Unruhig... Bd. 2 - Christian W. Häuserer - E-Book

Unruhig... Bd. 2 E-Book

Christian W. Häuserer

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Beschreibung

Im zweiten Band der sechsteiligen Reihe "Unruhig…" beschreibt der Theologe und Philosoph Christian W. Häuserer die Welt, wie er sie als Mensch und gläubiger Christ wahrnimmt. Wie hat sich die Welt und die Gesellschaft entwickelt, seit Gott sie schuf? Welche Rolle spielen Religion und Glaube, Esoterik, Mystik im Verhältnis zu technischem und medizinischem Fortschritt und einem veränderten Rollenverhalten von Mann und Frau in einer Gesellschaft, deren Mitglieder zunehmend überfordert sind mit allem, was auf sie einstürmt? Sachlich und kritisch geht er auf die modernen Errungenschaften in allen Lebensbereichen und ihren Einfluss auf den Einzelnen und die Gesellschaft ein. Der Autor stellt dabei die Bibel immer wieder sinnvoll in den Kontext zur aktuellen Situation. Wie sind die Zehn Gebote heute zu verstehen und zu leben? Was ist Sünde und Schuld? Christian W. Häuserer bleibt in seinen hochinteressanten Analysen stets in der Rolle des tiefsinnig nachdenklichen Beobachters, der hinterfragt und zu ernsthaftem Nachdenken anregen will, während er jedem Leser immer überlässt, sich ein eigenes Bild zu machen.

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Seitenzahl: 424

Veröffentlichungsjahr: 2014

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„Unruhig ist mein Herz, oh Gott, bis es Ruhe findet in Dir“

Christian W. Häuserer

Unruhig…

Band 2: Welt und Mystik

www.tredition.de

© 2014 Christian W. Häuserer

Umschlaggestaltung: Christian W. Häuserer

Lektorat: Angelika Fleckenstein

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN: 978-3-8495-7863-3

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhaltsverzeichnis

VORWORT ZUM GESAMTWERK

I.        Die Welt wahrnehmen

A.        Religion als Zugang zur Welt

1.        Reinheitsgebote statt Hygienegesetzen

2.        Seuchenschutz durch Ritensperre

3.        Wo Wissenschaft endet, beginnt das Göttliche

B.        „Alles Erkennen ist Stückwerk“ – Selbst einen Grashalm können wir nicht voll erfassen! …

1.        Das Drama des menschlichen Verstandes

2.        Religion – Opium für das Volk, Retter des Geistes

C.        Das 6-Tage-Werk neu entdecken

1.        Das Ende der Welt

D.        Mann und Frau sind vollwertig anders

1.        Der kleine Unterschied

2.        Die Rollen in der Arterhaltung

3.        Wird es Bub oder Mädchen – steuerbar?

4.        Warum monosexuelle Bündnisse gut sind

5.        Freie Gedanken zur Emanzipation

6.        Der ganze Mensch entsteht erst in der Gemeinschaft von Mann und Frau

E.        Die Heisenbergsche Unschärferelation im täglichen Leben

1.        Nichts ist so eindeutig, wie es scheint

2.        Die Suche formt die Antwort – Wunsch contra Wahrheit

3.        Alles ist möglich – „nix ist fix“

II.        Mystik, Religionen, Esoterik

A.        Religion als Ausdruck ewiger Suche

1.        Urreligion als Kulturwiege

2.        Lebensqualität durch archaische Rituale

3.        Naturreligion unterliegt Geistreligion – wirklich?

4.        Religiöser Wahn und Kraft von Sekten

5.        Okkultismus

6.        Gibt es Menschen ohne Religion?

B.        Esoterik – ein Betrug?

1.        … mehr als fünf Sinne

2.        Das ideomotorische Prinzip

a.        Der Carpenter-Effekt

b.        Das Ideo-Realgesetz

3.        Das Unterbewusstsein meldet sich

a.        Verborgene Sinne über Ideomotorik ausleben

b.        Wünschelrute für Wasser und Energie

c.        Telepathie

d.        Pendeln

4.        Der Zukunft auf der Spur?

a.        Statistik und Prognosen

b.        Kristallkugeln und Kaffeesatz

c.        Sonne, Mond und Sterne

d.        Vergangenes überdenken, Gegenwart erfahren, Zukunft erkennen

C.        Mystik, transzendentes Dasein auf den Punkt gebracht

1.        Christliche Mystik

2.        Der Mystiker als Lebensberater und Psychologe

3.        Die christlichen zehn Gebote als Schlüssel zum bejahenden Leben

a.        Bleib Gott treu

b.        Gott ist nicht gewöhnlich

c.        Der Tag der Ruhe

d.        Von Eltern und Kindern

e.        Lebenswert, Wert des Lebens

f.        Das Geheimnis des Lebens

g.        Von Mein und Dein

h.        Wahrheit und Wahrhaftigkeit

i.        Bindungen binden Außenstehende

j.        Wahrer Wohlstand

D.        Was ist Sünde?

1.        Die sieben Hauptlaster

a.        Hochmut und Stolz (Superbia) - Verzicht auf Glauben

b.        Geiz und Habgier (Avaritia) - Verzicht auf Liebe

c.        Faulheit und Feigheit (Acedia) - Verzicht auf Hoffnung

d.        Völlerei und Selbstsucht (Gula) – Überleben vs.         Nachwuchs

e.        Wollust (Voluptas) und Genusssucht (Luxuria) – Genuss vs.         Partner

f.        Neid und Missgunst (Invidia) – Dienen vs. Erschließen

g.        Zorn und Vergeltung (Ira) – Herrschen vs. Entdecken

h.        Fehlen vier Hauptlaster?

1)        Eifersucht (Zelotypia) – Partner vs.         Genuss

2)        Über-Verantwortung (Hyper-Euthyne) – Nachwuchs vs.         Überleben

3)        Wankelmut (Astatheia) – Entdecken vs.         Herrschen

4)        Unstet (Irrequies) – Erschließen vs.         Dienen

2.        Dekalog, Hauptlaster und Grundtriebe

E.        Was ist Schuld?

1.        Subjektive und objektive Schuld

F.        Sünde, Schuld und deren Überwindung

G.        Ideen und Ideologien rechtfertigen „Handeln“

VORWORT ZUM GESAMTWERK

Es ist immer ein Risiko, sich mit derartigen Büchern an die Öffentlichkeit zu wagen. Nur zu leicht wird man dadurch in eine Ecke religiöser Prägung gestoßen, aus der man dann sein ganzes Leben kaum noch frei kommt.

Andererseits: Ist es nicht gerade das Risiko, das unserem Leben die rechte Würze gibt?

Wer sich der Philosophie und Theologie verschrieben hat, der gerät fast zwangsweise ständig an Grenzen, wo er sich für oder gegen eine offizielle Lehrmeinung entscheiden muss. Im Gegensatz zu den Naturwissenschaften kann man hier jedoch bei ehrlicher Betrachtung keine ewig gültigen Wahrheiten postulieren, sondern nur möglichst vernünftige Gedankenmodelle vorstellen. Und gerade religiöse Lehrgebäude mögen es gar nicht, wenn man an ihnen herumwerkt oder sie schlimmstenfalls sogar demontiert.

Nachdem im vorliegenden Werk wirklich jeder nur erdenkliche Lebensbereich und zahlreiche Lehrgebäude aufgegriffen werden, darf ich Ihnen versichern: Dieses Werk ist sehr würzig gelungen und mag bei so mancher gläubigen Seele gehöriges Sodbrennen verursachen.

Wer also erwartet hat, ein braves Werk eines noch braveren Theologen, Ordensmannes und Priesters vorzufinden, den muss ich leider sehr enttäuschen. Ich liebe den freien Gedanken, ich strebe nach philosophischer Ehrlichkeit und ich bemühe mich sehr um wissenschaftliche Gründlichkeit und Logik. Dabei bleibe ich aber stets Seelsorger und Philanthrop, dem das Wohlergehen und Schicksal der Menschen sehr am Herzen liegt.

Damit ich in meiner Sicht der Dinge nicht zum „tumben Tor“ werde, strebe ich schon seit vielen Jahren nach einer möglichst sauberen und kongruenten Darstellung der Gedanken. Leider führt dieses Streben oft zu recht faktischen Formulierungen, die ihrerseits fast schon wie Vorschriften und Gesetze klingen. Daher bitte ich Sie sehr, keinesfalls meinen Worten blind zu vertrauen! Ihre Sicht der Dinge ist Ihr intimster intellektueller Lebensbereich. Und nur Sie sollten bestimmen, was dort hinein darf!

