geht mir – um mich. Mein Wachstum. Meine Abschiede. Meine Neuanfänge. Wie gesagt, ich spreche hier nur für mich selbst.

Herzlichst, Lucinde

»We all are broken. That’s how the light gets in.«

Ernest Hemingway/Leonard Cohen

Inhalt

Disclaimer

Vorwort: Warum und wozu?

Es ist Mai

Bestandsaufnahme

Aufbruch

Wohin?

Andere Leute

Ich bin

Entschuldigung, oder: Der Klügere gibt nach

Superpower

Was ich nicht kann

Meine besten schlechtesten Eigenschaften

Aber das kann ich!

Ikigai – der Sinn des Lebens

Und noch was Japanisches

Scheitern

Konsequenz

Potenzial

Mutter

Wer ist der wichtigste Mensch in deinem Leben?

Glück kommt in Wellen – das andere aber auch

Single-Sonntage, Weihnachten und Silvester

Loslassen

Rettung

Hilfreich und gut

Ausweichen

Ich werde nicht fertig

Glücklich?

Schlüsselsätze und Level

Wenn ich einen Wunsch frei hätte

Loslassen und festhalten

Wie es weitergeht: Dating-Apps & Co.

Liebe

Mein innerer Rockstar

Wachstumsschmerzen und Fragen über Fragen

Nachwort

Danke

Vorwort: Warum und wozu?

Warum sollte irgendjemand dieses Buch lesen? Wen interessiert, warum ich es geschrieben habe? Wie bin ich überhaupt auf diese Idee gekommen? Nein, vielmehr: Wer bin ich überhaupt, zu denken, dass irgendetwas von dem, was in meinem Kopf, meinem Herzen, meinem Leben stattfindet, für irgendjemanden relevant sein sollte?

Ich habe mir Millionen solcher Fragen gestellt und tausend Mal beschlossen, das Ganze sein zu lassen. Schreib dieses Buch nicht, habe ich mir gesagt, sei vernünftig. Was soll dieser Unfug, das Drama, in das du dich da volle Kanne reinkatapultiert hast? Geh drei Schritte zurück und bloß keinen mehr nach vorn!

Es ist natürlich so: Ich weiß genau, dass nicht jeder gut finden wird, was ich mache, oder auch nur ansatzweise interessant. In all den Jahren, in denen ich jetzt Bücher und Kolumnen schreibe oder auf Bühnen stehe, habe ich versucht, authentisch zu sein. Mein Bestes zu geben. Die lustigste, kreativste, interessanteste und intelligenteste Version meiner selbst zu sein, was mir oft, aber nicht immer, gelungen ist. Meistens hat es mir große Freude gemacht und manchmal – sehr selten – war es auch ein bisschen anstrengend. Wie das Leben eben.

Was ich in diesen Jahren in der Öffentlichkeit gelernt habe, ist, dass ich bewertet werde. Immer. Einfach ständig. Was ich nicht gelernt habe – aber gerne gelernt hätte – ist Gleichgültigkeit gegenüber denjenigen, die was an mir auszusetzen haben. Und davon gab und gibt es genügend. Wie gern wäre ich eine coole Lucinde gewesen, der es völlig egal ist, wer was von mir denkt. Ich wusste ja immer, dass mich doch keiner von ihnen kennt.

Und dennoch hat es mich verletzt, wenn völlig Fremde der Meinung waren, ich sei eine schlechte Mutter, weil ich über etwas geschrieben hatte, das sie für pädagogisch fragwürdig hielten. Es tat ebenso weh, wenn jemand meine Bücher miserabel fand, oder irgendeine Aussage in einer Kolumne unangemessen, peinlich oder einfach blöd.

Es hat Jahre gedauert, bis es mir gelungen ist, zwischen der Kritik an meinen Büchern und meiner Person zu differenzieren. Und ja, es ist manchmal immer noch schwierig. Meistens traf mich die Kritik da, wo es mir am schlimmsten wehtat: In meinem Mutterherz, meiner Kreativität als Schriftstellerin und meinem Mut, mich zu zeigen. Aber es war auch ein gutes Lernfeld, eine Übung und schließlich etwas, das mir half, mir ein dickeres Fell zuzulegen – und auch nicht alles zu lesen, was da geschrieben wird. Meistens zumindest. Oft genug stehen da Dinge von Leuten, die sich feige hinter irgendwelchen Fakeprofilen verstecken und einfach nur irgendwas schreiben, um sich wichtigzumachen. Häufig klingt es vor allem neidisch.