Auch bin ich kein Guru oder sonst geistig überbelichteter Gelehrter. Mein Ziel und mein Wunsch für dieses Werk sind, dass der Leser in den doch so verschiedenen Kapiteln einen Anreiz findet, über seine eigene Sicht der Welt selbst nachzudenken. Ob Sie mir dann zustimmen oder meine Gedanken verwerfen, steht nicht im Vordergrund.

Gehen Sie Ihren ganz individuellen Weg – wohin er Sie auch immer führen mag. Es ist Ihr Weg! Und wenn Ihr persönlicher Weg Sie in die Nähe Gottes, des Göttlichen oder einfach nur des Lebens an sich bringt, weil dieses Werk Sie nachdenken ließ, dann bin ich sehr glücklich und sehr dankbar.

Christian Häuserer

I.      DIE WELT WAHRNEHMEN

Im ersten Buch der Reihe habe ich versucht, Ihnen mein Gottesbild vorzustellen. Das war ganz am Beginn notwendig, weil mein gesamtes Denken und Handeln sich von diesem Bild ableiten. Ich kann unmöglich meine Ansichten zu diversen Fragen der Gegenwart, aber auch zu ethischen Problemen präsentieren, wenn jene Grundlage unbekannt bliebe.

Nachdem ich nun hoffen darf, diese Notwendigkeit erfüllt zu haben, möchte ich alle weiteren Überlegungen möglichst ohne Gedankenspiele zum Wesen Gottes darlegen. Im folgenden Buch soll auf zwei Kapitel verteilt meine Sicht über die Welt und die Dinge, die sie prägen, dargestellt werden. Es würde mich freuen, wenn Sie beim Lesen dieser Zeilen Gedanken finden können, die für Ihr eigenes Leben gewinnbringend sind.

A.    RELIGION ALS ZUGANG ZUR WELT

Während im ersten Buch noch von der Religion als Ergebnis einer natürlichen Gotteserkenntnis die Rede war, möchte ich nun das Phänomen Religion als gesellschaftsbildenden Faktor betrachten. Karl Marx bezeichnete jegliche Religion abschätzig als Opium für das Volk, wobei er natürlich primär die christlichen Kirchen vor Augen hatte. Es mag in der Tat viele Anhaltspunkte geben, die Marx in seiner harten Beurteilung Recht behalten lassen. Tatsächlich wurde und wird sehr oft versucht, die Menschen mittels Vertröstung auf das Jenseits ruhigzustellen. Auch so manche Demutshaltung wird überall auf der Welt mittels religiöser Ideale nahe gelegt. Und wenn man die betäubende Wirkung von Opium, oder dessen euphorisches Moment als Analogie zu den Religionen hervorheben möchte, dann wird sich in den Riten und Liturgien auf jeden Fall eine Entsprechung finden lassen – schließlich ist es das erklärte Ziel jeder sinnvollen Religion, dem Menschen das Leben trotz allen Leids etwas schöner zu machen. Bedauerlicherweise haben wir gerade in den letzten Tagen immer wieder eine weitere Parallele zum echten Opium erleben müssen: Wenn die „Droge“ nicht mehr wirkt, tut es sehr weh. Wenn die Kirche nicht mehr ihren beruhigenden und tröstenden Charakter hat, weil z.B. Missbrauch und Regelwahn den Gläubigen abschrecken, dann wird Kirche nicht mehr erfahrbar und verursacht Verlustschmerzen.

Es wäre jedoch fatal, würde man bei dieser Situation stehen bleiben. Ich habe die Religion an sich als essentiellen Faktor jeder Gesellschaft bezeichnet. Diese Feststellung bezieht sich auf sämtliche religiösen Formen, die es jemals in der Menschheit gegeben hat. Also möchte ich mich von der eben angeschnittenen Problematik in der katholischen Kirche vorerst wieder verabschieden. Die Probleme der gegenwärtigen Christenheit, vor allem der Katholiken, sollen in einem eigenen Buch zum Thema werden.

Erlauben wir uns also an dieser Stelle eine Entmystifizierung der Religion und konzentrieren wir uns nachfolgend auf die Frage, wie Religion das Hier und Jetzt in der Welt lebbarer macht und wie wir durch die Religion einen konstruktiven Umgang mit der Welt erlernen können.

1.    Reinheitsgebote statt Hygienegesetzen

Ein uraltes Problem größerer Menschenansammlungen ist mit dem Kreislauf von Ernährung, Verdauung und Ausscheidung verbunden. Wenn jeder sein Häufchen vor der Haustüre des Nachbarn absetzt, dann wird es in den Siedlungen bald schon sehr übel riechen. Ein Gleiches gilt für Küchenabfälle, Badewasser und ähnliches. Am massivsten wird das Problem natürlich bei Leichen.

Also haben die Menschen schon in frühester Zeit begonnen, mit allgemein gültigen Regeln die Siedlungen sauber zu halten. Die urbane Verschmutzung konnte in der Antike sogar in einer Weise eingedämmt werden, von der so manche modernen Großstädte nur träumen können. Erst im Mittelalter glitt die europäische Zivilisation wieder in den Schmutz – was gewiss auch die damals ständig ausbrechende Pest begünstigt hat.

Da die Menschen aber seit je her eine grundlegende Abneigung gegen zu viele staatliche Gesetze haben, standen die Gelehrten vor dem Problem, wie man dieses existentielle Wissen der Grundhygiene den Menschen zur Pflicht machen kann, ohne dass sie sich dagegen auflehnen. Die Lösung wurde in einer sehr einfachen Logik gefunden:

Jede wertvolle Religion will den Erhalt und das Wohlergehen der Menschheit sichern. Denn schließlich geht man ja davon aus, dass die angebetete Göttlichkeit ein fürsorgliches Interesse an den Gläubigen hat. Also macht es Sinn, sämtliche dieser existentiellen Normen in ein religiöses Kleidchen zu stecken. Und tatsächlich erkennen wir in fast allen religiösen Regeln, die den Alltag beeinflussen, solche hygienischen Schutzmaßnahmen, die das Überleben der Gesellschaft und des Einzelnen sichern sollen.

Ein sehr gutes Beispiel für solche Regulierungen sind die Reinigungsgebote der Juden. Wer sich an die Regeln des koscheren Kochens und Lebens hält, braucht zu keinem Zeitpunkt eine Lebensmittelvergiftung oder Parasiten im Essen zu fürchten. Natürlich ist dieses ganze religiöse Gehabe in der modernen Zeit wirklich befremdend, aber effizient ist es allemal – und in der Antike eine echte sanitäre Revolution.

Auch die Waschungen der Moslems vor dem Gebet in der Moschee haben einen trivialen Nebeneffekt. Auf diese Weise hat sich jeder Moslem wenigstens einmal in der Woche die Füße gewaschen – mitsamt den Händen und dem Gesicht. Gerade während des Mittelalters bis ins 19. Jahrhundert waren damit die Mohammedaner wesentlich reinlicher, als die Europäer, die oft nur einmal im Jahr mit Badewasser in Berührung kamen – wenn überhaupt. In Europa bevorzugte man starke Parfums, um den nicht minder starken Körpergeruch zu überdecken. In Frankreich hat sich für Ludwig XIV. nicht umsonst der Spruch erhalten: „Der König kommt, man riecht ihn schon!“

Überhaupt fällt mir auf, dass in Europa seit dem Ende der römischen Kultur ein massiver Verfall der Hygiene und der sanitären Zustände zu beobachten war. Wenn man davon ausgeht, dass religiöse Reinheitsgebote ursprünglich für diesen Lebensbereich verantwortlich waren, dann lässt sich daraus ableiten, dass der christliche Glaube in Europa keine gesellschaftliche Wirkkraft mehr hatte – zumindest keine positive! Da man aber gleichzeitig massive Frömmigkeitsbewegungen vorfand und sich gerade der Feudalismus Europas auf den religiösen Kontext berief, wird diese Situation zu einem seltsamen Mysterium. Wie kann es sein, dass in einer scheinbar tief religiösen Umgebung die Reinheitsgebote eben dieser Religion derart mit Füßen getreten werden?

Die Antwort auf dieses Rätsel fällt aus christlicher Sicht sehr schmerzhaft aus: die Christenheit jener Zeit war mehrheitlich einer blinden Frömmigkeit verfallen und lebte nicht mehr als ganze Person im Glauben. Während der Hochklerus die Kirche vielfach nur noch als Machtinstrument wahrnahm, beschränkte sich der einfache Gläubige in feudalistischer Knechtschaft auf den reinen Vollzug tröstender Rituale. Gerade die unzähligen Reformbewegungen auch eines Franz von Assisi oder eines Martin Luther zielen unmittelbar auf diese seelische Not ab. Beachtenswert sind in diesem Zusammenhang die Schweizer Reformatoren, Johannes Calvin und Ulrich Zwingli. Sie haben nicht nur den religiösen Vollzug des christlichen Glaubens auf neue Bahnen gelenkt, sondern auch die praktische Umsetzung im Alltag konsequent eingefordert. Daher wundert es nicht, dass sich gerade in Zürich und in Genf die hygienischen Verhältnisse deutlich verbessert hatten. Um der Ehrlichkeit Genüge zu leisten muss jedoch ergänzt werden, dass auch die Reformatoren in den friedlichen Regionen bald schon mit einem Nachlassen der Glaubenstreue zu kämpfen hatten, was letztlich wieder in einem Absinken der Stadthygiene endete.

Parallel zum Verlust religiös motivierter Hygiene entwickelte sich in Europa seit dem ausgehenden Mittelalter eine naturwissenschaftlich begründete Normierung des Zusammenlebens. Diese Entwicklung rührt nicht zuletzt von einer zunehmenden Emanzipation gegen die Kirche her. Allerdings dauert es noch bis weit in das 19. Jahrhundert, bis ernsthaft das Müllproblem der Städte gelöst wird. Einen ersten Ansatz dieser Lösungsversuche findet man z.B. in der Hamburger Pestordnung von 1507, die einen klaren Zusammenhang zwischen der Pest und dem Müll auf den Straßen sieht. 1560 erlässt Hamburg schließlich eine erste „Sauberkeitsver-Ordnung“, die zumindest die Hauptplätze viermal im Jahr gereinigt wissen will. Man darf jedoch davon ausgehen, dass sich in den Nebengassen immer noch menschlicher Kot und Unmengen an Müll getürmt haben. Eine erste amtliche Müllabfuhr ist bereits 1130 in Straßburg bekannt. Das eben genannte Hamburg hat aber, wie viele deutsche Städte, erst zwischen 1750 und 1850 diese Idee aufgegriffen. Man muss also anerkennen, dass die Stadthygiene wohl eine der wichtigsten Errungenschaften der europäischen Aufklärung und aller nachfolgenden Strömungen ist. Der christliche Glaube hingegen hatte seit der deutlichen Abspaltung vom jüdischen Glauben in Fragen der Hygiene keine Relevanz mehr.

Heute noch gibt es immer wieder Unverständnis, weil strenggläubige Juden so manche Fleischsorten nicht anrühren – vor allem das Schwein hat bei diesem Volk ein langes Leben. Ursache für dieses konkrete Speisenverbot war die Angst vor Trichinen oder dem Schweinebandwurm, die beide für Menschen sehr gefährlich werden können. Natürlich gehen wir modernen Menschen davon aus, dass dieses Problem mit dem Schweinefleisch behoben ist, aber darum darf es bei der Bewertung einer religiösen Regel nicht zuerst gehen. Die alten Juden wollten ihr Volk schützen und sie haben mittels einer sehr guten Beobachtungsgabe lange vor Bekanntwerden von Parasiten und anderen Krankheitsauslösern den wahren Verursacher schweren Leidens ermittelt. Also ist diese religiöse Regel vor allem ein Ausdruck tiefster Sorge der religiösen Führer um ihre Gläubigen.

Man könnte sehr leicht mit wissenschaftlicher Rückendeckung sagen, dass all diese Regeln in der heutigen Zeit nicht mehr nötig wären – allerdings werde ich lange schon das Gefühl nicht los, hier irrt der moderne Geist. Der gesundheitliche Vorteil so mancher Regeln der koscheren Ernährung ist meiner Meinung nach auch heute noch ungebrochen vorhanden. Oder um es noch deutlicher zu sagen: Für mich sind die Regeln koscherer Nahrungszubereitung unangefochten der König hygienischer Kochkunst.

Reinheitsgebote als Vorläufer oder Ersatz für moderne staatliche Hygienegesetze finden sich tatsächlich praktisch in jeder Kultur und Religion sämtlicher Epochen und Kontinente. Sei es die Regel, welche Nahrung erlaubt ist, sei es die Regel, wer mit wem Sex haben darf, sei es die Regel, wie man mit Kleidung umzugehen hat – in allen Lebensbereichen finden wir solche religiösen Gebote und Tabus. Und immer sind jene Regeln das Ergebnis eines Missstandes oder Elends, die auf diesem Weg für alle Zeiten verhindert werden sollten. Religion wird damit zum tradierten Gesetz einer Gesellschaft, welches nicht per Ratsversammlung aufgehoben werden kann, sondern als quasi göttliche Anweisung zum Schutz der Menschen mit dem Anspruch ewiger Gültigkeit existiert. Natürlich könnte auf diesem Weg ein fehlgeleiteter Priester ein Volk seinem Wahn unterwerfen. Da er aber seine eigenen Ideen immer im Licht des existierenden Glaubens formulieren muss, sind einem solchen Treiben gewisse Grenzen gesetzt. Es kann ja auch kein katholischer Priester behaupten, er dürfe mit jedem Kind Sex haben, nur weil in der Bibel die Worte Jesu stehen: „Lasset die Kinder zu mir kommen!“

Religiöse Reinheitsgebote haben allerdings nur solange eine Existenzberechtigung und werden vom Gläubigen akzeptiert, wie dieser den lebensbejahenden und –fördernden Charakter der Regeln erkennen kann. Sobald Regeln und Tabus den gesunden Lebensvollzug der Menschen gefährden, beginnen jene Normen aufzuweichen und zu verschwinden. Es zeigt sich also, dass religiöse Gebote niemals auf Dauer gegen die Menschen etabliert werden können. Eine Religion, die das Leben nicht lebenswert macht, verliert ihren Einfluss – wobei der vernünftige Mensch übrigens den reinen Hedonismus noch nie für lebenswert erachtet hat! Religion darf wehtun – wenn es einen Sinn macht! Dieser Grundsatz wird mich in der Frage der katholischen Kirche noch sehr beschäftigen.

2.    Seuchenschutz durch Ritensperre

Während sich die Reinheitsgebote mit dem täglichen Leben und der kleinen Prophylaxe gegen Krankheiten beschäftigen, gibt es zudem sehr konkrete, volksweite Gefahren, die ebenfalls von Religionen deutlich bekämpft wurden.

Am markantesten sehen wir diesen Kampf der Religionen gegen unmittelbare Gefahren im Rahmen von Ritensperren. Solche Ritensperren schlossen eine betroffene Person von jeglicher Teilnahme am religiösen Leben aus. Gerade in Stammesreligionen ging man sogar noch weiter und verbannte den Betroffenen gleich komplett aus der Dorfgemeinschaft, bis der Sperrgrund beseitigt war. Weltweit anzutreffende Ursachen für eine Ritensperre waren: die Menstruation der Frau, eiternde Wunden, Lepra und Pest, jede Form von krankhaften Hautveränderungen, Geschlechtskrankheiten und der Umgang mit Leichen.

In Wahrheit finden wir in diesen Ritensperren einen ersten und durchaus effizienten Seuchenschutz. Natürlich wurden auf diesem Weg auch viele Menschen aus der Gesellschaft ausgestoßen, die harmlos erkrankt waren. Aber woher sollten das die religiösen Führer der Antike wissen? Ebenso stellte die monatliche Absonderung der Frauen wegen der Regelblutung auf jeden Fall eine soziale Benachteiligung dar. Aber Damenbinden und Tampons sind erst im 20. Jahrhundert hygienisch sicher geworden. Gerade in Regionen und Zeiten, wo der technische Fortschritt eine Überprüfung der Sachlage einschränkt, ist es tatsächlich besser, vorsichtig zu sein, als eine schlimme Seuche wegen der Barmherzigkeit gegen den Abgesonderten zu riskieren.