Das mit den feigen Bewertungen geht übrigens nicht nur mir so, sondern auch den meisten meiner Kolleginnen und Kollegen. Aber wie war das noch gleich? Mitleid bekommt man geschenkt, Neid muss man sich verdienen. Gut fühlt es sich trotzdem nicht an. Natürlich kritisieren mich auch diejenigen, die mich kennen. Manchmal finde ich, sie haben recht. Manchmal auch nicht. So oder so bin ich ihnen dankbar dafür, dass sie ihre Kritik in freundliche Worte verpacken und mir womöglich ein Glas Wein dazu reichen. Sugarcoating nennen wir das. Also die freundlich verpackte Kritik, nicht den Wein, den mag ich im Gegensatz zu solchen Worten lieber trocken.

Ja, Kritik … mal ist sie gerechtfertigt, mal nicht. Es kommt immer darauf an, wer sie äußert – und wie. Man darf sich so oder so durchaus überlegen, ob man sie annimmt oder nicht. Auch da gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Ich habe kritische Worte oder gar Urteile nie hinterfragt, mir nie überlegt, ob sie wirklich was mit mir zu tun haben. Ob der- oder diejenige eben gerade nur aus egoistischen Gründen nicht mit mir einverstanden ist, vielleicht einfach auch nur grundsätzlich gerne an anderen herummeckert. Ich habe mich sofort gerechtfertigt, entschuldigt, und mich einfach nur immer weiter bemüht, besser zu werden, hilfreicher. Ich versuchte, mich noch mehr anzupassen, unauffälliger zu sein, um weniger be- oder verurteilt zu werden. Dass die Kritik ungerechtfertigt sein könnte, habe ich allerdings nie gedacht. Ja, ich wollte gemocht werden. Am liebsten von allen. Dabei weiß doch jeder, dass das nicht geht.

Ich hätte mich hinstellen und laut meine Meinung äußern, den Kritikern ins Gesicht lachen oder einfach den Raum, das Gespräch, das Internet verlassen sollen. Die Frage ist: Warum ist das so schwer? Warum setzen wir uns sowas aus? Warum lassen wir das zu? Warum wehren wir uns nicht? Lauter? Deutlicher? Lustiger? Souveräner?

Während ich allerdings meinen emotionalen Spagat im »Bitte hab mich lieb«-Modus immer weiter werden ließ, stellte ich fest, dass meine Ehe nicht glücklicher wurde, mein Umfeld nicht weniger kritisch und meine Kinder nicht weniger peinlich berührt, wenn sie mit mir unterwegs waren. Auch die Reaktionen auf meine Texte und Bücher wurden nicht ausnahmslos wohlwollend. Ich habe nur immer weniger aus dem Herzen geschrieben, immer weniger intuitiv gehandelt, dafür immer mehr mit dem Kopf entschieden. Ich wurde immer unsicherer, habe nichts mehr von dem gefühlt, was ich da erzählte, habe mich immer mehr zerrissen, um es nur jedem recht zu machen – außer mir natürlich – und am schlimmsten: Ich habe mich dabei selbst immer mehr und mehr in Frage gestellt. Denn die anderen waren sich schließlich einig. Also mussten ihre Wahrnehmung und ihre Meinung ja stimmen.

Dabei habe ich gar nicht bemerkt, dass mich der Wunsch, es allen und jedem recht zu machen, unaufrichtig gemacht hat – und das, obwohl mir Ehrlichkeit so unglaublich wichtig ist. Ich habe zwar nicht gelogen, das meine ich auch nicht damit. Aber ich habe auf jedes »Wie geht es dir?« instinktiv mit »Gut« geantwortet und gelächelt, auch wenn mir gar nicht danach war. Hatte ich einen schlechten Tag oder Sorgen, habe ich mich versteckt, aus lauter Scham und dem Wunsch, mich so niemandem zuzumuten. Habe niemals Schwäche gezeigt, um Hilfe gebeten oder um Rat gefragt. Ich musste alles können, meistern, wissen. Als ob meine Liebsten und alle anderen mich nur mögen würden, wenn ich ihnen permanent meine liebenswerte, lustige und unkomplizierte Schokoladenseite zeige.