In moderner Zeit erscheinen diese Ritensperren unnötig geworden, denn wir verlassen uns mehr und mehr auf staatliche Hygienegesetze. Wenn ich aber an so manche Grippeepidemie denke, die in der Sonntagsmesse ihren Ausgang genommen hat, dann wäre die selbst auferlegte Ritensperre manches Mal keine schlechte Idee. Auch hält sich meine Begeisterung in Grenzen, wenn ein von Herpes gezeichneter Mund den Messkelch berührt, bevor ich davon trinken soll! Die offiziellen Hygienegesetze regeln nicht alles. So manche Ritensperre hätte immer noch ihre Berechtigung – allerdings hat sich in der modernen Welt eingebürgert, dass der Gläubige diese Sperren selbst erkennen und befolgen sollte. Ich kann mich dieser modernen Sicht wirklich nicht immer anschließen!

3.    Wo Wissenschaft endet, beginnt das Göttliche

In meiner Einleitung zum Kapitel formulierte ich den Wunsch, zu zeigen, wie man mittels der Religion einen besseren Zugang zur Welt finden kann. Nachdem bereits die gesellschaftserhaltenden und für die Gesundheit bedeutsamen Merkmale religiöser Strukturen genannt wurden, wird es nunmehr Zeit, das Wechselspiel von Religion und Wissenschaft zu sehen. Eine erste Rolle kam dabei sämtlichen Religionen seit der Wiege der Menschheit immer schon als Lückenbüßer zu. Sooft der menschliche Verstand noch nicht weit genug fort geschritten war, um eine Sachfrage zu ergründen, wurde die göttliche Sphäre eingesetzt. Die daraus entstehende ständige Götterdämmerung erwähnte ich bereits im ersten Buch.

Es wäre jedoch falsch, Religionen im Verhältnis zur Wissenschaft auf den Lückenbüßer zu reduzieren. Sehr viele Religionen betonen vor allem die Verbundenheit des Menschen mit der Natur. Gerade am Beispiel der Indianer wird deutlich, dass Religion zu einer unglaublichen Tiefe im Verhältnis mit der Natur führen kann. Auch das christlich-jüdische Erbe wäre eigentlich sehr auf die Welt, die Schöpfung, die Natur ausgerichtet. Die biblische Aufforderung „Macht euch die Erde untertan“ wird nur leider oft völlig missverstanden. Sofern der Mensch wirklich Herrscher innerhalb der Schöpfung ist, würden ihm auch alle Aufgaben zukommen, die einem solchen aus christlicher Sicht zufallen. Der christliche Herrscher hat sich in Liebe für seine Untertanen einzusetzen und zu verbrauchen. In der Realität verbraucht der Christ aber eher die Natur, als dass er sich selbst zugunsten der Natur zurück schraubt.

Dabei hätten wir viele christliche Lehrmeister, die uns den guten und erfüllenden Umgang mit der Natur vorlebten. Allen voran mag ein Franz von Assisi genannt sein, der fast nur in Gemeinschaft mit Tieren dargestellt wird, weil er zeitlebens seine tiefe Liebe zu Gottes Schöpfung und seinen Geschöpfen zum Ausdruck brachte. Auch Hildegard von Bingen, die beiden Mechthilden und andere naturverbundene Mystiker des Mittelalters lehrten die Menschen eine positive Beziehung zur Welt, in der wir leben. Als jüngeres der bekannten christlichen Beispiele möchte ich Pfarrer Kneipp nennen. Er hat sich seine hilfreichen und mittlerweile sehr anerkannten Therapien nicht phantasievoll zusammengeraten, sondern durch eine umfassende Beobachtung und Wertschätzung der Natur den Menschen etwas Lebensqualität geschenkt.

Alle genannten Personen verband ein Kerngedanke. Sie betrieben keine Forschung im herkömmlichen Sinn. Sie waren zuerst demütige Beobachter von Gottes Schöpfung. Die saubere Analyse der Pflanzen und derer Wirkmechanismen war ihnen ein Akt der Ehrerbietung vor Gottes Werk. Daher kann keine so entwickelte Heilmethode vollständig wirken, wenn nicht gleichzeitig die Seele mitbehandelt wird. Hildegard von Bingen hat z.B. vier Bücher über ihr helfendes Bestreben geschrieben, doch nur das kleinste handelt von Pflanzen und deren Drogen. Und nur dieses eine, kleine Buch wird heute überall gepriesen. Wer sich ernsthaft mit jener hochintelligenten Frau beschäftigt, erkennt aber rasch, dass die anderen drei Bücher, die von der Seele des Menschen und unserem Bezug zu Gott handeln, erst das vierte wirklich sinnvoll erscheinen lassen.

In der jüngsten Krebsforschung wurde endlich vermehrt eben diese Bedeutung der Seele erkannt: Die besten Medikamente bringen nichts, wenn der Patient sich aufgegeben hat. In der Folge werden alle möglichen alternativen Behandlungsmethoden bei Krebspatienten angewendet, nur um eine emotionale Heilungsbereitschaft zu erreichen. Eigentlich wird damit genau das getan, was schon vor ein paar hundert Jahren von den Klöstern erkannt wurde. Tatsächlich reicht diese Erkenntnis sogar viel weiter, bis in die Antike zurück. „Mens sana in corpore sano“1 ist ein Leitgedanke, der von Juvenal im 1. Jahrhundert n.Chr. in seinem satirischen Werk aufgegriffen wurde und darlegt, dass man immer den ganzen Menschen sehen muss. Noch viel früher, um 400 v.Chr., hat Hippokrates von Kos in für Ärzte bis heute verbindlicher Weise die Anamnese mitsamt der seelischen Befindlichkeit ins Zentrum der Diagnose gesetzt.

Es ist also keine wirkliche Überraschung, wenn vor allem Schamanen und Priester in den alten Kulturen für die medizinische Versorgung der Menschen verantwortlich waren – sie sollten Körper, Geist und Seele in einem heilen. Vielleicht sind so manche überraschenden Heilungen in der Antike trotz fehlender Medikamente für den Körper nur möglich gewesen, eben weil religiöse Lehrer die Seele und den Geist heilen konnten. Gerade auf dem Gebiet der Medizin zeigen sich gelegentlich die erstaunlichsten Dinge: Menschen genesen scheinbar grundlos von schwersten Krankheiten, einfach weil sie in ihrer Seele Frieden und Kraft gefunden haben. Hier endet tatsächlich die medizinische Wissenschaft und der Glaube an das Göttliche schenkt Genesung.2

Aber Religion wirkt nicht nur als medizinischer Therapie-Multiplikator in beständiger Weise. Immer dann, wenn unser Wissen endet und Verzweiflung sich breit macht, sind es der Glaube und die Hoffnung, die uns die Kraft geben, an der Welt nicht zu zerbrechen. Nicht Lückenbüßer, sondern Tröster will uns Religion sein! Und wenn ich morgens auf einem Berg stehe und ins weite Tal sehen darf, dann denke ich ganz sicher nicht über irgendwelche Strahlengesetze nach oder warum der Vogel in der Ferne fliegen kann. Ich nehme zuerst die Schönheit war und bin dankbar für das, was mich umgibt. Ich bin in diesem Augenblick zutiefst religiös. Man kann über die Welt nachdenken, man kann über sie Nachforschungen anstellen und alles Mögliche erklären, man kann aber auch einfach nur dankbar sein!

1      Sinnmäßige Übersetzung: „Ein gesunder Geist wohnt in einem gesunden Körper.“ – Allerdings sollte man sich hier nicht in nationalsozialistisches Gedankengut verirren! Der Rückschluss, dass Krüppel immer auch Idioten sind, darf keinesfalls gezogen werden, wie allein das Beispiel von Steven Hawking beweist. Körperliche Gesundheit kann in der Folge nicht automatisch mit Sportlichkeit, Muskeln und Körperbeherrschung gleichgesetzt werden. Auch ein Krüppel kann an sich gesund sein – denn die Einschränkung ist nicht notwendigerweise eine Krankheit! Ebenso garantiert ein durchtrainierter Körper noch lange nicht seelisches Wohlbefinden, wie der Selbstmord des deutschen Fußballtorwartes der Nationalelf im Jahr 2009 bewiesen hat. Richtig angewendet wird dieser Grundgedanke im Zusammenhang mit psychosomatischen Erkrankungen.

2      Achtung: Mentales Wohlbefinden kann niemals eine Operation oder Medikamente sinnlos werden lassen! Eine Heilung nur aus der Seele wird sehr, sehr selten beobachtet.

B.    „ALLES ERKENNEN IST STÜCKWERK“3– SELBST EINEN GRASHALM KÖNNEN WIR NICHT VOLL ERFASSEN!

Eigentlich laufe ich mit diesem Unterkapitel Gefahr, mich zu wiederholen. Schon viel früher, nämlich im zweiten Kapitel des ersten Buches, habe ich bereits über unsere Unfähigkeit zur vollkommenen Erkenntnis gesprochen. Dennoch erscheint mir diese mögliche Wiederholung nötig, um unsere Einstellung zur Welt zu überdenken. Es geht nun nicht mehr um die Frage, ob wir Gott wirklich erkennen können. Jetzt geht es um wesentlich trivialere Objekte. Und wie Sie aus der Überschrift schon erkennen, traue ich der Menschheit nicht einmal zu, einen Grashalm vollständig erfassen zu können.

Wir sind Menschen und leben innerhalb der Welt als ein Lebewesen unter unzähligen Milliarden. Entsprechend rasch stoßen wir an unsere eigenen Grenzen und müssen bestenfalls technische Hilfsmittel aufwenden, um unseren Erkenntnisradius zu erweitern. Die Grenze des besagten Grashalms liegt schließlich nicht in seiner enormen Größe, sondern stattdessen in der Kleinheit und Komplexität seiner Bausteine. Allein, weil ich die Außengrenzen eines Gegenstandes mit einem Mal erfassen kann, ist es mir noch lange nicht möglich, auch das Innenleben ebenso gründlich zu kennen.

1.    Das Drama des menschlichen Verstandes

Der menschliche Verstand hat das unbändige Bestreben, alles Neue zu ergründen und Fremdes zu erobern. Ich habe in der mystischen Psychologie diesen Pioniergeist und das stete Streben nach Wissen als Grundtrieb des Wissensdurstes bezeichnet.4

Damit sind wir zu einer fortwährenden Unruhe verdammt, die uns zwingt, offene Fragen mit Antworten zu füllen, und die uns Angst macht, wenn Grenzen der Wahrnehmung übermächtig werden. Nur wenigen gelingt es, hier zur Ruhe zu kommen. Wir nennen solche innerlich ausgeglichenen Menschen Heilige, Mystiker oder Weise. Eine zweite Form fehlenden Forschertriebes ist hingegen Anlass für größte Besorgnis der Umgebung. So habe ich sehr oft Schüler angetroffen, denen in einer lethargischen Lähmung des Geistes jeglicher Wunsch nach neuem Wissen verloren gegangen ist. Mich haben solche Jugendlichen immer schon schockiert, weil es eigentlich ein typisches Merkmal der Jugend wäre, neue Grenzen zu erobern und neues Wissen verschiedenster Art zu jagen.

Da der Mensch in seinem Erkennen sehr begrenzt ist, führt der Wissensdurst oft nicht zum gewünschten Ziel. So manche Antworten bleiben uns einfach ein Leben lang verborgen. Das gilt gerade für Fragen der menschlichen Seele und der Metaphysik. Die vielleicht brennendste Frage, die wir im Leben nicht beantwortet bekommen, ist die Frage des Lebens nach dem Tod. So sehr wir uns auch bemühen, auf diese letzte aller Fragen bleibt uns als Lebende die Antwort stets verwehrt. Der einzige Trost ist, dass wir im Tod auf jeden Fall eine Antwort erhalten werden.

Noch eine zweite Problematik ergibt sich aus der Art des menschlichen Forschertriebes. Wir laufen manchmal Gefahr, sogar das, was uns eigentlich wertvoll erscheint, unserem Forschertrieb zu opfern. Längst schon ist in dieser Frage das Problem der Tierversuche nicht unser größtes. Mehr und mehr werden der menschliche Körper, sein Genom und das ungeborene Leben zum Objekt zügelloser Forschersucht. Der Mensch verwechselt immer öfter wissenschaftliche Forschung mit einem Spielplatz, wo Wissenschaftler wie kleine Kinder mit den Bauklötzen des Lebens herumspielen dürfen.

Unser Streben nach Wissen hat uns die Fähigkeit und die Möglichkeit in die Hand gegeben, innerhalb weniger Augenblicke die gesamte Menschheit auszulöschen. Der menschliche Verstand, der uns doch eigentlich von den Tieren abheben sollte, wird vielleicht bald schon der Grund für unser Ende sein, während viele Tiere davon unbeeindruckt weiter existieren.

Es wäre fatal, den Verstand ausschalten zu wollen, aber ebenso fatal ist es inzwischen, dass er aktiv ist! Wir befinden uns in einem Drama des menschlichen Verstandes, das streng nach Darwin nur eine Entwicklung zulässt. Die Natur merzt aus, was nicht mehr lebensfähig ist.

2.    Religion – Opium für das Volk, Retter des Geistes

In dieser fatalistischen Situation kommt der Religion einmal mehr eine beruhigende Rolle zu. Erneut lässt der Gedanke der Hoffnung auf Gottes Hilfe den Glauben zum Opium für das Volk werden. Ich habe ernsthaft den Eindruck, dass die Menschen wesentlich mehr Interesse für den Zustand der Welt hätten, wenn sie nicht weltweit durch die Tröstungen der Religionen in Lethargie geschlagen wären! Andererseits haben wir doch gar keine Alternative! Wer sollte uns sonst Trost spenden, wenn wir uns selbst ins Verderben stürzen? Auf wen innerhalb dieser Welt sollten wir hoffen, wenn die Menschheit sich längst einem künstlichen System unterworfen hat, das dem Leben keinen Platz einräumen will? Gäbe es keine Religion, dann müssten all jene, die mit offenen Augen durch die Welt gehen, vor Verzweiflung wahnsinnig werden.

Nur unser Hoffen, dass es da noch mehr gibt, als wir Menschen mit unseren Sinnen erkennen können, lässt uns das Drama des menschlichen Verstandes ertragen. Der Glaube an irgendetwas Göttliches ist in allen Religionen der Welt längst schon zum Retter des Geistes geworden. Selbst der größte Atheist hofft in Wahrheit auf ein höheres Ziel, für das sich der ganze Wahnsinn lohnt.

So zeigt sich auf der einen Seite unsere massive Begrenztheit, während wir gleichzeitig an der Zügellosigkeit menschlicher Hybris leiden. Obwohl der Mensch in Wahrheit gerade einmal ein winziges Bruchstück der Welt begriffen hat, hindert ihn das keineswegs daran, mit Hilfe von jenem Teilwissen die große, fremde Welt zu verändern. Mit dem eben Gesagten lässt sich der Mensch bereits seit Jahrtausenden ideal beschreiben, wie wir sogar schon in der Bibel nachlesen können. Die Ursünde des Adam, die Erbschuld, definiert sich gerade aus diesem Verhalten. Es ist der Stolz des Menschen, sich selbst genügen zu wollen und sich anstatt Gottes an die Spitze der Schöpfung zu stellen, der Adam am Ende aus dem Garten Eden hinausführt.

Damit wird aus dem Opium für das Volk tatsächlich eine Hoffnung für die Welt. Denn indem der Christenmensch im Licht des Glaubens seinen freien Willen wahrnimmt und sich seinem Schöpfer demütig unterordnet, besteht Hoffnung, dass er die Menschheit nicht komplett zum Teufel jagt.

3      Jenes Zitat wurde dem ersten Korintherbrief in leicht angepasster Form entnommen. Vgl. 1 Kor 13,9.

4      Der neue Ansatz einer Mystischen Psychologie wird von mir im vierten Band der Reihe „Unruhig…“ vorgestellt.

C.    DAS 6-TAGE-WERK NEU ENTDECKEN

Während meiner Jahre abseits des Klosters fand ich Zeit, kirchliche Veröffentlichungen zu lesen, die mir früher praktisch nie in die Hände gefallen waren. Es mag manchen erstaunen, dass zu solchen mir fremden Publikationen auch die diözesanen Kirchenzeitungen gehörten, aber ich suchte im Kloster die Stille und einen geläuterten Zugang zum Glauben, der frei vom aktuellen Kirchenstreit ist.5 Immer wieder stieß ich nunmehr bei der mir neuen Lektüre auf Beiträge, die sich der Verteidigung des 6-Tage-Werks in der Bibel widmeten. Es scheint, als wäre diese sehr märchenartige Darstellung der Schöpfung für viele Kirchenkritiker zum Hauptargument gegen die Bibel geworden, was entsprechend auf der kirchlichen Seite eine Flut an Rechtfertigungsschreiben bewirkt.

Mich schmerzt diese Feststellung ungemein, da ich jenem sehr alten Buch einen äußerst hohen Stellenwert beimesse.