Ich habe mich mir selbst vorenthalten, mir nicht erlaubt, ganz zu sein, niemandem gezeigt, wie ich wirklich bin, als ob nur die bunte Person liebenswert ist. Dabei ist das der größte Irrtum, dem ich je aufgesessen bin. Mittlerweile weiß ich, dass zur Selbstliebe das ganze Lucinde-Bundle gehört:

Stark und gleichzeitig verletzlich.Laut und leise.Mutig und ängstlich.Souverän und unsicher.Fröhlich, wütend, traurig, beschämt, voller Fehler und großartiger Eigenschaften.Licht und Schatten.Ein Mosaik aus hellen und dunklen Steinen, manche fest, andere ein bisschen lose.

Eine Lucinde, deren Freunde und Familie sie nicht nur mögen, obwohl sie so ist, wie sie eben auch ist – sondern genau deshalb! Ich habe außerdem begriffen, dass mich nicht nur die Bewertung von anderen verletzen kann, sondern auch meine eigene, die manchmal noch viel strenger und gemeiner ist. Und dass auch ich schleunigst damit aufhören muss, mich zu verurteilen.

Ganz sicher haben auch mich die sozialen Medien mit ihren Erfolgsgeschichten und ewig glücklichen Gesichtern geprägt. Sich nicht so fühlen – oder das Gefühl zu haben, mithalten zu müssen – hat mich total unter Druck gesetzt, ohne dass ich es zunächst bemerkt habe. Und schlimmer noch, ich dachte durchaus immer wieder, ich sei gescheitert, wenn ich mal nicht glücklich war oder nichts zu zeigen hatte. Aber ganz ehrlich: was nützt uns ein Leben voll scheinheiliger Happy Faces? Photoshop, Filter, Fake News – kann jeder. Aber die Sehnsucht bleibt – und auch die Dankbarkeit und Erleichterung, wenn jemand mal zugibt, dass nicht alles nur megatoll, lustig und großartig ist. Das kann so unglaublich befreiend sein. Davon abgesehen ist es auch gar nicht schlimm.

Was ist denn dabei, zuzugeben, dass wir Falten und graue Haare haben, keine Ahnung davon, wie man Steuererklärungen erstellt oder uns irgendetwas misslungen ist, wir mal müde, schlecht gelaunt oder traurig sind?

Nun. Ich hätte natürlich so weitermachen, meine Schatten für mich behalten und nur mein Licht zeigen können. Passiert wäre vermutlich gar nichts. Alles wäre geblieben, wie es ist. Aber eben auch diese Sehnsucht danach, aufrichtig zu sein und somit aufrichtig geliebt oder anerkannt werden zu können. Ganz. Mit allen Macken, mit den dunklen Seiten, die die hellen umso heller scheinen lassen, und mit den Fragen, Zweifeln und Sorgen, die ich nun mal habe wie jeder andere Mensch auch. Aber wie soll jemand anderes das alles sehen und mir zugestehen, für mich da sein und mich gegebenenfalls auch mal in den Arm nehmen und »Alles wird gut« sagen können, wenn ich immer weiter vorgebe, dass es mir prima geht und ich alles im Griff habe?

Ich werde also aufrichtig sein. Meine Fehler zugeben, mal traurig sein, Angst haben, scheitern. Ich kann und muss das aushalten. Weil ich zum Glück weiß, dass es auch andere Momente gibt: lustige, fröhliche, welche voller Energie, Stolz und Freude. Everything comes in waves, heißt es ja nicht umsonst. Das Schöne und das weniger Schöne. Zum inneren Wachsen sind die nicht so schönen Momente sicher hilfreicher, die Nadelöhre, durch die man sich manchmal quetschen muss, um auf der anderen Seite festzustellen, dass das alles das Beste war, was einem passieren konnte. Die größte Herausforderung dabei ist vermutlich, sich selbst treu zu bleiben, nicht aufzugeben und in alte Verhaltensmuster zurückzufallen, vor allem doppelt dann nicht, wenn man gerade durch die tiefen Täler hindurchwatet, egal, wie scheußlich es sich anfühlt.

Eines beruhigt mich zutiefst. Nämlich, dass am Ende immer eine tolle Erkenntnis wartet, ein neues Gefühl von Freiheit, Kraft und Zuversicht. Ich weiß es, weil ich dort gewesen bin. Immer wieder. Oft. Und nein, es hätte mir überhaupt nichts genutzt, wenn ich dort unten diese Prinzessinnenkrone aufgehoben und auf meinem Kopf zurechtgeruckelt hätte. Was bringt sie mir, wenn ich eine Hand brauche, die mir hilft? Ich bin dankbar dafür, dass es da draußen Menschen gibt, Freunde, die mich so gut kennen, dass sie wissen, wann es Zeit dafür ist, und mir diese Augenblicke nicht übelnehmen, mich auslachen oder andere Dinge tun, vor denen ich völlig zu Unrecht Angst hatte. Im Gegenteil. Sie sind da. Genauso, wie ich für sie da bin, wenn sie mich brauchen und ich diejenige bin, die die Flagge der Zuversicht schwingt.