Im Sinn einer fairen Beurteilung von dessen Autoren habe ich schon mehrmals in meinen bisherigen Gedanken auf die begrenzte Fähigkeit des Menschen hingewiesen, seine natürliche Erkenntnis des Göttlichen in Worte zu fassen. Es war naheliegend für die alten Juden, ihre religiösen Überlieferungen und Lehrtraditionen in Geschichten und Bilder zu verpacken. Denn nicht nur die Priester hatten Probleme, jenes Gefühl von Gott in Worte zu fassen. Erst recht hatten die einfachen und oft ungebildeten Gläubigen große Schwierigkeiten, ein hochtheologisches oder philosophisches Traktat zu lesen, wenn sie denn überhaupt lesen konnten. Auch die Erzählungen aus der Zeit vor der babylonischen Gefangenschaft der Juden sind sehr sagenhaft gestaltet – immerhin wurden sie größtenteils nur mündlich überliefert! Was aber über Generationen am Lagerfeuer den Kindern und einfachen Menschen mündlich weitergegeben wird, kann niemals theologisch oder historisch perfekt formuliert sein.

Und schließlich sollte man für die Frage der Schöpfung nicht vergessen, dass die Entstehung des Weltalls mehrere Milliarden Jahre gedauert haben dürfte – die Juden hatten für solch eine große Zahl nicht einmal einen Ausdruck! Wer also die Genesis wörtlich liest und daraus deren Glaubwürdigkeit ableitet, ist meines Erachtens in höchstem Maß als dumm zu bezeichnen. Ebenso denke ich über Menschen, die anhand jener Erzählung die ganze Bibel ins Lächerliche ziehen wollen.

Liest man aber die Genesis als das, was sie in Wahrheit ist, nämlich der fromme Versuch unendlich Großes mittels einer extrem einfachen Vorstellungswelt zu beschreiben, dann erkennt man eine überraschend genaue Kenntnis von der heute wissenschaftlich postulierten Entstehung der Welt. In diesem Sinn erlaube ich mir nachfolgend eine sehr freie Alternative zur Schöpfungsgeschichte den jeweiligen Tagen anzuhängen. Und seien Sie bitte nicht verwundert, wie ich manche Bilder übersetze. Aber die alten Juden wussten z.B. sicher nicht, was Plasma ist. Hier das Wasser als Synonym zu verwenden, war durchaus naheliegend.

Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde; die Erde aber war wüst und wirr, Finsternis lag über der Urflut, und Gottes Geist schwebte über dem Wasser. Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht. Gott sah, dass das Licht gut war. Gott schied das Licht von der Finsternis, und Gott nannte das Licht Tag, und die Finsternis nannte er Nacht. Es wurde Abend, und es wurde Morgen: erster Tag.

Im Anfang schuf Gott die Metaphysis und die Physis. Die Physis aber war erfüllt von formloser, chaotischer Energie, die zwar von Gott in die Physis gelegt wurde, aber noch keiner eigenen Ordnung gehorchte. Und mit einem Wort der Macht gab Gott der Energie eine Form, ein ewiges Gesetz der Materie, wodurch gleichzeitig Werden und Vergehen entstanden. In diesem Urknall der Welt formte sich mit dem ersten Elementarteilchen die erste Zeit – so konnte der Erste Tag vollendet werden.

Dann sprach Gott: ein Gewölbe entstehe mitten im Wasser und scheide Wasser von Wasser. Gott machte also das Gewölbe und schied das Wasser unterhalb des Gewölbes vom Wasser oberhalb des Gewölbes. So geschah es, und Gott nannte das Gewölbe Himmel. Es wurde Abend, und es wurde Morgen: zweiter Tag.

Doch noch war die Welt eine unglaublich heiße Plasmasuppe. Und während sich das Plasma weiter im Raum verteilte, schloss es sich zu Gruppen zusammen. Der Kosmos entstand als ein Raum großer Leere, in dem sich einzelne Plasma-Nebel sammelten und den Ursprung von Galaxien bildeten.

Dann sprach Gott: Das Wasser unterhalb des Himmels sammle sich an einem Ort, damit das Trockene sichtbar werde. So geschah es. Das Trockene nannte Gott Land, und das angesammelte Wasser nannte er Meer. Gott sah, dass es gut war. Dann sprach Gott: Das Land lasse junges Grün wachsen, alle Arten von Bäumen, die auf der Erde Früchte bringen mit ihrem Samen darin. So geschah es. Gott sah, dass es gut war. Es wurde Abend, und es wurde Morgen: dritter Tag.

Und endlich, nach langer Zeit kühlten die Plasma-Nebel ab. Es entstanden die ersten Sterne und ihre Systeme. Die chemischen Elemente formten Moleküle und gestalteten die Welt bunt und abwechslungsreich. Harte, greifbare Materie sammelte sich und erste Planeten konnten entstehen. Dann endlich formten sich irgendwo im Kosmos die ersten Kohlenstoffgruppen zu etwas, das wir Leben nennen.

Dann sprach Gott: Lichter sollen am Himmelsgewölbe sein, um Tag und Nacht zu scheiden. Sie sollen Zeichen sein und zur Bestimmung von Festzeiten, von Tagen und Jahren dienen; sie sollen Lichter am Himmelsgewölbe sein, die über die Erde hin leuchten. So geschah es. Gott machte die beiden großen Lichter, das größere, das über den Tag herrscht, und das kleinere, das über die Nacht herrscht, auch die Sterne. Gott setzte die Lichter an das Himmelsgewölbe, damit sie über die Erde hin leuchten, über Tag und Nacht herrschen und das Licht von der Finsternis scheiden. Gott sah, dass es gut war. Es wurde Abend, und es wurde Morgen: vierter Tag.

Nun endlich war die Welt so weit, dass unser eigenes Sonnensystem entstehen konnte. Es bildete sich die Sonne, die Planeten fanden sich zusammen, und ganz am Schluss formte sich auch der Mond, der seitdem die Erde umkreist. Seit dieser Zeit hat die Erde ihren Platz im Kosmos und die Sternenbilder weit entfernter Sonnensysteme weisen uns die Position.

Dann sprach Gott: Das Wasser wimmle von lebendigen Wesen, und Vögel sollen über dem Land am Himmelsgewölbe dahinfliegen. Gott schuf alle Arten von großen Seetieren und anderen Lebewesen, von denen das Wasser wimmelt, und alle Arten von gefiederten Vögeln. Gott sah, dass es gut war. Gott segnete sie und sprach: Seid fruchtbar, und vermehrt euch, und bevölkert das Wasser im Meer, und die Vögel sollen sich auf dem Land vermehren. Es wurde Abend, und es wurde Morgen: fünfter Tag.

Nun endlich konnte das Leben auch auf der Erde Platz finden. Zuerst besiedelten die Lebewesen, Fauna wie Flora, das Wasser. Dann eroberten Wesen das Land und die Luft, die wir heute noch als Vögel kennen. Damals hießen sie Dinosaurier.

Dann sprach Gott: Das Land bringe alle Arten von lebendigen Wesen hervor, von Vieh, von Kriechtieren und von Tieren des Feldes. So geschah es. Gott machte alle Arten von Tieren des Feldes, alle Arten von Vieh und alle Arten von Kriechtieren auf dem Erdboden. Gott sah, dass es gut war. Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich. Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere auf dem Land. Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie[…]

Genesis 1,1 – 1,28

Am sechsten Tag aber, als die Welt schon mehrere Milliarden Jahre existiert hat, entstanden die höheren Lebewesen auf der Erde. Allen voran eroberten die Säugetiere das Land. Auch die alten Meerestiere des fünften Tages entwickelten sich weiter und kamen teilweise sogar auf das Land, wie die Reptilien, die Lurche und die Echsen. Und ganz am Schluss, als schon alle Gattungen geboren waren, erhob sich ein Lebewesen, um die Führung zu übernehmen. Der Mensch war geboren und er wurde von dem erfüllt, was die Physis und die Metaphysis gleichermaßen ausmacht. Und er erkannte das Göttliche in der Welt und wollte daran teilhaben.

Ich gebe zu, dass meine Variation der Schöpfungsgeschichte sehr großzügig mit dem Original umgeht. Dennoch ist diese Sicht für mich stimmig, da ich beständig den wissenschaftlich kaum gebildeten Menschen der Vor-Antike vor Augen habe, der große Wahrheiten einfach gespürt hat.

Sehen Sie also diese mehrere Tausend Jahre alte Erzählung nicht als wissenschaftliche Arbeit oder als wortwörtliches Glaubensdogma an, sondern als sehr altes Zeugnis für die Fähigkeit des Menschen, die Welt auch ohne Kenntnis der Naturgesetze oder Ähnlichem in ihrem Ganzen wahrzunehmen – zwar nicht mit dem Verstand, dafür aber mit der Seele!

1.    Das Ende der Welt…

Hier möchte ich aber mit meinen Gedanken zur Schöpfung und zum Kosmos ganz allgemein nicht enden. Die moderne Wissenschaft hat mittels logischer Schlussfolgerung und langjähriger Beobachtung ein paar Thesen gebildet, die innerhalb des aktuellen Kapitels sehr interessant sind.

Der Gedankengang der Wissenschaftler befasst sich mit der Evolution von Materie. Es wurde erkannt, dass Materie jenseits des Wasserstoffs innerhalb von Sonnen entsteht. Vor allem sehr große Sonnen mit einem mehrfachen Gewicht unserer eigenen Sonne zeichneten für die Entstehung höherer Elemente verantwortlich. So fand man heraus, dass Gold, Silber oder Platin erst mitten während einer Supernova, dem Tod einer Riesensonne, entstehen kann.

In einem weiteren Gedankengang wurde der Wissenschaft bewusst, dass wirklich alles, was unseren heutigen Kosmos ausmacht, in Wahrheit aus Wasserstoff entstanden ist, der sich in gigantischen Fusionsreaktoren, eben den Sonnen, in schwere Elemente verwandelt hat. Auch wurde erkannt, dass der Wasserstoff im Weltall nur begrenzt vorhanden ist. In ein paar Billionen Jahren wird selbst der letzte Wasserstoff aufgebraucht sein und alle Sonnen werden erlöschen! Danach wird es im Kosmos sehr dunkel sein – eine ewige Nacht wird herrschen und das lichtbezogene Leben wird nirgends mehr möglich sein.

Man könnte fast sagen, der Asphodeliengrund der griechischen Mythologie ist in Wahrheit das Schicksal des Kosmos. Seit seiner Erschaffung hat er eine unabwendbare Tendenz, auszubrennen und zu vergehen. Auch die Darstellung von Gottes Selbstverknechtung findet hier ihren Platz: Im ersten Akt der Schöpfung hat Gott sich selbst zurückgezogen, um der Welt Platz zu schaffen. Somit bleibt der Welt aber nur jene Kraft Gottes, die am Beginn in sie hinein gelegt wurde. Diese Kraft wird im Laufe der Billionen Jahre verbraucht sein – die Welt wird vergehen, so wie auch eine Seele vergehen wird, die sich nur auf die eigene Kraft verlässt und den lebensspendenden Bezug zu Gott verweigert. Es ist also eine wissenschaftliche Tatsache, dass in vielen Billionen Jahren die ganze materielle Welt sterben wird, weil alle Sonnen erlöschen. Und wenn ich mir so manche Mythologien ansehe, dann dürfte auch diese letzte Wahrheit von den antiken Denkern längst erkannt worden sein.

Die moderne These, dass sich das Weltall irgendwann wieder für einen neuen Urknall zusammenzieht, lässt sich ebenfalls in den antiken Schriften erkennen. Wenn die christliche Apokalypse vom zweiten, ewigen Tod spricht, dem zuletzt das neue Reich Gottes folgt, dann muss damit nicht zwingend eine Jenseitsvorstellung gemeint sein. Sollte der wissenschaftliche Ansatz eines periodischen Urknalls korrekt sein, dann würde jener auf jeden Fall lange nach dem Ausbrennen der letzten Sonne stattfinden. Also würde die Welt zuerst im Sinn des griechischen Asphodeliengrundes vergehen, bevor sie sich mehre Milliarden Jahre lang wieder zusammenzieht und einen neuen Urknall erlebt. Könnte es tatsächlich sein, dass schon vor 2000 Jahren dieses Konzept des periodischen Urknalls von den Menschen instinktiv wahrgenommen wurde?

5      Bei dieser Aussage werden zwar meine Mitbrüder doch sehr schmunzeln, aber ich spreche davon, was ich gesucht habe, nicht davon, was ich gerade am Anfang der Zeit im Kloster schon erreicht hatte.

D.    MANN UND FRAU SIND VOLLWERTIG ANDERS

Um die Welt als Ganzes wahrnehmen zu können, ist es zuerst einmal wichtig, dass der Mensch sich selbst besser verstehen lernt. Gerade in den letzten Jahrzehnten hat sich aber gerade hier ein massiver Mangel offenbart, der die westliche Hochkultur des Menschen seit ihrem Entstehen lähmt. Ich spreche vom biologischen Unterschied zwischen Männern und Frauen, der nicht zuletzt im Zuge einer vermeintlichen Emanzipation verleugnet und verraten wird. Es gibt sehr viele, aktuelle Probleme, die ich eindeutig in dieser Frage verursacht sehe. Je mehr die Geschlechterrollen nämlich verleugnet werden, desto weniger können die jeweils geschlechtsspezifischen Aufgaben ausreichend wahrgenommen werden. Am deutlichsten wird diese Problematik bei der Frage der Fortpflanzung. Männer können nun einmal keine Kinder gebären – wenn also die Frauen sich dieser massiv geschlechtsspezifischen Aufgabe verweigern, dann wird über kurz oder lang die Menschheit aussterben! Ebenso sichtbar wird für mich die Gegenwart geschlechtsspezifischer Rollenfindung bei den Transsexuellen. Diese Menschen leiden daran, dass sie ihrer Meinung nach im falschen Körper/im falschen Geschlecht leben müssen. Wäre die natürliche Geschlechterrolle wirklich so unwichtig, wie von manchen „modernen“ Menschen propagiert, dann würden jene Transsexuellen nicht so massiv leiden. Leiden entsteht ja immer aus einem nicht erfüllten Bedürfnis. Also gibt es tatsächlich ein natürliches Bedürfnis zum Mann- oder Frau-Sein.

Gleichzeitig war es ohne jeden Zweifel gerechtfertigt, wenn früher Frauen eine latente Unterdrückung durch das männliche Geschlecht beklagt haben. Wir hatten bis weit ins 20. Jahrhundert in Europa eindeutig ein patriarchales System gepflegt, das den Frauen oft genug großes Leid gebracht hat. Allerdings muss in der gleichen Offenheit gesehen werden, wie sehr sich diese Situation inzwischen geändert, zuweilen sogar pervertiert hat. In der Gegenwart ist es z.B. für einen Mann nicht mehr gut, verheiratet zu sein, da er grundsätzlich bei Ehestreitfällen der Verlierer ist. Auch in anderen Lebensbereichen gibt es ein massives Ungleichgewicht, das längst schon zugunsten der Frauen liegt. In Wahrheit sind die Fragen des Arbeitslohnes und der Arbeitsplatzvergabe der letzte Bereich, wo Männer noch einen gewissen Vorteil genießen könnten. Allerdings ist auch dieser vor allem von weiblichen Aktivisten behauptete Vorteil kleiner als öffentlich propagiert.6 Überall sonst sind Männer längst in der zweiten oder dritten Reihe!

Die Folge dieser sozialen und gesellschaftlichen Benachteiligung der Männer sind meiner Meinung nach vermehrte häusliche Gewalt und eine massiv ansteigende Häufung von homophilen Beziehungen.

In diesem Zusammenhang erlangt die Fragestellung nach natürlichen Aufgaben für Männer und Frauen vermehrt Bedeutung. Schwierig ist dabei jedoch die Herausforderung, die großen emanzipatorischen Krisenherde unserer Gesellschaft nicht zu übersehen und gleichzeitig an alleinerziehende Mütter zu denken, die täglich für ihre Familie Mann und Frau gleichzeitig sein müssen. Also werden meine weiteren Gedanken nur eine Diskussion über den Idealzustand bleiben können, denn das reale Leben verlangt immer größtmögliche Flexibilität – auch in der Geschlechterrolle.

Als Ziel all dieser Gedanken muss der ebenbürtige Wert beider Geschlechter angepeilt werden. In einer wahrhaft modernen und vernunftorientierten Gesellschaft darf es über eine klare Trennung in Geschlechterrollen keinen Zweifel geben, wobei ebenso klar der jeweilige Wert und die Würde dieser Rollen zu betonen sind. Zugleich anerkennt eine solche Gesellschaft jenes enorme Betätigungsangebot für jeden Menschen, das sich unabhängig von der Geschlechterrolle präsentiert. Lassen Sie uns diese Fragen im Folgenden andenken.