In diesem Buch geht es also um mich. Aber nicht nur. Ich will auch anderen, dir, Ihnen, mit meiner Geschichte Mut machen, die eigenen Grenzen zu hinterfragen, aufzubrechen und zu begreifen, wie kostbar das Leben und die Liebe zu uns selbst sind. Ich will versuchen, Balance zwischen dem Anspruch an mich, einer Weiterentwicklung und einem gesunden und entspannten Loslassen zu schaffen. Einem Akzeptieren von »das ist halt so«. Glaubensmuster enttarnen und neue schaffen. Gute natürlich. Und ja, ich schreibe auch über Liebeskummer, über Abschiede. Beides gehört zum Leben dazu. Ich will mich auf die Suche nach meiner Stärke und meiner Unabhängigkeit von anderen machen. Das ist mein Plan. Das ist mein Ziel.

Ich weiß, dass ich manchmal auch unangenehmen Dingen ins Auge sehen, Talsohlen überwinden muss, und ich habe bisher immer gekniffen. Vielleicht geht es auch nicht nur ums Aufbrechen, ums Unterwegssein, sondern auch ums Ankommen.

Nicht nur an einem Ort, sondern bei mir.

Um Mut.

Um Blickwinkelwechsel.

Darum, wie schön das Leben ist und wie schmerzhaft und schwierig es mitunter sein kann. Dass es nicht fragt, ob es jetzt gerade passt, wenn es mit Herausforderungen um die Ecke kommt. Oder auch mit unverhofftem Glück, Erkenntnissen und Gründen, mich selbst zu feiern. Um es kurz zu machen: Es geht um alles.

Ich freue mich riesig darauf, mich selbst kennenzulernen. Andererseits habe ich auch Angst davor, was ich vorfinden werde. Worauf habe ich mich da nur eingelassen? Und: Kommt jemand mit?

Es ist Mai

Es ist Mai, fünf Monate nach meinem Auszug, und ich sitze auf meiner Couch. Draußen ist beinahe Sommer, ich habe Jeans gewaschen und sie wie in meinem alten Zuhause über dem Balkongeländer zum Trocknen aufgehängt. Ich arbeite. Vielmehr: Ich sollte arbeiten. Aber ich kann nicht. Ich kann noch nicht einmal anfangen. Ich fühle mich wie gelähmt und allein. Ich prokrastiniere wie eine Weltmeisterin, lese Nachrichten, die mich nicht interessieren, und spiele Spiele auf meinem Handy, die mich nerven und die ich trotzdem nicht lassen kann. Ich bin voller Fragezeichen, kämpfe mit Selbstzweifeln. Warum bin ich überhaupt in diese Situation geraten? Ich sehe vor meinem inneren Auge meinen zukünftigen Exmann mit seiner Freundin, in meinem Haus mit meinen Kindern, meinen Katzen und dem Leben, das ich bis vor Kurzem selbst geführt habe, sage mir immer wieder, dass ich diesen Weg schließlich selbst gewählt und überhaupt kein Recht darauf habe, hier so gnadenlos in Selbstmitleid zu versinken. Ich kann es überhaupt nicht leiden, wenn jemand jammert und immer nur das Negative sieht. Und noch viel weniger, wenn ich mich dabei ertappe, wie ich das selbst mache. Aber genau das passiert mir gerade, und ich fühle, wie eine Schwere an mir zieht, die ich kaum abwehren kann. Ich will lachen, fröhlich sein und mich sicher fühlen. Aber ich kann nicht. Nach außen hin ist alles, wie es sein sollte. Wie ich es mir gewünscht habe. Einerseits bin ich erleichtert, weil die Dinge, vor denen ich Angst hatte, nicht eingetreten sind. Dafür aber andere, mit denen ich niemals gerechnet hätte.

Ich versuche, mir die Vorteile vor Augen zu führen, die mein neues Leben mit sich bringt: Die kleine Wohnung, die ab sofort mein Zuhause sein soll, ist absolut nicht vergleichbar mit dem großen Haus und dem Garten, in dem ich gewohnt habe. Sie ist so klein, dass ich sie in einem halben Tag komplett putzen kann.

Ich muss nichts mehr tun, was jemand anderem Spaß macht.

Keine Kompromisse mehr. Ab jetzt geht es endlich mal nur um mich.

Ich erinnere mich an die unbändige Freude, als ich Umzugskarton um Umzugskarton in mein Auto geladen habe. Und da war ein wenig Scham. Er war nicht da, als ich ausgezogen bin, was ich sehr gut verstehen kann, denn mir dabei zuzusehen oder gar zu helfen, mein Leben von seinem zu trennen, hätte sich sicherlich schlimm angefühlt. Das Leben, das er direkt danach mit einer anderen Frau angefangen hat, spricht allerdings eine andere Sprache. Egal. Im ersten Moment habe ich mich einfach nur befreit gefühlt. Jung. Und voller Tatendrang.

Meine Wohnung hier war lange noch sehr provisorisch. Bett, Tisch, Stühle, eine Couch. Platz. Und Stille. Was für eine Freude. Meine Freundinnen halfen mir beim Auspacken. Am ersten Abend im neuen Zuhause haben wir mich, uns alle und das Leben gefeiert, über uns selbst gelacht und schließlich Kerzen angezündet, weil die Wohnung dunkel war – und keine von uns wusste, wie man Lampen installiert. Außerdem habe ich keinen Werkzeugkoffer.

In der ersten Nacht habe ich unglaublich gut geschlafen. Es war wundervoll und sehr seltsam, so alleine, aber ich erinnere mich, dass ich trotzdem am nächsten Morgen gern den Menschen angerufen hätte, mit dem ich in den vielen Jahren alles geteilt hatte, um ihm von dem lustigen Abend zu erzählen. Es nicht zu tun, hat sich merkwürdig angefühlt. Ich rief ihn auch nicht an, als ich nicht wusste, wie man einen Stromanbieter findet oder mein Auto nicht ansprang. Ich rief ihn in den nächsten Wochen gefühlt tausend Mal nicht an, obwohl er so lange derjenige in meinem Leben gewesen war, der alles konnte und wusste. Ich bemerkte, wie selbstverständlich er viele Dinge einfach übernommen hatte, und war ihm nachträglich dankbar dafür. Wehmut schlich sich ab und zu in meinen Tatendrang, aber ich schaffte es immer, sie beiseitezuschieben.

»Natürlich helfe ich dir mit den Lampen!«, sagte mein Freund Jürgen sofort, als ich ihm mein Problem schilderte. Und ich ärgerte mich darüber, dass ich überhaupt jemand fragen musste, bis ich dann eine App entdeckte, über die ich mir Helfer buchen konnte, die mir die Kleiderschränke aufstellten und die Waschmaschine anschlossen. Dann hatte ich es zwar immer noch nicht selbst gemacht, aber immerhin selbst organisiert. Ein Schritt in die richtige Richtung – und trotzdem kam ich mir ab und zu unfassbar dumm und hilflos vor. Ich meine, hallo, ich bin eine erwachsene Frau! Zum Glück ist mir nicht das passiert, was einer Freundin widerfahren ist. Sie hatte eine neue Spülmaschine, die nicht anging, und hat einen Notdienst – natürlich war Wochenende – angerufen. Der Mann stellte fest, dass sie schlicht und ergreifend nicht den Stecker in die Steckdose gesteckt hatte.

Also. Meistens wache ich morgens voller Freude auf und genieße den ersten Kaffee auf meinem Balkon, ohne zu reden. Manchmal fehlt mir aber auch ein Gesprächspartner. Ich kann es nicht steuern, leider. Und heute … heute bin ich einfach machtlos. Überrumpelt. Verstehe weder mich noch das Warum.

In den trubeligen Familienjahren war ich immer gern allein. Bin ab und zu allein verreist, habe Tage allein genossen, mich regelrecht nach dem einen oder anderen Tag ohne Menschen gesehnt. Vermutlich ist das nicht wirklich verwunderlich, wenn man in einer großen Familie mit vier Kindern und einem offenen Haus lebt. Nach der Trennung und dem ersten Schock darüber, dass ich diejenige sein sollte, die ging, weil er sich einfach geweigert hat, das Haus zu verlassen, habe ich mich auf meine Wohnung gefreut. Ich habe mich wie eine junge Studentin gefühlt, alles war verheißungsvoll, neu und spannend, und endlich konnte ich die Dinge tun, die ich schon immer tun wollte: Schlafen, wann ich wollte, aufstehen, wann es mir gefiel, essen, was ich mochte, abends spontan ausgehen …

»Los, komm! Dann machen wir das auch«, sagt meine Freundin Steffi. »Wir gehen tanzen, das wird lustig. Oder willst du lieber in eine Karaoke-Bar? Was essen? Ins Theater? Kino? You name it, we do it!«

Allein die Vorstellung, dass ich mich zurechtmachen, was anderes anziehen müsste, um dann die Nacht zum Tag zu machen, klingt wie eine Herausforderung. Und irgendwie weiß ich gar nicht mehr, wie das alles geht.

»Können wir vielleicht einfach auf meinem Balkon sitzen und Wein trinken und nach draußen schauen?« Auf einmal traue ich mich nicht mehr so richtig. Was, wenn man mir ansieht, dass ich meine dunklen Momente habe?

»Auf gar keinen Fall!« Steffi lacht und beginnt, in meinem Kleiderschrank zu wühlen, so lange bis ich akzeptiere, dass wohl kein Weg an einem lustigen Abend in der Freiheit mit einer meiner liebsten Freundinnen vorbeiführt. Und als ich dann mit einem Cocktail in meiner Lieblingsbar sitze, nicht auf die Uhr schaue, weil ich nicht zuhause sein muss, mich mit völlig Fremden über Oberflächlichkeiten prächtig amüsiere, irgendwann tatsächlich tanzen gehe und einen sehr lustigen Abend, ach was, eine sehr lustige Nacht erlebe – da weiß ich, es ist genau richtig so. Manchmal muss man sich eben auch ein bisschen zu seinem eigenen Glück zwingen lassen.

Aber auch sonst scheitere ich ab und zu genau an den Dingen, auf die ich mich so gefreut habe: Ich kann nicht für eine Person einkaufen oder kochen. Vieles in meinem Kühlschrank wird schlecht, und ich habe Mühe, eine Routine zu schaffen, weil ich das Essen vergesse oder einfach keine Lust darauf habe, für mich allein in dieser Küche zu stehen. Um dem Ganzen für eine Weile zu entgehen, beschließe ich, zu fasten. Aber gar nichts zu essen tut meiner Psyche nicht gut, mein Körper spielt verrückt, und ich liege nachts wach, während ich mir immer wieder die Frage stelle, ob meine Entscheidung wirklich richtig war. In der Dunkelheit sind alle Fragen, die man sich stellt, intensiver. Und schlimmer noch: Die Nacht bietet selten klare Antworten, dafür immer weitere Fragen.

War das alles richtig so?Hätte es keinen anderen Weg gegeben?Hatte ich das Recht dazu?Gibt es überhaupt ein Richtig?Und wenn nein, warum bin ich dann nicht geblieben?Hätte ich überhaupt bleiben können?

Und so weiter.

Damit, dass die Einsamkeit mich mitreißt wie ein Tsunami, habe ich nicht gerechnet. Je länger ich hier sitze, desto weniger gelingt es mir. Umso schlechter fühle ich mich. Umso trauriger bin ich. Verzweifelt. Nein, ich kann nicht arbeiten. Stattdessen schaue ich aus dem Fenster und fühle mich unglaublich erschöpft.

Ich dachte ganz positiv: Wenn ich mal ausgezogen bin, wird alles gut. Dann bin ich endlich angekommen. Bei mir, in einem friedlichen, vorhersehbaren Leben. Aber das ist nicht so. Im Gegenteil. Alles ist offen, alles ist möglich – und ich fühle mich roh und verletzlich, als würde ich mich gerade häuten, um herauszufinden, wer ich bin, denn alles, was mich davor definiert hat, ist weggebrochen. Ich wollte und will doch nur ein ganz normales, ruhiges und entspanntes Leben führen. Ich will wissen, wo ich hingehöre. Ich sehne mich danach, Schwäche zuzulassen, und habe dennoch nicht wirklich eine Ahnung, wie das gehen soll, ohne mich dabei erbärmlich zu fühlen. Ich mag mich lieber stark und heldenhaft. Lustig. Souverän. Ich liebe es, wenn mich jemand anruft und um Hilfe bittet. Mit folgenden Sätzen kann ich umgehen:

»Lucinde, kannst du mich zum Flughafen fahren? Ja, ich weiß, Glatteis, Schneesturm. Aber kannst du?«

»Mama! Machst du Nudeln? Für mich und für die sechs Freunde, die ich mitgebracht habe?«

»Sag mal, kann ich dich mal was fragen? Ja, es ist nachts um drei, aber es wichtig, und ich wusste nicht, wen ich sonst anrufen sollte.«

Ich mag es, gebraucht zu werden. Ich mag es, gemocht zu werden. Was für ein Dilemma, ehrlich gesagt. Denn ich bemühe mich so sehr um andere, dass sie oft gar keinen Grund haben, sich um mich zu bemühen. Ich gebe mir so viel Mühe, stark rüberzukommen, dass gar niemand auf die Idee kommt, hinter meine Fassade blicken zu wollen – oder zu denken, dass es überhaupt eine sein könnte. Ich bin es so sehr gewohnt, meine Dinge selbst zu regeln – bis auf die Sache mit den Lampen –, mich selbst an den Haaren aus dem Sumpf zu ziehen, alleine klarzukommen, dass ich gar nicht weiß, wie man jemanden hinter seine Fassade blicken lässt, Schwäche zeigt oder gar Hilfe annimmt. Aber ich sehne mich danach, es zu können. Und ich will es lernen. Ich muss einfach. Denn es macht überhaupt keinen Sinn, sich nach etwas zu sehnen und es gleichzeitig nicht zulassen zu können, richtig?

Dazu muss ich mich zeigen. Und zugeben, dass die fröhliche und starke Lucinde ein wesentlicher Teil von mir ist. Aber eben nicht alles. Und davor habe ich ein wenig Angst.

Ich laufe die wenigen Meter in den Supermarkt, um irgendetwas einzukaufen, nur um zu überprüfen, ob ich so durchsichtig, unsichtbar geworden bin, wie ich mich fühle, schleppe mich durch die Regale, kaufe nichts, weil ich absolut nichts essen kann und mich diese vollen Regale geradezu abschrecken.

Keiner sieht mich an. Niemand beachtet mich. Ich schleiche mich an der Kassiererin vorbei, die bestimmt denkt, ich hätte was geklaut. Vielleicht denkt sie es auch nicht, was weiß ich. Jedenfalls guckt sie mich nicht an. Spricht nicht mit mir und das, obwohl ich mich beinahe gefreut hätte, wenn sie mich gebeten hätte, die Tasche zu öffnen.

Später sitze ich an meinem Tisch, beobachte die Zeiger meiner Uhr und die Sekunden, die sich zäher bewegen als Kaugummi, den man in die Länge zieht, starre aus dem Fenster, aber auch die winzigen Schäfchenwolken stehen regungslos am Himmel. Die Zeit will einfach nicht vergehen. Jeder hat sein Leben, denke ich, eine Aufgabe, jetzt gerade, irgendwo. Nur ich habe meines weggeworfen. Meinen Sinn. Meinen Halt, meine Struktur.

Meine Kinder wollen mich hier nicht besuchen, weil es so fremd ist, ihre Mama nicht in ihrem Zuhause vorzufinden, und es sich falsch anfühlt, sie an einem anderen Ort anzutreffen. Das tut weh. Meine Freundinnen, die die ganze Geschichte kennen und oft meine Verzweiflung gesehen haben, sind froh, dass ich endlich den Absprung geschafft habe. Aber auch sie, die mich so liebevoll unterstützt und begleitet haben, die mit mir diesen Tisch hier aufgebaut und ein paar Nächte lang mit mir daran Wein bei Kerzenschein getrunken haben, finden jetzt zu Recht, dass das Leben auch mal wieder normal weitergehen muss. Und ich selbst ebenfalls. Ich schäme mich dafür, dass ich es nicht einfach so kann, und mache mir Vorwürfe, weil ich doch glücklich sein müsste.

»Ich bin angekommen, hurra!«

»Lucindes neues Leben – hereinspaziert!«

»Leben, einfach leben!«

Sowas müsste ich denken. Ich verstehe mich nicht.

Es ist mitten am Tag. Alle arbeiten. Ich kenne hier in diesem Haus niemanden. Nebenan schreit eine Frau ihre kläffenden Hunde in einer fremden Sprache an, und ich würde darüber lachen, wenn ich die Kraft dazu hätte. Ich liege einfach nur rum, weil ich keinen Grund habe, mich zu bewegen. Ich weiß nicht, mit wem ich reden kann, und habe das Gefühl, dass sich die Welt nicht oder zumindest nur sehr langsam weiterdreht. Was, wenn alle meine Entscheidungen falsch waren? Was, wenn ich nie wieder glücklich, zuversichtlich, stark und sicher sein kann? Was, wenn ich krank werde, alles zusammenbricht und … ja, was ist dann? Was dann? Was dann?

Voller Sehnsucht denke ich an meinen Vater, der seit sechs Jahren tot ist, wünschte, ich könnte noch einmal Kind sein, mich in seine Arme kuscheln und mir sagen lassen, dass alles gut wird, dass er da ist, dass ich nicht allein bin. Denn das bin ich. Niemand wird kommen, um mich zu beruhigen, zu retten, zu halten, sosehr ich es mir auch wünsche. Irgendwann fange ich an zu weinen, aber so richtig, und kann gefühlte Stunden nicht damit aufhören. Ich kann mich nicht bewegen, lasse mich von der Welle aus Kummer, Angst und Schmerz davontragen.

Als es klingelt, mache ich nicht auf. Aber derjenige, der da steht, ist hartnäckig und klingelt wieder und wieder. Also schleppe ich mich zur Tür und öffne. Vor mir steht ein großer Mann, deutlich jünger als ich. Er schaut mich an. Sagt: »Du, ich wohne über dir und putze gerade meinen Balkon. Ich habe gesehen, dass deine Jeans über dem Geländer hängen, und wollte dich eigentlich nur bitten, sie wegzunehmen, damit sie nicht nass werden.« Er runzelt die Stirn, schaut genauer hin, beugt sich nach vorn und fragt: »Aber wenn ich dich so anschaue – sag mal: Brauchst du vielleicht erst einmal eine Umarmung?«

Da, ganz plötzlich, kommt dieses Gefühl zu mir zurück. Hoffnung. Zuversicht. Und die Gewissheit, dass ich nicht allein bin. Weil dieser Mensch, der da steht, mit seiner Umarmung die Welt wieder anschubst und mich dazu bringt, zu lächeln.

Steffen, Ende dreißig, ist jetzt einer meiner neuen Freunde. Wir sehen uns öfter, lachen und reden viel. Über das Leben. Über ihn, mich, Gott, die Welt. Ein bisschen fühle ich mich, als hätten wir eine WG. Rene, Mitte vierzig, der mir gegenüber wohnt, gehört mittlerweile auch dazu. Es ist toll, die beiden in meinem Leben zu haben, und ich glaube kaum, dass sie mir je begegnet wären, wenn ich in meiner Ehe geblieben wäre. Nicht auszudenken wäre das.

Die Momente, in denen ich mich nach dem immer noch irgendwie vertrauten Mann und dem gemeinsamen Leben zurücksehne, werden weniger, weil die Gründe dafür weniger werden. Es wären sowieso nicht die richtigen gewesen. Mir fehlt immer noch jemand, der Dinge repariert, abheftet und hinterher noch weiß, wo er sie abgeheftet hat. Mit dem ich das eine oder andere besprechen kann, der mich mein Leben lang kennt.

Erst langsam begreife ich, dass der Mensch, der mir aus dem ganzen Schlamassel heraushelfen wird, niemand anderes sein kann als ich selbst. Überraschung. Und während ich das so langsam begreife, beginne ich wieder, mich auf das Leben zu freuen, das vor mir liegt, darauf, herauszufinden, wer ich ohne ihn oder einen anderen Mann bin. Einfach ich – ohne Reflektion. Es ist nämlich gut, abzuschließen und Platz zu machen für Neues.

Wer loslässt, hat die Hände frei, heißt es. Vielleicht bin ich ja noch eine ganze Weile allein. Ich meine, ohne Partner. Aber eines weiß ich sicher: einsam bin ich nicht, denn eine Person wird für immer an meiner Seite sein und mich hoffentlich auch nicht im Stich lassen. Und das bin ich selbst. Die Kunst besteht nur darin, mich mit mir nicht allein oder einsam, sondern sicher und gehalten zu fühlen. Ich weiß, dass das möglich ist. Ich weiß auch, dass es mir nicht immer gelingen wird. Aber jetzt, gerade in dieser Sekunde, in der ich das alles schreibe, habe ich große Hoffnung. Und außerdem weiß ich ja jetzt, dass da über mir einer wohnt, den ich zur Not um eine Umarmung anhauen kann. Was kann mir da schon noch passieren?

Bestandsaufnahme