1.    Der kleine Unterschied

Dass es da einen kleinen Unterschied gibt, fällt schon den Jüngsten auf. Und spätestens seit Sigmund Freud, der sein ganzes psychologisches Konzept um diesen kleinen Unterschied und seine Aufgabe kreisen ließ, versuchen diverse Psychologen die Geschlechtlichkeit des Menschen als Dreh- und Angelpunkt weiter Lebensbereiche zu sehen. Der legendäre Penisneid von Frauen ist nur eines von vielen Beispielen, wie mittels biologischer Gegebenheiten ganze Soziologien oder Psychologien entwickelt wurden. Ich selbst verwehre mich jedoch gegen eine solche Reduzierung des menschlichen Wesens nur auf seine Sexualität. Und auch der anatomische Unterschied zwischen Mann und Frau kann meiner Meinung nach nur dann zu einem Phänomen wie dem Penisneid führen, wenn die Sexualerziehung der Kinder unnatürlich und komplett pervertiert ist. Je früher Kinder offen und richtig erklärt bekommen, warum denn nun Buben und Mädchen ein kleines bisschen anders aussehen, desto gesünder werden sie sich in diesem Bereich entwickeln.

Am gründlichsten empfand ich in diesem Zusammenhang den Aufklärungsunterricht, der einem siebenjährigen Bauernbuben von seinem Vater erteilt wurde. Der Bub wollte wissen, warum er einen Penis hat und sein Schwester eben nicht, wobei er sich natürlich nicht so wissenschaftlich korrekt ausgedrückt hat. Der Vater, ein Biobauer, nahm den Sohn mit auf die Weide, wo gerade ein Stier bei ein paar Kühen alles Glück auf Erden erleben durfte. Dort teilte der Vater dem Sohn sehr nüchtern mit: „Bub, schau zu, dann weißt warum!“ Natürlich hat der Bauer dem Buben auch verraten, dass einige Monate später das Resultat dieser ganzen Aktion als Kalb auf die Welt kommt, was der Bub schon oft miterlebt hatte. Ich wage zu behaupten, dass dieser recht unmittelbare Weg der Aufklärung gleichzeitig der vernünftigste war. Denn der Bub hatte in der realen Beobachtung einen maximalen Lernfortschritt und die Angelegenheit wurde vollkommen frei von Machogehabe oder verlegenem Herumgestottere wertneutral geklärt.

Für unsere eigentliche Fragestellung müssen wir aber weiter blicken, als nur auf die Genitalien der Menschen. Schließlich geht es um unser Verhalten, und das findet vorwiegend im Kopf statt – selbst, wenn manche Frauen behaupten, Männer wären nur „schwanzgesteuert“.

In diesem Zusammenhang habe ich mit großem Interesse eine Ausstrahlung der BBC-Dokumentationen7 gesehen, die ich später mittels wissenschaftlicher Veröffentlichungen der Universitäten Maryland in den USA und Bath in England verifizieren konnte.8 In der Dokumentation wurde ein Forschungsbereich vorgestellt, der herausgefunden haben will, dass viele geschlechterspezifische Verhaltensmuster und Gehirnfunktionen mit einzelnen Gehirnarealen im Zusammenhang stehen. Im Laufe der embryonalen Entwicklung bilden sich die jeweiligen Gehirnareale zu unterschiedlichen Zeitpunkten aus. Ob sich ein Areal nach dem männlichen oder nach dem weiblichen Verhaltensmuster entwickelt, hängt aber vor allem vom jeweils vorhandenen Testosteronspiegel ab. Da dieser Hormonspiegel während der Schwangerschaft nicht konstant bleibt, ergibt es sich immer, dass Frauen teilweise männliche Gehirnareale entwickelt haben und Männer weibliche. Wichtig ist hier noch die Ergänzung, dass Embryos beiderlei Geschlechts Testosteron im Körper bilden, allerdings sind die Werte bei männlichen Embryos chromosomenbedingt massiv höher variierend.

Grundsätzlich muss sogar festgestellt werden, dass jeder Mensch in seinen ersten 7 – 10 Wochen weiblich geprägt ist und erst ab dem Beginn der Testosteronausschüttung zu diesem Zeitpunkt eine Entwicklung zum Mann stattfindet. Ein zweites Hormon, das „Defeminisierungshormon“ AMH, verstärkt diese geschlechterprägende Entwicklung zusätzlich. Im Alter, wenn der Mann seine Andropause erlebt, nimmt der Testosteronspiegel wieder stetig ab und der Mann gleicht sich zumindest hormonell in den meisten Fällen zunehmend dem Weiblichen an.

Obwohl unsere Genitalien und Instinkte in erster Linie von unserem genetischen Geschlecht bestimmt werden, können also durch solche Hormonschwankungen Verhaltensweisen und Gehirnfunktionen des Gegengeschlechts schon während der Schwangerschaft Teil von uns werden. Die Forschung kommt schließlich zum Ergebnis, dass jeder Mensch eine Mischung aus männlichen und weiblichen Gehirncharakteristika ist, wobei klare Gewichtungen in der genetischen Geschlechterrolle üblich sind. Professor McCarthy und viele ihrer Kollegen fordern daher, die stereotypen Geschlechterrollen zugunsten dieser äußerst variablen Mischungen aufzugeben. In ihren Worten ist das menschliche Gehirn ein Mosaik aus männlichen und weiblichen Anteilen.

Ich möchte in dieser Forderung nicht ganz so weit gehen. Zwar bin ich sehr dankbar, dass endlich in sehr fundierter Weise gezeigt wurde, wie unbeständig so genannte männliche oder weibliche Charaktermerkmale wirklich sind. Andererseits gibt es aber immer noch biologische Geschlechterrollen, die keinesfalls variabel, sondern sehr eindeutig festgelegt sind. Neuere Forschungen mittels Kernspintomographen belegen, dass es in der Anatomie der Gehirne deutliche Unterschiede zwischen Mann und Frau gibt, die in der genannten Weise nicht übersehen werden dürfen. Auch verfügen Buben einerseits im ersten Lebensjahr und andererseits in der Pubertät über einen gut zwanzigfach erhöhten Testosteronspiegel, wodurch das Gehirn auch nach der Geburt nachhaltig männlich geformt wird. Beim männlichen Pubertierenden wachsen in der Folge die Amygdala und das Sexualareal im Hypothalamus deutlich stärker als bei Frauen. Aus der größeren und aktiveren Amygdala als dem Zentrum für emotionale Impulse und deren Kontrolle begründet sich bei Burschen eine gesteigerte Risikobereitschaft und in der Tat eine höhere Empfindsamkeit! Erst etwa ab dem 20. Lebensjahr bildet sich im präfrontalen Cortex ein Hemmsystem aus, das die hyperaktive Amygdala wieder in geordnete Bahnen bringt. Die Folge dieser Entwicklung ist, dass Männer ein stärkeres emotionales Kontrollsystem besitzen und daher ein ausgewachsenes männliches Gehirn ab ca. dem 25. Lebensjahr wesentlich stressresistenter und emotional stabiler ist. Andererseits dürfte in dieser besseren emotionalen Kontrolle auch das schlechtere emotionale Einfühlungsvermögen von Männern verursacht sein. Der fast doppelt so große Sexualbereich im Hypothalamus hingegen begründet das deutliche Brunftverhalten der Burschen, das sich massiv vom weiblichen Sexualverhalten unterscheidet. Bei all dem eben Gesagten darf aber nicht übersehen werden, dass wir hier von der Standardentwicklung sprechen. Gerade durch Umwelteinflüsse und Hormone in den Lebensmitteln oder psychosomatische Störfaktoren kann sich das Hormongleichgewicht bei Mädchen und Burschen derart abnorm zeigen, dass wiederum eine gegengeschlechtliche Prägung stattfindet. Professor McCarthy verglich die geschlechtliche Prägung sehr treffend mit einer lebenslangen Baustelle, bei der zwar in der Schwangerschaft ein solides Fundament gelegt wurde, wo aber im weiteren Leben basierend auf jenem Fundament völlig unterschiedliche Gebäude entstehen können.

Kehren wir jedoch zurück zur pränatalen Entwicklung der Geschlechter und den daraus resultierenden männlichen oder weiblichen Eigenschaften. Es ist jetzt zu fragen, welche Bereiche im menschlichen Verhalten sich als zwingend auf das Geschlecht hin orientiert betrachten lassen. Allerdings bleibt dabei offen, welche der unten genannten Eigenschaften tatsächlich schon im Mutterleib etabliert werden, und welche erst im Rahmen der beiden genannten Testosteronschübe entstehen:

Gebären und Säugen: